VwGH Ra 2018/07/0353

VwGHRa 2018/07/035325.10.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofrätin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Stadt Innsbruck, vertreten durch Dr. Andreas Brugger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Salurner Straße 16, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 5. Dezember 2017, Zl. LVwG- 2017/37/1800-5, betreffend die Zurückweisung eines Antrages in einer Angelegenheit des Tiroler Wald- und Weideservitutengesetzes (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §68 Abs2;
AVG §68 Abs3;
AVG §68 Abs4;
FlVfGG §42;
VwGVG 2014 §17;
VwRallg;
WWSGG §2 Abs1;
WWSGG §37;
WWSLG Tir 1952 §2 Abs2;
WWSLG Tir 1952 §42;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018070353.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte:

2 Mit Servitutenregulierungsurkunde vom 1. März 1890 (im Folgenden: SRU) stellte die k.k. Grundlasten-Ablösungs- und Regulierungs-Local-Kommission für das Ober- und Unterinntal über Anmeldung der Gemeinde Hötting fest, dass auf 980 privaten Waldparzellen im Ausmaß von 845,92 ha ein Weiderecht zugunsten dieser Gemeinde als solcher und zugunsten der Stadtgemeinde Innsbruck (in weiterer Folge: Revisionswerberin), zugunsten letzterer jedoch nur rücksichtlich der am linken Inn-Ufer gelegenen Stadtteile, bestehe. Laut dieser SRU durfte die Weide nur gemeinsam ausgeübt werden.

3 Mit Bescheid vom 18. Juli 1925 leitete die Agrarbehörde über Antrag der Gemeinde Hötting ein Servitutenverfahren in Bezug auf diese Weiderechte ein; dieses Verfahren ist bis heute nicht abgeschlossen.

4 Im Jahr 1938 wurde die Revisionswerberin zur Rechtsnachfolgerin der eingemeindeten Gemeinde Hötting bestimmt.

5 Mit Bescheid vom 5. Mai 1967 erließ das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz auf der Grundlage des § 42 Tiroler Wald- und Weideservitutengesetzes (WWSG) für die Ausübung der den Viehbesitzern von in Innsbruck und im Stadtteil zwischen dem Inn und Hötting liegenden Gütern nach der SRU zustehenden Weiderechte in den Höttinger Waldungen mehrere Bestimmungen:

6 In Spruchpunkt 1. wurden gemäß § 9 Abs. 2 WWSG die 89 weideberechtigten Güter festgestellt. In Spruchpunkt 2. fasste die Agrarbehörde die jeweiligen Eigentümer der festgestellten berechtigten Liegenschaften gemäß § 50 Abs. 2 und 3 WWSG zur "Weideinteressentschaft Hötting" als "Servitutengemeinschaft" zusammen. Die Vertretung und Verwaltung in allen die Ausübung der Weiderechte betreffenden Angelegenheiten wurde mit einem eigenen Vertretungsstatut geregelt.

7 In Spruchpunkt 3. verfügte die Agrarbehörde, dass das Weiderecht mit Bezahlung eines Ablösebetrages an die Weideinteressentschaft Hötting von ATS 1,00/m2 erlischt, soweit auf Grundparzellen, die im Baugebiet liegen, eine Baubewilligung erteilt wird. Auf Parzellen, die öffentlichen, sozialen oder kirchlichen Einrichtungen dienten, sowie auf Bauflächen, die vor Ende des Zweiten Weltkrieges verbaut wurden, wurde das entschädigungslose Erlöschen der Dienstbarkeit der Weide verfügt.

