OGH 8ObA53/10t

OGH8ObA53/10t18.8.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras und die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann und Alfred Klair als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R***** R*****, Diplomkrankenschwester, *****, vertreten durch Dr. Anton Dierigl, Rechtsanwalt in Rum, gegen die beklagte Partei Land Tirol, Landhaus, 6010 Innsbruck, vertreten durch Pfurtscheller Orgler Huber, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Feststellung des Fortbestands eines Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Oktober 2004, GZ 13 Ra 52/04a-95, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die vom (neuen) Vertreter der Klägerin erhobene (zweite) außerordentliche Revision verstößt nicht gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels, weil ein Rechtsanwalt zu einem mangelhaften Rechtsmittelschriftsatz der Partei auch inhaltliche Ergänzungen anbringen kann (Gitschthaler in Rechberger 3 §§ 84 bis 85 ZPO Rz 15).

2.1 Die von der Klägerin behauptete Nichtigkeit liegt nicht vor.

Die in der außerordentlichen Revision genannte Vorschrift des § 11 Abs 2 RAO betrifft ebenso wie die Bestimmung des § 36 Abs 2 ZPO nur das Innenverhältnis zwischen dem beauftragten Rechtsanwalt und seinem Mandanten und damit nur die materiell-rechtlichen Wirkungen der Kündigung der Prozessvollmacht. Dem Gegner und dem Gericht gegenüber (siehe RIS-Justiz RS0035744) wird die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses grundsätzlich aber erst dann wirksam, wenn sowohl das Erlöschen der Vollmacht angezeigt als auch die Bestellung eines anderen Rechtsanwalts mitgeteilt wurde (RIS-Justiz RS0035675; RS0035749). Dementsprechend müssen Zustellungen weiterhin an den bisherigen Vertreter der Partei vorgenommen werden, bis die Partei dem Gericht die Bestellung eines anderen Rechtsanwalts angezeigt hat (RIS-Justiz RS0035634). Der Anzeige der Bestellung eines anderen Rechtsanwalts ist die Anbringung eines Verfahrenshilfeantrags gleichzusetzen (RIS-Justiz RS0035682). Diese Grundsätze gelten jedenfalls auch im arbeitsgerichtlichen Anwaltsprozess (vgl RIS-Justiz RS0109541).

Die damalige Vertreterin der Klägerin hat die Kündigung des Vollmachtsverhältnisses am 10. 8. 2004 angezeigt. Vor der mündlichen Berufungsverhandlung vom 27. 10. 2004 hat die Klägerin keinen anderen Rechtsvertreter namhaft gemacht. Den - in der Folge abgewiesenen - Verfahrenshilfeantrag hat sie erst nach der mündlichen Berufungsverhandlung gestellt.

2.2 Auch mit ihren Ausführungen zu den geltend gemachten Verfahrens- und Feststellungsmängeln vermag die Klägerin die Zulässigkeit der Revision nicht zu begründen.

Soweit sie sich über die unterbliebene Vernehmung von ihr angebotener Zeugen beschwert, ist darauf hinzuweisen, dass vom Berufungsgericht verneinte Verfahrensmängel vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr geltend gemacht werden können (RIS-Justiz RS0042963; RS0106371). Entgegen der Ansicht der Klägerin haben die Vorinstanzen zur Frage der Urheberschaft der inkriminierten Beleidigungsschreiben nicht von einem herabgeminderten Beweismaß Gebrauch gemacht, weshalb auch der behauptete Erörterungsmangel nicht vorliegt.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts haben die inkriminierten Schreiben den Postaufgabestempel „13. 5. 1998“ aufgewiesen. Mit ihren in der außerordentlichen Revision angestellten Überlegungen zum Vorliegen eines Faschingsscherzes ignoriert die Klägerin diese Tatsachengrundlage (RIS-Justiz RS0043312). Zudem verstößt sie mit diesen Ausführungen gegen das Neuerungsverbot.

Die Frage, ob der Inhalt der inkriminierten Schreiben eine Entlassung rechtfertigt, betrifft die rechtliche Beurteilung.

3.1 Wie die Klägerin auch selbst ausführt, wird in der Entscheidung 9 ObA 177/07f ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Regeln zur Verteilung der Beweislast nur dann zur Anwendung gelangen, wenn ein Beweis für strittige entscheidungswesentliche Tatsachen nicht erbracht werden kann, wenn also das Beweisverfahren insoweit ohne subsumtionsfähiges Sachverhaltsergebnis geblieben ist. Die Beweislastregeln greifen somit erst dann ein, wenn das Prozessgericht aus den Beweisergebnissen unter Zugrundelegung des relevanten Beweismaßes keine positiven Feststellungen gewinnen kann.

Die Vorinstanzen haben ausdrücklich festgestellt, dass die Klägerin die inkriminierten Schreiben entweder selbst verfasst oder deren Anfertigung veranlasst hat. Den Überlegungen zur Beweislastverteilung zur Frage der Urheberschaft der Beleidigungsbriefe kommt somit keine Bedeutung zu.

