BVwG G305 2164369-2

BVwGG305 2164369-223.9.2021

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:G305.2164369.2.00

 

Spruch:

G305 2164369-2/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerde des irakischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch Mag.a Sarah MOSCHITZ-KUMAR, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Schießstattgasse 30/1, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX.2018, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.09.2021 zu Recht erkannt:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. wird als unbegründet abgewiesen.

C) Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. wird stattgegeben und Spruchpunkt IV. ersatzlos behoben.

D) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Erstverfahren:

1.1. Am XXXX.2015 stellte der zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht berechtigte Beschwerdeführer (BF), vor Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde erstmalig einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er bei seiner Einvernahme damit, wegen seiner äußeren Erscheinung (er ziehe sich modern an und habe lange Haare) von unbekannten Milizen bedroht worden zu sein.

1.2. Am 26.01.2018 wurde der BF ab 08:00 Uhr durch Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA oder belangte Behörde) einvernommen. Dabei gab er zusammengefasst an, er habe den Irak bereits von 2004 bis Juli 2013 verlassen und in Syrien als XXXX gearbeitet. Ob des dort beginnenden Krieges habe er sich zur Rückkehr in den Irak entschlossen. Zuletzt habe er den Irak verlassen, weil er XXXX sei, Alkohol trinke und eine Dreiviertelhose trage. Wegen seiner langen Haare sei er in XXXX von Milizen, namentlich Mitgliedern der ehemaligen Al Mahdi Armee und einem „Scheich Basem“, bedroht worden und habe man ihm verboten, Männern die Haare modern zu schneiden. Auch habe man ihm gedroht, weil er für ein Unternehmen gearbeitet habe, welches Alkohol verkauft habe.

1.3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom vom XXXX.2017, Zl. XXXX wies das BFA den Antrag des BF vom XXXX.2015 hinsichtlich des Antrages auf Erteilung von internationalem Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und festgestellt werde, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiter wurde ausgesprochen, dass die Frist für seine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Die belangte Behörde begründete die Entscheidung im Kern damit, dass es dem BF nicht gelungen sei, eine asylrelevante Bedrohung glaubhaft zu machen.

1.4. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 27.02.2018, GZ: L513 2164369-1/4E, als unbegründet abgewiesen da nicht habe erkannt werden können, dass der BF einer individuellen Verfolgung ausgesetzt gewesen sei; auch habe es keine Hinweise auf eine Gruppenverfolgung gegeben. Die Tätigkeit als XXXX und seine westliche Orientierung würden im Rückkehrfall keine maßgebliche Gefährdung begründen. Auch habe nicht festgestellt werden können, dass der BF bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte. Er sei ein erwachsener, arbeitsfähiger gesunder Mann mit mehrjähriger Schulbildung; die Teilnahme am Erwerbsleben könne daher vorausgesetzt werden. Zudem könne ihm durch seinen Familienverband ausreichende wirtschaftliche und soziale Unterstützung zu Teil werden.

1.5. Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) wurde durch diesen mit Beschluss vom XXXX, XXXX, abgelehnt, da diese keine hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt hätte oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten gewesen wäre. Das BVwG habe weder grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen, noch seien ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen.

Zweitverfahren:

2.1. Bereits am XXXX.2018, sohin während des Beschwerdeverfahrens vor dem VfGH, stellte der BF einen Folgentrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, dass sein Bruder im Irak von Milizen misshandelt worden sei, da dieser mit ihm (Anm.: dem BF) verwechselt worden sei. Man habe ihn selbst schlagen wollen und er habe daher Angst, nach XXXX zurückzukehren. Er habe Fotos, welche die Misshandlung seines Bruders belegen würden.

2.2. Am 27.09.2018 wurde der BF ab 08:45 Uhr durch Organe des BFA einvernommen. Hierbei gab er an, unter Asthmaanfällen zu leiden und deshalb während seiner Schubhaft stündlich einen Asthmaspray verwendet zu haben, obwohl nur eine zweimalige Einnahme täglich verschrieben worden sei. Anlässlich seiner Einvernahme legte der BF Fotos vor, welche die Misshandlung seines Bruders und damit auch die ihm selbst drohenden Gefahren bestätigen würden.

Zu seinen Fluchtgründen führte er aus, dass sein Leben im Irak nach wie vor in Gefahr sei und dass er für den Fall seiner Heimkehr getötet werden würde. Die Misshandlung seines Bruders würde dies verdeutlichen. Dieser sei einmal verfolgt worden und bei einer zweiten Gelegenheit habe man ihn (Anm.: den Bruder des BF) für vier Tage festgehalten und misshandelt. Man habe ihm gedroht, nicht ins Spital zu gehen und auch keine Anzeige zu erstatten. Hinter den Vorfällen stecke die Asa‘ib Ahl al-Haqq. Erst später, während der Einvernahme, gab der BF an, dass er hauptsächlich wegen seiner Tätigkeit in einer von Christen geführten Alkoholproduktionsfabrik bedroht worden sei.

2.3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom vom XXXX.2018, Zl. XXXX wies das BFA den Folgeantrag des BF vom XXXX.2018 hinsichtlich des Antrages auf Erteilung von internationalem Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und festgestellt werde, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.). Weiter wurde ausgesprochen, dass eine Frist für seine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1a FPG nicht bestehe (Spruchpunkt III.). Zusätzlich wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf zwei Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.). Die belangte Behörde begründete die Entscheidung im Kern damit, dass es dem BF wiederholt nicht gelungen sei, eine asylrelevante Bedrohung glaubhaft zu machen. Er habe keine gleichlautenden Angaben zu den Lebensumständen seines Bruders machen können und sei ob der vorgelegten Fotos nicht objektivierbar, woher die Verletzungen des Bruders herrühren würden. Ein glaubhafter geänderter Sachverhalt sei nicht dargestellt worden und habe sich im Hinblick auf das Erstverfahren des BF kein neuer Sachverhalt dargestellt, welcher nach Abschluss des vorherigen Asylverfahrens entstanden wäre. Da der BF seiner Ausreiseverpflichtung beharrlich nicht nachgekommen und auch eine Beugestrafe über den BF verhängt worden sei um ihn zur Erlangung eines Heimreisedokuments zu bewegen müsse davon ausgegangen werden, dass er sich in Zukunft nicht der österreichischen Rechtsordnung unterwerfen werde und die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde. Er habe zudem einen unbegründeten und missbräuchlichen Asylantrag gestellt weshalb ein Einreiseverbot gegen ihn zu erlassen gewesen sei.

2.4. Zuletzt erhob der BF durch seine damalige Rechtsvertretung mit Schreiben vom 15.10.2018 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Die Beschwerde verband er einerseits mit der Anfechtungserklärung, den Bescheid vollumfänglich anfechten zu wollen, andererseits mit den Anträgen 1.) der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, 2.) eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen, 3.) den angefochtenen Bescheid hinsichtlich seines Spruchpunktes I. zu beheben und die Sache zur Durchführung eines materiellen Verfahrens zurückzuverweisen, 4.) Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids zu beheben bzw. in eventu dahingehend abzuändern, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt und ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werde, 5.) den angefochtenen Bescheid zu beheben und die Rückkehrentscheidung sowie das Einreiseverbot aufzuheben, 6.) in eventu die Dauer des Einreiseverbotes zu reduzieren und 7.), in eventu den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Erlassung eines Bescheides an das Bundesamt zurückzuverweisen. In der Beschwerde brachte der Beschwerdeführer vor, dass die belangte Behörde ihre Feststellungen anhand einer unschlüssigen Beweiswürdigung getroffen habe und dass sie zu Unrecht davon ausgehe, dass es seit dem ersten Bescheid gegen den BF keine wesentlichen Änderungen gegeben habe. Zusätzlich sei das gegen den BF erlassene Einreiseverbot rechtswidrig, da sich die belangte Behörde diesbezüglich lediglich auf die Verwendung von Textbausteinen gestützt habe und eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt fehle.

2.5. Am 18.10.2018 legte die belangte Behörde die vorliegende Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor und beantragte zugleich, diese als unbegründet abzuweisen.

2.6. Mit Eingabe vom 03.09.2021 langte die Vollmachtsbekanntgabe der im Kopf genannten Rechtsvertreterin beim BVwG ein.

2.7. Mit Eingabe vom 15.09.2021 langten seitens des BFA die im Zuge der Niederschrift vom 27.09.2018 vorgelegten Fotografien des Bruders des BF beim BVwG ein.

2.8. Am 17.09.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers durchgeführt. Bei dieser waren neben einer Dolmetscherin für die arabische Sprache die Rechtsvertreterin des BF und die Lebensgefährtin des BF, XXXX, anwesend; Vertreter der belangten Behörde erschienen nicht. XXXX wurde über einen von der Rechtsvertreterin des BF am Schluss der Verhandlung gestellten Antrag als Zeugin einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Identitätsfeststellungen

Der BF führt die im Urteilskopf angegebene Identität und wurde am XXXX in XXXX geboren; er ist irakischer Staatsangehöriger. Er gehört der Ethnie der Araber an und ist keiner konkreten Religionsgemeinschaft zugehörig, wobei seine im Irak lebenden Familienmitglieder allesamt Schiiten sind. Er verfügt höchstens über minimalste Deutschkenntnisse.

Seit dem XXXX.2015 hat er den Hauptwohnsitz im Bundesgebiet (seit dem XXXX.2020 an der Anschrift XXXX).

In Österreich und dem Rest Europas leben keine Verwandten des BF.

Er ist ledig und kinderlos; er führt seit knapp zwei Jahren eine Beziehung mit der irakischen Staatsangehörigen, XXXX, geboren am XXXX, wohnhaft in XXXX. Es besteht jedoch kein gemeinsamer Haushalt bzw. eine eheähnliche Lebensgemeinschaft. Sie verfügt nach ihren Angaben über einen Asylstatus im Bundesgebiet. Ein gemeinsamer Haushalt besteht nicht, ebensowenig eine gegenseitige Abhängigkeit persönlicher oder finanzieller Natur. XXXX lebt in einem gemeinsamen Haushalt mit ihren beiden Töchtern XXXX, geboren XXXX, und XXXX, geboren XXXX. Bei diesen Töchtern handelt es sich um Kinder aus einer früheren Beziehung der XXXX.

1.2. Zur Ausreise, Reise, Einreise des Beschwerdeführers in Österreich und seiner darauffolgenden Asylantragstellung:

Vor seiner Ausreise aus dem Irak lebte der BF in XXXX.

Zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt verließ er den Irak und stellte er am XXXX.2015 im Bundesgebiet erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz.

Eine von den öffentlichen Sicherheitsbehörden durchgeführte EURODAC-Abfrage verlief positiv und brachte zwei Treffer zu Griechenland.

1.3. Zur individuellen Situation des Beschwerdeführers im Heimatstaat:

In seiner Heimat besuchte der BF die Schule bis zu neunten Klasse Mittelschule; nachdem er diese beendet hatte, arbeitete er als XXXX in seinem eigenen Geschäft im XXXX Stadtteil XXXX. Von 1994 bis 1999 arbeitete er in einem Unternehmen, welches alkoholische Getränke herstellte; zudem konsumierte er Alkohol.

Die Eltern des BF sind in XXXX wohnhaft. Sie leben von der Pension des Vaters und dem Erlös des Geschäftsverkaufes des BF, seine Mutter ist schwer krank. Zwei Schwestern des BF leben in den Vereinigten Staaten von Amerika. Vier Brüder des BF leben in Damaskus/Syrien, der mutmaßlich misshandelte Bruder lebt in XXXX. Die vier Schwestern des BF sind allesamt verheiratet und leben diese mit ihren jeweiligen Ehemännern im ehemaligen Wohnbezirk des BF. Die Familienmitglieder des BF gehören der schiitisch-muslimischen Glaubensgemeinschaft an, die Ehegatten der Schwestern sind teils Sunniten, teils Schiiten. Die in Damaskus lebenden Brüder sind teilweise verheiratet mit sunnitischen Musliminnen.

Weitschichtige Verwandte des BF leben weiterhin im Irak.

