BVwG W196 2212765-1

BVwGW196 2212765-118.3.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z6

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W196.2212765.1.00

 

Spruch:

W196 2212765-1/6E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.12.2018, Zl. 66336801-180140346, zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Verfahren über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten:

 

Der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 24.05.2003 gemeinsam mit seiner Kernfamilie in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte - vertreten durch seinen gesetzlichen Vertreter einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Mutter des Beschwerdeführers gab hinsichtlich seiner Fluchtgründe im Wesentlichen an, dass dieser keine eigenen Fluchtgründe habe und sich daher sein Antrag auf den seines Vaters erstrecke.

 

Mit Bescheid vom 30.09.2003 GZ. 03 14.981 wurde dem Asylerstreckungsantrag stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 1997 durch Erstreckung in Österreich Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG festgestellt, dass ihm kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

Der Beschwerdeführer schloss die Pflichtschule ab und nach Abbruch einer Lehre lebte er von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe.

 

Am 06.06.2017 wurde dem Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Konventionsreisepass, Nr. XXXX , mit einer Gültigkeit bis 05.06.2022 ausgestellt.

 

2. Verfahren über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten:

 

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX 007 vom 19.09.2016, rechtskräftig am 23.09.2016, Geschäftszahl XXXX wurde der Beschwerdeführer gemäß § 127, 128 (1) Z 5,129 (1) Z 2, 129 (2) Z 1,130 (2) StGB § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. (Jugendstraftat)

 

Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX XXXX vom 30.03.2017, rechtskräftig am 04.04.2017, Geschäftszahl XXXX wurde der Beschwerdeführer gemäß §§ 15, 127, STGB verurteilt.

 

Am 12.04.2018 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Wien eine Verständigung des Landesgerichts für Strafsachen XXXX , Zl. XXXX , ein, im Rahmen derer die Behörde über die Anklageerhebung gegen den Beschwerdeführer wegen §§ 278b (2) (§278 Abs. 3 zweiter und dritter Fall StGB, 278a (§278a Abs. 3 zweiter und dritter Fall StGB §§146, 147 (2) StGB §278d (1a) Z 2 StGB verständig wurde.

 

Mit Mitteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.04.2018, Zl. 66336801/180140346, wurde der Beschwerdeführer informiert, dass ein Verfahren zur Aberkennung und zum Entzug des Konventionsreisepasses eingeleitet worden sei. Zudem wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eingeräumt innerhalb von zwei Wochen zu dezidierten Fragen hinsichtlich seines Privat- und Familienlebens sowie zu den ihm in der Beilage übermittelten Länderinformationsblatt zur Russischen Föderation vom 19.03.2018 eine Stellungnahme abzugeben, wobei am 22.05.2018 ein diesbezügliches Schreiben des Beschwerdeführers beim Bundesamt einlangte.

 

Am 01.10.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache einvernommen. Anfangs gab er an Antidepressiva zu nehmen, wobei er den Namen des Medikamentes nicht kenne. Sein Psychiater habe ihm diese verschrieben. Weiters gab er an, dass ihm der Inhalt seiner Stellungnahme vom 22.05.2018 bekannt sei und er nichts ergänzen wolle. Im Jahr 2003 sei er zuletzt in seinem Herkunftsland gewesen. In Österreich würden seine Eltern, seine beiden Schwestern, sein Bruder sowie ein Onkel und eine Tante väterlicherseits leben. Im Herkunftsland, in Gudermus, lebe seine Großmutter in deren alten Haus. Das Haus gehöre der Großmutter, die dort alleine wohne. Hierbei führte er auf Nachfrage an, dass es seiner Großmutter gut gehe. Sie wäre schon zweimal nach Österreich gekommen. Sie wäre nach Österreich wegen gesundheitlicher Probleme nach Österreich eingereist und habe sich in Österreich wegen ihrer Zuckerkrankheit behandeln lassen. Sie habe damals auch einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, sei aber freiwillig wieder zurückgekehrt. Es bestehe telefonischer Kontakt zur Großmutter. Darüber hinaus verfüge er über Cousins und Cousinen in Tschetschenien. Zu diesen bestehe kein Kontakt und kenne er sie nicht, da er seit 2003 in Österreich aufhälig sei. In Tschetschenien habe er die Grundschule besucht, wo er auch Russisch gelernt habe. Seine Muttersprache sei Tschetschenisch und würden sie auch zu Hause Tschetschenisch sprechen. Zu seiner familiären Situation in Österreich brachte er vor, dass seine Eltern geschieden wären. Seine Mutter, seine Schwestern und sein Bruder würden zusammen in einer Wohnung leben, wo auch der Beschwerdeführer gelegentlich Unterkunft genommen habe. Er habe sich dort nicht gemeldet, da er auch eine eigne Wohnung habe wollen. Zudem sei er nicht immer dort. Er schlafe auch oft bei Freunden, die alle Tschetschenen seien. Er habe auch andersgläubige Freunde, die Mazedonier und Rumänen wären. In Österreich habe er vier Jahre lang die Volks- und folglich die Hauptschule besucht. Er trainiere im Fitnessstudio, spiele Fußball und verbringe mit seinen Freunden die Freizeit. Im Jahr 2015 sei er einige Zeit bei einem Judoverein gewesen. Befragt, was dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr drohe, gab er an, dass ihm in Tschetschenien nichts drohe. Sein Vater habe dort zwar Probleme, aber er nicht. Er wisse aber, dass er dort nicht leben könne. Das sei nichts für ihn. Sollte er abgeschoben werden, werde er auch sicherlich wieder zurückkehren. Er könne nicht in Tschetschenien leben. Der Einvernahmeleiter gab gegenüber dem Beschwerdeführer an, dass seinen Eltern ebenso wie seinen minderjährigen Geschwistern der Asylstatus bereits rechtskräftig aberkannt worden sei, da sie sich unter den Schutz des Herkunftsstaates gestellt hätten (Reisepassausstellung). Aufgrund des Wegfalls des Schutzstatus seiner Ankerperson sei auch in seinem Fall davon auszugehen, dass die Gründe für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten weggefallen seien, sodass ihm der Status nunmehr anzuerkennen sei. Dazu erklärte der Beschwerdeführer, dass er nicht wisse, weshalb seine Eltern sich einen Reisepass hätten ausstellen lassen. Über Nachfrage, gab er an, dass sie, seine Eltern, 2016 in Tschetschenien gewesen seien, da seine Oma krank gewesen wäre. Deshalb hätten sie Dokumente benötigt. Die Probleme seines Vaters würden sich nur auf Tschetschenien beschränken. Er verstehe, weshalb nunmehr auch gegen ihn ein Aberkennungsverfahren geführt werde. Zu Urteil zu der Zahl:

XXXX befragt, gab er an, dass er einen Freund habe unterstützen wollen. Er habe nie beabsichtigt, eine terroristische Organisation zu unterstützen. Er habe damals nicht einmal im Kopf gehabt, dass die Richter meinen könnten, dass er eine Terrororganisation unterstütze. Das sei alles um sonst. Auch wenn er in das Gefängnis gehe, werde er umsonst dort sitzen. Er habe sowieso nie etwas mit Terrorismus zu tun. Das es verboten sei, dass er zum AMS gegangen sei, wisse er aber. "Stress umsonst". Weiters wurde der Beschwerdeführer näher zu einigen im Akt näher genannten Personen befragt. Zudem gab er zum Themenkomplex Religion zusammengefasst an, dass er in die XXXX -Moschee, nunmehr XXXX -Moschee als Nahfolgemoschee zum Freitagsgebet gehe. Er gehe immer schon dorthin. Manchmal gehe er in die bosnische Moschee am XXXX . Er selbst würde sich nicht als religiösen Menschen bezeichnen. Ein religiöser Mensch würde fünf Mal in der Woche in die Moschee gehen und öfters beten. Er bete derzeit überhaupt nicht. Wenn er das sage, schäme er sich für sich selbst, da es seine Pflicht wäre zu beten, dies aber nicht tue. Über Vorhalt, dass es sich bei dem vom Beschwerdeführer genannten Moscheen um solche handle, in denen die Lehre des Salafismus verfolgt werde, gab er an, dass mit ihm dort über solche Sachen nicht geredet werde. Er gehe zum Beten hin. Er bleibe dort und rede mit niemanden über solche Sachen. Auch im Freitagsgebet sei nie über Syrien gesprochen worden. Über Nachfrage, wie der Beschwerdeführer dazu stehe, dass einer seiner im Akt genannten Freunde nach Syrien gegangen sei, gab er an, dass das nicht richtig sei. Warum sollte er [gemeint: sein Freund] nach Syrien gehen, um zu sterben. Das sei nicht deren Krieg. Sie wären selbst vor dem Krieg geflohen. Über Nachfrage, was der Beschwerdeführer damit meine "das ist nicht unser Krieg", gab er an, dass er damit gemeint habe, weshalb Tschetschenen dort sterben sollten? Das habe ihn nie interessiert und werde ihn auch nie interessieren. Jetzt müsse er sich wegen dem Gericht damit auseinandersetzen. "Alles Stress umsonst." Über Vorhalt zu seinen beiden rechtskräftigen Verurteilungen, gab er an, dass er nicht wisse, weshalb er das getan habe. Damals hätten sie Drogen genommen. Er habe im Gefängnis damit aufgehört, eine Therapie habe er nicht gemacht. Im Hinblick auf seine verwirklichten Vermögensdelikte und dem Umstand, dass der Beschwerdeführer derzeit einkommenslos sei, gab er auf die Frage, weshalb die Behörde davon ausgehen könne, dass er sich in Hinkunft wohlverhalten werde, an, dass er seitdem er aus dem Gefängnis gekommen sei, nichts mehr gemacht habe. Und wisse er, dass er nichts mehr machen werde.

 

Mit Urteil des Oberlandesgerichts XXXX Abteilung 10 vom 09.10.2018 Geschäftszahl XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen der Begehung des Verbrechens der terroristischen Vereinigung gemäß § 278b Abs. 2 ( § 278 Abs. 3 zweiter und dritter Fall) StGB der Begehung des Verbrechens der kriminellen Organisation gemäß § 278a ( § 278 Abs. 3 zweiter und dritter Fall) StGB, des Vergehens des schweren Betrugs gem. §§ 146,147Abs 2 StGB in Form der Beitragstäterschaft und das Verbrechen der Terrorismusfinanzierung nach 278d Abs. 1a Z2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

 

Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.12.2018 wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.09.2003, Zl. 0314.981-BAE, zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen. (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 und 9 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).

 

Begründend führte das Bundesamt zusammengefasst aus, dass vor dem Hintergrund der beiden Verurteilungen des Beschwerdeführers der Aberkennungsgrund gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 1 und 4 AsylG 2005 vorliege. Zu den diesbezüglichen Gründen wurde auf die strafrechtlichen Verurteilungen Bezug genommen und im Hinblick auf die Verurteilung des Oberlandesgerichtes XXXX vom 09.10.2018, GZ XXXX darauf hingewiesen, dass erschwerend hinzukomme, dass neben dem Zusammentreffen von vier Verbrechenmit einem Vergehen, die besondere Verwerflichkeit der Beweggründe im Hinblick auf die Ausrichtung der vom Beschwerdeführer unterstützen Terrororganisation zur Last gelegt worden sei. Dabei wäre der bis zur Tatbegehung ordentliche Lebenswandel, das teilweise zur Wahrheitsfindung dienliche Geständnis als mildernd bewertet worden. Entgegen des Erstgerichtes wäre keine tatrelevante Verstandesschwäche erkannt worden. Zudem habe das Rechtsmittelgericht erkannt, dass es dem Beschwerdeführer an ernsthaften Bemühungen bei der Such nach einer legalen Erwerbstätigkeit fehle, sodass ihm ein unverändert starker Hang zur Ausnützung des österreichischen Sozialsystems und die Gefahr des abermaligen Rückfalls hinsichtlich seiner Vermögensdelinquenz zu attestieren sei. Der Beschwerdeführer habe bis Sommer 2014 die radikal-salafistische XXXX -Moschee in XXXX und anschließend die ebenso radikal-salafistische Nachfolgemoschee XXXX besucht. Eine größere Anzahl, insbesondere jüngere Männer habe sich aus der tschetschenischen Diaspora nach Syrien oder den Irak begeben, um die dortige Terrororganisation "Islamischer Staat" bzw. XXXX zu unterstützen, unter anderem auch XXXX , dessen Ausreise nach Syrien der Beschwerdeführer, im Wissen und in der Absicht, sich dadurch selbst als Mitglied an dieser terroristischen Vereinigung zu beteiligen, unterstützt habe. Zudem habe er sich zwischen Jänner und April 2016 in betrügerischer Weise Leistungen der XXXX Gebietskrankenkasse und des AMS XXXX -West und Umgebung erschlichen, um diese Vermögenswerte in weiterer Folge der Terrororganisation "Islamischer Staat" angehörenden Mitglieder, bereitzustellen. Dieses Verhalten liege auch der angeführten rechtskräftigen Verurteilung ua. wegen §§ 278a und 278b StGB vom 16.05.2018 zu Grunde. Zudem sei aufgrund seiner rechtskräftigen Verurteilungen wegen Vermögensdelikten, aber auch im Lichte seines fehlenden Willens sich seinen Unterhalt durch regelmäßige und legal Erwerbstätigkeit zu verdienen, eine besondere verwerfliche Einstellung gegenüber der österreichischen Rechtsordnung, fremden Vermögens und auch der österreichischen Gesellschaft dokumentiert. Im Lichte dieser destruktiven Grundhaltung und seiner wirtschaftlichen Lage sie auch nach seiner Haftentlassung mit einer maßgeblichen Gefahr des Rückfalles und weiterer einschlägiger Vermögensdelinquenzen zu rechnen. Zudem sei davon auszugehen, dass im Fall einer durchschnittlichen einsichtigen Person, der Entscheidung, die Verbrechen exorbitanten Ausmaßes der Terrororganisation "Islamischer Staat" zu unterstützen, jedenfalls auf eine fundamentale und nur schwer umkehrbare Gewissensentscheidung und eine völlig fehlgeschlagene Sozialisierung und Integration in der europäischen Wertekultur zu Grunde liege. Zudem verwies die belangte Behörde auf die im gegenständlichen Verfahren signifikanten Widersprüche zwischen seinen Angaben in der Einvernahme am 01.10.2018 und der schriftlichen Stellungnahme vom 22.05.2018 betreffend die familiären Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat und eine befürchtete Rückkehrgefährdung. Der besonders destruktive Charakter des Beschwerdeführers bzw. der Umstand, dass der Beschwerdeführer schlichtweg nicht willens oder in der Lage sei die österreichische Rechtsordnung zu akzeptieren und die Behörden zu respektieren, ergebe sich aufgrund seiner klaren Ankündigung seine allfällige Außerlandesbringung nicht zu akzeptieren. Das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers stelle aus gewichtigen Gründen eine schwerwiegende und nachhaltige Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Von einer positiven Zukunftsprognose, in Form eines nachhaltigen Gesinnungswandels, könne daher nach dem derzeitigen Beobachtungszeitraum keinesfalls ausgegangen werden. Zudem widerspreche die innere Einstellung des Beschwerdeführers einer nachhaltigen und ernsthaften Integration im österreichischen Bundesgebiet. So habe der Beschwerdeführer durch seine nachgewiesene Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung, wie seine einschlägige rechtskräftige Verurteilung aufzeige, einen nachträglichen Asylausschlussgrund gesetzt. Zudem ergebe sich aus der mittlerweile erreichten Volljährigkeit des Beschwerdeführers, seinen Lebensumständen in Österreich und der rechtskräftigen Aberkennung des Asylstatus bei seinem Vater (Ankerperson), dass eine Notwendigkeit zur Zuerkennung des Asylstatus iSd Kriterien des § 9 BFA-VG, nicht mehr vorliegen würden. Der Beschwerdeführer sei niemals persönlich einer Verfolgung unterlegen oder werde im Falle der Rückkehr nicht der Gefahr einer Todesstrafe, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung bzw. als Zivilperson in einen innerstaatlichen Konflikt in Mitleidenschaft gezogen. Die Lage sei sowohl in Tschetschenien, in seinem Herkunftsgebiet, als auch im gesamten Gebiet der Russischen Föderation soweit befriedet als aktuell die Sicherheitslage nicht mehr als fragil zu bezeichnen sei und dem Beschwerdeführer auch die Möglichkeit offenstehe, sich in jedem anderen Landesteil niederzulassen. Dies hätten auch seine Eltern insofern zum Ausdruck gebracht, als dass sie sich wieder freiwillig unter den Schutz ihres Herkunftsstaates stellten und damit einen Asylaberkennungsgrund verwirklicht hätten. Zur Situation im Falle einer Rückkehr folgerte die belangte Behörde, dass nicht festgestellt werden habe können, dass eine Verfolgung in der Russischen Föderation in irgendeiner Art drohen bzw. dem Beschwerdeführer seine Existenzgrundlage völlig entzogen wäre. Als Staatsbürger der Russischen Föderation mit tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, welcher sich dem moslemischen Glauben zugehörig fühle, gehöre der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation einer Bevölkerungsgruppe an, bei der er im Grunde hinsichtlich der ethnischen Herkunft und religiösen Orientierung eine Gefährdung nicht gegeben sei und wurde in diesem Zusammenhang auf die Länderfeststellungen verwiesen. Zudem sei die gerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers in Österreich unter anderem wegen § 278b StGB weder öffentlich bekannt noch habe konkret festgestellt werden können, dass er als Person in irgendeiner Form öffentlich mit Terrorismus in Verbindung gebracht worden wäre oder gebracht werde. Es könne nicht festgestellt werden, dass er aufgrund seiner Verurteilung in Österreich automatisch einer Überwachung der Behörden der Russischen Föderation unterliegen würde. Auch habe der Beschwerdeführer entgegen der Stellungnahme vom 22.05.2018 in seiner niederschriftlichen Einvernahme am 01.10.218 selbst vorgebracht, dass ihm in Tschetschenien nichts drohe, aber eine Außerlandesbringung nicht akzeptieren werde. Der Beschwerdeführer spreche Russisch und Tschetschenisch und sei auch nach seiner Ausreise weiterhin innerhalb der tschetschenischen Kernfamilie sozialisiert. Zudem verfüge er, wie er selbst angegeben habe, über familiäre Anknüpfungspunkte in seinem Herkunftsstaat. Aufgrund seines Gesundheitszustandes, seines Alters, der Vertrautheit mit Sprache, Kultur bzw. seinem Schulbesuch im Herkunftsland sei dem Beschwerdeführer eine Teilnahme am Erwerbsleben uneingeschränkt möglich.

 

Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben. Dabei brachte er vor, seit seinem 9. Lebensjahr in Österreich zu sein und in der Russischen Föderation keine familiären Bindungen zu haben. Mit Beschwerdeergänzung, eingelangt am 14.01.2019, wurde zusammengefasst vorgebracht, dass der Beschwerdeführer bereits in seiner Stellungnahem vom 22.05.2018 Angaben zu seinem Privatleben getätigt habe und ihm keine jihadistisch-salafistische Gewalttheologie anzuhängen sei. Dies sei auch durch den Verein XXXX mit Eingabe vom 05.07.2018 bekräftigt worden. Daran vermöge auch eine unbedingte Freiheitsstrafe nichts zu ändern. Zudem komme den inhaltlichen Ausführungen der strafgerichtlichen Urteile keine Bindungswirkung zu, sondern sei es Aufgabe der Fremdenbehörden eine eigenständige Wertung des zur Verurteilung geführten Verhaltens in fremdenrechtlicher Hinsicht vorzunehmen. Die Behörde habe die Gesamtbeurteilung des individuellen Vorbringens des Beschwerdeführers verabsäumt. Zudem sei auch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 2011 bis 2013 achtbare sportliche Erfolge erzielt habe und sei er letztlich durch "falsche Freunde" ins Drogenmilieu abgerutscht. Zudem handle es sich bei XXXX um einen Jugendfreund und hätten sich deren Lebensweg abseits des Sports in äußerst gegensätzliche Richtungen entwickelt. Zudem könne im Rahmen der Prognoseentscheidung aufgrund der vorgelegten Stellungnahme und der persönlichen Einvernahme des Beschwerdeführers vom endgültigen Abwenden von einer kriminellen Gesinnung ausgegangen werden. Der Beschwerdeführer habe erklärt nach der Entlassung aus der Strafhaft ein "normales" Leben führen zu wollen. Ferner würden die Sicherheitsbehörden in der Russischen Föderation rigoros gegen Personen wie den Beschwerdeführer vorgehen, was aus den Länderfeststellungen und anderen unabhängigen Quellen zu entnehmen sei. Zudem stehe außer Frage, dass die erlassene Rückkehrentscheidung in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingreife und hätte die Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen, insbesondere, wenn die Auswirkung auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wöge, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahem von ihrer Erlassung.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Auf Grundlage der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungs- und Gerichtsakten des Beschwerdeführers, der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Strafregister werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, sowie muslimischen Glaubens.

 

Der Beschwerdeführer reiste am 24.05.2003 im Familienverband in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte sein Vater, als gesetzliche Vertretung, einen Asylantrag. Für den Beschwerdeführer wurden keine eigenen Asylgründe vorgebracht. Mit Bescheid vom 30.09.2003, GZ. 03 14.981, wurde dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten im Familienverfahren erstreckt von seinem Vater zuerkannt.

 

Der Beschwerdeführer ist in Tschetschenien geboren und - bis zu seinem neunten Lebensjahr - dort aufgewachsen. Er hat dort die Grundschule besucht. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Tschetschenisch. Er spricht auch Russisch und sehr gut Deutsch.

 

Der Beschwerdeführer besuchte in Österreich vier Jahre lang die Volks- und weitere vier Jahre lang die Hauptschule. Er begann mit einer Kfz-Mechaniker-Lehre die er nach einem Jahr abgebrochen hat. In den Jahren 2013 bis 2015 habe er als Mechaniker gearbeitet. Danach hat er diverse Kurse besucht und war bei Jugend am Werk aktiv. Der Beschwerdeführer verfügt über Freunde in Österreich, wobei er erklärte, dass diese alle Tschetschenen wären. Er hat auch Rumänen und Mazedonier als Freunde, die auch andersgläubig seien (vgl. AS 316).

 

In Österreich sind die Eltern sowie seine Geschwister, zwei Schwestern und ein Bruder aufhältig. Seinen Eltern und seinen minderjährigen Geschwistern wurde allesamt der Status des Asylberechtigten aberkannt und deren Konventionsreisepässe entzogen. Seine Familienangehörigen verfügen über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU". Seine älteste Schwester besitzt einen Konventionsreisepass.

 

Der Beschwerdeführer ist gesund, arbeitsfähig und ledig.

 

Für den Beschwerdeführer scheinen im österreichischen Strafregister folgende Verurteilungen auf:

 

* Urteil des zuständigen Landesgerichts für Strafsachen vom 19.09.2016 (rechtskräftig mit 23.09.2016) wegen §§127, 128 (1) Z 5, 129 (1) Z 2, 129 (2) Z 1, 130 (2) StGB, § 15 StGB als Jugendlicher zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten davon 12 Monate bedingt, unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren;

 

* Urteil des zuständigen Bezirksgerichtes vom 30.03.2017 (rechtskräftig mit 04.04.2017) wurde der Beschwerdeführer wegen Vergehens § 15 StGB, § 127 StGB;

 

* Urteil des zuständigen Landesgerichtes für Strafsachen vom 16.05.2018 (rechtskräftig mit 09.10.2018) wegen §§ 278b (2) (§278 Abs. 3 zweiter und dritter Fall StGB, 278a (§278a Abs. 3 zweiter und dritter Fall StGB §§146, 147 (2) StGB §278d (1a) Z 2 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 3 Jahren

 

Dem Urteil des Oberlandesgerichtes XXXX ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer im Dezember 2015 im bewussten und gewollten Zusammenwirken den abgesonderten XXXX zum Flughafen transportierte, der folglich nach Istanbul flog, sich vor Ort seiner Kontaktperson anschloss und zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt an die Grenze zu Syrien reiste, wo er schließlich mit Hilfe von Schleppern über die grüne Grenze nach Syrien in das von der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat kontrollierte Gebiet gelangt und seither für die terroristische Vereinigung kämpft. Zudem habe der Beschwerdeführer am 18. und 25. Jänner 2016 für den abgesondert verfolgten XXXX den Eindruck erwecken wollen, dass sich dieser noch im Bundesgebiet befinde. Er sei zu dessen Hausarzt gegangen, um für den besagten Medikamente abzuholen. Mit den von der Gebietskrankenkasse für die körperliche Gesundung vorgesehen Rehabilitationsgeld in der Höhe von € 7.254,24 herausgelockte Geld unterstütze der Beschwerdeführer die Finanzierung des Aufenthaltes der im Akt näher genannten Person als Mitglied der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat in der Türkei. Im April 2016 gab sich der Beschwerdeführer bei einem Kontrolltermin des AMS als XXXX aus; er täuschte die Behörden somit und verleitete die Sachbearbeiterin zu einer Betreuungsvereinbarung und den Bezug der Notstandshilfe in einer Gesamthöhe von € 3.009,30. Der Beschwerdeführer hat sich als Mitglied an kriminellen Organisationen, welche jeweils auf längere Zeit angelegte unternehmensähnliche Verbindung einer größeren Zahl von Personen das Ziel verfolgt, in Syrien und im Irak einen radikal-islamistischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten und zur Erreichung dieses Ziels terroristische Straftaten gemäß § 278c Abs. 1 StGB zu begehen, somit, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld oder Suchtmitteln ausgerichtet ist, die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang anstrebt und die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen versucht. Der Beschwerdeführer hat sich im Rahmen der kriminellen Ausrichtung dieser terroristischen Organisation in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbaren Handlungen förderte.

 

Als mildernd wurden sein bis zur Tatbegehung ordentlicher Lebenswandel, das teilweise zur Wahrheitsfindung dienliche Geständnis sowie der Umstand, dass der Beschwerdeführer teilweise Taten vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangen hat.

 

Der Beschwerdeführer befand sich in Haft, in einer Justizanstalt oder einem Polizeianhaltezentrum:

 

* von 22.06.2016 bis 30.03.2016 JA XXXX ;

 

* von 30.06.2016 bis 21.10.2016 JA XXXX ;

 

* von 05:08.2017 bis 11.08.2017 PAZ XXXX

 

* von 05.12.2017 bis 07.12.2017 JA XXXX ;

 

Der Beschwerdeführer befindet sich derzeit - seit 13.12.2018 - in Haft.

 

Im Falle des Beschwerdeführers kann keine positive Zukunftsprognose erstellt werden.

 

Festgestellt wird, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

 

In Österreich leben die Eltern des Beschwerdeführers, seine beiden Schwestern und ein Bruder. Ein Abhängigkeitsverhältnis zu den in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen des Beschwerdeführers aus gesundheitlichen oder anderen Gründen besteht nicht. Die Beziehung, konnte in den Zeiträumen der Haftaufenthalte in der Vergangenheit und der nunmehrigen Haft des Beschwerdeführers nur durch Besuche in der Haft gelebt werden. Auch vor seinem Haftantritt übernachtete der Beschwerdeführer gelegentlich bei seiner Mutter und seinen Geschwistern in der Wohnung seiner älteren Schwester, jedoch brachte er in diesem Zusammenhang kein Abhängigkeitsverhältnis vor. So gab er an, dort nicht immer zu sein, sondern auch oft bei Freunden zu schlafen. Dies ergibt sich auch aus dem Auszug aus dem Melderegister. Die Beziehung zu seinen Familienangehörigen kann auch von der Russischen Föderation aus über elektronische Medien und Internet aufrechterhalten werden.

 

Im Herkunftsland lebt seine Großmutter, die alleine im ehemaligen Haus des Beschwerdeführers und dessen Kernfamilie in Guderums. Es besteht telefonischer Kontakt zur Großmutter. Zudem verfügt er über weitere verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte (Cousin und Cousinen) in seinem Herkunftsland.

 

Festgestellt wird, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation keine asylrelevante Verfolgung droht. Er war im Herkunftsstaat vor seiner Ausreise keiner Verfolgung ausgesetzt.

 

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer einen Asylausschlussgrund gemäß § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG verwirklicht hat. Er wurde von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt und bedeutet aufgrund dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft.

 

Eine Rückkehr des Beschwerdeführers in die Russische Föderation stellt keine Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention dar.