3.2 In seiner Beweiswürdigung hielt das Erstgericht fest, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit nur die Klägerin als Verfasserin oder als Urheberin der anonymen Schreiben in Frage komme. Mit diesen Erwägungen nimmt das Erstgericht auf den Regelbeweis (Vollbeweis) Bezug (vgl RIS-Justiz RS0110701). Entgegen der Ansicht der Klägerin sind die Vorinstanzen somit nicht von einer „Herabsetzung des Beweismaßes auf eine bloße Wahrscheinlichkeit zur Glaubhaftmachung“ ausgegangen.

3.3 In Wirklichkeit versucht die Klägerin unter Hinweis auf die Unschuldsvermutung eine Beweisverschärfung dahin abzuleiten, dass bei strafrechtsrelevantem Verhalten für die Annahme der kriminellen Täterschaft nur der „direkte Beweis“ zulässig sei.

Entgegen diesen Überlegungen schließt der Zweifelsgrundsatz auch im Strafverfahren einen Indizienbeweis keineswegs aus (vgl RIS-Justiz RS0098253). Davon abgesehen stellt die strafrechtliche Unschuldsvermutung im zivilgerichtlichen Verfahren keine anerkannte Beweisführungsregel dar. Die Klägerin nimmt in der außerordentlichen Revision auch zu Unrecht eine Gleichstellung von Glaubhaftmachung einerseits und Indizienbeweis andererseits vor. Der - allgemein zulässige - Indizienbeweis ist darauf gerichtet, durch den Beweis bestimmter Hilfstatsachen dem Gericht die volle Überzeugung des Vorhandenseins der direkt nicht oder nur schwer zu beweisenden Haupttatsache zu vermitteln (RIS-Justiz RS0040290; 9 ObA 177/07f). Auch für den Indizienbeweis gilt grundsätzlich das Regelbeweismaß. Lediglich dann, wenn das Gesetz nur eine Glaubhaftmachung verlangt, kann von einem - durch die Herabminderung des Beweismaßes - „erleichterten Indizienbeweis“ gesprochen werden, wie dies in den Entscheidungen 9 ObA 177/07f und 8 ObA 69/09v der Fall war. Die Frage, ob der Indizienbeweis erbracht werden kann, betrifft die Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0040278; RS0112460).

4.1 Auch der Hinweis der Klägerin auf die Pflicht zur Begründung der Entlassung ist verfehlt. Während der Dienstgeber nach § 32 Abs 1 VBG eine Kündigung nur schriftlich und mit Angabe des Grundes vornehmen kann, sieht § 34 Abs 1 VBG kein Schriftformgebot vor. Schon aus der unterschiedlichen Formulierung der gesetzlichen Bestimmungen folgt, dass der Gesetzgeber für die Kündigung einerseits und die Entlassung andererseits unterschiedliche Wirksamkeitserfordernisse normiert hat. Anders als im Fall der Kündigung (nach einem Jahr) ist für den Ausspruch einer Entlassung weder die Einhaltung der Schriftform noch die Angabe eines Grundes erforderlich (9 ObA 155/09y mwN; Ziehensack, VBG, § 34 Rz 36).

4.2 Für die Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit der in Rede stehenden Vertrauensunwürdigkeit nach § 34 Abs 2 lit b VBG sowie der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung sind die Umstände des Einzelfalls maßgebend. Dieser Frage kommt - abgesehen von Fällen einer hier nicht vorliegenden auffallenden Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz - im Allgemeinen keine erhebliche Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0029630; RS0105940).

Entgegen der Ansicht der Klägerin musste die Beklagte das Ergebnis des (nach § 90 StPO alt eingestellten) Strafverfahrens nicht abwarten, weil es dem Dienstgeber überlassen bleiben muss, ob und wann er auch schon vor Beendigung einer Strafuntersuchung die Überzeugung gewinnt, dass die Umstände eine Entlassung rechtfertigen (RIS-Justiz RS0029309). Allgemein ist dem Dienstgeber zwar zuzubilligen, den entlassungsrelevanten Sachverhalt aufzuklären (RIS-Justiz RS0029297). Ein Zuwarten mit dem Ausspruch der Entlassung steht aber mit dem Grundsatz im Spannungsverhältnis, dass der Entlassungsgrund unverzüglich geltend gemacht werden muss. Vorläufige Maßnahmen, wie etwa eine Dienstfreistellung, können die Annahme eines Verzichts des Dienstgebers auf die Ausübung des Entlassungsrechts verhindern (RIS-Justiz RS0028987). Eine solche Maßnahme kann aber nicht die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung beeinflussen (RIS-Justiz RS0029797; 9 ObA 68/99m).

5. Schließlich kann die Kostenentscheidung der Vorinstanzen vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr bekämpft werden. Der von der Klägerin erhobene „Kostenrevisionsrekurs“ ist daher nicht zulässig.

Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte