BVwG L507 2213717-2

BVwGL507 2213717-220.10.2020

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2020:L507.2213717.2.00

 

Spruch:

 

 

L507 2213714-2/5E

L507 2213713-2/5E

L507 2213717-2/5E

L507 2213715-2/5E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerden des 1) XXXX , der 2) XXXX , des 3) XXXX , und des 4) XXXX , alle StA. Türkei, alle vertreten durch RA MMag. Salih Sunar, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.06.2020, Zlen. 1134911500/200330585, 1134912606/200330658, 1134912900/200330771 und 1134911010/200330879, zu Recht erkannt:

 

A) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang

 

1.1. Die Beschwerdeführer, sind Staatsangehörige der Türkei und stellten nach rechtswidriger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 11.11.2016 Anträge auf internationalen Schutz. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten und die Eltern der Dritt- und Viertbeschwerdeführer.

 

Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz brachte der Erstbeschwerdeführer bei der damaligen Erstbefragung vor, er sei Kurde und Mitglied der HDP. Alle Parteimitglieder der HDP seiner Ortspartei seien festgenommen worden. Er habe für die HDP gekocht und bei deren Veranstaltungen mitgemacht. Die türkische Polizei habe ihm gedroht ihn zu töten, wenn er keine Informationen der HDP liefern könne.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab bei der Erstbefragung an, dass es für alevitische Kurden in der Türkei keine Sicherheit zum Leben gebe. Ihre Kinder hätten in der Schule Probleme gehabt. Sie hätten zum Islamunterricht gehen müssen, obwohl sie Aleviten seien. Der Vater ihres Mannes habe die HDP unterstützt und sei auch eingesperrt worden. Diesem sei die Flucht gelungen und er sei nach Deutschland geflohen. Seither hätten die Militärbehörden immer wieder ihren Mann aufgesucht, um den Aufenthaltsort von dessen Vater zu erfahren. Er habe den Behörden gesagt, dass dieser in Deutschland sei, diese hätten ihm jedoch nicht geglaubt. Sie und ihr Mann hätten in der Türkei ein gut gehendes Restaurant betrieben, dieses jedoch verkauft, weil sie sich nicht mehr sicher gefühlt hätten. Sie gab zudem an, dass man sie im Falle ihres Verbleibes in der Türkei eingesperrt hätte.

Der Drittbeschwerdeführer gab bei der Erstbefragung an, dass er in der Schule ausgelacht worden sei, weil er Kurde sei. Sie seien dort eine Minderheit. Er habe mit seiner Familie dort nicht mehr bleiben wollen.

 

Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gab der Erstbeschwerdeführer zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates zusammengefasst an, dass er aufgrund seiner kurdischen Volkgruppenzugehörigkeit bzw. seiner alevitischen Religionszugehörigkeit vom Erdogan-Regime unter Druck gesetzt worden sei. Ihm sei von türkischen Behörden vorgeworfen worden, dass er die PKK unterstütze. Er sei auch von der türkischen Polizei bedroht worden, zuletzt nach dem Militärputsch. Seine Ehegattin und Kinder hätten dieselben Fluchtgründe.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab bei der Einvernahme vor dem BFA an, dass sie dieselben Fluchtgründe wie der Erstbeschwerdeführer habe. Auch der Drittbeschwerdeführer gab an, dieselben Fluchtgründe wie der Erstbeschwerdeführer zu haben. Zudem habe er Angst vor dem Militärdienst, da er als Kurde in Terrorgebiete gesandt werde.

 

Die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz wurden mit Bescheiden des BFA vom 18.12.2018 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG wurde der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG Rückkehrentscheidungen erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen eingeräumt (Spruchpunkt VI.).

 

1.2. Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit hg. Erkenntnissen vom 04.11.2019 als unbegründet abgewiesen.

 

Begründend wurde ausgeführt, dass den Beschwerdeführern in ihrem Heimatland eine begründete Furcht vor asylrelevanter Verfolgung nicht drohe. Ebenso habe unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Türkei der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung im Sinne der GfK ausgesetzt wären.

 

Es habe nicht festgestellt werden können, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung der Beschwerdeführer in die Türkei eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Feststellbar sei, dass den Beschwerdeführern im Rückkehrfall keine lebens- bzw. existenzbedrohende Notlage drohe. Den Beschwerdeführern sei eine Rückkehr in die Türkei zum Entscheidungszeitpunkt zumutbar.

 

Zu einer möglichen Integration der Beschwerdeführer in Österreich wurden folgende Feststellungen getroffen:

„Die BF2 – BF4 sprechen wenig Deutsch. Der BF1 verfügt über Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Der BF1 absolvierte Deutschprüfungen auf dem Niveau A2 und A1. Er besuchte auch danach einen Deutschkurs. Zudem hat er an einem Wertekurs des „ XXXX “ und einem Workshop für Energie und Klimaschutz im Wohnbereich teilgenommen. Er war außerdem im Oktober und Dezember 2017 sowie im März, Mai, Juni und Oktober 2018 ehrenamtlich in der Grundversorgungseinrichtung XXXX . Dabei hat er Reinigungstätigkeiten, Dolmetschdienste sowie Ausmal- und Ausbesserungsarbeiten übernommen. Der BF1 und die BF2 waren zudem ehrenamtlich bei Veranstaltungen der Gemeinde XXXX und des Vereins XXXX tätig, bei denen sie das Catering übernahmen. Die BF1 und BF2 waren zudem fallweise als Haushaltshilfen – für Reinigungsarbeiten wurden sie auch mit Dienstleistungscheck entlohnt – erwerbstätig. Die BF2 hat mehrere Deutschkurse besucht. Sie hat auch drei Basisbildungskurse: „Fokus Lesen und Schreiben“, „Deutsch auf dem Niveau A1“ und „Deutsch als Zweitsprache 1 Niveau A1“ der Bildungseinrichtung „ XXXX “ absolviert. Sie arbeitete seit Oktober 2018 bis zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt beim Mittagstisch im Kindergarten der Gemeinde XXXX im Ausmaß von 12 Wochenstunden. Die Beschwerdeführer bestreiten ihren Lebensunterhalt seit der Asylantragstellung großteils im Rahmen der staatlichen Grundversorgung. Sie leben in einer Unterkunft für Asylwerber in XXXX . Der BF1 ist Mitglied des kurdischen Vereins „ XXXX und besucht alevitische Vereine.

Der BF3 besucht in Österreich derzeit eine HTL in XXXX . Er hat an einem Erste-Hilfe-Kurs im Ausmaß von sechs Stunden teilgenommen. Zudem hat er an einem Deutschkurs auf dem Niveau A1 teilgenommen und eine Probeprüfung absolviert. Eine Deutschprüfung hat er bislang nicht absolviert. Der BF3 hat kurdische und österreichische Freunde. Mit diesen spielt er in seiner Freizeit Fußball. Er besucht zudem ein Fitnessstudio. Er ist kein Mitglied eines Vereins und hat bislang keine gemeinnützige Arbeit verrichtet. Der BF4 besucht die NMS in XXXX in der ersten Klasse.

Die Beschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten. Gegen den BF1 wurde wegen des Verdachts auf Diebstahl ermittelt. Das Ermittlungsverfahren wurde diversionell eingestellt.“

 

Zum Vorbringen der Beschwerdeführer wurde beweiswürdigend im Wesentlichen folgendes ausgeführt:

„Der BF1 brachte vor dem BFA im Rahmen der freien Schilderung seines Fluchtgrundes im Wesentlichen vor, dass die Lage für Kurden und Aleviten in der Türkei, seit Erdogan an der Macht sei, sehr schwierig sei. Seine Heimatregion sei schon immer eine Notstandsregion gewesen und seit dem Putschversuch am 15.07.2016 sei die Lage noch schlimmer. Erdogan habe durch diesen Putschversuch noch mehr Macht bekommen, was den BF1 gestört habe. Er habe das Gefühl gehabt, dass es erneut zu Ausschreitungen gegen Kurden oder Aleviten kommen werde und habe er letztlich wegen Erdogan das Land verlassen. Damit stützte der BF1 sein Fluchtvorbringen lediglich auf die allgemeine Lage in der Türkei und konnte jedenfalls keine ihn individuell betreffende asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen. Dies umso mehr, als den dem gegenständlichen Erkenntnis zugrunde gelegten länderkundlichen Informationen keine entsprechenden Umstände zu entnehmen sind, sondern daraus vielmehr hervorgeht, dass der nach dem Putschversuch ausgerufene Notstand bereits am 18.07.2018 aufgehoben wurde und die Herkunftsregion des BF1 – XXXX – zu keinem Zeitpunkt eine, wie von ihm behauptet, Notstandsregion war. Als weiteren Vorfall gab er an, dass Freunde von ihm von Österreich in die Türkei gereist und dort eingesperrt worden seien, wobei dies in Ermangelung jeglicher Konkretisierungen, wie etwa deren Namen, den Gründen für deren angebliche Festnahme, dem Zeitpunkt oder ähnlichen Details völlig unglaubhaft ist. Diese vage Schilderungsweise erstreckte sich auch auf sein weiteres Vorbringen, wonach er immer Druck vom Geheimdienst gehabt habe, von diesem beobachtet worden sei und von der Polizei mehrmals grundlos einvernommen worden sei. Nicht nur, dass es nicht nachvollziehbar war, weshalb gerade der BF1 unter Beobachtung des türkischen Geheimdienstes stehen hätte sollen, so war dies keineswegs damit in Einklang zu bringen, dass er ausführte, die Beschwerdeführer hätten in der Türkei ein schönes Leben gehabt und die Ausreise sei keine leichte Entscheidung gewesen. Aufgrund dieses widersprüchlichen und unplausiblen Vorbringens ist bereits erheblich am Wahrheitsgehalt der Ausführungen des BF1 zu zweifeln.

Das Aussageverhalten des BF1 in der mündlichen Verhandlung verstärkt diesen Eindruck. So blieb er die Antwort darauf, ob es während seines Militärdienstes Probleme gegeben habe – auch auf Fragewiederholung – schuldig und antwortete bloß ausweichend (siehe Verhandlungsprotokoll Seite 16).

Auch über Befragen in der Einvernahme durch das BFA brachte er keine konkreten Verfolgungshandlungen seitens der türkischen Behörden vor, sondern vermeinte er bloß, dass er verfolgt werde, weil er Kurde sei und ihm die Unterstützung der PKK vorgeworfen werde. In Ermangelung plausibler und vor allem konkreter auf ihn bezogener Angaben wurde der BF1 abermals über konkrete - ihn betreffende - Verfolgungshandlungen und der Gründe für solche befragt. Er brachte vor, dass seine Familie besonders von der Verfolgung der türkischen Behörden betroffen sei, weil oberhalb seines Restaurant ein Büro der HDP gewesen sei und ihm daher vorgeworfen wurde, die HDP finanziell zu unterstützten, wobei dieses Vorbringen abermals keine konkreten Vorfälle - die ihn betroffen hätten - enthielt. Befragt nach konkreten Bedrohungen seitens der türkischen Behörden stellte der BF1 diese schließlich wie folgt dar:

„LA: Wurden Sie konkret vonseiten der türkischen Behörden bedroht?

VP: Ja, Mehrmals. Das letzte Mal war das nach dem Militärputsch. Die türkische Polizei hat mich damals gefragt, warum ich die türkische Fahne nicht aufgezogen habe. Ich habe Ihnen dann meine Meinung gesagt. Warum soll ich es Aufhängen es ist ein Feiertag. Da haben Sie mich bedroht. Sie sagten, dass es für mich nicht gut sein wird. Das haben Sie mir Körpernah, Auge in Auge mehrmals gesagt.“

Mit diesem Vorbringen gelang es dem BF1 jedenfalls nicht eine tatsächliche asylrelevante Verfolgung seitens der türkischen Polizei glaubhaft zu machen, zumal schon der drohende Charakter fehlt und auch diese Angaben sehr vage sind.

Angesichts dieser vagen und überwiegend allgemein gehaltenen Angaben konnte der BF1 vor dem BFA jedenfalls keinerlei konkrete gegen ihn gerichtete asylrelevante Verfolgungshandlungen glaubhaft machen. Schon das Aussageverhalten des BF1 vor der belangten Behörde – nämlich, dass er keinerlei konkrete Angaben machte und selbst über mehrfaches Befragen außer Stande war, eine überzeugende und kohärente Fluchtgeschichte darzulegen – ließ stark am Tatsachengehalt seiner Angaben zweifeln.

Die BF2 gab vor dem BFA an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben, sondern dieselben wie ihr Ehemann. Sie gab lediglich einen Vorfall an, bei dem sie Probleme mit den Behörden gehabt habe:

„LA: Hatten Sie in Ihrer Heimat jemals Probleme mit den Behörden?

VP: Ja. Nachgefragt: Ich hatte im Restaurant Probleme.

LA: Erzählen sie mir von den Problemen im Restaurant?

VP: Mein Ehemann war im Außendienst und ich war immer im Geschäft. Es war Ramadan. Die Sunniten haben gefastet und die Aleviten nicht. Dann sind 2 türk. Polizisten gekommen und fragten mich warum ich das Restaurant geöffnet habe. Es ist Fastenzeit. Sie waren frech und respektlos und sehr unangenehm. Sie haben mich beschimpft. Dann habe ich meine Meinung gesagt, [...]. Der Polizist hat mich anschließend angegriffen und ich habe mich gewehrt. Er hat mich als Hure beschimpft. In der Türkei sind Frauen eher wertlos. Das hat mich gestört. Dann habe ich zu Ihnen gesagt, dass ich sie anzeigen werde, dabei antwortete der Polizist, dass ich machen kann was ich will, es kann uns nichts passieren. Deswegen habe ich keine Anzeige erstattet.“

Einerseits war auch daraus nicht ersichtlich, zu welchem Zeitpunkt sich das geschilderte Ereignis zugetragen haben soll, andererseits ist auch im Falle des Zutreffens dieser Ausführungen nicht von asylrelevanter Verfolgung auszugehen, zumal die BF2 keine weiteren Schritte unternommen hat und nicht ersichtlich wäre, dass ihr der türkische Staat aus asylrelevanten Gründen Abhilfe verweigert hätte. Weitere konkrete Vorfälle nannte sie nicht, sondern vermeinte bloß ebenso vage wie der BF1, dass einige ihrer Freunde eingesperrt worden seien, weil sie mit der HDP sympathisieren. Auch ihr Ehemann werde eingesperrt, weil er die HDP unterstütze. Aufgrund der bloß allgemein gehaltenen vagen Angaben kommt diesem Vorbringen keinerlei Glaubhaftigkeit zu.

Auch der BF3 gab zunächst an, dieselben Fluchtgründe wie der BF1 zu haben, zudem habe er Angst vor dem Militärdienst, zumal er befürchte als Kurde in Terrorgebiete gesandt zu werden. Er konnte jedoch nicht plausibel aufklären, weshalb gerade er in den Osten der Türkei in Kriegsgebiete entsandt werden solle. Konfrontiert mit der Möglichkeit, sich aus dem Wehrdienst freizukaufen, gab er bloß an, dass seine Familie allgemein ein Problem in der Türkei habe.

Den Schilderungen der fluchtbegründenden Ereignisse der Beschwerdeführer fehlte daher schon bei der Einvernahme durch das BFA ein wesentlicher Aspekt. Sämtliche Angaben bezogen sich im Wesentlichen bloß auf die allgemeine Situation für kurdische Aleviten in der Türkei und keiner der Beschwerdeführer brachte konkrete ihn betreffende asylrelevante Verfolgungshandlungen seitens türkischer Staatsorgane vor. So fehlt es den Schilderungen sämtlicher Beschwerdeführer an einem wesentlichen Element für die Glaubhaftmachung ihrer Fluchtgeschichte, nämlich einer ausreichenden Konkretisierung des Vorbringens. Die Angaben aller Beschwerdeführer waren von vagen Ausführungen gekennzeichnet und selbst über detailliertes Befragen konnten die Beschwerdeführer keine kohärente Fluchtgeschichte präsentieren.

Durch die Angaben in der mündlichen Verhandlung ergeben sich aber zudem (z. T. weitere) gravierende Widersprüche und eklatante Steigerungen zu den Angaben in der Einvernahme beim BFA in essentiellen Bereichen ihres Vorbringens.

[]

Fakt ist dennoch, dass dem Vater des BF1 von den türkischen Behörden in den 1990-iger Jahren Unterstützung der PKK vorgeworfen wurde und er diesbezüglich in der Türkei auch inhaftiert war. Dieser flüchtete nach Deutschland und wurde ihm dort [bereits 1996] internationaler Schutz gewährt. Im Verfahren in Deutschland wurden vom Vater des BF1 massive Folterungen während der Anhaltungen durch Organe des türkischen Staates vorgebracht (AS 131 zu BF1). Die Angaben des BF1, dass Organe des türkischen Staates in den 1990-iger Jahren nach dem Vater des BF1 suchten, es diesbezüglich Hausdurchsuchungen gab und der BF1 auch zur Dienststelle mitgenommen wurde, sind daher durchaus nachvollziehbar. Gleiches gilt für die Behauptung, dass der BF1 an Straßensperren angehalten und dort von staatlichen Organen schikaniert wurde – beispielsweise, dass mitgeführte Speisen ausgeleert wurden. Nachvollziehbar ist das allenfalls für die Zeit, als die BF im Dorf (in den Bergen) – gemäß deren Angaben bis ca. 2009 – lebten, nicht jedoch ab diesem Zeitpunkt, zu dem die BF in die Stadt XXXX zogen. XXXX ist eine Stadt in der gleichnamigen Provinz mit etwa einer halben Million Einwohner und dadurch bedingt wesentlich größeren Anonymität. Laut Aussage der BF in der mündlichen Verhandlung liegt diese Stadt etwa 170 km vom Dorf, in welchem die BF zuvor gelebt hatten entfernt. Die Stadt XXXX , auf welche die BF in der mündlichen Verhandlung (als letzten Wohnsitz) „umstiegen“ liegt dem Dorf wesentlich näher. Es liegt daher der Schluss nahe, dass die BF durch diese größere Nähe (der Stadt XXXX ) zum Dorf ihr Vorbringen glaubhafter wähnten, quasi Nachstellungen von Behördenorganen im neuen Wohnsitz (in XXXX statt in XXXX ) wahrscheinlicher erscheinen lassen wollten.

Auf die weitgehend übereinstimmenden Angaben des BF1 und der BF2 zu Hausdurchsuchungen und polizeilichen und militärischen Befragungen während deren Zeit im Dorf, in dem diese aufwuchsen, sowie die Umstände betreffend den Vater des BF1 war aber nicht weiter einzugehen, zumal sich diese Vorfälle jedenfalls vor deren Umzug nach XXXX ca. im Jahr 2009 ereigneten und damit schon mangels zeitlichem Konnex zu einer Heranziehung von Asylgewährung nicht geeignet erscheinen.

Auffallend ist, dass der Grad an Bestimmtheit der Aussagen der BF auf der fortschreitenden historischen Zeitachse abnimmt. So sind beispielsweise die Angaben des BF1 in der mündlichen Verhandlung zu den Geschehnissen der 1990-iger Jahre einigermaßen detailliert (siehe Verhandlungsschrift Seite 12), werden aber zunehmend mehr vage (beispielsweise die Antwort auf die Frage des BF1 nach dem Brand des HDP-Büros – Seite 19 Verhandlungsschrift), um bei der Befragung nach dem konkreten Reiseweg nach Österreich, beginnend in der Provinz (auch nach Fragewiederholung), in völlig ausweichende Antworten abzugleiten und damit die gestellte Frage nicht zu beantworten (Verhandlungsschrift Seite 15).

Der BF1 schilderte in der mündlichen Verhandlung, befragt zu seinen Fluchtgründen, zunächst – wie schon beim BFA – bloß allgemeine Zustände in der Türkei. Zudem gab er jedoch an, seine Religion nicht frei ausüben zu können, als Alevite wenig Chancen zu haben ein Leben dort zu führen, dass ihre Türen rot markiert worden seien und dass „sie“ auf sie losgegangen seien, weil sie nicht gefastet und gebetet hätten (Seite 17 des Verhandlungsprotokolls). Auch vor dem BFA gab er ähnliche Vorfälle an, allerdings ließ das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung ebenso wie jenes vor dem BFA einen konkreten Zeithorizont der geschilderten Vorfälle, sowie allgemein jegliche Konkretisierung vermissen, weshalb das Vorbringen nicht geeignet ist, die Gefahr asylrelevanter Verfolgung glaubhaft zu machen. Die geschilderten Vorkommnisse ließen – nicht zuletzt mangels ausreichender Konkretisierung – kein derartiges Ausmaß erkennen, dass damit die für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten erforderliche Intensität erreicht würde.