 

Dem Beschwerdeführer droht in der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus, insbesondere außerhalb von Tschetschenien, keine Doppelbestrafung und auch außerhalb der Strafverfolgung keine Verfolgung auf Grund des der Verurteilung in Österreich zugrundeliegenden Verhaltens. Dem Beschwerdeführer droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus keine Folter oder unmenschliche Behandlung auf Grund seiner Verurteilung in Österreich oder des dieser Verurteilung zugrundeliegenden Verhaltens. Dem Beschwerdeführer droht auch keine Verfolgung wegen seines Aussehens oder seiner ethnischen Volksgruppenzugehörigkeit. Ihm droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation außerhalb des Nordkaukasus, insbesondere außerhalb Tschetscheniens, keine Verfolgung wegen der Asylantragstellung in Österreich und wegen des langjährigen Aufenthaltes außerhalb der Russischen Föderation.

 

Es ist dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus niederzulassen und anzumelden. Die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland bieten trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit entsprechende Chancen auch für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken. Der Beschwerdeführer hat auch Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung. Es besteht keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer in anderen Teilen der Russischen Föderation Opfer fingierter Strafverfahren würde. Dem Beschwerdeführer droht auch keine Verfolgung bei der Wiedereinreise in die Russische Föderation außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus.

 

Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:

 

1. Politische Lage

 

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3 .2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3 .2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3 .2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

 

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3 .2017a).

 

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3 .2017a).

 

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.1. Tschetschenien

 

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

 

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015).

 

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens zurücktreten, nachdem er von Kadyrow kritisiert worden war, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter in die föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen im September 2016, wenn auch das Republikoberhaupt gewählt wird, durchzuführen. Die Entscheidung erklärte man mit potentiellen Einsparungen durch das Zusammenlegen der beiden Wahlgänge, Experten gehen jedoch davon aus, dass Kadyrow einen Teil der Abgeordneten durch jüngere, aus seinem Umfeld stammende Politiker ersetzen möchte. Bei den Wahlen vom 18. September 2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Den offiziellen Angaben zufolge wurde Kadyrow mit über 97% der Stimmen im Amt des Oberhauptes der Republik bestätigt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld HRW über Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte (ÖB Moskau 12.2016). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 24.1.2017).

 

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die darauf aus wären, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtlern, aber auch von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert. Im März ernannte Präsident Putin Kadyrow im Zusammenhang mit dessen im April auslaufender Amtszeit zum Interims-Oberhaupt der Republik und drückte seine Unterstützung für Kadyrows erneute Kandidatur aus. Bei den Wahlen im September 2016 wurde Kadyrow laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt, wohingegen unabhängige Medien von krassen Regelverstößen bei der Wahl berichteten (ÖB Moskau 12.2016). Im Vorfeld dieser Wahlen zielten lokale Behörden auf Kritiker und Personen, die als nicht loyal zu Kadyrow gelten ab, z.B. mittels Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlungen, Todesdrohungen und Androhung von Gewalt gegenüber Verwandten (HRW 12.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

2. Sicherheitslage

 

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

 

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

 

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

 

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

 

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

 

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

 

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

 

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

 

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2.1. Tschetschenien

 

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, vor allem jedoch an der derzeit prominentesten und brutalsten Jihad-Front in Syrien und im Irak (SWP 4.2015).

 

2016 gab es in Tschetschenien 43 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 30; 2014: 117), davon 27 Tote und 16 Verwundete (Caucasian Knot 2.2.2017).

 

Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hat einen Anschlag auf einen russischen Militärstützpunkt in Tschetschenien für sich reklamiert. Sechs Angreifer hätten am Freitag, den 24.3.2017 eine Militärbasis der russischen Nationalgarde nahe dem Dorf Naurski im Nordwesten Grosnys in Tschetschenien gestürmt. Alle Angreifer seien bei den mehrstündigen Kämpfen auf dem Stützpunkt getötet worden (Zeit Online 24.3.2017). Nach Armeeangaben wurden bei dem Angriff auch sechs russische Nationalgardisten getötet. Die Nationalgarde erklärte, der Angriff sei in den frühen Morgenstunden bei dichtem Nebel erfolgt. Die Soldaten auf dem Stützpunkt hätten den Angriff zurückgeschlagen. Außer den Toten habe es auch Verletzte gegeben. Die im vergangenen Jahr gebildete Nationalgarde ist direkt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstellt. Sie hat den Auftrag, Grenzen zu schützen und Extremisten zu bekämpfen (Focus Online 24.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

3. Rechtsschutz/Justizwesen

 

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassung, Zivil, Administrativ und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen. In Strafprozessen kommt es nur sehr selten (lt. Amnesty International in 0,5% der Fälle) zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen. 2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte. Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass wenn der EGMR von einer Konventionsauslegung ausgeht, die der Verfassung der Russischen Föderation widerspricht, Russland in dieser Situation aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang sind. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings weiterhin um Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2016, vgl. AA 24.1.2017).

 

Am 7. Juli 2016 wurden die unter dem Begriff Yarovaya-Paket zusammengefassten Änderungen der Gesetze zur Bekämpfung des Extremismus in Kraft gesetzt. Die geänderten Rechtsvorschriften waren zu weiten Teilen unvereinbar mit Russlands internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte. So wurden alle missionarischen Aktivitäten außerhalb eigens dazu bestimmter religiöser Institutionen verboten und Provider dazu verpflichtet, den gesamten Nachrichtenverkehr sechs Monate lang und alle Metadaten drei Jahre lang zu speichern. Zudem wurde die Höchststrafe für extremistische Delikte von vier auf acht Jahre und für Anstiftung zur Beteiligung an Massenunruhen von fünf auf zehn Jahre Haft angehoben. Am 16. November 2016 kündigte Präsident Putin an, dass Russland nicht länger beabsichtige, Vertragsstaat des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs zu werden. Russland hatte das Statut im Jahr 2000 unterschrieben, jedoch nie ratifiziert (AI 22.2.2017).

 

Im November 2013 ist in Russland ein Gesetz verabschiedet worden, mit denen man die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreichen wolle und die darauf abzielen würden, die "harte Form" des Kampfes gegen den Aufstand, die bereits in mehreren Republiken im Nordkaukasus praktiziert wird, zu legalisieren. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, die Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien dazu zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, die durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind (CACI 11.12.2013, vgl. US DOS 3.3.2017).

 

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Es gibt Bestrebungen zu einer weiteren Entkriminalisierung leichterer Straftaten, bislang allerdings ohne konkrete Ergebnisse. Bemerkenswert ist die unverändert extrem hohe Verurteilungsquote im Strafprozess. Für zu lebenslange Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Auch eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Immer wieder legen einzelne Strafprozesse in Russland den Schluss nahe, dass politische Gründe hinter der Verfolgung stehen. Trotz der Entlassung von Michail Chodorkowski und den Mitgliedern der Punk-Aktionsgruppe Pussy Riot aus der Haft - bezeichnenderweise nicht durch die Justiz selbst, sondern durch Amnestie bzw. Begnadigung - bleiben deren Haftstrafen Beispiele für politisch motivierte Urteile. Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenien und Dagestan, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

3.1. Tschetschenien

 

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Präsident Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islam und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Die Religion fasste in Tschetschenien aus den verschiedensten Gründen nicht Fuß. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014a). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art "alternativer Justiz". Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).

 

In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Subjektes der Russischen Föderation zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz das tschetschenische im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechte und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten, sowie Friedensgerichte, ein Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017).

 

Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen ist weiterhin verbreitet, trotz der rund 200 diesbezüglichen Entscheidungen des EGMR. Diese Verletzungen beziehen sich auf ungerechtfertigte Gewaltanwendung, rechtswidrige Inhaftierungen, Verschwindenlassen, Folter und Misshandlungen, die Unterlassung effektiver Untersuchungen dieser Verbrechen und das Fehlen eines effektiven Rechtmittels, Versagen in der Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof und unrechtmäßige Durchsuchungen, Festnahmen und Zerstörung von Eigentum (CoE 12.11.2013, vgl. US DOS 3.3.2017). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist in Tschetschenien völlig unzureichend. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen (AA 24.1.2017).

 

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenen, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA 24.1.2017).

 

Auch 2016 übte die tschetschenische Führung unmittelbaren Druck auf die Justiz aus. Am 5. Mai berief Ramzan Kadyrov eine Versammlung aller Richter ein und zwang vier von ihnen zum Rücktritt. Eine Reaktion seitens der Behörden der Russischen Föderation gab es darauf nicht (AI 22.2.2017).

 

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Änderung Staatsbürgerschaftsgesetz

 

Mit dem Föderalen Gesetz Nr. 182 vom 12.11.2012 wurde das Gesetz "Über die Staatsbürgerschaft der RF" geändert, wobei die wichtigsten Änderungen in einem neuen Kapitel des Gesetzes "Über die Staatsbürgerschaft der RF" (i.e. Kapitel VIII.1, Artikel 41) enthalten sind. Diese Änderungen bringen vor allem für staatenlose ehemalige Sowjetbürger Erleichterungen bei Erwerb der russischen Staatsangehörigkeit. Konkret sind Personen, die am 5.9.1991 Staatsbürger der UdSSR waren und sich vor dem 1.11.2002 in der Russischen Föderation niedergelassen haben, die russische Staatsangehörigkeit bislang nicht erworben haben und unter der Voraussetzung, dass sie nicht die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates besitzen oder eine Niederlassungsbewilligung in einem anderen Staat besitzen, beim Erwerb der russischen Staatsangehörigkeit nunmehr von bestimmten allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen ausgenommen. Nicht erforderlich sind in diesem Fall 5 Jahre dauerhafte Niederlassung in der RF, der Nachweis einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung, der Nachweis eines legalen Einkommens und der Nachweis der Kenntnis der russischen Sprache. Personen, die keine Ausweisdokumente besitzen, wird ein temporäres Ausweisdokument ausgestellt, das für die Dauer der Bearbeitung des Staatsbürgerschaftsantrages gültig ist. Das Gesetz verbessert damit die Situation von staatenlosen Personen, die kein Ausweisdokument und keinen Nachweis einer legalen Niederlassung haben, was in der Vergangenheit zu Problemen beim Erwerb der russischen Staatsangehörigkeit geführt hatte. Die Bestimmungen von Kapitel VIII.1 des Gesetzes "über die Staatsbürgerschaft der RF" sollen bis 1.1.2017 angewendet werden (ÖB Moskau 29.5.2013).

 

Quellen:

 

 

4. Sicherheitsbehörden

 

Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Im April 2016 wurde die Föderale Nationalgarde gegründet. Diese neue Exekutivbehörde steht unter der Kontrolle des Präsidenten, der ihr Oberbefehlshaber ist. Ihre Aufgaben sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache, Administrierung von Waffenbesitz, Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, Schutz der Öffentlichen Sicherheit und Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil (US DOS 3.3.2017).

 

Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Die Regierung verabsäumte es angemessene Schritte zu setzen, um die meisten Behördenvertreter, welche Missbräuche begingen, zu verfolgen oder zu bestrafen, wodurch ein Klima der Straffreiheit entstand. Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Aufständischen, islamischen Militanten und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führt, einschließlich Morde, Folter, körperliche Misshandlung und politisch motivierte Entführungen. Die Regierung untersucht und verfolgt Missbräuche nicht adäquat, besonders wenn regionale Behörden involviert waren. Tschetschenische Sicherheitsbehörden unter direkter Kontrolle von Ramzan Kadyrow können mit Straffreiheit rechnen, sogar bei Drohungen gegen russische Sicherheitsbehörden, die versuchen in Tschetschenien tätig zu werden (US DOS 13.4.2016).

 

Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA 24.1.2017).

 

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Von russischer Seite werden die meisten Operationen im Nordkaukasus gegen Terroristen heute nicht mehr vom Militär, sondern von Einheiten des Innenministeriums und des Geheimdienstes durchgeführt. Diese sind zwar nicht weniger schwer bewaffnet, nur soll so der Eindruck eines Krieges vermieden werden (Zenith 10.2.2014). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnender Weise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen (Rüdisser 11.2012). Ramsan Kadyrows Macht gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen Kadyrowzy. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet und ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Kämpfern der Rebellen (EASO 3.2017).

 

NGOs berichten, dass lokale Polizeibeamten manchmal nicht auf Anzeigen von Vergewaltigungen und häuslicher Gewalt reagieren, solange das Leben des Opfers nicht in Gefahr ist. Viele Frauen melden keine Vergewaltigungen oder andere Arten von Gewalt, besonders wenn sie von Ehepartner begangen wurden, aufgrund des sozialen Stigmas und dem Mangel an offizieller Unterstützung (US DOS 3.3.2017, vgl. EASO 3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

5. Folter und unmenschliche Behandlung

 

Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von

Artikel 21.2 der Verfassung und Art. 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 12.2016, vgl. EASO 3.2017).

 

Aus ganz Russland werden Folter und Todesfälle von Häftlingen - insbesondere in Polizeigewahrsam oder in Untersuchungshaft - gemeldet. NGOs wie "Amnesty International" oder das russische "Komitee gegen Folter" berichten, dass es bei Verhaftungen, in Polizeigewahrsam und Untersuchungshaft zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung durch die Polizei und die Ermittlungsbehörden kommt. Opfer, die ihr Recht auf Entschädigung geltend machen wollten, wurden häufig unter Druck gesetzt, um sie zu einer Rücknahme ihrer Klage zu bewegen. Untersuchungen von Foltervorwürfen blieben fast immer folgenlos. Unter Folter erzwungene "Geständnisse" wurden vor Gericht als Beweismittel anerkannt. Nur in einigen wenigen Fällen, in denen sich Menschenrechtsorganisationen eingeschaltet hatten, wurde Anklage gegen die an der Folter beteiligten Staatsbediensteten erhoben. Es gibt v.a. im Nordkaukasus Fälle von Folter sowie Straflosigkeit für Vergehen der Sicherheitskräfte (AA 24.1.2017).

 

Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 3.3.2017).

 

Auch 2016 waren systematische Folter und andere Misshandlungen in den ersten Tagen der Haft und in Gefängniskolonien weit verbreitet (AI 22.2.2017).

 

Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

6. Korruption

 

Korruption gilt in Russland als wichtiger Teil des gesellschaftlichen Systems. Obwohl Korruption in Russland endemisch ist, kann im Einzelfall nicht generalisiert werden. Zahlreiche persönliche Faktoren bezüglich Geber und Nehmer von informellen Zahlungen sind zu berücksichtigen sowie strukturell vorgegebene Einflüsse der jeweiligen Region. Im alltäglichen Kontakt mit den Behörden fließen informelle Zahlungen, um widersprüchliche Regulationen zu umgehen und Dienstleistungen innerhalb nützlicher Frist zu erhalten. Korruption stellt eine zusätzliche Einnahmequelle von Staatsbeamten dar. Das Justizsystem und das Gesundheitswesen werden in der Bevölkerung als besonders korrupt wahrgenommen. Im Justizsystem ist zwischen stark politisierten Fällen, einschließlich solchen, die Geschäftsinteressen des Staates betreffen, und alltäglichen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Nicht alle Rechtsinstitutionen sind gleich anfällig für Korruption. Im Gesundheitswesen gehören informelle Zahlungen für offiziell kostenlose Dienstleistungen zum Alltag. Bezahlt wird für den Zugang zu Behandlungen oder für Behandlungen besserer Qualität. Es handelt sich generell um relativ kleine Beträge. Seit 2008 laufende Anti-Korruptionsmaßnahmen hatten bisher keinen Einfluss auf den endemischen Charakter der Korruption. Die Situation in Tschetschenien zeichnet sich dadurch aus, dass korrupte Praktiken erstens stärker verbreitet sind und zweitens offener ablaufen als im restlichen Russland. In der Folge wird der Rechtsstaat unterlaufen und der Zugang zum Gesundheitswesen - außer der Notfallversorgung - hängt zu einem großen Teil von den finanziellen Mitteln der Patienten und ihres sozialen Umfeldes ab (SEM 15.7.2016).

 

Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet. Aufgrund der zunehmend mangelhaften Übernahme von Verantwortung in der Regierung können Bürokraten mit Straffreiheit rechnen. In einigen Fällen scheint der Kreml Signale an die Beamten auszusenden, dass die Korruption aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Probleme eingeschränkt werden muss (FH 27.1.2016). Das Gesetz sieht Strafen für behördliche Korruption vor, diese bleibt dennoch ein weitreichendes Problem. Die Regierung bestätigte, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird, und viele Beamte sind in korrupte Praktiken involviert. Korruption ist sowohl in der Exekutive, als auch in der Legislative und Judikative und auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet (USDOS 3.3.2017, vgl. EASO 3.2017). Zu den Formen der Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung, und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Obwohl es strafrechtliche Verfolgungen von Bestechung gibt, ist der Vollzug im Allgemeinen weiterhin mangelhaft. Behördliche Korruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen. Laut einem Bericht vom September 2015 in der Zeitung Izvestiya nahm die Korruption um 6,5% zu. 2015 wurden 32.000 Fälle von Korruption registriert, davon endeten 13.000 mit Verurteilungen. Im Jahr 2016 führte die Regierung Gesetze ein, die Strafzahlungen für "kleine gewerbliche Bestechlichkeit" und für "Vermittlung von kleiner gewerblicher Bestechlichkeit" beinhalten. Die Gesetze gelten für Bestechungen, die 10.000 Rubel nicht übersteigen (USDOS 3.3.2017).

 

Seit seinem Amtsantritt verspricht Wladimir Putin immer wieder aufs Neue konsequente Korruptionsbekämpfung, Jahr für Jahr werden neue Bekämpfungskonzepte vorgelegt, während sich die Eliten ungestört und vor aller Augen bereichern - Korruption gehört eben zum Leben dazu. Ein Drittel der Russen hält sie laut einer Umfrage des Lewada-Instituts generell für unausrottbar (Zeit Online 18.1.2016).

 

Korruptionsbekämpfung gilt seit 2008 als prioritäres Ziel der Zentralregierung. Bis 2012 wurde die dafür notwendige Gesetzesgrundlage geschaffen. Beispielsweise wurden die Sanktionen festgelegt. Aufsichtsbehörden erhielten mehr Befugnisse, darunter die Finanzkontrolle, die Generalstaatsanwaltschaft und der Geheimdienst (FSB). Es wurden vermehrt Überprüfungen eingeleitet. In der Folge stieg die Anzahl Strafverfahren. Zu Beginn richteten sie sich hauptsächlich gegen untere Chargen, seit 2013 jedoch auch gegen hochrangige Beamte und Politiker, wie einzelne Gouverneure, regionale Minister und stellvertretende föderale Minister und einen früheren Verteidigungsminister. Positiv bewertete die russische Zivilgesellschaft die 2009 geschaffenen Gesetze, welche die staatliche Behörden und die Justiz verpflichteten, über ihre Aktivitäten zu informieren. Im Zusammenhang mit der Korruptions-Bekämpfung entstanden zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, die ab 2011 einen gewissen Einfluss auf die Arbeit der Behörden ausüben konnten und erreichten, dass das Handeln von Dienststellen und Gerichten teils transparenter wurde. In einzelnen Bereichen der Verwaltung wurde die Korruption reduziert, oft abhängig von einzelnen integren und innovativen Führungsfiguren. Beobachter gehen jedoch einig, dass sich die Situation nicht substantiell verbessert hat. Am endemischen Charakter der Korruption in der Verwaltung hat sich bisher nichts geändert. Das gilt auch für das Justizsystem und für die Polizei, die 2011 reformiert wurde. Die Gründe für den Misserfolg sind vielschichtig. Auf höchster Ebene scheint die russische Führung kein echtes Interesse an der Korruptions-Bekämpfung zu haben, da sie selber vom korrupten System profitiert. Externe Beobachter kritisieren, der Kreml nutze Anti-Korruptions-Maßnahmen, um Gegner zu schwächen und die Elite zu kontrollieren. Aufsehenerregende Fälle dienten dazu, die Popularität des Präsidenten in der Bevölkerung zu stärken. Im Verwaltungsapparat sind die konkreten Regeln zur Korruptionsbekämpfung unterentwickelt, es fehlen zum Beispiel Mechanismen zur Integritätsprüfung der Mitarbeitenden. Institutionen zur Korruptionsbekämpfung sind laut BTI zwar oft mit kompetenten Personen besetzt, es fehlen ihnen jedoch die Kompetenz und die Ressourcen um effektiv zu handeln. Laut Elena Panfilova, ehemalige Direktorin von Transparency International Russland, herrscht unter russischen Beamten und dem Justizpersonal kein Verständnis für die Problematik von Interessenskonflikten, vielmehr scheinen verwandtschaftliche und freundschaftliche Gefälligkeiten wichtiger als die berufliche Integrität. Durch korrupte Praktiken sind Abhängigkeiten zwischen Mitarbeitenden, zwischen Personen in verschiedenen Hierarchiestufen und zwischen Institutionen entstanden. Solche "verfilzten Strukturen" blieben völlig unkontrolliert und weil jeder jeden deckt ist eine systematische Aufarbeitung kaum möglich. In der Verwaltung werden deshalb im Vergleich zur Anzahl Staatsangestellter relativ wenige Strafverfahren wegen Korruption eingeleitet, auch weil die Gerichte selber korruptionsanfällig sind. Zu Schuldsprüchen kommt es selten, wenn doch, ist das Strafmaß vielfach tief oder wird insbesondere bei hohen Geldbußen nicht vollstreckt. Auf weitere Institutionen, die zur Korruptionsbekämpfung notwendig sind - unabhängige Gerichte, freie Medien und die Zivilgesellschaft -, wird vermehrt Druck ausgeübt. Auch im Nordkaukasus beschränken sich Anti-Korruptionskampagnen vor allem auf einzelne aufsehenerregende Festnahmen von Beamten. Es ist davon auszugehen, dass Ramsan Kadyrow Korruptionsbekämpfung dazu nutzt, um gegen unliebsame Personen vorzugehen. Die tschetschenische Staatsanwaltschaft bestätigt 2014, dass es in Anbetracht des Ausmaßes des Problems zu vergleichsweise wenigen Strafverfahren kommt. Und diese endeten oft ohne Schuldspruch. Häufig betreffen sie Alltagskorruption, das heißt, die unteren Chargen der Verwaltung. Laut Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden, befragt durch ICG, sind die Polizisten, die in Korruptionsfällen ermitteln, selber korrupt. Um gegen Korruption innerhalb der Polizei vorzugehen, wurden die Löhne erhöht. Die erforderliche Summe, um eine Stelle bei der Polizei zu erhalten, blieb jedoch derart hoch, dass die Abhängigkeit von informellen Zahlungen weiterhin bestand. Die Lohnerhöhungen brachten deshalb keine substantiellen Verbesserungen. Eine Kontrolle durch die Zivilgesellschaft ist in Tschetschenien noch weniger gegeben als im übrigen Russland, da Nichtregierungsorganisationen seit Jahren stark unter Druck stehen und die Bevölkerung tendenziell versucht, jeglichen Kontakt mit den Strafverfolgungsbehörden zu vermeiden (SEM 15.7.2016).

 

Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew ist wegen mutmaßlicher Korruption von Präsident Putin entlassen worden. Zuvor war er festgenommen worden. Der 60-Jährige soll im Zusammenhang mit einem großen Übernahmegeschäft zwei Millionen US-Dollar (rund 1,85 Millionen Euro) Schmiergeld angenommen haben. Das Vorgehen gegen einen amtierenden Minister gilt als beispiellos. Uljukajew ist der hochrangigste Politiker, der seit 1991 in Russland verhaftet wurde (Zeit Online 15.11.2016).

 

Korruption ist auch im Nordkaukasus ein alltägliches Problem (IAR 31.3.2014, AI 9.2013). Die auf Clans basierte Korruption hält die regionalen Regierungen zusammen und die Zuschüsse haben den Zweck, die Loyalität der lokalen Elite zu erkaufen. Putins System der zentralisierten Kontrolle bevorzugt Loyalität und lässt Bestechung und Gesetzlosigkeit gedeihen (IAR 31.3.2014).

 

Die Korruption ist in Tschetschenien sogar noch größer als in Russland. Vor allem geht in Tschetschenien die Korruption auch in einer ganz offenen Weise von statten. Während man in Russland noch versucht, dies zu verheimlichen, macht man es in Tschetschenien ganz offen (Gannuschkina 3.12.2014, vgl. SEM 15.7.2016). In Tschetschenien hat die Korruption enorme Ausmaße angenommen (DIS 1.2015). Große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Es gibt glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2016).

 

Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nord-Kaukasus beispiellos (IOM 6.2014).

 

Im Corruption Perception Index 2016 von Transparency International befindet sich Russland auf Platz 131 von 176 Staaten (TI 27.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

7. Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

 

Inländische und ausländische NGOs geraten zunehmend unter Druck. Auf Basis des sogenannten NGO-Gesetzes aus 2012 müssen sich russische NGOs, die politisch aktiv sind und aus dem Ausland Finanzmittel erhalten, in ein vom Justizministerium geführtes Register der ausländischen Agenten eintragen. Die davon betroffenen NGOs haben verstärkte Berichtspflichten gegenüber dem Justizministerium (was besonders für kleinere Organisationen ein kaum zu bewältigender Verwaltungsaufwand darstellt) und müssen alle Publikationen mit der Kennzeichnung "ausländischer Agent" markieren. Organisationen, die sich gegen eine Eintragung wehren, haben mit hohen Geldstrafen zu rechnen bzw. können aufgelöst werden. 2016 wurde die NGO Agora, eine Vereinigung von Menschenrechtsanwälten, als erste Organisation aufgrund von Nichterfüllung des NGO-Gesetzes aufgelöst. Ein positiver Schritt wurde im März 2015 gesetzt, als im Zuge einer Abänderung des NGO-Gesetzes die Möglichkeit geschaffen wurde, Organisationen aus dem Register zu streichen, wenn sie nachweisen können, keine ausländischen Finanzmittel mehr zu erhalten (Anm: die NGOs bleiben jedoch trotzdem in dem vom Justizministerium geführten Register und erhalten dort den Zusatz, dass sie nicht mehr die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllen). Nach langen Protesten wurde das NGO-Gesetz im Mai 2016 erneut von der Duma überarbeitet, um den Begriff "politische Aktivität" genauer zu definieren. Experten zufolge ist die Definition jedoch nach wie vor unzulänglich. Weiters wurden im Zuge der Gesetzesanpassung wohltätige Organisationen vom NGO-Gesetz ausgenommen. Der VN Hochkommissar für Menschenrechte Zeid Ra'ad Al Hussein rief im Juni 2016 die russischen Behörden vor dem MRR in Genf dazu auf, das NGO-Gesetz abzuändern. Auch die Venedig-Kommission des Europarats rief im Juni 2016 zu Abänderungen im NGO-Gesetz sowie im Gesetz über unerwünschte ausländische Organisationen auf (ÖB Moskau 12.2016, vgl. GIZ 4.2017a, AA 24.1.2017).

 

Im Mai 2015 wurde ein Gesetz angenommen, das es erlaubt die Tätigkeit von ausländischen oder internationalen Nichtregierungsorganisationen, die eine Bedrohung für die verfassungsmäßigen Grundlagen der Russischen Föderation, für die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder die Sicherheit des Staates darstellen, auf dem Territorium der Russischen Föderation für unerwünscht zu erklären. Die Klassifizierung als unerwünschte Organisation zieht ein Verbot der Gründung bzw. die Liquidierung bereits bestehender Strukturen der ausländischen NGO in Russland nach sich, sowie ein Verbot der Verteilung von Informationsmaterialien bzw. der Durchführung von Projekten der NGO (ÖB Moskau 12.2016, vgl. AI 24.2.2016). Weiters ist es russischen Banken verboten, Finanzoperationen durchzuführen, wenn eine Seite als unerwünschte NGO eingestuft wurde. Die Verbote betreffen nicht nur die NGO selbst, sondern auch Personen, die sich an ihrer Tätigkeit beteiligen. Menschenrechtler gehen daher davon aus, dass das Gesetz indirekt auch gegen die russische Zivilgesellschaft gerichtet ist. Das Gesetz sieht Geldstrafen sowie bei wiederholter Verletzung eine Freiheitsstrafe von 2-6 Jahren vor. Derzeit hat das Justizministerium bereits mehrere ausländische Organisationen als in Russland unerwünscht deklariert (National Endowment for Democracy, OSI Assistance Foundation, Open Society Foundation, US Russia Foundation for economic advancement and the rule of law, National Democratic Institute for International Affairs). Um der ausländischen Finanzierung russischer NGOs entgegenzuwirken, werden seit einigen Jahren sogenannte präsidentielle Subventionen vergeben. 2015 wurden auf diesem Weg rund 4,7 Mrd. Rubel (ca. 62,2 Mio. Euro) an Organisationen verteilt, größtenteils an jene mit patriotischer (z.B. der Motorradclub "Nachtwölfe") bzw. sozialer Ausrichtung, in seltenen Fällen auch an jene NGOs, die als ausländische Agenten deklariert worden waren (ÖB Moskau 12.2016).

