Spruch:
Die Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen.
Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 624,06 EUR (darin 104,01 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
In einem Schadenersatzprozess, in dem es um die mögliche Übertragung von Hepatitis-C-Viren beim Blutspenden ging, wurde der Kläger vom Prozessgericht zum Sachverständigen bestellt. Er erstattete aus seinem Fachgebiet der Hygiene und Mikrobiologie ein Gutachten, das neben anderen Prozessergebnissen zur Grundlage eines außergerichtlichen Vergleichs genommen wurde.
Versicherungsunternehmen zahlten an eine größere Anzahl von Erkrankten im Vergleichsweg 112 Mio S. Der beklagte Rechtsanwalt hatte im "Musterprozess" von vier Klägern drei Kläger vertreten. Über die Vorfälle wurden vom Strafgericht Vorerhebungen geführt. Ein anderer Sachverständiger erstattete ein weiteres Gutachten. Der Beklagte war auf Grund dieses Gutachtens der Ansicht, dass das Gutachten des Klägers unrichtig gewesen sei und auf Grund der im zweiten Gutachten angeführten hygienischen Mängel als Hauptursache der Erkrankungen von den Versicherungen eine höhere Vergleichsabfindung erreicht hätte werden können. Der Beklagte prüfte die Möglichkeit von Schadenersatzprozessen gegen den Kläger und äußerte sich gegenüber zwei Zeitungen über den Sachverhalt. Der Kläger begehrt mit seiner auf § 1330 ABGB gestützten Klage und seinem Sicherungsantrag vom Beklagten die Unterlassung der Behauptung und/oder Verbreitung folgender Äußerungen:
1. Der Kläger habe zwar die Kausalität zwischen Plasmaspende und Hepatitis-Infektion bejaht, die erhobenen Vorwürfe über Mängel im Hygiene-Bereich aber zurückgewiesen. Auf skandalöse Weise seien dadurch katastrophale hygienische Zustände bagatellisiert worden;
2. hätte der Kläger nicht die Hygienemängel heruntergespielt, wäre die beim Vergleich erzielte Summe um 98 Mio S (7,12 Mio. EUR) höher gewesen;
3. hätte der Kläger die Mängel nicht in unverantwortlicher Weise verharmlost, wäre auch der Vergleich anders ausgefallen. Die unwahren Tatsachenbehauptungen des Beklagten seien ehrenbeleidigend und rufschädigend. Dem Kläger werde vorgeworfen, er hätte in Verletzung seines Sachverständigeneides versucht, die Schadenersatzansprüche der Erkrankten zu schmälern und hätte wider besseres Wissen entgegen den Regeln der medizinischen Wissenschaft ein für das beklagte Blutplasmaunternehmen günstiges Gutachten erstattet.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Sicherungsantrages. Die Berichterstattung der Zeitungen über die bekämpften Äußerungen des Beklagten sei im Wesentlichen richtig gewesen. Lediglich das Wort "skandalös" habe der Beklagte nicht auf den Kläger, sondern auf die katastrophalen hygienischen Zustände bezogen. In der Zwischenzeit hätten 11 Geschädigte eine Klage gegen den Kläger eingebracht. Der Beklagte sei mit seinen Äußerungen nur seiner Verpflichtung gemäß § 9 Abs 1 RAO nachgekommen. Die Äußerungen seien mit denjenigen in den anhängigen Verfahren identisch. Sie seien bloße Werturteile, die wegen des Rechts auf freie Meinungsäußerung zulässig seien. Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Es stellte den Inhalt von zwei Zeitungsberichten über die Äußerungen des Beklagten fest und beurteilte diese nicht als Tatsachenbehauptungen, sondern als bloße Wertungen, die der Beklagte als "juristischer Sachverständiger" für seine Mandanten abgegeben habe. Gutachten könnten nicht Gegenstand einer Unterlassungsklage sein.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers teilweise Folge und erließ die beantragte einstweilige Verfügung (Verbot, die Behauptungen zu verbreiten) mit der Einschränkung, dass das Mehrbegehren, die Behauptungen ganz allgemein, also auch dann zu verbieten, wenn sie im Rahmen von gerichtlichen Verfahren geäußert werden, abgewiesen wurde.
Das Rekursgericht ging von überprüfbaren Tatsachenbehauptungen aus, die zugleich rufschädigend und ehrenbeleidigend seien. Der beweispflichtige Beklagte habe den Wahrheitsbeweis nicht angetreten. Auf den aus § 9 RAO abgeleiteten Rechtfertigungsgrund könne sich der Beklagte nicht berufen, weil Äußerungen gegenüber Journalisten nicht zu seinen Aufgaben im Rahmen der Rechtspflege gehörten. Ein Recht auf freie Meinungsäußerung stehe bei dem unbewiesen gebliebenen Vorwurf einer grob sorgfaltswidrigen Gutachtenserstattung nicht zu. Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Etnscheidungsgegenstandes 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige und dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionsrekurse beider Parteien sind entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichtes mangels erheblicher Rechtsfragen unzulässig. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§§ 510 Abs 3 letzter Satz, 528a ZPO).