Der BF steht in unregelmäßigem Kontakt mit seinen Eltern. Zu seinen anderen Verwandten besteht kein Kontakt.

1.4. Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei:

Der BF gehörte in seiner Heimat keiner politischen Bewegung an und hatte er weder mit der Polizei, noch mit den Verwaltungsbehörden, noch mit den Gerichten des Herkunftsstaates ein Problem. Er wurde zu keinem Zeitpunkt von staatlichen Organen oder von einer bewaffneten Gruppierung wegen seines Religionsbekenntnisses verfolgt.

Er wurde weder von einer schiitischen Miliz oder öffentlichen Stellen wegen seiner (ehemaligen) beruflichen Tätigkeiten als XXXX oder als Mitarbeiter eines Alkoholproduzenten verfolgt. Anhaltspunkte, dass von einer schiitischen Miliz oder von staatlichen Behörden eine Bedrohung gegen den BF ausgegangen wäre bzw. eine solche gegenwärtig ausginge, bestehen nicht. Es kam nie zu einem Rekrutierungsversuch durch schiitische Milizen.

Den BF erwartet in seiner Heimat zu gegenwärtigen Zeitpunkt weder eine individuelle Gefährdung noch eine unmenschliche Behandlung, noch Folter oder Strafe; es fehlen Anhaltspunkte, dass er der Gefahr der Todesstrafe ausgesetzt sein könnte. Eine Rückkehr in den Irak, genauer in seine Heimatregion, ist - im Rahmen der dortigen Gegebenheiten - möglich.

Das Fluchtvorbringen des BF weicht von jenem, das vor dem Bundesverwaltungsgericht bereits mit hg Erkenntnis vom 27.02.2018, GZ: L513 2164369-1/4E, rechtskräftig erledigt wurde, nicht ab.

Hinzu kommt, dass sich der BF nach eigenen Angaben seit seiner im Jahr 2015 stattgehabten Einreise bis laufend im Bundesgebiet aufhält und seither nicht mehr in den Herkunftsstaat zurückgekehrt ist.

1.5. Zu etwaigen Integrationsschritten des BF im Bundesgebiet:

Der BF besucht keine weiterführenden Kurse oder Ausbildungen; Sprachkurse und Zertifikate wurden nicht abgelegt.

Eine gesellschaftliche und beruflich-soziale Verankerung im Bundesgebiet ist nicht gegeben.

Er ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Der BF ist jenseits eines seit seiner Kindheit bestehenden Asthmaleidens gesund und stand zuletzt von XXXX bis XXXX.2020 in einem vollversicherten Arbeitsverhältnis. Derzeit ist er nicht erwerbstätig; er bezieht jedoch keine staatlichen Leistungen aus der Grundversorgung.

1.6. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines „Kalifats“ in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tal Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk.

Bagdad:

Bagdad liegt im Tigris-Tal im Zentrum des Irak und ist flächenmäßig das kleinste Gouvernement. Die Hauptstadt des Irak, Bagdad City, liegt im Gouvernement Bagdad. Die Stadt Bagdad besteht aus den Bezirken: Adhamiyah, Karkh, Karada, Khadimiyah, Mansour, Sadr City, Al Rashid, Rusafa und 9 Nissan („neues Bagdad“). Der Rest des Gouvernements Bagdad besteht aus den Bezirken Al Madain, Taji, Tarmiyah, Mahmudiyah und Abu Ghraib. Für 2019 betrug die geschätzte Bevölkerung des Gouvernements 8 340 711, wobei die Mehrheit Schiiten und Sunniten waren.

Das Gouvernement Bagdad steht im Allgemeinen unter der Kontrolle der irakischen Behörden; In der Praxis teilen sich die Behörden jedoch die Verteidigungs- und Strafverfolgungsrollen mit der schiitisch dominierten PMU, was zu einer „unvollständigen“ oder überlappenden Kontrolle mit diesen Milizen führt. Die PMU hat kein operatives Hauptquartier im Gouvernement Bagdad, in der Praxis gibt es jedoch „wesentliche Stützpunkte“ in den Gürteln von Bagdad. Vom Iran unterstützte Milizen unterhalten zumindest einige Truppen in überwiegend schiitischen Gebieten, insbesondere in Bagdad. Der ISIL ist auch noch im Gouvernement präsent und es wurde berichtet, dass er seine Unterstützungszone im nördlichen und südwestlichen Bagdad-Gürtel baut und ausbaut. Mehrere Quellen berichteten von einer erhöhten ISIL-Aktivität in Bagdad im Zeitraum 2019-2020. Es wurde auch berichtet, dass die ISF nur begrenzt in der Lage war, auf Sicherheitsvorfälle, Terroranschläge und kriminelle Aktivitäten zu reagieren. Zusätzlich zu den anderen Akteuren in der Region verfügen die USA über zwei Militärstützpunkte in Bagdad, eine davon innerhalb des Bagdad International Airport.

Eine der wichtigsten Sicherheitsentwicklungen im Irak in den Jahren 2019 und 2020 waren die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA. Nach den US-Angriffen und den Vergeltungsschlägen des Iran wurde Bagdad Zeuge von Massendemonstrationen gegen die USA. In mehreren Städten, insbesondere in Bagdad, wurde von Großdemonstrationen berichtet, bei denen Sicherheitskräfte Tränengaspatronen und scharfe Munition direkt auf Demonstranten abfeuerten und dabei teilweise zahlreiche Opfer forderten. Überreste des ISIL führten weiterhin häufige Angriffe gegen das irakische Volk und die Sicherheitskräfte in Bagdad durch. Für 2020 schien das Hauptaugenmerk des IS auf Zielen der Sicherheitskräfte und nicht auf Zivilisten zu liegen.

ACLED meldete im Referenzzeitraum insgesamt 393 Sicherheitsvorfälle (durchschnittlich 4,8 Sicherheitsvorfälle pro Woche) im Gouvernement Bagdad, von denen die meisten als Vorfälle von Gewalt/Explosionen aus der Ferne kodiert wurden. In allen Bezirken des Gouvernements kam es zu Sicherheitsvorfällen, wobei die größte Gesamtzahl in der Stadt Bagdad verzeichnet wurde. Die UNAMI verzeichnete 46 Vorfälle im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, 42 davon im Jahr 2019 und 4 vom 1. Januar bis 31. Juli 2020 (durchschnittlich 0,6 Sicherheitsvorfälle pro Woche für den gesamten Bezugszeitraum).

Im Bezugszeitraum verzeichnete die UNAMI bei den oben genannten Vorfällen im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten insgesamt 58 zivile Opfer (40 Tote und 18 Verletzte). Genauer gesagt wurden im Jahr 2019 50 Opfer gemeldet und 8 Opfer vom 1. Januar bis 31. Juli 2020. Verglichen mit den offiziellen Zahlen für die Bevölkerung im Gouvernement entspricht dies 1 zivilen Opfer pro 100 000 Einwohner für den gesamten Bezugszeitraum.

Es wurde über die Entdeckung und Zerstörung von ISIL-Munitionslagern in verschiedenen Gebieten im Irak, einschließlich des Gouvernements Bagdad, berichtet. Es wurde auch über organisierte Kriminalität, Schießereien im Vorbeifahren, unkontrollierte Milizaktivitäten, Entführungen von Personen aus politischen oder finanziellen Gründen sowie Korruption berichtet. Die Schäden an der Infrastruktur entsprechen in allen Sektoren dem Landesdurchschnitt mit Ausnahme der Straßen, die offenbar die größten Schäden erlitten haben, insbesondere in den Bezirken Abu Ghraib und Mahmudiyah. Erhebliche Schäden an Wohngebäuden und Zerstörungen oder schlechte Funktionsfähigkeit von Strom- und Leitungswassernetzen wurden ebenfalls gemeldet.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war durch die genannten Ereignisse im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.

Die Lage im Irak ist seit der Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani durch einen Luftangriff der Vereinigten Staaten und einen Vergeltungsschlag des Irans gegen amerikanisch genutzte Militärstützpunkte sehr angespannt. Schiitische Milizen haben für die Tötung Soleimanis und eines hohen irakischen Milizenführers Vergeltung angekündigt, der bei dem amerikanischen Angriff ebenfalls ums Leben kam.

Betrachtet man die Indikatoren, so lässt sich feststellen, dass im Gouvernement Bagdad willkürliche Gewalt zwar stattfindet, jedoch nicht auf hohem Niveau, und dementsprechend ist ein höheres Niveau einzelner individueller Aspekte erforderlich, um stichhaltige Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein Zivilist einer realen Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne ausgesetzt wäre. Die EASO-Country Giudance: Iraq verdeutlicht, dass speziell Bagdad als Ziel einer möglichen Rückkehr in den Irak anzusehen ist.

Der BF war im Herkunftsstaat keiner asylrelevanten Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt. Er hatte weder mit der Polizei, noch mit den Gerichten noch mit den Verwaltungsbehörden des Herkunftsstaates Probleme. Er war auch nie Adressat einer gegen ihnen gerichteten strafgerichtlichen Verfolgung. Auch liegt keine strafgerichtliche Verurteilung gegen ihn vor. Er war nie Mitglied einer im Herkunftsstaat tätigen bewaffneten Gruppierung (Al-Kaida, IS bzw. Milizen) bzw. wurde er von einer bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates zu keinem Zeitpunkt angeworben, insbesondere für Kampfhandlungen. Insgesamt kam anlassbezogen nicht hervor, dass er im Herkunftsstaat einer asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt gewesen wäre.

Quellen (Zugriff am 17.12.2021):

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges- amt- bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf

- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/document/2021156.html

- ACCORD-Anfragebeantwortung zur Sicherheitslage in Basra vom 10.06.2021 [a-11589-1], https://www.ecoi.net/de/dokument/2053521.html

- BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete (Ergänzung zum Länderinformationsblatt), 04.01.2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1422124/5618_1516263925_irak-sm-von-schiitischen-milizen-dominierte-gebiete-2018-01-04-ke.doc

- Crisis Group (14.12.2018): Reviving UN Mediation on Iraq’s Disputed Internal Boundaries, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/194-reviving-un-mediation-iraqs-disputed-internal-boundaries

- EASO – Security situation Iraq (Oktober 2020): https://www.ecoi.net/de/dokument/2043991.html

- EASO – Country Guidance: Iraq (Stand Jänner 2021): https://www.ecoi.net/de/dokument/2045437.html

- FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html

- Rudaw (31.5.2019): Iraqi Security Forces ignore ISIS attacks on Kakai farmlands, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/31052019

- Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf

- UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf

- UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.04.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf

- Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq

1.6.1. Sicherheitskräfte und Milizen

Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur, sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS). Neben den regulären irakischen Streitkräften und Strafverfolgungsbehörden existieren auch die Volksmobilisierungskräfte (PMF), eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, die sich aus etwa 40, überwiegend schiitischen Milizgruppen zusammensetzt, und die kurdischen Peshmerga der Kurdischen Region im Irak (KRI).

Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle.

Der Name „Volksmobilisierungskräfte“ (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF oder popular mobilization units, PMU), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa 40 bis 70 Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen. Die PMF wurden vom schiitischen Groß-Ayatollah Ali As-Sistani per Fatwa für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) ins Leben gerufen und werden vorwiegend vom Iran unterstützt. PMF spielten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des IS. Die Niederlage des IS trug zur Popularität der vom Iran unterstützten Milizen bei.

Die verschiedenen unter den PMF zusammengefassten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat. Sie werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Die pro-iranischen schiitischen Milizen, die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen, und die nicht schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen „Widerstandseinheiten Schingal“. Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien. Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „Minderheiten-Einheiten“ der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig. In einigen Städten, vor allem in Gebieten, die früher vom IS besetzt waren, dominieren PMF die lokale Sicherheit. In Ninewa stellen sie die Hauptmacht dar, während die reguläre Armee zu einer sekundären Kraft geworden ist.

Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten, wie dem Iran oder Saudi-Arabien, unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mossul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt. Vertreter und Verbündete der PMF haben Parlamentssitze inne und üben Einfluss auf die Regierung aus.