8 Die Agrarbehörde verfügte mit Bescheid vom 5. Februar 1997 Folgendes:

"Auf Grund der Servitutenregulierungsurkunde ... vom

1.3.1890, ..., bestehen zugunsten der ehemaligen Gemeinde Hötting und zugunsten der Stadtgemeinde Innsbruck, jedoch nur rücksichtlich des am linken Inn-Ufer gelegenen Stadtteiles bzw. zugunsten der Viehbesitzer der ehemaligen Gemeinde Hötting und der Viehbesitzer im vorbezeichneten Stadtteil Dienstbarkeitsrechte der Weide. Für die Ausübung dieser Weiderechte wurde mit Bescheid vom 05.05.1967, ..., eine Provisorialverfügung nach § 42 WWSG erlassen.

Das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz stellt hiermit gemäß § 38 Abs. 2 des Wald- und Weideservitutengesetzes, LGBl. Nr. 21/1952, fest, daß die mit der zitierten Servitutenurkunde regulierten Weiderechte der mit Bescheid vom 03.07.1995, ..., körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft Hötting zustehen. Gemäß § 42 leg. cit. werden die Spruchpunkte 1 und 2 des Bescheides vom 5.5.1967 aufgehoben und die Weideinteressentschaft Hötting aufgelöst. Deren Rechtsnachfolgerin ist die Agrargemeinschaft Hötting, auf die auch das Vermögen der Weideinteressentschaft übergeht."

9 Mit Schriftsatz vom 24. Mai 2011 beantragte die N-GmbH die Zustellung des Bescheides vom 5. Februar 1997 und erhob nach Bescheidzustellung gegen die Bescheide der Agrarbehörde vom 5. Februar 1997 und vom 5. Mai 1967 Berufung.

10 Sie führte aus, dass die Einforstungsrechte laut SRU mit den angefochtenen Bescheiden neu geordnet worden seien. Obwohl sie Eigentümerin der mit den Servitutsweiderechten belasteten Liegenschaft EZ 1541 sei, sei sie keinem der beiden agrarbehördlichen Verfahren beigezogen worden. Die Weiderechte hätten ohne Zustimmung aller privaten Eigentümer weder auf die Weideinteressentschaft Hötting noch auf die Agrargemeinschaft Hötting übertragen werden dürfen. Durch die beiden angeführten Bescheide sei daher in ihre Eigentümerrechte eingegriffen worden.

11 Der Landesagrarsenat beim Amt der Tiroler Landesregierung wies mit Erkenntnis vom 23. Mai 2012 die Berufung der N-GmbH gegen den Bescheid vom 5. Mai 1967 als unzulässig zurück (Spruchteil A) bzw. die Berufung der N-GmbH gegen den Bescheid vom 5. Februar 1997 als unbegründet ab (Spruchteil B).

12 Mit hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2015, 2012/07/0153, hob der Verwaltungsgerichtshof diesen Bescheid im Umfang seines bekämpften Spruchpunktes B) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

13 Mit Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol (LVwG) vom 28. April 2016 wurde der Bescheid der Agrarbehörde vom 5. Februar 1997 behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Tiroler Landesregierung als gemäß § 38 Abs. 1 WWSG zuständiger Agrarbehörde zurückverwiesen.

14 Zum vorliegenden Verfahren:

15 Mit Schriftsatz vom 11. August 2016 beantragte die Revisionswerberin bei der Agrarbehörde, die Spruchpunkte 1. und 2. des Bescheides vom 5. Mai 1967 sowie in Spruchpunkt 3. dieses Bescheides die Worte "an die Weideinteressentschaft Hötting"aufzuheben.

16 Dazu nahm die Agrargemeinschaft Hötting mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2016 Stellung.

17 Die Revisionswerberin wies in ihrem Schreiben vom 14. November 2016 auf die fehlende Parteistellung der Agrargemeinschaft Hötting hin und erläuterte ihr Antragsvorbringen vom 11. August 2016.

18 Die N-GmbH schloss sich mit Schriftsatz vom 15. November 2016 den Anträgen und Ausführungen der Revisionswerberin an.

19 Mit Schriftsatz vom 8. März 2017 erhob die N-GmbH, mit Schriftsatz vom 2. Mai 2017 die Revisionswerberin jeweils Säumnisbeschwerde.