 

2016 wurde die Liste "ausländischer Agenten" um Dutzende unabhängiger NGOs erweitert, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhielten, darunter auch die Internationale Gesellschaft für historische Aufklärung, Menschenrechte und soziale Fürsorge Memorial. Nach wie vor mussten NGOs, die gegen das Gesetz über "ausländische Agenten" verstießen, mit Geldstrafen rechnen. (AI 22.2.2017). Mit Ende 2016 sind 148 Organisationen im Register für ausländische Agenten verzeichnet (HRW 12.1.2017).

 

Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, Strategie 31 setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Künstlergruppe Wojna setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen "Initiativen von unten" und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering (GIZ 4.2017a).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

8. Ombudsmann

 

Nachfolgerin der Ombudsfrau (Menschenrechtsbeauftragte) von Ella Pamfilowa ist Tatjana N. Moskalkowa. Sie war hochrangige Polizeibeamtin und seit 2007 Duma Abgeordnete. Da sie keine Erfahrung als Menschenrechtsaktivistin hat, wurde sie von mehreren Seiten kritisiert (NY Times 22.4.2016, vgl. USDOS 3.3.2017).

 

Russland hat in 83 von 85 Regionen regionale Ombudspersonen. Ihre Effektivität variiert erheblich und lokale Behörden unterminieren manchmal die Unabhängigkeit. Laut Jahresbericht 2015 erhielt das Büro 64.189 Beschwerden von Bürgern, staatlichen Organisationen und NGOs. Das ist ein Anstieg um 18% im Vergleich zum Vorjahr (USDOS 3.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

9. Wehrdienst

 

Alle männlichen russischen Staatsangehörigen zwischen 18 und 27 Jahre werden zum Pflichtdienst in der russischen Armee einberufen. Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr. 2016 hat das Verteidigungsministerium vor, bis Mitte Juli 155.000 Personen zum Militärdienst und 559 Menschen zum alternativen Zivildienst einzuberufen. Es gibt auch die Möglichkeit, freiwillig auf Basis eines Vertrags in der Armee zu dienen (dies steht auch weiblichen Staatsangehörigen offen). Staatsangehörige, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Wehrdienst geeignet sind, werden von der Dienstpflicht befreit. Darüber hinaus kann ein Antrag auf Aufschub des Wehrdienstes gestellt werden, etwa durch Personen, die ein Studium absolvieren, oder Väter, die mindestens zwei Kinder haben bzw. Personen, die einen nahen Verwandten pflegen müssen. Anstelle des Wehrdienstes kann ein alternativer Zivildienst abgeleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person ist oder falls diese Person zu einem indigenen Volk gehört, dessen traditioneller Lebensweise der Wehrdienst widerspricht. Die Zivildienstzeit beträgt 18 Monate in den russischen Streitkräften bzw. 21 Monate in anderen staatlichen Einrichtungen. In der Regel soll der Zivildienst außerhalb der Region absolviert werden, in der der Staatsangehörige lebt (ÖB Moskau 12.2016). Jedes Jahr gibt es 2 Einberufungsperioden: eine im Frühjahr (1. April bis 15. Juli) und eine im Herbst (1. Oktober bis 31. Dezember). Es konnte von der ÖB Moskau keine Hinweise gefunden werden, dass aktuell einfache Rekruten im Rahmen ihres Wehrdienstes in aktuellen Konfliktregionen eingesetzt werden. Der "Allgemeine Rat beim Verteidigungsministerium" hat im November 2015 die Entscheidung der Behörde, Grundwehrdiener nicht in Konfliktgebiete zu entsenden, genehmigt. Diese Entscheidung bezieht sich auf Konfliktgebiete innerhalb wie außerhalb Russlands. Es werden nur Zeitsoldaten, die sich vertraglich verpflichtet haben, über den Grundwehrdienst hinaus Dienst in der Armee zu versehen, in Konfliktregionen entsandt (KA der ÖB Moskau 2.11.2016).

 

Wehrpflichtige erhalten zurzeit 2.000 Rubel Monatssold plus Standort- und Gefahrenzulagen. Die im Jahr 2013 eingeleiteten Maßnahmen zur "Humanisierung" und Attraktivitätssteigerung des Wehrdienstes wurden im Berichtszeitraum weiter umgesetzt. Diese Maßnahmen umfassen u. a. die Möglichkeit der heimatnahen Einberufung für Verheiratete, Wehrpflichtige mit Kindern oder Eltern im Rentenalter. Verbesserungen bei der Verpflegung, längere Ruhezeiten sowie die Erlaubnis zur Benutzung privater Mobiltelefone wurden ebenfalls eingeführt. Im Berichtszeitraum [2016] gab es keine offiziellen Verlautbarungen zu Menschenrechtsverletzungen in den Streitkräften der Russischen Föderation. Die NGOs "Komitee der Soldatenmütter" und "Armee.Bürger.Recht" berichten jedoch von Soldaten, die sich aus ganz Russland mit der Bitte um Unterstützung beim Schutz ihrer Rechte an die NGOs wenden. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Menschenrechtslage in den russischen Streitkräften weiterhin problematisch ist. Das "Komitee der Soldatenmütter" äußerte zudem die Befürchtung, dass das neu erlassene Gesetz zur Verlängerung für Auslandseinsätze missbraucht und Wehrpflichtige zur Unterschrift genötigt werden könnten. Es ist zu vermuten, dass es nach wie vor zu Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade oder ältere Wehrpflichtige ("Dedowschtschina") kommt, jedoch nicht mehr in dem Ausmaß der Vergangenheit. Im Jahr 2015 wurde durch Staatspräsident Putin ein Dekret erlassen, dass die Aufgaben der Militärpolizei erheblich erweiterte und seitdem ausdrücklich die Bekämpfung der "Dedowschtschina" sowie von Diebstählen innerhalb der Streitkräfte umfasst. Eine Gesamtzahl von Todesfällen in den russischen Streitkräften wird nicht veröffentlicht. Mit einem Dekret des Präsidenten vom Mai 2015 wird die Zahl der in Friedenszeiten getöteten Angehörigen des Verteidigungsministeriums zum Staatsgeheimnis. Bei Verstößen drohen bis zu sieben Jahre Haft. Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, die seit 1999 formal in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie Freiheitsstrafen aufgrund anderer Delikte in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch auch zur Verbüßung von Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 24.1.2017).

 

Es gibt in Russland verschiedene Möglichkeiten, sich dem Wehrdienst zu entziehen. Ein Großteil der Wehrpflichtigen macht von den Regelungen zur Aufschiebung des Wehrdienstes Gebrauch, die in der Praxis oftmals zu einer Annullierung der Wehrpflicht führen. Wehrpflichtige machen häufig von illegalen Praktiken (meist in Form von Zahlung von Bestechungsgeldern an Ärzte) Gebrauch, um sich von der Wehrpflicht zu befreien. Es kommt auch vor, dass sich Wehrpflichtige auf ihr Hochschulstudium berufen, um eine Aufschiebung des Wehrdienstes zu erlangen. Es ist auch möglich, mittels Zahlung von Bestechungsgeldern an gefälschte Dokumente zu kommen, aus denen hervorgeht, dass der Wehrpflichtige die Voraussetzungen für einen Aufschub oder eine Befreiung vom Wehrdienst erfüllt. Laut Verfassung der Russischen Föderation hat jeder Bürger, bei dem Gewissensgründe gegen eine Ableistung des Wehrdienstes vorliegen würden, das Recht auf einen Ersatzdienst von 21 Monaten. Jeder, der für einen Zivildienst in Betracht gezogen werden wolle, müsse dies mindestens sechs Monate vor Dienstantrittsdatum der zuständigen örtlichen Einberufungskommission mitteilen. Diese trifft die Entscheidung darüber, ob dem Antrag auf einen Zivildienst stattgegeben wird. Ein solcher Antrag könne abgewiesen werden, wenn die Kommission zum Schluss kommt, dass keine angemessenen Gewissensgründe vorliegen würden. Weitere Gründe für eine Ablehnung eines Antrags sind die Nichtbeachtung der Frist für die Einreichung des Antrags auf einen Zivildienst, das Vorlegen falscher bzw. gefälschter Dokumente beim Antrag oder das zweimalige Ignorieren einer Aufforderung, bei der Einberufungskommission vorstellig zu werden. Gegen die Abweisung eines Antrags kann gerichtlich Berufung eingelegt werden. Weniger als ein Tausendstel aller Wehrpflichtigen würden von der Möglichkeit Gebrauch machen, um einen Zivildienst anzusuchen (ACCORD 12.11.2014).

 

Auch in der russischen Armee gibt es regelmäßig Vorwürfe wegen der Misshandlung oder Folter von Rekruten. Das Verteidigungsministerium kooperiert mit dem Menschenrechts-Ombudsmann und mit relevanten NGOs, um dies zu verbessern. In den vergangenen Jahren konnten gewisse Fortschritte erzielt werden. So sank laut einem Bericht der Generalstaatsanwaltschaft im Jahr 2014 die Anzahl der gemeldeten Übergriffe von Armeeangehörigen gegenüber Untergebenen um 15%. NGOs wie das "Komitee der Soldatenmütter" betonen, dass trotz gewisser Fortschritte mehr Anstrengungen, insbesondere bei der Verurteilung von Schuldigen sowie bei der Prävention, notwendig seien (ÖB Moskau 12.2016).

 

Das Verteidigungskomitee der Staatsduma hat Abänderungen des Gesetzes über den Militärdienst zugestimmt. Die vom Verteidigungsministerium vorgeschlagenen Änderungen werden es dem Militärpersonal ermöglichen, Dienstverträge mit der russischen Armee für eine Zeitspanne von sechs Monaten bis zu einem Jahr einzugehen. Bis jetzt war die kürzeste Zeitspanne eines Vertrages drei Jahre. Diese Verträge sollen nicht nur mit Reservisten eingegangen werden können, sondern auch mit Wehrpflichtigen, die einen Monat vor Beendigung ihres Dienstes stehen. Laut Gesetzesentwurf gelten diese Kurzzeitverträge nur bei außergewöhnlichen Umständen wie Naturkatastrophen oder Notfällen, wenn zusätzliche Kräfte notwendig sind, um die konstitutionelle Ordnung wieder herzustellen oder den Frieden im Ausland zu erhalten oder wieder herzustellen. In der Erklärung zum Gesetz steht ausdrücklich, dass diese Kurzzeitverträge das durch die veränderte militärisch-politische Situation und durch die verstärkten Aktivitäten von internationalen Terroristen und extremistischen Organisationen entstandene Problem zu lösen. Es geht darum, Einheiten abseits des Standards zu schaffen, die schnell bewaffnet werden können. Die Einführung solcher Einheiten durch das Verteidigungsministerium scheint ein Versuch zu sein, jenen russischen Staatsbürgern, die schon in Syrien und vorher in der Ukraine kämpften, einen legalen Status zu verleihen. Diese Personen werden durch Mittelsmänner angeheuert, um Kampffunktionen auszuüben, jedoch sind ihre Kampfaktivitäten nicht durch momentanes russisches Recht abgedeckt. Es wird auch davon ausgegangen, dass durch diese Kurzzeitverträge der Mangel an Personal im russischen Militär ausgeglichen werden soll. Die russischen Behörden haben wiederholt versprochen, keine Wehrpflichtigen zu Kampfeinsätzen ins Ausland zu schicken. Wohingegen sich die Regierung scheinbar weniger verantwortlich für die Leben seiner Vertragssoldaten fühlt, die ja freiwillig das Leben eines Soldaten gewählt haben. Es scheint also, dass Russland nicht mehr die Verbesserung der Qualität ihres militärischen Personals den Vorrang einräumt, sondern dass einfach die Anzahl an Männern-unter-Waffen, die in den Kampf geschickt werden können, wichtig ist (Jamestown Foundation 9.11.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Wehrdienstverweigerung

 

Für Wehrdienstverweigerer sind folgende Strafen vorgesehen:

Geldstrafen von bis zu 200.000 Rubel oder in der Höhe von 18 Monatslöhnen des Verurteilten sowie Freiheitsentzug von 6 Monaten bis zu zwei Jahren. Für die Weigerung, den alternativen Zivildienst zu absolvieren, ist eine Geldstrafe von bis zu 80.000 Rubel oder in der Höhe von 6 Monatslöhnen vorgesehen bzw. bis zu 6 Monate Haft (ÖB Moskau 12.2016, vgl. ACCORD 12.11.2014).

 

In der Praxis werde nur eine kleine Anzahl an Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, bestraft. Außerdem würden derzeit die Strafen für Wehrdienstverweigerung in der Praxis "sehr gering" ausfallen, auch wenn laut Gesetz eine Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren verhängt werden könne. In der Praxis komme es nur bei einer kleinen Anzahl von Fällen zu Strafverfahren gegen Wehrdienstverweigerer (ACCORD 12.11.2014).

 

Weil der Freiheitsentzug in der RF nicht verhängt wird, falls ein nicht schweres Vergehen zum ersten Mal ohne erschwerende Umstände begangen wird, werden in der Praxis in der RF gemäß § 328 StGB nur Geldstrafen verhängt. 2014 wurden gemäß offizieller gerichtlicher Statistik in der ganzen RF von allen Gerichten 790 Personen gemäß § 328 StGB verurteilt. Eine Freiheitsstrafe wurde dabei über niemanden verhängt. 512 Personen erhielten Geldstrafen bis 25.000 Rubel, 248 Personen Geldstrafen zwischen 25.000 und 100.000 Rubel und nur fünf Personen Geldstrafen über 100.000 Rubel. Dass für Wehrdienstverweigerung keine Zwangsarbeit verhängt wird, wird auch durch den Erlass Nr. 3 der Vollversammlung des Obersten Gerichts der RF zur einheitlichen Auslegung des § 328 StGB durch die Gerichte vom 3. April 2008 gestützt, wonach die Verhängung von Zwangsarbeit der Verfassung der RF widerspricht und daher verboten ist. Gemäß § 31 Z 2 des "Föderalen Gesetzes N 53 FZ über die militärische Pflicht und den Wehrdienst" vom 28.03.1998 idFv 23.07.2016 sind Wehrpflichtige verpflichtet, Benachrichtigungen des Militärkommissariats gegen Unterschrift auf dem Rückschein anzunehmen. Ist eine Aushändigung nicht möglich, so hat ein Wehrpflichtiger grundsätzlich auch keine gerichtliche Strafe zu befürchten. Allerdings sind russische Staatsangehörige gemäß § 10 Z 1 des Gesetzes über den Wehrdienst verpflichtet, sich in die Wehrkartei aufnehmen zu lassen, wenn sie mehr als drei Monate an einem Ort aufhältig sind sowie binnen zwei Wochen Änderungen des Aufenthaltsortes bekannt zu geben, wenn der neue Ort außerhalb der Bezirksgrenzen liegt. Wird das Territorium der RF für mehr als sechs Monate verlassen, so ist das ebenfalls meldepflichtig. Die Nichtbefolgung dieser Verpflichtungen und das Nichterscheinen vor der Militärkommission führen zu verwaltungsstrafrechtlichen Sanktionen. Als solche sind im Kodex über Verwaltungsübertretungen gem. § 21.5 eine Verwarnung oder Geldstrafen von 100 bis 500 Rubel vorgesehen. Im Erlass Nr. 3 ist in der Z 6 zur Abgrenzung zwischen § 328 StGB und § 21.5 des Kodex der RF über Verwaltungsübertretungen festgehalten: Das Gericht hat festzustellen, mit welchem Ziel die Person die ihr auferlegten Verpflichtungen nicht erfüllt. Falls die Person mit der Absicht, sich dem Wehrdienst zu entziehen, an einen neuen Wohnort wegzieht oder ohne Löschung aus der Wehrkartei aus der RF ausreist, oder an den neuen Wohnort zieht oder ohne Aufnahme in die Wehrkartei in die RF zurückkehrt mit dem Ziel, sich der Aushändigung der von ihr persönlich zu unterschreibenden Benachrichtigung der Militärmeldungsstelle über das Erscheinen zum Treffpunkt in Verbindung mit der Einberufung zum Wehrdienst zu entziehen, ist die Tat gemäß § 328 Z 1 StGB zu qualifizieren (KA der ÖB Moskau 2.11.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

10. Allgemeine Menschenrechtslage

 

Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

 

 

Rassendiskriminierung (1969)

 

 

Zusatzprotokoll (1991)

 

 

 

Zusatzprotokoll (2004)

 

 

Behandlung oder Strafe (1987)

 

 

 

Die Menschenrechtslage in Russland hat sich weiter verschlechtert. Neben der mangelnden Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten sind v. a. Gewaltakte im Strafvollzug gegenüber Häftlingen und deren unzureichende medizinische Versorgung gravierende Probleme. Die damalige Ombudsfrau (Menschenrechtsbeauftragte) der Russischen Föderation, Ella Pamfilowa, mahnte in ihrem Jahresbericht 2015 unter anderem eine Präzisierung des Begriffes "politische Tätigkeit" im Gesetz über NGOs an. Im Mai 2016 kam es in der Tat zu einer Gesetzesänderung. Seitdem wird allerdings nahezu jede NGO-Aktivität im öffentlichen Raum als "politisch" gewertet. Das hat zur Folge, dass NGOs in das Register "ausländischer Agenten" eingetragen werden können, wodurch sie häufig gezwungen sind, ihre Tätigkeiten massiv einzuschränken oder sogar einzustellen. Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Zuletzt hat er angemahnt, Amnesty International Zugang zu ihren von der Moskauer Stadtverwaltung geschlossenen Büros zu gewähren. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt. Auch der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren, so der Jahresbericht 2015, 14,2% der anhängigen Fälle (9.200 Einzelfälle) Russland zuzurechnen. 2015 hat der EGMR 116 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führt Russland die Liste der gesprochenen Urteile an. Die EGMR-Entscheidungen fielen fast ausschließlich zugunsten der Kläger aus und konstatierten mehr oder weniger gravierende Menschenrechtsverletzungen. Die Hälfte der Fälle betreffen eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit. Im Rahmen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch die Russische Föderation wird von teilweise schweren Menschenrechtsverletzungen berichtet. Die OSZE (ODIHR und High Commissioner for National Minorities) berichtete im September 2015 über Einschränkungen der Versammlungs-, Vereinigungs-, Bewegungs- und Meinungsfreiheit. Im Wesentlichen leiden Kritiker der Krim-Annexion, Angehörige der Krim-Tataren, Vertreter des Kiewer Patriarchats der orthodoxen Kirche, der katholischen und protestantischen Kirche sowie der Zeugen Jehovas unter Einschränkungen ihrer Rechte. Im September 2016 wurde die Mejlis, der repräsentative Rat der Krimtataren, vom russischen Obersten Gerichtshof als extremistische Organisation eingestuft und verboten. Diverse Mejlis-Mitglieder erleiden (polizeiliche) Repressalien oder stehen unter Anklage (AA 24.1.2017).

 

Menschenrechtsverletzungen kommen regelmäßig vor. Zwar werden in Russland die Grundrechte in der Verfassung garantiert, es wächst jedoch der Widerspruch zwischen verfassungsrechtlichen Normen und der Rechtswirklichkeit. Die Staatsführung bekennt sich offiziell zur Einhaltung der Menschenrechte, stellt einige jedoch mit Verweis auf "traditionelle russische Werte" infrage (z.B. Nicht-Diskriminierung von LGBT-Personen) und leistet Verletzungen Vorschub (z.B. Stigmatisierung kritischer Stimmen als staatsfeindlich) bzw. bemüht sich nicht ausreichend um Prävention und Strafverfolgung (z.B. Übergriffe gegen Journalisten). Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen bleibt der Nordkaukasus. Im Verlauf des Berichtszeitraumes hat sich trotz rückläufiger Opferzahlen die Sicherheits- und Menschenrechtslage in der Region insgesamt nicht verbessert. Insbesondere in Dagestan, Inguschetien und Tschetschenien bleibt die Menschenrechtslage schlecht. Die Sorge vor einer möglichen Ausbreitung der Gewalt im bislang relativ ruhigen westlichen Nordkaukasus besteht fort (AA 24.1.2017).

 

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung sowie auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit waren im Jahr 2016 verstärkten Einschränkungen unterworfen. Menschenrechtsverteidiger wurden wegen ihrer Aktivitäten mit Geldstrafen belegt oder strafrechtlich verfolgt. Zum ersten Mal kam es wegen eines Verstoßes gegen das sogenannte Agentengesetz zur Strafverfolgung. Eine Reihe von Personen wurde wegen ihrer Kritik an der Staatspolitik oder des Besitzes bzw. Verbreitens extremistischer Materialien nach den Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Extremismus unter Anklage gestellt. Es gab Berichte über Folterungen und andere Misshandlungen in den Strafvollzugsanstalten des Landes (AI 22.2.2017, vgl. HRW 12.1.2017).

 

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten (GIZ 4.2017a).

 

Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausübten. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erleben in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben. Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland findet derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten nicht statt. Laut einer rezenten Umfrage zum Stand der Menschenrechte in Russland durch das Meinungsforschungsinstitut FOM glauben 42% der Befragten nicht, dass die Menschenrechte in Russland eingehalten werden, während 36% der Meinung sind, dass sie sehr wohl eingehalten werden. Die Umfrage ergab, dass die russische Bevölkerung v.a. auf folgende Rechte Wert legt: Recht auf freie medizinische Versorgung (74%), Recht auf Arbeit und gerechte Bezahlung (54%), Recht auf kostenlose Ausbildung (53%), Recht auf Sozialleistungen (43%), Recht auf Eigentum (31%), Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (31%), Recht auf eine gesunde Umwelt (19%), Recht auf Privatsphäre (16%), Rede- und Meinungsfreiheit (16%) (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet. Im Februar 2016 führte das Komitee gegen Folter des Europarats eine Mission in die Republiken Dagestan und Kabardino-Balkarien durch. Auch Vertreter des russischen präsidentiellen Menschenrechtrats bereisten im Juni 2016 den Nordkaukasus und traf sich mit den einzelnen Republikoberhäuptern (ein Treffen mit Ramzan Kadyrow wurde abgesagt, nachdem die tschetschenischen Behörden gegen die Teilnahme des Leiters der NGO Komitee gegen Folter Igor Kaljapin protestiert hatten) (ÖB Moskau 12.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. Im März 2016 wurde eine Gruppe russischer und ausländischer Journalisten und Menschenrechtler an der Grenze zwischen Inguschetien und Tschetschenien attackiert, ihre Fahrzeuge wurden in Brand gesteckt. Die Pressereise war von der russischen NGO "Komitee gegen Folter" organisiert worden, die in Tschetschenien bereits in den letzten Jahren zur Zielscheibe geworden war (ÖB Moskau 12.2016, vgl. AI 22.2.2017).

 

In den letzten Monaten häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischen Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der soziökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten. So musste ein Mann, der sich im April 2016 in einem Videoaufruf an Präsident Putin über die Misswirtschaft und Korruption lokaler Beamter beschwerte, nach Dagestan flüchten, nachdem sein Haus von Unbekannten in Brand gesteckt worden war. Einen Monat später entschuldigte sich der Mann in einem regionalen Fernsehsender. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow darüber hinaus mit einer kaum verhüllten Warnung vor Kritik an seiner Politik in einem TV-Beitrag an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora. Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein; man wisse, wer sie seien und wo sie leben, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow (ÖB Moskau 12.2016).

 

Nach dem Angriff auf Grosny im Dezember 2014 verfügte Ramzan Kadyrow, dass die Häuser der Familien von Terroristen niedergebrannt werden und die Angehörigen des Landes verwiesen werden (Tagesspiegel 19.12.2014, vgl. HRW 12.1.2017).

 

Auch 2016 wurden aus dem Nordkaukasus schwere Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Operationen der Sicherheitskräfte gemeldet, darunter Fälle von Verschwindenlassen und mutmaßlichen außergerichtlichen Hinrichtungen. Auch Menschenrechtsverteidiger waren in der Region gefährdet (AI 22.2.2017, vgl. HRW 12.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Rebellentätigkeit / Unterstützung von Rebellen

 

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen (ÖB Moskau 12.2016). Über Jahre sind die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte, die unter Kadyrows De facto-Kontrolle stehen, mit illegalen Methoden gegen mutmaßliche Rebellen und ihre Unterstützer/innen vorgegangen, mit der Zeit sind sie jedoch dazu übergegangen, diese Methoden gegenüber Gruppen anzuwenden, die von den tschetschenischen Behörden als "unerwünscht" erachtet würden, beispielsweise lokale Dissidenten, unabhängige Journalisten oder auch salafistische Muslime. In den letzten zehn Jahren gab es andauernde, glaubhafte Anschuldigungen, dass die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den aggressiven islamistischen Aufstand an Entführungen, Fällen von Verschwindenlassen, Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und kollektiven Bestrafungen beteiligt gewesen seien. Insbesondere Aufständische, ihre Verwandten und mutmaßliche Unterstützer/innen seien ins Visier geraten. Kadyrow setzte lokale salafistische Muslime und Aufständische oder deren Unterstützerinnen weitgehend gleich. Er habe die Polizei und lokale Gemeinschaften angewiesen, genau zu überwachen, wie Personen beten und sich kleiden würden, und die zu bestrafen, die vom Sufismus abkommen würden (HRW 26.5.2017).

 

Familienmitglieder von "Foreign Fighters" dürften weniger schweren Reaktionen seitens der Behörden ausgesetzt sein, als Familienmitglieder von lokalen Militanten. Wenn Foreign Fighters in die Russische Föderation zurückkehren, müssen sie mit Strafverfolgung rechnen. Die Schwere der Strafe hängt davon ab, ob sie sich den Behörden stellen und kooperieren. Jene, die sich nicht stellen, laufen Gefahr, in sogenannten Spezialoperationen liquidiert zu werden (Landinfo 8.8.2016).

 

Als Vergeltungsmaßnahme sollen tschetschenische Sicherheitskräfte im Jänner 2017 27 Menschen hingerichtet haben. Das berichtete die russische regierungskritische Zeitung "Nowaja Gaseta" unter Berufung auf lokale Ordnungskräfte. Demnach wollte die tschetschenische Führung den Mord an einem Polizisten rächen. Der Polizist wurde vermutlich von islamistischen Kämpfern ermordet. Tschetschenische Regierungsvertreter bestreiten die Vorfälle aufs schärfste (ORF.at 9.7.2017, vgl. Standard 10.7.2017). Caucasian Knot berichtet, das im Jänner 2017 Ramsan Kadyrow bei einem Auftritt in Grosny, der im Fernsehen übertragen worden sei, die Sicherheitskräfte angewiesen habe, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in die Irre geführt worden seien (Caucasian Knot 25.1.2017).

 

Im August 2014 meldete der Inlandsgeheimdienst FSB Erfolge bei der Bekämpfung von Terrorismus im Nordkaukasus, was in Expertenkreisen jedoch auf Zweifel stieß. Die Rede war von 328 potentiellen Terroristen, die im ersten Halbjahr 2014 verhaftet wurden. Da die Sicherheitskräfte im Nordkaukasus aber nach dem Prinzip kollektiver Bestrafung vorgehen, handelte es sich hierbei möglicherweise weniger um aktive Untergrundkämpfer als um Personen aus deren sozialem und verwandtschaftlichem Umfeld. Im Januar 2015 berichtete das russische Innenministerium, 2014 sind 259 Rebellen, darunter 36 Kommandeure, von Sicherheitskräften getötet und 421 Untergrundkämpfer verhaftet worden (SWP 4.2015). [Neuere Zahlen konnten nicht gefunden werden.]

 

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnapping wird von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

 

Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden. Nach Einschätzung von Experten wird das Gesetz weitgehend zur Diskriminierung der Angehörigen Terrorismusverdächtiger führen. Weiter kritisieren Experten, dass das Gesetz durch die unklare Verwendung der Begriffe "Verwandte" und "nahestehende Personen" sich gegen ganze Familienclans in den muslimischen Republiken des Nordkaukasus richten könne. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina werden Familienangehörige von Terrorverdächtigen oft beschuldigt, sie unterstützten auch illegale bewaffnete Gruppierungen auf verschiedenste Art und Weise. Insbesondere kritisiert die Menschenrechtsaktivistin, dass bereits der bloße Verdacht für eine Anschuldigung reiche und kein Beweis notwendig sei. Die Verfolgung von Verwandten und Freunden von Aufständischen ist seit 2008 im Nordkaukasus weit verbreitet und geht oft mit der Zerstörung des Besitzes und Hauses einher. Nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen kommt es zu Übergriffen und Kollektivstrafen durch Sicherheitskräfte, die gegen Familien von vermuteten Terroristen gerichtet sind (SFH 25.7.2014).