1.6.1.1. Asa‘ib Ahl al-Haqq

Die vom BF zuletzt genannte Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH; Liga der Rechtschaffenen oder Khaz‘ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz‘ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak. Sie ist eine Abspaltung von As-Sadrs Mahdi-Armee und im Gegensatz zu As-Sadr pro-iranisch. Asa‘ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Asa‘ib Ahl al-Haqq bildet die 41., 42. und 43. der PMF-Brigaden. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata’ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierungskräfte, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Qais al Khaz‘ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF.

1.6.1.2. Rechtsstellung und Aktivitäten der PMF

Obwohl das Milizenbündnis der PMF unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert.

Die PMF genießen auch breite Unterstützung in der irakischen Bevölkerung für ihre Rolle im Kampf gegen den Islamischen Staat nach dem teilweisen Zusammenbruch der irakischen Armee im Jahr 2014. Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen, wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht.

Einige PMF haben sich Einkommensquellen erschlossen, die sie nicht aufgeben wollen, darunter Raub, Erpressung und Altmetallbergung. Es wird angenommen, dass die PMF einen Teil der lokalen Wirtschaft in Ninewa kontrollieren, was von diesen zurückgewiesen wird. Im Norden und Westen des Irak haben Amtspersonen und Bürger über Schikanen durch PMF-Milizen und deren Eingreifen in die Stadtverwaltungen und das alltägliche Leben berichtet. Damit geht der Versuch einher, bisweilen unter Einsatz von Demütigungen und Prügel, Kontrolle über Bürgermeister, Distrikt-Vorsteher und andere Amtsträger. In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, klagen Einheimische, dass sich die PMF gesetzwidrig und unverhohlen parteiisch verhalten. In Mossul beispielsweise behaupteten mehrere Einwohner, dass die PMF weit davon entfernt seien, Schutz zu bieten, und durch Erpressung oder Plünderungen illegale Gewinne erzielten. PMF-Kämpfer haben im gesamten Nordirak Kontrollpunkte errichtet, um Zölle von Händlern einzuheben. Auch in Bagdad wird von solchen Praktiken berichtet. Darüber hinaus haben die PMF auch die Armee in einigen Gebieten verstimmt. Zusammenstöße zwischen den PMF und den regulären Sicherheitskräften sind häufig. Auch sind Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der PMF weitverbreitet. Die Rivalität unter den verschiedenen Milizen ist groß.

Neben der Finanzierung durch den irakischen sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf – mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem so hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen – oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind und waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind.

Eine Rekrutierung in die PMF erfolgt ausschließlich auf freiwilliger Basis und aus wirtschaftlichen Gründen, Desertion aus den PMF kam zudem seltener vor als bei den irakischen Streitkräften.

Quellen (Zugriff am 17.12.2021):

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amtbericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-20 18-12-01-2019.pdf

- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/ document/2021156.html

- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-m onitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html

- Al-Tamini - Aymenn Jawad Al-Tamimi (31.10.2017): Hashd Brigade Numbers Index, http://www.ay mennjawad.org/2017/10/hashd-brigade-numbers-index

- Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (6.2018): Power in perspective:Four key insights into Iraq’s Al-Hashd al-Sha’abi, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-0 6/PB_Power_in_perspective.pdf

- DIS/Landinfo - Danish Immigration Service; Norwegian Country of Origin Information Center (5.11.2018): Northern Iraq: Security situation and the situation for internally displaced persons (IDPs) in the disputed areas, incl. possibility to enter and access the Kurdistan Region of Iraq (KRI), https://www.ecoi.net/en/file/local/1450541/1226_1542182184_ iraq-report-security-idps-and-access-nov2018.pdf

- ICG - International Crisis Group (30.7.2018): Iraq’s Paramilitary Groups: The Challenge of Rebuilding a Functioning State, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabia n-peninsula/iraq/188-iraqs-paramilitary-groups-challenge-rebuilding-functioning-state

- FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/

- GS - Global Security (18.7.2019): Hashd al-Shaabi / Hashd Shaabi, Popular Mobilisation Units / People’s Mobilization Forces, https://www.globalsecurity.org/military/world/para/hashd-al-shaabi.h

- MEE - Middle East Eye (16.2.2020): Iran and Najaf struggle for control over Hashd al-Shaabi after Muhandis’s killing, https://www.middleeasteye.net/news/iran-and-najaf-struggle-control-over-hash d-al-shaabi-after-muhandis-killing

- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor toAl-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-hea d-as-successor-to-al-muhandis/

- Posch, Walter (8.2017): Schiitische Milizen im Irak und in Syrien –Volksmobilisierungseinheiten und andere, per E-mail

- Reuters (29.8.2019): Baghdad’s crackdown on Iran-allied militias faces resistance, https://www.re uters.com/article/us-iraq-militias-usa/baghdads-crackdown-on-iran-allied-militias-faces-resistance -idUSKCN1VJ0GS

- Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf

- TDP - The Defense Post (3.7.2019): Mahdi orders full integration of Shia militias into Iraq’s armed forces, https://thedefensepost.com/2019/07/03/iraq-mahdi-orders-popular-mobilization-units-integ ration/

- USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html

- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html

- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html

- Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/p art-2-pro-iran-militias-iraq

1.6.2. Wehrdienst, Polizeidienst und Fernbleiben vom Polizeidienst:

Im Irak besteht keine Wehrpflicht. Männer zwischen 18 und 40 Jahren können sich freiwillig zum Militärdienst melden. Nach dem Sturz Saddam Husseins wurde die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft und ein Freiwilligen-Berufsheer eingeführt. Finanzielle Anreize machen die Arbeit beim Militär zu einer attraktiven Karriere.

Im Zuge des Zusammenbruchs der irakischen Streitkräfte im Jahr 2014 und des dreijährigen Kampfes gegen den IS schlossen sich viele Freiwillige den paramilitärischen Volksmobilisierungseinheiten (PMF) an, was zu einem Rekrutierungswettkampf zwischen dem irakischen Verteidigungsministerium und den Volksmobilisierungseinheiten führte.

Laut Kapitel 5 des irakischen Militärstrafgesetzes von 2007 ist Desertion in Gefechtssituationen mit bis zu sieben Jahren Haft strafbar. Das Überlaufen zum Feind ist mit dem Tode strafbar. Die Armee hat kaum die Kapazitäten, um gegen Desertion von niederen Rängen vorzugehen. Es sind keine konkreten Fälle bekannt, in denen es zur Verfolgung von Deserteuren gekommen wäre. Im Jahr 2014 entließ das Verteidigungsministerium Tausende Soldaten, die während der IS-Invasion im Nordirak ihre Posten verlassen haben und geflohen sind. Im November 2019 wurden, mit der behördlichen Anordnung alle entlassenen Soldaten wieder zu verpflichten, über 45.000 wieder in Dienst gestellt.

Grundsätzlich ist es möglich, den Polizeidienst – im Gegensatz zum Militärdienst welcher grundsätzlich eine zweijährige Dienstzeit vorsieht – jederzeit ohne Angabe von Gründen zu kündigen bzw. freiwillig aus diesem auszuscheiden.

In der EASO Country Guidance mit Stand Jänner 2021, welche nach wie vor auf „EASO - Targeting of individuals“ mit Stand März 2019 verweist, wird festgestellt, dass im Fall von Polizisten nicht von Desertion wie bei Armeeangehörigen zu sprechen ist, sondern von einem „crime of absence“, also der Abwesenheit vom Dienst. Abhängig von der Stellung des den Dienst verweigernden Polizisten reicht die Bestrafung von Reduzierung oder Streichung des Lohnes bis hin zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe für Personen, die während Zeiten von groben Störungen oder Ausnahmezuständen mehr als zehn Tage abwesend waren. Bei Desertion in das Ausland ist eine dreijährige Haftstrafe möglich. Ein in die Niederlande geflüchteter Offizier wurde nach seiner Rückkehr unehrenhaft aus dem Dienst entlassen, sämtliche durch den Polizeidienst erworbenen Rechte und Ansprüche wurden aberkannt. Eine weitere Verurteilung oder Freiheitsstrafe wurde nicht ausgesprochen.

In einem Bericht aus dem Jahr 2014 wird festgestellt, dass eine allgemeine Amnestie für Angehörige der internen Sicherheitskräfte ausgestellt wurde, die abwesend waren oder ohne Erlaubnis den Dienst quittierten. Im Mai 2015 wurde durch das Büro des irakischen Premierministers bekanntgegeben, dass „der Premierminister beschlossen hat, jegliche rechtlichen Schritte gegen Angehörige der Streitkräfte und der inneren Sicherheitskräfte endgültig einzustellen, einschließlich der folgenden Straftaten: Flucht, Fehlzeiten, Fehlverhalten und Selbstverletzung, um den Dienst loszuwerden, sowie Verbrechen gegen die Militärregime und die Angelegenheiten des Dienstes“ (EASO- Iraq – Targeting of individuals, Seite 71).

Quellen (Zugriff am 17.12.2021):

- ACCORD: https://www.ecoi.net/de/dokument/2023187.html

- ACCORD: Anfragebeantwortung zum Irak: Gesetzliche Bestimmungen, die für Desertion aus der Polizei eine Haftstrafe vorsehen; Festnahme bei der Einreise [a-10473]: https://www.ecoi.net/de/dokument/1431191.html

- EASO – Country Guidance: Iraq (Stand Jänner 20219): https://www.ecoi.net/de/dokument/2045437.html

1.6.3. Berufsgruppen:

Aus den Länderinformationen zum Herkunftsstaat der bfP geht hervor, dass Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats besonders gefährdet seien.

Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird - fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen, Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten sowie medizinisches Personal seien ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen.

Der BF war einerseits als XXXX tätig, andererseits in den Jahren 1994 bis 1999 als Sicherheitsmitarbeiter in einem Unternehmen, welches Alkohol produzierte. Aus gegenwärtiger Sicht kann ausgeschlossen werden, dass aus einer dieser Tätigkeiten Gefahr für den BF droht.

Quellen (Zugriff am 17.12.2021):

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf

- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html

1.6.4. Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben maximal eine Stunde vom nächstgelegenen Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche, wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser mit eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, doch haben viele aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Der BF ist gesund und liegen keinerlei medizinische Indikatoren vor, die einer Rückkehr in den Irak entgegenstehen. Das von ihm erwähnte Asthmaleiden besteht seit der Kindheit des BF und ist es bisher nicht von einer Schwere gewesen, die ihn (auch in seiner Heimat) an der Ausübung eines Berufes gehindert hätte.

Quellen (Zugriff am 17.12.2021):

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/

- IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2

- UNAMI - United Nations Assistance Mission to Iraq (12.2016): Report on the Rights of Persons with Disabilities in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNAMI_OHCHR__Report_on_the_Rights_of_PWD_FINAL_2Jan2017.pdf

- WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html

1.6.5. Grundversorgung und Wirtschaft:

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich.

Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die genannten Defizite werden durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt. Nach Angaben des UN-Programms „Habitat“ leben 70 Prozent der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums.

In vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wiederhergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt.

1.6.5.1. Wirtschaftslage:

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des IS und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mosul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im Oktober 2018 für das Jahr 2019. Ob der Wiederaufbau zu einem nachhaltigen positiven Aufschwung beiträgt, hängt aus Sicht der Weltbank davon ab, ob das Land die Korruption in den Griff bekommt.

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar. Rund 90 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor.

Noch im Jahr 2016 wuchs die irakische Wirtschaft laut Economist Intelligence Unit (EIU) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) um 11 Prozent. Im Folgejahr schrumpfte sie allerdings um 0,8 Prozent. Auch 2018 wird das Wachstum um die 1 Prozent betragen, während für 2019 wieder ein Aufschwung von 5 Prozent zu erwarten ist. Laut Weltbank wird erwartet, dass das gesamte BIP-Wachstum bis 2018 wieder auf positive 2,5 Prozent ansteigt. Die Wachstumsaussichten des Irak dürften sich dank der günstigeren Sicherheitslage und der allmählichen Belebung der Investitionen für den Wiederaufbau verbessern. Die positive Entwicklung des Ölpreises ist dafür auch ausschlaggebend. Somit scheint sich das Land nach langen Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen wieder in Richtung einer gewissen Normalität zu bewegen. Dieser positiven Entwicklung stehen gleichwohl weiterhin Herausforderungen gegenüber.

So haben der Krieg gegen den IS und der langwierige Rückgang der Ölpreise seit 2014 zu einem Rückgang der Nicht-Öl-Wirtschaft um 21,6 Prozent geführt, sowie zu einer starken Verschlechterung der Finanz- und Leistungsbilanz des Landes. Der Krieg und die weit verbreitete Unsicherheit haben auch die Zerstörung von Infrastruktur und Anlageobjekten in den vom IS kontrollierten Gebieten verursacht, Ressourcen von produktiven Investitionen abgezweigt, den privaten Konsum und das Investitionsvertrauen stark beeinträchtigt und Armut, Vulnerabilität und Arbeitslosigkeit erhöht. Dabei stieg die Armutsquote [schon vor dem IS, Anm.] von 18,9 Prozent im Jahr 2012 auf geschätzte 22,5 Prozent im Jahr 2014.

Jüngste Arbeitsmarktstatistiken deuten auf eine weitere Verschlechterung der Armutssituation hin. Die Erwerbsquote von Jugendlichen (15 bis 24 Jahre) ist seit Beginn der Krise im Jahr 2014 deutlich gesunken, von 32,5 Prozent auf 27,4 Prozent. Die Arbeitslosigkeit nahm vor allem bei Personen aus den ärmsten Haushalten und Jugendlichen und Personen im erwerbsfähigen Alter (25 bis 49 Jahre) zu. Die Arbeitslosenquote ist in den von IS-bezogener Gewalt und Vertreibung am stärksten betroffenen Provinzen etwa doppelt so hoch wie im übrigen Land (21,1 Prozent gegenüber 11,2 Prozent), insbesondere bei Jugendlichen und Ungebildeten.

Der Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Jobangebote sind mit dem Schließen mehrerer Unternehmen zurückgegangen. Im öffentlichen Sektor sind ebenfalls viele Stellen gestrichen worden. Gute Berufschancen bietet jedoch derzeit das Militär. Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit 350-1.500 USD, je nach Position und Ausbildung.

Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, zu unterstützen. Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten.

1.6.5.2. Stromversorgung:

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht. Sie deckt nur etwa 60 Prozent der Nachfrage ab, wobei etwa 20 Prozent der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit. Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Autonomen Region Kurdistan erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste.

1.6.5.3. Wasserversorgung:

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist. Die Wasserknappheit dürfte sich kurz- bis mittelfristig noch verschärfen. Besonders betroffen sind die südlichen Provinzen, insbesondere Basra. Der Klimawandel ist dabei ein Faktor, aber auch große Staudammprojekte in der Türkei und im Iran, die sich auf den Wasserstand von Euphrat und Tigris auswirken und zur Verknappung des Wassers beitragen. Niedrige Wasserstände führen zu einem Anstieg des Salzgehalts, wodurch das bereits begrenzte Wasser für die landwirtschaftliche Nutzung ungeeignet wird.

Parallel zur Wasserknappheit tragen veraltete Leitungen und eine veraltete Infrastruktur zur Kontaminierung der Wasserversorgung bei. Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser. Im August 2018 meldete Iraks südliche Provinz Basra 17.000 Fälle von Infektionen aufgrund der Kontaminierung von Wasser. Der Direktor der Gesundheitsbehörde Basra warnte vor einem Choleraausbruch.

1.6.5.4. Nahrungsversorgung:

Laut Welternährungsorganisation sind im Irak zwei Millionen Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. 22,6 Prozent der Kinder sind unterernährt. Schätzungen des Welternährungsprogramms zufolge benötigen mindestens 700.000 Iraker Nahrungsmittelhilfe.

Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Schätzungen zufolge hat der Irak in den letzten vier Jahren jedoch 40 Prozent seiner landwirtschaftlichen Produktion verloren. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurde unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen. Das Land ist stark von Nahrungsmittelimporten abhängig.

Das Sozialsystem wird vom sogenannten „Public Distribution System“ (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen. Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schweren Ineffizienzen gekennzeichnet ist. Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt.

Quellen (Zugriff am 17.12.2021):

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf ,

- Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (10.7.2018): More than infrastructures: water challenges in Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-07/PB_PSI_water_challenges_Iraq.pdf

- EPIC - Enabling Peace in Iraq Center (18.7.2017): Drought in the land between two rives, https://www.epic-usa.org/iraq-water/

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- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020c): Irak - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/irak/wirtschaft-entwicklung/ ,

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- OHCHR - Office of the High Commissioner for Human Rights (11.9.2019): Committee on the Rights of Persons with Disabilities discusses the impact of the armed conflict on persons with disabilities in Iraq, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=24976&LangID=E ,

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- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html

- WB - World Bank, The (12.2019): Unemployment, youth total (% of total labor force ages 15-24) (modeled ILO estimate), Iraq, https://data.worldbank.org/indicator/SL.UEM.1524.ZS?locations=IQ

- WB - World Bank, The (19.4.2019): Republic of Iraq, http://pubdocs.worldbank.org/en/300251553672479193/Iraq-MEU-April-2019-Eng.pdf

- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (18.10.2019): Die irakische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-irakische-wirtschaft.html

1.6.6. Protestbewegung:

Die Protestbewegung, die es schon seit 2014 gibt, gewinnt derzeit an Bedeutung. Zumeist junge Leute gehen in Scharen auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus. Im Juli 2018 brachen im Süden des Landes, in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr Proteste aus. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss. Reich an Ölvorkommen, liefert die Provinz Basra 80 Prozent der Staatseinnahmen des Irak. Unter den Einwohnern der Provinz wächst jedoch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem enormen Reichtum und ihrer eigenen täglichen Realität von Armut, Vernachlässigung, einer maroden Infrastruktur, Strom- und Trinkwasserknappheit.

Seit dem 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen. Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung, aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak. Eine weitere Forderung der Demonstranten ist die Abschaffung des ethnisch-konfessionellen Systems (muhasasa) zur Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten.

Im Zusammenhang mit diesen Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt. Im Zuge der Proteste kam es in mehreren Gouvernements von Seiten anti-iranischer Demonstranten zu Brandanschlägen auf Stützpunkte pro-iranischer PMF-Fraktionen und Parteien, wie der Asa‘ib Ahl al-Haq, der Badr-Organisation, der Harakat al-Abdal, Da‘wa und Hikma, sowie zu Angriffen auf die iranischen Konsulate in Kerbala und Najaf.

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen. Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an. Zeitweilig riefen die Behörden im Oktober und November 2019 Ausgangssperren aus und implementierten zeitweilige Internetblockaden.

Die irakische Menschenrechtskommission berichtete Ende Dezember 2019, dass seit Beginn der Proteste am 1.10.2019 mindestens 490 Demonstranten getötet wurden, darunter 33 Aktivisten, die gezielt getötet wurden. Mehr als 22.000 Menschen wurden verletzt. 56 Demonstranten gelten nach berichteten Entführungen als vermisst, während zwölf weitere wieder freigelassen wurden. Mitte Jänner 2020 berichtet Amnesty International von 600 Toten Demonstranten seit Beginn der Proteste.

Quellen (Zugriff am 17.12.2021):

- AAA - Asharq Al-Awsat (28.12.2019): Iraq: Human Rights Commission Says 490 Protesters Killed Since October, https://aawsat.com/english/home/article/2056146/iraq-human-rights-commission-says-490-protesters-killed-october

- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2025831.html

- AI - Amnesty International (23.1.2020): Iraq: Protest death toll surges as security forces resume brutal repression, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023297.html

- Al Jazeera (25.10.2019): Dozens killed as fierce anti-government protests sweep Iraq, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/dozens-killed-fierce-anti-government-demonstrations-sweep-iraq-191025171801458.html

- Al Jazeera (5.10.2019): Iraq PM lifts Baghdad curfew, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/iraq-pm-lifts-baghdad-curfew-191005070529047.html

- Al Mada (2.10.2019): ساحاتالاحتجاجتتحولإلىمناطقحرب („Proteste werden zu Kriegsgebieten“), https://almadapaper.net/view.php?cat=221822

- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq

- BBC News (4.10.2019): Iraq protests: 'No magic solution' to problems, PM says, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-49929280

- Carnegie - Carnegie Middle East Center (14.11.2019): How Deep Is Anti-Iranian Sentiment in Iraq?, https://carnegie-mec.org/diwan/80313

- Diyaruna (7.8.2019): Iran-backed militias suppress Iraqi protests, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/08/07/feature-01

- ICG - International Crisis Group (10.10.2019): Widespread Protests Point to Iraq’s Cycle of Social Crisis, https://www.ecoi.net/de/dokument/2018263.html

- ICG - International Crisis Group (31.7.2018): How to cope with Iraq’s summer brushfire, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/b61-how-cope-iraqs-summer-brushfire

- ISW - Institute for the Study of War (22.10.2019): Iraq's Sustained Protests and Political Crisis, https://iswresearch.blogspot.com/2019/10/iraqs-sustained-protests-and-political.html

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.10.2019): Iraq’s October Protests Escalate And Grow, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/iraqs-october-protests-escalate-and-grow.html

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (1.12.2019): Iraqi Protesters Torch Iranian Consulate For Second Time Within Week, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022938.html

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (4.11.2019): Security Forces Shoot At Baghdad Protesters, Several Killed In Karbala, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019395.html

- Rudaw (13.10.2019): Iraq launches probe into killing of protesters,https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/13102019

- UNAMI - UN Assistance Mission for Iraq (10.2019): Demonstraitons in Iraq; 1-9 October 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019889/UNAMI_Special_Report_on_Demonstrations_in_Iraq_22_October_2019.pdf

- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html

- WZ - Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/_em_cms/globals/print.php?em_ssc=LCwsLA==&em_cnt=994916&em_loc=69&em_ref=/nachrichten/welt/weltpolitik/&em_ivw=RedCont/Politik/Ausland&em_absatz_bold=0

1.6.7. Rückkehr

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome Region Kurdistan finden regelmäßig statt.

Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak. In der Autonomen Region Kurdistan gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Autonomen Region Kurdistan kurz- und mittelfristig verbessern wird.

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250 m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD. In den Städten der kurdischen Autonomieregion liegt die Miete bei 300-600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 11 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 7-18 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 22-29 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000 IQD für privaten oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom.

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser im Land. Jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. Wohnen ist zu einem der größten Probleme im Irak geworden, insbesondere nach den Geschehnissen von 2003. Die Immobilienpreise in irakischen Städten sind in den letzten zehn Jahren stark angestiegen. Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem IS stellt der Wohnungsbau eine besonders dringende Priorität dar. Im November 2017 bestätigte der irakische Ministerrat ein neues Programm zur Wohnbaupolitik, das mit der Unterstützung von UN-Habitat ausgearbeitet wurde, um angemessenen Wohnraum für irakische Staatsbürger zu gewährleisten. Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrer nicht.

Quellen (Zugriff am 17.12.2021):

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf

- Ekurd Daily (8.1.2019): Property prices increasing in Iraqi Kurdistan after years of stagnation, https://ekurd.net/property-prices-kurdistan-2019-01-08

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/

- IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2

- IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile

- IOM - International Organization for Migration (2.2018): Iraqi returnees from Europe: A snapshot report on Iraqi Nationals upon return in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/DP.1635%20-%20Iraq_Returnees_Snapshot-Report%20-%20V5.pdf

- REACH (30.6.2017): Iraqi migration to Europe in 2016: Profiles, Drivers and Return, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/reach_irq_grc_report_iraqi_migration_to_europe_in_2016_june_2017%20%281%29.pdf

- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf

- UNDP - United Nations Development Programme (28.4.2019): UN-Habitat and UNDP Upscale Support on Housing Rehabilitation and Secure Tenure for the Returnees in Sinjar, https://www.iq.undp.org/content/iraq/en/home/presscenter/pressreleases/2019/04/28/un-habitat-and-undp-upscale-support-on-housing-rehabilitation-an.html

1.6.8. Dokumente

Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Zur Jahresmitte 2014 tauchten vermehrt gefälschte Visaetiketten auf. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden.