20 Mit Bescheid vom 7. Juni 2017 wies die Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde gemäß § 38 Abs. 1 WWSG in Verbindung mit § 68 AVG und mit § 16 VwGVG den Antrag der Revisionswerberin vom 11. August 2016 und den Antrag der N-GmbH vom 15. November 2016 zurück (Spruchpunkt I.) und stellte fest, dass einer Beschwerde gegen diesen Bescheid keine aufschiebende Wirkung zukomme (Spruchpunk II.).

21 Dagegen erhoben sowohl die Revisionswerberin als auch die N-GmbH jeweils Beschwerde an das LVwG.

22 Das LVwG führte am 14. November 2017 eine mündliche Verhandlung durch.

23 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 5. Dezember 2017 wurden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen. Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen.

24 Das LVwG stellte zum Prüfungsumfang fest, die Agrarbehörde habe mit Bescheid vom 7. Juni 2017 die Anträge der Revisionswerberin und der N-GmbH als unzulässig zurückgewiesen. Es sei daher zu prüfen, ob diese Zurückweisungen, also formale Entscheidungen, zu Recht ergangen seien. Dabei habe sich das LVwG auch mit der Rechtsfrage auseinanderzusetzen, ob die belangte Behörde zu Recht § 68 Abs. 7 AVG angewendet habe.

25 Das LVwG ging davon aus, dass mit seinem Beschluss vom 28. April 2016 der Bescheid der Agrarbehörde vom 5. Februar 1997 - und damit die in diesem Bescheid getroffene Feststellung der "körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft Hötting" als Servitutsberechtigte und als Rechtsnachfolgerin der aufgelösten Weideinteressentschaft Hötting sowie die Aufhebung der Spruchpunkte 1. und 2. des Bescheides vom 5. Mai 1967 - aufgehoben worden sei. Der letztgenannte Bescheid der Agrarbehörde sei daher wieder in seinem vollen Umfang wirksam. Servitutsberechtigte seien folglich die in diesem Bescheid festgestellten 89 weideberechtigten Güter und nicht mehr die Agrargemeinschaft Hötting.

26 Das LVwG befasste sich in weiterer Folge allgemein mit der Abänderung und Behebung von Bescheiden nach § 68 AVG. Die einer Behörde nach § 68 Abs. 2 bis 4 AVG eingeräumte Befugnis, von einem bereits rechtskräftigen Bescheid wieder abzugehen, solle ihr im Interesse der Rechtssicherheit nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen zustehen. Das Vorhandensein der Voraussetzungen für die Abänderung oder Behebung des Bescheides nach den zitierten Bestimmungen müsse, da es sich um eine Ausnahme von der grundsätzlich bestehenden materiellen Rechtskraft handle, immer streng geprüft werden.

27 § 68 Abs. 2 AVG diene der (ex nunc erfolgenden) Beseitigung der Bindungswirkungen eines rechtskräftigen Bescheides. Der Anwendungsbereich des § 68 Abs. 2 AVG beziehe sich auf Fälle, in denen der Bescheid zum Zeitpunkt seiner Abänderung oder Behebung Bindungswirkungen entfalte und der Bescheid der Erlassung eines neuen Bescheides "wegen entschiedener Sache" entgegenstünde (Hinweis auf VwGH 13.9.2017, Ra 2017/12/0011).

28 Gemäß § 68 Abs. 7 AVG stehe auf die Ausübung des der Behörde gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG zustehenden Abänderungs- und Behebungsrechts niemandem ein Anspruch zu. Durch die Nichtausübung könne somit eine Rechtsverletzung nicht stattfinden.

