OGH 2Ob154/11b

OGH2Ob154/11b28.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 12. Februar 2010 verstorbenen A***** L*****, über den Revisionsrekurs des S***** W*****, vertreten durch Dr. Peter Zdesar, öffentlicher Notar in Villach, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 8. Juni 2011, GZ 2 R 103/11s‑34, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 10. Februar 2011, GZ 11 A 114/10h‑29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Erblasserin verstarb ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung. Ihr Ehemann, von dem sie getrennt lebte, berief sich auf sein gesetzliches Erbrecht, gab die bedingte Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass ab und beantragte die Errichtung eines Inventars sowie die Schätzung des Nachlasses, insbesondere jener Liegenschaft mit Haus, in welchem die Erblasserin zuletzt gewohnt hatte.

Diese Liegenschaft war Gegenstand einer am 29. 4 2009 zwischen der Erblasserin und deren Cousin (in der Folge: Übernehmer) in der Form eines Notariatsakts abgeschlossenen und als „Übergabsvertrag auf den Todesfall“ bezeichneten Vereinbarung gewesen, deren Punkt III lautete:

Übergabszeitpunkt:

Die Übergabe und Übernahme des Übergabsobjekts in den tatsächlichen Besitz und Genuss des Übernehmers erfolgt mit null Uhr des Todestages der Übergeberin. […]

Der Übernehmer sprach sich mit Hinweis auf den Übergabsvertrag gegen die Inventarisierung und Schätzung aus. Die Liegenschaft gehöre infolge ihrer Übergabe mit null Uhr des Todestages der Erblasserin nicht zum Nachlass.

Das Erstgericht entschied, dass die Liegenschaft in das Nachlassinventar aufzunehmen sei. Auf den Todesfall geschenkte Liegenschaften seien jedenfalls im Verlassenschaftsverfahren zu berücksichtigen und im Inventar auszuweisen.

Das vom Übernehmer angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Es vertrat die Ansicht, für die Inventarisierung des Nachlasses sei der Besitz des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes maßgebend. Aufgrund des Wortlauts des Übergabsvertrags bestehe kein Zweifel, dass die Vertragsparteien ein Rechtsgeschäft von Todes wegen abgeschlossen hätten. Sie hätten zwar die Übergabe der Liegenschaft für null Uhr des Todestages der Übergeberin, also für einen Zeitpunkt vor deren Tod vereinbart, doch damit sei der faktische Besitz des Übernehmers nicht verwirklicht worden. Dafür, dass zum angegeben Zeitpunkt eine faktische Inbesitznahme erfolgt wäre, gebe es keinen Anhaltspunkt.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil eine eindeutige und aktuelle höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage fehle, ob in einem Fall wie dem hier zu beurteilenden die Liegenschaft in das Nachlassinventar aufzunehmen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Rekursentscheidung erhobene Revisionsrekurs des Übernehmers ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig. Eine solche wird weder in der Begründung des Zulassungsausspruchs noch im Rechtsmittel des Übernehmers dargetan:

1. Gemäß § 166 Abs 1 AußStrG dient das Inventar als vollständiges Verzeichnis der Verlassenschaft (§ 531 ABGB), nämlich aller körperlicher Sachen und aller vererblicher Rechte und Verbindlichkeiten des Verstorbenen und ihres Wertes im Zeitpunkt seines Todes. Maßgeblich für die Aufnahme in das Inventar sind in erster Linie die Besitzverhältnisse am Todestag des Erblassers (2 Ob 153/07z; 7 Ob 259/08a; 6 Ob 287/08m; 3 Ob 207/11d; RIS‑Justiz RS0007816, RS0007860, RS0109531, RS0122722). Aus diesem Grund sind auch auf den Todesfall geschenkte, aber im Zeitpunkt des Todes noch im Besitz des Erblassers befindliche Sachen in das Inventar aufzunehmen (10 Ob 58/08i mwN; 2 Ob 226/09p; 2 Ob 148/10v; RIS‑Justiz RS0007843 [T3]). Dies gilt ebenso, wenn die noch im Besitz des Erblassers befindlichen Sachen Gegenstand eines (entgeltlichen) Übergabsvertrags auf den Todesfall gewesen sind (7 Ob 56/00m; vgl RIS‑Justiz RS0007872).