 

Nach der Terrorattacke auf Grosny am 4.12.2014, hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter" Igor Kaljapin, dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard 14.12.2014).

 

In Bezug auf Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges, erging von der KA der ÖB Moskau die Information, dass sich auf youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=0viIlHc51bU ein Link zu einem Nachrichtenbeitrag, der am 23.04.2014 auf youtube veröffentlicht wurde, findet. Diesem Beitrag zufolge haben tschetschenische Ermittlungsbehörden Anfragen an die Archivbehörden des Verteidigungsministeriums in Moskau gerichtet, um Daten zu erfahren, die ein militärisches Geheimnis darstellen: Nummern militärischer Einheiten, Namen von Kommandeuren und Offizieren, die der Begehung von Kriegsverbrechen verdächtig sind, Fotos dieser Personen; Familienname und Rang von Teilnehmern an Spezialoperationen, in deren Verlauf Zivilisten verschwunden sind. Unbekannt ist laut Bericht, ob die tschetschenischen Behörden die angefragten Informationen erhalten haben. Im Interview betont der Pressesekretär des tschetschenischen Präsidenten, Alvi Karimov, dass an den Anfragen nichts Besonderes sei; es gehe um die Aufklärung von Verbrechen, die an bestimmten Orten begangen wurden, als sich dort russisches Militär aufgehalten habe und die Anfragen seien gestellt worden zur Identifizierung der Militärangehörigen, die sich zu dieser Zeit dort aufgehalten haben, aber nicht zur Identifizierung aller Teilnehmer an militärischen Handlungen. Diese Anfragen beziehen sich offenbar auf Kampfhandlungen des 1. und 2. Tschetschenienkrieges. Aus den Briefköpfen der Anfragen ist allerdings ersichtlich, dass diese schon aus dem Jahr 2011 stammen. Hinweise auf neuere Anfragen oder Verfolgungshandlungen tschetschenischer Behörden konnten ho. nicht gefunden werden, ebenso wenig wie Hinweise darauf, dass russische Behörden tschetschenische Kämpfer der beiden Kriege suchen würden. Hinweise darauf, dass Verwandte von Tschetschenien-Kämpfern durch russische oder tschetschenische Behörden zu deren Aufenthaltsort befragt würden, konnten ho. nicht gefunden werden (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Nach Ansicht der Österreichischen Botschaft kann aus folgenden Gründen davon ausgegangen werden, dass sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung mittlerweile auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen konzentrieren, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen:

 

1. Es konnten keine Hinweise auf Verfolgung von Veteranen der Tschetschenien-Kriege nach 2011 gefunden werden, es gibt im Internet jedoch zahlreiche Berichte neueren Datums über antiterroristische Spezialoperationen im Nordkaukasus.

 

2. Zahlreichen Personen, nach denen von russischen Behörden gefahndet wird (z.B. Fahndungen via Interpol), werden Delikte gemäß § 208 Z 2 1. Fall (Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation) oder gemäß § 208 Z 2 2. Fall (Teilnahme an einer bewaffneten Formation auf dem Gebiet eines anderen Staates, der diese Formation nicht anerkennt, zu Zwecken, die den Interessen der RF widersprechen) des russischen StGB zur Last gelegt. In der Praxis zielen diese Gesetzesbestimmungen auf Personen ab, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen bzw. auf Personen, die ins Ausland gehen, um aktiv für den IS zu kämpfen (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

11. Meinungs- und Pressefreiheit

 

Meinungs- und Pressefreiheit sind verfassungsrechtlich garantiert, werden durch die Exekutive jedoch in der Praxis häufig eingeschränkt oder nur selektiv gewährt. Opposition und kritische Vertreter der Zivilgesellschaft müssen bei Versammlungen mit erheblichen Restriktionen rechnen, während linientreue Gruppen (z.B. der Macht nahestehende Jugendorganisationen oder der so genannte Anti-Maidan) Unterstützung erhalten. Die Meinungs- und Pressefreiheit wird potenziell auch durch die im August 2012 erfolgte Überarbeitung des Straftatbestandes der Verleumdung (etwa: wissentliche Verbreitung falscher Tatsachen gegen die Ehre oder das Ansehen einer anderen Person) eingeschränkt. Journalisten müssen z.B. fürchten, dass Enthüllungen oder auch nur Berichte über öffentliche russische Persönlichkeiten zu Klagen und Verurteilungen führen können. Das Strafmaß kann sich auf Geldstrafen von bis zu 5 Mio. RUB oder bis zu 480 Stunden Pflichtarbeit belaufen. Die Neufassung des Paragraphen über Landesverrat im russischen Strafgesetzbuch, die im November 2012 in Kraft getreten ist, führt zu einer Verunsicherung bei russischen Staatsbürgern mit regelmäßigen Kontakten zum (westlichen) Ausland, insbesondere bei Vertretern kritischer Nichtregierungsorganisationen. Bereits einfache Kontakte könnten angesichts unklarer Rechtsbegriffe potenziell als Unterstützung von "gegen die Sicherheit der Russischen Föderation gerichtete Aktivitäten" und damit als "Landesverrat" gewertet werden (AA 24.1.2017, vgl. ÖB Moskau 12.2016).

 

Obwohl die Zensur gesetzlich verboten ist, befindet sich der Großteil der Medien in Russland unter direkter oder indirekter staatlicher Kontrolle. Der Spielraum für abweichende Meinungen, unabhängige Medien und Organisationen wird kleiner (GIZ 4.2017). Ein Großteil der staatlichen Fernseh- und Printmedien steht unter staatlicher oder staatsnaher Kontrolle, die wenigen unabhängigen bzw. kritischen Medien (z.B. TV Sender Dozhd, Radiosender Echo Moskvy, Zeitung Novaya gazeta) werden mit administrativen und finanziellen Mitteln unter Druck gesetzt. Nach Änderungen im Gesetz "Über die Massenmedien" ist es ausländischen Personen bzw. Unternehmen ab 1. Februar 2017 verboten, mehr als 20% der Anteile an russischen Medien zu halten. Ein weiteres Mittel der staatlichen Behörden, gegen kritische Stimmen in der Medienlandschaft vorzugehen, ist das 2012 verabschiedete Extremismus-Gesetz. Es sollte ursprünglich dabei helfen, rassistische und terroristische Straftaten im Land einzudämmen, wird von den Behörden jedoch aufgrund seiner vagen Formulierung häufig missbräuchlich angewendet. Mehr als 20.000 Websites sind bislang aufgrund des Verdachts extremistischer Inhalte ohne vorhergehenden Gerichtsbeschluss von der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor gesperrt worden. 2015/16 sind mehrere Personen, von denen die meisten politisch nicht aktiv waren, unter dem Extremismus-Paragrafen verurteilt worden, nur weil sie in sozialen Medien Kommentare anderer Nutzer mit einem "Like" versehen oder repostet hatten (darunter z.B. Kommentare über die Illegalität der Annexion der Krim). Im Rahmen einer weiteren Verschärfung der antiterroristischen Gesetzgebung im Juni 2016 müssen in Zukunft alle Telekom-Anbieter sämtliche Verbindungsdaten ihrer Kunden ein Jahr lang speichern, ab Juli 2018 muss zudem der gesamte Datenverkehr sechs Monate lang für die Sicherheitsdienste verfügbar bleiben (ÖB Moskau 12.2016, vgl. AA 24.1.2017).

 

Auch im Jahr 2016 führte die exzessive Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen zur Bekämpfung von Extremismus zu Verstößen gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung. Nach Angaben des SOVA-Instituts ergingen 90% aller Verurteilungen unter diesen Bestimmungen wegen der Veröffentlichung und Verbreitung von Beiträgen in sozialen Medien. Am 3. November veröffentlichte das Plenum des Obersten Gerichtshofs der Russischen Föderation auf Verlangen des SOVA-Instituts und anderer NGOs Richtlinien zur Anwendung der Anti-Extremismus-Bestimmungen für Richter. Darin wurde dargelegt, dass eine Äußerung erst dann den Straftatbestand der Anstiftung zum Hass erfüllt, wenn darin ein Element der Gewalt wie ein Aufruf zum Völkermord, zu kollektiven Unterdrückungsmaßnahmen, zur Deportation oder zu Gewalt enthalten ist (AI 22.2.2017).

 

Die russischen Medien unterliegen weiterhin starker staatlicher Kontrolle und Einschüchterung. Nach glaubhaften Angaben des "Committee to Protect Journalists" (CPJ) erfahren v.a. unabhängige und investigativ arbeitende Journalisten - besonders außerhalb Moskaus - immer wieder Restriktionen. Es kommt zu Übergriffen auf Journalisten, wobei die Aufklärungsrate gering ist und insbesondere die Hintermänner im Dunkeln bleiben. Nicht immer ist jedoch eindeutig zu klären, ob die Angriffe im direkten Zusammenhang mit der journalistischen Tätigkeit stehen. Seit 1992 sollen laut CPJ 56 Journalisten in Russland ermordet worden sein; die meisten Fälle wurden nicht aufgeklärt. Die Zahl physisch angegriffener und zum Teil dauerhaft geschädigter Journalisten liegt noch weit höher. Die Organisation "Glasnost Defence Foundation" führt vier Fälle für 2015 und einen Fall für 2016 an. Eine "Bedrohung der nationalen Sicherheit" dient regelmäßig als Rechtfertigung für Eingriffe in die Pressefreiheit und andere Grundrechte. So wurden unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine weitere repressive Gesetze eingeführt, darunter eine Verschärfung des Verbots, öffentlich zur Verletzung der territorialen Integrität aufzurufen - wodurch jede Kritik etwa an der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim kriminalisiert wird (AA 24.1.2017).

 

Alle nationalen Fernsehkanäle - diese sind für die breite Bevölkerung nach wie vor die wichtigste Informationsquelle - werden vom Staat kontrolliert und gezielt zur Propagierung offizieller Sichtweise und Politik eingesetzt. Die Programme/Formate sind politisch einseitig. Kritik an der Person des Präsidenten, des Ministerpräsidenten und deren Angehöriger, eine objektive Darstellung der Lage in der Ukraine oder im Nordkaukasus oder Kritik an der bestehenden staatlichen Ordnung sind tabu. Die mehrheitlich von einem städtischen Publikum konsumierten Printmedien bieten den Lesern ein vergleichsweise breites Meinungsspektrum. Sie sind jedoch Einflussversuchen ausgesetzt, da viele im Eigentum staatsnaher Unternehmen oder "machtnaher" Persönlichkeiten stehen. Jüngstes Beispiel ist RBK. Rund 30 Manager und Journalisten, darunter die Chefredakteurin, wurden innerhalb des Berichtszeitraumes entlassen bzw. kündigten. Staatliche "Informationsverträge" gehören zu den Mitteln der Steuerung: Für genehme Berichterstattung erhalten Zeitungen finanzielle Leistungen, die teils mehr als die Hälfte der Einnahmen ausmachen. Immer wieder gibt es Versuche, missliebige Berichterstattung zu verhindern, indem Medien mit Klagen überzogen werden, zum Beispiel der unabhängige Pay-TV-Sender "Dozhd" (AA 24.1.2017, vgl. FH 29.3.2017).

 

Kritische Journalisten müssen in Russland weiterhin mit Drohungen und physischer Gewalt rechnen. Der Großteil dieser Fälle bleibt ungeklärt, wie etwa die Ermordungen von Natalia Estemirova, Hajimurad Kamalov oder Akhmednabi Akhmednabiev im Nordkaukasus im Laufe der letzten Jahre. Dasselbe gilt für Übergriffe gegen Menschenrechtsverteidiger. Im März 2016 wurde eine Gruppe russischer und ausländischer Journalisten und Menschenrechtler an der Grenze zwischen Inguschetien und Tschetschenien attackiert, ihre Fahrzeuge wurden in Brand gesteckt. Die Pressereise war von der russischen NGO "Komitee gegen Folter" organisiert worden, die in Tschetschenien bereits in den letzten Jahren zur Zielscheibe geworden war (ÖB Moskau 12.2016, vgl. AI 22.2.2017).

 

Russland bleibt wie im Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen wie im Vorjahr auf Rang 148 von 180 untersuchten Staaten (ROG 26.4.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Internet

 

Die Publikationsfreiheit für die russischen Internetmedien wird ebenfalls zunehmend eingeschränkt. Seit 2010 ist die Aufsichtsbehörde "Roskomnadsor" bevollmächtigt, Inhalte zu prüfen und Sanktionen zu verhängen. Dem Inlandsgeheimdienst ist die Möglichkeit gegeben, bei Verdacht auf z.B. "terroristische Handlungen", "prophylaktisch" gegen Internetaktivisten vorzugehen. Seit 2012 können mit dem (vorgeblichen) Argument des Kinder- und Jugendschutzes Webinhalte oder sogar ganze Webseiten auf einfache behördliche Anordnung hin beanstandet oder gesperrt werden. Seit 2014 unterliegen Blogger und Twitter-Seiten mit jeweils mehr als 3.000 "followern" u.a. Registrierungspflichten. Diskutiert wird ein Gesetzentwurf zur Gleichsetzung von Nachrichtenportalen (wie z.B. yandex.news, rambler.news, google.news, mail.ru) mit Medien. Die Unternehmen sollen für den "Wahrheitsgehalt" ihrer Veröffentlichungen verantwortlich sein. Die Definition eines Nachrichtenportals bleibt bewusst schwammig, eine Abgrenzung z.B. zu Suchmaschinen unmöglich. Derzeit wäre der Gesetzestext auf jeden Internet-Service anwendbar. Mit dem neuen "Anti-Terror-Paket", das 2017 in Kraft treten soll, ist mit weiteren Einschränkungen zu rechnen, z.B. Zugang zu Dreijahres-Archiven bei Mail- und Messenger-Diensten (AA 24.1.2017).

 

Im Rahmen einer weiteren Verschärfung der antiterroristischen Gesetzgebung im Juni 2016 müssen in Zukunft alle Telekom-Anbieter sämtliche Verbindungsdaten ihrer Kunden ein Jahr lang speichern, ab Juli 2018 muss zudem der gesamte Datenverkehr sechs Monate lang für die Sicherheitsdienste verfügbar bleiben. Weiters ist eine Ausweitung der staatlichen Kontrolle über das Internet festzustellen. Im April 2016 rief etwa der Leiter des einflussreichen Ermittlungskomitees der RF (vgl. FBI in den USA) Alexander Bastrykin zu umfangreichen Gesetzesverschärfungen und Maßnahmen nach dem Vorbild Chinas auf, um das Internet besser kontrollieren zu können. Im Juni 2016 hat die Staatsduma Änderungen im Informationsgesetz angenommen, wonach künftig Suchmaschinen mit mehr als 1 Mio. Usern pro Tag für die Korrektheit der von ihnen angezeigten Inhalte verantwortlich sein sollen (außer wenn diese Inhalte Reproduktionen von durch registrierte Massenmedien publizierte Nachrichten sind) (ÖB Moskau 12.2016, vgl. FH 29.3.2017).

 

Die russischen Geheimdienste haben die Gefahren, aber auch Chancen durch das Internet schon früh erkannt. Der FSB, der sich um innere Sicherheit kümmern soll, entwickelte in den 1990er-Jahren ein Modell zur umfassenden IT-Überwachung. Spätestens 1999 hatte der FSB bei allen russischen Internetprovidern Geräte zum Absaugen der Kommunikationsinhalte installiert, wie die Journalisten Andrej Soldatow und Irina Borogan in ihrem 2015 erschienenen Buch "The Red Web" offenlegten. Im Inland herrsche eine strikte Überwachung. Zu Beginn der Überwachungsreformen an der Spitze des FSB war der heutige Präsident Wladimir Putin, der 2015 die Überwachungsmaschine noch einmal verschärfte (Standard 13.3.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

12. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit / Opposition

 

Auf Basis der Verschärfung des Versammlungsrechts 2012 werden öffentliche Kundgebungen bzw. Proteste von oppositionellen Gruppen zum Großteil verboten. Im August 2014 wurden die im Versammlungsgesetz vorgesehenen Geldstrafen weiter erhöht und wiederholte Verletzungen des Gesetzes als strafrechtliches Vergehen eingestuft (mit einer Höchststrafe von fünf Jahren Haft). Wenn es den Organisatoren von regierungskritischen Kundgebungen dennoch gelingt, eine Genehmigung für die Veranstaltungen zu bekommen, so müssen sie diese zumeist in den Randbezirken bzw. in Vorstädten von Moskau durchführen. Kremlfreundliche Gruppierungen haben hingegen üblicherweise kein Problem damit, die entsprechende Genehmigung der Moskauer Stadtverwaltung zu Demonstrationen an zentralen Plätzen der Stadt zu erhalten (ÖB Moskau 12.2016, vgl. FH 2017). Die Rechte auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit waren im Jahr 2016 verstärkten Einschränkungen unterworfen. Die Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Teilnehmende der regierungskritischen Proteste auf dem Moskauer Bolotnaya-Platz wurden fortgesetzt. Es gab Zweifel daran, dass dabei die internationalen Standards für ein faires Gerichtsverfahren eingehalten wurden (AI 22.2.2017).

 

Oppositionelle Politiker und Aktivisten waren weiter Ziel von fabrizierten Kriminalfällen und anderen Formen von behördlichen Schikanen (FH 2017). Behörden verweigerten zunehmend die Abhaltung von öffentlichen Protesten, die durch regierungskritische Personen oder Oppositionellen organisiert wurden. Protestierende, die bei solch nicht genehmigten Demonstrationen dabei waren, wurden bestraft (HRW 12.1.2017).

 

Bei landesweiten Massenprotesten hatte die Polizei am Sonntag, den 26.3.2017 mehrere Hundert Demonstranten und Anhänger des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny festgenommen. Nach Angaben der Menschenrechtsgruppe OWD Info gab es alleine in Moskau mindestens 933 Festnahmen und dutzende weitere in anderen russischen Städten. Beobachtern zufolge handelte es sich um die größten landesweiten Proteste seit 2011. Nawalny selbst wurde gleich zu Beginn der nicht genehmigten Kundgebung im Zentrum von Moskau festgesetzt (Standard 27.3.2017). Alexej Nawalny darf bei der Präsidentenwahl im kommenden Jahr (2018) nicht antreten. Nawalny habe kein passives Wahlrecht, teilte die Zentrale Wahlkommission mit. Damit kann er nicht für ein Amt kandidieren. Grund dafür sei seine Verurteilung wegen einer Straftat. Ein Gericht in der Stadt Kirow hatte Nawalny im Februar in einem umstrittenen Urteil zu einer Haftstrafe von fünf Jahren auf Bewährung verurteilt. Es hatte den Regierungskritiker auch im Wiederaufnahmeverfahren der Unterschlagung für schuldig befunden. In dem Strafprozess war Nawalny bereits 2013 zu fünf Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stufte den Prozess jedoch als unfair ein. Nawalny hat die Vorwürfe zurückgewiesen und erklärt, das Verfahren sei angestrengt worden, um ihn von einer Kandidatur bei der Präsidentenwahl 2018 gegen Präsident Putin abzuhalten (Zeit Online 23.6.2017).

 

Morde an Oppositionellen kommen in Russland immer wieder vor. Der Oppositionspolitiker Boris Nemzow ist der jüngste Fall. Weitere Kremlkritiker die ihr Leben lassen mussten waren die Journalistin und Regierungskritikerin Anna Politkowskaja, der russische Ex-Geheimdienstler Alexander Litwinenko, der Anwalt Sergej Magnizki, die Menschenrechtsaktivistin Natalia Estemirowa und der russische Oligarch und einstige Multimillionär Boris Beresowski (Spiegelonline 28.2.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

13. Haftbedingungen

 

Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich seit Ende der 90er Jahre langsam aber kontinuierlich verbessert, die Haftbedingungen entsprechen aber zum Teil noch immer nicht den allgemein anerkannten Mindeststandards. In dem Piloturteil-Verfahren des EGMR zum Fall Ananyev und andere v. Russland hat das Gericht festgestellt, dass die Bedingungen in den Untersuchungsgefängnissen (russ. SIZO) einer unmenschlichen und erniedrigen Behandlung gemäß Art. 3 EMRK entsprechen und das Problem systemischer Natur ist. 2012 legte Russland einen Aktionsplan zur Bekämpfung der Probleme im Straffvollzug vor, der vom Ministerkomitee des Europarates positiv aufgenommen wurde. Konkrete Schritte zur Verbesserung der Situation, insbesondere in den Untersuchungsgefängnissen, werden jedoch nur schleppend umgesetzt. Allein im Jahr 2014 stellte der EGMR in fast 30 Urteilen gegen Russland fest, dass die Haftbedingungen noch immer gegen Art. 3 EMRK verstoßen. Die häufigsten Vorwürfe betrafen die schlechten hygienischen Zustände (unzureichende Sanitäreinrichtungen, kein ausreichendes Ventilationssystem, Unterbringung mit Häftlingen mit Infektionskrankheiten), akuter Platzmangel (zu viele Häftlinge in zu kleinen Zellen) und Mangel an medizinischer Betreuung (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die Situation im Strafvollzug ist unbefriedigend. Die Regierung ist allerdings bestrebt, die Zahl der Gefängnisinsassen weiter zu verringern. So gibt es Ansätze, vermehrt alternative Sanktionen (wie beispielsweise im Bereich der Drogendelikte ein Gesetzentwurf zu freiwilliger Entziehungstherapie oder Arbeitseinsatz statt Freiheitsstrafe) zu verhängen, um die Anzahl der Strafgefangenen zu verringern. Die Lage in den Strafkolonien (in Russland Oberbegriff für Haftanstalten, in denen eine gerichtlich verhängte Freiheitsstrafe verbüßt wird) und die Bedingungen des Strafvollzugs bleiben sehr schwierig. Die meisten Strafanstalten und Untersuchungsgefängnisse sind veraltet und überbelegt. Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in den russischen Haftanstalten entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Häftlinge erfolgt oft in Schlafsälen von über 40 Personen und ist häufig sehr schlecht. Duschen ist vielfach nur gelegentlich möglich. Das Essen ist einseitig und vitaminarm. Die medizinische Versorgung ist ebenfalls unbefriedigend. Ein Großteil der Häftlinge bedarf medizinischer Versorgung. Sowohl von TBC- als auch HIV-Infektionen in bemerkenswertem Umfang wird berichtet. Problematisch ist ebenso die Zahl der drogenabhängigen oder psychisch kranken Inhaftierten. Besonders schlecht ist die Lage in den Untersuchungshaftanstalten. Im Vergleich zu den Strafkolonien berichten Insassen von deutlich schlechteren Haftbedingungen (z.B. Überbelegungen) und viel geringerem Schutz gegenüber ungerechten Behandlungen. Die Untersuchungshaft wird in Einzelfällen über Jahre verlängert. Nach offiziellen Angaben ist die Zahl der Untersuchungshäftlinge jedoch rückläufig. Die unter Präsident Medwedew erfolgte Liberalisierung des Strafrechts für Wirtschaftsvergehen (u.a. teilweise Abschaffung der Untersuchungshaft) wird in vielen Fällen von Gerichten und Strafvollzugsbehörden nicht umgesetzt und dient manchmal korrupten Ermittlern als Mittel zur Erpressung von Geldzahlungen durch Unternehmer. In den Strafkolonien schützt die Unterbringung in Gruppen den einzelnen Häftling effektiver vor schikanöser Behandlung durch das Gefängnispersonal. Laut Menschenrechtsorganisationen kann jedoch in allen Strafkolonien gegen Häftlinge, denen Verstöße gegen die Anstaltsregeln vorgeworfen werden, sogenannte Strafisolierhaft (Schiso) angeordnet werden. Häftlinge seien dort oft besonders üblen Haftbedingungen und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt. Nadeschda Tolokonnikowa von der Aktionsgruppe Pussy Riot beschrieb in einem offenen Brief zudem ein System der Zwangsarbeit, in dem auf die Häftlinge u.a. durch Mitgefangene psychischer und physischer Druck zur "Disziplinierung" ausgeübt werde (AA 24.1.2017).

 

Auch das UK Foreign and Commonwealth Office ist besorgt über die Menschenrechtsstandards in Gefängnissen und über die Unabhängigkeit der öffentlichen Einrichtungen, die die Gefängnisse beobachten (UK FCO 8.2.2017). Aufgrund der unangemessenen medizinischen Versorgung in den Hafteinrichtungen war das Leben vieler Gefangener gefährdet (AI 22.2.2017).

 

Russland erweiterte Anfang 2017 seinen Strafenkatalog: Künftig können Richter bei einigen Vergehen statt einer Haftstrafe Zwangsarbeit anordnen. Die russische Gefängnisbehörde FSIN eröffnet im Januar vier "Besserungszentren" - in Sibirien, Russlands Fernost, im Kaukasus und im Wolgagebiet - und sieben Aufnahmepunkte für Zwangsarbeiter. Insgesamt bieten sie zunächst einmal 900 Verurteilten Platz. Im Gegensatz zur Haftstrafe seien die Täter "nicht von der Gesellschaft isoliert", betonte der Vizedirektor der FSIN Waleri Maximenko. Sie könnten Telefon und Internet benutzen, einen Teil des verdienten Geldes behalten, einen normalen Arzt aufsuchen und nach Verbüßung von einem Drittel der Strafe auch außerhalb der Zentren mit ihren Familien zusammenleben - vorausgesetzt, sie verstoßen weder gegen ihre Arbeitspflicht noch gegen andere Auflagen: Der Konsum von Alkohol und Drogen zieht die Umwandlung der Zwangsarbeit in Haft nach sich (Handelsblatt 2.1.2017; vgl. auch Standard 10.1.2017). 650.000 Menschen sitzen in Russland hinter Gittern, das ist absolut und prozentuell die zweithöchste Zahl an Strafgefangenen in den entwickelten Industrieländern. Übertroffen wird Russland in dieser Statistik nur von den USA. Doch während die Gesamtzahl in Russland immerhin rückläufig ist - in den letzten zehn Jahren ist sie um ein Viertel gesunken - stieg die Zahl der Rezidivisten auf ein Allzeithoch. Fast jeder zweite Strafgefangene in Russland ist Wiederholungstäter. Die Strafe soll vor allem für Ersttäter und bei geringeren Vergehen - maximale Haftstrafe bis zu fünf Jahre - angewendet werden. Die Verurteilten sind weniger isoliert und geraten auch nicht mehr in die Abhängigkeit krimineller Autoritäten, so das Konzept. Daneben gibt es noch andere Beweggründe für die Einführung: So könne der Staat die Straftäter zur Arbeit dort einsetzen, wo sie gebraucht würden und behält parallel auch noch einen Teil des Lohns zur Tilgung des Schadens ein, den der Verurteilte verursacht habe, erklärte Nwer Gasparjan, Berater der Anwaltskammer in Russland. Genaue Angaben dazu, welche Arbeiten die Verurteilten ausführen müssen, gibt es nicht. In der Diskussion steht, dass sie für Begrünungs- oder Reinigungsarbeiten in den Städten eingesetzt werden. Das Gulag-System zur Ausbeutung von Gefangenen zur schweren körperlichen Arbeit soll jedenfalls nicht wiederbelebt werden (Handelsblatt 2.1.2017; vgl. auch Standard 10.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Todesstrafe

 

Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist noch nicht ratifiziert. Das russische Verfassungsgericht hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe am 19.11.2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist (ÖB Moskau 12.2016, vgl. GIZ 4.2017a).