29 Zur Beschwerde der Revisionswerberin heißt es zusätzlich, diese habe in ihrem Antrag vom 12. August 2016 und in ihrer Beschwerde dargelegt, aus welchen Gründen der Bescheid vom 5. Mai 1967 bereits zum damaligen Zeitpunkt rechtswidrig gewesen sei. Die begehrte Aufhebung und Abänderung verfolge insbesondere den Zweck, die dort getroffene Feststellung der 89 weideberechtigten Güter "rückgängig zu machen", um wieder die entsprechende Regelung in der SRU vollumfänglich in Geltung zu setzen.

30 Der Bescheid der Agrarbehörde vom 5. Mai 1967 stütze sich auf § 42 WWSG in der damals geltenden Fassung und sei somit als Provisorialverfügung zu qualifizieren. Einer Provisorialverfügung im Sinne des § 42 WWSG komme normativer Inhalt zu. Der Charakter als Provisorium allein führe nicht dazu, dass von einem solchen Provisorium vor Erlassung der im Servitutenverfahren getroffenen Regelungen jederzeit wieder abgewichen werden könnte. Auch ein Provisorialbescheid unterliege, wenn er rechtskräftig geworden sei, den Regeln des AVG über die Abänderung rechtskräftiger Bescheide.

31 Gemäß § 68 Abs. 7 AVG stehe auf die Ausübung des der Behörde gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG zustehende Abänderungsrechtes niemandem ein Anspruch zu. Die Ausübung des Abänderungs- und Aufhebungsrechtes könne daher angeregt, nicht aber erzwungen werden. Die Zurückweisung des von der Revisionswerberin auf Wahrnehmung des Abänderungs- und Aufhebungsrechtes gerichteten Antrages verletzte somit keine Rechte.

32 Darüber hinaus hielt das LVwG fest, dass der Tatbestand des § 68 Abs. 2 AVG nicht erfüllt sei, weil der Provisorialbescheid 89 Güter als weideberechtigt festgestellt und damit Rechte begründet habe. § 68 Abs. 2 AVG erlaube allerdings nur die Aufhebung von Bescheiden, aus denen niemandem ein Recht erwachsen sei.

33 In weiterer Folge erläuterte das LVwG näher, aus welchen Gründen weder vom Aufhebungsrecht gemäß § 68 Abs. 4 AVG Gebrauch zu machen noch nach § 68 Abs. 3 AVG vorzugehen gewesen sei.

34 Unter der Überschrift "Ergänzende Ausführungen" verwies das LVwG darauf, dass die Vorschrift des § 42 WWSG die Agrarbehörde zu sogenannten "Provisorien" ermächtigte. Ein solches Provisorium diene einer kurzfristigen Regelung. Im Gegensatz zu den ebenfalls im § 42 WWSG vorgesehenen Überleitungsverfügungen dienten Provisorien nicht der Transformation von einem alten Stand in einen neuen Stand, sondern der einstweiligen Regelung der Ausübung der Einforstungsrechte. Diese einstweilige Regelung bilde vorderhand den Ersatz für eine nach Abschluss des Verfahrens notwendige Dauerlösung. Dadurch unterscheide sie sich auch von den Sicherungsverfahren nach § 31 WWSG, bei denen die Ausübbarkeit der Einforstungsrechte im Mittelpunkt stehe (Lang, Tiroler Agrarrecht II, S 134f). Ausgehend vom Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde vom 5. Mai 1967 bestehe nunmehr seit mehreren Jahrzehnten ein solches "Provisorium". Es sei daher dringend notwendig, die Verhältnisse der Weideberechtigungen endgültig zu klären.

35 Als Ergebnis hielt das LVwG fest, dass gemäß § 68 Abs. 7 AVG auf die Ausübung des der Behörde gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG zustehenden Abänderungsrechts niemandem ein Anspruch zustehe. Die Zurückweisung des auf Wahrnehmung des Abänderungs- und Aufhebungsrechtes gerichteten Antrages verletze somit keine Rechte der Revisionswerberin. Die Beschwerde (auch) der Revisionswerberin sei daher als unbegründet abzuweisen gewesen.

