OGH 1Ob532/94

OGH1Ob532/9425.1.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Edith A*****, vertreten durch Dr. Karl Glaser, Rechtsanwalt in Traun, wider die beklagte Partei Stadt L*****, vertreten durch Dr. Harry Zamponi, Dr. Josef Weixelbaum, Dr. Helmut Trenkwalder und Dr. Sebastian Mayrhofer, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 250.000,-- s.A. und Feststellung (Feststellungsinteresse S 60.000,- -), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 16. Dezember 1992, GZ 2 R 142/92-37, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 3. März 1992, GZ 2 Cg 264/88-29, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagte ist Rechtsträger des Allgemeinen Öffentlichen Krankenhauses der Stadt L*****. Die Klägerin, welche an einer Beeinträchtigung der Beweglichkeit des rechten Ellbogengelenks litt, unterzog sich in diesem Krankenhaus am 27.8.1987 wegen des Verdachtes des Vorliegens eines sogenannten freien Gelenkskörpers einer Operation am Ellbogengelenk. Sie hatte zuvor eine Zustimmungserklärung zu einer operativen Ellbogenrevision unterschrieben. Näheres über die Operation wurde mit der Klägerin nicht besprochen, sie wurde insbesondere nicht auf Gefahren hingewiesen. Es ist in der medizinischen Wissenschaft bekannt, daß bei einer derartigen Operation der nervus radialis geschädigt werden kann. Da eine derartige Schädigung jedoch äußerst selten auftritt, wird ein Patient üblicherweise auf diese Möglichkeit nicht hingewiesen.

Die Operation wurde durch Dr. N*****, teilweise in Anwesenheit von Prof. Dr. B*****, durchgeführt. Als Assistent fungierte cand.med. L*****. Da die Athroskopie zunächst kein Ergebnis brachte, entschloß sich der Operateur zur Durchführung einer Arthrotomie, somit einer Eröffnung des Gelenkes nach Abtrennung verschiedener Muskel. Um einen entsprechenden Einblick bei der Operation zu erhalten, war es notwendig, den nervus radialis, der äußerst empfindlich gegen jede mechanische Schädigung ist, mit der umgebenden Muskulatur wegzuhalten. Dies geschieht mittels eines Hakens, der üblicherweise vom Operationsassistenten gehalten wird. Es gelang in der Folge, jenen Teil zu entfernen, der die Behinderung des Gelenks verursachte, doch kam es durch den Hakendruck zu einer Schädigung des nervus radialis.

Wegen der Druckempfindlichkeit des nervus radialis muß der Hakendruck behutsam ausgeführt werden. Allerdings ist die Empfindlichkeit des Nervs bei jedem Patienten verschieden. Wer den Haken gehalten hat, ob der Assistent oder der später die Operation beobachtende Prof. Dr. B*****, konnte das Erstgericht nicht feststellen, ebensowenig, mit welcher Intensität der Druck auf den nervus radialis ausgeübt wurde.

Die Operation wurde insgesamt nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausgeführt und war nach Entfernung jener Teile, die die Behinderung der Klägerin bewirkt haben, auch erfolgreich.

Wegen der Schädigung des nervus radialis traten postoperativ Lähmungserscheinungen auf. Durch Therapie gelang es zwar, diesen Zustand zu bessern, doch kam es nicht zu einer vollständigen Ausheilung, sodaß auch rund 1 ½ Jahre nach der Operation noch eine deutliche Streckschwäche der Finger der rechten Hand, verbunden mit einer diskreten vegetativen Störung dieser Hand bestand.Rund 2 ½ Jahre nach der Operation konnte nur mehr eine geringgradige Muskelschwäche der Unterarmstreckmuskulatur festgestellt werden. Obwohl orthopädisch keine Dauerfolgen mehr bestehen, und mittlerweile auch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht mehr vorliegt, treten bei der Klägerin immer wieder Schmerzen auf, welche im Frühjahr 1991 eine Kur, im Mai 1991 eine ambulante Behandlung und im Herbst 1991 einen dreiwöchigen Krankenstand notwendig machten.

