BVwG L512 2141962-1

BVwGL512 2141962-129.10.2018

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:L512.2141962.1.00

 

Spruch:

L512 2141959-1/16E

 

L512 2141962-1/11E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

1.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marlene JUNGWIRT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. der Republik Irak, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 10.11.2016, Zl. XXXX, nach Durchführung mündlicher Verhandlung am 23.10.2017, 06.11.2017, zu Recht erkannt:

 

A) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides

wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

2.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marlene JUNGWIRT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. der Republik Irak, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 10.11.2016, Zl. XXXX, nach Durchführung mündlicher Verhandlung am 23.10.2017, 06.11.2017zu Recht erkannt:

 

A) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides

wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

I.1. Die Beschwerdeführerin 1 (in weiterer Folge kurz als "BF1" bezeichnet), eine Staatsangehörige der Republik Irak (in weiterer Folge "Irak" genannt), reiste zusammen mit ihrer Tochter (in weiterer Folge kurz als "BF2" bezeichnet), illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte für sich und ihre minderjährige Tochter am 16.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der BF1 am 16.09.2015 Folgendes vor: Sie sei traditionell und standesamtlich verheiratet, Muslimin/Sunnitin und gehöre der arabischen Volksgruppe an. Sie habe 12 Jahre die Grundschule und 5 Jahre lang eine Universität besucht. Zuletzt sei sie Lehrerin gewesen. Sie habe am XXXX legal den Irak verlassen.

 

Zum Fluchtgrund befragt gab die BF1 an, seitdem ihr Mann vor der ISIS geflüchtet sei, habe sie Probleme mit denen, da sie kein Kopftuch tragen würde und weil sie Lehrerin sei. Sie sei mehrmals bedroht worden. Beim letzten Mal hätten sie neben ihren Fuß in den Boden geschossen. Sie hätten gesagt, wenn der Mann nicht zurückkomme, dann würden sie kommen und die BF2 mitnehmen. Seitdem habe die BF1 Angst um sich und ihr Kind. Deshalb habe sie beschlossen zu flüchten. Bei einer Rückkehr in die Heimat würde die BF1 befürchten getötet zu werden [Aktenseite (AS) 1 ff.].

 

In weiterer Folge wurden die Verfahren der BF1 und der BF2 zugelassen.

 

I.2. Vor einem Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge kurz "BFA") brachte der BF1 am 03.11.2016 im Wesentlichen Folgendes vor:

 

Sie habe bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht. Es sei alles rückübersetzt und korrekt protokolliert worden.

 

Zum Ausreisegrund gab die BF1 an, sie sei nach der Bedrohung ihres Mannes von bewaffneten Gruppen ihrer Arbeit nachgegangen. Sie habe kein Kopftuch getragen. Im XXXX habe ihr die Schuldirektorin ein Kuvert gegeben. Darin seien eine Patrone und ein Drohbrief gewesen, indem die BF1 aufgefordert wurde, Englisch nicht mehr zu unterrichten, weil dies die Sprache der Ungläubigen sei. Sie hätten von der BF1 verlangt eine Gesichtsbedeckung zu tragen, anderenfalls würden sie die BF1 und ihre Familie töten. Sie habe Angst bekommen und sei auch nicht informiert gewesen, dass ihr Mann auch bedroht worden wäre. Sie sei daraufhin zu ihren Schwiegereltern gegangen. Dies deshalb, da ihr Vater Lungenkrebs hatte. Sie sei deshalb immer wieder vom Haus ihrer Schwiegereltern zum Haus ihrer Eltern hin und her gegangen, bis ihr Vater am XXXX verstorben sei. Nach der Trauerfeier sei sie bei ihrer Mutter geblieben.

 

Ihr Mann sei nach Hause gekommen und habe seinen Vater angerufen und mitgeteilt, dass ein Sprengsatz mit Chlorgas explodiert sei und der Sohn der BF1 Chlorgas eingeatmet habe. Sie sei dann mit ihrer Tochter zu ihren Schwiegereltern gezogen. Es sei dort eine bewaffnete Gruppe, mit Ausweiskarten der Armee, ins Haus gekommen. Die BF1, die Großeltern des Ehemannes der BF1, die BF2 und die Bedienerin seien zu Hause gewesen. Die BF1 sei mit dem Tode bedroht worden und geschlagen worden. Sie habe 6 Personen, alle mit Pistolen mit Schalldämpfer gesehen. Diese hätten nach dem Ehemann und dem Sohn der BF 1 gefragt. Die BF1 habe gesagt, sie wisse nicht wo sich die beiden nach der Explosion befinden würden. Die Männer hätten zur BF1 gesagt, sie würden die BF1 verfolgen und beobachten, wo sie sei. Die BF1 habe daraufhin, lange Zeit das Haus nicht verlassen. Die Nachbarn hätten die Polizei verständigt, die nach den Angreifern - Aussehen und Bewaffnung - fragten. Drei Monate später sei der Schwiegervater der BF1 von der Polizei angerufen worden und sei ihm mitgeteilt worden, dass eine Gruppe verhaftet worden sei, die als Täter in Frage kommen würden. Im Juli 2015 habe die BF1 vier Täter identifiziert. Die Polizisten hätten untereinander erzählt, dass diese Männer Banditen seien und bei der Polizei beschäftigt waren. Im XXXX sei ein Lokalaugenschein seitens der Polizei durchgeführt worden. Am nächsten Tag habe die BF1 gesehen, dass die Tür aufgebrochen war und zwei von den sechs Personen das Haus betraten haben. Einer habe die Hände der BF2 gefesselt und die Augen und den Mund verbunden. Sie hätten die Pistole an den Kopf der BF2 gehalten und hätten neben der BF2 auf den Boden geschossen. Der Zweite hätte die BF1 vergewaltigt. Sie hätten zur BF1 gesagt, wenn sie nicht sagen würde, wo ihr Mann und ihr Sohn sei, würden sie die BF1 töten und ihre Tochter entführen. Sie habe mit ihrem Schwiegervater gesprochen und habe beschlossen das Land zu verlassen (AS 91 ff.).

 

I.3. Die gegenständlichen Anträge der BF1 und der BF2 auf internationalen Schutz wurden folglich mit Bescheiden der belangten Behörde gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gem. § 8 Abs 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II). Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde den Beschwerdeführen gemäß § 8 Absatz 4 AsylG bis zum 10.11.2017 erteilt (Spruchpunkt III).

 

I.3.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen der BF1 hinsichtlich einer persönliche Verfolgung als nicht glaubhaft. Der BF1 habe bezüglich der Bedrohungsszenarien widersprüchliche und unglaubwürdige Angaben gemacht.

 

I.3.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Irak traf die belangte Behörde ausführliche Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

 

I.3.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF zu subsumierender Sachverhalt nicht hervorgekommen sei, jedoch einer unter § 8 Abs. 1 AsylG.

 

I.4. Gegen die oa. Bescheide der BF1 und der BF2 wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde gegen Spruchpunkte I wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens erhoben (AS 167 ff.).

 

I.5. Aufgrund einer Unzuständigkeitseinreise der Gerichtsabteilung L502 vom 19.12.2016 wurden die Rechtssachen der BF1 und der BF2 mit 19.12.2016 der Gerichtsabteilung L512 zugewiesen.

 

I.6. Für den 23.10.2017 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Verhandlung. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache der BF1 und der BF2 eine mit den Verfahren des Ehemannes und des Sohnes der BF1 verbundene öffentliche mündliche Verhandlung durch, die am 06.11.2017 weitergeführt wurde.

 

I.7. Im Verfahren der BF1, der BF2, des Ehemannes sowie des Sohnes der BF1 wurden den Beschwerdeführern aktualisierte Länderfeststellungen übermittelt. Diesbezügliche Stellungnahmen langten nicht ein.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

II.1.1. Die Beschwerdeführer:

 

Bei der BF1 handelt es sich um eine weibliche, irakische Staatsbürgerin, welcher die Sprache Arabisch und Englisch spricht. Bei der BF2 handelt es sich ebenso um eine weibliche, irakische Staatsbürgerin. Die BF1 und die BF2 gehören der Religionsgemeinschaft der Sunniten an und sind Angehörige der arabischen Volksgruppe. Die BF1 ist eine verheiratete, arbeitsfähige Frau mit privaten Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.

 

Die BF1 ist der Ehefrau des XXXX und die Mutter des XXXX. Die BF2 ist die Tochter des XXXX und der BF1 und die Schwester des XXXX.

 

Die BF1 besuchte in ihrer Heimat die Grundschule und die Universität. Die BF1 war in ihrer Heimat als Englischlehrerin tätig. Die Eltern und Schwiegereltern der BF1 leben im Irak.

 

Die BF1 und die BF2 sind gesund.

 

Die Beschwerden des Ehemannes bzw. des Sohnes der BF1 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurden mit Erkenntnissen vom heutigen Tag abgewiesen.

 

II.1.2. Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

 

Politische Lage

 

Im März 2003 kam es zum Einmarsch von Truppen einer Koalition, die von den USA angeführt wurde (BBC 12.7.2017). Als Grund hierfür wurden Massenvernichtungswaffen angegeben, deren Existenz jedoch nie bestätigt werden konnte. Nach dem im März 2003 erfolgten Sturz von Saddam Hussein, einem Angehörigen der sunnitischen Minderheit, wurden die Regierungen von Vertretern der schiitischen Mehrheitsbevölkerung geführt (BPB 9.11.2015). Mit 2003 begann der Aufstieg von [vorwiegend] irantreuen bzw. dem Iran nahestehenden schiitischen Parteien/Milizen, denen die amerikanischen Invasoren erlaubten, aus dem iranischen Exil in ihre Heimat zurückzukehren (SWP 8.2016; vgl. Hiltermann 26.4.2017). Es konnte nach der Entmachtung Husseins weder eine umfassende Demokratisierung noch eine Stabilisierung erreicht werden, da die Strukturen des neuen politischen Systems das Land entlang ethnisch-konfessioneller Linien fragmentierten (BPB 9.11.2015). Die von der US-Besatzung beschlossene Auflösung der irakischen Armee sowie das Verbot der Baath-Partei ließen viele Sunniten, darunter erfahrene Militärs, radikalen islamistischen Gruppen zuströmen (Spiegel 18.4.2015). Die sunnitische Minderheit fühlte sich zunehmend diskriminiert und radikale Anführer konnten immer mehr Anhänger gewinnen (AI 28.5.2008). Zudem hatte die Demontage der irakischen Armee und irakischen Sicherheitskräfte durch die US-geführte Koalition ein Sicherheitsvakuum hinterlassen, das die schiitischen Milizen zu füllen versuchten, wodurch es zu einem sunnitischen Aufstand kam (Hiltermann 26.4.2017). Die US-Regierung (sowohl die Bush-, als auch die Obama-Regierung) arbeitete zum Teil mit diesen Kräften (Badr-Miliz) zusammen, und verschloss vor den Gewaltexzessen der schiitischen Milizen gegenüber der sunnitischen Bevölkerung die Augen (Reuters 14.12.2015). Während die Revolte der Sunniten gegen die US-Präsenz seit 2003 eher eine nationalistisch als eine religiös geprägte Bewegung war, entwickelte die Revolte zunehmend einen dominanten radikal-sunnitisch-islamistischen Zug. Der in der Folge entstehende konfessionelle Bürgerkrieg (ca. 2005 bis 2007) führte zu einer Änderung der US-Politik im Irak, die wiederum die Niederlage von Al-Qaida im Irak (AQI) herbeiführte. Doch dadurch, dass das Problem der Ausgrenzung der Sunniten weiter bestehen blieb, kam es zu weiteren Protesten in den sunnitischen Gebieten in den Jahren 2013 und 2014, daraufhin zu einer gewaltsamen Antwort von Seiten des Staates und danach zur Übernahme sunnitischer Gebiete durch eine noch radikalere Version von Al-Qaida - durch die Organisation "Islamischer Staat" [IS, auch ISIS oder ISIL, vormals ISI, arabisch Daesh] (Hiltermann 26.4.2017). Diese konnte in große Teile der sunnitischen Gebiete im Westen des Irak, in kurdische Gebiete im Norden des Irak und in Teile Syriens vordringen (ACCORD 12.2016). Als die nach der Entmachtung Saddam Husseins neu aufgestellte Armee vorübergehend "kollabierte", mobilisierten schiitische Führer in Notwehr ihre Gefolgschaft, wodurch die schiitischen Milizen (allen voran die Badr Organisation, Asaib Ahl al-Haq und Kataeb Hezbollah, mit Unterstützung des Irans) verstärkt auf den Plan traten und sich nordwärts in die sunnitischen Gebiete bewegten (Hiltermann 26.4.2017).

 

Das politische Geschehen ist trotz großer Erfolge bei der Rückeroberung von IS weiterhin vom Kampf gegen den IS geprägt (ÖB 12.2016). Seit Ende 2015 wird der IS mit einem Bündnis auf Zeit aus irakischem Militär, kurdischen Peschmerga, schiitischen Milizen und Luftschlägen der internationalen US-geführten Anti-IS-Koalition bekämpft (AA 7.2.2017).