 

Quellen:

 

 

 

14. Religionsfreiheit

 

Art. 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Orthodoxie, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei eine herausgehobene Stellung. Art. 14 der Verfassung schreibt die Trennung von Staat und Kirche fest. Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) erhebt Anspruch auf einen Vorrang unter den Religionsgemeinschaften und auf "Symphonie" mit der Staatsführung. Sie propagiert ihren Wertekanon als Basis einer neuen "nationalen Idee". Faktisch wird sie vom Staat bevorzugt behandelt. Der Islam ist eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands. In der Russischen Föderation leben rund 20 Millionen Muslime. Der Islam in Russland ist grundsätzlich von Toleranz gegenüber anderen Religionen geprägt. Radikalere, aus dem Nahen und Mittleren Osten beeinflusste Gruppen stehen insbesondere im Nordkaukasus unter scharfer Beobachtung der Behörden (AA 24.1.2017). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen. Seit Ende der Achtziger Jahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer "religiösen Renaissance" bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als ungläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung der Kirche und von Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Offizielle Statistiken zur Zahl der Gläubigen verschiedener Konfessionen gibt es nicht und die Zahlen in den meisten Quellen unterscheiden sich erheblich. Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein "kanonisches Territorium" verfügt. Es erstreckt sich über die GUS-Staaten mit der Ausnahme von Armenien, wo es eine eigene orthodoxe Kirche gibt. Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens sowie die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus vertreten. Die Zahl der russischen Muslime wird offiziell mit 14,5 Millionen angegeben. Die Vertreter der islamischen Gemeinde sprechen von mehr als 20 Millionen Mitgliedern. Alle anderen Religionen, wie Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen - und Judentum (ca. 200.000 Gläubige), haben nur geringe Bedeutung. Von den christlichen Kirchen sind die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche sowie eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 7.2017c vgl. SWP 4.2013).

 

2016 kriminalisierten Gesetze private religiöse Reden, die Zeugen Jehovas stehen vor einem landesweiten Verbot und es kommt vor, dass Muslime in fingierten Prozessen des Terrorismus und Extremismus angeklagt werden. Im Nordkaukasus, besonders in Tschetschenien und Dagestan führen Sicherheitskräfte Verhaftungen, Entführungen und Verschwindenlassen von Personen aus, die man verdächtigt, Beziehungen zum "nicht-traditionellen" Islam zu haben. Die Sicherheitskräfte können zumeist mit Straffreiheit rechnen (USCIRF 26.4.2017). Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2014 haben die Behörden erfolgreich die Ausreise von Extremisten reduziert und die Rekrutierung sowie potentielle Terrorzellen selbst eingedämmt, ein hartes Vorgehen und schwere Menschenrechtsverletzungen, insbesondere in Tschetschenien und Dagestan, würden aber weiterhin Teile der salafistischen Gemeinschaft radikalisieren und den Dschihad fördern. Mehr als zehn Jahre war eines der Hauptkontrollinstrumente in der Region die präventive Registrierung von Extremisten gewesen. Diejenigen, die verdächtigt wurden, fundamentalistischen Strömungen des Islam anzugehören, wurden auf spezielle Listen gesetzt, die Informationen zum Privatleben, zu Gewohnheiten und Familienspitznamen enthalten würden. Nach Zwischenfällen würden diese Personen von der Polizei verhaftet und verhört, wobei bei den Verhören Berichten zufolge häufig gewaltsame oder erniedrigende Methoden zum Einsatz kämen. Viele seien wegen ihres Aussehen auf diesen Listen gelandet, wegen eines Besuchs in einer falschen Moschee, wegen Kontakts zu SalafistInnen oder weil sie einer verdächtigen Person eine Wohnung vermietet oder sie mit dem Auto mitgenommen hätten (ICG 16.3.2016). Insbesondere in Tschetschenien und Dagestan werden Personen, die als Wahhabiten bezeichnet werden, manchmal auch Männer mit einem frommen muslimischen Aussehen, als Extremisten von den Strafverfolgungsbehörden verhaftet. Es gibt auch Vorwürfe wegen Folter und Verschwindenlassen (Forum 18 13.9.2016).

 

Das Oberste Gericht verbat die Zeugen Jehovas und entzog der Organisation das Vermögen. Die religiöse Organisation zeige "Merkmale extremistischer Tätigkeit", hieß es in der Begründung. Die Glaubensgemeinschaft müsse ihre Russland-Zentrale in St. Petersburg und 395 örtliche Organisationen auflösen, befanden die Richter am 20.4.2017 in Moskau. Die Zeugen Jehovas kündigten an, ihren Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu tragen. Als extremistisch stufte die Behörde vor allem die Zeitschrift "Der Wachtturm" ein, die trotz Verbots weiter verteilt werde. Dass die Zeugen Jehovas ihren Mitgliedern Bluttransfusionen verbieten, sei ein Verstoß gegen Menschenrechte. Die Gemeinschaft soll in Russland nach Presseberichten etwa 170.000 Anhänger haben (Presse 20.4.2017). Die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch teilte mit, die Gerichtsentscheidung sei ein schwerer Schlag für die Religions- und Verbandsfreiheit in Russland. Sollte die Entscheidung in Kraft treten, müssten Zeugen Jehovas mit Strafverfolgung, Geldstrafen oder gar Gefängnis rechnen (Zeit Online 20.4.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Die Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist (BAMF 10.2013). Beim Sufismus handelt es sich um eine weit verbreitete und zudem äußerst facettenreiche Glaubenspraxis innerhalb des Islam. Heutzutage sind Sufis sowohl innerhalb des Schiitentums als auch unter Sunniten verbreitet (ÖIF 2013). Gegenwärtig ist eine Zunahme der Anhänger des Salafismus/Wahabismus, eine strenge, radikale Form des Islam, zu verzeichnen (BAMF 10.2013). Obwohl Salafismus und Wahhabismus in Russland nicht verboten sind, sind Anhänger dieser Bewegungen starkem Druck ausgesetzt. In Tschetschenien setzt Ramsan Kadyrow seine eigenen Ansichten bezüglich des Islam durch. Frauen müssen sich islamisch kleiden und können in polygame Ehen gezwungen werden. Anhänger eines "nicht traditionellen" Islam, oder Personen mit Verbindungen zu Aufständischen können Opfer von Verschwindenlassen durch die Sicherheitskräfte zu werden (USCIRF 26.4.2017).

 

Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem "guten" sufistischen Islam dem von weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Rebellen propagierten "schlechten" fundamentalistischen Islam, dem oft auch Wahhabismus genannten Salafismus, entgegenzuwirken. Diese Strategie hatte bereits sein Vater unter Maschadow - relativ erfolglos - anzuwenden versucht. Diese politische Nutzung der Religion führt aus mehreren Gründen zu heftiger Kritik: Durch die kadyrowsche Islamisierung werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Innerhalb der tschetschenischen Bevölkerung empfinden viele die von Kadyrow angeordneten Verhaltensnormen als nicht gerechtfertigten (und schon gar nicht durch tschetschenische Tradition zu rechtfertigenden) Eingriff in ihr Privatleben. Einige der aufgrund der (Re‑)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder seine Aussprache für Polygamie, widersprechen zudem russischem Recht. Beobachter der Lage sind sich gemeinhin einig, dass all dies von föderaler Seite geduldet wird, weil und solange es Kadyrow gelingt, die relativ stabile Sicherheitslage zu erhalten (BAA Staatendokumentation 19.5.2011).

 

Als Salafisten werden unterschiedliche religiöse und politische Bewegungen bezeichnet, die sich etwa seit Beginn des letzten Jahrhunderts an einem idealisierten Bild der Frühzeit des Islam (arab. "Salaf" steht für "Ahnen", "Vorfahren") orientieren. Der Begriff Salafismus dagegen steht heute für eine Strömung des Islamismus. Ihre Anhänger werden als Salafisten bezeichnet. Sie behaupten, besonders eng dem Wortlaut des Korans und den Überlieferungen über das Leben des Propheten (sunna) zu folgen. Das gilt insbesondere auch für Äußerlichkeiten wie Bekleidungsvorschriften. Viele Salafisten tragen deshalb lange Bärte, weite Gewänder und Kopfbedeckungen. Frauen, die kein Kopftuch tragen, begehen nach Überzeugung von Salafisten eine schwere Sünde (GfbV 23.11.2011). Das Tragen eines Bartes ohne Schnurrbart oder hochgekrempelte Hosen, würden einen Grund für die Festnahme oder Kontrolle einer Person darstellen (Kaliszewska 2010, vgl. ICG 16.3.2016). Laut der International Crisis Group wurden Ende Oktober 2015 in Tschetschenien viele SalafistInnen verhaftet und es kam zu Fällen von Verschwindenlassen. Die Politik gegenüber SalafistInnen ist traditionell in Tschetschenien am härtesten, wo der fundamentalistische Salafismus, der abwertend "Wahhabismus" genannt wird, verboten ist. Die Behörden haben wiederholt und öffentlich erklärt, dass Wahhabiten nicht erlaubt werde, in Tschetschenien zu leben und dass sie getötet werden sollten. Der traditionelle sufistische Islam ist zum wahren Weg und zur Staatsideologie erklärt worden (ICG 16.3.2016).

 

Entführungen werden heute hauptsächlich von regierungsnahen Personen verübt und treffen vor allem Personen, die als Salafisten angesehen werden. Dies führt jedoch dazu, dass die Salafisten noch anti-russischer werden und die Behörden selbst die Anzahl der Anhänger der radikalen Bewegungen in der Region und unter Muslimen in der ganzen Russischen Föderation erhöhen (Jamestown 19.6.2014).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

15. Ethnische Minderheiten

 

Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als hundert Völkern leben. Neben den Russen, die mit 79,8 % die Mehrheit der Bevölkerung stellen, leben noch mehr als hundert andere Völker auf dem Gebiet des Landes. Größere Minderheiten sind die Tataren (4,0 %), die Ukrainer (2,2 %), die Armenier (1,9 %), die Tschuwaschen (1,5 %), die Baschkiren (1,4 %), die Tschetschenen (0,9 %), die Deutschen (0,8 %), die Weißrussen und Mordwinen (je 0,6 %), Burjaten (0,3 %) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nichtrussischen und russischen Bevölkerungsteilen durch Mischehen und interethnische Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige nationale Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt. Russisch ist die einzige überall geltende Amtssprache. Parallel dazu wird in den einzelnen autonomen Republiken die jeweilige Volkssprache als zweite Amtssprache verwendet (GIZ 7.2017c).

 

Die Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemüht sich die Zentralregierung zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik, inklusive der Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssystem. Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments sind in der Bevölkerung und in den Behörden weit verbreitet. Sie richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten. Die Menschenrechtsorganisation SOVA verzeichnete für Januar - Oktober 2016 fünf Tote und 47 Verletzte aufgrund rassistisch motivierter Gewalttaten (AA 24.1.2017).

 

Im Nordkaukasus ist die ethnische, kulturelle und sprachliche Vielfalt beeindruckend groß. Deshalb, sowie hinsichtlich der räumlichen Gliederung und der politischen, kulturellen und religiösen Geschichte seiner Volksgruppen stellt der Nordkaukasus die ethnisch am stärksten differenzierte Region der Russischen Föderation dar. Gerne wird sie als "ethnischer Flickenteppich" bezeichnet (Rüdisser 11.2012).

 

Quellen:

 

 

 

 

16. Bewegungsfreiheit

 

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes, als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung. Somit steht Tschetschenen, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.] das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Es ist grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen. An den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor Kontrollposten, die gewöhnlich eine nicht staatlich festgelegte "Ein- bzw. Ausreisegebühr" erheben (AA 24.1.2017, vgl. US DOS 3.3.2017, FH 2017).

 

Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen. Dies gilt nicht für Pendler (US DOS 3.3.2017).

 

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Der Inlandspass ermöglicht die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme, die Eröffnung eines Bankkontos, aber auch den Kauf von Bahn- und Flugtickets (AA 24.1.2017).

 

Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

Meldewesen

 

Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch Vorweisen der Busfahrkarte. Wenn jemand ausreist, um im Ausland zu leben, so wird dies registriert und in seinem Reisepass vermerkt. Umgangssprachlich wird die Registrierung nach wie vor so genannt, wie das Meldesystem zu Sowjetzeiten: "Propiska" (Russisch:). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum (ggf. Bescheinigung des Vermieters). Eine Arbeitsstelle oder Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen. Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die zuständige lokale Behörde schicken. Eine Registrierung ist wie ausgeführt für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, werden am Aufenthaltsort registriert. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Staatsbürger können bei Verwandten unterkommen oder selbstständig einen Wohnraum organisieren. Die föderal-gesetzlichen Regeln für die Registrierung gelten in der gesamten Russischen Föderation einheitlich, werden jedoch regional unterschiedlich angewendet. Korruption soll auch im Bereich der Registrierung in nicht unbeträchtlichem Ausmaß vorkommen, insbesondere in der Hauptstadt Moskau (BAA 12 .2011). Gegen Jahresmitte 2016 wurde der FMS aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert (ÖB Moskau 12.2016). Die neue Behörde, die die Aufgaben des FMS übernommen hat, ist die Hauptverwaltung für Migrationsfragen (General Administration for Migration Issues - GAMI) (US DOS 3.3.2017).

 

Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen. In Mietanzeigen werden Zimmer oft nur für Slawen angeboten. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence ist es für Tschetschenen leichter, in kleineren Orten als Moskau und St. Petersburg zu leben, jedoch ist es in großen Städten leichter, unterzutauchen. Personen, die Kadyrow fürchten, würden ihren Aufenthalt nicht registrieren lassen. Auch in St. Petersburg werden in Mietanzeigen Wohnungen oft nur für Russen angeboten. Tschetschenen nutzen aber ihre Netzwerke, um Wohnungen zu finden. Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture sind tschetschenische Familien, die in andere Regionen Russlands kommen, nicht automatisch schweren Rechtsverletzungen ausgesetzt. Öffentlich Bedienstete haben kein Recht, einem Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, weshalb im Endeffekt jeder registriert wird. Tschetschenen könnten Diskriminierung durch die Behörden ausgesetzt sein, nicht aber Gewalt. Laut einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence und einer westlichen Botschaft zufolge könnten aber temporäre Registrierungen nur für drei Monate anstatt für ein Jahr ausgestellt werden, weshalb dann die betroffene Person öfter zum Amt kommen muss (DIS 8.2012). Im FFM Bericht des Danish Immigration Service vom Jänner 2015 wird berichtet, dass es keine größeren Änderungen in Bezug auf die Registrierung gibt. Es gibt eine Neuheit, nämlich dass eine Person in dem Apartment wohnen muss, wo sie registriert ist. Wenn die Person woanders wohnt, könnte der/die Eigentümer/in bestraft werden. Aufgrund dessen könnte es schwieriger sein, den Wohnort zu registrieren. Einige Vermieter möchten auch keine Mieter registrieren, da sie Steuerabgaben vermeiden wollen (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb der Republik Tschetschenien

 

Was die Anzahl von Tschetschenen im Rest des Landes anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen. Laut Volkszählung 2010 lebten etwa in Moskau ca. 14.500 Tschetschenen (von insgesamt 1.4 Mio landesweit). Es ist anzunehmen, dass die tatsächliche Zahl größer ist, insbesondere wenn man sie mit den Angaben über andere, kleinere Nationalitäten vergleicht (ca. 11.400 Osseten, über 17.000 Mordwinen). Dabei ist auch zu bedenken, dass laut der Statistik fast 700.000 Personen keine Angaben über ihre nationale Zugehörigkeit machten. In den meisten Regionen Russlands lag die Anzahl der Tschetschenen bei der Volkszählung 2010 bei einigen Hundert, größere Gemeinschaften gab es in Dagestan (ca. 93.600), in Inguschetien (ca. 18.700), sowie in den südlichen Regionen Astrachan (ca. 7.200), Wolgograd (fast 10.000), Rostow (ca. 11.500), Stawropol (ca. 12.000), Saratow (ca. 5.700) und im westsibirischen Tjumen (ca. 10.500) (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die Bevölkerung in Tschetschenien selbst wird auf etwa 1,3 Millionen geschätzt, wobei auch hier die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien in Frage gestellt werden. Laut Aussagen von Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in Russland, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Eine der derzeitigen Hauptmigrationsrouten aus dem Nordkaukasus nach Mitteleuropa führt über Belarus und Polen. Laut einer Analyse der Jamestown Foundation soll die tschetschenische Diaspora in Europa rund 150.000 Personen umfassen, die tschetschenische Diaspora in Österreich wird auf rund 30.000 Personen geschätzt. Das tschetschenische Oberhaupt hat verlautbart, die Bande zu den tschetschenischen Gemeinschaften außerhalb der Teilrepublik aufrecht halten zu wollen, wobei unabhängigen Medien zufolge auch Familienmitglieder in Tschetschenien für als ungebührlich empfundenes Verhalten Angehöriger gemaßregelt bzw. unter Druck gesetzt werden. Abgesehen davon sind auch vereinzelte Fälle gezielter Tötungen politischer Gegner im Ausland bekannt geworden. Prominentes Beispiel dafür sind die Brüder Jamadajew, von denen einer in Moskau erschossen und ein anderer in Dubai umgebracht wurde, während ein dritter sich mit Kadyrow ausgesöhnt haben soll. Insgesamt schwanken die mitunter ambivalenten Aussagen von Kadyrow zur Migration nach Westeuropa zwischen Toleranz und Kritik. Vor diesem Hintergrund herrscht aus menschenrechtlicher Perspektive die Einschätzung vor, dass die gemessen an der Größe der tschetschenischen Diaspora innerhalb und außerhalb Russlands quantitativ geringe Zahl an tatsächlich Verfolgten sowohl im Inland als auch im Ausland in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein können. Auf das Potential zur Instrumentalisierung dieser nur selten begründbaren Gefährdungslage wird meist dann zurückgegriffen, wenn sozio-ökonomische Motive hinter dem Versuch der Migration nach Westeuropa stehen, wie von menschenrechtlicher Seite eingeräumt wird. Analysten weisen überdies auf den dynamischen Wandel des politischen Machtgefüges in Tschetschenien sowie gegenüber dem Kreml hin. Prominentes Beispiel dafür ist der Kadyrow-Clan selbst, der im Zuge der Tschetschenienkriege vom Rebellen- zum Vasallentum wechselte. Laut einer aktuellen Analyse des Carnegie-Zentrums in Moskau sollen die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren, Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht erstrecke sich allerdings nicht über die Grenzen Tschetscheniens hinaus. Überdies wird hervorgehoben, dass das tschetschenische Vasallentum zum Kreml in gewisser Konkurrenz mit den föderalen Sicherheitskräften um das Machtmonopol in Tschetschenien selbst stehe. Andere Kommentatoren verweisen auf die Rivalität zwischen verschiedenen islamischen Strömungen in Tschetschenien, insbesondere zwischen dem traditionellen Sufismus und dem als wenig autochthon kritisierten Salafismus. Die Heterogenität und Dynamik des politischen und religiösen Machtgefüges in Tschetschenien prägen also auch die oppositionellen Strömungen. Überdies wirken sozio-ökonomische Motive als bedeutende ausschlaggebende Faktoren für die Migration aus dem Nordkaukasus. Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gilt dessen Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften. Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen explizite Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Was die sozio-ökonomischen Grundlagen für die tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands betrifft, ist davon auszugehen, dass die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch entsprechende Chancen für russische Staatsangehörige aus der bislang eher strukturschwachen Region des Nordkaukasus bieten. Parallel dazu zeigt sich die russische Regierung bemüht, auch die wirtschaftliche Entwicklung des Nordkaukasus selbst voranzutreiben, unter anderem auch durch Ankurbelung ausländischer Investitionstätigkeit. Dazu führte etwa der für den Nordkaukasus zuständige Minister Ende Februar 2016 Arbeitsgespräche mit dem BMWFW in Wien, und Anfang April veranstaltete die WKÖ eine Marktsondierungsreise in die Region. Für 2017 prognostiziert die Weltbank ein moderates Wachstum der russischen Volkswirtschaft (ÖB Moskau 12.2016).

 

Gemäß Einschätzung verschiedener NGOs greifen Strafverfolgungsbehörden oft auf ein ethnisches "Profiling" zurück. Dieses richte sich besonders gegen Personen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina beschuldigen russische Behörden Personen aus dem Nordkaukasus oft willkürlich für Straftaten, die sie nicht begangen, die sich aber tatsächlich ereignet hätten. Die Ermittler würden eine Straftat so darstellen, dass die Mitschuld der betroffenen Person aus dem Nordkaukasus als erwiesen erscheine. Nach Angaben von Gannuschkina würden dabei auch Geständnisse mittels Folter (Schläge, Elektroschocks, Vergewaltigung oder die Androhung von Vergewaltigung) erpresst. Staatsanwälte unterstützten in der Regel diese Untersuchungen. Die Gerichte würden die Mängel der Untersuchung ignorieren und oft eine unbedingte Strafe verhängen. Laut Gannuschkina versuchen Polizeivertreter, die Zahl von aus dem Nordkaukasus stammenden Personen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten zu verringern. Die polizeilichen Führungskräfte würden diese Maßnahmen unterstützen. Nach Angaben einer westlichen Botschaft in Moskau aus dem Jahr 2012 kommen fingierte Strafverfahren vor, jedoch nicht in systematischer Weise. Es gebe Berichte, dass insbesondere junge muslimische Personen aus dem Nordkaukasus Opfer solcher Praktiken werden können. Auch die norwegische Landinfo kommt im März 2014 zum Schluss, dass es weiterhin fingierte Strafverfahren gegen Personen aus dem Nordkaukasus und Tschetschenien gebe (SFH 25.7.2014).

 

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Ihr Aufenthalt wird aber durch antikaukasische Stimmungen erschwert. In großen Städten wird der Zuzug von Personen reguliert und ist erkennbar unerwünscht. Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem "langen Arm" des Regimes von Ramsan Kadyrow nicht sicher. Bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind etwa auch in Moskau präsent. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist in den letzten Jahren stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben) (AA 24.1.2017).

 

Laut UNHCR in Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities. Die größten befinden sich in Moskau, der Region Moskau und in St. Petersburg. Hauptsächlich arbeiten Tschetschenen im Baugewerbe und im Taxibusiness. In der Region Wolgograd leben ca. 20.000 Tschetschenen. Einige von ihnen leben dort schon seit 30 Jahren. Viele flohen aus Tschetschenien während der beiden Kriege. Mittlerweile sind die Zahlen von ankommenden Tschetschenen geringer geworden. 2013 kamen weniger als 500 Tschetschenen in die Region. Die meisten Tschetschenen verlassen die Republik aufgrund der sehr bescheidenen sozio-ökonomischen Aussichten in ihrer Heimatrepublik. Laut Memorial Wolgograd gibt es keine Beschwerden von Tschetschenen in der Region aufgrund von Rassismus oder Diskriminierung. Tschetschenen haben denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsbürger. Heutzutage kommen Tschetschenen hauptsächlich zum Zwecke eines Studiums nach Wolgograd. Mittlerweile sind die Lebensbedingungen in Wolgograd nicht so gut wie in Tschetschenien. Dies liegt an den föderalen Fördermittel, die Tschetschenien erhält. Die Bevölkerung in Wolgograd sinkt, während jene in Tschetschenien steigt (DIS 1.2015).

 

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann (BAA Staatendokumentation 20.4.2011).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Gefälschte Dokumente

 

In Russland kann man jegliche Art von Dokumenten kaufen. Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, bei der die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einem zeitaufwändigem Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte "Vorladungen" zur Polizei geben (DIS 1.2015).

 

Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. In Russland ist es darüber hinaus auch möglich, Personenstands und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle, Gerichtsurteile. Häufig sind Fälschungen primitiv und leicht zu identifizieren. Es gibt aber auch Fälschungen, die mit chemischen Mitteln auf Originalvordrucken professionell hergestellt wurden und nur mit speziellen Untersuchungen erkennbar sind (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

17. Grundversorgung/Wirtschaft

 

2016 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 75,6 Millionen, somit ungefähr 53% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,7% (WKO 4.2017). Der Durchschnittslohn im Juni 2015 lag bei 31.100 RUB (EUR 425) (IOM 8.2015).

 

Russland ist einer der größten Energieproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Seit der Jahrtausendwende war die russische Wirtschaft eine der am schnellsten wachsenden großen Volkswirtschaften der Welt, mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von fast 7%. Die volkswirtschaftliche Stabilisierung war die größte Errungenschaft der ersten Präsidentschaft Wladimir Putins. Entscheidend dafür war die Fähigkeit, die enorm angestiegenen Exporteinnahmen intelligent zu nutzen. Die Staatsverschuldung verschwand in Relation zum BIP fast vollständig:

Sie fiel von 51% auf 4%. Die Kreditwürdigkeit des Landes wurde damit erheblich gesteigert. Die Binnennachfrage wuchs aufgrund der Einnahmen aus den Rohstoffexporten. Der Staat akkumulierte die drittgrößten Devisenreserven weltweit, sowie zusätzlich einen Reservefonds und einen Fonds für den nationalen Wohlstand. In strategisch wichtigen Wirtschaftsbereichen (von der Weltraumtechnik und der Atomkraft, bis hin zu Schiffs- und Flugzeugbau) stärkte der Staat seine Position in dem er staatliche Kapitalgesellschaften gründete. Dabei spielten Holdings, die als Dachunternehmen die staatlichen Beteiligungen an einzelnen Betrieben einer Branche zusammenfassen, eine wichtige Rolle. Die im Herbst 2008 ausgebrochene internationale Finanzkrise traf Russland sehr stark. Die russische Regierung konnte in Reaktion darauf den russischen Finanzsektor mit staatlichen Geldern stabilisieren und anschließend ein umfangreiches Konjunkturpaket, das Steuervergünstigungen und staatliche Kreditgarantien umfasste, aus den Rücklagen finanzieren. Auf ein negatives Wirtschaftswachstum von 7,9% im Jahr 2009 folgten 2010-2012 wieder Zuwachsraten von über 4%: Getragen wurde das Wachstum von hohen Rohstoffpreisen, aber auch wachsender Beschäftigung und steigender Industrieproduktion. Die hohen internationalen Energiepreise sorgten 2012 für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Die Industrieproduktion stieg, allerdings lag der Zuwachs unter den Vorjahreswerten. Die Arbeitslosenrate sank zwischen 2010 und 2012 von 7,2% auf 5,4% und die Durchschnittslöhne lagen 2011 und 2012 deutlich höher als vor der Finanzkrise 2008/9. Während 2012 für Russland insgesamt also zufriedenstellend verlief, war 2013 wegen der Konjunkturschwäche im Euro-Raum und der weltweit gesunkenen Rohstoffpreise schwach. Nach einem Plus von 3,4% im Jahr 2012, kam es für 2013 nur noch zu einem leichten Wachstum von 1,3%. Das Land ist in eine Phase anhaltender wirtschaftlicher Stagnation getreten. Gleichzeitig stieg Russland im Ranking von "Doing Business" von Platz 112 in 2012 über Platz 92 in 2013 und Platz 64 in 2014 auf Platz 40 in 2017. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2017 den 114. Platz unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca. 15%. 2015 geriet die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3% 2015 und dem weiteren BIP-Rückgang um 0,2% 2016 wird für 2017 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um ca. 1,5% prognostiziert (GIZ 7.2017b).

 

Nach Jahren stetiger Verbesserung verschlechtert sich der allgemeine Lebensstandort seit 2012 wieder. Zwar stiegen das Durchschnittseinkommen und die Durchschnittsrente, bedingt durch die hohe Inflationsrate sanken jedoch die real verfügbaren Einkommen und die Armut wuchs an. Während 2012 noch 10,7 % der Bevölkerung unter die offizielle Armutsgrenze fielen, ist die Anzahl der Menschen mit einem Einkommen unterhalb des Existenzminimums weiter gestiegen und betrug im I. Quartal 2016 22,7 Millionen oder 15,7 % der gesamten Bevölkerung. Die staatliche Unterstützung reicht häufig nicht zur Deckung des Grundbedarfs. Problematisch bleibt die Situation der Rentner. In der jüngeren Vergangenheit hat sich die Lage nach einigen Rentenerhöhungen verbessert, die Mehrheit der Rentner lebt jedoch in armen Verhältnissen. Die Renten belaufen sich auf durchschnittlich 12.425 Rubel pro Monat (AA 24.1.2017).