36 Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen, weil im gegenständlichen Beschwerdeverfahren die von der belangten Behörde auf § 68 Abs. 7 AVG gestützte Zurückweisung von Anträgen der Beschwerdeführerinnen zu beurteilen gewesen sei. Das Landesverwaltungsgericht Tirol habe sich dabei auf den eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung sowie auf die dazu ergangene einheitliche Judikatur stützen können. Eine Rechtsfrage von "erheblicher Bedeutung" sei daher nicht zu klären gewesen.

37 Die Revisionswerberin wandte sich gegen dieses Erkenntnis an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluss vom 27. Februar 2018, E 169/2018-5, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie mit Beschluss vom 13. März 2018, E 169/2018-7, dem Verwaltungsgerichtshof abtrat. Aus der Begründung des Ablehnungsbeschlusses geht hervor, dass der Verfassungsgerichtshof die Bestimmung des § 42 WWSG, deren Verfassungskonformität in der Beschwerde in Zweifel gezogen worden war, nicht als präjudiziell erachtete, weil sie vorliegendenfalls weder angewandt wurde noch anzuwenden gewesen wäre.

38 In der gegen dieses Erkenntnis erhobenen außerordentlichen Revision macht die Revisionswerberin Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

39 Die Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erstattete dazu eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragte.

40 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

41 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

42 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

43 1. Die in der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen befassen sich unter unterschiedlichen Aspekten mit Fragen der Grenzen der Rechtskraft von Bescheiden und der Relevanz einer geänderten Sach- und Rechtslage. Sie gehen offenbar davon aus, dass dem Abänderungsantrag vom 11. August 2016 die Rechtskraft des Bescheides vom 5. Mai 1967 nicht entgegen gehalten und der Antrag nicht "wegen entschiedener Sache" zurückgewiesen hätte werden dürfen. Auch wird die Frage aufgeworfen, ob ein gemäß § 42 WWSG erlassenes Provisorium aufzuheben/abzuändern sei, wenn die die Erlassung dieses Provisoriums rechtfertigenden Gründe nach Bescheiderlassung wegfielen. Für Provisorien wie § 42 WWSG müssten dieselben Überlegungen gelten wie für Einstweilige Verfügungen nach der EO; diese seien bei Änderung der maßgeblichen Verhältnisse wieder aufzuheben.

44 Vorauszuschicken ist, dass sich der verfahrenseinleitende Antrag der Revisionswerberin vom 11. August 2016 auf die Aufhebung der Spruchpunkte 1. und 2. bzw. die Abänderung des Spruchpunktes 3. des rechtskräftigen Bescheides vom 5. Mai 1967 (Provisorialbescheid), somit letztlich auf den Wegfall dieser Regelungen und die Wiederherstellung des davor bestanden habenden Zustandes nach der SRU, richtete.

45 2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer Provisorialverfügung im Sinne des § 42 WWSG normativer Inhalt zu; ein solcher Bescheid unterliegt dann, wenn er rechtskräftig geworden ist, den Regeln des AVG über die Abänderung rechtskräftiger Bescheide (VwGH 25.11.1999, 99/07/0090-0091; 17.12.2015, 2012/07/0153). Schon daran scheitert die Überlegung in der Revision, rechtliche Regelungen und Aspekte der EO in dieses Verfahren einzubeziehen (vgl dazu VwGH 14.9.1993, 93/07/0015).

46 Nach § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung nach § 68 Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

47 Der tragende Grundsatz der Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern (VwGH 17.2.2015, Ra 2014/09/0029); die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die entschiedene Sache, also durch die Identität der Rechtssache, über die bereits mit einer formell rechtskräftigen Entscheidung abgesprochen wurde, mit der nunmehr vorliegenden (etwa der in einem neuen Antrag intendierten) bestimmt (VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050).