 

Nach dem Referendum über die Lossagung Irakisch-Kurdistans vom Irak am 25.9.2017 erklärte der Kurdenführer Mas?ud Barzani am Tag darauf (noch vor der offiziellen Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses), dass die Mehrheit der Kurden, die ihre Stimme abgaben, die Unabhängigkeit unterstützen würden. Die Beteiligung lag in etwa bei 72 Prozent (Al-Jazeera 27.9.2017). Wahlberechtigt waren ca. fünf Millionen Einwohner, darunter mehrheitlich Kurden verschiedenen Glaubens, aber auch Christen und die meist sunnitischen Araber und Turkmenen der Region (Tagesspiegel 25.9.2017). Nach vorläufigen Zahlen von Barzanis KDP (Kurdische Demokratische Partei) stimmten beim Referendum knapp 92 Prozent für die Unabhängigkeit. Trotz internationaler Kritik und Warnungen hatte die kurdische Autonomieregierung die Bürger am Montag abstimmen lassen (Standard 27.9.2017). Die Zentralregierung hält das Referendum für verfassungswidrig. Auch die Türkei und der Iran sind strikt gegen einen unabhängigen Kurdenstaat. Bereits kurz nach der Abstimmung hatten die türkische und die irakische Armee ein gemeinsames Militärmanöver begonnen. Laut dem irakischen Generalstabschef Uthman al-Ghanami finde die Übung in der Gegend des Grenzübergangs Habur statt, des Übergangs zwischen der Türkei und der Kurdenregion im Nordirak. Die türkische Armee hatte das Manöver bereits eine Woche zuvor begonnen (Standard 27.9.2017). Die Türkei reagierte auch mit der Ankündigung von wirtschaftlichen Sanktionen. Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte am Folgetag des Referendums, dass die "irakischen Kurden hungern würden, wenn sein Land keine Lastwagen mehr in die Region ließe." Er drohte darüber zudem mit einem Stopp des kurdischen Ölexports und einer militärischen Intervention im Nordirak nach dem Vorbild des türkischen Einmarschs in Syrien. Das Referendum nannte er "null und nichtig" (Al-Jazeera 27.9.2017; vgl. Standard 26.9.2017). Der Nachbarstaat Iran schloss als Reaktion auf das Referendum nach dem Luftraum laut offiziellen Angaben auch die Landgrenze zu den Kurdengebieten. Allerdings gab es unterschiedliche Berichte darüber, ob ein Grenzübergang weiterhin geöffnet blieb. Parlamentspräsident Ali Larijani kündigte am Dienstag zudem an, dass das Parlament "alles, was zu einer Desintegration der Region führen könnte", nicht anerkennen werde. Medienangaben zufolge gab es wegen des Referendums am Montag spontane Straßenfeiern in mehreren kurdischen Städten im Iran (Standard 26.9.2017). Der Iran und die von ihm finanzierten schiitischen Milizen im Irak. sehen die Unabhängigkeitsbestrebungen der irakischen Kurden als Bedrohung einer iranisch dominierten Neuordnung der Region, die über den Irak und Syrien bis in den Libanon reicht. Dazu braucht die iranische Führung einen Irak in seinen jetzigen Grenzen und mit seinen Ölquellen in Kirkuk. Iranische Militärs und Revolutionsgardisten mahnten zunächst in eher blumigen Worten, inzwischen melden sie das Recht auf militärische Aktionen auf kurdischem Territorium an, sollte Erbil die Unabhängigkeit vorantreiben. Sie wittern hinter dem Referendum auch eine amerikanisch-israelische Strategie zur Unterminierung iranischer Interessen. Was in diesem Fall nur zur Hälfte stimmt. Israel ist in der Tat der einzige Staat im Nahen Osten, der das Referendum befürwortet, Kurden und Israelis haben eine lange Geschichte gegenseitiger Unterstützung (Zeit 24.9.2017). Die Türkei und der Iran befürchten darüber hinaus Auswirkungen auf die Autonomiebestrebungen ihrer eigenen kurdischen Minderheiten. Die USA als wichtiger Verbündeter der Kurden hatten sich ebenfalls gegen das Referendum ausgesprochen, weil sie den Kampf gegen den IS gefährdet sehen (Standard 26.9.2017).

 

Die irakische Regierung beantwortete den Aufruf Barzanis, mit den Kurden nun in Verhandlungen zu treten, ebenfalls mit einer Drohung. Premierminister Haider al-Abadi forderte die Kurden auf, binnen drei Tagen die Kontrolle der Flughäfen im Norden des Landes an die Zentralregierung zu übergeben. Sollte dies nicht geschehen, werde die irakische Regierung den Luftraum sperren und keine Flüge mehr aus oder in den Nordirak zulassen. Inlandsflüge seien davon jedoch nicht betroffen und internationale Flüge in und aus der Kurdenregion könnten [nach derzeitigem Stand] über Bagdad stattfinden (Al-Jazeera 27.9.2017; vgl. Standard 26.9.2017). Darüber hinaus stimmte das irakische Parlament bereits am Montag dafür, die irakische Armee in jene Gebiete zu schicken, in denen das Referendum abgehalten wurde, die jedoch laut irakischer Verfassung von 2005 als "umstrittenen" gelten - insbesondere Kirkuk und Umgebung, wo die Kurden die völlige Kontrolle übernahmen, nachdem 2014 die irakische Armee vor dem "Islamischen Staat" (IS) geflohen war (Harrer 26.9.2017).

 

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(Al-Jazeera 27.9.2017)

 

Der Armeeeinsatz in den umstrittenen Gebieten, insbesondere in Kirkuk und Umgebung, führte zum Zusammenbruch der irakisch-kurdischen Peschmerga unter dem gemeinsamen Druck von Irak und Iran kurz nach dem Referendum über die Unabhängigkeit der Kurden am 25. September 2017 und könnte den Nordirak letztlich eher destabilisieren. Die Peshmerga zogen sich am 16. und 17. Oktober 2017 aus den umkämpften Gebieten im Nordirak im Wesentlichen zurück (siehe hiezu die untenstehende Karte). Details dazu siehe Punkte

1.1. und 2.4.

 

Staatsform & Parteien

 

Der Irak ist formal-konstitutionell eine republikanische, demokratische, föderal organisierte und parlamentarische Republik. So sieht es die gültige Verfassung von 2005 vor. Sitz von Regierung und Parlament ist Bagdad. Staatspräsident ist seit dem 24.07.2014 der Kurde Fuad Massum, Angehöriger der irakisch-kurdischen Partei Patriotic Union of Kurdistan - PUK. Ein Teil des föderalen Staates ist auch das kurdische Autonomiegebiet, das im Nordosten des Iraks angesiedelt ist. Diese Föderale Region Kurdistan hat weitgehende Souveränität. Sie verfügt über eigene exekutive, legislative und judikative Organe und besitzt seit 2009 eine eigene Verfassung, sowie gesonderte Militäreinheiten, die Peschmerga (LIP 6.2015). Im Irak gibt es eine Vielzahl von Parteien (zu einer Anerkennung genügen laut Parteiengesetz 500 Unterschriften).

 

Wahlen & Premierminister

 

Die nationalen Wahlen, die im April 2014 stattfanden, hatte zwar abermals der zuvor amtierende Premierminister Nouri al-Maliki gewonnen, da es jedoch auf Grund seines autoritären und pro-schiitischen Regierungsstils massive Widerstände gegen ihn gab, trat er im August 2014 auf kurdischen, internationalen, aber auch auf innerparteilichen Druck hin zurück (GIZ 6.2015). Maliki wird unter anderem vorgeworfen, mit seiner sunnitenfeindlichen Politik (Ausgrenzung von sunnitischen Politikern, Niederschlagung sunnitischer Demonstrationen, etc.) deutlich zur Entstehung radikaler sunnitischer Gruppen, wie dem IS, beigetragen zu haben (Qantara 17.8.2015; vgl. auch Abschnitt "Sicherheitslage"). Infolge dessen wurde die schiitisch dominierte Regierung des Premierministers Nuri al-Maliki von einer nationalen Einheitsregierung mit Beteiligung von Sunniten und Kurden unter dem gemäßigteren Premierminister Haidar al-Abadi abgelöst (HRW 29.1.2015). Abadi ist ebenfalls Schiite und ein Parteikollege Malikis in der Da'wa-Partei. Er ist mit dem Versprechen angetreten, das ethno-religiöse Spektrum der irakischen Bevölkerung wieder stärker abzudecken (GIZ 6.2015), und zunächst konnten durch seine Ernennung zum irakischen Premierminister tatsächlich einige gesellschaftliche Gräben geschmälert werden. Von einer tatsächlichen Versöhnung zwischen den ethnischen und religiösen Gruppierungen ist jedoch nichts zu bemerken (ÖB 12.2016). Die Besetzung aller politischen Führungspositionen, so auch der Kabinettsposten, folgt seit Jahren einem Kalkül ethnisch/religiöser Balance. Die sunnitischen Regierungs- und Parlamentsmitglieder stehen unter Druck, da ihre Kooperation in Bagdad bislang kaum dazu beitrug, ihre Klientel zu schützen (ÖB 12.2016). Das irakische Parlament wählte den moderaten sunnitischen Politiker Salim al-Jabouri zum Parlamentspräsidenten (Al Arabiya 15.7.2014).

 

Abadis Reformen waren nur oberflächlicher Natur oder harren noch ihrer Umsetzung. Unterstützt werden die Reformpläne der Regierung bislang immerhin durch die höchste geistliche Autorität der Schiiten, Großajatollah Al-Sistani (AA 7.2.2017). Insgesamt ist die Zentralregierung aber schwach, Premierminister Abadi kann gegen die internen Rivalitäten der schiitischen Parteien nicht viel ausrichten. Er ist von zahlreichen Herausforderern umgeben: Dem Ex-Premierminister Nouri al-Maliki, dem Oppositionsführer und populärer Priester Muqtada al-Sadr, sowie den anderen Anführern schiitischer Milizen (Stansfield 26.4.2017).

 

Das irakische Parlament hat am 29.01.2017 die neuen Minister für Verteidigung und Inneres bestätigt. Der Armeegeneral Erfan al-Hiyali von der sunnitischen Minderheit im Land wird künftig das Verteidigungsministerium führen. Kasim al-Aradschi von der schiitischen Badr-Organisation leitet das Ressort Inneres. Ministerpräsident Haider al-Abadi lobte die Entscheidung des Parlaments als "guten Fortschritt zu einer entscheidenden Zeit". Beide Posten waren monatelang unbesetzt (ORF, 30.01.2017).

 

Am 12.5.2018 wurden im Irak neuerlich Parlamentswahlen abgehalten. Die Wahlbeteilung lag bei 44,5 Prozent - die niedrigste Beteiligung seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 (Die Presse 13.5.2018). Als Sieger geht das Wahlbündnis Sa'irun des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs hervor, das nicht mehr vom ersten Platz zu verdrängen ist und 54 Sitze erreichte. Auf zweitem Platz liegt mit 47 Sitzen das Fatah Bündnis des Milizenführers Hadi al-Ameri, der eng mit den iranischen Revolutionsgarden verbunden ist (Die Presse 13.5.2018). Die Nasr Allianz des amtierenden Ministerpräsidenten Haider al-Abadi kommt mit 42 Sitzen nur auf den dritten Platz (NZZ 15.5.2018). Die Sitzverteilung stellt sich wie Folgt dar:

 

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Anschuldigungen von Wahlbetrug in der zwischen Kurden und irakischer Zentralregierung umstrittenen Stadt Kirkuk verzögern die Veröffentlichung der Endergebnisse (The Washington Post 17.5.2018). Laut Wahlkommission belagerten Bewaffnete am Mittwoch, den 16.5.2018, etliche Wahllokale in der Stadt und hielten Mitarbeiter der Wahlkommission in Geiselhaft (Reuters 16.5.2018). Der Gouverneur von Kirkuk sowie der Leiter der Exekutivorgane, Generalmajor Maan al-Saadi, bestritten dies und erklärten, dass die Lage stabil sei und es sich um friedliche und unbewaffnete Proteste um die Wahllokale herumhandle (The Washington Post 17.5.2018; Reuters 16.5.2018).

 

Eine neue Regierung wurde bislang noch nicht gebildet, da keiner der Wahlblöcke eine Mehrheit erreichte und deshalb Koalitionsverhandlungen geführt werden müssen.

 

Schiitische Milizen, Rolle des Ex-Premierminister Maliki und Einfluss des Iran

 

Der noch amtierende Ministerpräsident Abadi hat mit dem Iran-freundlichen Ex-Premierminister Maliki (nunmehr Vize-Premierminister und Vorsitzender der State of Law Coalition, sowie Da'wa-Parteiführer) einen starken Widersacher innerhalb seiner Partei. Ein Problem Abadis ist auch die Macht der schiitischen Milizen - einerseits unverzichtbar für Abadi im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (Standard 5.11.2015), gleichzeitig wird deren Einsatz aber von der sunnitischen Bevölkerung als das "Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub" gesehen. Das Vertrauen der sunnitischen Bevölkerung in die schiitisch dominierte Zentralregierung bleibt weiterhin minimal. Der Einsatz dieser Milizen im Kampf gegen den IS wird von Sunniten meist abgelehnt, sie fürchten ein ruchloses Vorgehen der Milizen und dulden daher oft die sunnitischen Extremisten in ihren Gebieten. Berichte zu Übergriffen der schiitischen Milizen konterkarieren die Versuche von Premierminister Haidar al-Abadi, den arabischen Sunniten wieder Vertrauen in den irakischen Staat einzuflößen (ÖB 12.2016). Bezüglich der schiitischen Milizen spielt auch der schiitisch dominierte Iran eine große Rolle, der insgesamt einen großen Einfluss auf den Irak ausübt. An den Schalthebeln der Macht in Bagdad werden selbst hochrangige irakische Kabinettsmitglieder von der iranischen Führung abgesegnet oder "hinauskomplementiert". Dadurch kommt es auch dazu, dass Gesetze verabschiedet werden, wie z. B. jenes vom November 2016, das die schiitischen Milizen effektiv zu einem permanenten Fixum der irakischen Sicherheitskräfte macht (NYTimes 15.7.2017), und sie im Rahmen der Dachorganisation PMF (auch PMU, Popular Mobilisation Forces/Units, Volksmobilisierung, arabisch Al-Hashd al-Shaabi) der irakischen Armee gleichstellt (Harrer 9.12.2016). Diese Integration der schiitischen Milizen in die Regierungskräfte, die von vielen sunnitischen Politikern bekämpft wurde (HRW 16.2.2017), ist mehr formeller Natur, um den äußeren Schein zu wahren. In der Realität gibt es im Irak keine offizielle Instanz (auch nicht die Regierung), die die Fähigkeit hat, die Milizen zu kontrollieren (Hiltermann 26.4.2017). Die Eingliederung der Milizen in die irakische Sicherheitsstruktur sichert ihnen einerseits eine Finanzierung durch den Irak, während die [effektive] Kontrolle über einige der mächtigsten Einheiten weiterhin dem Iran obliegt. Dem Iran geht es dabei nicht nur um die weitere Ausbreitung der Kontrolle über irakisches Gebiet, sondern auch darum, einen Korridor zu den Stellvertreterkräften in Syrien und im Libanon zu bilden. Was im März 2017 passierte, nämlich, dass Iran-gestützte schiitische Milizen zum ersten Mal den gesamten Weg westwärts bis zur syrisch-irakischen Grenze vorstoßen konnten, quer durch irakisches, vorwiegend sunnitisches Gebiet, veranschaulicht dieses Vorhaben (ICG 31.5.2017; vgl. NY Times 15.7.2017). Der ehemalige Premierminister Maliki, der sich bereits zu seiner Amtszeit stark in Richtung Iran gelehnt hatte, und der nach Ende seiner Amtszeit weiterhin massiv von der Zusammenarbeit mit dem Iran profitierte, spielt heute auf politischer Ebene in Bezug auf die PMF eine zentrale Rolle. Unter anderem aufgrund der Schwäche des Irakischen Staates, der Dominanz des Irans, sowie ganz besonders aufgrund der Hilfe, die der reguläre irakische Sicherheitsapparat für das Zurückschlagen des IS benötigt(e), blieb Abadi keine andere Wahl, als den PMF-Milizen zu noch weiterem Einfluss zu verhelfen - in Fortsetzung der bezüglich der Milizen vorangetriebenen Legitimierungspolitik Malikis. Die PMF sind somit einerseits eine vom Staat mittlerweile legitimierte und der Armee gleichgestellte Dachorganisation von - fast ausschließlich - schiitischen Milizen, gleichzeitig werden sie aber von nicht-staatlichen Anführern befehligt (Carnegie 28.4.2017). Maliki versucht, an die Spitze der irakischen Politik zurückzukehren, und hat als Verbündete dabei den Iran und "seine" neue Hausmacht, die schiitischen Milizen (Harrer 13.2.2017). Gegen dieses Vorhaben regt sich insbesondere auch im Süden verstärkter Widerstand: Die Anhänger der Sadr-Bewegung [Muqtada al-Sadr: Führer der Sadr-Bewegung, einer politischen Partei, sowie Führer der Saraya al-Salam] wollen mittels Demonstrationen die Hoffnung Malikis auf eine Rückkehr verhindern. Ein innerschiitischer Konflikt zwischen Sadristen und Maliki-Anhängern ist spürbar, auch wenn diesbezügliche militärische Auseinandersetzungen unwahrscheinlich sind (Al Monitor 26.1.2017). Zu solchen Auseinandersetzungen war es zwischen diesen beiden Lagern im Jahr 2008 in Basra gekommen (BBC 12.7.2017).