 

Angesichts der Geschehnisse in der Ost-Ukraine hat die EU mit VO 833/2014 und mit Beschluss 2014/512/GASP am 31.7.2014 erstmals Wirtschaftssanktion gegen Russland verhängt und mit 1.8.2014 in Kraft gesetzt. Diese wurden mehrfach, zuletzt mit Beschluss (GASP) 2017/1148 bis zum 31.1.2018 verlängert (WKO 29.6.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Die wirtschaftliche Situation in Tschetschenien hat sich aufgrund massiver Transferzahlungen aus dem föderalen Budget in den letzten Jahren stabilisiert. Laut der Zeitung RBK Daily wurden seit 2001 rund 464 Mrd. Rubel (ca. 14 Mrd. USD) in den Wiederaufbau der Republik investiert. Obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind, bestehen noch immer über 85% des Budgets der Republik aus Direktzahlungen aus Moskau. Die Arbeitslosenquote betrug laut offiziellen Statistiken der Republik im ersten Quartal 2016 rund 12%, was von Experten jedoch als zu niedrig angezweifelt wird. Der monatliche Durchschnittslohn in Tschetschenien lag im 1. Quartal 2016 bei 21.774 Rubel (landesweit: 34.000 Rubel), die durchschnittliche Pensionshöhe bei 10.759 Rubel (landesweit: 12.299 Rubel). Die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung ist mit 9.317 Rubel pro Monat festgelegt (landesweit: 10.187 Rubel), für Pensionisten mit 8.102 Rubel (landesweit: 7.781 Rubel) und für Kinder mit 7.348 Rubel (landesweit: 9.197 Rubel). Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Laut einem rezenten Bericht der International Crisis Group gibt es glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grosny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

18. Sozialbeihilfen

 

Russland hat ein grundlegendes Sozialsystem, welches Renten verwaltet und Hilfe für gefährdete Bürger gewährt (IOM 8.2015). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem Staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Die Rentenreform sieht die Gründung der nichtstaatlichen Rentenfonds vor, die neben der Grundversicherung einen zusätzlichen privaten Teil der Rente ermöglichen. Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2017c).

 

Das Ministerium für Gesundheit und Soziales setzt die staatliche Unterstützung für sozial bedürftige Gruppen in der Praxis um. Vor allem die soziale Fürsorge für Familien, alte Menschen, Invaliden und Waisen soll gefördert werden. Personen, die soziale Unterstützung erhalten können:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es gibt weitere Kategorien, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen oder unter bestimmten Programmen, die von regionalen Behörden geleitet werden, anspruchsberechtigt sind. Personen der o.g. Kategorien erhalten eine monatliche Zahlung und soziale Beihilfe, einschließlich:

 

 

 

 

Invaliden zahlen nur die Hälfte der öffentlichen Nebenkosten und haben die Möglichkeit, in besonderen Ausbildungseinrichtungen zu lernen. Um die oben aufgeführten Leistungen erhalten zu können, müssen Personen, die den genannten Kategorien angehören, Dokumente vorlegen, die die Zugehörigkeit zur entsprechenden Gruppe offiziell bestätigen (IOM 6.2014).

 

MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

 

 

 

 

 

Renten

 

 

 

 

 

 

Familienhilfe:

 

Die Regierung will die Bevölkerungszahl erhöhen. Daher erhalten

Familien mit drei oder mehr Kindern folgende Begünstigungen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Behinderung

 

 

 

 

Wohnungswesen

 

Bürger ohne Unterkunft oder mit unzumutbarer Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Apartments beantragen

 

 

 

Arbeitslosenhilfe

 

Im Nordkaukasus besteht die höchste Arbeitslosenquote des Landes. Arbeitslose (mit Ausnahme von Schülern, Studenten und Rentnern) können sich bei den Arbeitsagenturen arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Die Arbeitsagentur wird innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Lehnt der Bewerber die Stellen ab, wird er als arbeitslos eingetragen. Die Arbeitslosenhilfe basiert auf Durchschnittslohn der letzten Arbeit und ist auf ein Minimum und Maximum von der russischen Gesetzgebung begrenzt. Seit 2009 ist das Minimum RUB 850 (USD 15) pro Monat und das Maximum RUB 4.900 (USD 82). Die Förderung wird monatlich ausgezahlt, sofern der Begünstigte die notwendigen Verfahren der Neubewerbung (gewöhnlich zweimal im Monat) nach den Bedingungen der Arbeitsagentur durchläuft. Notwendige Unterlagen und Dokumente sind ein Reisepass oder ein gleichwertiges Dokument und ein Arbeitsbuch oder eine Kopie, die Lohnbescheinigung des letzten Jahres, die Steueridentifikationsnummer (INN certificate), der Rentenversicherungsausweis und Dokumente zum Nachweis der Ausbildung und Berufserfahrung (IOM 8.2015).

 

Unterbrechung der Arbeitslosenhilfe in folgenden Fällen:

 

 

 

 

 

 

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Krankenversicherung

 

Seit dem 1. Januar 2011 gibt es ein neues Gesetz über die Krankenpflichtversicherung. Vor dem 1. Mai 2011 gab es in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Krankenversicherungen, danach traten neue Regeln für den Abschluss einer universellen Krankenversicherung in Kraft. Die Änderung der Krankenversicherungen tritt nach und nach in den einzelnen Regionen in Kraft. Die versicherten Personen sollen medizinische Versorgung in Gesundheitszentren kostenfrei erhalten mit sowohl den alten als auch den neuen Krankenversicherungen. Die alten Krankenversicherungen bleiben so lange in Kraft, bis sie durch die neue Versicherung ersetzt werden, egal welche Gültigkeitsdauer auf der alten Krankenversicherung angegeben ist. Es gibt keine Richtlinie, die die Dauer des Austausches der Krankenversicherungen festlegt. Wenn jetzt ein Versicherungsnehmer seinen Job wechselt oder verlässt, bleibt die Versicherung gültig und es ist nicht notwendig, eine neue Versicherung abzuschließen. Im Rahmen der Krankenpflichtversicherung (OMS) können russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen, die durch staatliche Finanzmittel, Versicherungsbeiträge und andere Quellen finanziert wird (IOM 6.2014).

 

Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:

 

* Notfallbehandlung

 

* Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken

 

* Stationäre Behandlung

 

* Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)

 

Jede OMS-registrierte Person hat eine Krankenversicherung mit einer individuellen Nummer, wodurch ihnen der Zugang zur kostenfreien medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation garantiert wird; unabhängig von ihrem Wohnort. Bei der Anmeldung in einer Klinik muss zunächst die Versicherungsbescheinigung vorgelegt werden, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Die Notfallbehandlung kann von allen russischen Staatsbürgern kostenlos in Anspruch genommen werden, unabhängig davon ob sie krankenversichert sind oder nicht. Um eine Krankenversicherung zu erhalten, müssen die Bürger an eine der Krankenversicherungen einen Antrag stellen und die folgenden Dokumente vorlegen: Antrag, Identifikationsdokument (für Erwachsene über 14 Jahre ein Reisepass oder vorläufiger Ausweis, für Kinder die Geburtsurkunde und den Pass bzw. vorläufigen Ausweis des Erziehungsberechtigten) und u.U. die Versicherungspolice der Rentenpflichtversicherung. Die Aufnahme in die Krankenversicherung sowie die Erneuerung sind kostenfrei. Für Kinder bis einschließlich 14 Jahren existiert ein gesondertes System der kostenlosen medizinischen Versorgung, sofern eine Registrierung in der Krankenpflichtversicherung (OMS) vorliegt. Kinder, die älter als 14 sind werden in der Regel in medizinischen Einrichtungen für Erwachsene behandelt. Einige Kliniken (staatliche und private) bieten kostenlose medizinische Konsultationen über das Internet an. Ausländische Staatsbürger haben in Russland nur Zugang zur medizinischen Grundversorgung, d.h. zur notfallmedizinischen Behandlung. Darüber hinausgehende Behandlungen werden in Rechnung gestellt und sind entweder durch direkte Zahlung an die jeweilige Klinik oder gegebenenfalls über die Krankenversicherung des Ausländers zu begleichen. Medizinische Versorgung gegen Bezahlung wird von privaten Gesundheitseinrichtungen unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit angeboten. Umfragen zufolge haben 35% der Bevölkerung eine medizinische Serviceleistung gegen Bezahlung bereits in Anspruch genommen. Aufgrund der hohen Kosten kann der Großteil der Bevölkerung von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch machen. Neben der geschilderten Krankenpflichtversicherung können sowohl russische Staatsbürger als auch Ausländer gegen Bezahlung eine Freiwillige Krankenversicherung (DMS) abschließen, die immer weiter verbreitet ist. Ein Netz von Versicherungsgesellschaften bietet die entsprechenden Dienstleistungen an, wobei die Kosten für eine Versicherung - je nach Ruf der Versicherung und des gebotenen Servicepakets - zwischen 400 und mehreren tausend USD liegen können. Die meisten Versicherungsgesellschaften bevorzugen die Zusammenarbeit mit juristischen Personen. In den vergangenen zehn Jahren sind jedoch zunehmend Versicherungsprogramme für Privatpersonen aufgelegt worden (IOM 6.2014).

 

Die Beiträge der Krankenversicherung zahlt der Arbeitgeber (5,1% des Gehalts), für die nichtarbeitende Bevölkerung kommt der Staat auf (Handelsblatt o.D.).

 

Quellen:

 

 

 

 

19. Medizinische Versorgung

 

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert. Russland weist zwar im internationalen Vergleich eine vergleichsweise hohe Anzahl der Ärzte und der Krankenhäuser pro Kopf der Bevölkerung auf, das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt aber ineffektiv (GIZ 7.2017c). Die Einkommen des medizinischen Personals sind noch immer vergleichsweise niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und insbesondere HIV/AIDS, breiten sich weiter aus. In den letzten Jahren wurden in die Modernisierung des Gesundheitswesens erhebliche Geldmittel investiert. Der aktuelle Kostendruck im Gesundheitswesen führt aber dazu, dass viele Krankenhäuser geschlossen werden (AA 3 .2017a, vgl. GIZ 7.2017c, vgl. AA 24.1.2017). In Moskau, St. Petersburg und einigen anderen Großstädten gibt es einige meist private Krankenhäuser, die hinsichtlich der Unterbringung und der technischen und fachlichen Ausstattung auch höheren Ansprüchen gerecht werden. Notfallbehandlungen in staatlichen Kliniken sind laut Gesetz grundsätzlich kostenlos. Die Apotheken in den großen Städten der Russischen Föderation haben ein gutes Sortiment, wichtige Standardmedikamente sind vorhanden. Medikamentenfälschungen mit unsicherem Inhalt kommen allerdings vor (AA 13.7.2017b, vgl. AA 24.1.2017).

 

Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind der Botschaft keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Seit Jänner 2011 ist das "Föderale Gesetz Nr. 326-FZ über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation" vom November 2010 in Kraft und seit Jänner 2012 gilt das föderale Gesetz Nr. 323-FZ vom November 2011 über die "Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation". Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen, als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen, als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Abgesehen von den obenstehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen. Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung, sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise durchaus erwartet wird. Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit durchaus variieren kann (ÖB Moskau 12.2016).

 

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert (GIZ 7.2017c).

 

Medizinische Versorgung gibt es bei staatlichen und privaten Einrichtungen. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu kostenfreier medizinischer Versorgung. Vorausgesetzt für OMS (OMS-Karte) sind gültiger Pass, Geburtsurkunde für Kinder unter 14 Jahren; einzureichen bei der nächstliegenden Krankenversicherungsfirma. Sowohl an staatlichen, wie auch privaten Kliniken bezahlte medizinische Dienstleistungen verfügbar; direkte Zahlung an Klinik oder im Rahmen von freiwilliger Krankenversicherung (Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 8.2015).

 

Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:

 

* Notfallbehandlung

 

* Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken

 

* Stationäre Behandlung

 

* Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)

 

Ausgaben für Gesundheitsleistungen in Russland sind immer noch niedriger als in entwickelten Ländern. Laut offiziellen Quellen stiegen die realen Ausgaben des russischen Staates für den Gesundheitssektor in den letzten zehn Jahren um 74% an. Nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedoch betrugen diese 2014 nur 5,4% des BIP, und laut der Weltbank waren es sogar nur 3,7%. Selbst optimistische Einschätzungen weisen auf eine Unterfinanzierung der Gesundheitsbranche hin im Vergleich zu entwickelten Ländern, in denen dieser Index zwischen 4 und 8% des BIP liegt. Nach Angaben des russischen Finanzministeriums sind für 2016 keine weiteren Reduzierungen der Gesundheitsausgaben geplant. Es liegen aktuell allerdings noch keine offiziellen Angaben zur längerfristigen Haushaltsplanung vor, da seit dem Föderalen Gesetz Nr. 273 vom 30. September 2015 die Planungsfrist für den staatlichen Haushalt nun ein Jahr statt drei Jahre beträgt. In der mittleren Perspektive kann man erwarten, dass die existierende Lücke in der russischen Gesundheitsfinanzierung durch öffentliche Mittel nicht gedeckt werden kann. Das hängt sowohl mit der wirtschaftlichen Gesamtsituation und den Auswirkungen des niedrigen Ölpreises auf den russischen Haushalt zusammen als auch mit Regulierungstrends, vor allem der laufenden Gesundheitsreform inklusive der Implementierung des Ko-Finanzierungsmodells für Gesundheitsleistungen zwischen dem Staat und den Verbrauchern im Rahmen des Pilotprogramms für Krankenversicherung "OMS+" (AHK o.D.).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung inzwischen das durchschnittliche Niveau in der Russischen Föderation erreicht haben. Problematisch bleibt laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben (AA 5.1.2016). Das Gesundheitssystem in Tschetschenien wurde seit den zwei Kriegen großteils wieder aufgebaut. Die Krankenhäuser sind neu und die Ausrüstung ist modern, jedoch ist die Qualität der Leistungen nicht sehr hoch aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal (Landinfo 26.6.2012).

 

Es ist sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitsversorgung verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind. Laut föderalem Gesetz werden bestimmte Medikamente kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015, vgl. hierzu auch Kapitel 24.7 Medikamente).

 

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA 31.3.2015).

 

Die Einkommen des medizinischen Personals liegen unter dem Durchschnitt. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (AA 3 .2017a). Falls z.B. innerhalb der Familie nicht genügend Geld für eine teure Operation vorhanden ist, kann man sich an eine in der Clanstruktur höher stehende Person wenden. Aufgrund bestehender Clanstrukturen sind die Familien in Tschetschenien finanziell besser abgesichert als in anderen Teilen Russlands (BAMF 10.2013).

 

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es - wie für alle Bürger der Russischen Föderation - auch für Tschetschenen möglich, bei Krankheiten, die in Tschetschenien [oder anderen Teilrepubliken] nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu Kapitel 21. Bewegungsfreiheit/Meldewesen). Krebsbehandlung wurde zum größten Teil außerhalb der Republik Tschetschenien gemacht, jedoch wurde kürzlich ein onkologisches Krankenhaus fertiggestellt mit dem man bald Chemotherapie, Strahlentherapie und Operationen durchführen möchte. Im letzten Jahr wurden insgesamt ca. 3.000 Patienten zu unterschiedlichen Behandlungen in Krankenhäuser in andere Republiken geschickt (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien

 

Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken sind "Achkhoy-Martan RCH" (regional central hospital), "Vedenskaya RCH", "Grozny RCH", "Staro-Yurt RH" (regional hospital), "Gudermessky RCH", "Itum-Kalynskaya RCH", "Kurchaloevskaja RCH", "Nadterechnaye RCH", "Znamenskaya RH", "Goragorsky RH", "Naurskaya RCH", "Nozhai-Yurt RCH", "Sunzhensk RCH", Urus-Martan RCH", "Sharoy RH", "Shatoïski RCH", "Shali RCH", "Chiri-Yurt RCH", "Shelkovskaya RCH", "Argun municipal hospital N° 1" und "Gvardeyskaya RH" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind: "The Republican hospital of emergency care" (former Regional Central Clinic No. 9), "Republican Centre of prevention and fight against AIDS", "The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova", "Republican Oncological Dispensary", "Republican Centre of blood transfusion", "National Centre for medical and psychological rehabilitation of children", "The Republican Hospital", "Republican Psychiatric Hospital", "National Drug Dispensary", "The Republican Hospital of War Veterans", "Republican TB Dispensary", "Clinic of pedodontics", "National Centre for Preventive Medicine", "Republican Centre for Infectious Diseases", "Republican Endocrinology Dispensary", "National Centre of purulent-septic surgery", "The Republican dental clinic", "Republican Dispensary of skin and venereal diseases", "Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation", "Psychiatric Hospital 'Samashki', "Psychiatric Hospital 'Darbanhi'", "Regional Paediatric Clinic", "National Centre for Emergency Medicine", "The Republican Scientific Medical Centre", "Republican Office for forensic examination", "National Rehabilitation Centre", "Medical Centre of Research and Information", "National Centre for Family Planning", "Medical Commission for driving licenses" und "National Paediatric Sanatorium 'Chishki'" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind: "Clinical Hospital N° 1 Grozny", "Clinical Hospital for children N° 2 Grozny", "Clinical Hospital N° 3 Grozny", "Clinical Hospital N° 4 Grozny", "Hospital N° 5 Grozny", "Hospital N° 6 Grozny", "Hospital N° 7 Grozny", "Clinical Hospital N° 10 in Grozny", "Maternity N° 2 in Grozny", "Polyclinic N° 1 in Grozny", "Polyclinic N° 2 in Grozny",

"Polyclinic N° 3 in Grozny", "Polyclinic N° 4 in Grozny",

"Polyclinic N° 5 in Grozny", "Polyclinic N° 6 in Grozny",

"Polyclinic N° 7 in Grozny", "Polyclinic N° 8 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 1", "Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 5", "Dental complex in Grozny", "Dental Clinic N° 1 in Grozny", "Paediatric Psycho-Neurological Centre", "Dental Clinic N° 2 in Grozny" und "Paediatric Dental Clinic of Grozny" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Quellen:

 

 

2. Beweiswürdigung:

 

Die Feststellungen zu den Verfahren des Beschwerdeführers sowie der oben angeführte Verfahrensgang ergeben sich aus den unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalten des vorgelegten Verwaltungsakts des Bundesasylamtes, des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Gerichtsakts des Bundesverwaltungsgerichtes.

 

Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

 

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers (Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit), zu seinem Leben, seiner Schulbildung, seiner kurzzeitigen Absolvierung der Lehre, zu seiner Herkunft, zu seiner Arbeitsfähigkeit sowie zu seinem Leben in Österreich ergeben sich aus dem bezüglich dieser Feststellungen widerspruchsfreien und daher glaubwürdigen Vorbringen des Beschwerdeführers im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, dem Akteninhalt. Darüber hinaus ergibt sich die Feststellung zu illegalen Einreise nach Österreich und zur Antragstellung zweifelsfrei aus dem Akteninhalt.

 

Die Feststellung zu seinen Sprachkenntnissen ergibt sich neben seinen eigenen Angaben unter anderem aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer im Zuge der Einvernahme am 01.10.2018 in russischer Sprache einvernommen wurde. Zudem hat der Beschwerdeführer die ersten neun Jahre seines Lebens in der Russischen Föderation, Tschetschenien, Gudermus verbracht und gab er selbst an, zu Hause Tschetschenisch zu sprechen (vgl. AS 315).

 

Die Feststellung zu seinen Familienangehörigen ergibt sich aus seinen eigenen Angaben in der Einvernahme am 01.1.2018 (vgl. AS 315). Sofern der Beschwerdeführer in der Stellungnahme vom Mai 2018 behauptete, keine Familie in Tschetschenien zu haben, so sind diese Angaben, vor dem Hintergrund seiner Angaben in der Einvernahme und den in diesem Zusammenhang näheren Ausführungen nicht glaubhaft. Dadurch ist vielmehr der Eindruck entstanden, dass der Beschwerdeführer seine familiären Anknüpfungspunkte in Tschetschenien zu verschleiern versuchte. Dass der Beschwerdeführer Deutsch spricht, ergibt sich daraus, dass die Einvernahme vor dem Bundesamt weitgehend in deutscher Sprache geführt werden konnte. Zudem hat der Beschwerdeführer acht Jahre lang in Österreich die Schule besucht.

 

Die Feststellungen zum Asylverfahren des Beschwerdeführers ergeben sich ebenso dem Akteninhalt, insbesondere aus dem Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.09.2003, Zl. 03 14.981-BAE.

 

Die Feststellung zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers, seiner Arbeitsfähigkeit und jene, dass er ledig ist, gründen sich auf seine Angaben im Zuge des Verfahrens und auf den Umstand, dass Gegenteiliges im Verfahren nicht hervorgekommen ist.

 

Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers in Österreich stützen sich auf einen aktuellen Strafregisterauszug und die Inhalte der im Verwaltungsakt aufliegenden Strafurteile.

 

Die Feststellung zu den Haftaufenthalten des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister.

 

Die Feststellungen zur negativen Zukunftsprognose des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem Akteninhalt, aus den rechtskräftigen Verurteilungen bzw. der wiederholten Straffälligkeit und dem Vorbringen des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren vor dem BFA.

 

Hinsichtlich der Feststellung, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, ist zunächst auf die im Akt einliegende Urteil des Landesgerichtes und des Oberlandesgerichtes zu verweisen, in welchen der Beschwerdeführer wegen mehrerer Verbrechen und insbesondere wegen der Verurteilung im Zusammenhang mit einer terroristischen Vereinigung verurteilt wurde und demnach vom Beschwerdeführer Gefahr für die Republik Österreich ausgeht. Wie das Bundesamt somit bereits bemerkte, ergibt sich dessen Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit somit vor allem aus der schweren Straffälligkeit des Beschwerdeführers. Hinzu kommt, dass es sich bei jener Moschee die der Beschwerdeführer besucht - was er selbst in der Einvernahme angab - um einen Glaubensverein, um eine Organisation handelt, die die Verbreitung des Gedankengutes des "Islamischen Staates", forciert.

 

Der Beschwerdeführer wurde bereits in den Jahren 2016 und 2017, rechtskräftig wegen Vermögensdelikte inhaftiert. So zeigt das diesbezügliche Verhalten des Beschwerdeführers in Zusammenschau mit seinem damals jungen Alter durchaus eine kriminelle Neigung, die auch vor dem Hintergrund der Verhängung einer Jugendstrafe für einen damals unbescholtenen Jugendlichen verdeutlicht wird.

 

Das Haftübel und die in Haft verbrachte Zeit konnten den Beschwerdeführer jedoch nicht davon abhalten, unmittelbar nach seiner Haftentlassung erneut straffällig zu werden. Auch die Selbstverantwortung des Beschwerdeführers für seine begangenen Straftaten lässt nicht darauf schließen, dass der Beschwerdeführer nunmehr gewillt ist, sich zukünftig wohl zu verhalten. Auch seine Verantwortung zu seiner dritten Verurteilung wegen terroristischer Vereinigung relativierte der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem Bundesamt. Zudem gab er auf die Frage, weshalb die Behörde davon ausgehen sollte, dass er sich in Hinkunft wohlverhält an: "Seit ich aus dem Gefängnis gekommen bin, habe ich eh nicht mehr gemacht. Und ich weiß, dass ich nichts mehr machen werde". Hierbei ist darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer zwei Monate nach dieser Aussage wegen seiner jüngsten rechtskräftigen Verurteilung vom Oktober 2018 inhaftiert wurde.

 

Sofern in der Beschwerdeergänzung darauf hingewiesen wurde, dass dem Beschwerdeführer durch den Verein XXXX bescheinigt wurde, dass er keiner jihadistischen-salafistischen Gewalttheologie angehöre, so hat sich bereits die Behörde damit auseinandergesetzt und ist diesbezüglich auf die rechtskräftige Verurteilung vom 09.10.2018 - nach Ausstellung der Bescheinigung - hinzuweisen. Auch das Bundesverwaltungsgerichtes wertet dieses einseitige Schriftstück vom Juni 2018 und somit vor der rechtskräftigen Verurteilung durch das Oberlandesgericht wegen § 278 ff StGB, indem vorgebracht wird, dass für den Beschwerdeführer eine gerichtliche Weisung und dahingehende Betreuung im Rahmen der Extremismusprävention und Deradikalisierung nicht gesehen werde, als nicht aussagekräftig. Die Sicht des Vereins wurde damit begründet, dass das Abklärungsgespräch ideologische und religiöse Sozialisierung umfasst habe. Die Aussagen des Beschwerdeführers hätten einer gewaltverherrlichenden religiös begründeten Ideologie widersprochen und werde der Beschwerdeführer als nicht gefährlich und nicht radikal eingestuft (vgl. AS 253), wobei hierzu anzumerken ist, dass dieser Bescheinigung vor dem Hintergrund der rechtskräftigen Verurteilung und den Aussagen des Beschwerdeführers in der Einvernahme kein Beweiswert zugemessen kann. Sofern in der Beschwerde moniert wird, dass für die Behörde keine Bindungswirkung im Hinblick auf das strafgerichtliche Urteil bestehe, so ist dem zu entgegnen, dass die Behörde für die Abwägung der Zukunftsprognose das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers sowie seine Aussagen, seine Lebensweise, sein Verhalten, seine Integration herangezogen hat und ist es der Behörde nicht verwehrt die Urteile, denen fundierte Ermittlungen und ein Verfahren vorangegangen ist "zu verwerten". Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die strafrechtlichen Verurteilungen und deren Inhalt bzw. die verwirklichten Taten geradezu für einen Aberkennungsgrund und ein Einreiseverbot heranzuziehen sind (vgl. § 7 AsylG, § 53 FPG), zumal die Verurteilung, die Schwere und Häufigkeit der Tat und welches Delikt verwirklicht wurden, die Grundlage, geradezu die Tatbestandsvoraussetzungen für die im gegenständlichen Bescheid herangezogenen Paragraphen für eine Aberkennung bildet.

 

Der Beschwerdeführer konnte mit seinem bisherigen Verhalten - selbst vor dem Hintergrund der Beschwerdeergänzung nicht nachhaltig darlegen, die österreichische Rechtsordnung zukünftig zu achten und sich wohl zu verhalten. Dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, ergibt sich sohin aus der Häufigkeit und Schwere der Straffälligkeit des Beschwerdeführers, seines äußerst raschen Rückfalls, seiner teilweise fehlenden Selbstverantwortung. Der Beschwerdeführer vermochte nicht mit einem tatsächlich vorliegenden Gesinnungswandel zu überzeugen.

 

Die Feststellungen zu den familiären Verhältnissen des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers. Dass kein Abhängigkeitsverhältnis zu seinen Familienangehörigen besteht, ergibt sich einerseits aus dem Umstand, dass er selbst vorbrachte, dass er keinen Kontakt zu seinem Vater habe und er oft auch bei Freunden schlafe, was auch vor dem Hintergrund des ZMR-Auszuges glaubhaft war, da er bei Freunden gemeldet war. Eine finanzielle Abhängigkeit wurde nicht vorgebracht. Vor dem Hintergrund dieser sporadischen persönlichen Kontakte in den letzten Jahren und dem Umstand, dass der Beschwerdeführer im Dezember 2018 seine Freiheitsstrafe angetreten ist, erscheint es aus Sicht der zuständigen Richterin zumutbar, dass der Beschwerdeführer seine familiären Beziehungen in Österreich aus der Russischen Föderation via elektronische Medien und Internet aufrechterhält, weswegen eine entsprechende Feststellung erging. Da die Familie (bis auf die älteste Schwester) des Beschwerdeführers zudem nicht mehr asylberechtigt und daher in der Lage ist, den Beschwerdeführer in der Russischen Föderation zu besuchen, kann die Beziehung auch durch derartige Besuche weiter aufrechterhalten werden.

 

Die Feststellungen zu den dauerhaften Aufenthaltsberechtigungen der Familie des Beschwerdeführers und der Aberkennung des Status der Asylberechtigten, ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister am 14.03.2019.

 

Zu den Feststellungen zur Situation im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation:

 

Der Beschwerdeführer verließ Tschetschenien und die Russische Föderation im Alter von neun Jahren. Die Flüchtlingseigenschaft wurde ihm im Rahmen des Familienverfahrens abgeleitet von seinem Vater zuerkannt. Für den Beschwerdeführer wurde weder im Rahmen des Asylverfahrens noch nunmehr im Aberkennungsverfahren angeführt, dass dieser vor der Ausreise aus dem Herkunftsstaat einer Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre (dies erschiene in Anbetracht seines damaligen Alters auch äußerst unwahrscheinlich), weswegen eine entsprechende Feststellung ergehen konnte.

 

Dass dem Beschwerdeführer auch zum heutigen Zeitpunkt in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien keine Verfolgung droht, gründet nicht zuletzt auf dem Umstand, dass der Beschwerdeführer einerseits vorbrachte: "In Tschetschenien droht mir nichts. Mein Vater hat dort zwar Probleme, aber ich nicht". Sofern er angab, dass er dort nicht leben könne, begründete er diese Aussage nicht näher, sondern gab er lapidar an: "Das ist nichts für mich. Sollte ich abgeschoben werden, werde ich auch sicherlich zurückkehren" (vgl. AS 316) sowie auf dem Umstand, dass seine Eltern auf Familienbesuch nach Tschetschenien reisten und dabei keinerlei Bedrohung ausgesetzt waren (vgl. VwGH 29.01.1997, 95/01/0449). Hätte der Vater des Beschwerdeführers für sich und seine Frau noch eine Verfolgungsgefahr gefürchtet, wäre er wohl kaum sorglos zu Besuch nach Gudermus bzw. in die Russische Födertion gefahren.