48 Von einer nachträglichen Änderung der Sache ist der Fall zu unterscheiden, in dem der Sachverhalt anders rechtlich beurteilt wird oder neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung vorlagen, aber erst später bekannt wurden ("nova reperta"). Die schon vor Erlassung der Entscheidung bestehende Sachlage ist von der Rechtskraft des Bescheides erfasst und bindet Gerichte und Behörden, solange diese Entscheidung dem Rechtsbestand angehört (VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050; 13.9.2016, Ro 2015/03/0045).

49 Bei der Beurteilung der "Identität der Sache" ist in primär rechtlicher Betrachtungsweise festzuhalten, ob in den entscheidungsrelevanten Fakten eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Maßgeblich für die Entscheidung der Behörde ist dabei nicht nur § 68 Abs. 1 AVG und für die Berufungsbehörde § 66 Abs. 4 AVG. Vielmehr hat die Behörde die Identität der Sache im Vergleich mit dem im Vorbescheid angenommenen Sachverhalt im Lichte der darauf angewendeten (insbesondere materiellrechtlichen) Rechtsvorschriften zu beurteilen und sich damit auseinander zu setzen, ob sich an diesem Sachverhalt oder seiner "rechtlichen Beurteilung" (an der Rechtslage) im Zeitpunkt ihrer Entscheidung über den neuen Antrag eine wesentliche Änderung ergeben hat. Wesentlich ist eine Änderung nur dann, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgeblich erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde lagen, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann und daher die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides zumindest möglich ist (VwGH 20.5.2010, 2008/07/0104; 24.3.2001, 2007/07/0155).

50 Eine seit der seinerzeitigen Bescheiderlassung eingetretene Änderung im maßgebenden Sachverhalt verpflichtet die Behörde dann zu einer neuen Sachentscheidung, wenn durch die Sachlage eine andere rechtliche Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen ist (VwGH 17.2.1987, 86/04/0131; 27.9.2000, 98/12/0057).

51 3. Nach § 42 WWSG kann die Agrarbehörde die Ausübung von Dienstbarkeiten mit einem Provisorium vorläufig regeln, wenn die Durchführung eines Servitutenverfahrens aus wichtigen wirtschaftlichen Gründen nicht abgewartet werden kann.

52 § 42 WWSG enthält keine Bestimmungen darüber, wann ein Provisorium endet. Aus Sinn und Zweck eines Provisoriums folgt aber, dass die in ihm verfügten Anordnungen durch die im Servitutenverfahren (Regulierungsverfahren) getroffenen Regelungen ersetzt werden. Bis zur Erlassung derartiger Regelungen bleibt das Provisorium in Kraft, sofern in dem Bescheid über das Provisorium selbst keine Bestimmungen über dessen zeitliche Geltungsdauer enthalten sind (VwGH 14.9.1993, 93/07/0015).

53 Eine - wie hier - jahrzehntelange Geltung eines Provisoriums widerspricht seiner Intention; darauf hat das LVwG auch zutreffend hingewiesen. Allerdings führt der Umstand einer langen Geltung des Provisoriums nicht dazu, dass die Regeln des AVG über die Abänderung rechtskräftiger Bescheide keine Gültigkeit mehr hätten und von einem solchen Provisorium vor Erlassung der im Servitutenverfahren getroffenen Regelungen jederzeit wieder abgewichen werden könnte (vgl. dazu neuerlich VwGH 25.11.1999, 99/07/0090-0091; 17.12.2015, 2012/07/0153).

54 Daher erweist sich ein Antrag auf Abänderung oder Aufhebung eines rechtskräftig verfügten Provisoriums jedenfalls nur dann als zulässig, wenn darin - in Übereinstimmung mit der obgenannten Rechtsprechung - eine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage geltend gemacht worden wäre. Anderenfalls stünde einer Sachentscheidung "res iudicata" entgegen und wäre ein begehrter Eingriff in die Rechtskraft an den Bestimmungen der §§ 68 Abs. 2 bis 4 AVG zu messen.