Mit ihrer am 15.9.1988 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin, die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzengeldbetrages von S 250.000,-- schuldig zu erkennen und festzustellen, daß sie ihr für alle aus der Operation vom 27.8.1987 künftig sich ergebenden Schäden hafte. Die Operation sei nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen worden, sodaß unmittelbar danach eine Lähmung des Radialisnervs im Bereich der rechten Hand bzw. des rechten Unterarms aufgetreten sei. Die Klägerin habe lediglich die Zustimmung zur Entfernung des freien Gelenkskörpers mittels Athroskopie erteilt, nicht jedoch dazu, daß das Gelenk durch Athrotomie eröffnet werde. Die mit einer derartigen Athrotomie im Zusammenhang stehenden Gefahren seien nicht besprochen worden. Die Beklagte müsse sich darüberhinaus als Verschulden zurechnen lassen, daß Operationsassistent ein Medizinstudent gewesen sei, dem Ausbildung und Praxis für diese Tätigkeit gefehlt habe.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte dessen Abweisung. Die Schädigung des nervus radialis dürfte durch Kompression mittels des bei der Operation verwendeten Hakens entstanden sein. Dabei handle es sich um eine bekannte schicksalshafte Komplikation, die in seltenen Fällen, vor allem bei schlanken Patienten, auftreten könne und unvermeidbar sei. Die Klägerin sei darüber aufgeklärt worden, daß bei ihr eine „Ellbogen-Revision“ vorgesehen sei. Dieser Begriff schließe auch die Durchführung einer Arthrotomie ein. Da die Komplikation äußerst selten auftrete, sei eine Aufklärung der Patientin unterlassen worden, um sie nicht zu verunsichern. Selbst wenn die Klägerin informiert worden wäre, wäre sie dennoch mit der Durchführung der Operation einverstanden gewesen, weil die Beschwerden bei der Ausübung ihres Berufes als Therapeutin äußerst hinderlich gewesen seien und eine so geringe Wahrscheinlichkeit einer Schädigung des nervus radialis bestanden habe, daß sie in keinem Verhältnis zum möglichen Nutzen der Operation gestanden sei. Es sei allgemein nicht üblich, bei derartigen Ellbogenrevisionen über dieses geringe Risiko aufzuklären.

Das Gericht erster Instanz erkannte die Beklagte zur Zahlung eines Betrages von S 130.000,-- s.A. schuldig und wies das Leistungsmehrbegehren ab. Es stellte die Haftung der Beklagten für alle künftigen aus der Operation sich ergebenden Schäden fest. Das Erstgericht traf im wesentlichen die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß die Klägerin ihrer Beweispflicht im Sinne eines prima-facie-Beweises nachgekommen sei, da sich aus der Schädigung des Nervs ergebe, daß der Hakendruck jenes Maß überschritten habe, das ein sorgfältig handelnder Arzt oder sein Gehilfe aufwenden würde. Damit komme es zu einer Beweislastumkehr. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, einen atypischen Kausalverlauf nachzuweisen, etwa daß die Verletzung auf einen schicksalhaften Geschehensablauf oder eine außergewöhnliche Empfindlichkeit der Klägerin zurückzuführen sei. Diesen Gegenbeweis habe die Beklagte nicht erbracht, weshalb ihre Haftung zu bejahen sei.

Das Gericht zweiter Instanz gab der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge, änderte jedoch infolge Berufung der Beklagten das Ersturteil dahin ab, daß es das Klagebegehren zur Gänze abwies. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und beurteilte diese rechtlich dahin, daß ärztliche Eingriffe, die den Gesundheitszustand des Patienten verschlechtern, dann Körperverletzungen im Sinne des § 1325 ABGB darstellten, und demnach rechtswidrig seien, wenn der Arzt dabei nicht nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft vorgehe, ihm mit anderen Worten ein sogenannter Kunstfehler unterlaufe. Die Frage, ob ein Arzt die seiner Kunst und der ihm gestellten Aufgabe angemessene Sorgfalt vernachlässigt habe, betreffe aber den objektiven Sachverhalt und werde daher nicht von der im § 1298 ABGB angeordneten Beweislastumkehr umfaßt. Die Klägerin habe daher das Vorliegen eines ärztlichen Kunstfehlers zumindest mit einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit zu beweisen. Da nicht feststehe, welcher Druck mit dem Haken auf den nervus radialis ausgeübt worden sei und es zufolge einer Überempfindlichkeit des Nervs auch bei Beobachtung der gebotenen Vorsicht zu dessen Schädigung kommen könne, sei der Beweis einer Sorgfaltsverletzung nicht erbracht. Unaufklärbare Zweifel über das Vorliegen eines Kunstfehlers gingen zu Lasten der Klägerin. Auch die Verletzung einer Aufklärungspflicht durch die Ärzte des Krankenhauses sei zu verneinen. Das Argument der Beklagten, eine Aufklärung über die gegenständliche Komplikation habe im Hinblick auf die äußerst geringe Wahrscheinlichkeit zu unterbleiben gehabt, um die Patientin nicht unnötig zu verunsichern, sei nicht zu widerlegen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