 

Dass der Familie des Beschwerdeführers und diesem selbst keine Verfolgung in der Russischen Föderation (mehr) droht, wird jedoch insbesondere durch den Umstand deutlich, dass dem Vater des Beschwerdeführers (und seinen übrigen Kernfamilienangehörigen bis auf die volljährige Schwester) der Status des Asylberechtigten im April 2018 aberkannt wurde. Ferner gab der Beschwerdeführer selbst an, dass seine Angehörigen in der Russischen Föderation aufhältig waren, um Besuche abzustatten.

 

In Zusammenschau all dieser Punkte konnte daher die Feststellung ergehen, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Verfolgung droht.

 

Dem Beschwerdeführer droht in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens und dem Nordkaukasus auch keine Verfolgung wegen seiner strafgerichtlichen Verurteilungen in Österreich, insbesondere jener wegen terroristischer Vereinigung im Zusammenhang mit dem IS. Diesbezüglich ist dem Beschwerdeführer und seiner Rechtsvertretung zwar zuzugestehen, dass aus den Länderberichten hervorgeht, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Tschetschenien möglicherweise mit Repressalien zu rechnen hätte, die als Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu qualifizieren sein würden (vgl. hiezu insbesondere die Kapitel Sicherheitslage im Nordkaukasus und in Tschetschenien, Rechtschutz, Sicherheitsbehörden in Tschetschenien, Folter und unmenschliche Bestrafung und allgemeine Menschenrechtslage in Tschetschenien) Dies gilt jedoch nicht für die Russische Föderation außerhalb des Föderationskreises des Nordkaukasus:

 

Diesbezüglich ist zunächst auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (im Folgenden als LIB bezeichnet), zu verweisen, aus welchem sich ergibt, dass selbst bei sogenannten "Foreign Fighters" (damit gemeint sind terroristische Kämpfer vorwiegend nordkaukasischer Provenienz aus Syrien oder dem Irak), die in die Russische Föderation zurückkehren, ohne bereits in einem anderen Land hiefür verurteilt worden zu sein, bei der Strafverfolgung nach der Rückkehr die Höhe der Strafe davon abhängt, ob sie sich den Behörden stellen und kooperieren. Im Fall des Beschwerdeführers ist jedoch zu beachten, dass er selbst nie in Syrien war und Österreich auch nicht verließ, um sich nach Syrien zu begeben und dort den IS im Kampf zu unterstützen. Die Tätigkeit des Beschwerdeführers für den IS vermag vor dem Hintergrund dieser Länderberichte kein besonderes Interesse der russischen Behörden an seiner Person zu begründen, sollte diese Tätigkeit überhaupt bekannt geworden sein oder bekannt werden. Wenn sogar tatsächlich zurückkehrenden Kämpfern aus Syrien, die in noch keinem anderen Staat dieser Welt wegen dieser Kampfteilnahme verurteilt wurden, in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens bzw. des Nordkaukasus laut LIB bei Kooperation mit den Behörden keine unverhältnismäßige Strafverfolgung droht, so kann dies für den Beschwerdeführer, der niemals in Syrien kämpfte und zudem bereits in Österreich wegen seiner Unterstützungstätigkeiten für den IS rechtskräftig verurteilt wurde, nur umso eher gelten.

 

Wie allgemein bekannt, ist die Russische Föderation Mitglied des Europarats und trat für diese das 7. Zusatzprotokoll zur EMRK am 01.08.1998 in Kraft. Damit hat sich die Russische Föderation im Rahmen der EMRK zur Einhaltung des Prinzips "ne bis in idem" und damit zum Doppelbestrafungsverbot verpflichtet. Selbst wenn es in der Russischen Föderation zu einer solchen Doppelbestrafung kommen würde, wäre der Beschwerdeführer im Falle einer erneuten Verurteilung auf den innerstaatlichen Rechtsweg und in weiterer Folge auf die Möglichkeit einer Beschwerdeerhebung an den EGMR zu verweisen.

 

Hinzuweisen ist zudem darauf, dass dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative auch zumutbar ist. Aus den Länderberichten geht hervor, dass das Recht der freien Wahl des Wohnsitzes auch Tschetschenen - wie allen russischen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen - zusteht.

 

Dass eine Wohnsitznahme für Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens möglich ist, geht bereits aus dem Faktum hervor, dass etwas 14.000 Tschetschenen alleine in Moskau, 11.000 allein in der Rostow Region und 12.000 in Stawropol Krai leben. Die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands steht jedenfalls nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow. Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des EGMR vom 07.11.2017, Nr. 54646/17, X./Deutschland, und die entsprechende Entscheidung des deutschen Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.07.2017, Zl. BVerwG 1 VR 3.17, zu verweisen: Befürchtungen von Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens auch in russischen Großstädten vor dem "langen Arm" Kadyrows nicht sicher zu sein, wurden in der Entscheidung des dt. BverwG vom 13.07.2017 derart eingestuft, dass diese allgemeine Berichtslage eine konkrete Betroffenheit des dortigen Beschwerdeführers mit einer solchen Situation nicht hinreichend belegen würde. Das Risiko, dass (ad casu) dagestanische Behörden den aus Deutschland ausgewiesenen Beschwerdeführer außerhalb Dagestans suchen und misshandeln oder nach Dagestan bringen würden, hielt der zuständige Senat ebenfalls für gering. Diese Einschätzung wurde schließlich durch die zurückweisende Entscheidung des EGMR vom 07.11.2017 bestätigt.

 

Ebenfalls in gerade genannter Entscheidung thematisiert wurde die Haltung des russischen Staates, gegen islamistischen Terrorismus konsequent vorzugehen, sowie das Faktum, dass abgeschobene Kaukasier besondere Aufmerksamkeit russischer Behörden erfahren würden. Doch auch diese Informationen würden die Annahme nicht erlauben, dass der dt. Beschwerdeführer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder ähnliches erwarten würde, wobei das dt. BVerwG dabei Bezug auf eine Auskunft des russischen "Komitee zur Verhinderung von Folter" nimmt, wonach es nahezu ausgeschlossen erscheine, dass der (dt.) Beschwerdeführer "präventiv" gefoltert oder einer anderen Art. 3 EMRK-widrigen Behandlung ausgesetzt würde, selbst wenn er im Falle seiner Abschiebung mit einer Befragung und Überwachung zu rechnen haben würde. Es würden keine Hinweise vorliegen, dass sich ein Fokus der russischen Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang mit Strafverfahren, die wegen Beteiligung in einer illegalen bewaffneten Gruppierung im Ausland eröffnet worden seien, auch auf Personen richten würde, die nicht aus Syrien, dem Irak oder der Türkei, sondern aus Westeuropa zurückkehren würden. Gegen Tschetschenen, die sich in Moskau oder in anderen Bereichen der Russischen Föderation niedergelassen hätten, würden Strafverfahren aufgrund falscher Anschuldigungen heute kaum noch vorkommen. Auch diese Einschätzung wurde durch die zurückweisende Entscheidung des EGMR vom 07.11.2017 bestätigt.

 

Der Beschwerdeführer stammt ursprünglich aus dem Nordkaukasus und ist insofern mit dem dt. Beschwerdeführer, der oben genannter Entscheidung zugrunde lag, vergleichbar, da auch beide wegen Nähe zum IS bereits verurteilt wurden. Daher muss auch für den Beschwerdeführer davon ausgegangen werden, dass ihm im Falle einer Ansiedlung in einem anderen Teil der Russischen Föderation nicht jedenfalls oder mit einer entsprechend beachtlichen Wahrscheinlichkeit Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch die russischen oder tschetschenischen Sicherheitsbehörden drohen würde.

 

Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer jung, gesund und arbeitsfähig. Er beherrscht - wenn es auch nicht seine Muttersprache ist - die russische Sprache und verfügt über Verwandte in Tschetschenien, die ihn - ebenso wie seine Eltern aus Österreich - zumindest anfänglich finanziell unterstützen können. Es ist dem Beschwerdeführer jedenfalls zumutbar, in der tschetschenischen Diaspora in Moskau, Rostow oder Stawropol Fuß zu fassen, die Russische Sprache besser zu erlernen und - mitunter auch durch Verwertung seiner guten Deutschkenntnisse - einen Arbeitsplatz zu finden.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A)

 

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Aberkennung des Status des Asylberechtigten):

 

Gemäß § 75 Abs. 5 AsylG 2005, gilt einem Fremden dem am oder nach dem 31.12.2005 die Flüchtlingseigenschaft nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 oder früheren asylrechtlichen Vorschriften zugekommen ist oder zuerkannt wurde, soweit es zu keiner Aberkennung oder keinem Verlust der Flüchtlingseigenschaft gekommen ist, der Status des Asylberechtigten als zuerkannt.

 

Der mit "Aberkennung des Status des Asylberechtigten" betitelte § 7 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

"§ 7 (1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

 

1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;

 

2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder

 

3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.

 

(2) In den Fällen des § 27 Abs. 3 Z 1 bis 4 und bei Vorliegen konkreter Hinweise, dass ein in Art. 1 Abschnitt C Z 1, 2 oder 4 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführter Endigungsgrund eingetreten ist, ist ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls einzuleiten, sofern das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 wahrscheinlich ist. Ein Verfahren gemäß Satz 1 ist, wenn es auf Grund des § 27 Abs. 3 Z 1 eingeleitet wurde, längstens binnen einem Monat nach Einlangen der Verständigung über den Eintritt der Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung gemäß § 30 Abs. 5 BFA-VG, in den übrigen Fällen schnellstmöglich, längstens jedoch binnen einem Monat ab seiner Einleitung zu entscheiden, sofern bis zum Ablauf dieser Frist jeweils der entscheidungsrelevante Sachverhalt feststeht. Eine Überschreitung der Frist gemäß Satz 2 steht einer späteren Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht entgegen. Als Hinweise gemäß Satz 1 gelten insbesondere die Einreise des Asylberechtigten in seinen Herkunftsstaat oder die Beantragung und Ausfolgung eines Reisepasses seines Herkunftsstaates.

 

(2a) Ungeachtet der in § 3 Abs. 4 genannten Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung ist ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls einzuleiten, wenn sich aus der Analyse gemäß § 3 Abs. 4a ergibt, dass es im Herkunftsstaat des Asylberechtigten zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist. Das Bundesamt hat von Amts wegen dem Asylberechtigten die Einleitung des Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten formlos mitzuteilen.

 

(3) Das Bundesamt kann einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt - wenn auch nicht rechtskräftig - nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.

 

(4) Die Aberkennung nach Abs. 1 Z 1 und 2 ist mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen."

 

Der mit "Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten" betitelte § 6 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

"§ 6 (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn

 

1. und so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;

 

2. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;

 

3. aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, oder

 

4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

 

(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt."

 

Gemäß § 2 Abs. 3 AsylG ist ein Fremder im Sinne dieses Bundesgesetzes straffällig geworden, wenn er wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fällt (Z 1), oder mehr als einmal wegen einer sonstigen vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist rechtskräftig verurteilt worden ist (Z 2).

 

Gemäß Art. 33 Z 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) darf kein vertragsschließender Staat einen Flüchtling in irgendeiner Form in ein Gebiet ausweisen oder zurückweisen, wo sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre.

 

Nach Art. 33 Z 2 GFK kann der Vorteil dieser Bestimmung jedoch von einem Flüchtling dann nicht in Anspruch genommen werden, wenn der Flüchtling aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit seines Aufenthaltslandes darstellt oder der Flüchtling, wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt, eine Gefahr für die Gemeinschaft des betreffenden Landes bedeutet.

 

Die belangte Behörde stützte im gegenständlichen Fall die Aberkennung des dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 30.09.2003 zuerkannten Status des Asylberechtigten auf die Bestimmung des § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 - sohin auf die Bestimmung, dass der Status des Asylberechtigten einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen ist, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt. Konkret stützt sich das Bundesamt auf § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 und darauf, dass der Beschwerdeführer wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt wurde und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeute.

 

Für den vom Bundesamt bei der Sachverhaltsfeststellung zu Spruchpunkt I. angenommenen Fall einer Entscheidung gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 müssen wegen der wörtlich gleichen Voraussetzungen die gleichen Maßstäbe gelten, auf die sich die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes in den bisherigen Vorerkenntnissen zu § 13 Abs. 2 zweiter Fall AsylG 1997 bezogen haben (vgl. dazu VwGH 01.03.2016, Zl. Ra 2015/18/0247, und insbesondere VwGH 21.09.2015, Zl. Ra 2015/19/0130: "vgl. allgemein zu den Kriterien des Asylausschlussgrundes - zu vergleichbarer Rechtslage - die Erkenntnisse vom 6. Oktober 1999, 99/01/0288, vom 3. Dezember 2002, 99/01/0449 und vom 23.September 2009, 2006/01/0626; zum Begriff des "besonders schweren Verbrechens" im Sinne dieser Bestimmung die bereits zitierten Erkenntnisse vom 3. Dezember 2002 und vom 23. September 2009; sowie zum Tatbestandsmerkmal der "Gefahr für die Gemeinschaft" des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 die zur "Gemeingefährlichkeit" ergangene hg. Judikatur, etwa die hg. Erkenntnisse vom 18. Jänner 1995, 94/01/0746, vom 10. Oktober 1996, 95/20/0247 sowie vom 27. September 2005, 2003/01/0517").

 

Wie der Verwaltungsgerichtshof - erstmals - in seinem Erkenntnis vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0288, unter Hinweis auf Art. 33 Z 2 GFK ausgeführt hat, müssen nach "internationaler Literatur und Judikatur" kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Heimat- oder Herkunftsstaat verbracht werden darf. Er muss

 

 

 

 

 

Zur nunmehr anzunehmenden Bedeutung des Begriffs "besonders schweres Verbrechen" verwies der Verwaltungsgerichtshof in dem genannten Erkenntnis auf einschlägige Literatur (Kälin, Grundriss des Asylverfahrens, [1990] S 227 ff. und Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, [1999] Rz 455), wonach "typischerweise schwere Verbrechen" "etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen" seien. Es müsse sich um Straftaten handeln, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Allerdings genüge es nicht, wenn ein abstrakt als "schwer" einzustufendes Delikt verübt worden sei. Die Tat müsse sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen. Unter anderem sei auf Milderungsgründe Bedacht zu nehmen und der Entscheidung eine Zukunftsprognose zugrunde zu legen (so auch die Judikatur des VwGH zu § 13 Abs. 2 AsylG 1997, der Vorgängerregelung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005, VwGH 03.12.2002, 99/01/0449; 27.04.2006, 2003/20/0050; 05.10.2007, 2007/20/0416). Andererseits setze die Entscheidung eine Güterabwägung, ob die Interessen des Zufluchtsstaates jene des Flüchtlings überwiegen, voraus (VwGH 15.12.2006, 2006/19/0299; 05.10.2007, 2007/20/0416).

 

Im Erkenntnis vom 03.12.2002, 99/01/0449, führte der Verwaltungsgerichtshof zur Frage, wann ein "typischerweise schweres Verbrechen" ausreichend sei, um "besonders schwer" zu sein, "illustrativ" an, dass in der Bundesrepublik Deutschland etwa für den auf Art. 33 Abs. 2 zweiter Fall GFK bezogenen Tatbestand in § 51 Abs. 3 dAuslG das Erfordernis einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren normiert worden sei.

 

In der Regierungsvorlage zu § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 (RV 952 BlgNR 22. GP , 36), auf welchen § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 verweist, wurde erläuternd Folgendes ausgeführt:

 

"Die Z 3 und 4 des Abs. 1 entsprechen inhaltlich dem bisherigen § 13 Abs. 2 AsylG. Unter den Begriff ‚besonders schweres Verbrechen' fallen nach Kälin, Grundriss des Asylverfahrens (1990), S 182 und 228 (ua. mit Hinweis auf den UNHCR) und Rohrböck, (Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999) Rz 455, mit weiteren Hinweisen auf die internationale Lehre), nach herrschender Lehre des Völkerrechts nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen (vgl. VwGH 10.06.1999, 99/01/0288). Zu denken wäre aber auch - auf Grund der Gefährlichkeit und Verwerflichkeit - an besondere Formen der Schlepperei, bei der es zu einer erheblichen Gefährdung, nicht unbedeutenden Verletzung oder gar Tötung oder während der es zu erheblichen mit Folter vergleichbaren Eingriffen in die Rechte der Geschleppten kommt. Die aktuelle Judikatur in Österreich, wie in anderen Mitgliedstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention, verdeutlicht, dass der aus dem Jahre 1951 stammende Begriff des ‚besonders schweren Verbrechens' des Art. 33 Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention einer Anpassung an sich ändernde gesellschaftliche Normenvorstellungen zugänglich ist."

 

Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des zuständigen Landesgerichts für Strafsachen vom 19.09.2016 (rechtskräftig am 23.09.2016) gemäß §§ 127, 128, 129, 130 StGB § 15 StGB zu verurteilen war und am 30.03.2017, rechtskräftig am 04.04.2017, erneut wegen § 127 StGB verurteilt wurde.

 

Unbestritten ist weiters, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des zuständigen Landesgerichts für Strafsachen vom 16.05.2018 (rechtskräftig am 09.10.2018) wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung gemäß § 278a, 278 (3), 278d (1a), 278b

(2) StGB sowie §§ 146, 147 (2) StGB rechtskräftig verurteilt wurde.

 

Die Frage, ob die bloße Mitgliedschaft in einer Terrororganisation ohne Beteiligung an terroristischen Akten bereits einen Asylausschlussgrund bzw. -aberkennungsgrund darstellt (VwGH 17.02.2015, Ra 2014/01/0172; 21.04.2015, Ra 2014/01/0154; EuGH 09.11.2010, C-57/09 und C-101/09 , Rs. Bundesrepublik Deutschland gegen B und D).

 

Die vom Beschwerdeführer begangenen Verbrechen erweisen sich vor dem Hintergrund der oben zitierten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und der genannten erläuternden Bemerkungen als besonders schwere Verbrechen. Sie erweisen sich einerseits als objektiv besonders schwerwiegend, weil sich der Beschwerdeführer ohne erkennbaren Anlass, sondern offensichtlich allein wegen seines fundamentalistischen Verständnisses dazu entschloss, für den IS einzutreten und IS-Anhänger - wobei es sich hierbei um seine Freunde handelt, bei denen er auch wohnte - dabei unterstützte von Österreich nach Syrien zu gelangen, die dort für den IS kämpfen. Er versuchte dabei deren Aufenthalt in Syrien zu decken, indem er beim Arzt Medikamente holte und vor den Behörden sich als einer der nach Syrien gereisten ausgab, und sogar in dessen Namen und mit falscher Identität Notstandshilfe anforderte. Der Beschwerdeführer ist Besucher einer dieser Ideologie ausgerichteten Moscheen und lässt sein Verhalten den eindeutigen Schluss zu, die Ideologie des IS zu teilen und die Bereitschaft diese Organisation zu unterstützten und zu decken. Er unterstützte und half dabei seinem Freund nach Syrien zu fahren, um sich dort dem IS und dessen Kampf anzuschließen.

 

Auch subjektiv erweisen sich die Verbrechen des Beschwerdeführers als besonders schwerwiegend, da der Beschwerdeführer bereits in den Jahren 2016, 2017 straffällig wurde und zuletzt im Oktober 2018 straffällig wurde. Das bereits zuvor erlebte Haftübel konnte ihn sohin nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten. Auf Grund der strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers für diese Taten und den dort getroffenen Feststellungen zu subjektiven Tatseite ist dem vom Asylgesetz verlangten Beweismaßstab (VwGH 21.04.2015, Ra 2014/01/0154; 17.02.2015, Ra 2014/01/0172) im Übrigen Rechnung getragen.

 

Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0288, zu den weiteren Voraussetzungen ausgeführt hat, dürfen nur gemeingefährliche Straftäter in den Heimat- oder Herkunftsstaat verbracht werden. Bestehe für das zukünftige Verhalten des Täters eine günstige Prognose, dürfe § 13 Abs. 2 AsylG (im gegenständlichen Fall § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005) im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GFK nicht angewendet werden. Für diese zu erstellende Zukunftsprognose (zur Beurteilung der Gemeingefährlichkeit des Straftäters) kommt es auf "das gesamte Verhalten des Antragstellers" an. Demgemäß seien seine Einstellung während der Dauer seines Aufenthaltes gegenüber dem Staat bzw. der Gemeinschaft der in diesem Staat lebenden Bürger und seine in diesem Zeitraum gesetzten Handlungen maßgeblich, welche geeignet wären, das ordentliche und sichere Zusammenleben der Gemeinschaft zu gefährden.

 

Wie bereits oben in der Beweiswürdigung ausgeführt, ergibt sich die Gemeingefährlichkeit des Beschwerdeführers nicht nur aus den seinen Verurteilungen zugrundeliegenden Taten, sondern auch aus dem Umstand, dass den Beschwerdeführer schon nach Begehung seiner ersten Straftaten und der verbüßten Strafhaft, das Haftübel nicht von der Begehung neuer, schwerer Straftaten abhielt, er vielmehr rückfällig wurde.

 

Im Zuge seiner ersten beiden rechtskräftigen Verurteilungen im Jahr 2016 und 2017 beging der Beschwerdeführer Vermögensdelikte. Im Zweitraum von Dezember 2015 bis April 2016 war er als Mitglied einer terroristischen Vereinigung und hat dazu das Verbrechen des schweren Betrugs (§§ 146, 147 StGB) begangen. Er hat die Gebietskrankenkasse und Behörden getäuscht und diese mit Vorsatz widerrechtlich erlangten Vermögenswerten für die Finanzierung des Terrorismus gesammelt und bereitgestellt.

 

Darüber hinaus, gab er im Hinblick auf sein Gerichtsverfahren an:

"Jetzt muss ich mich wegen dem Gericht damit auseinandersetzen. Alle Stress umsonst" (vgl. AS 319). Auch dieses Verhalten zeigt, dass der Beschwerdeführer offensichtlich nicht gewillt ist, sich an Regeln oder die österreichische Rechtsordnung zu halten. Auch die Selbstverantwortung des Beschwerdeführers für seine begangenen Straftaten lässt nicht darauf schließen, dass der Beschwerdeführer nunmehr gewillt ist, sich zukünftig wohl zu verhalten. Die Gemeingefährlichkeit des Beschwerdeführers ergibt sich sohin vor allem aus der Schwere seiner Straffälligkeit und seiner teilweise fehlenden Selbstverantwortung.

 

Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen sind die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten daher auch als subjektiv besonders schwerwiegend im Sinne der obigen Ausführungen anzusehen. Das Bundesverwaltungsgericht kann daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht von einer positiven Zukunftsprognose ausgehen. Die vom Beschwerdeführer gesetzten Handlungen während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet waren daher jedenfalls geeignet, das ordentliche und sichere Zusammenleben der Gemeinschaft zu gefährden, weshalb der Beschwerdeführer in Gesamtbetrachtung der vorliegenden Umstände als gemeingefährlich anzusehen ist.

 

Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten aufgrund des Ausschlussgrundes nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 bedarf nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes weiters einer Güterabwägung, wobei die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den Interessen des (anerkannten) Flüchtlings am (Weiter‑)Bestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat abzuwägen sind. Im Rahmen dieser Güterabwägung sind die Verwerflichkeit des Verbrechens und die potentielle Gefahr für die Allgemeinheit den Schutzinteressen des anerkannten Flüchtlings - beinhaltend das Ausmaß und die Art der ihm im Heimatland drohenden Maßnahmen und Verfolgungen - gegenüberzustellen.

 

Aus den in den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen kann im Falle der Rückkehr des Beschwerdeführers in die Russische Föderation außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus, zB in Moskau, keine asylrelevante Gefährdung festgestellt werden:

 

Dem Beschwerdeführer droht weder auf Grund seines Geschlechts, noch seiner Religionszugehörigkeit oder Volksgruppenzugehörigkeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung außerhalb des Föderationskreises Nordkaukasus. Dem Beschwerdeführer droht auch wegen seines Aussehens keine Gefahr der Verfolgung wegen unterstellter politischer Gesinnung. Dem Beschwerdeführer droht keine Verfolgung aus politischen Gründen oder aus dem Grund der Familienangehörigkeit. Dem Beschwerdeführer droht weder wegen der Asylantragstellung in Österreich (die überdies nicht aus persönlichen Gründen sondern nur aufgrund seiner Familienangehörigeneigenschaft zu seinem Vater erfolgte), noch wegen der Abwesenheit aus der Russischen Föderation Verfolgung.

 

Dem Beschwerdeführer droht in der Russischen Föderation auch keine Verfolgung ("persecution") wegen der Taten, die bereits dem österreichischen Urteil zugrunde lagen. Andere Umstände, auf Grund derer ein Interesse der Russischen Strafverfolgungsbehörden am Beschwerdeführer bestehen könnte, kamen nicht hervor.

 

Dem Beschwerdeführer droht in der Russischen Föderation außerhalb des Föderationskreises Nordkaukasus, insb. außerhalb Tschetscheniens, zB in Moskau, keine Verletzung von Art. 2 oder 3

EMRK:

 

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. Letzteres wurde wiederum durch das Protokoll Nr. 6 beziehungsweise Nr. 13 zur Abschaffung der Todesstrafe hinfällig. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0095).

 

Es obliegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 20.09.2017, Ra 2017/19/0276; EGMR 09.01.2018, Fall X, Appl. 36.417/16, Z 50).

 

Der Beschwerdeführer machte hinsichtlich seiner Rückkehrgefährdung im Wesentlichen geltend, dass rigoros gegen Personen vorgegangen würde, die des Beitrages zum bzw. der Unterstützung des Terrorismus verdächtigt würden.

 

Hinsichtlich dieser Rückkehrbefürchtungen ist, wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt, zwischen der Lage in der Teilrepublik Tschetschenien und im Föderationskreis Nordkaukasus einerseits und der Russischen Föderation im Übrigen andererseits zu unterscheiden (vgl. EGMR 27.02.2014, Fall Zarmayev, Appl. 35/10; vgl. auch 25.03.2014, Fall M.G., Appl. 59.297/12, sowie 04.09.2014, Fall M.V. und M.T., Appl. 17.897/09, betreffend Inguschetien sowie 30.11.2017, Fall X, Appl. 54.646/17, betreffend Dagestan; VwGH 20.09.2017, Ra 2017/19/0276, betreffend Tschetschenien). Wie bereits in der Beweiswürdigung ausführlich ausgeführt, droht dem Beschwerdeführer im Falle der Abschiebung nach Moskau kein reales Risiko der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (EGMR, 30.11.2017, Fall X, Appl. 54.646/17). Auch eine Verurteilung wegen der bereits in Österreich abgeurteilten Sachverhalte wegen terroristischer Straftaten ist in der Russischen Föderation wegen des Doppelverfolgungs- und - bestrafungsverbotes nicht zu befürchten (s. VwGH 26.04.2017, Ra 2017/19/0016

 

Betreffend das 6. und 13. ZPEMRK ist bereits aus dem Grund keine Verletzung des Beschwerdeführers in Rechten zu erwarten, dass den Länderberichten zufolge die Todesstrafe in der Russischen Föderation auf Grund des Moratoriums des Verfassungsgerichts de facto abgeschafft ist.

 

Es sind auch keine Umstände amtsbekannt, dass in der Russischen Föderation aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Wie sich aus den Feststellungen ergibt, ist die Situation in der Russischen Föderation auch nicht dergestalt, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers für diesen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde; in der Russischen Föderation ist aktuell eine Zivilperson nicht alleine aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt.

 

Es ist dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar, sich in einem anderen Teil der Russischen Föderation, zB in Moskau, Rostow oder Stawropol anzusiedeln.

 

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig, spricht neben Tschetschenisch auch Russisch und gut Deutsch. Er kann daher seinen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit bestreiten. Es kann folglich nicht festgestellt werden, dass ihm im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

 

Die Güterabwägung führt sohin zum Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich im Verhältnis zu seinen privaten Interessen am weiteren Aufenthalt in Österreich.

 

Dem Beschwerdeführer steht aus denselben Gründen eine innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 11 AsylG 2005 offen.