55 4. Mit dem verfahrensgegenständlichen Antrag vom 11. August 2016 strebte die revisionswerbende Stadtgemeinde die Abänderung bzw. Aufhebung des Provisoriums aus unterschiedlichen Gründen an; vor allem deshalb, weil das Provisorium im Zeitpunkt seiner Erlassung nicht korrekt oder unvollständig gewesen sei oder im Widerspruch zur SRU gestanden sei oder stehe.

56 In der Revision meint die Revisionswerberin, sie hätte auch Gründe vorgebracht, die erst nach der Erlassung des Provisoriums entstanden seien und die zumindest möglicherweise einen anderen Inhalt des Provisoriums nach sich gezogen hätten.

57 4.1. Als nachträgliche Änderung des Sachverhaltes nennt sie den Umstand, dass die Mehrheit der 1967 festgestellten Weideberechtigten die Weide nicht mehr ausübe bzw. an einer Ausübung offenkundig nicht mehr interessiert sei. Es lägen daher keine wichtigen wirtschaftlichen Interessen mehr vor, um im Rahmen eines Provisoriums ein Weiderecht zugunsten dieser uninteressierten Personen festzustellen.

58 Nun führt nach § 2 Abs. 2 WWSG eine Nichtausübung von Weiderechten aber nicht dazu, dass diese Rechte erlöschen. Der Umstand, dass bestimmte Weideberechtigte ihre Rechte nicht mehr ausüben und auch offenkundig kein Interesse mehr daran haben, ändert nichts daran, dass diesen Weideberechtigten ihre Rechte weiterhin zustehen. Dass es zwischenzeitig zu einer rechtswirksamen Ablöse oder einem rechtswirksamen Erlöschen solcher Rechte gekommen wäre, wird nicht vorgebracht. Für die verbliebenen aktiven Weideberechtigten ändert sich ebenfalls nichts am Ausmaß ihrer Nutzungsrechte.

59 Spruchpunkt 1 des Provisorialbescheides trifft keine konkreten inhaltlichen Weideanordnungen, die sich gegebenenfalls nur an aktiv ausübende Berechtigte richteten, sondern stellt vor dem Hintergrund der SRU die Weideberechtigen normativ fest (vgl. zu einem ähnlichen Fall VwGH 25.11.1999, 99/07/0090-0091). Mit dem obgenannten Vorbringen zeigt die Revisionswerberin daher nicht auf, dass sich an der Weideberechtigung der in Spruchpunkt 1. des Provisorialbescheides genannten 89 Güter (mit eigenem überwinterten Vieh) etwas geändert hätte.

60 Wenn das Provisorium aber seinerseits in rechtswidriger Weise eine im Vergleich zur SRU unrichtige Feststellung der Weideberechtigten getroffen hätte, was im Antrag und im Verfahrens fallweise behauptet wurde, so stellte dieser Umstand ebenfalls keine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage dar.

61 Mit dem Hinweis auf nichtausgeübte Weideberechtigungen wird daher keine relevante Änderung der Sach- oder Rechtslage dargetan.

62 4.2. Dies gilt auch für das Argument, dass die Weideinteressentschaft, von der im Proviorialbescheid noch die Rede sei, gar nicht mehr existiere bzw. nicht wieder "reaktiviert" worden sei.

63 Mit Spruchpunkt 2. des Provisorialbescheides war die Weideinteressentschaft ins Leben gerufen worden; dieser Teil des Provisorialbescheides und das (einen weiteren Teil dieses Spruchpunkts darstellende) Vertretungsstatut der Weideinteressentschaft erlangten - wie die Revisionswerberin zutreffend darstellte - nach der Aufhebung des Bescheides der Agrarbehörde vom 5. Februar 1997 wieder volle Rechtswirksamkeit.