Als weiteren Fluchtgrund gab der BF1 in der mündlichen Verhandlung an, dass es Angriffe auf seinen Arbeitsplatz – also sein Restaurant in XXXX (wobei er dieses in der mündlichen Verhandlung in XXXX wissen wollte – siehe dazu schon oben) – seitens des Volkes gegeben habe und, dass die Polizei nichts dagegen unternehme. Oberhalb seines Restaurants befinde sich ein HDP-Büro, weshalb das obere Stockwerk niedergebrannt worden sei (Seite 17 des Verhandlungsprotokolls). Dass sich oberhalb des Restaurants des BF1 tatsächlich ein Büro der HDP befand, sowie die angebliche Brandstiftung, dieses Büro betreffend, war jedoch aus folgenden Gründen unglaubhaft:

Auffallend war zunächst schon, dass der BF1 zwar bereits in der Einvernahme vor dem BFA angab, dass sich oberhalb seines Restaurants ein Büro der HDP befunden habe, einen Brand in deren Parteibüro erwähnte er jedoch mit keinem Wort (AS 83 im Verfahrensakt des BF1). Bei einem derart gravierenden Ereignis wäre jedoch zu erwarten, dass der BF1 ein solches jedenfalls sogleich vorbringt, zumal er beim BFA schon Probleme aufgrund seiner Sympathie für die HDP behauptete. Bei dem behaupteten Brand handelte es sich daher um gesteigertes und damit unglaubhaftes Vorbringen. Befragt zum Zeitpunkt des angeblichen Brandes vermeinte der BF1 zunächst bloß, wie viele Brandstiftungen er jetzt nennen solle und, dass man „im Google nachschlagen“ könne.

Der Brand im Büro der HDP oberhalb seines Restaurants sei jedenfalls im Jahr 2012 gewesen (Seite 19 des Verhandlungsprotokolls). Auf Vorhalt, dass sich seine Angaben nicht decken, gab der BF1 an, das Büro wäre 2011 in sein Gebäude übersiedelt und 2015 hätten „sie“ die Fensterscheiben des Büros zerstört. Auch diese divergierenden Angaben indizieren, dass die Brandstiftung nicht glaubhaft ist.

Zudem stellte die BF2 die entsprechenden Vorfälle in der mündlichen Verhandlung anders und auch in sich widersprüchlich dar, zumal sie einerseits davon sprach, das Restaurant habe ihr Mann ursprünglich von 1999 bis 2002 mit einem Partner, dann alleine geführt. Dies widerspricht sich aber mit den Angaben der BF, dass sie erst ca. 2009 in die Stadt zogen.

Mit der Restaurantbetreibung ab 1999 sind die folgenden Angaben, dass sich zwei Jahre nach Inbetriebnahme ihres Restaurants, sohin im Jahr 2001 – die HDP dort im zweiten Stock einquartiert hätte und das Gebäude im dritten oder vierten Jahr nach Inbetriebnahme des Restaurants – sohin im Jahr 2002 oder 2003 – niedergebrannt worden sei (Seiten 7 ff des Verhandlungsprotokolls) nicht zu vereinbaren; sie wären dann vereinbar, wenn man von Restauranteröffnung ca. im Jahr 2009 ausginge. Wenig später schränkte sie ihr Vorbringen jedoch insoweit ein, als lediglich das Büro der HDP, nicht jedoch das gesamte Gebäude niedergebrannt worden sei. Sie konnte jedoch keine konkrete Jahreszahl des Brandes angeben, weshalb auch sie mit ihrem Vorbringen in dieser Hinsicht nicht überzeugen konnte. Insgesamt waren die behaupteten Brände im Gebäude, in dem die Beschwerdeführer ihr Restaurant betrieben hätten, nicht glaubhaft.

Zudem machten der BF1 und die BF2 keine gleichlautenden Angaben, wo genau sich das Büro der HDP im Gebäude befunden habe und wann sich die HDP dort niedergelassen habe. Während die BF2 angab, dass es sich beim Gebäude um ein vierstöckiges Gebäude gehandelt habe und ihr Restaurant ebenerdig gewesen sei, die HDP im zweiten Stock angesiedelt gewesen wäre und sich im oberen Stockwerk eine Schneiderei befunden habe (Seite 8 des Verhandlungsprotokolls), vermeinte der BF1, dass das Gebäude vier Stockwerke und eine Terrasse und damit fünf Stöcke gehabt habe, sich die HDP zwei Stockwerke über seinem Restaurant befunden habe und unterhalb der HDP eine Schneiderei gewesen sei, sowie das die HDP zwei Etagen gehabt habe (Seite 19 des Verhandlungsprotokolls). Zumal die BF2 und der BF1 noch nicht einmal den Aufbau und die Situierung der HDP-Büros bzw. einer Schneiderei jenes Hauses, indem sie jahrelang ihr Restaurant betrieben, gleichlautend darlegen konnten und sie unterschiedliche Zeitpunkte nannten, zu denen sich die HDP dort niedergelassen habe, war deren Vorbringen nicht glaubhaft und gelangte das erkennende Gericht zum Schluss, dass sich im Gebäude, in dem die Beschwerdeführer ihr Restaurant betrieben, in Wahrheit keine Niederlassung der HDP befunden hat, sondern sie dies vorbrachten, um deren individuelle Verfolgung wahrscheinlicher erscheinen zu lassen.

In dieses Bild fügt sich auch das divergierende Vorbringen des BF1 zu seinem angeblichen Engagement bei der HDP. Während er noch in der Erstbefragung angab, Mitglied der HDP zu sein (AS 11 im Verfahrensakt des BF1), gab er in der Einvernahme vor dem BFA deutlich zu erkennen, dass er lediglich Unterstützer bzw. Sympathisant der HDP sei und verneinte ausdrücklich seine Mitgliedschaft (AS 83 im Verfahrensakt des BF1). In der mündlichen Verhandlung stellte er dies jedoch wieder anders dar und vermeinte, er sei Mitglied der HDP, da er aber keine Mitgliedskarte besitze, habe er sich jedoch als Sympathisant bezeichnen müssen, ihm sei nämlich keine Karte ausgehändigt worden. Auch dieses völlig neue und anderslautende Vorbringen konnte er nicht schlüssig darlegen, zumal er in der Folge in weiterer Steigerung seiner bisherigen Angaben ausführte, er sei sogar bei Wahlen beauftragt worden und sei ihm dafür auch eine Karte ausgestellt worden, die allerdings aufgrund des – bereits als unglaubhaft beurteilten – Brandes zerstört worden sei. Schließlich meinte er in abermaliger Abkehr von den eben getätigten Angaben, wonach er keine Mitgliedskarte besitze, plötzlich doch die Möglichkeit gehabt zu haben, die Karten als Beweismittel mitzunehmen, er habe jedoch nicht gewusst, dass diese hier benötigt würden. Die widersprüchlichen und gesteigerten Angaben rund um seine Parteimitgliedschaft indizieren insoweit die Unglaubhaftigkeit dieser Aussagen.

Abgesehen von diesen Gründen brachte der BF1 in der mündlichen Verhandlung zudem mehrere konkrete Vorfälle vor, die er im bisherigen Verfahren, insbesondere vor dem BFA, mit keinem Wort erwähnte:

Zunächst gab er an, dass er bei einer Essensauslieferung für eine Hochzeit oder Beerdigung gemeinsam mit einem Mitarbeiter angehalten worden sei. Das Essen sei beschlagnahmt worden und ihnen sei vorgeworfen worden, dass sie die PKK unterstützen würden. Sie seien dann von einer uniformierten Sondereinheit zu deren Dienststelle gebracht und dort vier bis fünf Stunden angehalten worden. Eine nähere zeitliche Einordnung dieses Ereignisses unterließ der BF1. Er gab über Befragen bloß an, dass sich dies im Jahr 2015 zugetragen habe und er glaube, es sei Frühling gewesen. Zumal es sich dabei um ein einschneidendes Ereignis handelt, ist für das erkennende Gericht unverständlich, wenn der BF1 noch nicht einmal eine Eingrenzung des Datums vornehmen hat können und sich nicht einmal bei der Jahreszeit sicher war, was jedenfalls am Tatsachengehalt zweifeln lässt. Zudem ist nicht erkennbar, weshalb der BF1 die entsprechenden Angaben nicht bereits vor der belangten Behörde tätigen hätte können, zumal es sich hierbei doch um ein prägendes Erlebnis handelt, von dem anzunehmen ist, dass es der BF1 zutreffendenfalls sogleich vorgebracht hätte.

In Bezug auf den Betrieb seines Restaurants vermeinte er zudem, dass es auch dort Probleme gegeben habe. So habe er für die Partei – gemeint wohl die HDP – Essen verteilt, woraufhin er von der Polizei zur Rede gestellt worden sei und gefragt worden sei, weshalb er für die Partei Essen ausgebe. Dies sei bei Newroz Festen gewesen. Diese seien von der Polizei gestürmt worden und seien sie dort aufgrund dessen mit Gummiknüppeln geschlagen worden. Als Datum dieser Vorkommnisse gab er den 20.03.2015 an. Dies steht jedoch im Widerspruch zu seinen Angaben beim BFA, zumal er dort angab, dass es Probleme während des Newroz Feiertages am 01.04.2013 gegeben habe (AS 83 im Verfahrensakt des BF1). Auf diesen Widerspruch hingewiesen, vermeinte der BF1 in der mündlichen Verhandlung bloß, dies habe er nie gesagt. Auch diese nicht gleichförmigen Angaben ließen das entsprechende Vorbringen unglaubhaft erscheinen, zudem stellte es im Hinblick auf die angebliche Stürmung durch die Polizei und den Einsatz von Gummiknüppeln eine eklatante Steigerung des bisherigen Vorbringens dar. Der Behauptung, er habe das nie gesagt, steht der Wortlaut der entsprechend Niederschrift entgegen; der Beweis dessen Unrichtigkeit gelang dem BF1 nicht.

Im Restaurant habe es einen weiteren Vorfall gegeben. Die Polizei habe dort nach ihm gefragt und der BF1 sei nicht anwesend gewesen. Seine Mitarbeiter hätten ihn informiert und er sei von der Polizei zur Dienststelle mitgenommen worden. Er sei dort zur HDP befragt, beleidigt und bedroht worden. Ein Polizist habe ihn mit einem Faustschlag von sich weggestoßen und er sei mit den Worten „Ich darf nie wieder an diesen kurdischen Veranstaltungen der HDP Partei teilnehmen, sonst wäre dies nicht gut für mich. Ich sollte damit aufhören.“ bedroht worden (Seite 21 des Verhandlungsprotokolls).

Der letzte Vorfall habe sich im „Dorf“ im Jahr 2016 zugetragen. Dort sei von den Dorfschützern sein Kessel umgetreten worden und er von diesen an ihre Fahrzeuge gedrückt und durchsucht worden. Danach sei der BF1 stundenlang auf der Dienststelle festgehalten worden. Außerdem sei einmal die MHP auf sein Lokal losgegangen und habe die Scheiben zerbrochen und im Lokal randaliert (Seiten 21 f des Verhandlungsprotokolls).

All diese Behauptungen hatten gemein, dass der BF1 keinen dieser Vorfälle vor der belangten Behörde vorbrachte. Sein sohin neues Vorbringen war daher als erheblich gesteigertes und damit unglaubhaftes Vorbringen anzusehen. Als Erklärung für das seinerzeitige Unterlassen des Vortrages all dieser Gründe vor dem BFA gab der BF1 bloß an, die Zeit sei zu eingeschränkt gewesen, was jedoch nicht mit der Dauer der damaligen Einvernahme von mehr als drei Stunden in Einklang zu bringen ist. Auch die Alternativbegründung des BF1, wonach dieser den Eindruck hatte, sich kurz halten zu sollen, überzeugte nicht, zumal ihm sogar die Möglichkeit eingeräumt wurde, seine Angaben zu ergänzen: „LA: Ich beende jetzt die Befragung. Konnten Sie zum Verfahren alles umfassend vorbringen und gibt es zur Einvernahme irgendwelche Einwände? Möchten Sie noch weitere Angaben machen?“, woraufhin der BF1 in der Einvernahme vor dem BFA bloß abermals im Wesentlichen replizierte, Erdogan werde das kurdische Volk auslöschen. Im Übrigen habe er alles vorbringen können und habe keine Einwände (AS 87 im Verfahrensakt des BF1). All die genannten Vorfälle waren vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft und ist davon auszugehen, dass diese nicht – wie vom BF1 behauptet – stattgefunden haben.

Dazu ist anzumerken, dass sich ein weiterer Widerspruch ergibt, wenn der BF1 diesen Vorfall mit „im Jahr 2016“ und „im Dorf“ konkretisiert. Dem stehen seine Angaben zu Beginn der Befragung in der mündlichen Verhandlung entgegen. Eingangs hatte er angegeben, er wisse nicht, in welchem Zustand das Haus bzw. der Stall im Dorf sei, er sei das letzte Mal im Jahr 2008 dort gewesen (Verhandlungsschrift Seite 12).

Soweit der BF auf – wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit (vgl. AS 13) und seines religiösen Bekenntnisses – auf Ereignisse die in den 1990-iger Jahren und auf die folgenden Zeiten im Dorf (bis ca. 2009) verwies, gelangte das BVwG in Übereinstimmung mit der belangten Behörde zur Einschätzung, dass die vom BF insoweit angeführten Ereignisse – unabhängig von der Frage der Richtigkeit der Darlegung bezüglich der Volksgruppenzugehörigkeit, der politischen Gesinnung und des Religionsbekenntnisses – im Hinblick auf die übrigen im Verfahren getätigten Aussagen Kohärenz und Plausibilität betreffend – eine Furcht vor Verfolgung nicht wohlbegründet erscheinen lassen:

Dies resultiert zum einen daraus, als es sich dabei um Umstände handelt, die schon längere Zeit vor der tatsächlichen Ausreise (Ausreise im November 2016) zurückliegen und daher nicht mehr beachtlich sind. Auch die weiteren – nach dem Umzug in die Stadt – von den BF genannten Vorfälle sind großteils länger zurückliegend, oder konnten von den BF nicht zeitlich eingeordnet werden. Lediglich das Datum des letzten Putschversuches (15.07.2016) wäre hier relevant, doch ist das Vorbringen insoweit hier derart allgemein, mit Vorbringenselementen aus der Zeit „im Dorf“, zeitlich zuvor anders eingeordneten Ereignissen (Brand des HDP-Büros) vermengt und ohne jeden persönlichen Bezug vorgebracht, dass insoweit eine persönliche Bedrohungslage daraus nicht erkennbar ist (Verhandlungsschrift Seite 17 letzter Absatz, Seite 18 erster Absatz). Das weitere Ereignis, das er zeitlich im Jahr 2016 einordnete (Dorfschützer hätten den Kessel umgetreten - Seite 21 letzter Absatz) war ebenso wenig glaubhaft, wenn er im Jahr 2008 leztmalig im Dorf gewesen sein will.

Als glaubwürdig können Fluchtgründe im Allgemeinen ebenso nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen erst im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder gar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen und wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt.

Das erkennende Gericht übersieht auch nicht, dass den Angaben zum Fluchtweg für sich genommen kein tragfähiges Argument für die Unrichtigkeit bzw. Unglaubwürdigkeit der Angaben des BF zu seinen Fluchtgründen zu gewinnen ist (vgl. VwGH vom 25.05.2004, 2003/01/0299). Gleichwohl war hier das Aussageverhalten des BF1 insoweit – Verweigerung einer Antwort auf die Frage nach dem Beginn des Fluchtweges – zu Lasten des BF1 zu werten, und bestätigt das die getroffene Einschätzung hinsichtlich der letzten Wohnadresse der BF: XXXX und nicht XXXX . Insoweit ist das Aussageverhalten das BF1 – Verweigerung einer Antwort auf die Frage, wo (konkret) die Fluchtbewegung begonnen habe – sogar schlüssig.

In der mündlichen Verhandlung brachte er nunmehr drei Lichtbilder in Vorlage, die den BF1 offenbar bei der Teilnahme an einer Demonstration in XXXX zeigen sollen. Er führte hierzu über Befragen seines Vertreters in der mündlichen Verhandlung aus, an den Newroz Feiertagen an Demonstrationen teilgenommen zu haben. Insgesamt habe er in Österreich an einer Demonstration in Wien, an einer in XXXX und an acht bis zehn Demonstrationen im Jahr 2019 in XXXX teilgenommen. Aufgrund seines exilpolitischen Engagements werde er im Rückkehrfall in der Türkei festgenommen (Seite 24 des Verhandlungsprotokolls). Auch in der Stellungnahme des Vertreters des BF1 vom 12.08.2019 wurde im Hinblick auf sein behauptetes Engagement bei PKK-nahen Demonstrationen hingewiesen und festgehalten, dass ihm daher in der Türkei die Festnahme und eine langjährige Haftstrafe drohen würden.

Dass sich der BF1 tatsächlich im behaupteten Ausmaß exilpolitisch in Österreich betätigte und damit ins Auge der türkischen Behörden fiel, war jedoch aus folgenden Gründen nicht glaubhaft:

Zunächst wurde der BF1 in der mündlichen Verhandlung nach dem Symbol der HDP befragt, welches dieser auch schildern konnte. Danach wurde er vom Behördenvertreter darauf hingewiesen, dass auf den von ihm vorgelegten Lichtbildern nicht Symbole der HDP, sondern der solche PKK abgebildet seien, woraufhin der BF1 bloß meinte, dass dies schon stimmen würde. Dass der BF1 in Österreich plötzlich an einer Demonstration für die PKK teilnimmt erstaunt aber insoweit, als der BF1 noch vor dem BFA angegeben hatte, dass er die PKK für bewaffnete Terroristen halte (AS 82 im Verfahrensakt des BF1). Dass sich der BF1 ernsthaft für die PKK engagiert, war schon deshalb anzuzweifeln. Sollte der BF1 tatsächlich Anhänger der PKK sein, so ist darauf hinzuweisen, dass diese auch von der europäischen Union als Terrororganisation eingestuft wird. Sein Engagement für eine Terrororganisation ließe daher zutreffendenfalls auf eine von ihm ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit in Österreich schließen. Allerdings zeigen schon die Lichtbilder selbst, dass am Tatsachengehalt seines „exilpolitschen Engagements“ für die PKK bzw. für Öcalan gezweifelt werden muss, weil diesen zwar zu entnehmen ist, dass sie in XXXX - an prominenter Stelle - aufgenommen wurden, es rund um die Demonstranten jedoch menschenleer ist. Die Bilder zeigen insgesamt 6 Personen, die alle offenbar zu dieser Gruppe gehören. Am Boden sind Plakate aufgelegt, die teilnehmenden Personen halten zum Teil Fahnen. Alle tragen Winterbekleidung, der BF1 eine weit in die Stirn gezogene Wollhaube (auf 2 Fotos) und ist schon deshalb schwer erkennbar. Passanten, die diese Kundgebung wahrnehmen hätten können, sind nicht zu sehen, was auf einen nicht öffentlichkeitswirksamen Zeitpunkt schließen lässt (etwa Sonntag frühmorgens). Diese Umstände lassen darauf schließen, dass die Szene gestellt ist, um eben diese Aufnahmen zu produzieren. Wenn aber niemand die Szene wahrgenommen hat, dann ist das auch für türkische Behörden nicht möglich.

Außerdem sprach der BF1 von angemeldeten Demonstrationen. Aufgrund des Umstandes, dass die PKK auch hierorts als Terrororganisation gilt, wäre eine solche Demonstration seitens der Veranstaltungsbehörde wohl nicht zugelassen worden bzw. wäre sie jedenfalls von der Polizei aufgelöst worden.

Aufgrund dieser Ungereimtheiten und Unstimmigkeiten ist daher davon auszugehen, dass es sich bei den auf den Lichtbildern abgebildeten Ereignissen bloß um inszenierte „Demonstrationen“ handelte, die dazu dienen sollten, das konstruierte Vorbringen, wonach sich der BF1 hierorts für die PKK engagiert, glaubhaft zu machen. Insgesamt betrachtet, kam diesen Fotos jedenfalls keinerlei Beweiskraft zu und ist auszuschließen, dass sich der BF1 tatsächlich in einer Weise exilpolitisch betätigt hat, dass die türkischen Behörden auch in Österreich davon Kenntnis erlangen würden. Vielmehr zeugt dieses Vorgehen des BF1 einmal weiter davon, dass dieser nach weiteren Mitteln greift – und sei es die vorgetäuschte Unterstützung einer Terrororganisation – um seinem Vorbringen Asylrelevanz zu verleihen. Dies war ebenso bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit zu berücksichtigen.

In der Einvernahme beim BFA hatte die BF2 als einzigen sie persönlich betreffenden Vorfall angegeben, in ihrem Restaurant von Polizisten wegen des Nicht-Fastens beschimpft worden zu sein (AS 55 und 56 im Verfahrensakt der BF2). In der mündlichen Verhandlung dagegen gab sie erstmals an, dass die Polizei zu ihr ins Restaurant gekommen sei und ihnen vorgeworfen hätte, dass sie illegale Waren besitzen würden und hätten daraufhin das Restaurant durchsucht, wobei es zu gegenseitigen Beschimpfungen gekommen sei und ein Polizist die BF2 weggestoßen habe (Seite 9 des Verhandlungsprotokolls). Konfrontiert mit dem Umstand, dass sie diesen Vorfall erstmals in der mündlichen Verhandlung angab, meinte sie bloß, in der Einvernahme nicht ausreichend Zeit gehabt zu haben. Die Beschwerdeführerin bestätigte über Befragen nichtsdestotrotz erneut in der mündlichen Verhandlung die Richtigkeit ihrer Angaben in der Einvernahme vor dem BFA. Umso erstaunlicher waren die folgenden Angaben zu dem ehemals angegebenen Vorfall im Ramadan, zumal sie meinte, dies sei eine andere Sache, mit der Polizei habe es jedoch nur diesen einen von ihr geschilderten Vorfall gegeben. Hier zeigte sich bereits der fehlende Wahrheitsgehalt zumindest einer ihrer Angaben zumal es sich ihren Angaben gemäß bereits um zwei konkrete Vorfälle gehandelt haben müsste. Schließlich konterkarierte sie jegliche Nachvollziehbarkeit und Glaubhaftigkeit ihres einstigen Vorbringens hinsichtlich der Vorfälle im Ramadan, als sie abweichend von damals plötzlich davon sprach, dass „wir“ gefragt worden seien, warum sie ihr Restaurant während der Fastenzeit nicht schließen würden, was nahelegte das auch der BF1 beim entsprechenden Vorfall anwesend gewesen wäre, wohingegen sie vor dem BFA noch angab, damals alleine gewesen zu sein. Überdies seien sie als Juden beschimpft worden, was jeglicher Plausibilität entbehrte zumal BF1 und BF2 zuvor stets angaben, entweder als Aleviten oder als Kurden beschimpft worden zu sein und nicht nachvollziehbar ist, warum man sie als Juden hätte beschimpfen sollen. Insgesamt war angesichts dieser eklatanten Widersprüche und Ungereimtheiten davon auszugehen, dass die von der BF2 geschilderten Vorfälle in Wahrheit nicht stattgefunden haben. Der BF1 erwähnte beide Vorfälle nicht, was die Unglaubhaftigkeit weiter untermauerte.