Ein dem Arzt anzulastendes Fehlverhalten bei der Behandlung des Patienten liegt dann vor, wenn er nicht nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung vorgegangen ist oder die übliche Sorgfalt eines ordentlichen pflichtgetreuen Durchschnittsarztes in der konkreten Situation vernachlässigt hat (Reischauer in Rummel ABGB2 § 1299 Rdz 25; JBl. 1987, 104; JBl. 1987, 670; SZ 62/53). Die Behandlung muß also entsprechend den Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft und den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgen. Der Arzt handelt nicht fahrlässig, wenn die von ihm gewählte Behandlungsmethode einer Praxis entspricht, die von angesehenen, mit dieser Methode vertrauten Medizinern anerkannt ist. Der Patient hat dabei Anspruch auf die nach dem Stand der Wissenschaft sichersten Maßnahmen zur Abwendung bekannter Operationsgefahren (SZ 62/125). Den Beweis des Vorliegens eines Behandlungsfehlers und seiner Kausalität hat im Sinne der allgemeinen Schadenersatzregeln grundsätzlich der Patient zu führen. Dieser muß also als Kläger das Entstehen des Gesundheitsschadens durch das Verhalten des Arztes überwiegend im Sinne eines hohen Grades wahrscheinlich machen (3 Ob 560/84; SZ 62/53; 2 Ob 538/92).

Die Revisionswerberin zeigt zutreffend auf, daß der Sachverständige auf AS 115 deponierte, er hätte den Hautschnitt „eine Spur weiter dorsal“ gelegt. Unter dem Gesichtspunkt, daß bei der vom Sachverständigen genannten Vorgangsweise möglicherweise der nervus radialis durch eine stärkere Muskelschicht gegen den Hakendruck geschützt worden wäre, hätte das Erstgericht diese Äußerung nicht unerörtert lassen dürfen. Allerdings könnte dadurch allein noch nicht der Vorwurf eines Kunstfehlers begründet werden, da dieser nach den vorstehenden Ausführungen nur im Falle eines eindeutigen vorwerfbaren Regelverstoßes vorliegen könnte. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren auf eine Ergänzung des Sachverständigengutachtens dahingehend zu dringen haben, ob die konkrete Schnittführung eine von Wissenschaft und Praxis anerkannte Behandlungsmethode darstellt und ob bei anderer Schnittführung eine Schädigung des nervus radialis hätte vermieden werden können.

Die Klägerin hat ihren Anspruch im Verfahren erster Instanz unter anderem aber auch darauf gestützt, daß der Operationsassistent cand.med. L***** für diese Tätigkeit keine ausreichende Ausbildung und Praxis gehabt habe (AS 163).