64 Nach § 26 des Vertretungsstatuts der Weideinteressentschaft kann die Agrarbehörde die Vollversammlung der Weideinteressentschaft einberufen und gegebenenfalls sogar einen Verwalter einsetzen, falls die Gemeinschaft die vorgesehene Verwaltung nicht bestellt oder diese nicht wirksam fortbesteht. Ein solcher Fall liegt vor; wie diesfalls vorzugehen ist, ist ausdrücklich geregelt. Ein allfälliges Versäumnis der Agrarbehörde bei der Vornahme dieser, die Handlungsfähigkeit der Weideinteressentschaft wiederherstellenden Schritte, führt aber nicht zur Annahme, dass die Weideinteressentschaft nicht mehr existierte.

65 Eine maßgebliche Änderung der Sachlage wird daher auch unter diesem Aspekt nicht geltend gemacht.

66 4.3. Weiters wird darauf verwiesen, es sei zwischenzeitig eine Novelle zum Innsbrucker Stadtrecht erlassen worden (LGBl. Nr. 121/2011), wonach die Weiderechte, die der Stadtgemeinde zustünden, zum Gemeindegut gehörten. Diese Bestimmungen dienten daher der Sicherung der althergebrachten Weiderechte der nutzungsberechtigten Liegenschaften für deren Haus- und Grundbedarf. Angesichts dieser rechtlichen Absicherung im Stadtrecht bedürfte es der im Provisorium getroffenen Weiderechtsfeststellung nicht mehr.

67 Mit diesem Vorbringen wird keine relevante Änderung der Rechtslage geltend gemacht. Wenn sich aufgrund einer zwischenzeitig geänderten Rechtslage der gleiche rechtliche Zustand ergibt wie der im Provisorium geregelte Zustand, so stellt dies keinen Grund dar, mit einer Aufhebung des Provisoriums vorzugehen, weil dieses mit der genannten geänderten Rechtslage nicht in Widerspruch steht, es somit zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung kommt.

68 Angesichts dessen erübrigte sich eine inhaltliche Prüfung der Frage, ob es sich bei der zitierten Novellierung des Innsbrucker Stadtrechtes tatsächlich - wie behauptet - um die gleichen Regelungsinhalte wie im Provisorialbescheid bzw. in der SRU handelt.

69 5. Die Revision wendet sich nicht gegen die (zutreffenden) Überlegungen des LVwG im Zusammenhang mit dem Fehlen der Voraussetzungen für ein Vorgehen nach § 68 Abs. 2 bis 4 in Verbindung mit Abs. 7 AVG.

70 6. In der Revision wird schließlich - ebenfalls im Zusammenhang mit dem Vorliegen von res iudicata - die Frage nach der gesetzmäßigen Begründung eines Erkenntnisses aufgeworfen.

71 Damit wird aber ebenfalls keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt, ergibt sich doch aus dem Duktus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses, dass das LVwG dem Vorbringen der Revisionswerberin keine Änderung der Sach- und Rechtslage seit Erlassung des Provisoriums entnehmen konnte und sich deshalb ausführlich mit dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 68 Abs. 2 bis 4 AVG befasste.

72 7. Die Revisionswerberin stellt auch die Verfassungskonformität des § 42 WWSG in Frage.

73 Diesbezüglich genügt der Hinweis auf den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Februar 2018, E 169/2018-5, mit dem die Behandlung der Beschwerde, die solche Bedenken bereits geltend gemacht hatte, abgelehnt worden war. Auch nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes wurde im vorliegenden Fall die Bestimmung des § 42 WWSG nicht unmittelbar angewendet; das angefochtene Erkenntnis, mit dem die Zurückweisung des Antrags der Revisionswerberin wegen res iudicata bestätigt worden war, stützt sich maßgeblich auf die Bestimmung des § 68 AVG.

74 8. Die Revision legt somit eine grundsätzliche Rechtsfrage nicht dar und war daher zurückzuweisen.

Wien, am 25. Oktober 2018

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