Quellen (Zugriff am 17.12.2021):

AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amtbericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-20

1.7. Aus den Angaben des BF lassen sich keine Anhaltspunkte dahin entnehmen, dass er mit den Behörden, der Polizei oder den Gerichten des Herkunftsstaates etwa wegen seines Religionsbekenntnisses, seiner ethnischen Zugehörigkeit zur arabischen Volksgruppe oder aus politischen Gründen Probleme gehabt hätte, zumal er als Schiit (als solcher ist er ob der schiitischen Familie, der er entstammt anzusehen) der religiösen Mehrheit im Land angehört. Den Länderberichten lässt sich nicht entnehmen, dass Friseure und ehemalige Mitarbeiter eines alkoholproduzierenden Unternehmens (und als solche war der BF vor seiner Ausreise tätig) einer Verfolgung ausgesetzt wären bzw. sein könnten. Es gibt auch keinerlei Hinweise in die Richtung, dass der BF oder die Angehörigen seiner Kernfamilie darüber hinaus politisch exponiert aktiv gewesen wären oder als Mitglied einer politisch aktiven Bewegung oder einer bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates angehört hätten.

Mit den Angehörigen derselben Glaubensrichtung oder mit den Angehörigen einer anderen, im Herkunftsstaat beheimateten Glaubensrichtung hatte er keine Probleme.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang und die in der Folge getroffenen (sachverhaltsbezogenen) Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes sowie aus den niederschriftlich protokollierten Angaben des BF anlässlich seiner Befragungen durch die Organe der belangten Behörde, der Beamten des öffentlichen Sicherheitskörpers und vor dem Bundesverwaltungsgericht.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache zur Identität, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie der Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer Feststellungen getroffen wurden, beruhen diese im Wesentlichen auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen und den vom BF vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, andererseits vor den Organen der belangten Behörde getätigten angaben.

Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

Die Konstatierungen zur arabischen Muttersprache ergeben sich einerseits aus der Herkunft des BF, andererseits aus seinen Angaben und der Kenntnis der arabischen Sprache. Die Konstatierungen zu den rudimentären Deutschkenntnissen des BF ergeben sich aus dem Fehlen jeglicher Hinweise im Akt, dass der BF jemals einen Sprachkurs besucht oder abgeschlossen hat, sowie aus dem Faktum, dass er im Zuge seiner Einvernahme vor dem BVwG die ihm auf Deutsch gestellten (einfachen) Fragen nicht beantworten konnte.

Die positiven EURODAC-Abfragen werden durch dementsprechende Auszüge im Akt bestätigt und durch die Eintragungen im IZR objektiviert.

Die Konstatierungen zum Wohnsitz des BF im Bundesgebiet ergeben sich aus einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister, zum Gesundheitszustand aus den dementsprechenden Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Der BF und die Zeugin XXXX konnten nicht glaubhaft machen, dass zwischen ihnen eine Lebensgemeinschaft bestünde. Schon aus dem Zentralen Melderegister ergibt sich, dass der BF und XXXX in keinem gemeinsamen Haushalt leben. Auf Grund der Angaben des BF und der als Zeugin einvernommenen XXXX ist davon auszugehen, dass keinerlei finanzielle und auch persönliche Abhängigkeit besteht; demnach bezieht die Zeugin derzeit Notstandshilfe und hat auch der BF selbst keine Einkünfte aus einer legalen Erwerbstätigkeit. Da beide Personen grundsätzlich arbeitsfähig sind, ist nicht davon auszugehen, dass gegenseitige Pflegehilfen oder Unterstützung in den Abläufen des täglichen Lebens notwendig sind. Wenn der BF angibt, dass er die beiden Töchter als die seinen ansieht, ist dies nur eine Willensbekundung, nicht jedoch durch die Faktenlage feststellbar; demnach stammen die beiden Töchter aus einer früheren Beziehung der Zeugin und handelt es sich nicht um die leiblichen Kinder des BF; nach dem Stand des Zentralen Melderegisters besteht derzeit kein gemeinsamer Haushalt des BF mit der Zeugin bzw. deren beiden Töchtern. Eine tiefergehende Verbindung in Form einer Lebensgemeinschaft konnte der BF nicht glaubhaft machen. Als symptomatisch erweist sich, dass der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 17.09.2021 widersprüchliche Angaben dazu machte, welche der beiden Töchter der XXXX er von welcher Bildungseinrichtung abholen wolle. Dabei gab er an, dass er die jüngere Tochter vom Kindergarten abhole. Wenn man nun von einem siebenjährigen Mädchen ausgeht, so kann es nicht möglich sein, dass der BF dieses vom Kindergarten abholt (so seine Aussage laut Seite 13 der PV vom 17.09.2021). Dass er versehentlich die ältere Tochter meint, ist auch auszuschließen, da bei einer XXXX .jährigen jungen Frau davon auszugehen ist, dass diese den Schulweg alleine meistert und daher keine Entlastung von XXXX diesbezüglich notwendig ist. Zudem machte er keine Angaben, dass er die ältere Tochter von der Schule abholen würde. In der Verhandlung deutete er eindeutig auf die jüngere der beiden Töchter. Sodann gab er an, dass er am XXXX der XXXX im Ausmaß von 25 % beteiligt sei. Hinsichtlich dieser Beteiligung blieb er überaus vage und allgemein gehalten. Eine amtswegige Überprüfung im Gewerberegister ergab, dass XXXX ihre Gewerbeberechtigung im Jahr 2020 zurückgelegt hat und seither Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezieht. Schon daraus ergibt sich schlüssig, dass der BF an einem Unternehmen der BF nicht beteiligt sein kann.

Die Feststellungen zum Familienstand des BF und zu den in seiner Heimat lebenden Familienmitgliedern folgen insofern seinen Angaben vor den Behörden und dem BVwG.

2.3. Zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei:

Die zu seiner Ausreise aus dem Irak, zur weiteren Reiseroute und zur Einreise ins Bundesgebiet getroffenen Konstatierungen ergeben sich aus seinen Angaben anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahmen vor den Organen der Sicherheitsbehörde, die im Wesentlichen unstrittig geblieben sind und der gegenständlichen Entscheidung daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu Grunde gelegt werden konnten.

Hinsichtlich seiner Ausreise aus dem Irak verstrickte sich der BF in Widersprüche. So gab er erstmalig bei seiner Erstbefragung im Mai 2015 an, knapp einen Monat vor seinem Eintreffen in Österreich den Irak verlassen zu haben, sohin im April 2015 (AS 7 im Akt des Erstverfahrens). Bei seiner zuletzt stattgehabten Vernehmung vor dem Bundesverwaltungsgericht führte er hingegen aus, den Irak zuletzt 2012 verlassen zu haben (PV vom 17.09.2021 Seite 9). Hierbei setzte er sich einerseits in einen eklatanten Widerspruch zu seinen Angaben vor dem BFA, nach welchen er von 2004 bis in den Juli 2013 in Syrien gewesen sein will (Niederschrift BFA 43 im Akt des Erstverfahrens), andererseits gab er vor dem Bundesverwaltungsgericht binnen weniger Sätze zuerst an, im Jahr 2012 bzw. 2011 wieder nach XXXX gekommen zu sein (PV des BF vom 17.09.2021 Seiten 6 und 8). Auch widerspricht er sich selbst, wenn er bei seiner Erstbefragung im Mai 2015 angab, knapp 15 Tage in der Türkei gewesen zu sein, während er vor dem Bundesverwaltungsgericht angab, etwa ein Jahr und einen Monat in XXXX gelebt zu haben (PV des BF vom 17.09.2021 Seite 7 Mitte). Auch wenn zwischen seiner erstmaligen Befragung im Mai 2015 und der hg. durchgeführten Verhandlung ein mehrjähriger Zeitraum liegt so scheinen die teilweise eklatanten Widersprüche hinsichtlich seiner Ausreise und des Aufenthalts in der Türkei doch geeignet, diesen Teil der Geschichte des BF in Frage zu stellen da eine Abweichung von mehr als einem Jahr, speziell bei einem Aufenthalt in der Türkei doch kaum erklärlich scheint.

Dass der BF wegen seiner nicht stark ausgeprägten Religiosität im Irak gefährdet sein könnte, lässt sich durch seine Angaben nicht objektivieren. Vielmehr führte er diese Überlegungen erst nach Befragung durch seine Rechtsvertreterin ins Treffen und gab lediglich an: „Ich bin Muslim, aber ich habe keine Beziehung zur Religion“. Bis zu diesem Zeitpunkt zum Ende der mündlichen Verhandlung hin (siehe Seite 17 der PV des BF vom 17.09.2021) gab es keinerlei Anzeichen, dass der BF wegen der (Nicht-)Ausübung seiner Religion in seiner Heimat Probleme gehabt hätte oder solche in Zukunft haben würde.

Zu der vom BF bereits im Erstverfahren als Fluchtgrund angegebenen Tätigkeit in einer von Christen geführten Manufaktur für alkoholische Getränke sei ausgeführt, dass er laut eigenen Angaben dort zuletzt im Jahr 1999 tätig war (so der BF laut seiner Aussage auf Seite 15 der PV vom 17.09.2021). Es ist nicht plausibel, weshalb ihm bei einer etwaigen Rückkehr in den Irak daraus knapp 22 Jahre später ein Nachteil erwachsen sollte, zumal er diese Tätigkeit nicht mehr ausübt. Ebenso unklar ist zudem, wieso er im Jahr 2015, also etwa 16 Jahre nach seinem Engagement in diesem Unternehmen hieraus bedroht worden sein soll. Gegen eine hieraus resultierende Gefährdung spricht zudem, dass der BF primär immer sein Äußeres und seine Tätigkeit als XXXX als Fluchtgrund nannte. Erst als sekundären Grund erwähnte er -auch bereits in seinem Erstverfahren zur Zahl L513 2164396-1 - die Arbeit in dem Alkohol produzierenden Unternehmen.

Das Hauptvorbringen des BF, welches auf seiner Tätigkeit als XXXX und seinem Äußeren aufbaut und durch die mutmaßliche Misshandlung seines Bruders untermauert werden soll, ist nicht geeignet, dieses als asylrelevant darzustellen zumal sich hinsichtlich der Angaben des BF im Vergleich zu seinem Erstverfahren keine maßgeblichen Veränderungen ergeben haben.

So konnte er, wie schon im Erstverfahren, keine stichhaltigen Beweise dafür liefern, dass die Angriffe gegen ihn (und vermeintlich auch seinen Bruder) von öffentlichen Stellen herrührten. Ein erweitertes Vorbringen hinsichtlich seines ursprünglichen Fluchtgrundes mag durch die Fotodokumentation zwar gegeben sein, jedoch ändert sich hierdurch das Ergebnis und auch der ursprüngliche Grund für das Verlassen des Irak im Hinblick auf das Erstverfahren nicht. Es kann nach wie vor nicht erkannt werden, dass ihm und/oder seiner Familie von öffentlicher Seite Gefahr droht, zumal seine betagten Eltern und auch die Schwestern des BF laut seinen Angaben unbehelligt in XXXX leben und die Schwestern teilweise auch mit Sunniten verheiratet sind. Auch jener Bruder, der angeblich von schiitischen Milizionären misshandelt worden sein soll, lebt nach wie vor in XXXX in einem mehrheitlich sunnitischen Stadtteil (so der BF vor dem BVwG laut Seite 16 der PV vom 17.09.2021). Hier findet sich zudem ein Widerspruch zu seinen eigenen Angaben; so gab der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass sein Bruder in Damaskus leben würde (so vom BF mitgeteilt auf Seite 10 der PV vom 17.09.2021); dann gab er wieder Bruder in XXXX lebe. Es ist jedoch hier der letzten Aussage dahingehend zu folgen, als die erste Frage hinsichtlich des Aufenthaltsortes seiner Brüder diese als Gesamtheit betraf, während die Frage nach dem Bruder XXXX ausschließlich diesem galt. Die hierauf folgende Antwort „XXXX“ verdeutlicht, dass dieser eher dort aufhältig sein muss.

