OGH 6Ob258/11a

OGH6Ob258/11a12.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** R*****, vertreten durch Kinberger-Schuberth-Fischer Rechtsanwälte GmbH in Zell am See, gegen die beklagten Parteien 1. B***** J*****, 2. Dr. G***** L*****, beide vertreten durch Lansky Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Widerrufs (Streitwert 19.620 EUR), über die Revisionen der klagenden Partei und der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 29. September 2011, GZ 2 R 55/11p-39, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 29. September 2010, GZ 7 Cg 229/08z-28, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1. Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

2. Hingegen wird der Revision der zweitbeklagten Partei Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahingehend abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

3. Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 2.179,37 EUR (darin 363,23 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 3.793,81 EUR (darin 416,27 EUR USt und 1.296 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Erstbeklagte verlor in Salzburg einen Ring mit einem ca 15 x 15 mm großen großen hellblauen Stein. Der Kläger fand diesen Ring, hielt dieses Schmuckstück für wertlos und schenkte es seiner Tochter. Die Medien berichteten über diesen Ringverlust und darüber, dass der Ring ca 200.000 EUR wert sei. Ca zwei Wochen später wurde der Ring zur Polizei gebracht. Die Erstbeklagte erkundigte sich beim Zweitbeklagten als ihrem Rechtsvertreter, inwieweit nach österreichischem Recht nun Finderlohn zu zahlen sei. Der Zweitbeklagte gelangte zur Ansicht, dass mangels Unverzüglichkeit kein Finderlohn zustehe. Gegenüber den Salzburger Nachrichten äußerte der Zweitbeklagte seine Rechtsansicht und erklärte dazu wörtlich:

Der Finder des Schmuckstücks hat zwei Wochen zugewartet, dann erst den Ring abgeliefert. Seine Version, das Juwel sei als Spielzeug für seine Tochter verwendet worden, ist aus unserer Sicht im Übrigen lächerlich. Im Gesetz heißt es, ein Finder muss ein Objekt umgehend, also ohne Verzögerung, den Behörden übergeben. Ich denke, das wäre ein Ansatzpunkt, das könnte man ausjudizieren.

Diese Aussage wurde in einem Bericht der Salzburger Nachrichten vom 24. 10. 2008 wörtlich wiedergegeben.

Im Zuge eines Telefonats mit einer anderen Journalistin äußerte der Zweitbeklagte sinngemäß, er glaube nicht, der Kläger hätte nicht erkannt, dass es sich um einen wertvollen Ring handle. Er erklärte ausdrücklich, er halte die Version des Klägers für „Unfug“. Nach diesem Telefonat verfasste eine Kollegin dieser Journalistin einen Artikel, der von der Austria Presse Agentur am 30. 10. 2008 veröffentlicht wurde. Der Zweitbeklagte gab diese Erklärungen jeweils ohne vorausgehende Rücksprache mit der Erstbeklagten ab.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Unterlassung und Widerruf zur Gänze ab. Die Äußerungen des Zweitbeklagten seien durch das Recht auf freie Meinungsäußerung bzw durch die anwaltliche Vertretung gedeckt. Der Standpunkt des Zweitbeklagten, der Ring sei nicht unverzüglich zurückgegeben worden, sei legitim und stelle zumindest eine vertretbare Rechtsansicht dar. Die Aussagen des Zweitbeklagten hätten nicht die Grenzen zulässiger, sachlicher Kritik überschritten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und gab dem Klagebegehren hinsichtlich des Zweitbeklagten statt. Unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs könnten die Aussagen nur in dem Sinn verstanden werden, dass die Darstellung des Klägers eine völlig unglaubwürdige, an den Haaren herbeigezogene Schutzbehauptung sei. Damit sei im Ergebnis zum Ausdruck gebracht worden, dass diese Darstellung haltlos und unwahr, sohin der Kläger ein Lügner sei. Die Behauptungen des Zweitbeklagten hätten sich als unrichtig erwiesen, zumal feststehe, dass der Kläger den von ihm gefundenen Ring tatsächlich für wertlos gehalten habe. Es handle sich um eine rufschädigende Tatsachenbehauptung sowie um ein ehrverletzendes Werturteil. Die Erstbeklagte habe demgegenüber die Behauptungen weder selbst aufgestellt noch den Zweitbeklagten konkret dazu veranlasst oder ihn dabei irgendwie unterstützt. Der bloße Umstand, dass der Zweitbeklagte ihr Rechtsvertreter sei, stelle keinen ausreichenden Haftungsgrund dar.

Die Revision sei zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Rechtsfrage vorliege, ob bzw inwieweit von einem Rechtsanwalt gesetzte Handlungen iSd § 1330 ABGB allein wegen eines bestehenden Vertretungsverhältnisses auf den Mandanten „durchschlagen“.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

1. Die Revision des Klägers ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Hingegen ist die Revision des Zweitbeklagten aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt.