Schließlich steigerte die BF2 ihr Vorbringen erheblich, indem sie in der mündlichen Verhandlung ohne jegliche Konkretisierung angab, dass sie nach dem Putschversuch am 15.07.2016 für einen Monat lang ihrer Häuser nicht beziehen hätten können (Seite 11 des Verhandlungsprotokolls). Ein entsprechendes Vorbringen hat bislang keiner der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde erstattet, wobei jedenfalls davon auszugehen wäre, dass im Falle des Zutreffens dieses Umstandes, ein derart gravierender Sachverhalt jedenfalls vorgetragen worden wäre, weshalb auch dieses Vorbringen jeglicher Glaubhaftigkeit entbehrte und die fehlende persönliche Glaubwürdigkeit der BF2 untermauerte.

Hinsichtlich des Vorbringens des BF3 ist festzuhalten, dass dieser in der Erstbefragung noch gänzlich andere Fluchtgründe vorbrachte, als im späteren Verfahrensverlauf. Dort machte er nämlich Diskriminierungen aufgrund seiner kurdischen Ethnie, nämlich, dass er als Kurde in der Schule ausgelacht worden sei, für die Ausreise verantwortlich (AS 9 im Verfahrensakt des BF3). Beginnend mit der Einvernahme vor dem BFA sowie vor dem BVwG stützte er sein Fluchtvorbringen hingegen auch darauf, dass er den Wehrdienst in der Türkei nicht ableisten wolle, weil er Angst vor dem Militärdienst habe (AS 41 im Verfahrensakt des BF3, Seite 28 des Verhandlungsprotokolls). Dem diesbezüglichen Vorbringen mangelt es aber an Asylrelevanz (s. dazu unter rechtliche Beurteilung).

Auffallend war zudem, dass sich der BF3 – neben den Fluchtgründen seines Vaters – vor dem BFA ausschließlich auf seine Angst vor dem Militärdienst in der Türkei bezog, in der mündlichen Verhandlung, befragt nach seinen Gründen, warum er die Türkei verlassen haben, jedoch ausführte:

„An erster Stelle steht die Diskriminierung in der Schule, weil wir Kurden sind. Ich wurde beschimpft. Man wurde schlechter benotet. Von den Lehrern wurde ich erniedrigt. Deshalb bin ich jetzt hier.“

Erst nach Hinweis darauf, dass dies ein völlig neues Vorbringen sei, kam er neuerlich auf seine Angst, den Wehrdienst ableisten zu müssen, zu sprechen, konnte jedoch nicht aufklären, warum er das neue Vorbringen erst zu einem derart späten Zeitpunkt im Verfahren erstattete.

Abgesehen davon konnte er diese allgemein gehaltenen Diskriminierungen nur insoweit konkretisieren, als er dazu weiter ausführte, dass er von türkischen Schulkollegen beschimpft worden sei, als er Kurdisch gesprochen habe und, dass er während des Fastenmonats zum Außenseiter geworden und beschimpft worden sei (Seite 28 des Verhandlungsprotokolls). Diesen vornehmlich von Privaten ausgehenden Diskriminierungen mangelt es selbst im Falle des Zutreffens an der nötigen Intensität für die Asylgewährung (s. dazu abermals unter rechtliche Beurteilung). Im Übrigen war das Vorbringen des BF3 – mit Ausnahme dessen, dass er den Militärdienst nicht leisten wolle – nicht glaubhaft. Wie bereits ausgeführt, war aufgrund der unstimmigen Angaben und des Aussageverhaltens des BF3 hinsichtlich seines Herkunftsortes und des Ortes, an dem er die Schule besucht habe, bereits erheblich an dessen persönlicher Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Diese Zweifel erhärteten sich im Zuge der Verhandlung weiter dadurch, dass er zwar erneut bestätigte, dieselben Fluchtgründe wie sein Vater zu haben, diese in der Folge jedoch in keinster Weise benennen konnte, sondern lediglich immer wieder von den „politischen Problemen“ seines Vaters sprach (Seite 27 des Verhandlungsprotokolls). Aber auch das gesamte Aussageverhalten des BF3 unterminierte seine persönliche Glaubwürdigkeit und damit auch die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens. Dies zeigte sich neuerlich eindrücklich, als er näher zu seiner angeblichen Angst vor der Ableistung des türkischen Wehrdienstes befragt wurde. So gab er etwa nach Vorhalt des Vertreters der belangten Behörde auf die Möglichkeit, sich vom Wehrdienst freikaufen zu können an, dass die Beschwerdeführer hierzu keine finanziellen Mittel hätten und schon so nur schwer über die Runden kommen würden, was in auffallendem Widerspruch zu den Angaben seiner Eltern stand, denen zufolge ihre finanzielle Lage in der Türkei gut gewesen ist, was sich auch mit den obigen Feststellungen zu deren nach wie vor bestehenden Vermögenswerten in der Türkei deckt. Sohin war das Vorbringen des BF3 in dieser Hinsicht unwahr. Als der Vertreter der belangten Behörde in der Folge unter Vorhalt der auch der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegten länderkundlichen Informationen zum Wehrdienst in der Türkei eine systematische Diskriminierung türkischstämmiger Rekruten anzweifelte und den BF3 nach seiner Meinung dazu befragte, verweigerte dieser die Beantwortung und replizierte stattdessen bloß: „Möchten sie mir damit sagen, dass Kurden nicht diskriminiert werden?“. Selbst nach Ermahnung durch das Gericht, die an ihn gerichteten Fragen zu beantworten und nicht mittels Gegenfragen offenzulassen, reagierte er auf die Wiederholung der an ihn gerichteten Befragung neuerlich mit einer Gegenfrage.

In der mündlichen Verhandlung führte der BF3 auch aus, dass seine Familie hierhergekommen sei, weil er den Wehrdienst nicht ableisten wolle (Seite 30 des Verhandlungsprotokolls). Schon in der Einvernahme beim BFA hatte er vorgebracht, Angst vor dem Militärdienst zu haben. Dieses Vorbringen wird daher als glaubhaft erachtet.

Im Übrigen nahm er aber bloß allgemein auf den Putschversucht vom 15.07.2016 Bezug, ohne die damaligen Ereignisse überzeugend mit seiner Person in Verbindung zu setzen.

Angesichts der vagen, unschlüssigen und widersprüchlichen Ausführungen, sowie der erheblich beschädigten persönlichen Glaubwürdigkeit des BF3 aus oben dargestellten Gründen mangelte es seinem Vorbringen an Glaubhaftigkeit.

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung vermittelten die Beschwerdeführer mit ihrem Sachvortrag nicht den maßgeblichen Eindruck, dass sie bei ihrer Rückkehr mit einer erheblichen Gefährdung zu rechnen hätten. Die Beschwerdeführer konnten eine individuelle Bedrohung nicht glaubhaft machen.

Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens – wie auch das BFA – zum Ergebnis, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer – und zwar über wirtschaftliche Gründe und den Militärdienst des BF3 betreffend hinausgehend – nicht nachvollziehbar, widersprüchlich und damit als nicht glaubhaft zu bewerten ist. Den Beschwerdeführern ist es nicht gelungen, eine Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen.

Durch die widersprüchlichen Angaben zum Wohnsitz, fehlt den Angaben der BF – jedenfalls ab dem Zeitpunkt der behaupteten Übersiedlung (ca. 2009) – die Basis (der konkrete Bezug zu einem Ort), weil die entsprechenden Verfolgungsbehauptungen immer untrennbar mit einem bestimmten Aufenthalts(Wohn)ort korrelieren müssen; das Vorbringen der BF ist insoweit jedenfalls nicht glaubhaft. Dass die BF zuletzt nicht in XXXX , sondern in XXXX lebten, erhellt auch daraus, dass sie zuletzt in der mündlichen Verhandlung eine Diskriminierung als alevitische Kurden – in XXXX – behaupteten, handelt es sich aber bei dieser Gruppierung doch um die dortige Mehrheitsbevölkerung.“

 

In der rechtlichen Begründung wurde zusammengefasst ausgeführt, dass mangels Glaubwürdigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführer eine Asylgewährung ausgeschlossen sei. Auch sei die allgemeine Lage im Herkunftsstaat nicht dergestalt, dass sich konkret für die Beschwerdeführer eine begründete Furcht vor einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden asylrelevanten Verfolgung ergeben würde. Insbesondere sei ein Bedrohungsszenario mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit für Angehörige der alevitischen Glaubensrichtung bzw. der kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit in der Türkei nicht gegeben. Zudem würden im Hinblick auf den Drittbeschwerdeführer keine Hinweise auf eine systematische Diskriminierung von kurdischen Rekruten beim türkischen Militär vorliegen und ließe sich der Berichtslage nicht entnehmen, dass kurdische Rekruten vornehmlich bzw. systematisch im Südosten der Türkei zu Kampfeinsätzen herangezogen würden. Soweit die Beschwerdeführer ein Vorbringen erstattet haben, das zeitlich in den 1990-iger Jahren anzusiedeln sie oder sich vor dem Wegzug aus dem Dorf (vor 2009) ereignet habe, so fehle einem solchem Vorbringen jedenfalls die notwendige Aktualität und könne daher nicht für eine Asylgewährung herangezogen werden.

 

Zur behaupteten Teilnahme des Erstbeschwerdeführers an von Kurden veranstalteten Demonstrationen in Österreich wurde ausgeführt, dass der Verwaltungsgerichtshof mehrmals festgehalten habe, dass eine exilpolitische Betätigung im Ausland einen asylrelevanten Nachfluchtgrund bilden könne (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 14. Jänner 2003, Zl. 2001/01/0398, mwN; sowie zu den Nachfluchtgründen auch Art. 5 der Richtlinie 2011/95 / Statusrichtlinie). Wenn der Erstbeschwerdeführer nun subjektive Nachfluchtgründe – und zwar als Ausdruck und Fortsetzung einer bereits in der Türkei bestehenden Überzeugung – vorgebe, sei anzumerken, dass eine regimekritische Betätigung des Erstbeschwerdeführers (insbesondere durch die Teilnahme an Demonstrationen in Österreich) als Konventionsgrund nur dann beachtlich sei, wenn eine Verfolgungshandlung vorliege oder zu befürchten sei. Aufgrund der in der Beweiswürdigung angeführten Umstände (inszenierte Kundgebung zwecks Anfertigung von Fotos, die eine exilpolitische Betätigung des Beschwerdeführers darlegen sollen) sei aber auszuschließen, dass der Beschwerdeführer ins Blickfeld der für die Staatssicherheit zuständigen Behörden seines Herkunftsstaates geraten konnte. Dazu komme noch, dass der Erstbeschwerdeführer nicht als exponierte politische Person einzustufen sei. Da der Erstbeschwerdeführer weder in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig gewesen sei noch, dass er Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten oder als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden könne, sei nicht davon auszugehen, dass er im Falle einer Rückkehr in die Türkei der Gefahr polizeilicher oder justizieller Maßnahmen ausgesetzt sein werde.

 

Zur Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnten, habe im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden können. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden sie somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Weder drohe im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substantiell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Es könne auch nicht erkannt werden, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr in die Türkei die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre.

Einerseits haben die Beschwerdeführer selbst nicht vorgebracht, dass ihnen dort jegliche Existenzgrundlage fehlen würde, sondern vielmehr angegeben, dass sie in der Türkei nach wie vor über eine Eigentumswohnung, ein Haus und mehrere Grundstücke verfügen würden. Die Beschwerdeführer würden aus XXXX stammen. Betreffend die Sicherheitslage sei mit Blick auf die individuelle Situation der Beschwerdeführer zunächst auf die Länderfeststellungen zu verweisen. Diesen seien keinerlei sicherheitsrelevante Vorfälle die Herkunftsregion der Beschwerdeführer betreffend zu entnehmen. Zur Sicherheitslage im Südosten der Türkei sei auszuführen, dass dort die innenpolitischen Spannungen besonders groß seien, und es immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen komme. Der nach dem Putschversuch vom 15.7.2016 ausgerufene Notstand sei jedoch am 18.7.2018 aufgehoben worden. Im Juli 2015 sei der Konflikt zwischen Sicherheitskräften und PKK wieder militärisch aufgeflammt, der Lösungsprozess sei zum Erliegen gekommen. Die Intensität des Konflikts innerhalb des türkischen Staatsgebiets habe aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen. Ein hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3 des BMEIA) gelte in den Provinzen Ağrı, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbakır, Gaziantep, Hakkari, Kilis, Mardin, Şanlıurfa, Siirt, Şırnak, Tunceli und Van. Die Provinz XXXX sei hingegen nicht vom hohen Sicherheitsrisiko betroffen. Im Rest des Landes, sohin auch in XXXX , gelte ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 2). Die Türkei habe von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften müssen. Nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums seien vom 2. bis 3. Juli 2015 und 11. Juni 2017 im Rahmen von Sicherheitsoperationen 10.657 Terroristen „neutralisiert" worden. Die Sicherheitslage im Südosten sei weiterhin angespannt, wobei 2017 weniger die urbanen denn die ländlichen Gebiete betroffen gewesen seien. Daraus ergebe sich, dass die allgemeine Sicherheitslage in XXXX jedenfalls nicht dergestalt sei, dass jeder dorthin Zurückkehrende der realen Gefahr unterläge, mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit einer Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte ausgesetzt zu sein oder für ihn die ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt anzunehmen wäre. Besondere Gefährdungsmomente, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass die Beschwerdeführer in besonderem Maße von den dort stattfindenden Gewaltakten bedroht wären, seien nicht glaubhaft vorgebracht worden.

Keiner der Beschwerdeführer sei aktuell lebensbedrohlich erkrankt. Zwar leide die Zweitbeschwerdeführerin an psychischen Erkrankungen, diese hätten aber auch z.T. schon vor der Ausreise bestanden; gemäß den getroffenen Länderfeststellungen sei von einer ausreichenden Versorgung in der Türkei auszugehen. Weiters sei auch aufgrund dieser Erkrankung nicht von einer drastischen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes im Rückkehrfall auszugehen. Vor diesem Hintergrund würden sich somit keine Hinweise auf das Vorliegen von akut existenzbedrohenden Krankheitszuständen oder Hinweise auf eine unzumutbare Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Rückverbringung der Beschwerdeführer in die Türkei ergeben.

 

Zur Rückkehrentscheidung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass im Fall der Beschwerdeführer keine Integration vorliege, die eine außergewöhnliche Konstellation aufweise, die die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertige.

Der Aufenthalt der Beschwerdeführer in Österreich seit ihrer illegalen Einreise im November 2016, somit seit ca. drei Jahren, beruhe auf einem Antrag auf internationalen Schutz, der sich als nicht berechtigt erwiesen habe und sei auch noch zu kurz, um ihrem Interesse an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet ein relevantes Gewicht zu verleihen.

Der Erstbeschwerdeführer habe mehrere Deutschkurse besucht und Deutschprüfungen auf dem Niveau A1 und A2 absolviert. Er habe sich dementsprechend grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache angeeignet. Eine besonders beachtliche sprachliche Integration liege angesichts seiner beinahe dreijährigen Aufenthaltsdauer jedoch nicht vor. Zugunsten des Erstbeschwerdeführers sei zu gewichten, dass dieser hierorts mehrfach ehrenamtlich tätig gewesen sei und sich dadurch durchaus positiv zu integrieren versucht habe. Der Erstbeschwerdeführer bestreite seinen Lebensunterhalt seit der Asylantragstellung großteils im Rahmen der staatlichen Grundversorgung und sei bislang sozialversicherungspflichtiger Erwerbstätigkeit nur in geringfügigem Ausmaß nachgegangen. Die vorgelegte Einstellungszusage der Firma „ XXXX “ habe an dieser Beurteilung nichts zu ändern vermocht, zumal daraus weder eine konkrete Stellenbezeichnung noch die Wochenarbeitszeit, die Höhe eines allfälligen Einkommens oder sonstige konkretisierenden Angaben hervorgehen würden. Der als solchen bezeichneten Einstellungszusage komme daher keine hier maßgebliche Bedeutung zu. Er verfüge zudem über normale soziale Kontakte im Bundesgebiet. Der Erstbeschwerdeführer engagiere sich auch in einem Verein, wobei zu bedenken galt, dass es sich dabei um einen kurdischen Verein handelt, was gegen die Annahme spreche, dass die dortige Mitgliedschaft einer besonderen Integration in die österreichische Gesellschaft dienlich sei. Allfällige Umstände, dass ein Fremder einen großen Freundes- und Bekanntenkreis habe und er der deutschen Sprache mächtig sei, würden überdies seine persönlichen Interessen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet nicht maßgeblich verstärken können.

Die Zweitbeschwerdeführerin habe mehrere Deutschkurse und Basisbildungskurse besucht und letztere auch absolviert. Die Absolvierung einer deutschen Sprachprüfung habe sie nicht nachgewiesen. Sie verfüge über kaum Deutschkenntnisse, was angesichts der regen Teilnahme an Spracherwerbsmaßnahmen überrascht und jedenfalls angesichts des beinahe dreijährigen Aufenthalts gegen eine gelungene Integration spreche. Auch sie sei mehrfach ehrenamtlich tätig, sei jedoch ebenfalls bislang sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nur in geringfügigem Ausmaß nachgegangen und bestreite ihren Lebensunterhalt großteils im Rahmen der staatlichen Grundversorgung. Zur vorgelegten Einstellungszusage siehe schon die obigen Ausführungen hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers. Andere Integrationsmerkmale seien nicht ersichtlich. Angesichts dessen könne auch hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin nicht von einer außergewöhnlichen Integration in sprachlicher, gesellschaftlicher oder beruflicher Hinsicht gesprochen werden.

Der Drittbeschwerdeführer besuche eine HTL. Er habe während seines beinahe dreijährigen Aufenthalts erst einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 besucht und bislang keine Deutschprüfung absolviert. Seine deutschen Sprachkenntnisse seien daher marginal. Er habe hierorts an einem sechsstündigen Erste-Hilfe-Kurs teilgenommen. In seiner Freizeit spiele er mit österreichischen und kurdischen Freunden Fußball oder besuche ein Fitnessstudio. Er sei kein Mitglied in einem Verein, sei nicht erwerbstätig und habe bislang keine gemeinnützige Arbeit verrichtet. Eine besondere Integration des Drittbeschwerdeführers sei vor diesem Hintergrund nicht festzustellen.

Der zwölfjährige Viertbeschwerdeführer besuche in Österreich die NMS. Er sei in der Türkei geboren und bis zur Ausreise im November 2016 – sohin im Alter von neun Jahren – im Familienverbund mit den Eltern und seinem Bruder aufgewachsen, weshalb davon auszugehen sei, dass er mit den kulturellen Gegebenheiten seines Heimatlandes und seiner Muttersprache vertraut sei. Er überschreite nur sehr knapp die Grenze des sogenannten anpassungsfähigen Alters, das in der Rechtsprechung der Höchstgerichte zwischen sieben und elf Jahren angenommen werde (vgl. VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 ua., sowie VwGH 19.09.2012, 2012/22/0143 ua.), so dass ihm die Anpassung an jene Lebensverhältnisse, in denen er vor seiner Ausreise mehr als neun Jahre lang gelebt habe, bei einer Rückkehr im Verbund mit seinen Eltern und auch angesichts der in der Türkei noch lebenden weiteren Verwandten zumutbar sei.

Es bestünde angesichts dieser Ausführungen bei keinem der Beschwerdeführer eine derartige Verdichtung ihrer persönlichen Interessen, dass bereits von „außergewöhnlichen Umständen“ gesprochen werden könne und ihnen schon deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsse.

 

1.3. Die gegen das hg. Erkenntnis betreffend den Erstbeschwerdeführer gerichtete Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.01.2020, Ra 2019/20/0593-5, zurückgewiesen.

 

2.1. Mit Schriftsatz des nunmehrigen Vertreters der Beschwerdeführer vom 19.03.2020 wurde für die Beschwerdeführer gegenständlicher – zweiter – Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

 

Begründend wurde ausgeführt, dass seit der Einvernahme der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht im Oktober 2019 neue Ereignisse hervorgekommen und neue Tatsachen entstanden seien.