I. Zum Revisionsrekurs des Klägers:
Das angestrebte Verbot der Äußerungen des Beklagten auch in einem gerichtlichen Verfahren setzt voraus, dass die unwahren Tatsachenbehauptungen wider besseres Wissen erhoben wurden (RIS-Justiz RS0022784). Der Revisionsrekurswerber steht auf dem Standpunkt, dass der Vorsatz des Beklagten schon aus einem Vergleich der beiden Gutachten (deren Inhalt allerdings nicht festgestellt wurde) hervorgehe. Auf eine solcherart beweisbare Wissentlichkeit hat sich der Kläger im Verfahren erster Instanz aber nicht gestützt, hat er doch in der Klage auf die unterschiedliche Auftragslage der beiden Gutachten, den unterschiedlichen Beurteilungszeitraum und die unterschiedlichen Beweismittel hingewiesen, was das Einräumen einer inhaltlichen Differenz der Gutachten zumindest indiziert. Wenn er in der Folge eine inhaltliche Widersprüchlichkeit der beiden Gutachten bestritt und deswegen auf die objektive Unrichtigkeit der Äußerungen des Beklagten hinwies, hat er damit noch nicht geltend gemacht, der Beklagte habe wissentlich falsche Behauptungen aufgestellt, weil dies voraussetzte, dass der Beklagte bei der Lektüre von Fachgutachten zwingend die Übereinstimmung der Gutachten erkannt und dann vorsätzlich eine Widersprüchlichkeit behauptet hätte. Der Kläger releviert daher im Ergebnis nur ein "Wissenmüssen" des Beklagten über die Unrichtigkeit seiner Behauptungen. Dies reicht für den Ausschluss des Rechtfertigungsgrundes (Interesse an einer ordnungsgemäßen Rechtspflege) aber nicht aus (6 Ob 50/98s; 6 Ob 272/00v).
II. Zum Revisionsrekurs des Beklagten:
Zur Beurteilung der Äußerungen als Tatsachenbehauptungen und ihren ehrverletzenden Charakter sowie zur Beweislast über die Wahrheit kann auf die Begründung des Rekursgerichtes verwiesen werden. Zu diesen Themen führt der Revisionsrekurs nichts aus.
Unwahre, in die Ehre eines anderen eingreifende Tatsachenbehauptungen und solche, deren Wahrheit nicht nachgewiesen wurde, sind nach § 1330 ABGB zu verbieten und können nicht mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung gerechtfertigt werden (6 Ob 254/98s; 6 Ob 7/99v uva). Die oberstgerichtliche Judikatur steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art 10 MRK. Die Divergenz der beiden Sachverständigengutachten wurde nicht festgestellt. Selbst wenn sie vorläge, sind damit die Vorwürfe des Bagatellisierens, unverantwortlichen Verharmlosens und Herunterspielens von Mängeln im Hygiene-Bereich nicht gerechtfertigt, solange nicht der behauptete Sachverhalt (tatsächliches Vorliegen der Mängel und ihre Verneinung im Gutachten des Klägers) zumindest bescheinigt ist.
Im Gegensatz zur Ansicht des Beklagten sind die in der Entscheidung 6 Ob 114/00h (MR 2000, 307) dargelegten Rechtsgrundsätze auch hier anzuwenden. Dort wurde ausgesprochen, dass ein Rechtsanwalt, der im Rahmen einer Pressekonferenz einen verbalen Angriff gegen einen Prozessgegner seines Klienten führt, nicht im Rahmen der ihm als Rechtsvertreter zukommenden Aufgaben der Rechtspflege agiert. Er trägt damit nicht zur Rechtsdurchsetzung oder Rechtsverteidigung sachlich Zielführendes bei. Nichts anderes kann hier gelten. Es macht keinen Unterschied, ob die Äußerung auf einer Pressekonferenz oder im Rahmen eines Zeitungsinterviews abgegeben wurde. Auch die unterschiedliche Gewichtigkeit des Angriffs gegen die Ehre (dort der Vorwurf eines Verbrechens, hier der Vorwurf einer grob sorgfaltswidrigen Gutachtenserstattung) ändert nichts an der grundsätzlichen Beurteilung, ob der Rechtsanwalt im Rahmen der Rechtspflege oder aber außerhalb derselben tätig wurde. III. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des Ersatzanspruches des Beklagten auf den §§ 41 und 50 ZPO, §§ 78 und 402 EO. Mangels Bewertung des Teilanspruchs (Verbot der Äußerungen in einem Gerichtsverfahren) durch die Parteien ist von einer Gleichwertigkeit auszugehen. Auf der Basis der Hälfte der Kostenbemessungsgrundlage (7.500 EUR) hat der Beklagte Anspruch auf Ersatz seiner Vertretungskosten.
Der Ausspruch über die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung des Klägers beruht auf § 393 Abs 1 EO.
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