 

Die Sadr-Bewegung ist aber auch gegenüber Abadis Regierung kritisch eingestellt. Muqtada al-Sadr stilisiert sich als irakischer Nationalist, der gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik ankämpft, der jedoch andererseits Abadis Reformen zum Teil sogar blockiert, wie z.B. Abadis Versuch, eine Technokratenregierung aufzustellen. Darüber hinaus führt die Sadr-Bewegung regierungskritische Demonstrationen durch, die - trotz Aufrufs Sadrs, friedlich zu protestieren - außer Kontrolle geraten können und zuletzt im Februar 2017 in Bagdad zur wiederholten Erstürmung der Grünen Zone führten. Die Proteste der Sadr-Bewegung spielen Maliki in die Hände und schwächen Abadi zusätzlich, der in der Schusslinie zwischen Sadr und Maliki steht (Harrer 13.2.2017). In Hinblick auf die Parlamentswahl im Jahr 2018 und einen möglichen Erfolg des pro-iranischen Maliki, näherte sich Premierminister Abadi einer Koalition einflussreicher schiitischer religiöser und politischer Führer (darunter auch besagter Muqtada al-Sadr) an, mit dem Ziel Maliki zu isolieren (IFK 9.6.2017).

 

Der gemeinsame Gegner IS schweißte 2014 das Land und teilweise auch die Bevölkerung etwas zusammen, doch die Bruchlinien bleiben insbesondere mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS akut: Nicht nur zwischen Schiiten und Sunniten oder innerhalb der schiitischen Kräfte, sondern auch zwischen der KRI (Kurdische Region im Irak) und der Zentralregierung, innerhalb der kurdischen Gruppierungen sowie zwischen de facto allen Mehrheitsbevölkerungen und Religionen und den Minderheiten in ihrem Bereich. Mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS gehen auch ein verstärkter Terrorismus, neue humanitäre Herausforderungen und wiederaufflammende Spannungen einher. Eine ethnisch-religiöse Aussöhnung hat nicht stattgefunden. Die Gefahr eines weiteren Zerfalls des Staates, samt bewaffneten Auseinandersetzungen ist nach wie vor nicht gebannt (ÖB 12.2016). Insbesondere ist auch unklar, ob die vom IS zurückeroberten sunnitischen Gebiete auf eine Weise verwaltet werden, die nicht erneuten Unfrieden und eine erneute Rebellion (unter dem Banner des IS oder einer anderen Organisation) provozieren wird (OA/EASO 2.2017). Die Islamisten genießen im Irak in der Bevölkerung nach wie vor Unterstützung, da sie sich als Beschützer der sunnitischen Gemeinschaft präsentieren. Der IS ist ja ursprünglich vorrangig eine irakische Organisation mit starken lokalen Wurzeln (Stansfield 26.4.2017), und selbst das Zurückschlagen des IS in Mossul vermag es nicht, die schiitisch-sunnitischen Spannungen zu lösen, die das Ergebnis einer mangelnden politischen Übereinkunft sind (USCIRF 26.4.2017). Die Gewalt, der die Sunniten seit der US-geführten Invasion im Irak von Seiten Iran-gestützter Regierungen und Milizen ausgesetzt waren [und sind], hat in der sunnitisch-arabischen Bevölkerung ein tiefgreifendes und gefährliches Gefühl der Viktimisierung bewirkt, das Rekrutierungsbemühungen von Jihadisten in die Hände spielt (ICG 22.3.2017). Die Rolle der internationalen Koalition gegen den IS ist zwiespältig. Während diese sich selbst als unparteiischen Akteur sehen mag (abgesehen vom Kampf gegen den IS), sehen das die irakischen Akteure anders, die die Koalition alleine schon auf Grund der Wahl ihrer Verbündeten als völlig parteiisch ansehen (ICG 31.5.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/local_link/295451/416499_en.html , Zugriff 9.8.2017

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"Islamischer Staat"

 

Die Organisation "Islamischer Staat" scheint sich mittlerweile auf sein Weiterleben als Organisation nach dem erlittenen bzw. erwartbaren Verlust seiner Hochburgen im Irak und Syrien vorzubereiten. So intensivierte er im Laufe des Fastenmonats Ramadan im Jahr 2017 seine Terror- und Guerilla-Taktikten in Provinzen außerhalb seines Machtzentrums. Damit demonstriert er, dass er trotz territorialer Verluste weiterhin hohe operative Fähigkeiten besitzt. Zudem setzte der IS verstärkt auf die Rekrutierung neuer Kämpfer und Selbstmordattentäter in Deir ez-Zour und Raqqa (IFK 9.6.2017). Von dem Gebiet von der Größe Großbritanniens, das der IS im Sommer 2014 insgesamt kontrolliert hatte [in Syrien und Irak], hat er mehr als zwei Drittel verloren (FAZ 12.7.2017). Den "Staat", der die irakisch-syrische Grenze zum Teil aufgehoben hatte, gibt es nicht mehr. Die IS-Kontrollgebiete in Irak und in Syrien hängen nicht mehr zusammen. Die Hoffnung, dass der IS völlig zusammenbrechen würde, wenn er Mossul, die Hauptstadt seines "Kalifats", verliert, hat sich jedoch nicht erfüllt (Harrer 20.8.2017). Unterdessen sorgt der vermutete Tod von IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi für mediale Aufregung (IFK 25.7.2017). Im Anschluss an die Berichte über Baghdadis Tod rief sich ein IS-Führer in Hawija selbst zum neuen obersten Führer aus (IraqiNews 11.7.2017).

 

Trotz derzeitiger Verluste des IS, ist es dieser Organisation doch gelungen, immerhin drei Jahre lang in weiten Teilen des Nordiraks und Syriens eine Form von Staatlichkeit aufrechtzuerhalten und zehntausende Freiwillige in jenes "Kalifat" einwandern zu lassen, das von seinen geschickten Propagandisten als real gewordene islamische Utopie verbrämt wurde. Der IS war eine reale Ordnungsmacht, die den Alltag von Millionen Menschen geregelt hat - [bzw. ist er das zum Teil in manchen unter seiner Kontrolle befindlichen Gebieten nach wie vor für größere Bevölkerungsteile -

s. Sicherheitslage]. Somit hat er die Djihadisten mit einer mächtigen, neuen ["mystifizierbaren"] Erzählung ausgestattet (Zeit 12.7.2017). Dem IS war es gelungen, innerhalb seiner Einflussgebiete pseudo-staatliche Strukturen aufzubauen, wie z.B. sogenannte "Diwans" (vergleichbar mit Ministerien) - ein Diwan für natürliche Ressourcen, einschließlich der Verwertung von Antiquitäten, ein Diwan für die "Verwertung" von Kriegsbeute, einschließlich SklavInnen, etc. (Daily Star 29.12.0215). Unterstützung bekam der IS von einigen ehemaligen Mitgliedern der Baath-Partei. Die Organisation Jaysh Rijal a?-?ariqa an-Naqshabandiya (Army of the Men of the Naqshbandi Order, auch Naqshabandi Order genannt - kurz JRTN) und andere ähnliche ex-baathistische Gruppen stimmten zwar grundsätzlich nicht mit der Ideologie des IS überein, unterstützen/unterstützten diesen zum Teil aber als eine Organisation, die die irakische Regierung bekämpft (CRS 9.2015). Frühere Geheimdienstagenten, Kommandanten von Spezialeinheiten und Parteifunktionäre des Saddam-Regimes waren maßgeblich beim strategischen Aufbau des IS beteiligt (Qantara 13.7.2015). Die Finanzierung des IS findet/fand über viele verschiedene Quellen statt. Die wichtigsten sind: Zwangspfändungen, Versklavung, Zwangsprostitution, Lösegeld, Einkommensteuer, Zoll, Kulturraub, Ölschmuggel sowie die Übernahme von Strom- und Wasserversorgern (Spiegel 2.12.2015). Durch die weitreichenden Gebietsverluste in den letzten Monaten gingen diese Einnahmenquellen jedoch zurück (FAZ 12.7.2017). Der IS hält im Irak aber nach wie vor die Kontrolle über mehrere Gebiete und Städte, deren Rückeroberung die teilweise selbst verfeindeten und sich untereinander bekämpfenden Kräfte jeweils nicht nur vor militärische, sondern auch vor politische Herausforderungen stellt (DB 28.7.2017). Der IS setzt durch seinen neuen Pressesprecher Abu Hassan al-Muhajir darauf, die Kampfmoral seiner Anhänger in Mossul, Raqqa, Tal Afar und weiteren Umkämpften Gebieten zu stärken. In einer Audio-Aussendung ruft er zur Standhaftigkeit sowie zu neuen Terroranschlägen in den vom IS kontrollierten Provinzen und außerhalb auf. Eine neue Dynamik in der IS-Propaganda stellt zudem der Aufruf, die "Wirtschaftszweige der Ungläubigen" durch Anschläge, Plünderungen und Entführungen zu schädigen, dar. Thesen über die künftige Entwicklung des IS reichen von einer Kooperation bzw. Verschmelzung mit der Konkurrenzorganisation Al-Qaida bis hin zu einem Wiederaufleben der Terrorgruppe, diesmal allerdings mit Personal, welches jahrelange Erfahrung in der staatlichen Verwaltung, Wirtschaftstreiben, Terrorfinanzierung sowie Artillerie- und Guerillataktiken besitzt. UN-Antiterror-Experte Laborde geht trotz der zahlreichen Verluste derzeit von einer Gesamtzahl von 12.000 - 20.000 IS-Kämpfern in Syrien und Irak aus (IFK 25.7.2017). Andere ehemalige IS-Kämpfer haben sich in die Berge aufgemacht und führen dort einen klassischen Guerilla-Krieg. Wieder andere werden vor den Toren Bagdads als Schläferzellen aktiv (DB 28.7.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sicherheitslage

 

Hintergrund

 

Nachdem die irakische Armee im Sommer 2014 vorübergehend Auflösungserscheinungen zeigte und dem IS kampflos große Gebiete des Landes überließ (Spiegel 15.6.2014), veröffentlichte der schiitische Religionsführer im Irak, Großayatollah Ali al-Sistani einen Aufruf zur Mobilisierung gegen den IS, infolge dessen sich zahlreiche schiitische Milizen gründeten. Auch ältere schiitische Milizen aus der Zeit der religiös motivierten Gewalt von 2006 gewannen wieder an Einfluss. Mit Unterstützung des Irans konnten diese einen Angriff des IS auf die Hauptstadt verhindern und die Terrororganisation weiter nach Norden zurückdrängen. Seit Ende 2015 forciert Bagdad eine Regierungsoffensive gegen den IS, bei der mit Einsatz von schiitischen Milizen, sunnitischen Stammeskämpfern und Luftunterstützung der USA vorige IS-Hochburgen wie Ramadi und Fallujah zurückerobert werden konnten (ACCORD 12.2016). In den Jahren 2015 und 2016 wurden auch die Städte Tikrit, Hit, Rutba, sowie die Gegend um Sinjar, die sich unter der Kontrolle des IS befunden hatten, zurückerobert (ÖB 12.2016). Der bewaffnete Konflikt ging somit im Jahr 2016 unvermindert weiter (AI 31.12.2016), und mit Stand Dezember 2016 waren bereits 60 Prozent des Gebietes, das im Irak unter Kontrolle des IS stand, zurückerobert (ÖB 12.2016). Laut dem Irakexperten des "Institute for the Study of War", Patrick Martin, hat der IS im Irak mit Stand Juli 2017 nur noch etwa sieben Prozent des ursprünglichen IS-Gebietes unter seiner Kontrolle, gleichzeitig warnt er jedoch davor, den IS zu früh als mögliche weitere Bedrohung abzuschreiben (Daily Star 10.7.2017). Im Zuge der Rückeroberungen werden im Irak immer wieder zahlreiche Massengräber gefunden (Standard 11.5.2017; USDOS 3.3.2017, HRW 16.11.2016). Die Offensive zur Rückeroberung Mossuls startete im Oktober 2016 und am 9. Juli 2017 verkündete Premierminister Abadi (nach fast neun Monaten schwerer Kämpfe und fast einer Million Vertriebener) den erfolgreichen Abschluss derselben (OCHA 13.7.2017).

 

Im Irak leben ca. 36 Millionen Einwohner, wobei die diesbezüglichen Schätzungen unterschiedlich sind. Die letzte Volkszählung wurde 1997 durchgeführt. Im Gouvernement Bagdad leben ca. 7,6 Millionen Einwohner. Geschätzte 99% der Einwohner sind Moslems, wovon ca. 60%-65% der schiitischen und ca. 32%-37% der sunnitischen Glaubensrichtung angehören (CIA World Factbook 2014-2015, AA 10.5.2016).

 

Die Maps des The Gulf/2000 Project, das vom Nahostinstitut der Columbia University in New York finanziert wird, stellt die ethno-religiöse Zusammensetzung in Zentralirak im Jahr 2015 dar.

 

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gulf2000.columbia (2015): The Gulf/2000 Project, Maps, Central Iraq, Ethnic 2015,

http://gulf2000.columbia.edu/images/maps/Central_Iraq_Ethnic_2015_lg.png , Zugriff 5.12.2016

 

Der folgende Atlas, den das österreichische Bundesministerium für Inneres in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport im Jahr 2016 ausgearbeitet hat, stellt in der folgenden Karte religiöse und sektiererische Zusammensetzung in wichtigsten irakischen Ansiedlungen im Jahr 2014 dar.