Ende Oktober 2019 habe sich die Militärpolizei bei der Tante väterlicherseits des Erstbeschwerdeführers, die im Dorf XXXX lebe, nach dem Erstbeschwerdeführer und seinem Vater erkundigt. Es seien mehrere Verwandte der Zweitbeschwerdeführerin inhaftiert worden. Die Inhaftierung sei mit konstruierten Begründungen erfolgt. Eine Cousine der Zweitbeschwerdeführerin ( XXXX ) befinde sich seit fast 70 Tagen in Haft, weil sie ihre inhaftierten Freunde im Gefängnis besucht habe. Ein Cousin der Zweitbeschwerdeführerin ( XXXX ) sei inhaftiert und wieder freigelassen worden; er leide unter einer psychischen Behinderung. Auch er sei ohne jegliche Begründung für eine Woche inhaftiert worden.

Aufgrund der außergewöhnlichen Verschlechterung der Lage der Menschenrechte in der Türkei seien die neu hervorgekommenen Fluchtgründe neuerlich zu beurteilen (Nachfluchtgründe). Die Fluchtgründe, die vor 2-4 Jahren in Bezug auf die Türkei nicht ausreichend zur Asylgewährung erachtet worden seien, würden aufgrund der derzeit in der Türkei herrschenden politischen, Sicherheits- und Menschenrechtssituation zur Asylgewährung führen.

Die Sicherheitslage in der Türkei habe sich dramatisch verschlechtert. Personen kurdischer Herkunft und alevitischen Glaubens seien höchst gefährdet. Es sei nicht auszuschließen, dass Personen kurdischer Herkunft und alevitischen Glaubens von Andersdenkenden und auch von staatlichen Stellen verfolgt, misshandelt und unhöflich behandelt werden würden.

Zudem sei der Drittbeschwerdeführer in Österreich volljährig geworden. Er werde im Alter von 20 Jahren zum Militärdienst einberufen. Er habe keinen Ausweg, diesem Militärdienst zu entkommen. Das türkische Militär befinde sich faktisch in einem Kriegszustand an zwei Fronten, einmal im Osten der Türkei gegen die PKK und dann in Syrien in der Provinz Idlib. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werde der Drittbeschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland zum Militärdienst einberufen und in einem Kriegsgebiet eingesetzt werden.

 

Der Erstbeschwerdeführer brachte diesbezüglich im Rahmen der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.04.2020 vor, dass mittlerweile die türkische Polizei bei seiner Tante nach ihm gefragt habe und dass er in der Türkei keine Sicherheit habe. Er würde ins Gefängnis gesteckt werden.

Bei der Einvernahme vor dem BFA am 19.05.2020 brachte der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass sein Leben in der Türkei nicht in Sicherheit sei. Auf ihn und auf seine Familie werde Druck ausgeübt. In der Türkei funktioniere das Rechtssystem nicht. Er werde gesucht; das habe er schon von Anfang an gesagt. Im Oktober 2019 habe er Informationen erhalten, dass er gesucht werde. Das sei der Grund, weshalb er nicht in die Türkei zurückkehren könne. Es könne sein, dass er wegen seines Naheverhältnisses zu HDP gesucht werde. Bei Vorfällen im Juli 2015 seien Freunde inhaftiert worden. Das habe er bereits im ersten Verfahren angeführt. Zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus der Türkei im Jahr 2016 seien in seiner Heimatstadt XXXX Parteimitarbeiter und auch der Vorsitzende der Partei inhaftiert worden. Es seien auch Freunde und Nachbarn festgenommen worden. Der Nachbar des Erstbeschwerdeführers und zugleich auch einer seiner Verwandten sei während der Haft erkrankt. Im Krankenhaus habe man seine Krankheit nicht ernst genommen und sei dieser nach seiner Entlassung gestorben. Im Oktober 2019 habe der Erstbeschwerdeführer von den Kindern seiner Tante erfahren, dass nach ihm gesucht werde. Dies habe er aber schon vorher gewusst. Das Militär würde im Heimatdorf des Erstbeschwerdeführers nach bestimmten Personen fragen, deren Namen auf einer Liste angeführt seien. Dies werde seit 1990 so praktiziert. Die Eltern und die Geschwister des Erstbeschwerdeführers würden seit 28 Jahren in Deutschland leben, da der Vater des Erstbeschwerdeführers in der Türkei gesucht werde. In Österreich absolviere der Erstbeschwerdeführer einen Deutschkurs B1. Der Erstbeschwerdeführer würde vornehmlich von der Grundversorgung leben. Er habe auch bei der Gemeinde gearbeitet. Der Erstbeschwerdeführer sei Koch und würde in Österreich gerne als Koch arbeiten. In der Türkei sei derzeit der Druck auf die Kurden und Aleviten massiv. Wenn man nicht befolge, was Erdogan verlange, habe man keine Chance, in der Türkei zu leben. Der Erstbeschwerdeführer habe in der Türkei alles aufgegeben. Weil der Vater des Erstbeschwerdeführers vor 28 Jahren in der Türkei verurteilt worden sei, sei es dem Erstbeschwerdeführer auch nicht möglich, in die Türkei zurückzukehren. Der Erstbeschwerdeführer wolle, dass seine Kinder in der Türkei nicht dasselbe durchmachen, wie er. In der Türkei seien – wie aus den Medien zu entnehmen – Straftäter aus der Haft entlassen worden; Kurden seien aber nicht entlassen worden. Dies beweise, wie ungerecht der türkische Staat vorgehe. Es gebe in der Türkei 63 HDP-Häuser, davon seien 48 gesperrt. Die meisten HDP-Anhänger und deren Vorsitzende seien in Haft. Damit wolle der Erstbeschwerdeführer sagen, dass der Druck und die Gräueltaten gegenüber den Kurden im Osten fortgesetzt würden. Der Erstbeschwerdeführer könne und wolle nicht in die Türkei zurückkehren. Er werde in der Türkei ins Gefängnis müssen und habe Angst, wie sein Vater gefoltert zu werden.

Im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA am sechsten 20.05.2020 brachte der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er Mitglied bei einem kurdischen Verein in Österreich sei. Er habe für Mitglieder und Abgeordnete der HDP, die sich in der Türkei in einem Hungerstreik befänden, eine Demonstration in XXXX veranstaltet. Der Verein, der diese Demonstration veranstaltet habe, heiße „ XXXX “. Es sei ein alevitischer Verein gemeinsam mit einem Kurdischen. An dieser Demonstration hätten auch Österreicher teilgenommen. Das Motiv sei gewesen, dass Kinder, Frauen und die Zivilbevölkerung nicht umgebracht werden. Die Teilnehmer an der Demonstration hätten die Fahne der HDP und der JPG getragen. Diese Demonstration sei per Video aufgenommen und den türkischen Medien mit der Schlagzeile, dass die PKK das türkische Volk angreife, weitergeleitet worden. Diese Demonstration habe nach der Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht stattgefunden. Der Erstbeschwerdeführer habe dies zwar seinem Rechtsanwalt geschickt, wisse aber nicht, ob dieser es weitergeleitet habe. An das genaue Datum der Demonstration könne sich der Erstbeschwerdeführer nicht erinnern. Aufgrund dessen sei das Leben des Erstbeschwerdeführers nicht in Sicherheit, da die Behörden in der Türkei von dieser Demonstration in Kenntnis gesetzt worden seien. Der Erstbeschwerdeführer sei auf diesem Video zu sehen und sei für die Sicherheit zuständig gewesen. Er habe auch eine grüne Weste getragen. An dieser Demonstration hätten ungefähr 2000 Personen teilgenommen. Der Erstbeschwerdeführer sei beim Verein „ XXXX “ kein Mitglied. Seit seiner Einreise in Österreich sei er Mitglied eines kurdischen Vereines. Der Erstbeschwerdeführer habe Veranstaltungen organisiert und auch Kurdischkurse für Kinder. Ein Freund des Erstbeschwerdeführers sei in der Türkei auf Urlaub gewesen und sei dort aufgrund seiner exilpolitischen Tätigkeiten in Österreich drei Monate inhaftiert gewesen. Bei dieser Person habe es sich um einen kurdischstämmigen Österreicher aus XXXX gehandelt. Die österreichische Regierung habe sich bei diesem Fall eingeschaltet. Es gebe weitere Fälle in Linz, Bregenz und in Wien, denen es ähnlich ergangen sei. Der Erstbeschwerdeführer verstehe nicht, warum bis heute nichts unternommen werde, obwohl er dies seinem Rechtsanwalt vorgelegt habe. Der Erstbeschwerdeführer halte sich seit beinahe vier Jahren in Österreich auf und habe immer die Gesetze eingehalten. In der Türkei habe der Erstbeschwerdeführer keine Freiheiten und auch hier sei er als Asylwerber eingeschränkt. Er habe nur 20 m² für vier Personen zur Verfügung. Wenn er in Österreich die Möglichkeit hätte, einer Arbeit nachzugehen, würde er die staatliche Unterstützung nicht in Anspruch nehmen.

 

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte im Rahmen der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.04.2020 vor, dass für sie noch immer dieselben Fluchtgründe wie bei der ersten Antragstellung gelten würden. Sie befürchte, dass ihr Mann ins Gefängnis komme und ihr älterer Sohn zum Militär müsse.

Bei der Einvernahme vor dem BFA am 19.05.2020 brachte die Zweitbeschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass der Viertbeschwerdeführer, ihr jüngerer Sohn, keine eigenen Fluchtgründe habe. Die Zweitbeschwerdeführerin leide seit sechs Jahren an Depressionen und benötige Schlaftabletten und deswegen auch Magenschutztabletten. In der Türkei sei das Leben der Familie der Zweitbeschwerdeführerin nicht in Sicherheit, weil ihr Mann gesucht werde. Des Weiteren müsse der ältere Sohn zum Wehrdienst. Die Zweitbeschwerdeführerin sei seit 23 Jahren mit dem Erstbeschwerdeführer verheiratet. Wegen ihres Schwiegervaters seien sie nicht in Ruhe gelassen worden. Sie seien von den Dorfschützern und dem Militär ständig belästigt worden. Bereits vor der Eheschließung sei ihr Schwiegervater nach Europa geflüchtet, weil über ihn eine Strafe verhängt worden sei. Deswegen habe man die Zweitbeschwerdeführerin und ihre Familie nicht in Ruhe gelassen. Ein Bruder der Zweitbeschwerdeführerin lebe in XXXX und einer in XXXX . Mit den in Österreich lebenden Geschwistern würde die Zweitbeschwerdeführerin regelmäßig telefonieren. Die Zweitbeschwerdeführerin habe in Österreich zwei Jahre für eine Gemeinde gearbeitet und zwar in einem Kindergarten als Reinigungskraft, wobei sie etwa € 180-€ 200 im Monat verdient habe. Im Falle einer Rückkehr in die Türkei würde der Mann der Zweitbeschwerdeführerin verhaftet werden und ihr älterer Sohn würde zum Militärdienst geschickt werden. In XXXX habe es vor vier oder fünf Monaten eine Demonstration für Idlib und Rojava gegeben. Der Mann der Zweitbeschwerdeführerin habe an dieser Demonstration teilgenommen und es gebe sogar ein Video darüber. Dieses Video sei im Fernsehen veröffentlicht worden, wobei der Mann der Zweitbeschwerdeführerin darauf ersichtlich gewesen sei. Die Zweitbeschwerdeführerin wisse aber nicht, auf welchem Fernsehkanal dieses Video veröffentlicht worden sei. Dieses Video sei in den türkischen Medien veröffentlicht worden. In der Türkei würden nur noch der Vater der Zweitbeschwerdeführerin leben, wobei dieser bereits 84 Jahre alt sei.

 

Der Drittbeschwerdeführer brachte im Rahmen der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.04.2020 vor, dass sich seine Fluchtgründe seit der letzten Asylantragstellung nicht geändert hätten. Er habe Angst, dass er zum Militär und dann an der syrischen Grenze kämpfen müsse.

Bei der Einvernahme vor dem BFA am 19.05.2020 brachte der Drittbeschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass sein Leben in der Türkei nicht in Sicherheit sei. Er müsse im Falle einer Rückkehr zur Musterung und müsse dann beim Militär einrücken. Da sein Vater gesucht werde, sei auch sein Leben in Gefahr. In der Türkei sei er in der Schule diskriminiert worden. Von 2017-2019 habe er einen Deutschkurs und dann in einer Schule eine Übergangsklasse besucht. Im Falle einer Rückkehr in die Türkei würde er im Rahmen des Militärdienstes im Osten der Türkei eingesetzt werden. Dabei handle es sich um kritische Gebiete, wo meistens Söhne aus ärmlichen Verhältnissen landen würden. Der Vater des Drittbeschwerdeführers werde gesucht und sei daher das Leben des Drittbeschwerdeführers nicht in Sicherheit. Er sei sich auch gewiss, dass ihm während des Militärdienstes auch etwas zustoßen würde.

 

2.2. Mit den angefochtenen Bescheiden des BFA vom 12.06.2020 wurden die zweiten Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer hinsichtlich des Status von Asylberichtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 68 Abs. 1 AVG wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurden den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurden gegen die Beschwerdeführer auf die Dauer von zwei Jahren befristete Einreiseverbote erlassen (Spruchpunkt VII.).

 

Das BFA traf in diesen Bescheiden unter anderem die Feststellung, dass die ersten Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer mit Bescheiden des BFA abgewiesen wurden. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurden den Beschwerdeführern nicht erteilt und gegen sie Rückkehrentscheidungen erlassen. Festgestellt wurde, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Türkei zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgelegt. Die gegen diese Bescheide gerichteten Beschwerden wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.11.2019 als unbegründet abgewiesen. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.01.2020 wurde die Revision des Erstbeschwerdeführers zurückgewiesen.

 

Im zweiten Asylverfahren seien keine weiteren asylrelevanten Gründe glaubwürdig vorgebracht worden und habe sich kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben.

 

Zu den Einreiseverboten wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführer den Rückkehrverpflichtungen, die ihnen im Rahmen des ersten Verfahrens auferlegt worden seien, nicht nachgekommen seien und sie somit behördlichen Anordnungen nicht Folge geleistet und diese gröblich missachtet hätten. Zudem hätten die Beschwerdeführer Mittel zum Unterhalt nicht nachweisen können.

 

Zur Lage in der Türkei wurden in den angefochtenen Bescheiden folgende – zusammengefasst wiedergegebene – Feststellungen getroffen:

 

Beweiswürdigung wurde betreffend den Erstbeschwerdeführer ausgeführt, dass er im gegenständlichen Verfahren dieselben Ausreisegründe – er würde aufgrund eines „Naheverhältnisses“ zur HDP gesucht werden – angegeben habe, die er bereits im ersten Verfahren vorgebracht habe. Damit decke sich das Parteibegehren im zweiten Antrag mit dem im ersten.

Da der Erstbeschwerdeführer sein Vorbringen im gegenständlichen Asylverfahren auf ein bereits rechtskräftig als unglaubhaft qualifiziertes Vorbringen stützt bzw. sein gegenwärtiges Vorbringen – seine Cousins hätte ihm mitgeteilt, dass er weiterhin gesucht werden würde – auf ein solches aufbaut, könne kein neuer Sachverhalt vorliegen, weil jeder Sachverhalt, welcher auf dieses unglaubhafte bzw. mit diesem im Zusammenhang stehende Vorbringen aufbaut, nach den Denkgesetzen der Logik ebenfalls als unglaubhaft zu werten sei und der darin behauptete Sachverhalt in der Tatsachenwirklichkeit nicht existieren würde.

Insoweit sich der Erstbeschwerdeführer darauf berufe, dass ihm seine Cousins telefonisch mitgeteilt hätten, dass er weiterhin gesucht werden würde, sei ihm entgegenzuhalten, dass dieses angebliche Bescheinigungsmittel (Telefonat) nicht dazu geeignet sei, einen „glaubhaften Kern“ seines Vorbringens aufzuzeigen. Auch das diesbezügliche Vorbringen beziehe sich nämlich darauf, dass sein angebliches – jedoch nicht glaubhaftes – Problem in der Türkei bis zum heutigen Tag fortwirke. Damit könne auch keine Änderung der Entscheidung herbeigeführt werden, da bereits im ersten Verfahren das Vorbringen, welches durch dieses Telefonat offensichtlich untermauert werden solle, als unglaubhaft qualifiziert worden sei und kein neuer Sachverhalt vorliege. In Bezug auf dieses Telefonat seien auch keine Beweismittel vorgelegt worden, weshalb diese Behauptung nicht verifiziert werden konnte. Es könne sich auch um eine Gefälligkeitshandlung für den Erstbeschwerdeführer handeln.

Zudem stelle diese Behauptung (er hätte im Oktober 2019 von Verwandten erfahren, dass er immer noch gesucht werden würde) keinen neuen objektiven Sachverhalt dar, da dieser Umstand dem Erstbeschwerdeführer bereits vor Abschluss des ersten Asylverfahrens bekannt gewesen sei und er die Verpflichtung gehabt hätte, dies im ersten Asylverfahren vorzubringen.

Zum Vorbringen, dass dem Beschwerdeführer in der Türkei Verfolgung drohe, weil er im November 2019 an einer Demonstration in XXXX teilgenommen habe, wurde ausgeführt, dass dieses nicht nachvollziehbar sei, zumal dieses Vorbringen dem Akt des BFA aus dem Erstverfahren nicht zu entnehmen sei und eine einmalige Teilnahme an einer Demonstration zu keinem Verfolgungsrisiko führen würde. Des Weiteren sei es auch nicht nachvollziehbar, auf welche Art und Weise der türkische Staat zu den Personaldaten des Erstbeschwerdeführers kommen sollte, nachdem dieser auf dem in Vorlage gebrachten Video nur vage und sehr unscharf zu erkennen sei und auch der Name des Erstbeschwerdeführers kein einziges Mal erwähnt worden sei. Auch sei es nicht nachvollziehbar, dass der Erstbeschwerdeführer durch diese einmalige Teilnahme an einer Demonstration eine solch prominente Position gewonnen hätte, dass der türkische Staat nach ihm suchen würde.

Im Ergebnis sei daher festzustellen, dass es dem Erstbeschwerdeführer auch im Folgeverfahren durch die Steigerung seines Vorbringens und der Teilnahme einer Demonstration nicht gelungen sei, glaubhaft zu machen, dass ihm in der Türkei Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohe und es hier mangels glaubhaften Kern des neuen Vorbringens auch zu keiner entscheidungsrelevanten zu berücksichtigenden Sachverhaltsänderung gekommen sei.

 

Betreffend die Zweitbeschwerdeführerin wurde ausgeführt, dass sie im gegenständlichen Verfahren dieselben Ausreisegründe – ihr Mann würde in der Türkei weiterhin gesucht werden und sie hätte Angst, dass ältester Sohn den Wehrdienst absolvieren müsse – angegeben habe, die sie bereits im ersten Verfahren vorgebracht habe. Damit decke sich ihr Parteibegehren im zweiten Antrag mit dem im ersten.

Da das Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin im gegenständlichen Asylverfahren auf ein bereits rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren gestützt worden sei, indem sie nicht glaubhaft gemacht habe, dass ihr in der Türkei Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohe, könne kein neuer Sachverhalt vorliegen.

Bezüglich der gesundheitlichen Probleme der Zweitbeschwerdeführerin hätten sich im Vergleich zum ersten Verfahren keine Änderungen ergeben.

 

Betreffend den Drittbeschwerdeführer wurde ausgeführt, dass er im gegenständlichen Verfahren dieselben Ausreisegründe – er müsse ihn dazu keine den Wehrdienst absolvieren und er wäre in der Schule diskriminiert worden – angegeben habe, die er bereits im ersten Verfahren vorgebracht habe. Damit decke sich sein Parteibegehren im zweiten Antrag mit dem im ersten.

Da das Vorbringen des Drittbeschwerdeführers im gegenständlichen Asylverfahren auf ein bereits rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren gestützt worden sei, indem er nicht glaubhaft gemacht habe, dass ihm in der Türkei Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohe, könne kein neuer Sachverhalt vorliegen.

 

Betreffend den Viertbeschwerdeführer wurde ausgeführt, dass seine gesetzliche Vertretung im gegenständlichen Verfahren dieselben Ausreisegründe für ihn angegeben habe, die bereits im ersten Verfahren vorgebracht wurden, weshalb kein neuer Sachverhalt vorliege.

 

Dass die Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen seien die Mittel für den Unterhalt nachzuweisen, ergebe sich aus dem Umstand, dass sie ihren Lebensunterhalt ausschließlich aus staatlichen Unterstützungsleistungen bestrittener hätten bzw. bestreiten würden. Sie sei nicht in der Lage Mittel für ihren Lebensunterhalt legale Art und Weise zu erwerben, weshalb damit eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit anzunehmen sei.

 

In der rechtlichen Begründung der angefochtenen Bescheide wurde ausgeführt, dass weder in der maßgeblichen Sachlage noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, die eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, weshalb die Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.11.2019 neuerlichen Sachentscheidungen sowohl hinsichtlich des Status als Asylberechtigte als auch hinsichtlich des Status als subsidiär Schutzberechtigte entgegen stünde.

 

Ein Familienbezug zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich oder einem österreichischen Staatsbürger würden nicht vorliegen, weshalb ein Eingriff in das Familienleben zu verneinen sei.

 

Zum Privatleben in Österreich sei festzuhalten, dass sich die Beschwerdeführer nunmehr seit etwa dreieinhalb Jahren die aufhalten und strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten seien. Die Beschwerdeführer hätten auf verschiedenen Niveaus die deutsche Sprache erlernt. Vom Vorliegen eines schützenswerten Privatlebens in Österreich sei daher auszugehen.