2. Das Außerstreitgesetz definiert keinen eigenständigen Besitzbegriff; es ist daher von der Anwendbarkeit der einschlägigen Bestimmungen des ABGB auszugehen (6 Ob 287/08m). Entscheidend für die Aufnahme in das Inventar ist nur der Sachbesitz (RIS‑Justiz RS0007809). Nur eine Liegenschaft, die der Erblasser nach Verfassung einer verbücherungsfähigen Vertragsurkunde dem Beschenkten (Übernehmer, Erwerber) tatsächlich übergeben hat, gehört nicht zum Nachlass und ist somit auch nicht zu inventarisieren (8 Ob 10/99z mwN; 7 Ob 31/01m; 8 Ob 159/02v; 1 Ob 29/12i; RIS‑Justiz RS0007860 [T2], RS0007872).

3. Selbst wenn man aber für die wirksame Übergabe der Liegenschaft unter den gegebenen Umständen ‑ der Übergabsvertrag wurde in der Form eines Notariatsakts errichtet ‑ ein Besitzkonstitut (Besitzübertragung durch Erklärung; § 428 ABGB) genügen lassen wollte (6 Ob 2332/96a; 8 Ob 10/99z; vgl auch 9 Ob 149/04h), wäre die Voraussetzung für den Übergang des Sachbesitzes hier nicht erfüllt. Anders als in den zu 6 Ob 2332/96a und 8 Ob 10/99z entschiedenen Fällen wird vom Übernehmer nicht einmal behauptet, dass die Erblasserin die Liegenschaft vor ihrem Tod aus einem anderen Rechtstitel als dem ihres Eigentums innehatte und somit nur noch Rechtsbesitzerin gewesen wäre, geschweige denn geht solches aus der Vertragsurkunde hervor. Bei der Vereinbarung eines mit „null Uhr des Todestages“ bezeichneten Übergabezeitpunkts, der erst nach dem Tod rückwirkend bestimmbar wäre, ist vielmehr auszuschließen, dass die Erblasserin ihren Sachbesitz bereits zu Lebzeiten aufgegeben hat. Dadurch unterscheidet sich der Sachverhalt maßgeblich von jenen Fällen, in denen der Parteiwille auf die Übergabe mit dem Tag der Vertragsunterzeichnung gerichtet war (vgl 3 Ob 542/94; 8 Ob 267/99v).

Die Auffassung des Rekursgerichts, die Liegenschaft habe sich im Todeszeitpunkt der Erblasserin nicht im „faktischen Besitz“ des Übernehmers befunden, geht im Wesentlichen von diesen Erwägungen aus, denen die zitierte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zugrunde liegt. Sie wirft daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf.

4. Der nach § 166 Abs 2 AußStrG durch unbedenkliche Urkunden zu erbringende Beweis, dass die Liegenschaft nicht zum Verlassenschaftsvermögen zählt, ist dem Übernehmer nicht gelungen, blieb doch unbestritten, dass die Erblasserin im Zeitpunkt ihres Todes als Eigentümerin der Liegenschaft im Grundbuch eingetragen war (vgl 7 Ob 259/08a).

Der im Revisionsrekurs enthaltene Hinweis auf die Unbedenklichkeit des Notariatsakts als öffentliche Urkunde muss daher ins Leere gehen. Auch insoweit zeigt der Übernehmer keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung durch das Rekursgericht auf.

5. Da eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zu lösen war, erweist sich der Revisionsrekurs als unzulässig. Er ist daher zurückzuweisen.

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