Vor dem Bundesgesetz vom 17.7.1987, BGBl Nr. 314, mit dem das Ärztegesetz geändert wurde, bestimmte § 22 Abs. 2 ÄrzteG lediglich, daß sich der Arzt zur Mithilfe Hilfspersonen bedienen dürfe, wenn diese nach seinen genauen Anordnungen und unter seiner ständigen Aufsicht handeln. Dieser Regelung stand jedoch § 2 Abs. 4 ÄrzteG gegenüber, wonach anderen Personen als den in § 2 Abs. 1 und 3 ÄrzteG genannten Ärzten (praktische Ärzte, Fachärzte, in Ausbildung stehende Ärzte) jede Ausübung des ärztlichen Berufes verboten ist. Nur das Bundesgesetz über die Studienrichtung Medizin, BGBl Nr. 123/1973 idF BGBl Nr. 224/1980, sah als Vorbereitung auf die praktische ärztliche Tätigkeit die Absolvierung einer Pflichtfamulatur unter ärztlicher Aufsicht vor (vgl. §§ 3, 12 des vorgenannten Gesetzes). Aus Gründen der „Verbesserung von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit“ sollte nach den EB zur Regierungsvorlage der Ärztegesetz-Novelle BGBl Nr. 314/1987 diese im Bundesgesetz über die Studienrichtung Medizin enthaltene lex specialis ausdrücklich ergänzt und abschließend geklärt werden, welche Tätigkeiten Studenten der Medizin im Rahmen der Pflichtfamulatur ausüben dürfen. Der neu gefaßte § 22 des ÄrzteG, dessen Abs. 6 diese nähere Regelung enthält, trat aber gemäß Art. IV Abs. 1 der Ärztegesetz-Novelle, BGBl Nr. 314/1987, erst mit 1.1.1988 in Kraft, ist also auf den vorliegenden Fall - die Operation wurde am 27.8.1987 vorgenommen - noch nicht anzuwenden. Eine Heranziehung von Famulanten in einem weitergehenden Umfang als nunmehr § 22 Abs. 6 ÄrzteG normiert, war aber auch vorher keinesfalls zulässig, ja es mußte bezweifelt werden, ob eine Hilfeleistung dieser Art überhaupt als zulässig angesehen werden konnte, da sie eine Tätigkeit war, die unmittelbar am Menschen iS des § 1 Abs 2 ÄrzteG vorgenommen wurde und damit Ärzten vorbehalten bleiben mußte. Die Regelung des § 22 Abs. 2 ÄrzteG über die erlaubte Mithilfe von Personen wurde stets sehr einschränkend verstanden (vgl. den Erlaß des Bundesministeriums für Soziale Verwaltung vom 27.3.1952, abgedruckt bei Kux-Emberger-Neudorfer-Chlan-Mahn Ärztegesetz3 106). Mißt man § 22 Abs. 6 ÄrzteG Klarstellungsfunktion in Ansehung einer unter Bedachtnahme auf das Bundesgesetz über die Studienrichtung Medizin faktisch geübten Praxis zu, so durfte die Heranziehung von Famulanten auch vor dem Inkrafttreten des § 22 Abs. 6 über den dort gezogenen Rahmen jedenfalls nicht hinausgehen. Nach dieser Bestimmung sind die in Ausbildung stehenden Studenten der Medizin (Famulanten und Pflichtfamulanten) zur unselbständigen Ausübung der in Abs. 7 dieser Gesetzesstelle genannten Tätigkeiten unter Anleitung und Aufsicht der ausbildenden Ärzte berechtigt. Zu diesen Tätigkeiten zählt unter anderem gemäß § 22 Abs. 7 Z 5 ÄrzteG die Hilfeleistung bei anderen (als den in Z 1 bis 4 genannten, hier nicht relevanten) ärztlichen Tätigkeiten. Dazu zählt auch die Vornahme operativer Eingriffe. Allerdings enthält § 22 ÄrzteG keine ausdrückliche Regelung darüber, in welchem Umfang Famulanten zur Hilfeleistung (insbesondere bei Operationen) eingesetzt werden dürfen. Dies hat daher der behandelnde Arzt unter Anwendung der ihn treffenden besonderen Sorgfaltspflicht eigenverantwortlich zu bestimmen. Die Beklagte, die für einen verletzungsursächlichen Sorgfaltsverstoß ihres Operateurs einzustehen hat, haftet für Fehler des Famulanten dann, wenn dieser für Tätigkeiten eingesetzt wird, die eine besondere Ausbildung oder besondere Fähigkeiten erfordern, ohne daß sich der Arzt vergewissert hat, daß diese Ausbildung oder diese Fähigkeiten im konkreten Fall tatsächlich vorliegen. Für besonders gefahrengeneigte Tätigkeiten verbietet sich der Einsatz eines Famulanten im allgemeinen überhaupt (Laufs, Arztrecht5 Rdz 519). Der Behandlungsfehler, an den die Haftung anknüpft, liegt in einem derartigen Fall nicht in einem falschen oder unsorgfältigen Vorgehen bei der Operation selbst, sondern in der Betrauung des Famulanten mit dieser besonderen gefahrgeneigten Tätigkeit (vgl. BGH VersR 1984, 60; OLG Köln, VersR 1992, 452; Rieger, Lexikon des Arztrechts 1984, Rdz 1385).