 

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Austrian Federal Ministry of the Interior & Austrian Federal Ministry of Defence and Sports (2016): Landkarte: Atlas Syria & Iraq, Syria & Iraq: Religious and sectarian groups January 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1471942452_bmi-bmlvs-atlas-syria-iraq-2016.pdf , Zugriff 5.12.2016

 

Aktuelle Sicherheitslage

 

Die Rückeroberung Tal-Afars verzögerte sich zunächst auf Grund der Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen teilnehmenden Akteuren. Vom Iran gestützte schiitische Milizen drängten darauf, eine Rolle bei der Eroberung der Stadt zu spielen, was die Türkei und die USA, sowie auch Premierminister Abadi zu verhindern versuchten. Bei der am 20. August begonnenen Tal-Afar-Offensive nehmen die PMF-Milizen trotz vorangehender Konzessionen gegenüber Abadi nun doch teil (WI 22.8.2017; ISW 26.6.2017; AA 7.2.2017). Luftangriffe auf Tal-Afar werden schon seit längerer Zeit von der Anti-IS-Allianz und der irakischen Luftwaffe durchgeführt. Inzwischen gibt es erste Berichte, nach denen der IS Bewohner aus dem Bezirk Tal-Afar in die Stadt treibt, um sie als Schutzschilde zu verwenden, ähnlich wie er das auch bei der Mossul-Offensive betrieben hatte (Harrer 20.8.2017). Für die schiitischen Milizen ist Tal-Afar ein besonders wichtiges Ziel. Im Gegensatz zum sunnitisch-dominierten Mossul gab es dort vor der Eroberung durch den IS einen signifikanten schiitischen Bevölkerungsanteil und die Stadt war die nördlichste Hochburg der Milizen, die sie nun zurückerobern möchten, und sich darüber hinaus für die seit 2005 durch djihadistische sunnitische Gruppen verübten Verwüstungen rächen wollen (17.7.2017). Ebenso gab es Befürchtungen der Türkei (die weiterhin in der Nähe von Mossul mit Truppen präsent ist), denn Tal Afar ist zum Teil eine turkmenische Stadt (Harrer 20.8.2017). Die UNO warnt vor weiterer Gewalt an mutmaßlichen IS-Kollaborateuren, prangert die - insbesondere auch nach der Rückeroberung Mossuls - im ganzen Land stattfindenden Racheakte an und fordert den irakischen Regierungschef Abadi auf, dringend Maßnahmen zur Unterbindung der "Kollektivbestrafung" ganzer Familien zu ergreifen (Standard 17.7.2017).

 

Bezüglich der Offensive zur Rückeroberung Hawijas gibt es weiterhin Dispute, welche Kräfte das Gebiet betreten werden. Auch hier wird bezüglich schiitischer Milizen und kurdischer Kämpfer befürchtet, dass es zu Racheakten an der sunnitischen Bevölkerung kommen könnte (ICG 22.9.2016), bzw. dass eine Invasion durch nicht-sunnitische Kräfte sogar eine Ausweitung der bewaffneten Kämpfe auf weitere Teile der umstrittenen Gebiete auslösen könnte. Hawija stand in den letzten Jahren im Zentrum mehrfacher und bedeutender sunnitischer Aufstände (Rudaw 17.5.2017).

 

Nachdem Premierminister Abadi am 31. August 2017 die gesamte Provinz Ninewah für vom IS zurückerobert erklärt hatte (Rudaw 31.8.2017), liegt der Focus nun auf den Provinzen Anbar und Kirkuk. Am 21. September 2017 startete die Operation zur Rückeroberung der in der Provinz Kirkuk/Tameem liegenden Stadt Hawija und deren Umgebung (BAMF 25.9.2017). Bei der Operation nehmen irakische Truppen, sowie schiitische Milizen teil, die kurdischen Peschmerga sind derzeit nicht beteiligt (Al-Jazeera 23.9.2017). Das Gebiet liegt jedoch im von den Kurden für sich beanspruchten Gebiet (Al-Jazeera 27.9.2017). Gleichzeitig findet eine Offensive zur Rückeroberung der Provinz Anbar statt, an der die irakischen Sicherheitskräfte, einschließlich Polizeieinheiten und schiitischer PMF-Milizen (PMF: Popular Mobilization Forces) teilnehmen (Al-Monitor 26.9.2017).

 

In der Provinz Anbar haben sich irakische Regierungstruppen westlich von Bagdad heftige Gefechte mit dem IS geliefert. Laut Angaben eines irakischen Generals vom 27.9.2017 waren IS-Kämpfer in die Ortschaft al-Tach südlich der Stadt Ramadi sowie in das "Kilometer Sieben" genannte Gebiet westlich davon vorgedrungen (Standard 27.9.2017).

 

Ab dem 3.11.2017 mit Stand 17.11.2017 wurden die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert. Laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 Prozent jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welches er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (Telegraph 17.11.2017; IFK 6.11.2017). Das Wüstengebiet nördlich der drei Städte bleibt vorerst weiterhin IS-Terrain. Die Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu jenen Gebieten, bei denen das Halten des Terrains eine große Herausforderung darstellt. (MEE 16.11.2017; Reuters 5.11.2017; BI 13.11.2017). Es stellt sich auch die Frage, wo sich jene IS-Kämpfer aufhalten, die, nicht getötet wurden oder die nicht in Gefängnissen sitzen (Alleine in Mossul gab es vor der Rückeroberung 40.000 IS-Kämpfer). Viele sind in die Wüste geflohen oder in der Zivilbevölkerung untergetaucht. Es gab es auch umstrittene Arrangements, die den Abzug von IS-Kämpfern und ihren Familien erlaubten. Der IS ist somit nicht verschwunden, nur sein Territorium [mit Einschränkungen s.u.] (Harrer 24.11.2017).

 

Die folgende Grafik zeigt die massiven Gebietsverluste des IS seit Jänner 2015 (Stand 30.10.2017). Der Wüstenbereich nördlich von Al-Qaim wird je nach Quelle als Wüstengebiet oder als IS-Gebiet eingezeichnet (s. untere Karte) eingezeichnet.

 

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(BBC 3.11.2017)

 

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(Liveuamap 17.11.2017, Stand 17.11.2017)

 

Seit der IS Offensive im Jahr 2014 ist die Zahl der Opfer im Irak nach wie vor nicht auf den Wert der Zeit zwischen 2008 - 2014 zurückgegangen, in der im Anschluss an den konfessionellen Bürgerkrieg 2006-2007 eine Phase relativer Stabilität einsetzte (MRG 10.2017; vgl. IBC 23.11.2017). Von dem Höchstwert von 4.000 zivilen Todesopfern im Juni 2014 ist die Zahl 2016 [nach den Zahlen von Iraq Body Count] auf 1.500 Opfer pro Monat gesunken; dieser sinkende Trend setzt sich im Jahr 2017 fort (MRG 10.2017). Nach den von Joel Wing dokumentierten Vorfällen, wurden in den Monaten August, September und Oktober 2017 im Irak 2.988 Zivilisten getötet (MOI 9.-11.2017). Zu diesen Zahlen gelten die im Länderinformationsblatt Irak in Abschnitt 3.1 erwähnten Einschränkungen und Anmerkungen - kriminelle Gewalt wurde in dieser Statistik nur zum Teil berücksichtigt, Stammesgewalt gar nicht .

 

Beispielhaft wird im Folgenden eine Grafik angeführt, in der die von einer Sicherheitsfirma dokumentierten Vorfälle, die in Kalenderwoche 45 des Jahres 2017 stattgefunden haben, eingezeichnet sind. Die Grafik stellt jedoch nach Angaben der Quelle nicht das gesamte Ausmaß der Gewalt und der Vorfälle dar. Mehrere Vorfälle, bzw. umfangreiche und länger andauernde Gefechte werden jeweils als ein Vorfall zusammengefasst dargestellt. Darüber hinaus bleiben viele Vorfälle auf Grund von Einschränkungen durch die Regierung und Einschränkungen der Kommunikation undokumentiert:

 

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(CR 14.11.2017)

 

Im Folgenden findet sich ein von derselben Quelle erstellter Überblick über die Entwicklung der Zahl der Vorfälle von Kalenderwoche 26 - 44 des Jahres 2017:

 

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(CR 14.11.2017)

 

Im kürzlich veröffentlichten Global Peace Index (GPI)-Bericht wurde der Irak als das "dritt-unfriedlichste" Land der Welt eingestuft. Laut GPI-Bericht bleibt trotz der Zurückdrängung des IS die Stabilität und Sicherheit der Staaten Syrien und Irak weiterhin bedroht (K24 8.8.2017; vgl. Iraqinews 15.11.2017).

 

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(IHS Conflict Monitor, zitiert bei BBC 20.7.2017)

 

Wie auf dieser Karte zu sehen ist, hat die US-geführte Koalition gegen den IS im Irak seit August 2014 mehr als 12.200 Luftschläge durchgeführt (BBC 20.7.2017). Bei diesen Luftangriffen sind hunderte, vermutlich tausende Zivilisten ums Leben gekommen. Die US-geführte Koalition hat zugegeben, dass bei ihren Luftangriffen in Syrien und Irak [die zum größten Teil in Irak, dabei vorrangig in Mossul, aber auch in anderen Gebieten des Nord- und Zentral-Irak stattfanden, s. Karte] zumindest 484 Zivilisten getötet wurden. Unabhängige Beobachter sprechen eher von tausenden, das Transparenz-Projekt Airwars spricht von zumindest 3.800 toten Zivilisten in Irak und Syrien. Der tödlichste Einzel-Luftschlag war jener auf den Mossul-Bezirk al-Jadida am 17.03.2017, bei dem zumindest 101 Männer, Frauen und Kinder getötet wurden (IP 3.6.2017), obwohl das Ziel dieses Angriffes lediglich zwei IS-Scharfschützen waren (Zeit 11.7.2017). Neben den "Bedenken bezüglich möglicher Kriegsverbrechen", die den Kampf gegen den IS in Mossul betreffend geäußert werden (IP 3.6.2017), haben nun auch einige ehemalige US-amerikanische Sicherheitsoffiziere einen warnenden Brief an den US-Verteidigungsminister James Mattis gerichtet, dass "unbeabsichtigte Zivilopfer strategische Rückschläge verursachen können, indem etwa die Kooperation mit lokalen Partnern zurückgehen könnte, oder als Antrieb für militante Propaganda benutzt werden könnten" (NY Times 25.5.2017).

 

Die die folgende Grafik zeigt, wo sich im Irak die wichtigsten gewaltsamen/militärischen Kämpfe oder Zusammenstöße im Zeitraum Jänner 2015 bis Juni 2016 ereigneten:

 

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(BMI 2016)

 

Die Sicherheitslage im Irak hat sich nach der dramatischen Verschlechterung (vor allem durch den Vormarsch des IS ab Mitte 2014) in den Jahren 2015 und 2016 (mit Ausnahme von einigen vom IS zurückeroberten Gebieten) nicht verbessert (AA 7.2.2017). Es herrschen weiterhin Langzeit-Instabilität und Gewalt an mehreren Fronten gleichzeitig (OA/EASO 2.2017). Die territoriale Zurückdrängung des IS im Laufe des Jahres 2016 hat die Zahl der terroristischen Anschläge in den genannten Provinzen nicht wesentlich verringert, in manchen Fällen hat sie sogar eine asymmetrische Kriegführung des IS mit verstärkten terroristischen Aktivitäten provoziert (AA 7.2.2017; vgl. ÖB 12.2016). Schwerpunkte terroristischer Aktivitäten bleiben Bagdad sowie die Provinzen Anbar, Ninewah, ?ala? ad-Din und Diyala im Norden und Westen des Landes (AA 7.2.2017). Teile dieser Provinzen sind weiterhin nicht vollständig unter der Kontrolle der Zentralregierung. Systematische, grausamste Verbrechen des IS an tausenden Menschen bis hin zu Versuchen, ganze Bevölkerungsgruppen zu vernichten, prägen hier das Bild. Rund 17 Millionen Menschen (53 Prozent der Bevölkerung Iraks) sind von Gewalt betroffen (AA 7.2.2017). Zuletzt griff der IS am 4. Juli 2017 das Dorf Imam Gharbi, südlich von Qayyarah, an. Dabei gab es 170 Opfer, einige davon Zivilisten (OCHA 13.7.2017). Dem IS wird auch immer wieder vorgeworfen, Chemiewaffen einzusetzen (Zeit 16.4.2017). Laut World Health Organization (WHO) sind mögliche Fälle von Einsätzen von Chemiewaffen im Irak seit 2016 stark angestiegen, insbesondere in Mossul gibt es regelmäßig solche Berichte. Die WHO bezog jedoch nicht Stellung, ob die Chemiewaffeneinsätze auf das Konto des IS oder das von anderen Gruppen, die in die Kämpfe um Mossul verwickelt sind, gehen (New Arab 26.6.2017).

 

Neben den sicherheitsrelevanten Handlungen des IS wird auch von Gewalttaten gegen Zivilisten von Seiten der irakischen Sicherheitskräfte und Milizen berichtet (AA 7.2.2017). Die Milizen sind ein wichtiger Teil der Offensiven gegen den IS, gleichzeitig sind sie jedoch stark religiös/konfessionell motiviert, und es gibt zahlreiche Berichte über Racheakte insbesondere an der sunnitischen Bevölkerung (s. dazu ausführlich die Abschnitte zur Menschenrechtslage sowie den Abschnitt zu IDPs). Allgemein ergeben sich zunehmende Spannungen dadurch, dass die (vorwiegend) schiitischen Milizen der PMF zunehmend an Macht und Terrain gewinnen. Im Norden Iraks nimmt das Gebiet, das die Milizen im Zuge der Mossul-Rückeroberungsoffensive unter ihrer Kontrolle haben, stark zu. (BBC 3.12.2016). Im Nordwesten des Irak eroberten pro-iranische schiitische Milizen beispielsweise die Stadt Baadsch im irakisch-syrischen Grenzgebiet vom IS zurück. Weitere Vorstöße erfolgten in Richtung der Stadt Al-Qaim. Der Sprecher der Volksmobilisierungseinheiten, Karim al-Nuri, betonte zudem, dass in Koordination mit dem syrischen Regime der IS auch auf syrischem Boden bekämpft wird. Die neue Dominanz der pro-iranischen Milizen im Grenzgebiet stößt auf heftige Kritik der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) in Syrien, die davor warnen syrisches Territorium zu betreten. Ein Einmarsch der schiitischen Milizen würde neue Spannungen zwischen den von den USA unterstützten Kurden und den vom Iran unterstützten schiitischen Milizen schaffen. Premierminister Abadi kritisierte die Aussage des Kommandanten der Volksmobilisierungseinheiten und betonte, dass es gemäß Verfassung Irakern nicht gestattet ist, über die Grenzen des Landes hinaus zu kämpfen (IFK 9.6.2017).