 

In gegenständlichen Fällen seien aber der Aufenthalt in Österreich durch die Einreise unter Umgehung der Grenzkontrolle und anschließender Stellung zweier unbegründeter Asylanträge begründet. Es könne daher nicht im Nachhinein das Argument der Dauer des Aufenthaltes als besonders gewichtiges privates Interesse herangezogen werden, weil die lange Aufenthaltsdauer zum überwiegenden Teil auf die Handlungen der Beschwerdeführer selbst zurückzuführen sei und ihnen der Umstand bekannt sein musste, dass diese Handlungen nicht zwingend zu einem dauernden Aufenthalt in Österreich führen müssen, sondern die realistische Wahrscheinlichkeit bestehe, dass der vorübergehend legale Aufenthalt durch die Erschöpfung des Instanzenzuges beendet werde. Die durch den langen Aufenthalt entstandenen privaten Interessen seien daher nur minder schutzwürdig.

Aus den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens (Erlernen der deutschen Sprache auf verschiedenen Niveaus und ein dreieinhalb jähriger Aufenthalt in Österreich) würden sich auch sonst keine Hinweise für eine derartige Integration bzw. Verfestigung in Österreich ergeben, die einer Rückkehrentscheidung im Hinblick auf Art. 8 EMRK entgegenstehen würden. Im Rahmen der Interessenabwägung sei daher festzustellen, dass die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung den privaten Interessen der Beschwerdeführer an einem Verbleiben Österreich überwiegen würden. Die Rückkehrentscheidungen seien daher nach § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG zulässig.

 

Eine Gefährdung der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Türkei im Sinne des § 50 Abs. 1 FPG hätte sich in den gegenständlichen Verfahren nicht ergeben. Es sei somit auszusprechen gewesen, dass im Falle der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidungen sowie bei Vorliegen der in § 46 Abs. 1 Z 1 bis 4 FPG genannten Voraussetzungen die Abschiebung der Beschwerdeführer in der Türkei zulässig sei.

 

Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe im Fall einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG keine Frist für die freiwillige Ausreise. Daher sei in den gegenständlichen Fällen von einer Erteilung der Frist abzusehen.

 

2.3. Gegen diese Bescheide wurden mit Schriftsatz des rechtsfreundlichen Vertreters der Beschwerdeführer vom 25.06.2020 gleichlautende Beschwerden erhoben.

 

Begründend wurde ausgeführt, dass entgegen der Ansicht des BFA sehr wohl objektive Nachfluchtgründe vorliegen würden.

Zum einen habe sich der Erstbeschwerdeführer exilpolitisch betätigt und es sei ihm über seinen Cousin zugetragen worden, dass die Sicherheitskräfte nach ihm gesucht hätten. Diese Aussagen seien nachvollziehbar und glaubwürdig und seien geeignet, das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei in erhebliche Gefahr zu bringen. Die Ergebnisse, die im Herkunftsland der Beschwerdeführer fluchtverursachend gewesen seien und die Ereignisse, die Nachfluchtgründe begründen würden, seien nicht mit dem Maßstab eines Landes zu messen, in dem die demokratischen und rechtsstaatlichen grundlegenden Grundregeln problemlos funktionieren würde (Österreich). Manche Ereignisse, wie z.B. Verfolgung und Misshandlung wegen sehr eingeschränkter politischer Tätigkeiten in Ländern, in denen rechtsstaatliche Regeln nicht beachtet würden und wo Willkür herrsche, können hier zunächst befremdlich wirken und nicht nachvollzogen werden, dies lasse jedoch nicht den Schluss zu, dass diese Ereignisse nicht stattfinden würden.

 

Des Weiteren wurde das bisherige Vorbringen – wie im schriftlichen Antrag auf Gewährung von Asyl vom 19.03.2020 – wiederholt.

 

Zudem wurde ausgeführt, dass die Erstbehörde irrigerweise davon ausgehe, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer sich auf das bereits im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren vorgebrachte stütze und daher unglaubwürdig sei. Diese Sichtweise würde dazu führen, dass in jeglichen ablehnend rechtskräftig entschiedenen Asylverfahren die Geltendmachung eines nachträglichen Asylgrundes verunmöglicht werde.

Ein von den Beschwerdeführern vorgebrachten nachträglicher objektiver Fluchtgrund liege vor. Auch die Videoaufzeichnung untermauere eine exilpolitische Tätigkeit des Erstbeschwerdeführers. Die Beschwerdeführer würde seit November 2016 in Österreich leben. Seit diesem Zeitpunkt habe sich die Türkei in eine Halbdiktatur umgewandelt. Im Juni 2018 habe in der Türkei der Übergang vom parlamentarischen in das präsidiale System stattgefunden und die Befugnisse des Parlaments seien erheblich eingeschränkt worden. Das Parlament sei de facto funktionslos. Die Türkei werde in vielen Bereichen mit Dekret regiert.

Da in der Türkei in den letzten vier Jahren grundlegende Veränderungen stattgefunden hätten und die Türkei sich zunehmend von rechtsstaatlichen sowie demokratischen Prinzipien entfernt habe, sei daher die Annahme gerechtfertigt, dass auch Kleinstoppositionelle verfolgt und mundtot gemacht werden würden. Wie willkürlich die türkische Justiz, die ausschließlich unter Einfluss Erdogans stehe, agiere, werde bei gerichtlichen Verfahren der oppositionellen Politiker sichtbar. Der ehemalige Vorsitzende der HDP und die Co-Vorsitzenden und weiteren HDP-Abgeordneten seien im November 2016 festgenommen worden. Ihnen werde auf Initiative der Erdogan-Regierung Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation (PKK) vorgeworfen. Die Verhaftung der Politiker sei die Schließung von 15 pro-kurdischen Medien, darunter einer Tageszeitung und einer Nachrichtenagentur, gefolgt. Es vergehe kein Tag, an denen Politiker, Journalist und Oppositionelle mit konstruierten Verdächtigungen verfolgt oder verhaftet würden.

Die politische, soziale sowie die Lage der Minderheiten habe sich im Vergleich zum Zeitpunkt, als die Beschwerdeführer ihr Herkunftsland verlassen haben, erheblich verschlechtert.

 

Sodann werden in gegenständlicher Beschwerde Allgemeine Ausführungen zur Lage in der Türkei wiedergegeben.

 

Betreffend die Rückenentscheidung wurde ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführer seit beinahe vier Jahren in Österreich aufhalten würden. Der Drittbeschwerdeführer sei in Österreich volljährig geworden und würde im Falle seiner Rückkehr in die Türkei zum Militärdienst eingezogen werden. Die Türkei befinde sich in einem bewaffneten Konflikt in Syrien, im Osten der Türkei mit der PKK und in Libyen und es sei nicht unwahrscheinlich, dass der Drittbeschwerdeführer während des Militärdienstes in diesen Konfliktregionen eingesetzt werde.

Der Viertbeschwerdeführers sei mit neun Jahren nach Österreich gekommen und habe hier vier Jahre die Schule besucht. Nun sei er 13 Jahre alt und habe sich in Österreich vollkommen integriert. Er habe seine Schulfreunde und auch außerhalb der Schule habe er sehr viele Freundschaften auch zu österreichischen Jugendlichen.

Der Erstbeschwerdeführer habe die Prüfungen für das A1 und A2-Zertifikat erfolgreich bestanden und sei zur Prüfung B1 angetreten und habe diese nicht bestanden. Er wolle nun auch diese Prüfung bestehen.

Die Beschwerdeführer seien von ihren Verwandten in Deutschland, Frankreich und Schweiz finanziell abhängig, zumal der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin ihr gesamtes Hab und Gut für den Zweck der Flucht verkauft bzw. aufgegeben hätten.

Die Erlassung eines Einreiseverbotes sei unrichtig, zumal die Beschwerdeführer das Land aufgrund der Covid-19-Krise nicht verlassen könnten bzw. nicht in die Türkei einreisen dürften. Zudem könne den Beschwerdeführern eine missbräuchliche Antragstellung nicht vorgeworfen werden, da die Beschwerdeführer mit Recht davon ausgegangen seien; dies zum einen aufgrund der exilpolitischen Tätigkeit des Erstbeschwerdeführers und der den Beschwerdeführern aus der Türkei zugetragenen Information, dass sie gesucht werden würden und der Tatsache, dass der Großteil der Großfamilie der Beschwerdeführer aus der Türkei in den letzten 28 Jahren sukzessive flüchten habe müssen und in verschiedenen Ländern der EU Asyl bekommen hätten.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen

 

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer

 

Die Identität der Beschwerdeführer steht fest. Sie sind türkische Staatsangehörige und alevitische Kurden. Sie stammen aus der Provinz XXXX , ursprünglich lebten sie im Dorf XXXX , zuletzt aber bis zur Ausreise in der Provinzhauptstadt XXXX . Die Beschwerdeführer sprechen Türkisch und Kurdisch auf muttersprachlichem Niveau.

 

Der Erstbeschwerdeführer ist seit 1999 mit der Zweitbeschwerdeführerin verheiratet und hat mit dieser den Drittbeschwerdeführer und den Viertbeschwerdeführer als gemeinsame Kinder.

 

Der Erstbeschwerdeführer verfügt in der Türkei nach wie vor über ein Haus im Dorf, in dem er aufwuchs und über mehrere Grundstücke dort, sowie über eine Eigentumswohnung in der Stadt XXXX in der die Beschwerdeführer vor der Ausreise lebten. Die finanzielle Lage der Beschwerdeführer in der Türkei war gut.

 

Die Beschwerdeführer leiden an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung.

 

In der Türkei leben noch zwei Tanten des Erstbeschwerdeführers. Zudem leben dort noch der Vater, zwei Tanten und drei Stiefbrüder der Zweitbeschwerdeführerin.

 

Zwei Brüder der Zweitbeschwerdeführerin leben in Österreich. Seitens der Beschwerdeführer besteht zu keinem ihrer hiesigen Verwandten ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis. Die Eltern, der Bruder und zwei Schwestern des Erstbeschwerdeführers leben in Deutschland. In Deutschland leben außerdem zwei Brüder und zwei Schwestern der Zweitbeschwerdeführerin. Eine Schwester des Erstbeschwerdeführer lebt in der Schweiz und eine Schwester der Zweitbeschwerdeführerin in den Niederlanden.

 

Die Zweitbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer sprechen wenig Deutsch. Der Erstbeschwerdeführer verfügt über Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Der Erstbeschwerdeführer absolvierte Deutschprüfungen auf dem Niveau A2 und A1. Er besuchte auch danach einen Deutschkurs B1.

 

Der Drittbeschwerdeführer besuchte in Österreich Deutschkurse und eine Übergangsklasse.

 

Der Viertbeschwerdeführer besuchte in Österreich eine neue Mittelschule.

 

1.2. Die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 11.11.2016 wurden mit Bescheiden des BFA vom 18.12.2018 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG wurde der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG Rückkehrentscheidungen erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen eingeräumt (Spruchpunkt VI.).

 

Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurden mit hg. Erkenntnissen vom 04.11.2019 als unbegründet abgewiesen.

 

Die gegen das hg. Erkenntnis betreffend den Erstbeschwerdeführer gerichtete Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.01.2020 zurückgewiesen.

 

1.3. Die Beschwerdeführer sind den mit Bescheiden des BFA vom 18.12.2018 angeordneten und in Rechtskraft erwachsenen Verpflichtungen zur Ausreise aus dem österreichischen Bundesgebiet nicht nachgekommen.

 

Die Beschwerdeführer stützten die neuerlichen Anträge auf internationalen Schutz auf dieselben Fluchtgründe, die sie bereits in dem vorhergehenden Verfahren über ihre Anträge auf internationalen Schutz geltend gemacht hatten. Sie haben keine neuen Gründe vorgebracht.

 

In Bezug auf die individuelle Lage der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat kann keine, sich in Bezug auf jenen Zeitpunkt, in dem letztmalig über den Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde (04.11.2019), maßgeblich andere Situation festgestellt werden.

 

Den Beschwerdeführern droht in der Türkei keine aktuelle, konkrete und individuelle Verfolgung ihrer Person. Die Beschwerdeführer haben im gegenständlichen Verfahren nicht glaubwürdig und nachvollziehbar behauptet, dass sich die allgemeine Lage in der Türkei entscheidungswesentlich geändert hat und sie deshalb eine unmittelbare persönliche Gefährdung zu befürchten haben. Eine solche entscheidungswesentliche Änderung der allgemeinen Lage in der Türkei, der Heimatstadt ist auch nicht eingetreten.

 

Nicht festgestellt werden kann, dass eine ausgeprägte und verfestigte Integration der Beschwerdeführer in Österreich vorliegt. Ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht ist nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführer sind in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig erwerbstätig, sondern leben seit der Antragstellung von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Sie besuchten Deutschkurse bzw. Schulen und hat zumindest der Erstbeschwerdeführer eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 bestanden. Darüber hinaus liegen jedoch keine sonstigen Hinweise auf eine besonders ausgeprägte und verfestigte Integration der Beschwerdeführer in Österreich vor. Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

 

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Türkei in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Im Herkunftsstaat halten sich noch Angehörige der Beschwerdeführer auf. Die Zweitbeschwerdeführerin leidet an Depressionen; ansonsten sind die Beschwerdeführer gesund.

 

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor. Es konnten keine Umstände festgestellt werden, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Türkei gemäß § 46 FPG unzulässig wäre.

 

1.4. Zur Lage in der Türkei wird – wie bereits vom BFA – Folgendes festgestellt und werden die in den angefochtenen Bescheiden enthaltenen Feststellungen im Wesentlichen wörtlich – ohne Tabellen oder sonstige Grafiken – wiedergegeben:

 

„Derzeit herrscht weltweit die als COVID-19 bezeichnete Pandemie. COVID-19 wird durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte. In Ihrem Herkunftsstaat Türkei wurden bisher 174.023 Fälle von mit diesem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei bisher 4.763 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden (https://coronavirus.jhu.edu/map.html , abgerufen am 12.06.2020).

Wie gefährlich der Erreger SARS-CoV-2 ist, kann derzeit noch nicht genau beurteilt werden. Man geht aber von einer Sterblichkeitsrate von bis zu drei Prozent aus, wobei v.a. alte Menschen und immungeschwächte Personen betroffen sind (https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen.html , abgerufen am 12.06.2020).

 

Die Ihre Person treffende allgemeine maßgebliche Lage im Herkunftsstaat hat sich seit Rechtskraft des Vorverfahrens (05.11.2019) nicht geändert:

 

Sicherheitslage

Letzte Änderung am 29.11.2019

Im Juli 2015 flammte der bewaffnete Konflikt zwischen Sicherheitskräften und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wieder auf; der sog. Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Türkei musste zudem von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK (bzw. ihrer Ableger), des sogenannten Islamischen Staates sowie – in sehr viel geringerem Ausmaß – auch linksextremistischer Gruppierungen, wie der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C), ausgesetzt. Die Intensität des Konflikts mit der PKK innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 14.6.2019). Dennoch ist die Situation im Südosten trotz eines verbesserten Sicherheitsumfelds weiterhin angespannt. Die Regierung setzte die Sicherheitsmaßnahmen gegen die PKK und mit ihr verbundenen Gruppen fort (EC 25.9.2019). Laut der türkischen Menschenrechtsvereinigung (IHD) kamen 2018 bei bewaffneten Auseinandersetzungen 502 Personen ums Leben, davon 107 Sicherheitskräfte, 391 bewaffnete Militante und vier Zivilisten (IHD 19.4.2019). 2017 betrug die Zahl der Todesopfer 656 (IHD 24.5.2018) und 2016, am Höhepunkt der bewaffneten Auseinandersetzungen, 1.757 (IHD 1.2.2017). Die International Crisis Group zählte 2018 sogar 603 Personen, die ums Leben kamen. Von Jänner bis September 2019 kamen 361 Personen ums Leben (ICG 4.10.2019). Bislang gab es keine sichtbaren Entwicklungen bei der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses zur Erreichung einer friedlichen und nachhaltigen Lösung (EC 29.5.2019).

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage (EDA 4.10.2019). Im Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und Irak, insbesondere in Diyarbakır, Cizre, Silopi, Idil, Yüksekova und Nusaybin sowie generell in den Provinzen Mardin, Şırnak und Hakkâri bestehen erhebliche Gefahren durch angrenzende Auseinandersetzungen. In den Provinzen Hatay, Kilis, Gaziantep, Şanlıurfa, Diyarbakır, Mardin, Batman, Bitlis, Bingöl, Siirt, Muş, Tunceli, Şırnak, Hakkâri und Van besteht ein erhöhtes Risiko. In den genannten Gebieten werden immer wieder „zeitweilige Sicherheitszonen“ eingerichtet und regionale Ausgangssperren verhängt. Zur Einrichtung von Sicherheitszonen und Verhängung von Ausgangssperren kam es bisher insbesondere im Gebiet südöstlich von Hakkâri entlang der Grenze zum Irak sowie in Diyarbakır und Umgebung sowie südöstlich der Ortschaft Cizre (Dreiländereck Türkei-Syrien-Irak), aber auch in den Provinzen Gaziantep, Kilis, Urfa, Hakkâri, Batman und Aǧrı (AA 8.10.2019a). Das BMEIA sieht ein hohes Sicherheitsrisiko in den Provinzen Ağrı, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbakır, Gaziantep, Hakkâri, Kilis, Mardin, Şanlıurfa, Siirt, Şırnak, Tunceli und Van, wo es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen mit zahlreichen Todesopfern und Verletzten kommt. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko gilt im Rest des Landes (BMEIA 4.10.2019).

Die Sicherheitskräfte verfügen auch nach Beendigung des Ausnahmezustandes weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen (EDA 4.10.2019).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019),_14.06.2019.pdf , Zugriff 8.10.2019

• AA – Auswärtiges Amt (8.11.2019a): Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/tuerkeisicherheit/201962#content_1 , Zugriff 8.10.2019

• BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (8.11.2019): Türkei – Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tuerkei/ , Zugriff 8.10.2019

• EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 3.10.2019

• EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (4.10.2019): Reisehinweise Türkei, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/tuerkei/reisehinweise-fuerdietuerkei.html , Zugriff 4.10.2019ICG – Internal Crisis Group (4.10.2019): Turkey’s PKK Conflict: A Visual Explainer, https://www.crisisgroup.org/content/turkeys-pkk-conflict-visual-explainer , Zugriff 7.10.2019

• IHD – Human Rights Association - İnsan Hakları Derneği (1.2.2017): IHD’s 2016 Report on Human Rights Violations in Eastern and Southeastern Anatolia Region, https://ihd.org.tr/en/ihds-2016-report-on-human-rights-violations-in-eastern-and-southeastern-anatolia/ , Zugriff 4.10.2019

• IHD – Human Rights Association - İnsan Hakları Derneği (24.5.2018): 2017 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, http://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2018/05/IHD_2017_balance-sheet-1.pdf , Zugriff 4.10.2019

• IHD – Human Rights Association - İnsan Hakları Derneği (19.4.2019): 2018 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, https://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2019/05/2018-SUMMARY-TABLE-OF-HUMAN-RIGHTS-VIOLATIONS-IN-TURKEY.pdf , Zugriff 4.10.2019

 

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung am 6.4.2020

Die nationale Polizei, die unter der Kontrolle des Innenministeriums steht, ist für die Sicherheit in großen Stadtgebieten verantwortlich (AA 14.6.2019; vgl. USDOS 11.4.2020). Die Jandarma, eine paramilitärische Truppe, ist für ländliche Gebiete und spezifische Grenzgebiete zuständig (AA 14.6.2019; vgl. USDOS 11.4.2020, ÖB 10.2019), obwohl das Militär die Gesamtverantwortung für die Grenzkontrolle und die allgemeine Außensicherheit trägt (USDOS 11.4.2020). Die Jandarma mit einer Stärke von 180.000 Bediensteten wurde nach dem Putschversuch 2016 dem Innenministerium unterstellt, zuvor war diese dem Verteidigungsministerium unterstellt (ÖB 10.2019). Es gab Berichte, dass Jandarma-Kräfte, die zeitweise eine paramilitärische Rolle spielen und manchmal als Grenzschutz fungieren, auf Asylsuchende syrischer und anderer Nationalitäten schossen, die versuchten, die Grenze zu überqueren, was zu Tötungen oder Verletzungen von Zivilisten führte (USDOS 11.4.2020). Die Jandarma beaufsichtigt auch die sog. "Sicherheitskräfte" [Güvenlik Köy Korucuları], die vormaligen „Dorfschützer“, eine zivile Miliz, die zusätzlich für die lokale Sicherheit im Südosten sorgen soll, vor allem als Reaktion auf die terroristische Bedrohung durch die PKK (USDOS 13.3.2019). Die Polizei und mehr noch der Geheimdienst MİT haben unter der AKP-Regierung an Einfluss gewonnen. Seit den Auseinandersetzungen mit der Gülen-Bewegung ist die Polizei aber auch selbst zum Objekt umfangreicher Säuberungen geworden (über 33.000 Bedienstete betroffen von massenhaften Versetzungen, Suspendierungen vom Dienst, Entlassungen und Strafverfahren). Die Jandarma rekrutiert sich teils aus Wehrpflichtigen (AA 14.6.2019).