2. Zur Revision des Klägers:

2.1. Ansprüche aus § 1330 ABGB richten sich nicht nur gegen den unmittelbaren Täter - also gegen jene Person, von der die Beeinträchtigung ausgeht -, sondern auch gegen den Mittäter, den Anstifter und den Gehilfen des eigentlichen Störers, welche den Täter bewusst fördern (RIS-Justiz RS0031901).

2.2. Der Oberste Gerichtshof hat sich mit der Haftung des Mandanten für ehrenbeleidigende Äußerungen seines Rechtsanwalts bereits eingehend auseinandergesetzt (6 Ob 2010/96y; 6 Ob 84/06f). Demnach ist der Mandant für in seinem Namen getätigte ehrenbeleidigende Äußerungen seines Rechtsanwalts dann nicht verantwortlich, wenn die Äußerungen vollmachtslos erfolgten oder die erteilte Vollmacht überschritten. Andernfalls muss der Mandant für die Äußerungen dann einstehen, wenn er den Rechtsanwalt durch die Übermittlung der entsprechenden Tatsachen dazu angeleitet hat. In diesem Sinne hat der Oberste Gerichtshof die Haftung des Mandanten für ehrenbeleidigende Formulierungen in einem Anwaltsschriftsatz verneint, wenn diese Formulierungen nicht mit dem Mandanten abgesprochen waren und selbst für gerichtserfahrene Personen überraschend wirken mussten.

2.3. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen gab der Zweitbeklagte die inkriminierten Äußerungen jeweils ohne vorausgehende Rücksprache mit der Erstbeklagten ab. Da Anhaltspunkte dafür fehlen, dass sich die Erstbeklagte in irgendeiner Weise die Äußerungen ihres Rechtsvertreters bekräftigt oder sonst unterstützt hätte, ist die Auffassung der Vorinstanzen, die eine Zurechnung verneinten, nicht zu beanstanden (vgl 6 Ob 84/06f). Der bloße Umstand, dass der Zweitbeklagte die Worte „aus unserer Sicht“ verwendete, lässt entgegen dem Standpunkt des Klägers keine Rückschlüsse auf eine Beteiligung der Erstbeklagten zu.

3. Zur Revision des Zweitbeklagten:

3.1. Hält sich ein Rechtsanwalt im Rahmen des § 9 RAO, so besteht für seine Vorgangsweise ein Rechtfertigungsgrund (RIS-Justiz RS0031998). Ehrenrührige unrichtige Tatsachenbehauptungen, die ein Rechtsanwalt über einen Prozessgegner seines Mandanten in einer Pressekonferenz aufstellt, unterliegen jedoch diesem Rechtfertigungsgrund nicht (RIS-Justiz RS0114012). Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass Pressekonferenzen wie überhaupt mediale Ereignisse regelmäßig kein geeignetes Forum sind, Rechtsstandpunkte gegenüber einem Verfahrensgegner durchzusetzen (6 Ob 114/00h). Öffentliche ehrenbeleidigende Behauptungen über den Gegner können nur zu einer unsachlichen Emotionalisierung führen, die der ordnungsgemäßen Rechtspflege nicht nur nicht dienlich, sondern abträglich sind. Während dem Gegner vor Gericht rechtliches Gehör zu gewähren ist, hat der Betroffene, dessen Ehre anlässlich medialer Ereignisse angegriffen wird, in den meisten Fällen keine Möglichkeit, den Angriffen auf dieselbe Art und Weise entgegenzutreten (RIS-Justiz RS0114016). Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Äußerung auf einer Pressekonferenz oder im Rahmen eines Zeitungsinterviews abgegeben wurde (6 Ob 60/03x).

3.2. Die Ermittlung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung in ihrem Gesamtzusammenhang (RIS-Justiz RS0031883), die Frage, ob Tatsachen verbreitet wurden oder eine wertende Äußerung vorliegt, sowie ob eine bestimmte Äußerung als Wertungsexzess zu qualifizieren ist (RIS-Justiz RS0113943, RS0031832 [T2]) sowie ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar gewesen wäre (RIS-Justiz RS0107768), stellt jeweils eine Frage des Einzelfalls dar. Nach ständiger Rechtsprechung hat die Auslegung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung nach dem Verständnis eines durchschnittlich qualifizierten Erklärungsempfängers zu erfolgen (RIS-Justiz RS0115084).