 

Gewaltmonopol des Staates

 

Staatlichen Stellen ist es derzeit nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen sowie der IS handeln eigenmächtig. Dadurch sind die irakischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage, den Schutz der Bürger sicherzustellen (AA 7.2.2017). Insbesondere über den Nordwesten des Irak kann die Regierung nicht die Kontrolle behalten und muss sich auf die [vorwiegend] schiitischen Milizen der PMF verlassen. Die zwei wichtigsten davon sind Asaïb Ahl al-Haq (AAH) und die Badr-Brigaden, die beide [effektiv] unter dem Kommando des Iran stehen (Stansfield 26.4.2017). Durch die staatliche Legitimierung der Milizen verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren. Staatliche Ordnungskräfte können sich teilweise nicht mehr gegen die mächtigen Milizen durchsetzen (AA 7.2.2017).

 

Sicherheitslage in den zurückeroberten Gebieten

 

Die prekäre Sicherheitslage in den vom IS zurückeroberten Gebieten ist v.a. durch IEDs (improvised explosive devices) und Minen sowie durch Konflikte zwischen Milizen geprägt (ÖB 12.2016). Besonders in ethnisch gemischten Gebieten werden nach Befreiungsoperationen eskalierende Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppen, die an der Rückeroberung teilgenommen haben, dokumentiert (USDOS 3.3.2017). Auch Angriffe seitens des IS können in diesen Gebieten weiterhin eine Rolle spielen (S. Abschnitt zu IDPs und Flüchtlingen).

 

Mossul

 

Mitte Juni begann die letzte Etappe der Mossul-Offensive, die "Säuberung" der Altstadt. Zuvor hatte eine Division den Bezirk al-Schifaa eingenommen und den IS eingekesselt. Ein paar Tage später sprengte der IS Medienberichten zufolge die symbolisch bedeutende Al-Nuri Moschee (in der 2014 das Kalifat ausgerufen wurde), um die Verkündung einer Siegeserklärung durch die ISF (Iraqi Security Forces) zu verhindern. Dennoch erklärten die ISF das Ende des IS-Kalifats. Am 9. Juli 2017 erklärte die irakische Regierung die Schlacht für beendet und Mossul für befreit (IFK 25.7.2017). Dies stellt einen großen strategischen Erfolg im Kampf gegen den IS im Irak dar und wurde in fast neun Monate andauernden Kämpfen unter großen Verlusten erreicht.

 

Es wird jedoch noch lange dauern, bis in Mossul wieder so etwas wie Sicherheit herrschen wird. Im Ostteil der Stadt, den die Djihadisten Anfang des Jahres an die irakischen Kräfte verloren hatten, haben sie nach amerikanischen Angaben seither hunderte Anschläge/Angriffe durchgeführt. Auch dem Westteil Mossuls, der in Trümmern liegt, droht eine Phase der Instabilität (Meier 12.7.2017). Ein harter IS-Kern hat überlebt und sorgt für Unsicherheit. Wochen, nachdem die irakische Regierung ihren Sieg über den Islamischen Staat verkündet hat, tauchen IS-Kämpfer aus dem Nichts auf und Selbstmordattentäter sprengen sich in die Luft (Harrer 10.8.2017). Der IS versucht weiterhin, Waffen in die Stadt zu schmuggeln, was dadurch begünstigt wird, dass er Rückzugsgebiete (wie z.B. die Hamrim-Berge, oder die Wüste) hat, die von den irakischen Streitkräften nicht kontrolliert werden (Harrer 20.8.2017). Besonders der Westen Mossuls, der zuletzt befreit wurde, wird als so unsicher empfunden, dass Familien daraus fliehen. Andere kommen zwar aus den Flüchtlingslagern zurück, aber nicht wenige davon geben angesichts der Lage bald wieder auf und gehen zurück ins Lager. Nach wie vor werden in der Stadt ältere Massengräber - aber auch neue Tote - gefunden (Harrer 10.8.2017). Im Rahmen erster Bestandsaufnahmen wurde festgestellt, dass etwa ein Drittel der Wohnhäuser und Wohnungen Mossuls zerstört wurde; zudem sind wesentliche Teile der Infrastruktur, z.B. sämtliche Tigrisbrücken, zerstört oder stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Verminungen durch den IS werden die Kampfmittelräumung, wie in Fallujah und Ramadi, über Jahre beschäftigen (BAMF 17.7.2017). Große Teile des Westens der Stadt sind auf Grund dieser Verminungen praktisch unbewohnbar. Die Minen sind teilweise sogar in Leichen platziert, wodurch die Bergung und Beerdigung erheblich erschwert wird und Seuchengefahr besteht (BAMF 10.7.2017). Wie in jeder von Kämpfen verwüsteten Stadt, in der sich eine neue Autorität erst durchsetzen muss, gibt es eine mit der Kriegswirtschaft zusammenhängende Kriminalität. Zuletzt gab es Berichte, dass Elemente schiitischer Milizen in den Ölschmuggel verwickelt sind und mit der Bundespolizei, die Teile der Stadt von der irakischen Armee übernommen hat, über die Kontrolle einer Brücke aneinandergerieten. Die Berichte sind jedoch widersprüchlich, je nach dem, woher sie stammen: Sehen die einen in den (meist) schiitischen Hashd al-Shaabi (Volksverteidigungseinheiten) die Retter des Irak vor dem IS, so sind sie für die anderen nicht viel besser als der IS selbst (Harrer 10.8.2017). Übergriffe auf Zivilisten, bzw. auf mutmaßliche IS-Kollaborateure oder deren Angehörige sind nicht nur durch die Hashd, sondern auch durch die Armee belegt. In den Lagern sowie in den befreiten Gebieten der Stadt kommt es zu Racheakten an Angehörigen von IS-Kämpfern bis hin zum Mord (Harrer 10.8.2017; vgl. BAMF 26.6.2017). Mit IS-Angehörigen wird oft kurzer Prozess gemacht. Auf die irakische Justiz kommt so eine mehrfach schwierige Aufgabe zu. Die Kontrolle über Mossul und über die gesamte Provinz Ninewah ist stark fragmentiert, Zuständigkeiten sind oft unklar und ändern sich ständig (Harrer 10.8.2017).

 

Anschläge

 

Der IS verübte im gesamten Land Selbstmordattentate und andere Anschläge, bei denen Zivilpersonen verletzt oder getötet wurden. Die Anschläge richteten sich wahllos und teils gezielt gegen Zivilpersonen auf belebten Märkten und öffentlichen Plätzen oder beim Besuch schiitischer Schreine (AI 22.2.2017). VBIEDs (vehicle-borne improvised explosive devices - Autobomben) und Sprengsätze von Selbstmordattentätern wurden auf öffentlichen Märkten, Sicherheitskontrollpunkten und in vorwiegend schiitischen Umgebungen zur Explosion gebracht (USDOS 3.3.2017). V.a. Städte waren im Fokus des IS. Bagdad war dabei am stärksten betroffen und war der Ort, an dem mehr als die Hälfte der gesamten Todesfälle passierten (USDOS 3.3.2017). Der IS stellt trotz der massiven Rückschläge, die er erlitten hat, im Irak weiterhin eine ernstzunehmende Gefahr dar, und seine Transformation zu einer Organisation, die ihre Ressourcen zunehmend für Aufstände, Guerilla-Angriffe und terroristische Anschläge benutzt, hat bereits begonnen (Daily Star 10.7.2017). Im Zusammenhang mit der Zurückdrängung des Kontrollgebietes des IS sieht das Institute for the Study of War (ISW) bereits jetzt ein (Wieder)-Erwachen von anderen aufständischen sunnitischen Gruppen, die durch die Schwächung des IS und den dadurch entstehenden Freiraum wieder Fuß fassen können. Regierungsfeindliche Gruppen formieren sich einerseits, weil die Sunniten im konfessionell geprägten Konflikt von der schiitisch dominierten Regierung weiterhin zunehmend marginalisiert werden, und sie Angst vor den an Bedeutung gewinnenden, vom Iran aus gelenkten schiitischen Milizen haben. Andererseits werden diese Probleme von Seiten radikaler Gruppen wie Al Qaeda und ex-/neo-baathistischen Gruppen wie Jaysh al-Rijal al-Tariqa al-Naqshbandiya (JRTN) benutzt, um sunnitische Bürger für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Diese Gruppen sind - Annahmen des Institutes for the Study of War zufolge - bereits jetzt zunehmend für Anschläge im Irak verantwortlich (ISW 7.2.2017). Terroristische Organisationen sind im gesamten Irak weiterhin imstande tödliche Anschläge durchzuführen. Heimische Terrororganisationen sind dabei für den Großteil der Anschläge verantwortlich und sind in den meisten Fällen religiösen oder politischen Organisationen zuordenbar. Zu diesen Gruppen gehören neben dem (sunnitischen) IS auch die Peace Brigades von Muqtada al Sadr (schiitisch), sowie die ebenfalls schiitischen Gruppen Asa'ib Ahl al-Haq (AAH) und Kata'ib Hizballah (OSAC 1.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1501508705_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-17-07-2017-deutsch.pdf , Zugriff 31.8.2017

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/5734_1501757671_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-26-06-2017-deutsch.pdf , Zugriff 31.8.2017

 

 

 

 

 

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/local_link/332022/473311_de.html , Zugriff 28.6.2017

 

 

 

 

IFK - Institut für Friedenssicherung und Konfliktfoschung - Republik Österreich BMLVS (25.7.2017): Fact Sheet Irak, Nr. 63, http://www.bundesheer.at/pdf_pool/publikationen/fact_sheet_syrien_irak_63.pdf , http://www.bundesheer.at/wissen-forschung/publikationen/publikation.php?id=835 , Zugriff 3.8.2017

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Statistiken und Grafiken zur Sicherheitslage im Irak

 

Die irakische Regierung veröffentlicht selbst keine Zahlen zu den Opfern des bewaffneten Konfliktes mehr und ist im Gegenteil bemüht, das Ausmaß von Gewalttaten herunterzuspielen (Harrer 10.8.2017; vgl. Wing 20.7.2017).

 

UNAMI (United Nations Assistance Mission for Iraq) dokumentierte für das Jahr 2017 3298 getötete Zivilisten. Für das Jahr 2016 wurden noch 6.878 Zivilisten dokumentiert, die durch "Terrorismus, Gewalt und bewaffnete Konflikte" getötet wurden. Dies sind geringfügig weniger als im Jahr 2015 mit 7.515 getöteten Zivilisten. Zu beachten ist, dass UNAMI bis November 2016 auch Bundespolizisten in die Statistik einbezog, und ab Dezember 2016 diese nicht mehr einbezog (UNAMI 2016/2017). Im Folgenden findet sich eine Statistik, die die Zahlen der von UNAMI dokumentierten monatlich getöteten Zivilisten darstellt:

 

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(Quelle: UNAMI 2016/2017; Darstellung: Staatendokumentation)

 

Laut UNAMI selbst wurde die Organisation bei der Erfassung der Opferzahlen behindert, die Zahlen sollten laut dieser als absolute Mindestangaben und nicht als vollständig angesehen werden. Die Organisation hat auch Berichte von großen Zahlen von Opfern erhalten, bezüglich welcher sie nicht die Möglichkeit hatte, diese zu verifizieren. Darüber hinaus hat UNAMI Berichte über große Zahlen von Menschen erhalten, die durch sekundäre Folgen der Gewalt ums Leben gekommen sind (Mangel an Wasser, Nahrung und medizinischer Versorgung), gestorben sind, die ebenfalls nicht in den Zahlen enthalten sind. Bei jenen Monaten mit Stern sind die Zahlen aus der Provinz Anbar zudem jeweils nicht enthalten (UNAMI 2016/2017). In jedem monatlichen Bericht UNAMI's werden jeweils die Zahlen zu den am stärksten betroffenen Provinzen angegeben. Im Monat Juni 2017 sind das beispielsweise die Provinzen Ninewa, Bagdad, Salahuddin und Babil. In den meisten der monatlichen Berichte der letzten Jahre war Bagdad jene Provinz mit den meisten zivilen Opfern, zuletzt trat diesbezüglich Ninewah in den Vordergrund. Zahlen zu den in geringerem Ausmaß betroffenen Provinzen werden nicht veröffentlicht (UNAMI 2016/2017).

 

Die folgende Tabelle zeigt eine Aufgliederung ziviler Opfer in den sechs am intensivsten von Gewalt betroffenen Provinzen im Zeitraum Juni 2014 bis November 2016 auf Basis von Daten von UNAMI:

 

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(UK Home Office 3.2017)

 

Iraqi Body Count (eine Datenbank, die von der in London ansässigen Firma Conflict Casualties Monitor betrieben wird) dokumentierte im Jahr 2016 16.393 Zivilisten, die durch Gewalt ums Leben kamen (also rund 2,4 mal so viele, wie UNAMI). Im Jahr davor wurden von Iraqi Body Count ca. 17.578 getötete Zivilisten dokumentiert. Die vorläufigen Zahlen des ersten Halbjahres 2017 (10.672) zeigen, dass diese Zahlen höher sind, als die der vier Halbjahre davor. Im Folgenden findet sich eine Grafik, die die von Iraqi Body Count dokumentierten monatlich durch Gewalt getöteten Zivilisten darstellt (die grauen Balken zeigen vorläufige Zahlen):

 

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(Iraqi Body Count 7.2017; Iraqi Body Count selbst weist darauf hin, dass auf Grund von Lücken bei Berichterstattung und Aufzeichnungen selbst die höchsten von Iraqi Body Count veröffentlichten Zahlen viele Fälle von durch Gewalt getöteten Zivilisten nicht enthalten).

 

Joel Wing, der unter anderem von BBC und CNN als Experte eingeladen wird, für die Jamestown Foundation geschrieben hat, immer wieder in einschlägigen Berichten (z.B. UK Home Office-Bericht zum Irak oder von der österreichischen Nahost-Expertin Gudrun Harrer) zitiert wird (LATimes 20.1.2017), veröffentlicht in seinem Blog "Musings of Iraq" ebenfalls Zahlen zu den Opfern von Gewalt im Irak. Die Statistiken von Joel Wing enthalten genaue Angaben zur Anzahl der Getöteten / getöteten Zivilisten / Verwundeten, etc. - und dies jeweils in Kombination mit der Art des Angriffes/Anschlages. Hier ein exemplarischer Ausschnitt aus einer solchen Auflistung:

 

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(MOI - Musings on Iraq 2016/2017)

 

Diese Auflistungen wurden von Seiten der Staatendokumentation im Folgenden zu Grafiken verdichtet. Laut Joel Wing handelt es sich bei diesen Zahlen der Vorfälle um keine Schätzungen, die versuchen das Gesamtausmaß zu erfassen, sondern um einzeln dokumentierte Fälle. Sie seien daher keinesfalls als erschöpfend anzusehen. Zudem würde die irakische Regierung aus Propagandagründen immer wieder aktiv Informationen über einige Vorfälle unterdrücken (Wing 20.7.2017).