Das Erstgericht vermeinte allerdings nicht feststellen zu können, ob cand.med. L***** oder Prof. Dr. B***** den Haken, durch dessen Druck es zur Schädigung der nervus radialis kam, gehalten habe. Wäre letzteres der Fall gewesen, erschiene eine Sorgfaltspflichtverletzung kaum indiziert. Das Gericht zweiter Instanz zog daraus den Schluß, daß die Klägerin ihrer Beweispflicht nicht nachgekommen sei. Damit hat es aber eine Rechtsfrage (JBl. 1972, 426) unrichtig gelöst. Im Operationsbericht Beilage 1 sind als Operateur lediglich Dr. N***** und cand.med. L***** angeführt. Die Anwesenheit von Prof. Dr. B***** ist nicht dokumentiert. Es ist heute im Gegensatz zur älteren Rechtsprechung allgemein anerkannt, daß die ärztliche Dokumentation in Form von Operationsberichten udgl. nicht nur eine interne Gedächtnisstütze des Arztes darstellt, die er führen kann oder auch nicht, sondern daß sie im Rahmen der ordnungsgemäßen Erfüllung des abgeschlossenen Behandlungsvertrages geschuldet wird (1 Ob 550/84 = KRSlg. 688; BGH VersR 1963, 168; BGH VersR 1963, 65; BGH VersR 1989, 80; BGH VersR 1989, 512). Der erkennende Senat hat sich in der Entscheidung JBl 1991, 453 dazu bekannt, daß die Beweislastumkehr nach § 1298 ABGB auch bei der Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten Platz greift. Er hat diese Beweislastumkehr allerdings daran geknüpft, daß nach Lage der Dinge „der Schluß gerechtfertigt erscheint, daß der kausal handelnde Schädiger eine Sorgfaltspflicht verletzt hat“. Bydlinski hat in JBl 1992, 341, 347 die Auffassung vertreten, daß dann, wenn zumindest prima facie von einem zumindest sorgfaltswidrigen Verhalten auf der Schuldnerseite auszugehen ist, Verschulden vermutet werden kann. Objektiv mangelhafte und damit unkontrollierbare Umstände in der Schuldnersphäre rechtfertigen die Beweislastumkehr. Eine solche Sorgfaltspflichtverletzung stellt im vorliegenden Fall die Lückenhaftigkeit der ärztlichen Dokumentation dar, in der cand.med. L***** als Assistent aufscheint, während nunmehr im Prozeß behauptet wird, daß (auch) Prof. Dr. B***** assistiert hätte. Verletzt der Arzt seine Dokumentationspflicht, hat dies im Prozeß beweisrechtliche Konsequenzen, die dazu führen, daß dem Patienten zum Ausgleich der durch die Verletzung der Dokumentationspflicht eingetretenen größeren Schwierigkeiten, einen ärztlichen Behandlungsfehler nachzuweisen, eine der Schwere der Dokumentationspflichtverletzung entsprechende Beweiserleichterung zugutekommt, um auch für die Prozeßführung eine gerechte Rollenverteilung im Arzt-Patienten-Verhältnis zu schaffen. Diese Beweiserleichterung hilft dem Patienten insoweit, als sie die Vermutung begründet, daß eine nicht dokumentierte Maßnahme vom Arzt auch nicht getroffen worden ist (Giesen, Arzthaftungsrecht, 229; Laufs, aaO, Rdz 611; BGH VersR 1989, 80; BGH VersR 1989, 512). Verbleibt es bei den erstgerichtlichen Feststellungen, ist der der beklagten Partei obliegende Beweis, daß ohnehin eine hervorragende Fachkraft assistiert hat, mißlungen.

Nach den auf das Sachverständigengutachten gegründeten Feststellungen des Erstgerichtes ist der nervus radialis äußerst empfindlich gegen jede mechanische Einwirkung. Es ist in der medizinischen Wissenschaft bekannt, daß es bei einer derartigen Operation zu einer Schädigung des Nervs kommen kann. Die Verwendung eines Famulanten zu einer derartig heiklen Aufgabe, wie sie das Weghalten des in der Muskulatur eingelagerten Nervs bedeutet, könnte daher nicht als fachgerecht erachtet werden.

Da der Oberste Gerichtshof bisher zur Frage der Beweislastumkehr im Falle mangelnder Dokumentation sowie der Zuziehung von Hilfskräften zu gefahrengeneigten Tätigkeiten nicht Stellung genommen hat und daher die Beklagte durch eine Entscheidung in der Sache selbst von weiterem aufgrund ihrer bisherigen Rechtsansicht nicht als erforderlich erachtetem Vorbringen abgeschnitten wäre, wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren gemäß § 182 ZPO vorzugehen haben.