3.3. Unter den Begriff der Verbreitung von Tatsachen iSd § 1330 Abs 2 ABGB fallen nach der Rechtsprechung auch bloße Verdächtigungen, weil die Bestimmung bei anderer Auslegung gegen geschickte Formulierungen wirkungslos wäre (RIS-Justiz RS0031816). Ob ein Ausdruck den Tatbestand des § 1330 Abs 1 ABGB erfüllt, kann nur aus dem Zusammenhang, in dem er gebraucht wurde, beurteilt werden (RIS-Justiz RS0031857). Unter „Tatsachen“ sind Umstände, Ereignisse oder Eigenschaften mit einem greifbaren, für das Publikum erkennbaren und von ihm anhand bestimmter oder doch zu ermittelnder Umstände auf seine Richtigkeit überprüfbaren Inhalt zu verstehen (RIS-Justiz RS0032212). Darin liegt der Unterschied gegenüber bloßen Werturteilen, die erst aufgrund einer Denktätigkeit gewonnen werden können und die eine rein subjektive Meinung des Erklärenden wiedergeben (RIS-Justiz RS0032212 [T1]). Auch Werturteile sind nur dann auf das Recht der freien Meinungsäußerung gedeckt, wenn sie auf ein im Kern wahres Tatsachensubstrat zurückgeführt werden können und die Äußerung nicht exzessiv ist (RIS-Justiz RS0032201 [T11, T19]). Solange bei wertenden Äußerungen die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten werden, kann auch massive, in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, die sich an konkreten Fakten orientiert, zulässig sein (RIS-Justiz RS0054817). Selbst überspitzte Formulierungen und massive Kritik sind hinzunehmen, soweit kein massiver Wertungsexzess vorliegt (RIS-Justiz RS0054817 [T31]).

3.4. Die Behauptung, dass jemand gelogen habe, ist eine Tatsachenbehauptung, kann doch überprüft werden, ob sie richtig ist, der der Lüge Beschuldigte also tatsächlich gelogen hat (RIS-Justiz RS0032212 [T12]). Der auf keinem rechtfertigenden Sachverhalt beruhende Lügenvorwurf ist ein ehrverletzendes Werturteil, das als Beschimpfung dem Tatbild des § 1330 Abs 1 ABGB unterliegt (6 Ob 315/02w mwN).

3.5. Im vorliegenden Fall wird der vom Berufungsgericht ermittelte Bedeutungsgehalt der inkriminierten Aussage als „Lügenvorwurf“, welcher ein ehrverletzendes Werturteil und eine rufschädigende Tatsachenbehauptung darstelle, jedoch dem Bezugszusammenhang, in dem die Aussagen des Zweitbeklagten stehen, nicht ausreichend gerecht. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die Äußerungen im Zusammenhang mit einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung um die Berechtigung des Finderlohnanspruchs des Klägers und die Unverzüglichkeit der Rückgabe stehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit eines Rechtsanwalts nur in Ausnahmefällen iSd Art 10 EMRK als notwendig angesehen werden können (EGMR 21. 3. 2002, ÖJZ 2003/21).

3.6. Vor diesem Hintergrund ist die Äußerung des Zweitbeklagten aber als wertende Kritik am Verhalten des Klägers zu qualifizieren. Dem Zweitbeklagten lag es vor allem daran, den Rechtsstandpunkt seiner Mandantin zu untermauern. Dabei brachte der Zweitbeklagte durch die Wortwahl „aus unserer Sicht“ auch klar zum Ausdruck, dass es sich dabei um eine subjektive Einschätzung und den Prozessstandpunkt seiner Mandantin handle.

3.7. Im Zuge einer derartigen Auseinandersetzung muss es möglich sein, die Behauptungen der Gegenseite als unrichtig zu bezeichnen. Ein im Wege des § 1330 ABGB zu ahnender Lügenvorwurf ist darin in aller Regel nicht zu erblicken. Die Wortwahl des Zweitbeklagten („Unfug“, „lächerlich“) vermag daran nichts zu ändern. Im Übrigen ist, wenngleich die Tatsachenversion des Klägers im Prozess für erwiesen angesehen wurde, darauf hinzuweisen, dass der äußere Sachverhalt, wonach ein wertvolles Schmuckstück erst zwei Wochen nach seinem Fund vom Kläger der Polizei übergeben wurde, jedenfalls aus damaliger Sicht Zweifel an der Richtigkeit des Prozessstandpunkts des Klägers nahelegte.

3.8. Damit liegt im vorliegenden Fall trotz der teilweisen drastischen Wortwahl weder eine ehrverletzende Tatsachenbehauptung noch eine Beschimpfung iSd § 1330 Abs 1 ABGB vor. Damit war das Urteil des Berufungsgerichts in diesem Punkt dahingehend abzuändern, dass die zutreffende klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen war.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Wegen Abänderung des angefochtenen Urteils war auch die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens neu zu fassen.

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