Jenseits der Tatsache, dass das zum Erstverfahren kaum erweiterte Vorbringen des BF nicht asylrelevant ist verstrickte er sich in seinen wenigen Ausführungen in solche Widersprüche hinsichtlich seiner Aufenthalte in Syrien und dem Verbleib seines Bruders, dass dem Vorbringen nicht gefolgt werden konnte. Die Fotodokumentation zeigt zwar Verletzungen an einer männlichen Person auf, deren Ursprung ist jedoch nicht feststellbar und kann nicht zu Gunsten des BF als Bedrohung seiner selbst ausgelegt werden.

Verbindet man all diese Punkte mit der Tatsache, dass der BF selbst zu keinem Zeitpunkt persönliche Repressalien erleiden musste, die einer staatlichen oder anderen öffentlichen Stelle zugeordnet werden könnten so ist klar ersichtlich, dass das Vorbringen des BF in sich nicht konsistent ist.

In einer Zusammenschau seines Vorbringens erhärtet sich der Eindruck, dass der BF den Irak nicht wegen Problemen mit einer schiitischen Miliz verlassen hat und auch das Fotokonvolut nicht Ergebnis solcher Probleme ist, sondern er vor den dort herrschenden schlechten wirtschaftlichen Umständen geflohen ist. Dies verdeutlicht sich auch dadurch, dass er weder vor dem BFA, noch vor dem Bundesverwaltungsgericht Probleme mit öffentlichen Stellen oder strafrechtliche Probleme nannte und auch direkte Kontakte zu Milizen jedweder Art negierte (siehe hierzu Seite 8 der PV vom 17.09.2021).

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass auch die im Zuge der Erstbefragung im Mai 2015 genannte Fluchtroute mit den zuletzt genannten Daten nicht übereinstimmt ist dem gesamten Vorbringen eine Relevanz im Sinne der GFK abzusprechen.

Die getroffenen Feststellungen waren daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu treffen.

Dass der BF im Herkunftsstaat einer asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt gewesen wäre bzw. nach einer Rückkehr in diesen Herkunftsstaat einer solchen ausgesetzt sein könnten, vermochte er nicht darzutun.

2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die länderkundlichen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak gründen auf dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes und auf den als notorisch zu qualifizierenden aktuellen Ereignissen im Herkunftsstaat des BF in Verbindung mit den dazu ergänzend eingesehenen länderkundlichen Informationsquellen. Diesen war auch kein über die oben erörterten, vom BF selbst dargebotenen Verfolgungsgründe hinausgehender Sachverhalt zu entnehmen, der allenfalls Anhaltspunkte für eine aus sonstigen Gründen drohende individuelle asylrelevante Gefährdung beinhaltet hätte.

Zudem konnten diese anhand rezenter Informationen der Staatendokumentation und speziell der EASO – Country Guidance: Iraq mit Stand Jänner 2021 welche auch auf den EASO Sicherheitsbericht mit Stand Oktober 2020 zurückgreift getroffen werden. Die darin aufgelisteten Ergebnisse resultieren aus Research-Verfahren öffentlicher Einrichtungen, die ob ihres Wirkens hohen Standards unterliegen und zur Objektivität verpflichtet sind.

Auf Grund der nicht anzuzweifelnden Inhalte der Berichte war deren Inhalt zu Feststellungen zu erheben.

2.5. Zur Integration des BF in Österreich:

Die Konstatierungen, dass der BF keine weiterführenden Bildungseinrichtungen besucht hat und keinerlei Vereinsmitgliedschaften bestehen konnten ob seiner Angaben vor dem BVwG getroffen werden, zusätzlich finden sich diesbezüglich keinerlei Hinweise in den Verwaltung- und Gerichtsakten zu beiden Verfahren.

Dass der BF über nahezu keinerlei Deutschkenntnisse verfügt ergibt sich einerseits aus der Tatsache, dass weder Kursteilnahme- noch Kursabschlussbestätigungen vorliegen sowie dem Faktum, dass der BF nach einem mittlerweile knapp sechsjährigen Aufenthalt nicht in der Lage war, ihm auf Deutsch gestellte (einfache) Fragen im Zuge der mündlichen Verhandlung zu beantworten (Seite 11 f der PV vom 17.09.2021).

Wenn der BF nun argumentiert, dass ihm Kursbesuche ob seines Aufenthaltsstatus nicht möglich seien so ist dem entgegenzuhalten, dass es notorisch ist, dass es vielen Personen in einer ähnlichen Situation bereits kurz nach der Einreise und auch vor einem möglichen ersten negativen Bescheid sehr wohl möglich war, Integrationsmaßnahmen wie Sprachkurse oder Werte- und Orientierungsveranstaltungen zu besuchen. Der Hinweis auf ein für ihn schlechteres Fortkommen ob seines Aufenthaltsstatus nach dem erstmalig ergangenen negativen Erkenntnis des BVwG geht somit ins leere. Auch ist diesem Argument in dem Sinne zu widersprechen, dass bei einer entsprechenden gewollten Anknüpfung an den österreichischen Sprach- und Kulturkreis und dem Ansinnen, in diesem ein weiteres Leben aufzubauen davon ausgegangen werden kann und muss, dass dermaßen bedeutsame integrative Punkte wie speziell das Verstehen und zumindest rudimentäre Sprechen der Landessprache nicht von dem Besuch von Kursen abhängig gemacht werden kann, sondern auch im Zuge einer freiwilligen Kontaktaufnahme mit der jeweiligen Landesbevölkerung erfolgt.

Wenn der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht angab, als Partner im Geschäft seiner Lebensgefährtin zu arbeiten, spiegelt sich dies in den Sozialversicherungsdaten beider Personen nicht wieder. Der BF gab vor dem Bundesverwaltungsgericht an, zu 25 Prozent am XXXX der XXXX beteiligt zu sein. Eine mit den Daten dieser Frau durchgeführte Abfrage im System der Österreichischen Sozialversicherungen ergibt jedoch, dass sie derzeit Notstandshilfe bezieht und zuletzt von XXXX bis XXXX 2021 als geringfügig beschäftigte Arbeitnehmerin angestellt war, während sie zeitgleich ob des nicht Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze Notstandshilfe bzw. Überbrückungshilfe bezog. Die Betrieb eines Geschäfts durch sie und eine allfällige Beteiligung des BF an ihrem offenbar nicht existierenden Geschäft ist auszuschließen (so der BF laut seiner Aussage vor dem BVwG, PV Seite 12 unten). Zwar scheint die Lebensgefährtin des BF zweimal als dessen Arbeitgeberin auf (so in den Zeiträumen von XXXX.2019 bis XXXX.2019 und von XXXX bis XXXX.2020), aus den seither verstrichenen Zeiträumen lässt sich jedoch nicht schließen, dass derzeit ein geschäftliches Gesellschaftsverhältnis jedweder Art besteht. Zusätzlich ergibt sich aus einem amtlich eingeholten GISA-Auszug, dass XXXX das Gewerbe der XXXX mit XXXX.2020 zurückgelegt hat und sie daher derzeit auch nicht berechtigt ist, ein solches Unternehmen zu führen.

Dass der BF keine Leistungen aus der Grundversorgung bezieht ergibt sich aus einem GVS-Auszug, die letzte Erwerbstätigkeit im XXXX 2020 konnte anhand des Versicherungsdatenauszugs des BF festgestellt werden; seine strafrechtliche Unbescholtenheit aus einem von Amts wegen eingeholten Strafregisterauszug.

Dass er trotz seiner Asthmaerkrankung weitestgehend gesund und arbeitsfähig ist ergibt sich aus seinen eigenen Angaben in Verbindung mit der Tatsache, dass das Leiden bereits in seiner Heimat bestand und dem Faktum, dass der BF im Irak und auch in Österreich erwerbstätig war.

2.6. Zur etwaigen Rückkehr in den Irak:

Die Feststellung, dass es dem BF möglich und zumutbar ist, in den Irak (konkret in seine Heimatregion) zurückzukehren, basiert auf einer Zusammenschau der Feststellungen zur Situation dort und seinen persönlichen Umständen. Dabei sind sein Gesundheitszustand, die Arbeitsfähigkeit, die Berufserfahrung und die Sprachkenntnisse ebenso wie das familiäre Netzwerk im Irak und die bestehenden Kontakte zu seiner Familie hervorzuheben. Es gibt keine Hinweise auf eine existenzielle Gefährdung des BF, zumal er seinen Lebensunterhalt – wie schon vor seiner Ausreise – durch eigene Erwerbstätigkeit sichern und (zumindest vorübergehend) wieder bei seinen Angehörigen Unterkunft nehmen kann bis es ihm möglich sein wird, seine Existenz selbständig zu sichern zumal seine Eltern in einem im Eigentum des Vaters stehenden Einfamilienhaus leben. Er gehört als (nicht praktizierender) Schiit der religiösen Mehrheit des Landes an und ist daher nicht zu befürchten, dass er wegen seines Glaubens verfolgt oder bedroht wird.

Zusätzlich haben sich im gesamten Verfahren keinerlei Hinweise darauf ergeben, dass der BF in seiner Heimat der Todesstrafe ausgesetzt sein könnte oder Gefahr läuft, unmenschlicher Behandlung, Folter oder einer Strafe ausgesetzt zu sein. Da der BF in Kontakt zu seiner Familie steht und auch dessen Schwestern in XXXX leben ist davon auszugehen, dass zumindest ein kleines Auffangnetz vorhanden ist, um dem BF einen Wiedereinstieg in die irakische Arbeitswelt zu ermöglichen.

Abschließend ist auf die rezente EASO Country Guidance Irak zu verweisen, die speziell für junge erwerbsfähige Männer eine Rückkehr nach XXXX als möglich ansieht (vgl. die EASO – Country Guidance: Iraq; https://www.ecoi.net/de/dokument/2045437.html , Zugriff am 17.12.2021, Seite 175).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Gemäß § 13 Abs. 1 VwGVG haben Bescheidbeschwerden grundsätzlich aufschiebende Wirkung. § 18 Abs. 1 BFA-VG zählt jene Gründe auf, aus welchen einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung aberkannt werden kann.

Weder der Spruch noch die Begründung des angefochtenen Bescheids enthalten einen Hinweis auf eine allfällige Aberkennung der aufschiebenden Wirkung. Die entsprechende Passage in der Rechtsmittelbelehrung („Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung, das heiß, der Bescheid kann trotz Erhebung einer Beschwerde vollstreckt werden. Das BVwG hat unter bestimmten Umständen von Amts wegen innerhalb von sieben Tagen nach Einlangen der Beschwerde bei ihm die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen [§ 18 Abs. 5 BFA-VG]. Bis zum Ablauf dieser Frist wird der Bescheid nicht vollstreckt.“) ist daher unrichtig, entfaltet aber keine normative Wirkung.

Da der Beschwerde des BF die aufschiebende Wirkung folgerichtig nicht aberkannt wurde, kann diese vom BVwG auch nicht zuerkannt werden. Der darauf gerichtete Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

3.1.1. Die gegen den Bescheid der belangten Behörde vom XXXX.2018 erhobene Beschwerde ist rechtzeitig und legte die belangte Behörde die Beschwerdesachen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF., entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.

3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt die Entscheidung in der gegenständlichen Rechtssache dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte, mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

3.2.1. Da das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen hat, ist Prozessgegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung, nicht aber der zurückgewiesene Antrag selbst.

Entschiedene Sache liegt vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben (vgl. VwGH 24.05.2016, Ra 2016/03/0050). Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nicht Anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtswirksamen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl. VwGH 27.09.2000, 98/12/0057; 24.11.2010, 2010/10/0231; vgl. auch Walter/Thienel, Die Österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I, 2. Aufl. 1998, E 80 zu § 68 AVG).

Es ist Sache der Partei, die in einer rechtskräftig entschiedenen Angelegenheit eine neuerliche Sachentscheidung begehrt, dieses Begehren zu begründen (VwGH 8. 9. 1977, 2609/76).

Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben (nochmals) zu überprüfen. Die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. VwGH vom 25.09.2019, Ro2019/09/0006; vom 09.08.2018, Ra 2018/22/0078 und vom 19.01.2016, Ra 2015/01/0070). Nur eine solche Änderung des Sachverhaltes kann zu einer neuen Sachentscheidung führen, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerseits den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. VwGH vom 25.10.2018, Ra 2018/07/0353; und die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I., 2. Aufl. 1998, E 90 zu § 68 AVG).

Ist Sache der Entscheidung der Rechtsmittelbehörde nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, darf sie demnach nur über die Frage entscheiden, ob die Zurückweisung durch die Vorinstanz zu Recht erfolgt ist oder nicht, und hat dementsprechend - bei einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache - entweder (im Falle des Vorliegens entschiedener Sache) das Rechtsmittel abzuweisen oder (im Falle der Unrichtigkeit dieser Auffassung) den bekämpften Bescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben, dass die erstinstanzliche Behörde in Bindung an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde den Antrag jedenfalls nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Es ist der Rechtsmittelbehörde aber verwehrt, über den Antrag selbst meritorisch zu entscheiden (vgl. VwGH vom 30. 5. 1995, Zl. 93/08/0207).

Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (vgl. VwGH vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0025).

Für das Bundesverwaltungsgericht ist daher Sache des gegenständlichen Verfahrens die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers zu Recht gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

Die Anwendbarkeit des § 68 AVG setzt gemäß Abs. 1 das Vorliegen eines der „Berufung“ nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides, dh. eines Bescheides, der mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht (mehr) bekämpft werden kann, voraus. Diese Voraussetzung ist hier gegeben, der Bescheid der belangten Behörde zum vorangegangenen Asylverfahren ist in formelle Rechtskraft erwachsen.

3.2.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhalts erweist sich die gegenständliche Beschwerde als unbegründet:

Die vom Beschwerdeführer vorgelegten Fotos vermögen nicht, sein durch das Erkenntnis vom 27.02.2018 unter GZ: L513 2164369-1 bereits rechtskräftig entschiedenes Vorbringen - und somit die Bestätigung des erstmalig erlassenen negativen Bescheids vom XXXX.2017, Zl. XXXX - in ein neues Licht zu rücken und zu einem neuen Ergebnis zu führen. Weder hat sich das angebliche Bedrohungsszenario geändert, noch sind neue Tatsachen hinzugekommen, die im Endergebnis zu einem für den BF positiven Ausgang führen können. Zusätzlich haben die Widersprüche, in die sich der BF bei der Datierung seines Aufenthalts in Syrien verwickelte und die Ungereimtheiten hinsichtlich des Aufenthalts seines Bruders dazu geführt, dass dem Vorbringen des BF insgesamt kein Glauben geschenkt werden konnte und weiterhin jegliche Aslyrelevanz abzusprechen war.

Es ist nicht unvertretbar, wenn die belangte Behörde den Asylfolgeantrag des BF wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückgewiesen hat. Es kann nicht erblickt werden, dass der Behörde dabei ein Fehler unterlaufen wäre.

Bei Asylfolgeanträgen sind die Asylbehörden auch dafür zuständig, mögliche Sachverhaltsänderungen in Bezug auf den subsidiären Schutzstatus des Antragstellers einer Prüfung zu unterziehen (vgl. VwGH 15.05.2012, 2012/18/0041).

Auch im Hinblick auf Art. 3 EMRK ist nicht erkennbar, dass die Rückführung des Beschwerdeführers in den Irak zu einem unzulässigen Eingriff führen würde und er bei einer Rückkehr in eine Situation geraten würde, die eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK mit sich brächte oder ihm jedwede Lebensgrundlage fehlen würde. Auch hier ergaben sich keine Sachverhaltsänderungen.

Der Beschwerdeführer ist, wie bereits im vorangegangen Asylverfahren, gesund und arbeitsfähig. Er weist eine neunjährige Schulausbildung und Berufserfahrung auf.

Auch wenn er eine geraume Zeit außerhalb seines Herkunftsstaates verbracht hat, ist er mit den Traditionen, der Kultur und der Sprache der Mehrheitsbevölkerung seines Herkunftsstaates weiterhin vertraut und kann auch bei einer mehrjährigen Abwesenheit eines erwachsenen Mannes nicht von einer solchen Entwurzelung von seinem Herkunftsstaat, in dem er aufgewachsen und hauptsozialisiert wurde, gesprochen werden, dass er sich bei einer Rückkehr überhaupt nicht zurechtfinden würde.

Aus den Länderfeststellungen zum Irak lassen sich auch keine Gründe ableiten, dass davon auszugehen wäre, dass jeder zurückgekehrte Staatsbürger einer Gefährdung gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, sodass ein Rückführungshindernis im Lichte der Art. 2 und 3 EMRK nicht feststellbar ist. Aufgrund der Länderberichte ergibt sich, dass sich die Sicherheitslage im Herkunftsstaat, welche den Beschwerdeführer individuell und konkret betreffen würde, seit der Entscheidung im vorangegangenen Asylverfahren nicht wesentlich geändert hat. Auch im Hinblick auf die gegenwärtige COVID-19-Pandemie sind keine exzeptionellen Umstände erkennbar, welche auf eine besondere Gefährdung des Beschwerdeführers hindeuten.

In Bezug auf eine etwaige Rückkehrgefährdung im Sinne einer realen Gefahr einer Verletzung der in Art. 2 und 3 EMRK verankerten Rechte des Beschwerdeführers war daher ebenso keine Änderung erkennbar.

Die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache war daher auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtmäßig.

3.2.3. Aus den angeführten Gründen war daher der gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gerichtete Teil der Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

3.3. Zu den Spruchpunkten II. und III. der angefochtenen Bescheide:

3.3.1. Gesetzliche Grundlagen:

Gemäß § 10 AsylG 2005 wird Folgendes normiert:

„§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.“

Der mit „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ betitelte § 57 AsylG 2005 lautet wie folgt:

„§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet wie folgt:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm. 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

§ 58 AsylG 2005, Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln, wird wie folgt normiert:

„§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(2) Das Bundesamt hat einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. § 73 AVG gilt.

(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(4) Das Bundesamt hat den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Abs. 3) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Abs. 11 gilt.

(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.

(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige

1. sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,

2. bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder

3. gemäß § 95 FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügt oder gemäß § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist,

soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge.

(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

(11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist

1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder

2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

(12) Aufenthaltstitel dürfen Drittstaatsangehörigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur persönlich ausgefolgt werden. Aufenthaltstitel für unmündige Minderjährige dürfen nur an deren gesetzlichen Vertreter ausgefolgt werden. Anlässlich der Ausfolgung ist der Drittstaatsangehörige nachweislich über die befristete Gültigkeitsdauer, die Unzulässigkeit eines Zweckwechsels, die Nichtverlängerbarkeit der Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 56 und die anschließende Möglichkeit einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erlangen, zu belehren.

(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und

2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben.“

Der mit „Rückkehrentscheidung“ betitelte § 52 FPG lautet im Folgenden wörtlich wiedergegeben wie folgt:

„§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre,

2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.“

3.3.2. Gemäß § 58 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

Anlassbezogen liegen keine Umstände vor, dass dem BF - allenfalls von Amts wegen - ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts dargetan.

3.3.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss geprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer „Familie“ voraussetzt. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine hinreichende Intensität für die Annahme einer familiären Beziehung iSd. Art. 8 EMRK erreichen. Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung nicht zwischen einer ehelichen Familie (sog. „legitimate family“ bzw. „famille légitime“) oder einer unehelichen Familie („illegitimate family“ bzw. „famille naturelle“), sondern stellt auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens ab (siehe EGMR vom 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 454; vom 18.12.1986, Johnston u.a., EuGRZ 1987, 313; vom 26.05.1994, Keegan, EuGRZ 1995, 113; vom 12.07.2001 [GK], K. u. T., Zl. 25702/94 und vom 20.01.2009, Serife Yigit, Zl. 03976/05). Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR vom 22.04.1997, X., Y. und Z., Zl. 21830/93 und vom 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01). So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention³ [2008], S. 197 ff.). In der bisherigen Spruchpraxis des EGMR wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR vom 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; und EKMR vom 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR vom 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR vom 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR vom 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118 und EKMR vom 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, S. 761; Rosenmayer, ZfV 1988, S. 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR vom 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügen. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht: die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR vom 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, S. 738 = EuGRZ 2006, 562; vom 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, S. 1046), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR vom 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zlen. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; vom 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, S. 344; vom 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, S. 271) und dessen Intensität (EGMR vom 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR vom 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; vom 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; vom 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH vom 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124 und vom 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124), die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. insb. EGMR vom 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; vom 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR vom 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; vom 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; vom 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, S. 738 = EuGRZ 2006, S. 562 und vom 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR vom 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, S. 567; vom 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; vom 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; vom 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; vom 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR vom 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00).

In Ergänzung dazu verleiht weder die EMRK, noch ihre Protokolle das Recht auf politisches Asyl (EGMR vom 30.10.1991, Vilvarajah ua., Zl. 13163/87 ua.; vom 17.12.1996, Ahmed, Zl. 25964/94 und vom 28.02.2008 [GK] Saadi, Zl. 37201/06).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR vom 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; vom 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; vom 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05 und vom 14.02.2012, Antwi u. a., Zl. 26940/10).

Die Ausweisung eines Fremden, dessen Aufenthalt lediglich auf Grund der Stellung von einem oder mehreren Asylanträgen oder Anträgen aus humanitären Gründen besteht, und der weder ein niedergelassener Migrant noch sonst zum Aufenthalt im Aufenthaltsstaat berechtigt ist, stellt in Abwägung zum berechtigten öffentlichen Interesse einer wirksamen Einwanderungskontrolle keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben dieses Fremden dar, wenn dessen diesbezüglichen Anträge abgelehnt werden, zumal der Aufenthaltsstatus eines solchen Fremden während der ganzen Zeit des Verfahrens als unsicher gilt (EGMR vom 08.04.2008, Nnyanzi, Zl. 21878/06).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR vom 08.04.2008, Nnyanzi v. the United Kingdom, 21878/06 bzgl. einer ugandischen Staatsangehörigen die 1998 einen Asylantrag im Vereinigten Königreich stellte) ist im Hinblick auf die Frage eines Eingriffes in das Privatleben maßgeblich zwischen niedergelassenen Zuwanderern, denen zumindest einmal ein Aufenthaltstitel erteilt wurde und Personen, die lediglich einen Asylantrag gestellt haben und deren Aufenthalt somit bis zur Entscheidung im Asylverfahren unsicher ist, zu unterscheiden (im Falle der Beschwerdeführerin Nnyanzi wurde die Abschiebung nicht als ein unverhältnismäßiger Eingriff in ihr Privatleben angesehen, da von einem grundsätzlichen Überwiegen des öffentlichen Interesses an einer effektiven Zuwanderungskontrolle ausgegangen wurde).

Nach der Rechtsprechung des EGMR (EGMR vom 16.06.2005, SISOJEVA u.a. gg. Lettland, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat, unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) auch in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im zitierten Fall) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. EGMR vom 30.11.1999, BAGHLI gg. Frankreich, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso VfGH, VfSlg 10.737/1985 und VfSlg 13.660/1993).

Bei der vorzunehmenden Interessensabwägung ist zwar nicht ausschlaggebend, ob der Aufenthalt des Fremden zumindest vorübergehend rechtmäßig war (EGMR vom 16.09.2004, Ghiban/BRD; vom 07.10.2004, Dragan/BRD; vom 16.06.2005, Sisojeva u.a. / LV), bei der Abwägung jedoch in Betracht zu ziehen (vgl. VfGH vom 17.03.2005, G 78/04; EGMR vom 08.04.2008, Nnyanzi/GB). Eine langjährige Integration ist zu relativieren, wenn der Aufenthalt auf rechtsmissbräuchlichem Verhalten, insbesondere etwa auf die Vortäuschung eines Asylgrundes (vgl VwGH vom 02.10.1996, Zl. 95/21/0169), zurückzuführen ist (VwGH vom 20.12.2007, Zl. 2006/21/0168). Darüber hinaus sind auch noch Faktoren wie etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, sowie der Grad der Integration welcher sich durch Intensität der Bindungen zu Verwandten und Freunden, Selbsterhaltungsfähigkeit, Schulausbildung bzw. Berufsausbildung, Teilnahme am sozialen Leben, Beschäftigung manifestiert, aber auch die Bindungen zum Herkunftsstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (VfGH vom 29.09.2007, Zl. B1150/07 unter Hinweis und Zitierung der EGMR-Judikatur).