Nachrichtendienstliche Belange werden bei der Türkischen Nationalpolizei („Emniyet Genel Müdürlüğü“ - TNP) durch den polizeilichen Nachrichtendienst (İstihbarat Dairesi Başkanlığı“ - IDB) abgedeckt. Dessen Schwerpunkt liegt auf Terrorbekämpfung, Kampf gegen organisierte Kriminalität und Zusammenarbeit mit anderen türkischen Nachrichtendienststellen. Ebenso unterhält die Jandarma einen auf militärische Belange ausgerichteten Nachrichtendienst. Ferner existiert der nationale Nachrichtendienst („Millî İstihbarat Teşkilâtı“- MİT), der seit September 2017 direkt dem Staatspräsidenten unterstellt ist (zuvor dem Amt des Premierministers) und dessen Aufgabengebiete der Schutz des Territoriums, des Volkes, der Aufrechterhaltung der staatlichen Integrität, der Wahrung des Fortbestehens, der Unabhängigkeit und der Sicherheit der Türkei sowie deren Verfassung und der verfassungskonformen Staatsordnung sind. Es existiert nach wie vor der militärische Nachrichtendienst, der dem Generalstabschef untersteht. Dieser musste nach dem Putsch einige Aufgaben an den MİT abgeben. Die Gesetzesnovelle vom April 2014 brachte dem MİT erweiterte Befugnisse zum Abhören von privaten Telefongesprächen und zur Sammlung von Informationen über terroristische und internationale Straftaten. MİT-Agenten besitzen von nun an eine größere Immunität gegenüber dem Gesetz. Es sieht Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren für Personen vor, die Geheiminformation veröffentlichen. Auch Personen, die dem MİT Dokumente bzw. Informationen vorenthalten, drohen bis zu fünf Jahre Haft. Die Entscheidung, ob gegen den MİT-Vorsitzenden ermittelt werden darf, bedarf mit der Novelle aus 2014 der Zustimmung des Staatspräsidenten (ÖB 10.2019).

Der Polizei wurden im Zuge der Abänderung des Sicherheitsgesetzes im März 2015 weitreichende Kompetenzen übertragen. Das Gesetz sieht seitdem den Gebrauch von Schusswaffen gegen Personen vor, welche Molotow-Cocktails, Explosiv- und Feuerwerkskörper oder ähnliches, etwa im Rahmen von Demonstrationen, einsetzen, oder versuchen einzusetzen (NZZ 27.3.2015; vgl. FAZ 27.3.2015, HDN 27.3.2015). Die Polizei kann auf Grundlage einer mündlichen oder schriftlichen Einwilligung des Leiters der Verwaltungsbehörde eine Person, ihren Besitz und ihr privates Verkehrsmittel durchsuchen. Der Gouverneur kann die Exekutive anweisen, Gesetzesbrecher ausfindig zu machen (Anadolu 27.3.2015).

Den Militär-, Polizei- und Nachrichtendiensten fehlt es an ausreichender Transparenz und Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament. Das Sicherheitspersonal verfügt über einen umfassenden Rechtsschutz. Trotz glaubhafter Berichterstattung über schwerwiegende Anschuldigungen wegen Menschenrechtsverletzungen und den unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte im Südosten ist die Erfolgsbilanz der gerichtlichen und administrativen Prüfung solcher Anschuldigungen nach wie vor schlecht. Die parlamentarische Aufsichtskommission für die Strafverfolgung blieb wirkungslos (EC 29.5.2019).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019),_14.06.2019.pdf , Zugriff 31.10.2019

• Anadolu Agency (27.3.2015): Turkey: Parliament approves domestic security package, http://www.aa.com.tr/en/s/484662--turkey-parliament-approves-domestic-security-package , Zugriff 31.10.2019

• EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 31.10.2019

• FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (27.3.2015): Die Polizei bekommt mehr Befugnisse, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/tuerkei/tuerkei-mehr-befugnisse-fuer-polizei-gegen-demonstranten-13509122.html , Zugriff 31.10.2019

• HDN – Hürriyet Daily News (27.3.2015): Turkish main opposition CHP to appeal for the annulment of the security package, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-main-opposition-chp-to-appeal-for-the-annulment-of-the-security-package-.aspx?pageID=238&nID=80261&NewsCatID=338 , Zugriff 31.10.2019

• NZZ – Neue Zürcher Zeitung (27.3.2015): Mehr Befugnisse für die Polizei; Ankara zieht die Schraube an, http://www.nzz.ch/international/europa/ankara-zieht-die-schraube-an-1.18511712 , Zugriff 31.10.2019

• ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_ÖB Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 31.10.2019

• USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/2004277.html , Zugriff 31.10.2019

• USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html , Zugriff 6.4.2020

 

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung am 13.2.2020

Nach zwei Jahren der rapiden Verschlechterung der Menschenrechtslage endete der Ausnahmezustand am 18.7.2018. Dies ging jedoch nicht mit konkreten Schritten zur Verbesserung der Menschenrechte im Land einher. Stattdessen bleiben viele der während des Ausnahmezustands eingeführten Maßnahmen bis heute in Kraft. Diese haben nach wie vor tiefgreifende und verheerende Auswirkungen auf die türkischen Bürger (EC 29.5.2019). Die Behörden haben verschiedene gesellschaftliche Gruppen auf der Grundlage unterschiedlicher rechtlicher Bestimmungen im Visier, um gegen abweichende Meinungen vorzugehen und ein Klima der Angst aufrechtzuerhalten. So wurde gegen Menschenrechtsanwälte und Gewerkschaftsvertreter in aufeinander folgenden Verhaftungswellen vorgegangen (AI 1.2.2019).

Zwar umfasst der Rechtsrahmen allgemeine Garantien für die Achtung der Menschen- und Grundrechte, dieser muss aber noch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bzgl. Garantien für die Achtung der Menschen- und Grundrechte in Einklang gebracht werden. In den Bereichen Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit sowie Verfahrens- und Eigentumsrechten gab es weiterhin schwere Rückschritte (EC 29.5.2019; vgl. EP 13.3.2019). Einschränkungen der Tätigkeit von Journalisten, Akademikern, Menschenrechtsverteidigern und kritischen Stimmen auf breiter Ebene wirken sich negativ auf die Ausübung dieser Freiheiten aus und führen zu Selbstzensur. Die Durchsetzung der Rechte wird durch die Zersplitterung und eingeschränkte Unabhängigkeit der öffentlichen Einrichtungen, die für den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zuständig sind, und das Fehlen einer unabhängigen Justiz behindert (EC 29.5.2019).

Gemäß der Verfassung besitzt jede Person mit seiner Persönlichkeit verbundene unantastbare, unübertragbare, unverzichtbare Grundrechte und Grundfreiheiten. Diese können gemäß Art. 13 der Verfassung nur durch Gesetz und mit der Maßgabe eingeschränkt werden, dass ihr Wesenskern unberührt bleibt. Die Beschränkungen dürfen nicht gegen Wortlaut und Geist der Verfassung, die Notwendigkeiten einer demokratischen Gesellschaftsordnung und der laizistischen Republik sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Diesen Grundsätzen steht der Kampf gegen den Terrorismus als zentrale Rechtfertigung für die Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte gegenüber (ÖB 10.2019).

Die Türkei hat eine weit gefasste Definition von Terrorismus, die auch Verbrechen gegen die verfassungsmäßige Ordnung und die innere und äußere Sicherheit des Staates umfasst, die die Regierung regelmäßig einsetzt, um die legitime Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu kriminalisieren (USDOS 1.11.2019; vgl. ÖB 10.2019). Dieser Terrorismusbegriff ist mit dem Grundrechtsschutz unvereinbar (ÖB 10.2019). Das Europaparlament sieht die Antiterrormaßnahmen als Missbrauch zur Legitimation der Verstöße gegen die Menschenrechte und fordert die Türkei nachdrücklich auf, bei ihren Antiterrormaßnahmen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und ihre Rechtsvorschriften zur Terrorbekämpfung an die internationalen Menschenrechtsnormen anzupassen (EP 13.3.2019).

Die missbräuchliche Verwendung von Terrorismusvorwürfen in großem Umfang hält an. Neben tausenden Personen, gegen die wegen Terrorismusvorwürfen ermittelt, da sie vermeintlich mit der Gülen-Bewegung in Verbindung stehen (siehe Kapitel 2.1. Gülen- oder Hizmet-Bewegung) befinden sich schätzungsweise 8.500 Personen - darunter gewählte Politiker und Journalisten - wegen angeblicher Verbindungen zur verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK/KCK) entweder in Untersuchungshaft oder nach einer Verurteilung in Haft. Gegen viele weitere läuft der Prozess. Sie befinden sich jedoch auf freiem Fuß (HRW 14.1.2020).

Der EGMR spielt im Land eine besonders wichtige Rolle. Mit der Einführung der Individualbeschwerde seit September 2012 beruft sich das Verfassungsgericht noch häufiger auf die EMRK. Im Zuge des massenhaften strafrechtlichen Vorgehens gegen mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung kam es zu einer deutlichen Zunahme der Individualbeschwerden beim EGMR, die jedoch in der Regel am Erfordernis der innerstaatlichen Rechtswegerschöpfung scheitern (AA 14.6.2019). Im Jahr 2018 stellte der EGMR Verstöße gegen die EMRK in 142 Fällen (von 146) fest, die sich hauptsächlich auf das Recht auf ein faires Verfahren (41), die Meinungsfreiheit (40), das Recht auf Freiheit und Sicherheit (29), die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (11), unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (11) und das Verbot von Folter (10) bezogen (EC 29.5.2019; vgl. ECHR 1.2019a). Im Berichtszeitraum 2018 wurden vom EGMR 6.717 neue Anträge registriert (ECHR 1.2019b; vgl. EC 29.5.2019). Auf dem Höhepunkt 2017 waren es 25.978 (ECHR 1.2019b). Im Rahmen des verstärkten Überwachungsverfahrens gibt es derzeit 410 Verfahren gegen die Türkei (EC 29.5.2019). Mit Stand 31.10.2019 waren 8.700 Verfahren aus der Türkei, das waren 14,5% aller Fälle, am EGMR anhängig (ECHR 12.11.2019).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019),_14.06.2019.pdf , Zugriff 6.11.2019

• AI – Amnesty International: Turkey (1.2.2019): Amnesty International’s brief on the human rights situation: Turkey’s state of emergency ended but the crackdown on human rights continues [EUR 44/9747/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/1457405/1226_1549275543_eur4497472019english.PDF , Zugriff 7.11.2019

• EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 6.11.2019

• ECHR - European Court of Human Rights (1.2019a): Statistics by year 2018: Violations by Article and by State, https://echr.coe.int/Documents/Stats_violation_2018_ENG.pdf , Zugriff 6.11.2019

• ECHR - European Court of Human Rights (1.2019b): Analysis of statistics 2018, https://www.echr.coe.int/Documents/Stats_analysis_2018_ENG.pdf , Zugriff 15.11.2019

• ECHR - European Court of Human Rights (12.11.2019): Pending Applications Allocated To A Judicial Formation 31/10/2019, https://www.echr.coe.int/Documents/Stats_pending_month_2019_BIL.pdf , Zugriff 15.11.2019

• EP – European Parliament (13.3.2019): 2018 Report on Turkey - European Parliament resolution of 13 March 2019 on the 2018 Commission Report on Turkey (2018/2150(INI)), http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML TA P8-TA-2019-0200 0 DOC PDF V0//EN , Zugriff 7.11.2019

• HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022684.html , Zugriff 13.2.2020

• USDOS – US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019168.html , Zugriff 7.11.2019

 

Grundversorgung/ Wirtschaft

Letzte Änderung am 29.11.2019

Die türkische Wirtschaft hat in den letzten zwölf Monaten erhebliche außenwirtschaftliche Veränderungen erlebt, darunter rückläufige Leistungsbilanz-Ungleichgewichte und eine geringere Auslandsverschuldung der Banken. Dies hat die außenwirtschaftlichen Schwächen verringert, die sich im Vorfeld des Währungsschocks vom August 2018 gehäuft hatten. Investitionen sind zurückgegangen, die Preise hoch geblieben und die Arbeitslosigkeit gestiegen. Diese Anpassungen haben den Fremdfinanzierungsbedarf des Landes reduziert und zu einer stabileren Lira beigetragen, ungeachtet der Währungsschwankungen im Verlaufe des Jahres 2019. Die Anpassungen wurden durch ein aktiveres Agieren der Politik und günstigere globale monetäre Bedingungen unterstützt. Dennoch sind die Devisenreserven in den letzten zwei Jahren abgebaut worden und haben die Türkei einem außenwirtschaftlichen Druck ausgesetzt. Die Realwirtschaft ist nach wie vor stark von beharrlichen makro-finanziellen Schwächen betroffen. Die Investitionen gingen deutlich zurück (bis zum zweiten Quartal 2019), während die Industrieproduktion auf eine schwache Trendwende hinweist. Die allmähliche Erholung von der Rezession im Jahr 2018 wurde durch einen Anstieg des privaten Konsums und einer Nettoauslandsnachfrage betrieben. Der Rückgang der Inflation hat begonnen, nachdem die Wechselkursentwicklung und der Vertrauensverlust in die Lira die Verbraucherpreise stark anstiegen ließen. Die Inflation betrug in den ersten drei Quartalen 2019 durchschnittlich 17% (WB 2.11.2019).

Stagnierendes Produktionsniveau, steigende Produktionskosten und hohe Verbraucherpreise haben zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten und sinkenden Reallöhnen geführt. Die türkische Wirtschaft hat von Mai 2018 bis Mai 2019 rund 840.000 Arbeitsplätze verloren, was 2,9% der Gesamtbeschäftigung entspricht. Die Arbeitslosenquote stieg zwischen Mai 2018 und Mai 2019 von 10,6% auf 14%, wobei die Jugendarbeitslosigkeit einen Anstieg von 19,6% auf 25,6% verzeichnete. Die durchschnittlichen Reallöhne sanken zwischen 2017 und 2018 um 2,6%. Am stärksten betroffen sind ärmere Haushalte, da viele einkommensschwache Arbeitskräfte im Baugewerbe und in der Landwirtschaft beschäftigt sind - den Sektoren, in denen der größte Beschäftigungsrückgang zu verzeichnen war (WB 2.11.2019).

Weitere Tendenzen: chronisch hohes Leistungsbilanzdefizit; starke Abhängigkeit von Energieimporten (mehr als 50% des Defizits); fehlende Leistungsfähigkeit in höherwertigen Wirtschaftssektoren, in Teilen beschränkte globale Wettbewerbsfähigkeit, niedrige lokale Wertschöpfung in der Produktion; Abhängigkeit von ausländischen Kapitalflüssen (auch durch die geringe Sparquote: 13% BIP) hoher Anteil an Schwarzarbeit und geringer Anteil von Frauen in der Erwerbsarbeit. Stark entwickelt ist die Westtürkei mit dem Marmara-Raum und der Ägäis. Dabei erwirtschaftet die Region Istanbul mit ca. 20% der Bevölkerung 40% der gesamten Wertschöpfung. Unterentwickelt ist der Südosten und Osten des Landes, gekennzeichnet oft durch bittere Armut und wirtschaftliche Rückständigkeit (GIZ 9.2019a).

Unter den OECD-Staaten hat die Türkei eine der höchsten Werte hinsichtlich der sozialen Ungleichheit und gleichzeitig eines der niedrigsten Haushaltseinkommen. Während im OECD-Durchschnitt die Staaten 20% des Brutto-Sozialproduktes für Sozialausgaben aufbringen, liegt der Wert in der Türkei unter 13%. Die Türkei hat u.a. auch eine der höchsten Kinderarmutsraten innerhalb der OECD. Jedes fünfte Kind lebt in Armut (OECD 2019).

Quellen:

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2019a): Länderinformationsportal: Türkei: Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/tuerkei/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 11.10.2019

• OECD (2019): Society at a Glance 2019: OECD Social Indicators, https://www.oecd-ilibrary.org/docserver/soc_glance-2019-en.pdf?expires=1573813322&id=id&accname=guest&checksum=2EE74228759055A97295ED4460FC22E0 , Zugriff 15.11.2019

• WB – World Bank (2.11.2019): Turkey Economic Monitor, October 2019: Charting A New Course, https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/32634/Turkey-Economic-Monitor-Charting-a-New-Course.pdf?cid=ECA_EM_Turkey_EN_EXT&deliveryName=DM48511 , Zugriff 15.11.2019

 

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung am 2.3.2020

Die vorhandenen Systeme sind nicht ausreichend, um eine medizinische Versorgung auf angemessenem Niveau für alle Bürger zu gewährleisten. Derzeit wird um eine Reform der Krankenversicherung gerungen, das heißt die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung auf einer beitragsfinanzierten Grundlage. Dies erscheint angesichts der großen Anzahl der in der Schattenwirtschaft tätigen Arbeiter zumindest herausfordernd. Das staatliche Gesundheitswesen besteht aus Krankenhäusern (Träger: SSK, Gesundheitsministerium, Universitäten), Polikliniken, Gesundheitsstationen (Variante 1: mit Pflegekraft, Variante 2: mit Arzt), niedergelassenen Ärzten und weiteren ambulanten Einrichtungen. Für die Versicherten ist die Behandlung kostenlos. Allerdings sind materielle und personelle Ausstattung oft mangelhaft, sodass mehr als eine ausreichende Basisversorgung nicht möglich ist. Selbst in Krankenhäusern sind die Patienten auf die Pflege durch Verwandte angewiesen. Medikamentenengpässe sind nicht selten. Auf 1.100 Einwohner kommt ein Arzt. Das liegt weit unter dem OECD-Durchschnitt (350 Einwohner pro Arzt). Nicht-Sozialversicherte haben keinen Anspruch auf Leistungen. Für sie und Kinder unter 18 Jahren gibt es die Grüne Karte (yeşil kart), mit der ärztliche Hilfe von den Ärmsten beansprucht werden kann. Daneben gibt es ein privates ärztliches Versorgungssystem, das gehobenen internationalen Standards genügt. Auch die Krisenmedizin ist auf einem guten Stand (GIZ 12.2019).

Die medizinische Primärversorgung ist flächendeckend ausreichend. Die sekundäre und post-operationelle Versorgung dagegen oft mangelhaft, nicht zuletzt aufgrund der mangelhaften sanitären Zustände und Hygienestandards in den staatlichen Spitälern, vor allem in ländlichen Gebieten und kleinen Provinzstädten (ÖB 10.2019). Trotzdem hat sich das staatliche Gesundheitssystem in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert - vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite - vor allem in ländlichen Provinzen - bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet. Landesweit wächst die Zahl der Krankenhäuser (2017: 1.518), davon ca. 60% in staatlicher Hand mit einer Kapazität von knapp 226.000 Betten. Die Behandlung bleibt für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten mit Ausnahme der „Praxisgebühr“ gratis (AA 14.6.2019).

Die Gesundheitsreform ist als Erfolg zu werten, da mittlerweile 90% der Bevölkerung eine Krankenversicherung haben, und die Müttersterblichkeit bei Geburt um 70%, und die Kindersterblichkeit um 2/3 gesunken ist. Die Welt-Bank warnt jedoch vor explodierenden Kosten. Zahlreiche Ärzte kritisieren die sinkende Qualität der Behandlungen aufgrund der reduzierten Konsultationsdauer und der geringeren Ressourcen pro Patient (ÖB 10.2019).

Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. Im Fall von Krebsbehandlungen kann nach aktuellen Medienberichten aufgrund des gesunkenen Wertes der türkischen Währung keine ausreichende Versorgung mit bestimmten Medikamenten aus dem Ausland gewährleistet werden; es handelt sich aber nicht um ein flächendeckendes Problem (AA 14.6.2019).

Das neu eingeführte, seit 2011 flächendeckend etablierte Hausarztsystem ist von der Eigenanteil-Regelung ausgenommen. Nach und nach hat das Hausarztsystem die bisherigen Gesundheitsstationen (Sağlık Ocağı) abgelöst und zu einer dezentralen medizinischen Grundversorgung geführt. Die Inanspruchnahme des Hausarztes ist freiwillig (AA 14.6.2019).

NGOs, die sich um Bedürftige kümmern, sind in der Türkei vereinzelt in den Großstädten vorhanden, können jedoch kaum die Grundbedürfnisse der Bedürftigen abdecken (ÖB 10.2019).

Um vom türkischen Gesundheits- und Sozialsystem profitieren zu können, müssen sich in der Türkei lebende Personen bei der türkischen Sozialversicherungsbehörde (Sosyal Guvenlik Kurumu - SGK) anmelden. Gesundheitsleistungen werden sowohl von privaten als auch von staatlichen Institutionen angeboten. Sofern Patienten bei der SGK versichert sind, sind Behandlungen in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos. Die Kosten von Behandlungen in privaten Krankenhäusern werden von privaten Versicherungen gedeckt. Versicherte der SGK erhalten folgende Leistungen kostenlos: Impfungen, Diagnosen und Laboruntersuchungen, Gesundheitschecks, Schwangerschafts- und Geburtenbetreuung, Notfallbehandlungen. Beiträge sind einkommensabhängig und fangen bei Lira 76,75 an (IOM 2019).

Rückkehrer aus dem Ausland werden bei der SGK-Registrierung nicht gesondert behandelt. Sobald Begünstigte bei der SGK registriert sind, gelten Kinder und Ehepartner/-in automatisch als versichert und profitieren von einer kostenlosen Gesundheitsversorgung. Rückkehrer können sich bei der ihrem Wohnort nächstgelegenen SKG-Behörde registrieren (IOM 2019).