 

Somit war in der Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aberkennung des Status des Asylberechtigten, welches aus den oben getroffenen Ausführungen zum strafbaren Verhalten des Beschwerdeführers, der besonderen Schwere und Vorwerfbarkeit desselben und der fehlenden positiven Zukunftsprognose resultiert, gegenüber einem allfälligen individuellen Schutzinteresse des Beschwerdeführers mangels drohender Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr vom Zutreffen der Voraussetzungen insgesamt für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 3 und 4 AsylG 2005 auszugehen. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist daher abzuweisen.

 

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten):

 

Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 mit der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 AsylG 2005 zu verbinden.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich jüngst mit der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum realen Risiko einer drohenden Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK und zur ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im innerstaatlichen Konflikt auseinandergesetzt und diese wie folgt zusammengefasst (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137):

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0053 mwN).

 

Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. etwa VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479 und 23.09.2009, 2007/01/0515 mwN).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein "real risk" (reales Risiko) vorliegt, wenn stichhaltige Gründe ("substantial grounds") dafür sprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in die Heimat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der EGMR in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Risiko iSd Art. 3 EMRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") diese Voraussetzung erfüllt (vgl. etwa EGMR 28.11.2011, Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi gg. Vereinigtes Königreich, RNr. 218 mit Hinweis auf EGMR 17.07.2008, Nr. 25904/07, NA gg. Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (vgl. etwa EGMR Sufi und Elmi, RNr. 217).

 

Thurin (Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung2 [2012] 203) fasst die bezughabenden Aussagen in der Rechtsprechung des EGMR dahingehend zusammen, dass der maßgebliche Unterschied zwischen einem "realen Risiko" und einer "bloßen Möglichkeit" prinzipiell im Vorliegen oder Nichtvorliegen von "special distinguishing features" zu erblicken ist, die auf ein "persönliches" ("personal") und "vorhersehbares" ("foreseeable") Risiko schließen lassen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bestehe nur in sehr extremen Fällen ("most extreme cases"), wenn die allgemeine Lage im Herkunftsstaat so ernst sei, dass praktisch jeder, der dorthin abgeschoben wird, einem realen und unmittelbar drohenden ("real and imminent") Risiko einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sei. Diesfalls sei das reale Risiko bereits durch die extreme allgemeine Gefahrenlage im Zielstaat indiziert.

 

Auch im jüngst ergangenen Urteil der Großen Kammer vom 23.08.2016, Nr. 59166/12, J.K. u.a. gegen Schweden, beschäftigte sich der EGMR mit seiner einschlägigen Rechtsprechung und führte u.a. aus, dass die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person grundsätzlich bei dieser liege (v.a. RNr. 91 und 96), gleichzeitig aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert sei, in Betracht zu ziehen seien und bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von jener anderer Personen im Herkunftsstaat unterscheide (vgl. RNr. 94), im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden sei (RNr. 97). Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat gehe, sei jedoch ein anderer Ansatz heranzuziehen. Diesbezüglich hätten die Asylbehörden vollen Zugang zu den relevanten Informationen und es liege an ihnen, die allgemeine Lage im betreffenden Staat (einschließlich der Schutzfähigkeit der Behörden im Herkunftsstaat) von Amts wegen festzustellen und nachzuweisen (RNr. 98).

 

Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 orientiert sich an Art. 15 lit. c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EG ) und umfasst - wie der Gerichtshof der Europäischen Union erkannt hat - eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführgen des EuGH, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachtend, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07 , Elgafaji, und vom 30.01.2014, C-285/12 , Diakité).

 

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH vom 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

 

Darüber hinaus ist auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte zu verweisen, wonach es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 05.10.2016, Ra 2016/19/0158 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Nr. 61204/09 und mwH).

 

Dies ist dem Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht gelungen:

 

Dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. diesbezüglich auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, 2003/01/0059, zur dargestellten "Schwelle" des Art. 3 EMRK), kann im Beschwerdefall nicht angenommen werden. Wie bereits oben ausgeführt, droht dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus mit der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Wahrscheinlichkeit weder eine Gefährdungssituation im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005, noch stehen "außergewöhnliche Umstände" der Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat außerhalb des Föderationskreises Nordkaukasus, insb. Tschetscheniens, entgegen, noch droht ihm dort eine Verfolgung iSd § 3 AsylG 2005.

 

Irgendein besonderes "real risk", dass es durch die Rückführung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde, kann nicht erkannt werden, außergewöhnliche Umstände im Sinne der Judikatur des EGMR, die gegen eine Abschiebung in die Russische Föderation außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus sprechen würden, sind nicht erkennbar. Der Beschwerdeführer verfügt außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus, zB in Moskau, Rostow oder Stawropol, über eine innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 11 Abs. 1 AsylG 2005.

 

Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer jung, gesund und arbeitsfähig. Er beherrscht die russische Sprache und verfügt über Verwandte in Tschetschenien, die ihn - ebenso wie seine Eltern aus Österreich - zumindest anfänglich finanziell unterstützen können. Es ist dem Beschwerdeführer jedenfalls zumutbar, in der tschetschenischen Diaspora etwa in Moskau, Rostow oder Stawropol Fuß zu fassen, die Russische Sprache besser zu erlernen und - mitunter auch durch Verwertung seiner guten Deutschkenntnisse - einen Arbeitsplatz zu finden.

 

Im Hinblick auf die gegebenen Umstände kann daher ein "reales Risiko" einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erkannt werden und ist daher die Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunkts II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 abzuweisen.

 

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt III. bis V. des angefochtenen Bescheides (Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz, Rückkehrentscheidung, Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation):

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt und kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt wird.

 

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige. Gemäß § 52 Abs. 9 AsylG 2005 hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

 

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der Beschwerdeführer ein Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

 

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - folgende Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423):

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern zB auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

 

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration ist erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwH).

 

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch kann in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, Solomon v. Niederlande, Appl. 44328/98; EGMR 09.10.2003, Slivenko v. Lettland, Appl. 48321/99; EGMR 22.04.2004, Radovanovic v. Österreich, Appl. 42703/98; EGMR 31.01.2006, da Silva und Hoogkamer

  1. v. Niederlande, Appl. 50435/99; EGMR 31.07.2008, Darren Omoregie ua
  2. v. Norwegen, Appl. 265/07).

 

Was einen allfälligen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers betrifft, ist Folgendes festzuhalten:

 

Im vorliegenden Fall ist - nicht zuletzt wegen der Aufenthaltsdauer und dem Vorhandensein von Eltern und Geschwistern - von einem bestehenden Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich auszugehen. Die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung fällt nach Ansicht der zuständigen Richterin des Bundesverwaltungsgerichts in Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das die Interessenabwägung mängelfrei vorgenommen hat, jedoch zu Lasten des Beschwerdeführers aus und stellt die Rückkehrentscheidung jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK dar.

 

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über seine Eltern und seine drei Geschwister. Die Eltern des Beschwerdeführers sind laut seiner eigenen Angaben getrennt. Er hat keinen Kontakt zu seinem Vater und hat vor seiner Inhaftierung im Dezember 2018 bei seiner Mutter bzw. Schwester gelegentlich übernachtet, wobei er vermehrt bei Freunden untergekommen ist, was auch aus Auszuge aus dem ZMR hervorgeht. In Anbetracht des Umstandes, dass der Beschwerdeführer die Beziehung zu seiner Kernfamilie in den letzten Jahren nur über gelegentliche Besuche aufrechterhalt erhielt, erscheint dessen Familienleben als erheblich herabgesetzt. Auch ist weder die Familie des Beschwerdeführers von diesem abhängig, noch steht der Beschwerdeführer zu seiner Familie in einem Abhängigkeitsverhältnis. Ein ungerechtfertigter Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers kann unter diesen Umständen nicht erkannt werden.

 

Darüber hinaus wurde seiner Kernfamilie, Eltern und minderjährigen Geschwistern, der Status der Asylberechtigten am 27.04.2018 ebenfalls aberkannt. Somit steht es den - nicht mehr asylberechtigten sondern zum dauerhaften Aufenthalt und damit zu Reisen in die Russische Föderation berechtigten - Eltern und minderjährigen Geschwistern des Beschwerdeführers frei, diesen in der Russischen Föderation zu besuchen. Da der derzeitige Kontakt zu seiner Familie aufgrund der Haft nur durch Besuche gelebt werden kann, erscheint es dem Beschwerdeführer zumutbar, den Kontakt - abgesehen von Besuchen seitens seiner Familie in Russland - durch elektronische Medien, Briefe und Telefon aufrecht zu erhalten. Der Kontakt zu seiner volljährigen Schwester, der der Asylstatus nicht aberkannt wurde und die einen Konventionsreisepass innehat, könnte gegebenenfalls durch Besuche/Treffen etwa in Drittländern (Weißrussland) stattfinden.

 

Der Beschwerdeführer war bisher infolge seines Status als Asylberechtigter legal in Österreich aufhältig; er hält sich durchgehend seit Mai 2003, sohin über 15 Jahre, in Österreich auf, weswegen er über ein Privatleben in Österreich iSd Art. 8 EMRK verfügt. Der Eingriff in sein Privatleben ist jedoch gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK iVm § 9 BFA-VG verhältnismäßig, hat der Beschwerdeführer doch eine einjährige Ausbildung im Herkunftsstaat erfahren, er kennt unverändert die dortigen Lebensgewohnheiten, spricht die Landessprache und verkehrt auch im Bundesgebiet mit Personen aus dem Tschetschenischen/kaukasischen Kulturkreis.

 

Zu Gunsten des Beschwerdeführers ist neben der Dauer seines Aufenthalts in Österreich zu würdigen, dass er bereits mit neun Jahren in das österreichische Bundesgebiet einreiste, und prägende Jahre seiner Persönlichkeitsentwicklung in Österreich erfuhr und hier volljährige wurde. Weiters spricht er die deutsche Sprache sehr gut und besuchte in Österreich die Volks- und Hauptschule. Der Beschwerdeführer begann eine Lehre, die er nicht abschloss und arbeitete vorübergehend in einer Werkstatt.

 

All dies wird jedoch durch die - nahezu seit seiner Strafmündigkeit bestehende -kontinuierliche Straffälligkeit des Beschwerdeführers in Österreich relativiert. Die Fortsetzung seines Aufenthaltes stellt nicht zuletzt mit der Verurteilung wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation (§278a), der terroristischen Vereinigung gemäß § 278b Abs. 2 StGB, des Vergehens des schweren Betruges (§§ 146,147 StGB) und des Verbrechens der Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) nunmehr eine besondere Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Wie bereits oben ausgeführt, bildet das vom Beschwerdeführer zuletzt begangene Delikt unter den oben dargelegten vorliegenden Umständen des Einzelfalles eine besonders schwere Straftat und ist davon auszugehen, dass seitens des Beschwerdeführers nach wie vor eine Gefahr für die Gemeinschaft ausgeht und er dadurch eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit darstellt.

 

Die zuständige Richterin übersieht nicht, dass der Beschwerdeführer die Russische Föderation bereits vor über 15 Jahren verlassen hat und einen großen Teil seines Lebens in Österreich verbrachte. Dennoch steht all dies vor dem Hintergrund der massiven Straffälligkeit des Beschwerdeführers einer Rückkehrentscheidung nicht entgegen. Diesbezüglich ist insbesondere auf die Entscheidung des EGMR zu verweisen, in welcher dieser keine Verletzung der in Art. 8 EMRK geschützten Rechte durch die Ausweisung eines Fremden erblickt hat, der sich seit seiner Geburt im Aufenthaltsstaat aufgehalten hatte, in weiterer Folge aber wegen schwerer Gewaltverbrechen (die er zum Teil vor, zum Teil nach Erreichung der Volljährigkeit begangen hat) verurteilt wurde. Dass er nach der letzten Verurteilung nicht wieder straffällig geworden ist, sei darauf zurückzuführen, dass er sich derzeit in Haft befindet. Zudem beherrsche er auch die Sprache seines Heimatstaates, wo auch Verwandte von ihm leben (Mutlag gg. Deutschland, 25.03.2010, 40.601/05, Rz 55 ff.). Wenn sogar die Ausweisung eines wiederholt straffällig gewordenen Fremden, der sich seit seiner Geburt im Aufenthaltsstaat aufgehalten hat, iSd Art. 8 EMRK gerechtfertigt ist, so muss dies umso mehr für den Fall des Beschwerdeführers gelten, der mehr seine ersten neun Lebensjahre in seinem Herkunftsstaat verbracht hat und mit der Russischen Sprache vertraut ist.

 

In diesem Zusammenhang wird auch auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 23.03.1995, Zl. 95/18/0061, verwiesen, in welchen der VwGH ausdrücklich ausgeführt hat, dass das wiederholte Fehlverhalten des Fremden (im damals vom VwGH beurteilten Verfahren waren dies die Delikte des Einbruchsdiebstahles und der Hehlerei) eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit bewirkt und derart schwerwiegend ist, dass auch die stark ausgeprägten privaten und familiären Interessen des Fremden, der mit seiner Familie, Gattin und Kindern, seit fünfzehn Jahren in Österreich lebte, zurücktreten müssen (vgl. auch VwGH 08.02.1996, 95/18/0009).

 

Der Beschwerdeführer verfügt über Verwandte im Herkunftsstaat. Auch wenn der Beschwerdeführer somit bereits mehr als 15 Jahre in Österreich verbracht hat, ist nicht davon auszugehen, dass er seinem Herkunftsstaat und den dort herrschenden Gepflogenheiten und Lebensumständen derart entrückt und entfremdet wäre, dass ihm eine Rückkehr und Wiedereingliederung in die russische Gesellschaft mithilfe der Freunde seiner Angehörigen unzumutbar und unmöglich wäre. Vielmehr ist davon auszugehen, dass dem gesunden und arbeitsfähigen Beschwerdeführer, der auch Staatsangehöriger der Russischen Föderation ist, mit Hilfe der im Herkunftsstaat nach wie vor bestehenden Kontakte eine Reintegration in seinen Herkunftsstaat möglich sein wird.

 

Es überwiegen daher - trotz Vorliegens eines Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers - aufgrund der genannten Umstände in einer Gesamtabwägung eindeutig die öffentlichen Interessen an der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie auch der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung und an einer Aufenthaltsbeendigung gegenüber jenen des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet, zumal die weitgehende Unbescholtenheit als wichtiges Element für die Annahme sozialer Integration gilt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 859).

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seinen persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

Die Erlassung der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist daher ebenfalls nicht geboten.

 

Die Voraussetzungen des § 10 AsylG 2005 liegen vor: Da dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt, ist die Rückkehrentscheidungen gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 zu erlassen. Es ist auch - wie bereits ausgeführt - kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen.

 

§ 52 Abs. 2 Z 3 FPG setzt weiters voraus, dass kein Fall der § 8 Abs. 3a oder § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Wie oben bereits ausgeführt, liegen keine Umstände vor, die die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erfordern würden, weswegen weder Fälle des § 8 Abs. 3a noch des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegen.

 

Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in einen bestimmten Staat zulässig ist.

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative.

 

Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht gegenständlich nicht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist gegeben, da den dieser Entscheidung zugrundeliegenden Feststellungen zufolge keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.

 

Da somit alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung vorliegen, ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des o.a. Bescheides als unbegründet abzuweisen.

 

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides (Einreiseverbot):

 

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG kann mit einer Rückkehrentscheidung vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

 

Gemäß § 53 Abs. 3 FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist (Z 1) oder auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB) (Z 6) oder der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt (Z9).

 

Gemäß § 53 Abs. 4 FPG beginnt die Frist des Einreiseverbotes mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

 

Bei der für ein Einreiseverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289; 24.03.2015, Ra 2014/21/0049).

 

Bei der Entscheidung betreffend die Verhängung eines Einreiseverbots ist - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Fremden - darauf abzustellen, wie lange die vom Fremden ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237).

 

Weiters ist bei der Entscheidung über die Dauer des Einreiseverbots auch auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0002; vgl. auch Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 53 FPG, K12).

 

Schließlich darf bei der Verhängung eines Einreiseverbots das Ausschöpfen der vorgesehenen Höchstfristen nicht regelmäßig schon dann erfolgen, wenn einer der Fälle des § 53 Abs. 2 Z 1 bis 9 bzw. des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 FPG vorliegt (vgl. etwa VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0002 mwH).

 

Die Tatbestände gemäß § 53 Abs. 3 Z 6 und Z 9 FPG sind infolge der dreimaligen strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers, zuletzt wegen des Verbrechens ua. der terroristischen Vereinigung gemäß § 278b Abs. 2 StGB unbestrittenermaßen erfüllt. Die Erfüllung dieser Tatbestände indiziert bereits gemäß § 53 Abs. 3 FPG das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit.

 

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich auch in diesem Zusammenhang den Ausführungen der belangten Behörde an.

 

Wie bereits oben ausführlich dargelegt, wiegt das vom Beschwerdeführer gesetzte Fehlverhalten schwer, da sich aus seinem Verhalten eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich manifestiert. Für den Beschwerdeführer scheinen im österreichischen Strafregister die genannten Verurteilungen im Sinne des § 53 Abs. 3 Z 6 nämlich: das Verbrechen der kriminellen Organisation (§ 278a StGB), einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) auf. Auch der in der Z 9 des § 53 FPG angeführte Tatbestand wurde seitens des Beschwerdeführer verwirklicht. Er hat ein Naheverhältnis zu einer terroristischen Gruppierung. Schon im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit des Verbrechens der terroristischen Vereinigung, durch welche nicht bloß die Interessen Einzelner, sondern vielmehr einer großen Anzahl an Menschen und nicht zuletzt der gesamten Republik erheblich gefährdet werden, ist die Erlassung eines Einreiseverbotes auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden dringend geboten, weil das maßgebliche öffentliche Interesse in diesen Fällen unverhältnismäßig schwerer wiegt, als das gegenläufige private Interesse des Fremden.

 

Vor dem Hintergrund seines bisherigen strafrechtswidrigen Verhaltens beeinträchtigt der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ein Grundinteresse der Gesellschaft, nämlich jenes an Ruhe und an Sicherheit für die Person.

 

Aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens ist unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten, davon auszugehen, dass die im Gesetz umschriebene Annahme, dass der Beschwerdeführer eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, gerechtfertigt ist.

 

Bei der Bemessung des Einreiseverbotes, kann sich die Behörde nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen zurückziehen, sondern ist insbesondere auch die Intensität der privaten und familiären Bindungen zu Österreich einzubeziehen (VwgH 7.11.2012, 2012/18/0057).

 

Wie bereits zur Frage der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ausführlich geprüft und festgestellt, sind die familiären und privaten Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in Österreich nicht dergestalt, dass sie einen Verbleib in Österreich rechtfertigen würden. Die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verletzt im gegenständlichen Fall nicht die in Art. 8 EMRK geschützten Rechte. Es muss daher unter Berücksichtigung des in § 53 Abs. 3 FPG genannten Tatbestandes ebenso davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit dem persönlichen Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich überwiegt, doch angesichts der beschriebenen Uneinsichtigkeit von einer Tatwiederholung realistischerweise auszugehen. Da der Beschwerdeführer ein Haftübel von annähernd drei Jahren zu erleiden hat, scheint auch nicht unrealistisch zu sein, dass der Beschwerdeführer gegenüber dem Staat Österreich negative Gefühle entgegenbringt, was bei dem bisherigen Verhalten eine zusätzliche Gefährdung der Öffentlichkeit durch Terrorismus geradezu indiziert. Sein diesbezügliches Unverständnis bekundete er dezidiert in seiner Einvernahme. Neben dem Versuch seine Taten zu verharmlosen, gab er im Hinblick auf sein verwirklichtes Verbrechen der Terrorismusfinanzierung an: "Jetzt muss ich mich wegen dem Gericht damit auseinandersetzen. Alles Stress umsonst" (vgl. AS 319). Zudem erklärte er, dass er lediglich einem Freund helfen habe wollen. Diesbezüglich ist in Erinnerung zu rufen, dass das der Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit nach §278b Abs. 2 und Abs. 3 StGB am spezifischen Zweck des vom Täter unterstützten Personenzusammenschlusses, nämlich der Ausführung solcher Taten im Sinne des § 278c Abs. 1 StGB gerichtet ist. Demnach hat der Beschwerdeführer eine kriminelle Organisation unterstützt und sich beteiligt, die darauf, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld oder Suchtmitteln ausgerichtet ist, die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang anstrebt und die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen sucht, unterstützt.

 

Der Gefährdung- und Zerstörungsgrad der vom Beschwerdeführer geförderten Terrororganisation ist exorbitant. Es kann daher der belangten Behörde nicht vorgeworfen werden, wenn sie im vorliegenden Fall von einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausging, welche die Anordnung eines Einreiseverbotes erforderlich macht.

 

Das von der belangten Behörde angeordnete Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 FPG, auch Z 9 FPG ist erfüllt, erweist sich somit dem Grunde nach als gerechtfertigt, weshalb eine gänzliche Aufhebung, aber auch eine Reduzierung des Einreiseverbotes nicht in Betracht kommt.

 

Im gegenständlichen Fall erweist sich die von der belangten Behörde verhängte unbefristete Dauer des Einreiseverbotes als angemessen.

Dies aus folgenden Erwägungen:

 

Wie oben bereits zitiert, verlangt die Judikatur bei der Verhängung eines Einreiseverbots - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Fremden - eine Abwägung, wie lange die vom Fremden ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237).

 

Dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist nicht entgegenzutreten, wenn dieses anführt, dass angesichts der oben ausführlich dargelegten Verurteilungen bzw. des diesen Verurteilungen zugrundeliegende Fehlverhaltens des Beschwerdeführers die Tatbestandsvoraussetzungen des § 53 Abs. 6 Z 9 FPG erfüllt und dieses Verhalten eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt.

 

Im gegenständlichen Fall wird die Gefahrenprognose noch zusätzlich durch die wiederholte Begehung von strafbaren Handlungen, durch den mehrfachen Rückfall und die Steigerung des Fehlverhaltens und durch die Begehung weiterer Straftaten trotz bereits erfolgter Verurteilung und Inhaftierung gestützt.

 

Auch hat der Beschwerdeführer keine Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensausübung durch das Bundesamt nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt wäre. So hat sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Erlassung des unbefristeten Einreiseverbotes auf die gesetzlichen Bestimmungen, wonach im Fall der Verwirklichung des Verbrechens der kriminellen Organisation (§ 278a StGB), einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) und der Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) und gemäß Z9 ein Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, gestützt.

 

Sofern der Beschwerdeführer vorbringt nach der Strafhaft ein "normales" Leben führen zu wollen, so ist zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer dazu bereits in der Vergangenheit die Möglichkeit dazu gehabt hätte. So hätte er bereits nach seiner ersten rechtskräftigen Verurteilung, dem verspürten Haftübel, zur Einsicht gelangen können sein Leben zu ändern. Auch wenn nicht verkannt wird, dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit durchaus positive Schritte gesetzt hat und seine Zukunft vielversprechend begonnen hat, so ist wie auch in der Beschwerde moniert, dieses Verhalten in den Jahren 2011 bis 2013 zu verorten, von dem zum gegenwärtigen Zeitpunkt und seinem in der Zwischenzeit gesetzten Verhalten nicht mehr ausgegangen werden kann.

 

Somit kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine positive Zukunftsprognose für den Beschwerdeführer abgegeben werden und ist überhaupt nicht ersichtlich, dass etwa nach einem gewissen Zeitraum der Beschwerdeführer seine grundsätzliche Haltung gegenüber terroristischen Organisationen und sein gesamtes fundamentalistisches Weltbild geändert hätte, zumal er den Unrechtsgehalt seiner Tat gar nicht einsieht. Zudem gab er in der Einvernahme im Oktober 2018, zwei Monate bevor er wieder inhaftiert wurde an: "Seit ich aus dem Gefängnis gekommen bin, habe ich eh nicht mehr gemacht. Und ich wie, dass ich nichts mehr machen werde" (vgl. AS 320). Neben dem Umstand, dass der Beschwerdeführer folglich sehr wohl verurteilt wurde, befindet er sich seit 13.12.2018 in Haft. Vielmehr untermauert es die Sicht des erkennenden Gerichtes, dass der Beschwerdeführer kein Unrecht in seinen Taten sieht und kann aus dem Gesamtverhalten des Beschwerdeführers, seinen strafrechtlichen Verhalten, den daraus resultierenden Verurteilungen und seine Sicht und Verharmlosung seiner Taten keine positive Zukunftsprognose diagnostiziert werden.

 

Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer auch durch seine Aussagen im Zuge der Einvernahme klar zum Ausdruck brachte, die österreichische Rechtsordnung nicht zu akzeptieren. So gab er an: "Sollte ich abgeschoben werden, werde ich auch sicherlich zurückkehren" (vgl. AS 316). Demnach ist der Beschwerdeführer offenbar nicht gewillt das österreichische Fremdenrecht zu akzeptieren.

 

Daraus folgt, dass das vom Bundesamt verhängte unbefristete Einreiseverbot gerechtfertigt und notwendig ist, um die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr und somit eine Wiederholung der dargelegten strafbaren Handlungen zu verhindern.

 

Angesichts seines schwerwiegenden Fehlverhaltens besteht für das Bundesverwaltungsgericht keine Veranlassung, das vom Bundesamt festgesetzte unbefristete Einreiseverbot abzuändern und kann sohin die Erlassung des unbefristeten Einreiseverbotes angesichts der Gefährlichkeitsprognose und der Interessensabwägung nicht als rechtswidrig erachtet werden.

 

Unter diesen Prämissen ist die von der belangten Behörde verhängte unbefristete Dauer des Einreiseverbotes nicht zu hoch angesetzt.

 

Anzumerken ist, dass nach § 59 Abs. 4 FPG der Eintritt der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben ist. Erst mit der Ausreise (Abschiebung) beginnt aber die Frist des Einreiseverbotes (vgl. § 53 Abs. 4 FPG), für deren Dauer dem Revisionswerber (grundsätzlich) die Einreise und der Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten untersagt ist (vgl. VwGH Ra 2015/21/0054 24.06.2015). Da die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot daher bis 02.10.2018 keine Wirksamkeit entfalten konnten, war die beantragte Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht zu ziehen.

 

Zum Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung:

 

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß Abs. 2 leg. cit. kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes-oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

 

Im vorliegenden Fall ist zunächst darauf zu verweisen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein ordnungsgemäßes und mängelfreies Ermittlungsverfahren durchgeführt hat. Sämtliche Elemente zur Beurteilung des verfahrensgegenständlichen Sachverhaltes sind zweifelsfrei und lückenlos ohne weitere Ermittlungen tätigen zu müssen dem Akt des Bundesamtes zu entnehmen. Weiters sind auch sämtliche abzuklärende Fragen umfassend aus den bisher vor dem Bundesamt dargelegten Ausführungen des Beschwerdeführers und aus dem Verwaltungsakt ableitbar.

 

Der Verwaltungsgerichtshof stellte in einem Fall, in welchem der Drittstaatsangehörige während seines fünfjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet zwei strafgerichtliche Verurteilungen aufwies, fest, dass vor diesem Hintergrund weder die behaupteten integrationsverstärkenden Gesichtspunkte noch die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks zu einem anderen Ergebnis der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessensabwägung hätte führen können. Das Bundesverwaltungsgericht durfte daher davon ausgehen, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt war (vgl. VwGH vom 12.11.2015, Ra 2015/21/0184).

 

Weiters äußerte der Verfassungsgerichtshof vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR (zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung) keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Vorgängerbestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG (§ 41 Abs. 7 AsylG) und stellte dazu klar: "Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist, steht in Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde." (vgl. VfGH vom 14.03.2012, U 466/11).

 

Eine Verhandlung im gegenständlichen Beschwerdeverfahren hält das Bundesverwaltungsgericht eine Solche gemäß § 24 VwGVG aufgrund der klaren Aktenlage für erforderlich. Daher konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG Abstand genommen werden, da der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt ist und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Aufgrund der Schwere des vom Beschwerdeführer verübten Verbrechens hätte auch die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks nicht zu einem anderen Ergebnis geführt, da insbesondere die Schwere der, der Verurteilung zugrunde liegenden Straftat, ein allfälliger positiver persönlicher Eindruck nicht hätte überwiegen können. Auch war weder der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig. Rechtlich relevante und zulässige Neuerungen wurden in der Beschwerde nicht vorgetragen. Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S 389, entgegen.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

 

Soweit die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist sie ist jedoch nach Ansicht der zuständigen Richterin auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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