 

Joel Wing dokumentierte im letzten Jahr (Zeitraum Juli 2016 - Juni 2017) im Irak 22.322 im Rahmen des bewaffneten Konflikts getötete Zivilisten. Insgesamt wurden von dieser Quelle im Irak im selben Zeitraum 7.083 Vorfälle dokumentiert, bei denen 26.545 Personen (Zivilisten und Nicht-Zivilisten zusammen) getötet und 36.582 verwundet wurden. Die folgende Grafik zeigt die von Joel Wing dokumentierten monatlichen Zahlen (Anm.: Im Zuge von Stammeskonflikten Getötete sind nicht inkludiert, im Zuge von "gewöhnlichen" kriminellen Handlungen Getötete (Raubüberfälle, Kidnapping, etc.), sind nur in manchen Provinzen inkludiert, s.u.):

 

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(Quelle: MOI - Musings on Iraq 2016/2017; Darstellung:

Staatendokumentation)

 

Eine Gegenüberstellung der drei Quellen (UNAMI, Iraqi Body Count und Joel Wing) bezüglich der Zahlen zu den getöteten Zivilisten zeigt folgende gravierenden Unterschiede (Zum Teil zeigen die Quellen Iraqi Body Count und Musings on Iraq drei bis sechs Mal so hohe Zahlen wie UNAMI an):

 

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(Quellen: UNAMI 2.7.2017, Iraqi Body Count 7.2017 und Musings on Iraq 2016/2017, Darstellung: Staatendokumentation)

 

Die detaillierte Aufschlüsselung der Zahlen von Joel Wing ermöglicht eine weitere Grafik, die die Zahlen der getöteten Personen (Zivilisten und Nicht-Zivilisten) zu den einzelnen Provinzen zeigen (Zeitraum Juli 2016 bis Juni 2017):

 

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(Quelle: MOI - Musings on Iraq 2016/2017; Darstellung:

Staatendokumentation)

 

Anm.: Die Provinz Ninewah ist auf Grund der extrem hohen Zahl von

18.369 getöteten Personen in dieser Grafik nicht enthalten. Die Grafik zeigt die laut dieser Quelle am stärksten betroffen Provinzen (ausgenommen Ninewa).

 

Folgende von Joel Wing zusätzlich gelieferten Informationen sind insbesondere für die südlichen Provinzen von entscheidender Bedeutung:

 

In den südlichen Provinzen wurden (anders als in den Provinzen Zentral- und Nordwestiraks) die durch kriminelle Gewalt Getöteten nicht inkludiert (Ausnahme Babil). Laut Joel Wing ist der Großteil der Gewalt, die in den südlichen Provinzen stattfindet, größtenteils nicht terroristischer Natur, sondern krimineller, politischer und "tribaler" (stammesbezogener) Natur. Kriminelle und stammesbezogene Gewalt wurde jedoch in Joel Wing's Statistik bzgl. der südlichen Provinzen nicht mit einberechnet (Wing 20.7.2017). Anm.: Somit sind die Zahlen bezüglich der südlichen Provinzen nicht aussagekräftig und wurden daher nicht in die obenstehende Grafik inkludiert. Weiteres dazu siehe auch im Abschnitt zur Sicherheitslage in den südlichen Provinzen. Im Nordosten und Zentralirak wird "gewöhnliche" kriminelle Gewalt (wie Raubüberfälle und Kidnappings) in die Zahlen aus dem Grund mit hineingenommen, da solche kriminellen Aktionen in diesen Gebieten oft auch von Aufständischen für die Finanzierung [ihrer Ideologie/Organisation] verwendet werden. In den Provinzen der KRI wurden weder kriminelle noch stammesbezogene Gewalt inkludiert (Wing 20.7.2017). In den Opfer-Zahlen zur KRI sind jedoch zahlreiche PKK-Angehörige enthalten, die im Rahmen von Angriffen der türkischen Luftwaffe getötet wurden (insb. in der Region Sinjar)(MOI 2016/2017). Stammesbezogene Gewalt wurde in keiner der Provinzen Iraks mit einberechnet (Wing 20.7.2017)

 

Anhand der von Joel Wing veröffentlichten Statistik lässt sich auch die folgende Grafik erstellen, die die dokumentierten Todesfälle von Zivilisten durch Gewalt/Terrorismus (Todesfälle durch Stammeskonflikte sind wiederum nicht inkludiert) in den letzten vier Monaten aufgeschlüsselt nach den meist betroffenen Provinzen zeigt (Ninewah wird auf Grund der enorm hohen Zahlen gesondert angezeigt):

 

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(Quelle: MOI 2016/2017; Darstellung Staatendokumentation)

 

Im Country Policy and Information Note des UK Home Office findet sich eine ebenfalls auf Joel Wing's Zahlen beruhende Grafik zur Art der gewaltsamen Angriffe und Anschläge in den sechs am meisten betroffenen Provinzen des Irak zwischen Juni 2014 und Jänner 2017:

 

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(Quelle: UK Home Office 3.2017, Grafik anhand der Zahlen von Joel Wing)

 

Im Folgenden findet sich eine Tabelle mit Schätzungen der Bevölkerungszahlen der irakischen Provinzen (herausgegeben von der Republik Irak, mit Stand 2009):

 

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(Quelle: Republik Irak, zitiert bei UK HO 3.2017)

 

Quellen:

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/5734_1501757671_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-26-06-2017-deutsch.pdf , Zugriff 31.8.2017

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=7496:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-june-2017&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=7414:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-may-2017&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=7228:un-casualties-figures-for-iraq-for-the-month-of-april-2017&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=7085:un-casualties-figures-for-iraq-for-the-month-of-march-2017&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6877:un-casualties-figures-for-iraq-for-the-month-of-february-2017&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6725:un-casualties-figures-for-iraq-for-the-month-of-january-2017&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6611:un-casualties-figures-for-iraq-for-the-month-of-december-2016&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6455:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-november-2016&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6267:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-october-2016&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6144:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-september-2016&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6041:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-august-2016&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=5931:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-july-2016&Itemid=633&lang=en ,

Zugriff 25.7.2017

 

 

MOI - Joel Wing in Musings on Iraq (2016/2017): Violence in Iraq / Dead and Wounded in Iraq, Anm.: Zu den jeweiligen Monatsberichten s. folgende Hyperlinks:

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2016/09/violence-in-iraq-august-2016.html

,

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2016/10/violence-in-iraq-sep-2016.html , http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2016/11/5198-dead-and-wounded-in-iraq-in-oct.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2016/12/4360-dead-3920-wounded-in-iraq-november.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/01/24079-reported-dead-and-39166-wounded.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/02/violence-in-iraq-january-2017.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/03/4290-dead-and-wounded-in-iraq-in.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/04/6732-dead-and-wounded-in-iraq-in-march.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/05/2677-killed-and-1742-wounded-in-iraq.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/07/3230-dead-1128-wounded-in-iraq-june-2017.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/07/3230-dead-1128-wounded-in-iraq-june-2017.html , Dezember-Zahlen: Wing, Joel (20.7.2017): Per Email

 

Sicherheitsbehörden und die wichtigsten im Irak operierenden militärischen Akteure und Milizen

 

Irakische Sicherheitskräfte (ISF)

 

Die ISF bestehen aus den Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, aus jenen, die vom Verteidigungsministerium verwaltet werden, aus den [vorrangig schiitischen] Milizen, die unter der Dachorganisation der Volksmobilisierung (PMF) zusammengefasst wurden (Anm.: diese werden auf Grund ihrer besonderen Rolle und Stellung in einem gesonderten Abschnitt behandelt) und dem Counterterrorism Service (CTS). Die Aufgaben des Innenministeriums umfassen nationale Gesetzesvollstreckung und Aufrechterhaltung der Ordnung, gestützt auf die staatliche Polizei, die regionale Polizei, die Abteilung zum Schutz von Gebäuden/Einrichtungen, die Bürgerwehr sowie die Abteilung für Grenzschutz. Die dem Ölministerium unterstehende Energie-Polizei ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur verantwortlich. Herkömmliche, dem Verteidigungsministerium unterstehende Militärkräfte sind für die Verteidigung des Landes verantwortlich, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch häufig Anti-Terror-Einsätze sowie interne Sicherheitseinsätze durch (USDOS 3.3.2017).

 

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(Darstellung: Staatendokumentation, Quellen: USDOS 3.3.2017; AI 2016; Witty 2014; Al-Monitor 21.2.2017; Global Security o.D.; Al-Jazeera 1.4.2015; ISW 19.12.2016)

 

Die irakischen Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige und über 100.000 Polizisten umfassen. Die ISF sind nicht in der Lage, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert, darüber hinaus existiert kein Polizeigesetz. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung. In einem Urteil des EGMR (EGMR 264 (2016) vom 23.08.2016) hinsichtlich der Rückführung in den Irak wird bemerkt, dass weite Gebiete des Landes sich außerhalb der effektiven Kontrolle der Regierung befinden und die Schutzfunktion des Staates als vermindert anzusehen ist. Die Menschenrechtslage ist, vor allem in Hinblick auf die mangelhafte staatliche Kontrolle und des wenig ausgeprägten Gewaltmonopols samt verbreiteter Straflosigkeit desolat, in der KRI vergleichsweise etwas besser (ÖB 12.2017).

 

Die irakische Armee verfügt nicht über ausreichende Fähigkeiten oder Ausrüstung, um ihrem Auftrag gerecht zu werden. Die Schmach des weitgehend kampflosen Rückzugs gegenüber den IS-Kräften bei deren Vormarsch 2014 sitzt jedoch tief und führte in der Zwischenzeit in Teilen der Truppe zu einer hohen Motivation bei der Rückeroberung besetzter Gebiete. [Zehntausende irakische Soldaten verließen im Juni 2014 ihre Posten und flüchteten; viele aus Angst vor dem IS, viele meinten, sie hätten den Befehl dazu bekommen - Global Security

o. D] Die Professionalisierung der Armee und vor allem auch der Bundes- und lokalen Polizei wird im Rahmen der internationalen Anti-IS-Koalition mit Hilfe internationaler Militär- und Polizeiausbildung unterstützt (AA 7.2.2017).

 

Bei militärischen Einsätzen (insb. gegen den IS) spielt auch die Polizei eine wichtige Rolle. Die Bundespolizei ist diesbezüglich einer der Hauptakteure, die lokale Polizei - sofern noch vorhanden - nimmt ebenfalls an den Operationen Teil (IISS 15.5.2017).

 

Durch die staatliche Akzeptanz, teilweise Führung und Bezahlung der Milizen (s. PMF) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren. In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur organisierten Kriminalität durchsetzen (AA 7.2.2017). Insgesamt konnten zivile Behörden nicht immer die Kontrolle über alle Sicherheitskräfte bewahren. Dies betrifft neben den PMF auch die regulären bewaffneten Kräfte, sowie heimische Sicherheitsdienste (USDOS 3.3.2017).

 

Counterterrorism Service

 

Der Counterterrorism Service (CTS) (auch Counterterrorism Bureau / Jihaz Mukafahah al-Irhab) ist eine auf Terrorbekämpfung spezialisierte Eliteeinheit, die direkt dem Premierminister unterstellt ist. Der CTS ist somit neben den anderen Standbeinen der irakischen Sicherheitskräfte auf gleicher (quasi-ministerieller) Ebene eine Organisation mit weitreichenden Kompetenzen in Bezug auf Terrorbekämpfung (AI 2016; vgl. Witty 2014). Der CTS hat die Aufsicht über den Counterterrorism Command (CTC), der wiederum die Kontrolle über die Iraqi Special Operation Forces (ISOF) hat. Diese bestehen aus drei Brigaden (ISOF-Brigaden), deren bekannteste die 1st ISOF-Brigade ist, auch "Golden Brigade / Golden Division" genannt (ISW 19.12.2016). Der CTS erhält seit seiner von den USA unterstützen und finanzierten Gründung (Witty 2014) direkte Unterstützung und Trainings von Seiten der Vereinigten Staaten und anderen Mitgliedern der Koalition [gegen den IS], u.a. von Frankreich (Al-Monitor 21.2.2017). Zum Teil wird der CTS auf Grund seiner Nähe zu US-amerikanischen Beratern in der irakischen Bevölkerung kontrovers gesehen (Witty 2014). Andererseits kommt dem CTS eine besonders entscheidende Rolle im Kampf gegen den IS zu (Global Security o.D.; vgl. Al-Jazeera 1.4.2015). Er trug die Hauptbürde bei der Mossul-Offensive und hatte dabei enorme Verlustraten zu beklagen - über 50 Prozent (ISW 19.12.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

DISPLACED IRAQIS ABUSED BY MILITIAS AND GOVERNMENT FORCES,

https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1476859165_mde1449622016english.pdf , Zugriff 23.8.2017

 

 

 

 

 

 

 

 

Schiitische Milizen - Popular Mobilization Forces

 

Genese und Entwicklung seit 2014

 

Der Name "Volksmobilisierungseinheiten" bzw. Al-Hashd al-Shaabi, englisch: Popular Mobilization Units (PMU) oder Popular Mobilization Forces bzw. Front (PMF)) bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig fast ausschließlich schiitische Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen. Schätzungen zufolge haben die Volksmobilisierungseinheiten zwischen 60.000 und 140.000 Mann unter Waffen. Die Entstehung des Milizenbündnisses kann als Reaktion auf die irakische Offensive des sog. "Islamischen Staates" (IS) verstanden werden und ist somit eng mit dessen militärischen Erfolgen und territorialen Gewinnen verquickt: Im Sommer 2014 drang die Terrororganisation in den Irak ein und nahm am 10. Juni erst Mossul und danach weite Teile der Provinzen Ninewah, Salahuddin, Anbar, Diyala und Kirkuk ein; wenig später waren auch die Städte Erbil und Bagdad in Gefahr (Süß 21.8.2017).

 

Die reguläre irakische Armee war dem IS nicht gewachsen, weshalb der damalige Ministerpräsident Nuri al-Maliki am 11. Juni zur Mobilisierung einer "Reservearmee" aufrief. Außerdem ließ der führende irakische schiitische Gelehrte Ayatollah Ali Sistani am 13. Juni ein islamisches Rechtsgutachten (fatwa) verlautbaren, in dem er alle jungen Männer dazu aufrief, sich den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten des Irak anzuschließen. Infolge der Fatwa schrieben sich tausende junge schiitische Männer auf Freiwilligenlisten ein, schlossen sich jedoch nicht Armee oder Polizei, sondern bereits existierenden oder neu formierten schiitischen Milizen an. Zwei Tage später bildete die irakische Regierung ein Komitee der Volksmobilisierung, das dem Ministerpräsident Haidar al-Abadi untersteht und vom Nationalen Sicherheitsberater Falih al-Fayyad geleitet wird. Die wahren Kräfteverhältnisse sind allerdings schon daran abzusehen, dass die Gründung durch das irakische Innenministerium verkündet wurde:

Dieses unterstand bis Juli 2016 der Führung des "Badr-Politikers" Muhammad al-Ghabban, die dominante Kraft im Innenministerium und damit der eigentliche irakische Führer des Milizenbündnisses ist jedoch Hadi al-Amiri. Mehrere Milizen stehen außerdem politischen Parteien nahe. Innerhalb der zahlreichen, meist lokal organisierten Gruppen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten können im Wesentlichen drei Gruppen ausgemacht werden: Erstens schon länger aktive Milizen, die infolge der Fatwa tausende neue Rekruten hinzugewannen (Badr-Organisation, Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Hizbullah und Saraya as-Salam). Zweitens gibt es solche schiitischen Formationen, die ab Juni 2014 entstanden (bspw. Kata'ib al-Imam Ali) und drittens einige kleinere sunnitische Milizen (Süß 21.8.2017).