Der freiwillige Mindestbetrag für die Grundversorgung – sofern keine Versicherung durch den Arbeitgeber bereits besteht – beträgt zwischen 6 bis 12% des monatlichen Einkommens. Personen ohne ein reguläres Einkommen müssen ca. 13 EUR/Monat in die Krankenkasse einzahlen. Bei Nachweis über ein sehr geringes Einkommen (weniger als 150,- EUR/Monat) werden die Grundversorgungsbeiträge vom Staat übernommen (ÖB 10.2019).

Die Behandlung psychischer Erkrankungen erfolgt überwiegend in öffentlichen Institutionen. Bei der Behandlung sind zunehmende Kapazitäten und ein steigender Standard festzustellen. Insgesamt standen 2017 elf psychiatrische Fachkliniken mit einer Bettenkapazität von rund 4.000 zur Verfügung, weitere Betten gibt es in besonderen Fachabteilungen von einigen Regionalkrankenhäusern. Insgesamt 36 therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige (AMATEM) befinden sich in 33 Provinzen. Zusätzlich werden in 50 ambulanten und 44 stationären Gesundheitszentren Behandlungsmöglichkeiten angeboten. Bei der Schmerztherapie und Palliativmedizin bestehen Defizite, allerdings versorgt das Gesundheitsministerium derzeit alle öffentlichen Krankenhäuser mit Morphinen, auch können Hausärzte bzw. deren Krankenpfleger diese Schmerzmittel verschreiben und Patienten künftig in Apotheken auf Rezept derartige Schmerzmittel erwerben. Es gibt zwei staatliche Onkologie-Krankenhäuser (Ankara, Bursa) unter der Verwaltung des Gesundheitsministeriums. Nach jüngsten offiziellen Angaben gibt es darüber hinaus 33 Onkologie-Stationen in staatlichen Krankenhäusern mit unterschiedlichen Behandlungsverfahren. 166 Untersuchungszentren (sog. KETEM) bieten u. a. eine Früherkennung von Krebs an. Im Rahmen der häuslichen Krankenbetreuung sind in allen Provinzen mit 765 Gesundheitsbussen mobile Teams im Einsatz (bestehend meist aus Arzt, Krankenpfleger, Fahrer, ggf. Physiotherapeut etc.), die Kranke zu Hause betreuen. Diese Betreuung wird vom Gesundheitsministerium gebührenfrei angeboten. Etwa 15% der Bevölkerung profitieren von diesen Angeboten. Eine AIDS-Behandlung kann in allen Provinzen mit staatlichen (93 Krankenhäusern) wie auch Universitätskrankenhäusern (68 Krankenhäuser) durchgeführt werden. In Istanbul stehen drei, in Ankara und Izmir jeweils zwei private Krankenhäuser für eine solche Behandlung zur Verfügung (AA 14.6.2019).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019),_14.06.2019.pdf , Zugriff 11.10.2019

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2019): Länderinformationsportal: Türkei: Gesundheitswesen, https://www.liportal.de/tuerkei/gesellschaft/#c26139 , Zugriff 2.3.2020

• IOM – International Organization for Migration (Autor), veröffentlicht von ZIRF – Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung (2019): Länderinformationsblatt Türkei 2019, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2019_Turkey_DE.pdf , Zugriff 11.10.2019

• ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_ÖB Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 11.10.2019

 

Behandlung nach Rückkehr

Letzte Änderung am 29.11.2019

Türkische Staatsangehörige, die im Ausland für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, drohen polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen. Es kann davon ausgegangen werden, dass türkische Stellen Regierungsgegner, darunter insbesondere Anhänger der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und Gülen-Anhänger, im Ausland ausspähen (AA 14.6.2019). Personen, die für die PKK oder eine Vorfeldorganisation der PKK tätig waren, müssen in der Türkei mit langen Haftstrafen rechnen. Ähnliches gilt für andere Terrororganisationen (z.B. DHKP-C, türkische Hisbollah, Al-Qaida). Seit dem versuchten Militärputsch im Juni 2016 werden Personen, die mit dem Gülen-Netzwerk in Verbindung stehen, in der Türkei als Terroristen eingestuft. Nach Mitgliedern der Gülen-Bewegung, die im Ausland leben, wird zumindest national in der Türkei gefahndet; über Sympathisanten werden (eventuell nach Vernehmungen bei der versuchten Einreise) oft Einreiseverbote verhängt (ÖB 10.2019). Das türkische Außenministerium sieht auch die syrisch-kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) bzw. die Volksverteidigungseinheiten (YPG) als Teilorganisationen der als terroristisch eingestuften PKK (MFA o.D.).

Die türkische Regierung hat im Nachgang zu dem Putschversuch 2016 zahlreiche ausländische Regierungen um Mithilfe bei der Ermittlung von Mitgliedern des sog. „Gülen-Netzwerkes“ gebeten. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können. Aus bekannt gewordenen Fällen ist zu schließen, dass solche Äußerungen zunehmend zu Strafverfolgung und Verurteilung zumindest als Propaganda für eine terroristische Organisation führen (AA 14.6.2019).

Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht oder ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen. Im sich anschließenden Verhör durch einen Staatsanwalt oder durch einen von ihm bestimmten Polizeibeamten, wird der Festgenommene mit den schriftlich vorliegenden Anschuldigungen konfrontiert, ein Anwalt in der Regel hinzugezogen. Der Staatsanwalt verfügt entweder die Freilassung oder überstellt den Betroffenen dem zuständigen Richter, dieser entscheidet dann. Wenn aufgrund eines Eintrages festgestellt wird, dass ein Strafverfahren anhängig ist, wird die Person bei der Einreise festgenommen und der Staatsanwaltschaft überstellt. Der Staatsanwalt überprüft von Amts wegen, ob der Betroffene von den geltenden Amnestiebestimmungen profitieren kann, oder ob Verjährung eingetreten ist. Sollte das Verfahren aufgrund der vorgenannten Bestimmungen ausgesetzt oder eingestellt sein, wird der Festgenommene freigelassen. Andernfalls fordert der Staatsanwalt beim Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, einen Haftbefehl an. Der Verhaftete wird verhört und mit einem richterlichen Haftbefehl dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, überstellt. Es ist in den letzten Jahren jedoch kein Fall bekannt geworden, in dem ein in die Türkei zurückgekehrter Asylwerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden ist (AA 14.6.2019).

Abgeschobene türkische Staatsangehörige werden von der Türkei rückübernommen. Das Verfahren ist jedoch oft langwierig. Probleme von Rückkehrern infolge einer Asylantragstellung im Ausland sind nicht bekannt. Nach Artikel 23 der türkischen Verfassung bzw. Paragraf 3 des türkischen Passgesetzes ist die Türkei zur Rückübernahme türkischer Staatsangehöriger verpflichtet, wenn zweifelsfrei der Nachweis der türkischen Staatsangehörigkeit vorliegt (ÖB 10.2019).

Die Pässe türkischer Staatsangehöriger im Ausland, die von den türkischen Behörden der Beteiligung an der Gülen-Bewegung verdächtigt werden, werden für ungültig erklärt und durch einen Ein-Tages-Pass ersetzt, mit dem sie in die Türkei zurückkehren können, um vor Gericht gestellt zu werden, wo sie ihre Unschuld zu beweisen haben. Lehrer und Militärangehörige scheinen besonders betroffen zu sein, sowie kritische Journalisten und, darüber hinaus, Kurden (UKHO 2.2018).

Es gibt Vereine, welche von türkischen Rückkehrern gegründet wurden. Hier werden spezielle Programme angeboten, welche die Rückkehrer in Fragen wie Wohnungssuche, Versorgung etc. unterstützen und zugleich eine Netzwerkplattform zur Verfügung stellen. Im Folgenden eine kleine Auswahl:

• Rückkehrer Stammtisch Istanbul, Frau Çiğdem Akkaya, LinkTurkey, E-Mail: info@link-turkey.com

• Die Brücke, Frau Christine Senol, Email: info@bruecke-istanbul.org , http://bruecke-istanbul.com/

• TAKID, Deutsch-Türkischer Verein für kulturelle Zusammenarbeit, ÇUKUROVA/ADANA, E-Mail. almankulturadana@yahoo.de , www.takid.org (ÖB 10.2019).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019),_14.06.2019.pdf , Zugriff 23.10.2019

• MFA - Republic of Turkey, Ministry of Foreign Affairs (o.D.): PKK, http://www.mfa.gov.tr/pkk.en.mfa , Zugriff 23.10.2019

• ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_ÖB Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 23.10.2019

• UKHO - United Kindom Home Office (2.2018): Country Policy and Information Note Turkey: Gülenist movement, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/682868/Turkey_-_Gulenists_-_CPIN_-_v2.0.pdf , Zugriff 23.10.2019

 

 

2. Beweiswürdigung

 

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zu den Privat- und Familienverhältnissen, zur den Umständen im Herkunftsstaat, zu den Familienangehörigen sowie zum Gesundheitszustand und zum Leben in Österreich ergeben sich aus den Vorbringen der Beschwerdeführer in den bisherigen Verfahren sowie aus den Akteninhalten.

 

Der weitere Sachverhalt ergibt sich aus den Akteninhalten der vorgelegten Akte des BFA und der hg. Akte zu den vorangegangenen und zu den gegenständlichen Verfahren.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu Spruchteil A):

 

3.1. Spruchpunkt I – Abweisung wegen entschiedener Sache:

 

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet.

 

"Entschiedene Sache" iSd. § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (vgl. VwGH vom 09.09.1999, Zl. 97/21/0913; vom 27.09.2000, Zl. 98/12/0057; vom 25.04.2002, Zl. 2000/07/0235; vom 17.09.2008, Zl. 2008/23/0684; vom 11.11.2008, Zl. 2008/23/1251; vom 19.02.2009, Zl. 2008/01/0344 und vom 06.11.2009, Zl. 2008/19/0783). Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf verschiedene Folgeanträge VwGH vom 26.07.2005, Zl. 2005/20/0226 mwN). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (vgl. VwGH vom 10.06.1998, Zl. 96/20/0266). Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nicht anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtswirksamen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes – nicht bloß von Nebenumständen – kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl. z.B. VwGH vom 27.09.2000, Zl. 98/12/0057; vom 25.04.2007, Zl. 2004/20/0100; vom 17.09.2008, Zl. 2008/23/0684; vom 19.02.2009, Zl. 2008/01/0344 und vom 06.11.2009, Zl. 2008/19/0783). Wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, ist eine neue Sachentscheidung auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegensteht (vgl. VwGH vom 10.06.1998, Zl. 96/20/0266; vom 15.10.1999, Zl. 96/21/0097; vom 25.04.2007, Zl. 2004/20/0100 und vom 17.09.2008, Zl. 2008/23/0684).

 

Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den eine positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. VwGH vom 22.12.2005, Zl. 2005/20/0556 und vom 26.07.2005, Zl. 2005/20/0343 mwN). Nimmt man daher eine positive Entscheidungsprognose an, d.h. könnten die behaupteten neuen Tatsachen – gemessen an der dem Bescheid der Erstinstanz im Erstverfahren zu Grunde liegenden Rechtsanschauung - zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, so bedürfte es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse (gegebenenfalls unter Berücksichtigung von Urkunden) einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit (vgl. VwGH 19.07.2001, Zl. 99/20/0418; vom 16.02.2006, Zl. 2006/19/0380; vom 29.11.2005, Zl. 2005/20/0365 und vom 22.11.2005, Zl. 2005/01/0626). Das Bundesamt hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers oder mit der Beweiskraft von Urkunden auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen sein ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (vgl. VwGH vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, in dem weitere von der Rechtsprechung entwickelte Rechtssätze zu § 68 AVG, insbesondere mit Beziehung auf das Asylverfahren wiedergegeben werden und dann anschließend VwGH vom 20.03.2003, Zl. 99/20/0480 mwN; vgl. auch VwGH vom 04.11.2004, Zl. 2002/20/0391 und vom 25.04.2007, Zl. 2004/20/0100).

 

Bei der Prüfung der "Identität der Sache" ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben – nochmals – zu überprüfen. Identität der Sache liegt auch dann vor, wenn sich das neue Parteibegehren von dem mit rechtskräftigem Bescheid bereits abgewiesenen nur dadurch unterscheidet, dass eine bisher von der Partei nicht ins Treffen geführte Rechtsfrage aufgegriffen wird oder die Behörde in dem bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren die Rechtsfrage auf Grund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens oder einer unvollständigen oder unrichtigen rechtlichen Beurteilung entschieden hat (vgl. VwGH vom 02.07.1992, Zl. 91/06/0207 mwN). Die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. VwGH vom 15.10.1999, Zl. 96/21/0097 und vom 25.04.2002, Zl. 2000/07/0235). Die Prüfung der Zulässigkeit eines neuerlichen Antrages wegen geänderten Sachverhaltes darf ausschließlich anhand jener Gründe erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht worden sind. In der Berufung [hier: Beschwerde] gegen den Zurückweisungsbescheid können derartige Gründe nicht neu vorgetragen werden (vgl. VwGH vom 04.04.2001, Zl. 98/09/0041 und vom 25.04.2002, Zl. 2000/07/0235).

 

Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, die Rechtsmittelinstanz darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Vorinstanz den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Sie hat daher entweder – falls entschiedene Sache vorliegt – das Rechtsmittel abzuweisen oder – falls dies nicht zutrifft – den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben, dies mit der Konsequenz, dass die erstinstanzliche Behörde, gebunden an die Auffassung der Rechtsmittelinstanz, den Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Die Rechtsmittelinstanz darf aber über den Antrag nicht selbst meritorisch entscheiden (VwGH 30.05.1995, 93/08/0207).

 

Für das Bundesverwaltungsgericht ist demnach Sache des gegenständlichen Verfahrens ausschließlich die Frage, ob sich die maßgebliche Sach- und Rechtslage seit der Stellung des gegenständlichen Antrags auf internationalen Schutz geändert hat.

 

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

 

Als Vergleichsbescheid ist im Falle mehrfacher Asylfolgeanträge derjenige Bescheid heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden – und nicht etwa nur ein Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen – wurde (vgl. in diesem Sinn das Erkenntnis vom 26.06.2005, 2005/20/0226, mwN).

 

Wie aus dem gegenständlichen Verfahrensgang hervorgeht, stellt das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.11.2019 den maßgeblichen Vergleichsbescheid dar, womit die Beschwerden gegen die Abweisung der ersten Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer in allen Spruchpunkten als unbegründet abgewiesen wurden. Dieses Erkenntnis wurde am 05.11.2019 rechtswirksam zugestellt und erwuchs damit in Rechtskraft.

 

Darin wurde im Wesentlichen bestätigt, dass sich weder aus den Vorbringen der Beschwerdeführer noch aus der allgemeinen Lage in der Türkei Gründe für die Zuerkennung von internationalem Schutz ergeben haben.

 

Der hier erkennende Richter teilt die Ansicht des BFA, dass mit den vorliegenden Anträgen auf internationalen Schutz in Ermangelung eines neuen entscheidungswesentlichen Sachverhaltes und auf Grund der unveränderten Rechtslage eine entschiedene Sache vorliegt, und zwar aus folgenden Erwägungen:

 

Die Beschwerdeführer beziehen sich in gegenständlichen Verfahren ausschließlich auf Gründe, die bereits zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung der ersten Asylverfahren vorgelegen sind.

 

Der Erstbeschwerdeführer brachte vor, dass er von in der Türkei lebenden Verwandten erfahren habe, dass er in der Türkei vom Militär oder der Polizei gesucht werde und dass bei seiner Tante nach ihm gefragt worden sei. Weshalb der Erstbeschwerdeführer von der Polizei oder vom Militär in der Türkei gesucht werde bzw. weshalb nach dem Erstbeschwerdeführer bei seiner Tante gefragt worden sei, wurde vom Erstbeschwerdeführer damit begründet, dass er ein Naheverhältnis zur HDP gehabt habe und bereits sein Vater vor 28 Jahren die Türkei habe verlassen müssen, weil dieser wegen Unterstützung einer Terrororganisation bzw. der PKK verurteilt worden sei. Weiters brachte der Erstbeschwerdeführer vor, dass mehrere Verwandte der Zweitbeschwerdeführerin grundlos verhaftet worden seien und sich eine Cousine der Zweitbeschwerdeführerin seit fast 70 Tagen in Haft befinde. Zudem sei der Erstbeschwerdeführer in Österreich exilpolitisch tätig und habe an einer Demonstration teilgenommen, wobei darüber ein Video gedreht und dieses in der Türkei veröffentlicht worden sei. Auf diesem Video sei der Erstbeschwerdeführer zu sehen. Der Erstbeschwerdeführer wisse aber nicht, wann diese Demonstration stattgefunden habe und auf welchem Fernsehsender in der Türkei das Video veröffentlicht worden sei. Die Demonstration habe jedenfalls vor der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes am 04.11.2019 stattgefunden, zumal der Erstbeschwerdeführer seinem Vertreter aufgetragen habe, das Video dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen. Aufgrund dieser exilpolitischen Betätigung des Beschwerdeführers würde er im Falle einer Rückkehr in die Türkei verhaftet werden.

 

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte für sich und den Viertbeschwerdeführer vor, dass sich die Gründe für die Asylantragstellung nicht geändert hätten. Sie habe Angst davor, dass ihr älterer Sohn (der Drittbeschwerdeführer) im Falle einer Rückkehr in die Türkei seinen Militärdienst ableisten müsse, was nicht wolle.

 

Der Drittbeschwerdeführer brachte vor, dass er im Falle einer Rückkehr in die Türkei zur Musterung und sodann zum Militärdienst müsse. Er sei davon überzeugt, dass er im Rahmen der Ableistung des Militärdienstes in einer der Krisenregionen im Osten der Türkei eingesetzt werden würde, was er nicht wolle.

 

Damit beziehen sich die Beschwerdeführer auf Sachverhalte, die bereits vor Abschluss der vorangegangenen ersten Asylverfahren (04.11.2019) bestanden haben. Einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht aber die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegen, weshalb neue Sachentscheidungen auch in diesen Fällen ausgeschlossen sind.

 

Des Weiteren stützen sich die Beschwerdeführer darauf, dass sich die Lage in der Türkei für Aleviten und Kurden seit dem Putschversuch 2016 massiv verschlechtert habe und Aleviten und Kurden in der Türkei massiv unterdrückt und verfolgt werden würden. Diesbezüglich ist auszuführen, dass sich aus der Berichtslage insbesondere aus einem Vergleich der zur Lage in der Türkei getroffenen Feststellungen im hg. Erkenntnis vom 04.11.2019 zu den vom BFA getroffenen Länderfeststellungen in den angefochtenen Bescheiden eine Änderung der allgemeinen Lage in der Türkei bzw. eine Verschlechterung der Situation der in der Türkei lebenden Kurden oder Aleviten nicht ableiten lässt.

Mit den diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde ist es auch nicht gelungen, eine Änderung der Lage in der Türkei darzustellen, zumal sich die Ausführungen betreffend die Lage in der Türkei auf Ereignisse beziehen, die bereits zum Zeitpunkt der hg. Entscheidung vom 04.11.2019 vorgelegen sind, wie z.B. die Ereignisse nach den landesweiten Gezi-Protesten 2013, die Eskalation des Konfliktes mit der PKK und der PYD in Syrien, Demonstrationen und Proteste wegen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte, die Manipulation beim letzten Referendum im April 2017, etc.

 

Ebenso wurde sich mit dem Vorbringen betreffend eine exilpolitische Betätigung des Erstbeschwerdeführers in Österreich im ersten Asylverfahren eingehend auseinandergesetzt und dieses Vorbringen in der hg. Entscheidung gewürdigt, weshalb diesbezüglich vom Vorliegen eines neuen entscheidungsrelevanten Sachverhaltes nicht auszugehen war.

 

Insgesamt gesehen liegen nach den Angaben der Beschwerdeführer keine Sachverhaltsänderungen vor und hat das BFA die zweiten und gegenständlichen Anträge der Beschwerdeführer zu Recht wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen. Da die Beschwerdeführer sich im gegenständlichen Verfahren auf vor Beendigung der Verfahren über die ersten Anträge verwirklichte Sachverhalte stützen, steht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes einer neuerlichen inhaltlichen Überprüfung der Anträge die Rechtskraft der inhaltlichen Vorentscheidungen entgegen.

 

Anhaltspunkte für eine Änderung des Sachverhalts im Hinblick auf allgemein bekannte Tatsachen, die vom BFA von Amts wegen zu berücksichtigen gewesen wären, liegen auch nach Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichtes unter Berücksichtigung des Amtswissens nicht vor, da sich die allgemeine Situation in der Türkei im Zeitraum bis zur Erlassung der nunmehr angefochtenen Bescheide (in Bezug auf die Beschwerdeführer) nicht wesentlich geändert hat.

 

Da die im gegenständlichen Verfahren erstatteten Vorbringen – wie dargelegt – inhaltliche Entscheidungen nicht begründen haben können, war es dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verwehrt, inhaltliche Entscheidungen zu treffen. Gemäß der oben referierten verwaltungsgerichtlichen Judikatur steht den gegenständlichen Anträgen die Rechtskraft der inhaltlichen Vorentscheidungen entgegen.

 

Ein Antrag auf internationalen Schutz richtet sich auch auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und sind daher auch Sachverhaltsänderungen, die ausschließlich subsidiäre Schutzgründe betreffen, von den Asylbehörden im Rahmen von Folgeanträgen einer Prüfung zu unterziehen (vgl. VwGH 19.02.2009, Zl. 2008/01/0344). Auch im Hinblick auf Art 3 EMRK ist jedoch im Falle der Beschwerdeführer nicht erkennbar, dass eine Rückführung in die Türkei zu einem unzulässigen Eingriff führen und sie bei ihrer Rückkehr in eine Situation geraten würde, die eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK mit sich brächte oder ihnen jedwede Lebensgrundlage fehlen würde.