Der mit dem Arzt oder dem Träger eines Krankenhauses abgeschlossene Behandlungsvertrag umfaßt auch die Pflicht, den Patienten über die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen der Behandlung zu unterrichten (JBl. 1982, 491, SZ 55/114; SZ 59/18, JBl 1991, 455). In welchem Umfang der Arzt im Einzelfall den Patienten aufklären muß, damit dieser die Tragweite seiner Erklärung, in die Operation einzuwilligen, überschauen kann, also weiß, worin er einwilligt, stellt eine Rechtsfrage dar (SZ 55/114; SZ 62/154). Grundsätzlich ist eine Aufklärung des Patienten über mögliche schädliche Folgen einer vorgesehenen Operation dann nicht erforderlich, wenn Schäden nur in äußerst seltenen Fällen auftreten und anzunehmen ist, daß sie bei einem verständigen Patienten für seinen Entschluß, in die Behandlung einzuwilligen, nicht ernsthaft ins Gewicht fallen (5 Ob 521/82). Auf typische Risiken einer Operation ist aber ganz unabhängig von der prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit, also auch bei einer allfälligen Seltenheit ihres Eintrittes, hinzuweisen (SZ 57/207; 3 Ob 645/86). Insoweit ist die Aufklärungspflicht bei Vorliegen einer typischen Gefahr also verschärft. Die Typizität ergibt sich nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, daß das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist und den nicht informierten Patienten überrascht, weil er mit dieser Folge überhaupt nicht rechnet (Ehlers, Die ärztliche Aufklärung vor medizinischen Eingriffen 83). Auch das typische Risiko muß allerdings stets von einiger Erheblichkeit und dadurch geeignet sein, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen. Die Pflicht des Arztes zur Aufklärung über die Möglichkeit schädlicher Folgen eines Eingriffes ist umso umfassender, wie weniger der Eingriff dringlich erscheint (SZ 55/114; SZ 62/18). Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist grundsätzlich eine umfangreiche Aufklärung notwendig. Die Aufklärungspflicht ist im Einzelfall selbst dann zu bejahen, wenn erhebliche nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind. Selbst auf die Möglichkeit äußerst seltener Zwischenfälle ist dann hinzuweisen, wenn für den Eingriff aus medizinischer Sicht keine Dringlichkeit oder überhaupt keine zwingende Indikation besteht (SZ 62/18; SZ 62/154). Für den Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht trifft den Arzt bzw. den Krankenhausträger die Beweislast dafür, daß der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur Operation erteilt hätte (SZ 55/114; SZ 62/154), wobei aber im Hinblick darauf, daß es sich um einen an sich problematischen (vgl Koziol, Österr. Haftpflichtrecht2 I 165, 166; Giesen, Arzthaftungsrecht 117 FN 104) Nachvollzug einer höchstpersönlichen Entscheidung handelt, strenge Anforderungen zu stellen sind. Kann die Beklagte diesen Beweis nicht erbringen, haftet sie selbst bei kunstgerechtem Eingriff für die hiedurch bewirkten Schäden wegen Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 110 Abs.1 StGB, § 1311 ABGB).

Im gegenständlichen Fall ist nach den bisherigen Verfahrensergebnissen davon auszugehen, daß der Eingriff weder besonders eilig noch aus medizinischer Sicht besonders dringend gewesen ist. Es ist daher unbeschadet der Frage, ob nicht ohnedies ein typisches Operationsrisiko vorlag, auf jeden Fall die Aufklärung auch über seltene Komplikationen zu fordern. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß den behandelnden Ärzten nicht vorhersehbar gewesen sein könnte, daß an die Athroskopie eine Athrotomie anzuschließen sein würde. Die Möglichkeit eines derartigen Operationsverlaufes und der sich daraus ergebenden Risiken war somit schon in das ursprüngliche Aufklärungsgespräch einzubeziehen, sodaß sich die Frage des Eingehens eines zweiten Narkoserisikos nicht stellt. Die Beklagte hat auf AS 128 ausdrücklich vorgebracht, daß die Klägerin auch bei Aufklärung über die Möglichkeit einer Komplikation ihr Einverständnis zur Operation erklärt hätte und hat dazu verschiedene Beweismittel angeboten. Da das Erstgericht - ausgehend von anderer Rechtsansicht - diese Beweismittel nicht aufgenommen hat, wird es dies im fortgesetzten Verfahren, sofern die Haftung nicht schon aus anderen Gründen zu bejahen ist, nachzuholen und entsprechende Feststellungen zu treffen haben.

Es war daher der Revision Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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