 

Die wichtigsten Milizen innerhalb der PMF

 

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Sie orientiert sich an der Tradition Khomeinis und der Staatsdoktrin Irans. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des "Hohen Rates für die Islamische Revolution im Irak" gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war. Mit der Namensänderung in Badr-Organisation wurde das Korps zum politischen Akteur. Als sich der Rat in "Irakischer Islamischer Hoher Rat" umbenannte und sich gleichzeitig vom Iran distanzierte, gelang es Badr, sich als wichtigster Verbündeter Irans im Irak zu etablieren und trennte sich 2009 schließlich vom Hohen Rat. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft des Milizenbündnisses. Sie ist besonders mächtig, weil sie Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen. Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und arbeitet mit Kata'ib Hizbullah zusammen. Unklar ist jedoch, ob die genannten Zahlen ausschließlich Kämpfer oder auch sonstiges Personal umfassen, denn die Badr-Organisation ist Miliz und politische Partei in einem. Badr war bisher an allen wichtigen militärischen Auseinandersetzungen in den Provinzen Diyala, Salah ad-Din, Anbar und Ninewah beteiligt; ihr militärisches Hauptquartier befindet sich im Militärlager Camp Ashraf nördlich von Bagdad. In Diyala verfügt Badr außerdem über ein Territorium, das sich zu einer eigenständigen Machtbasis im Sinne eines "Staates im Staate" ausbauen lässt (Süß 21.8.2017).

 

Die Kata'ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) entstanden im Zuge der Umbenennung des Badr-Korps in Badr-Organisation und bekämpften im Gegensatz zu diesem die US-Truppen. Sie wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und werden auch von diesem angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist. Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von bis zu 30.000 Mann. Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten. Kata'ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

 

Die Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak. Asa'ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata'ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz'ali ist einer der bekanntesten Anführer der Volksmobilisierungseinheiten (Süß 21.8.2017).

 

Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa Sistanis auf Anweisung von Muqtada as-Sadr gegründet und sollten möglichst viele der Freiwilligen vereinigen. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden. Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann, ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017).

 

Auch Kata'ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden. Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl az-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr-Bewegung. Zaidi steht in engem Kontakt zu Muhandis und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, Kata'ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feld-kommandeur Abu Azrael erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017).

 

Überblick über die wichtigsten PMF:

 

 

 

Name *Gründung

Anführer und Gruppengröße

Verbindungen, Zusammenarbeit

Bekannte regionale Aktivität

1

Badr-Organisation *1983/84

Hadi al-Amiri 20.000 - 50.000

Kata'ib Hizbullah

stark in Kirkuk, Tuzkhurmato, Amerli, Salah ad-Din, Diyala; milit. Hauptquartier im Militärlager Camp Ashraf nördlich von Bagdad

2

Kata'ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) *2007

Abu Mahdi al-Muhandis ca. 30.000

Badr, Kata'ib Sayyid Shuhada, Kata'ib al-Imam Ali, Haraqat al-Nujaba

vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv

3

Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) *2006

Qaiz al-Khaz'ali mind. 3.000

unbekannt

Einfluss in neun Provinzen, u.a. Bagdad, Siyala, Tuzkhurmato, Südirak; einflussreichste Gruppe in Basra, Najaf, Kerbela, Muthanna

4

Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) *2014

Muqtada as-Sadr mind. 50.000

unbekannt

Haupteinsatzgebiet im südlichen Zentrum des Irak

5

Kata'ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) *2014

Shibl az-Zaidi

Badr, Kata'ib Hizbullah

bedeutend um Tuzkhurmato

6

Saraya Tali'a al-Khorasani (Khorasan Brigade) *2013

Ali Yasiri mind. 3.000

unbekannt

Kommandozentrum in Qadir Kerem, aktiv in Kirkuk und Salah ad-Din

7

Kata'ib Sayyid ash-Shuhada (Bataillone der Märtyrer Sayyids, Martyrs of Sayyid Batallions) *2013

Hajj Abu Ala

Badr, Kata'ib Hizbullah, Asa'ib Ahl al-Haqq

Unterstützungsbasis vor allem im Südirak, aktiv in Salah ad-Din

8

Harakat (Hizbullah) an-Nujaba (Bewegung der Edlen) *2013

Eqrem al-Qaibi

Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Hizbullah

aktiv in Babel, Samarra und um Bagdad

9

Liwa Abu al-Fadel al-Abbas (Abu Fadel Abbas Brigade) *2012

10.000

unbekannt

Kommandozentrum in Kerbela; aktiv in Bagdad und Umgebung sowie Salah ad-Din

10

Hizbullah al-Mujahidun f-il Iraq (Kämpfer der Partei Gottes im Irak) *2014

Abbas al-Muhammadawi

unbekannt

unbekannt

11

Faylaq al-Wa'ad as-Sadiq (Legion des wahren Versprechens)

Mohammad Hamza at-Tamimi

unbekannt

unbekannt

12

Kata'ib al-Imam al-Hussein (Bataillone des Imam Hussein) *2014

unbekannt

unbekannt

aktiv in Salah ad-Din

13

Kata'ib al-Imam al-Gha'ib (Bataillone des abwesenden Imam)

unbekannt

Splittergruppe von Kata'ib Hizbullah

aktiv in Falluja und Samarra

14

Kata'ib Ansar al-Hijja (Bataillone der Unterstützer von al-Hijja)

Mohammad al-Qinani

Kata'ib Martyr Sadr

aktiv in Salah ad-Din und Anbar

15

Kata'ib al-Ghadab (Bataillone der Wut) *2014

Abu Fakkar ash-Shammari

unbekannt

aktiv in Bagdad, Tikrit und Samarra

16

Kata'ib Ruhallah (Bataillone der Seele Allahs)

Abu Talib al-Mayahi

Kata'ib Ahrar al-Iraq

aktiv im Norden Bagdads und in Salah ad-Din

17

Kata'ib Ahrar al-Iraq (Bataillone der freien Männer Iraks) *2014

Abbas al-Maliki

Kata'ib Ruhallah

unbekannt

18

Saraya Ansar al-Aqida (Brigade der Unterstützer des Glaubensbekenntnisses) *2014

Jalal ad-Din Sagir

unbekannt

um Bagdad und Samarra, am aktivsten in Dhi Qar and Kerbela

19

Saraya al-Jihad (Brigade des Heiligen Krieges) *2014

Hasan as-Sari

unbekannt

Kommandozentrum in Wasit

20

Liwa Youm al-Qaim (Brigade des Tages des Auferstehenden)

unbekannt

Kata'ib al-Mawt al-Istishariyya

Bagdad

21

Liwa Dhu al-Fiqar (Zulfiqar-Brigade) *2013

Abu Shahad al-Juburi

unbekannt

Schutz eines Heiligen Schreins in Syrien

22

Liwa Assadullah al-Ghalip (Brigade der erobernden Löwen Gottes)

Suhail al-Araji

unbekannt

aktiv in Wasit und Bagdad

23

Liwa al-Muntadar (Brigade der Erwarteten)

Daghir al-Musavi

Kata'ib Sayyid al-Shuhada

Kommandozentrum in Basra

24

Liwa al-Youm al-Mau'ud (Brigade des versprochenen Tages) *2008

unbekannt

Saraya as-Salam

unbekannt

 

Weitere Milizen: Harakat al-Abdal, Hizbollah as-Sairun, Hizbullah al-Abrar, Kata'ib ad-Difa al-Muqaddas/Quwwa Shaheed al-Sadr, Kata'ib al-Fatah al-Mobin, Kata'ib al-Shaheed al-Awal, Kata'ib al-Shaheed al-Awal: Quw w-al-Buraq, Kata'ib at-Tayyar ar-Risali, Liwa al-Imam al-Hasan al-Mujtaba, Liwa al-Imam al-Qaim, Liwa al-Qa'im, Liwa al-Qaria, Saraya Ashura, Liwa Ammar ibn Yasir, Liwa ash-Shabab ar-Risali, Liwa as-Sadeqeyn, Saraya az-Zahra.

 

 

 

     

 

(Süß 21.8.2017)

 

Führung und Rechtsstellung der PMF

 

Generell kann innerhalb der Volksmobilisierung eine Dominanz der älteren Milizen und ihrer Anführer Amiri, Muhandis und Khaz'ali ausgemacht werden. Die personelle Führung des Milizenbündnisses übernimmt dabei eine Trias: Anführer ist Abu Mahdi al-Muhandis, Kommandeur der Kata'ib Hizbullah und enger Verbündeter Badrs und der iranischen Revolutionsgarden. Als eigentlicher starker Mann hinter Muhandis gilt allerdings Hadi al-Amiri, Anführer der Badr-Organisation. Einfluss übt außerdem Qasim Suleimani aus, umstrittener Kommandeur der zu den iranischen Revolutionsgarden gehörigen Quds-Brigaden. Der Iran versorgt die irakischen Milizen mit Geld und Waffen und bildet ihre Kämpfer gemeinsam mit der libanesischen Hizbullah im Iran, im Irak und im Libanon aus. Viele der Milizen vertreten deshalb folgerichtig eine islamistische Ideologie, die sich an jener des Irans orientiert. Der Iran nutzte die Gründung der Volksmobilisierung 2014 auf diese Weise dafür, ihren Einfluss im Irak erheblich zu steigern. Die größten Milizen innerhalb der Volksmobilisierung hängen dabei so stark vom Iran bzw. den iranischen Revolutionsgarden ab, dass sie als Instrument des Nachbarstaates bezeichnet werden können. Auch eine personelle Verbundenheit ist vorhanden: Muhandis und Amiri haben ihre engen Beziehungen zum Iran mehrmals selbst bestätigt. Allerdings gibt es neben besonders eng an den Iran angebundenen Milizen (Badr-Organisation und Kata'ib Hizbullah) auch solche, die zwar ressourcenmäßig vom Iran abhängig sind, aber eine gewisse Distanz zum Iran aufweisen (Saraya as-Salam).

 

Obwohl das Milizenbündnis unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die Volksmobilisierung dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Ministerpräsidenten als Oberkommandierendem unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017). In der Tat scheint es sich so zu verhalten, dass innerhalb der PMF die radikal-schiitischen Gruppen mit Bindungen zum Iran die dominierenden Kräfte sind (Posch 8.2017).

 

Konfessionelle Zusammensetzung der PMF

 

Der absolute Großteil der PMF- Milizen besteht aus Schiiten, es gibt jedoch durchaus auch Sunniten, Christen oder sogar Jesiden in den Reihen der schiitischen Milizen [abhängig von der jeweiligen Miliz], bzw. gibt es auch gemischte Milizen, oder auch eigene Sunniten- oder Christen-Milizen (Lattimer 26.4.2017; Al-Monitor 21.8.2017).

 

PMF-Milizen und organisierte Kriminalität

 

Neben der Finanzierung durch den irakischen, sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf - mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen - oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem Ölschmuggel im großen Stil, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker waren. So lassen sich politische Streitigkeiten innerhalb der schiitischen Milizen ebenso gut als Allokations- und Revierkämpfe von Mafiabanden interpretieren, die sich auch auf parlamentarischer Ebene wiederfinden (Posch 8.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Kurdische Sicherheitskräfte und Akteure

 

Peschmerga: Gemäß Art. 121 der irakischen Verfassung üben kurdische Sicherheitskräfte (insbesondere die militärisch organisierten Peschmerga und die Sicherheitspolizei Asayisch) die Sicherheitsverantwortung in den Provinzen Erbil, Sulaymaniya, Dohuk und Halabdscha aus; diese Kräfte kontrollieren darüber hinaus de facto Teile der Provinzen Diyala, Kirkuk und Ninewah. Sie unterstehen formal der kurdischen Regionalregierung und sind nicht in den Sicherheitsapparat der Zentralregierung eingegliedert. Die kurdischen Sicherheitskräfte bilden keine homogene Einheit, sondern unterstehen faktisch den beiden großen Parteien KDP und PUK in ihren jeweiligen Einflussgebieten (s. dazu den Abschnitt zur Sicherheitslage) (AA 7.2.2017). Die Peschmerga sind also nach wie vor zweigeteilt, auch wenn es eine gemischte KDP-PUK-Einheit von ungefähr 30.000 Mann gibt (Stansfield 26.4.2017). Die zivilen Behörden der KRI konnten nicht immer die Kontrolle über die Peschmerga bewahren. (USDOS 3.3.2017).

 

Interne Sicherheitskräfte der KRG: Die KDP hat auch ihre eigene, interne Sicherheitseinheit, die Asayisch, als auch ihren eigenen Geheimdienst, den Parastin. Die PUK betreibt ebenso ihre eigene interne Sicherheitseinheit, die gleichfalls als Asayisch bekannt ist, und ihren eigenen Geheimdienst Zanyari. Die PUK und die KDP unternahmen nur symbolische Schritte, um ihre internen und externen Geheimdienste zu vereinigen, diese blieben weiterhin getrennt, und werden quasi von Parteiführern durch ihre jeweiligen Parteikanäle kontrolliert (USDOS 3.3.2017).

 

Die türkisch-kurdische Arbeiterpartei PKK, die von der Türkei als terroristische Organisation bekämpft wird, ist auch im Nordirak aktiv (insb. in den Qandil-Bergen und in Sinjar), und betreibt dort Stützpunkte, die von türkischen Streitkräften attackiert werden (s. Abschnitt "Sicherheitslage im Kurdischen Autonomiegebiet").

 

Die syrische Partei PYD (Partei der Demokratischen Union) mit ihrem militärischen Arm YPG (Volksverteidigungseinheiten) gilt als der syrische Ableger der türkischen PKK und ist im Irak im Gebiet um Sinjar aktiv (s. Abschnitt "Sicherheitslage im Kurdischen Autonomiegebiet").