 

Auch zur Situation im Herkunftsstaat können keine wesentlichen Änderungen im Vergleich zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.11.2019 festgestellt werden. Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer stehen im erwerbsfähigen Alter und verfügen über Familienangehörige (Tanten väterlicherseits und Verwandte mütterlicherseits) im Herkunftsstaat.

 

Auf Grund der in das Verfahren eingeführten Länderberichte kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht von einer solchen extremen Gefährdungslage in der Türkei gesprochen werden, dass gleichsam jede Person, die sich dort aufhält oder dorthin zurückkehrt, einer unmittelbaren Gefährdung ausgesetzt ist. Ebenso kann auf Grundlage der vom BFA herangezogenen Länderberichte die Deckung der existentiellen Grundbedürfnisse als zumutbar angenommen werden und auch die medizinische Grundversorgung ist gewährleistet. Die Beschwerdeführer leiden an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen und sind arbeitsfähig. Aus den Berichten geht keinesfalls hervor, dass die Lage für alle Personen ohne Hinzutreten von besonderen Umständen dergestalt wäre, dass das existentielle Überleben gefährdet wäre. Dem wurde von den Beschwerdeführern in der Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten. Nach der ständige Judikatur des EGMR obliegt es – abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art 3 MRK darstellen würde – grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art 3 MRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. dazu VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134). Derartige Nachweise wurden für die Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht erbracht. Die allgemein gehaltene Behauptung, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr keine Existenzgrundlage vorfinden würden, zumal sie ihr gesamtes Hab und Gut zur Finanzierung der Flucht aus der Türkei verkauft hätten, genügt dafür nicht.

 

Da weder in der maßgeblichen Sachlage, und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre der Beschwerdeführer gelegen ist, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist, noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über die nicht neuerlich meritorisch entschieden werden konnte.

 

Die Zurückweisung der Anträge auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache war sohin rechtmäßig, weshalb die Beschwerden abzuweisen waren.

 

3.2. Zum Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Der Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet ist nicht geduldet. Sie sind auch nicht Zeugen oder Opfer von strafbaren Handlungen und ebenso wenig Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung von Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG liegen daher im Fall der Beschwerdeführer nicht vor. Ferner erfolgte die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status von subsidiär Schutzberechtigten in gegenständlichen Verfahren nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG ergangen.

 

Aufgrund dessen waren die Beschwerden gegen Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide abzuweisen.

 

3.3. Zur Rückkehrentscheidung:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.

 

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab-gewiesen wird, und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a und 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

der Grad der Integration,

die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Nach Art 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die aufenthaltsbeendende Maßnahme einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundene Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (vgl. EGMR Kroon sowie VfGH vom 28.06.2003, G 78/00). Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (vgl. EGMR Marckx, EGMR vom 23.04.1997, X u.a.).

 

Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen (EGMR in Cruz Varas).

 

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EuGRZ 2006, 554, Sisojeva ua. gegen Lettland). Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessensabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt.

 

Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen sowie der in § 9 Abs. 2 BFA-VG normierten Integrationstatbestände, die zur Beurteilung eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen sind, ist im gegenständlichen Fall Folgendes auszuführen:

 

Die Beschwerdeführer stellten erstmals nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet im November 2016 Anträge auf internationalen Schutz. Am 19.03.2020 stellten sie die gegenständlichen zweiten Anträge auf internationalen Schutz.

 

Ein schützenswertes Familienleben der Beschwerdeführer in Österreich liegt nicht vor, zumal lediglich zwei Brüder der Zweitbeschwerdeführerin in Österreich leben, zu denen die Beschwerdeführer kaum Kontakt haben und zu denen auch kein wie auch immer geartetes Abhängigkeitsverhältnis besteht.

 

Vom Vorliegen eines Eingriffes in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf ein Familienleben der Beschwerdeführer war durch die Erlassung der Rückkehrentscheidung daher nicht auszugehen.

 

Auch liegt kein Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführer vor, welcher zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele nicht geboten oder zulässig wäre. Wie festgestellt reisten die Beschwerdeführer im November 2016 illegal nach Österreich ein. Anschließend hielten sich die Beschwerdeführer lediglich aufgrund einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz im Bundesgebiet auf, wobei sich die zugrundeliegenden Anträge auf internationalen Schutz letztlich als unbegründet erwiesen haben, sodass zu keinem Zeitpunkt ein gesicherter Aufenthaltsstatus vorgelegen ist.

 

Eine fortgeschrittene und entscheidungserhebliche Integration der Beschwerdeführer während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet kann seitens des hier erkennenden Richters – wie schon zuvor vom BFA und der hg. Entscheidung vom 04.11.2019 – nicht festgestellt werden.

 

Seit der Einreise im Jahr 2016 leben die Beschwerdeführer durchgehend in Österreich, sind nicht selbsterhaltungsfähig und haben sich in Österreich mit Ausnahme der Teilnahme an Deutschkursen und des Pflichtschulbesuches hinsichtlich des minderjährigen Viertbeschwerdeführers nicht aus-, fort- oder weitergebildet.

 

In diesem Zusammenhang ist auch auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach selbst die – hier bei weitem nicht vorhandenen – Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (vgl. VwGH vom 06.11.2009, Zl.2008/18/0720 sowie vom 25.02.2010, Zl. 2010/18/0029).

 

Zum Überwiegen der öffentlichen Interessen des Staates an einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Zulässigkeit des Eingriffes in das Privatleben siehe insbesondere VwGH 28.2.2008, 2007/18/0264 (öffentliches Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens), VwGH 14.6.2007, 2007/18/0278 (öffentliches Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften), VwGH 22.11.2007, 2007/21/0317; 25.9.2007, 2007/18/0673 (illegale Einreise und unrechtmäßiger Aufenthalt), VwGH 29.1.2008, 2007/18/0400; 22.11.2007, 2007/21/0406 (wirtschaftliches Wohl - mittellose Personen) sowie EGMR 18.2.1991, Moustaquim, 12.313/86 (Ausweisung straffälliger Fremder).

 

Zur Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme trotz langjährigem Aufenthalt in Österreich und mangelnder Integration in Österreich ist insbesondere auf folgende höchstgerichtliche Rechtsprechung hinzuweisen: VwGH 17.11.2005, 2005/21/0370 (7-jähriger Aufenthalt mit "nicht stark ausgeprägter Integration" - Ausweisung zulässig), VwGH 25.9.2007, 2007/18/0348 (5-jähriger Aufenthalt - Ausweisung zulässig), VwGH 3.7.2007, 2007/18/0361(5-jähriger Aufenthalt - Ausweisung zulässig), VwGH 26.9.2007, 2006/21/0288 (7-jähriger Aufenthalt - Ausweisung zulässig), VwGH 8.11.2006, 2006/18/0316 (8-jähriger Aufenthalt - Ausweisung zulässig), VwGH 25.9.2007, 2007/18/0416 (4-jähriger Aufenthalt - "kein individuelles Bleiberecht" - Ausweisung zulässig), VwGH 28.2.2008, 2008/18/0087 (eineinhalbjähriger Aufenthalt - Ausweisung zulässig), VwGH 18.5.2007, 2007/18/0136 (11-jähriger unrechtmäßiger Aufenthalt (von insgesamt 15 Jahren) - Ausweisung zulässig), VwGH 8.11.2006, 2006/18/0316 (4-jähriger unrechtmäßiger Aufenthalt nach 4-jährigem Asylverfahren - Ausweisung zulässig), VfGH 29.9.2007, B 1150/07, EuGRZ 2007, 728 (11-jähriger Aufenthalt, zwei Scheinehen, zwei Asylanträge - Ausweisung zulässig).

 

Wenngleich nicht verkannt wird, dass sich die Beschwerdeführer beinahe vier Jahre in Österreich aufhalten und über gewisse Deutschkenntnisse verfügen, kann auch nicht von einer besonders ausgeprägten Integration, wie sie etwa in anderen Fällen vorliegt, gesprochen werden.

 

Zwar wurde in der Beschwerde die Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführer im Bundesgebiet sowie der Schulbesuch und die freundschaftlichen Kontakte des Viertbeschwerdeführers in Österreich erwähnt, jedoch ist dieser Umstand alleine nicht geeignet, zu einem Überwiegen der Interessen an einem Verbleib der Beschwerdeführer im Bundesgebiet zu führen. Darüber hinaus wurden nämlich keine weiteren, ein besonderes Maß erreichende Merkmale eines schützenswerten Privatlebens der Beschwerdeführer in Österreich gelten gemacht, aufgrund derer von einer starken Verwurzelung im österreichischen Bundesgebiet auszugehen wäre. Die Beschwerdeführer sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht selbsterhaltungsfähig.

 

Es sind sohin keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine tatsächliche, fortgeschrittene Integration der Beschwerdeführer hervorgekommen, aufgrund derer eine die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation anzunehmen wäre.

 

Aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich, dass etwa ab einem zehnjährigen Aufenthalt im Regelfall die privaten Interessen am Verbleib in Österreich die öffentlichen Interessen überwiegen können (vgl. VwGH vom 09.05.2003, Zl. 2002/18/0293). Gleiches gilt für einen siebenjährigen Aufenthalt, wenn eine berufliche und soziale Verfestigung vorliegt (vgl. VwGH vom 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124), was jedoch im gegenständlichen Fall eindeutig zu verneinen ist.

 

Die Dauer des Verfahrens übersteigt auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtsschutzmöglichkeiten entsprechenden Asylverfahrens angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht hätten, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Z 85 f.).

 

Hinzu kommt, dass nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen ist, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH vom 17.12.2007, Zl. 2006/01/0126, mwN).

 

Die durch die Ausweisung der Beschwerdeführer allenfalls verursachten Eingriffe in das Recht auf Privatleben sind jedenfalls insofern im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt, als das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung die Interessen an einem weiteren Verbleib in Österreich überwiegen.

 

Den privaten Interessen der Beschwerdeführer an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen somit die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen und an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Einhaltung der Gesetze des Landes gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

 

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Antrages auf internationalen Schutzes verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen der Beschwerdeführer an einem Verbleib in Österreich.

 

Den Beschwerdeführern ist es nicht gelungen, darzulegen, dass sie im Falle einer Abschiebung in die Türkei in eine "unmenschliche Lage" versetzt würden. Daher verstößt eine allfällige Abschiebung nicht gegen Art. 2, Art. 3 EMRK oder gegen die Zusatzprotokolle zur EMRK Nr. 6 und Nr. 13 und auch nicht gegen Art. 15 lit. c StatusRL.

 

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer nach ihrer Rückkehr in die Türkei in eine ausweglose Lebenssituation geraten könnten, zumal die Beschwerdeführer jedenfalls über verwandtschaftliche Beziehungen in ihrer Heimat verfügen. Weiters beherrschen die Beschwerdeführer die Sprache und sind mit den herrschenden Gepflogenheiten in ihrem Herkunftsland vertraut. Ferner wird darauf verwiesen, dass die Beschwerdeführer aus einem Staat stammen, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist. Aufgrund dessen und aufgrund der vorhandenen familiären Anknüpfungspunkte ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer bei ihrer Wiedereingliederung in die Gesellschaft ihres Heimatstaates Unterstützung durch die ansässigen Familienangehörigen und Bekannten erhalten könnten.

 

Es ist daher davon auszugehen, dass sich die Beschwerdeführer bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in die dortige Gesellschaft wieder eingliedern können, zumal sie bis zu ihrer Ausreise ihr gesamtes Leben im Herkunftsland verbrachten und daher mit den gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten in der Türkei vertraut sind und dort über Familienangehörige verfügten. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführer mit ihrer Ausbildung und Arbeitsfähigkeit in der Lage sein werden, den notwendigen Lebensunterhalt eigenständig zu erwirtschaften, wie sie es bereits vor ihrer Ausreise aus der Türkei im November 2016 vermocht haben.

 

Bei einer Zusammenschau überwiegen im vorliegenden Fall jene Umstände, die für eine Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat sprechen, wobei dem unrechtmäßigen Aufenthalt sowie der nicht vorhandenen beruflichen und sozialen Integration besonderes Gewicht zukommt.

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführer im Bundesgebiet die persönlichen Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher die in den angefochtenen Bescheiden angeordneten Rückkehrentscheidungen keinen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Privat- und Familienleben darstellen. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung unzulässig wäre.

 

Der Vollständigkeit halber ist noch auszuführen, dass im Hinblick auf die weltweite Ausbreitung des COVID-19 Virus unter Zugrundelegung der medial ausführlich kolportierten Entwicklungen auch in der Türkei bislang keine derartige Entwicklung erkannt werden kann, die diesbezüglich eine Gefährdung nach Art. 3 EMRK erkennen lässt (zu den aktuellen Zahlen vgl. WHO COVID-19, Global Turkey, vom 19.10.2020, https://covid19.who.int/region/euro/country/tr ). Unabhängig davon liegen sowohl im Hinblick auf das Alter als auch den Gesundheitszustand der Beschwerdeführer keine Anhaltspunkte vor, wonach sie bei einer allfälligen COVID-19 Infektion zu einer Hoch-Risikogruppe zählen würden.

 

Zur Zulässigkeit der Abschiebung:

 

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

Gemäß § 46 Abs. 1 FPG sind Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

Mit den angefochtenen Bescheiden wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Türkei zulässig ist (Spruchpunkt V.). Wie sich aus den Länderfeststellungen und aus den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer ergibt, besteht keine Gefahr, dass durch die Abschiebung der Beschwerdeführer Art. 2 oder Art. 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder 13 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würden oder für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen mit der Abschiebung eine ernsthafte Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen Konfliktes verbunden wäre. Auch sonst besteht kein Abschiebehindernis gemäß § 50 Abs. 2 oder Abs. 3 FPG, – ein Solches wurde weder substantiiert von den Beschwerdeführern vorgebracht noch ist es aus dem Akteninhalt ersichtlich – sodass das BFA die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Türkei zu Recht für zulässig erklärt hat.

 

Gemäß § 55 Abs. 1a FPG besteht in den Fällen einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird keine Frist für die freiwillige Ausreise.

 

Im angefochtenen Bescheid wurde gemäß § 55 Abs. 1a FPG ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht, was den gesetzlichen Grundlagen entspricht.

 

Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Rückkehrentscheidungen vorliegen, waren die Beschwerden gegen die Spruchpunkte IV., V. und VI. der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.

 

3.4. Zum Einreiseverbot

 

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG kann mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot erlassen werden.

 

§ 53 FPG lautet wie folgt:

(1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige1. wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;2. wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;3. wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs. 3 genannte Übertretung handelt;4. wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;5. wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;6. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;7. bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat oder9. an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet;8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt oder9. der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.

(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

(5) Eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.

(6) Einer Verurteilung nach Abs. 3 Z 1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.

 

Im konkreten Einzelfall waren nachstehende Überlegungen anzustellen:

 

Im Rahmen der Erlassung eines Einreiseverbotes ist bei der zu treffenden Gefährlichkeitsprognose das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und aufgrund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist, wobei bei dieser Beurteilung nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf das diesen zugrunde liegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild Bedacht zu nehmen ist (VwGH vom 19.2.2013, Zl. 2012/18/0230).

 

Die Voraussetzung für die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen sind angesichts der st. Rspr. des VwGH durch die Fremdenpolizeibehörden (und wohl auch Gerichte) eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts – unabhängig von strafrechtlichen Erwägungen zur Strafbemessung – zu beurteilen (vgl. etwa VwGH vom 20.12.2007, Zl. 2007/21/0499, vom 7.5.2014, Zl. 2013/22/0233 uva.).

 

Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer eines Einreiseverbotes handelt es sich um einen vom Ausspruch des Einreiseverbotes nicht trennbaren Inhalt (VwGH vom 22.5.2013, Zl. 2011/18/0259).

 

Die Aufzählung der Tatbestände in § 52 Abs. 2 ist demonstrativ, weshalb weitere Verhaltensweisen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden, jedenfalls auch geeignet sind, ein Einreiseverbot zu rechtfertigen.

 

Die Beschwerdeführer haben sich trotz rechtskräftig negativ abgeschlossenen Erst- und Zweitverfahren beharrlich geweigert, das Bundesgebiet zu verlassen. Zudem hielten sie sich zwischen rechtskräftig negativ abgeschlossenem Erstverfahren (05.11.2019) und der erneuten – zweiten – Asylantragstellung am 19.03.2020 illegal in Österreich auf.

 

Die Beschwerdeführer sind im Bundesgebiet – mit Ausnahmen freiwilliger unbezahlter Tätigkeiten sowie Tätigkeiten unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze – nie einer legalen Beschäftigung nachgegangen und verfügen auch sonst über keine Vermögenswerte im Bundesgebiet. Sie vermögen daher den Nachweis des Besitzes der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachzuweisen. Die Beschwerdeführer stellen somit eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar. Dies wird auch dadurch untermauert, dass sie offensichtlich nicht bereit sind, sich der österreichischen Rechtsordnung zu unterwerfen, indem sie illegal in Österreich eingereist sind und sie bereits zweimal der mit rechtskräftigen Bescheiden des BFA angeordneten Verpflichtungen zur Ausreise aus dem österreichische Bundesgebiet nicht nachgekommen sind. Zudem konnten die Beschwerdeführer auch nicht nachweisen, dass eine dritte Person für die Bestreitung ihres Lebensunterhaltes aufkommt. Es besteht daher die Gefahr, dass sich die Beschwerdeführer die Mittel zu ihrem Unterhalt in Hinkunft illegal beschaffen werden, was den Schluss nahelegt, dass die Beschwerdeführer auch in Zukunft die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden.

 

In Zusammenschau dieser Umstände war die Verhängung von Einreiseverboten in der Dauer von 2 Jahren als durchaus gerechtfertigt anzusehen und die Beschwerden gegen Spruchpunkt VII. der angefochtenen Bescheide abzuweisen.

 

3.5. Entfall der mündlichen Verhandlung:

 

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

 

Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

 

Nach § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

 

Gemäß Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010/C 83/02) – folgend: GRC – hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Zufolge Abs. 2 leg.cit. hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

 

Nach Art. 52 Abs. 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

 

Zur Frage der Verhandlungspflicht brachte der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 14.03.2012, Zl. U 466/11 ua. zum Ausdruck, er hege vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR (zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung) weder Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 41 Abs. 7 AsylG 2005 noch könne er finden, dass der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen tatsachenwidrig sei, stehe im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden habe, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt worden sei.

 

Der VwGH hat sich mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017, mit der Frage des Entfalls einer mündlichen Verhandlung unter Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA-VG befasst, wobei dem Grunde nach die zuvor zitierte Judikaturlinie der Höchstgerichte beibehalten wird. Daraus resultierend ergeben sich für die Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA-VG folgende maßgeblichen Kriterien: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleibt wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

 

Projiziert auf den vorliegenden Beschwerdefall bedeutet dies, dass aus dem Inhalt der Verwaltungsakte die Grundlage des bekämpften Bescheides unzweifelhaft nachvollziehbar ist. Es hat sich auch in der Beschwerde kein zusätzlicher Hinweis auf die Notwendigkeit ergeben, den maßgeblichen Sachverhalt mit den Beschwerdeführern zu erörtern.

 

In der Beschwerde finden sich auch keine Hinweise, wonach eine weitere mündliche Verhandlung notwendig ist, zumal sich dort keine substantiierten Ausführungen finden, die dies erforderlich machen würden. Es findet sich in der Beschwerde insbesondere kein über das Vorbringen vor dem BFA hinausgehendes Vorbringen.

 

Das BFA hat sich sohin ausreichend und abschließend mit den Vorbringen der Beschwerdeführer auseinandergesetzt. Die Ermittlung des Sachverhaltes durch das BFA war demnach nicht zu beanstanden.

 

Der maßgebliche Sachverhalt war demnach aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen. Auch im Lichte des vergleichsweise kurzen verstrichenen Zeitraumes seit der rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.09.2017 haben sich – wie dargelegt – keine entscheidungswesentlichen Änderungen der Lage im Herkunftsstaat (auf die individuelle Situation der Beschwerdeführer bezogen) ergeben, was vom BFA durch die Einführung aktueller Länderinformationen zum Herkunftsstaat in das Verfahren überprüft wurde. Bereits in der Entscheidung des BVwG vom 04.09.2017 wurden umfangreiche Länderfeststellungen wiedergegeben, die im Wesentlichen gleichlautend sind wie die Länderfeststellungen der belangten Behörde in allen bisher ergangenen Bescheiden.

 

Dem Bundesverwaltungsgericht liegt kein Beschwerdevorbringen vor, das mit den Beschwerdeführern mündlich zu erörtern gewesen wäre, sodass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht unterbleiben konnte.

 

Ferner ist zum Antrag in gegenständlicher Beschwerde auf zeugenschaftliche Einvernahme von XXXX auszuführen, dass im Zusammenhang mit diesem Antrag weder angegeben wurde, wer diese Personen sind und was sie bezeugen könnten, noch wurde ein entsprechendes Beweisthema genannt, weshalb eine zeugenschaftliche Einvernahme dieser Personen unterblieben ist.

 

3.4. Durch die Entscheidung in der Sache konnte der Abspruch über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entfallen.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

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