Gemäß der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 07.10.2010, Zl. B 950/10 sind betreffend die Frage der Integration einer Familie in Österreich insbesondere die Aufenthaltsdauer der Familie in Österreich, ein mehrjähriger Schulbesuch von minderjährigen Kindern, gute Deutschkenntnisse und eine sehr gute gesellschaftliche Integration der gesamten Familie zu berücksichtigen.

Es ist darüber hinaus als wesentliches Merkmal zu berücksichtigen, wann - anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte (vgl. zB VfGH vom 12.6.2010, Zl. U614/10) - die Integration der Beschwerdeführer während eines einzigen Asylverfahrens (dessen Dauer im durch den Verfassungsgerichtshof entschiedenen Fall sieben Jahre betrug), welches nicht durch eine schuldhafte Verzögerung durch den Beschwerdeführer und seine Familie geprägt war, erfolgte.

Bei der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter zur Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes ist immer auf die besonderen Umstände des Einzelfalls im Detail abzustellen. Eine Ausweisung hat daher immer dann zu unterbleiben, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

3.3.4. Der BF hat im Bundesgebiet keine nahen Angehörigen.

Die Angehörigen seiner Kernfamilie leben im Herkunftsstaat. Somit hat er im Bundesgebiet kein schützenswertes Familienleben, sodass anlassbezogen mit einer allfällig erfolgten Rückschiebung in den Herkunftsstaat auch kein Eingriff in sein Familienleben verbunden wäre.

Er führt derzeit zwar eine Beziehung zu einer in Österreich lebenden irakischen Staatsangehörigen, die Mutter von zwei Töchtern ist. Alle drei haben Flüchtlingsstatus. Allerdings lebt er mit der Mutter der beiden Töchter und diesen selbst nicht im gemeinsamen Haushalt. Das Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft konnte nicht dargelegt werden. Ein schützenswertes Familienleben im Bundesgebiet besteht demnach nicht.

Der BF ist im Oktober 2015 ins Bundesgebiet eingereist, hat hier einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und ist seither als Asylwerber aufhältig. Er hat hier in den vergangenen Jahren kaum soziale Kontakte geknüpft und ist eine weitergehende Integration in die Österreichische Kultur und Gesellschaft nicht belegt. Vielmehr sind nach dem knapp sechsjährigen Aufenthalt auch Deutschkenntnisse nicht feststellbar gewesen. Eine Integration in den österreichischen Arbeitsmarkt hat nur sehr kurzzeitig stattgefunden und ist derzeit auch keine Erwerbstätigkeit des BF gegeben. Auch ist das Vorbringen, dass der BF an einem XXXX der XXXX beteiligt sei, nicht glaubhaft. Dem steht entgegen, dass sie im XXXX 2020 das diesbezügliche Gewerbe zurückgelegt hat, ein solcher Betrieb derzeit nicht besteht und sie Leistungen aus der österreichischen Arbeitslosenversicherung bezieht. Die einzigen „integrativen“ Schritte, die der BF in der Zeit seines Aufenthalts gesetzt hat, ist die seit zwei Jahren bestehende Beziehung zu XXXX, einer irakischen Staatsangehörigen, wobei weder ein gemeinsamer Haushalt noch eine gegenseitige finanzielle oder soziale Abhängigkeit bestehen. Gegen eine tiefergehende familiäre Einbindung spricht zudem, dass es eine nicht unwesentliche Diskrepanz der Angaben des BF hinsichtlich jener Person gibt, welche er in die Schule oder den Kindergarten bringen will bzw. von dort abholen. Bei einer knapp zweijährigen Beziehung sollte davon auszugehen sein, dass eine korrekte Zuordnung der Bildungseinrichtung bzw. Kinderbetreuungseinrichtung möglich ist, zumal aus dem Verhandlungsprotokoll ersichtlich ist, dass zwischen Schule und Kindergarten klar differenziert wurde.

Zusätzlich ist anzuführen, dass die Beziehung zu einem Zeitpunkt entstand ist, in welchem dem BF sein unsichererer Aufenthaltsstatus bereits bewusst war. Wenn man davon ausgeht, dass beide Personen zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 17.09.2021 seit zwei Jahren liiert waren, so hatte der BF im September 2019 den seine Beschwerde gegen das Erkenntnis des BVwG vom 27.02.2018 GZ: L513 2164369-1/4E ablehnenden Beschluss des VfGH vom XXXX bereits seit mehreren Monaten in Händen. Sämtliche danach gesetzten Schritte zur Eingehung und Aufrechterhaltung der Beziehung erfolgten sohin in dem Bewusstsein, dass der weitere Verbleib des BF im Inland gefährdet ist.

Das Gewicht seines illegalen Aufenthaltes in Österreich war zusätzlich dadurch abgeschwächt, dass er diesen durch einen unberechtigten Folgeantrag auf internationalen Schutz zu legalisieren versuchte. Schon deshalb konnte er nicht in begründeter Weise von einer zukünftigen dauerhaften Legalisierung seines Aufenthalts ausgehen. Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ohne Hinzutritt weiterer maßgeblicher Umstände noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH vom 15.03.2016, Ra 2016/19/0031 mwN).

Es ist jedoch insoweit auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, als selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht, sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (VwGH vom 06.11.2009, Zl. 2008/18/0720 und vom 25.02.2010, Zl. 2010/18/0029).

Der BF ist zwar strafgerichtlich unbescholten, doch hat dieser Umstand allein nicht das für die Annahme einer sozialen Integration zukommende Gewicht.

Er verbrachte den weitaus überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat, besuchte dort die Schule, war dort bereits erwerbstätig und wurde dort sozialisiert. Der BF spricht die Mehrheitssprache der Herkunftsregion auf muttersprachlichem Niveau, gehört der Religion der Mehrheitsbevölkerung an (selbst wenn er diese nicht praktiziert, so hat er doch zu keinem Zeitpunkt angegeben, von seiner Religion abgefallen zu sein) und deutet nichts darauf hin, dass es ihm im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich sein sollte, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.

In Anbetracht der im Verhältnis zu seinem Alter erst kurzen Zeit des Aufenthaltes in Österreich und der vorgebrachten Tatsachen überwiegt das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung, insbesondere in Hinblick auf die Einhaltung eines geordneten Vollzuges des Aufenthalts- und Fremdenrechts, das familiäre und private Interesse des BF an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet. Im gegenständlichen Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass ein sechs Jahre dauernder faktischer Aufenthalt in Österreich vorliegt, der zudem noch durch eine illegale Einreise herbeigeführt wurde. Ihm ist weiter vorzuhalten, dass ihm zumindest seit dem Erhalt des ablehnenden Beschlusses des VfGH die Ungewissheit seines weiteren Verbleibes im Bundesgebiet bewusst gewesen sein musste und auch die Beziehung zu XXXX zu einem Zeitpunkt eingegangen wurde, zu welchem der Verbleib des BF in Österreich unsicher war.

Nach Maßgabe der Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG begegnet es daher keinen Bedenken, dass die belangte Behörde davon ausgegangen ist, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der beschwerdeführenden Partei im Bundesgebiet das persönliche Interesse an einem Verbleib überwiegt. Dass durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK vorläge, ist nicht ersichtlich.

Auch sind sonst keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht substantiiert vorgebracht worden, dass gegenständlich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre. Die belangte Behörde ist des Weiteren auch nach Abwägung aller dargelegten persönlichen Umstände zu Recht davon ausgegangen, dass ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG von Amts wegen nicht zu erteilen ist. Schließlich sind in Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm § 46 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, die eine Abschiebung in den Irak unzulässig machen würden.

3.3.5. Die in Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides vom XXXX.2018 entfallende Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht der in § 55 Abs. 1a FPG enthaltenen Normierung. Dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwögen, wurde nicht vorgebracht. Diesbezüglich finden sich auch keinerlei Ausführungen in der Beschwerdeschrift. Zusätzlich konnte der BF spätestens nach dem negativen Beschluss des VfGH vom XXXX, nicht damit rechnen, dass sein weiterer Aufenthalt von Dauer ist.

3.3.6. Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung und die nicht gewährte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, ist auch der gegen die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides gerichtete Teil der Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

3.4. Zu Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids:

3.4.1. Gemäß § 53 Abs. 1 FPG kann mit einer Rückkehrentscheidung vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

Ein Einreiseverbot ist gemäß § 53 Abs. 3 FPG für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG ein Fremder von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Bei der Bemessung eines Einreiseverbotes nach § 53 FPG ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, bei der die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen hat, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Aufenthalt als solchem zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Die Erfüllung eines Tatbestandes nach § 53 Abs. 3 FPG indiziert, dass der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (vgl. zuletzt VwGH 25.05.2020, Ra 2019/19/0116 mwH). Ein Fehlverhalten kann auch dann zur Beurteilung der Gefährdungsprognose herangezogen werden kann, wenn dieses nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat (vgl. etwa VwGH 22.01.2014, 2012/22/0246; 26.1.2010, 2008/22/0890).

In Bezug auf die Vornahme einer Gefährdungsprognose ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier: eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. zuletzt VwGH 25.05.2020, Ra 2019/19/0116 mwH).

3.4.2. Dem Beschwerdeführer wird von der belangten Behörde vorgeworfen, den Folgeantrag auf internationalen Schutz missbräuchlich gestellt zu haben und daher die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden. Dieser Antrag würde das gesamte Asylsystem blockieren und einen Missbrauch desselben darstellen. Eine Subsumption des Verhaltens des BF unter einen der Tatbestände des § 53 FPG sei zwar nicht möglich, gefährde jedoch auch die Interessen des Art. 8 EMRK.

Ein derartig schwerer Missbrauch des Asylsystems konnte im Zuge der Verhandlung nicht festgestellt werden zumal der BF zwar einen – im Ende unbegründeten – Folgeantrag auf internationalen Schutz gestellt hat, dies jedoch spätestens seit seiner Einvernahme vor dem BFA unter Betreuung seiner damaligen Rechtsberatung durch die ARGE-Rechtsberatung (ein Vertreter dieser Organisation wohnte der niederschriftlichen Einvernahme am 27.09.2018 bei) erfolgte.

Im gegenständlichen Fall erfüllt der BF keinen der im § 53 Abs. 2 FPG aufgezählten Tatbestände. Die in Abs. 2 leg. cit. enthaltene Aufzählung ist zwar nicht taxativ sondern demonstrativ zu sehen, wie sich aus dem Terminus „insbesondere“ ergibt, jedoch ist der BF in Österreich bisher strafgerichtlich unbescholten (Erhebungen gegen ihn wegen einem Vorfall in einem ehemaligen Asylquartier wurden eingestellt) und auch sonst mit der österreichischen Rechtsordnung nicht in Konflikt geraten. Ausschließlich wegen eines – letztendlich unbegründeten – Folgeantrags auf internationalen Schutz ein Einreiseverbot abzuleiten ist hieraus nicht möglich, zumal dem BF nicht unterstellt werden kann, dies bewusst missbräuchlich gemacht zu haben. Der für ihn negative Verfahrensausgang hinsichtlich des Folgeantrags auf internationalen Schutz führt bereits jetzt zu einer Rückführung in seine Heimat. Dass er sich während des aufrechten Zweitverfahrens nicht freiwillig in den Irak begeben hat ist ihm zwar anzulasten, erreicht jedoch nicht jenes Ausmaß an Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, welches ein Einreiseverbot als verhältnismäßig erscheinen lässt zumal er zu diesem Zeitpunkt in einem weiteren Asylverfahren stand.

Das vom BFA erlassene Einreiseverbot ist daher nicht rechtmäßig und Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids ersatzlos zu beheben.

Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständlichen Entscheidungen ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die jeweilige Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weichen die gegenständliche Entscheidungen von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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