 

Quellen:

 

 

 

 

Sunnitische Milizen / Stammesmilizen

 

Neben dem IS gibt es im Irak noch weitere regierungsfeindliche sunnitische Gruppierungen/Organisationen, darunter die "Jaysh al-Rijal al-Tariqah al-Naqshabandia" (JRTN); der "General Military Council of Iraqi Revolutionaries"; die irakische Baath-Partei; der "Fallujah Military Council"; der "Council of Revolutionaries Tribes of Anbar"; die "1920 Brigades"; die "Islamic Army of Iraq"; die "Jayish al-Mujahidin" und die "Ansar al-Islam" (ISW 10.2014). Einige der aufständischen Gruppen bestehen aus Mitarbeitern des ehemaligen Saddam-Regimes oder aus ehemaligen Mitgliedern des irakischen Militärs (CRS 3.2016). Im Zuge des Vormarsches des IS wurden viele der aufständischen und/oder baathistischen Gruppen oder Stammesgruppen vom IS vereinnahmt, manche spielten eine führende Rolle beim IS, andere wurden von ihm bekämpft; Mitglieder der oben erwähnten Organisationen und sunnitische Stämme stellten sich auch gegen ihn, bekämpften ihn oder schlossen sich den PMF im Kampf gegen den IS an (ISW 30.11.2017; Al-Jazeera 4.6.2015; BBC 17.4.2015; CRS 3.2016; Al-Monitor 14.11.2016). Sunnitische Stammesmilizen, die den IS bekämpfen, werden auch unter dem Namen Sons of the Tribes (Abna al-Asha'ir) zusammengefasst (CMEC 16.11.2015). Durch die gegenwärtige Zurückdrängung des IS kommt es jedoch (wie in Abschnitt "Sicherheitslage" erwähnt) zu einem Wiedererwachen der aufständischen sunnitischen Gruppen. Die fortgesetzte Marginalisierung der Sunniten und der konfessionelle Konflikt führen zudem dazu, dass radikale Gruppen wie Al Qaeda und ex-/neo-baathistischen Gruppen wie Jaysh al-Rijal al-Tariqa al-Naqshbandiya (JRTN) diese Missstände nutzen, um Sunniten für ihre Zwecke zu vereinnahmen (ISW 7.2.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Internationale Präsenz

 

Derzeit befinden sich mehr als 5.000 US-Truppen im Irak. Viele von ihnen sind Berater der ISF. Die Vereinigten Staaten, sowie einige andere Mitgliedsstaaten der Koalition zur Bekämpfung des IS zeigen Ambitionen, nach einem etwaigen Sieg über den IS, weiterhin militärische Präsenz im Irak beizubehalten (Reuters 19.1.2017; vgl. MEE 11.7.2017). Die Koalition führt auch regelmäßig Luftangriffe im Irak durch. Im Nordirak sind - unter Protest der irakischen Regierung - auch etwa 2.000 oder sogar "mehrere tausend" türkische Truppen stationiert. In der Stadt Bashiqa in der Nähe Mosuls betreibt die Türkei einen Militärstützpunkt (K24 27.7.2017; vgl. Ekurd 20.7.2016; Al-Monitor 21.8.2017). In der KRI soll die Türkei Berichten zufolge 18 Militär- und Geheimdienst-Stützpunkte betreiben (Ekurd 20.7.2017). Diese türkischen Truppen, sowie die türkischen Luftangriffe richten sich sowohl gegen die PKK (und PKK-nahe Kräfte) als auch gegen den IS (s. Abschnitt Sicherheitslage).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Private Sicherheitsunternehmen und kleinere Milizen

 

Darüber hinaus sind im Irak etwa 20.000 Angehörige privater Sicherheitsunternehmen tätig. Die größten Unternehmen haben sich in der "Private Security Companies Association of Iraq" (PSCAI) zusammengeschlossen. Viele werden inzwischen von der irakischen Regierung, von Unternehmen und Organisationen als Personen- und Objektschützer eingesetzt (AA 7.2.2017). Außerdem gibt es im Irak noch zahlreiche kleinere Milizen von Stämmen und religiösen/ethnischen Minderheiten (z.B. christliche, jesidische, kurdische, turkmenische, etc.) (Wille 26.4.2017; NZZ 2.12.2016; Al-Jazeera 13.2.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Rechtsschutz/Justizwesen

 

Dieser Abschnitt ist nur relevant für Gebiete, in denen das staatliche Rechtssystem greift. Dies ist in Teilen des Landes nicht oder nur eingeschränkt der Fall (z.B. in vom IS besetzten Gebieten, oder teilweise in einigen von schiitischen Milizen dominierten Gebieten).

 

Art. 19 Abs. 1 und Art. 86 ff. der Verfassung bezeichnen die Rechtsprechung als unabhängige Gewalt. Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts. Der Gerichtsaufbau wird durch noch zu erlassende Ausführungsgesetze geregelt. Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung ist nicht durchgehend gewährleistet (AA 7.2.2017). Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Gerichte und Sicherheitskräfte verfügen nicht über ausreichend qualifiziertes Personal, es fehlt an rechtsstaatlichem Grundverständnis. Gewalttaten bleiben oft straflos. Eine Verfolgung von Straftaten findet allgemein nur unzureichend statt. Insbesondere das Problem, dass Beamte bei Vergehen straffrei davonkommen, spielt sowohl bei Regierungsbeamten, Beamten der Sicherheitskräfte (einschließlich der Peschmerga), sowie bei Militärs eine große Rolle (USDOS 3.3.2017). Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssten, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über die "schiitische Siegerjustiz" und die einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten (AA 7.2.2017). Die Vorstöße des IS im Nord- und Zentralirak 2014 und Anfang 2015 und das damit verbundene Sicherheitsvakuum in anderen Landesteilen haben laut Berichten dazu geführt, dass Milizen und Stammesführer die Macht an sich gerissen haben, die Kriminalität zugenommen hat und insgesamt das staatliche Machtmonopol und die Rechtsstaatlichkeit aufgeweicht wurden, einschließlich in der Hauptstadt Bagdad und den südlichen Provinzen (UNHCR 14.11.2016).

 

Berichten zufolge sind im Rahmen der Strafgerichtsbarkeit weiterhin regelmäßige Verstöße gegen das Recht der Angeklagten auf ein faires Verfahren zu beobachten (UNHCR 14.11.2016). Dies galt insbesondere für Angeklagte, denen terroristische Straftaten zur Last gelegt wurden. Gerichte sprachen Angeklagte weiterhin aufgrund von "Geständnissen" schuldig, die unter Folter erpresst worden waren. Von Angeklagten erhobene Foltervorwürfe führten weder zu Ermittlungen noch zu einer gerichtsmedizinischen Untersuchung der Opfer. In einigen Fällen wurde nach unfairen Verfahren die Todesstrafe verhängt (AI 22.2.2017). Rechtsexperten, zivilgesellschaftliche Aktivisten und einige Politiker werfen dem irakischen Justizwesen vor, nicht die ihm vorgeschriebenen Aufgaben zu erfüllen, und unprofessionell mit der Umsetzung von Recht und der gleichen Anwendung des Gesetzes auf alle Bürger umzugehen. Das Oberste Bundesgericht und der Strafgerichtshof wird hierbei besonders kritisiert, und beschuldigt, Urteile zu fällen, die sich nach der Politik der Regierung richten (Fanack 18.5.2016). Die richterliche Unabhängigkeit ist insbesondere auch durch zahlreiche Drohungen und Morde von Seiten religiöser oder stammesbezogener Extremisten oder krimineller Kräfte beeinträchtigt. Richter und Anwälte, sowie deren Familienmitglieder waren regelmäßig Todesdrohungen und Angriffen ausgesetzt (USDOS 3.3.2017).

 

Die PMF-Milizen haben ihre eigenen Gerichte gegründet, die ursprünglich dafür gedacht waren, dass die Milizen Missbräuche/Rechtsverletzungen in den eigenen Reihen ahnden können. Im Moment werden diese Gerichte jedoch dafür eingesetzt, um (ohne Haftbefehl) verhaftete Sunniten zu verurteilen (Wille 26.6.2017).

 

Autonomes Kurdengebiet

 

Die Region Kurdistan-Irak ist ebenfalls von Defiziten der rechtsstaatlichen Praxis gekennzeichnet. Die Asayisch-Sicherheitskräfte operieren immer wieder außerhalb der Kontrolle des zuständigen Innenministeriums (insbesondere in der Provinz Sulaymaniya). In einem glaubhaft belegten Fall berichtet Amnesty International von einem Gefangenen, der seit zehn Jahren ohne Verfahren in Haft sitzt (AA 7.2.2017). Gefangene werden gemäß der Independent Human Rights Commission der Kurdenregion in den Haftanstalten der KRG für längere Dauer festgehalten, obwohl das Gericht ihre Freilassung angeordnet hat (USDOS 3.3.2017). Untersuchungen nach Übergriffen seitens der Sicherheitskräfte bleiben oft ohne Ergebnis (AA 7.2.2017). Der Sicherheitsdienst Asayish und andere kurdische Sicherheitskräfte nahmen tausende Menschen wegen Terrorverdachts fest, vor allem sunnitische arabische Männer und Buben. Die Behörden verstießen in mehrfacher Weise gegen deren Recht auf ein faires Verfahren, u. a. indem sie die Überstellung der Inhaftierten an die Justizbehörden extrem verschleppten und ihnen über lange Zeiträume keinen Zugang zu ihren Familienangehörigen gewährten. Im Oktober 2016 gaben die Behörden der Regionalregierung bekannt, dass der allgemeine Sicherheitsdienst Asayish Ghishti und die Asayish-Abteilung in Erbil seit Anfang des Jahres 2.801 Terrorverdächtige festgenommen hätten (AI 22.2. 2017). Latif Mustafa, Richter in der Kurdenregion, und vormals in der Gesetzgebung tätig, ging im Mai 2017 an die Öffentlichkeit und erklärte, dass die Behörden der KRG nicht an das Prinzip der Rechtstaatlichkeit glauben würden. Fälle von höheren Beamten und reichen oder einflussreichen Bürgern würden nicht vor Gericht gestellt und in anderen Fällen kommt es laut diesem Richter zu überzogenen Urteilen (z.B. 11 Jahre Haft für das Stehlen von Milch und Windeln) (Ekurd Daily 1.5.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

https://chronicle.fanack.com/iraq/governance/judiciary-hanging-in-the-balance/ , Zugriff 13.6.2017

 

 

 

 

Folter und unmenschliche Behandlung

 

Folter und unmenschliche Behandlung werden von der irakischen Verfassung in Art. 37 ausdrücklich verboten. Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die VN-Anti-Folter- Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren eingesetzt. Es kommt immer wieder zu systematischer Anwendung von Folter bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte.

 

Das im August 2015 abgeschaffte Menschenrechtsministerium hat nach eigenen Angaben 500 Fälle unerlaubter Gewaltanwendung an die Justiz überwiesen, allerdings wurden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (AA 7.2.2017). Das Innenministerium gab keine Zahlen bekannt, wie viele Beamte [wegen Misshandlungsvorwürfen] während des Jahres 2016 bestraft wurden, und es gab diesbezüglich keine bekannt gewordenen Verurteilungen. Berichte von internationalen Menschenrechtsorganisationen geben an, dass Regierungskräfte und schiitische Milizen Gefangene misshandelten, insbesondere sunnitische Gefangene (USDOS 3.3.2016). In den Gefängnissen und Hafteinrichtungen, die vom Innen- und Verteidigungsministerium betrieben oder von Milizen kontrolliert wurden, waren Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen weiterhin an der Tagesordnung. Die Folter sollte dazu dienen, "Geständnisse" zu erpressen, Informationen zu erhalten oder die Häftlinge zu bestrafen. Mehrere Gefangene starben in Gewahrsam an den Folgen der Folter (AI 22.2.2017).

 

Autonomes Kurdengebiet

 

Nach Berichten von Human Rights Watch kommt es in Gefängnissen der Asayisch in der Region Kurdistan-Irak zur Anwendung von Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige, sowie ausgedehnte Einzelhaft. (AA 7.2.2017). Der Sicherheitsdienst Asayish und andere kurdische Sicherheitskräfte nahmen in der KRI und in Gebieten, die unter der Kontrolle der KRG stehen, tausende Menschen wegen Terrorverdachts fest, vor allem sunnitische arabische Männer und Buben. Im Oktober 2016 gaben die Behörden der Regionalregierung bekannt, dass der allgemeine Sicherheitsdienst Asayish Ghishti und die Asayish-Abteilung in Erbil seit Anfang des Jahres 2.801 Terrorverdächtige festgenommen hätten (AI 22.2.2017; vgl. UNHCR 14.11.2016). Es wurde von Folter und Misshandlung der Inhaftierten berichtet. Andere wurden Berichten zufolge an die Behörden der Zentralregierung überstellt, obwohl der weitverbreitete Einsatz von Foltermethoden in den Haftanstalten der Regierung besorgniserregend ist (UNHCR 14.11.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Korruption

 

Auf dem Corruption Perceptions Index 2016 der Organisation Transparency International befindet sich der Irak auf dem Platz 166 (von 176) (TI 9.6.2017). Das Gesetz sieht Strafen für Korruption vor, jedoch hat die Regierung das Gesetz nicht effektiv angewendet. Es gab während des Berichtszeitraumes 2016 zahlreiche Berichte von Korruption von Seiten der Regierung. Beamte aus allen Bereichen der Regierung waren in zahlreichen Fällen und ungestraft in korrupte Geschäfte verwickelt. Hintergründe wie die Familienzugehörigkeit, Stammeszugehörigkeit oder Religionszugehörigkeit haben die Entscheidungen der Regierung auf allen Ebenen beeinflusst. Regelmäßig gab es Fälle von Bestechung, Geldwäsche, Nepotismus und Veruntreuung öffentlicher Gelder (USDOS 3.3.2017).

 

Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Zur Jahresmitte 2014 tauchten vermehrt gefälschte Visaetiketten auf, die der Deutschen Botschaft Bagdad durch das irakische Außenministerium per Verbalnote zwecks Überprüfung zugesandt wurden. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 7.2.2017).

 

Ab August 2015 fanden in Bagdad und anderen großen Städten im Süden des Landes wöchentlich Demonstrationen gegen Korruption und gegen die mangelnde Leistungsfähigkeit

 

des Staates statt (AA 7.2.2017).

 

Autonomes Kurdengebiet

 

Das Ausmaß an Korruption ist in der Kurdenregion Iraks zwar niedriger als im Rest Iraks, jedoch ist es relativ hoch verglichen mit anderen Ländern der Region. Nepotismus ist in den Parteien der Regionalregierung ein häufiges Problem (ACRC 24.3.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Militärdienst / Dienst bei PMF-Milizen

 

Nach dem Sturz Saddam Husseins wurde die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft und ein Freiwilligen-Berufsheer eingeführt. Dem Aufruf, sich freiwillig zu melden, schlossen sich hunderttausende Iraker an. Für das Militär zu arbeiten, wird/wurde als beliebter Karriereweg angesehen, insbesondere auch auf Grund des Gehaltes (Niqash 24.3.2016). Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen (insb. mit dem "Islamischen Staat") kam es allerdings 2014 zu massenhaften Desertionen (Rudaw 15.12.2015) - hiernach gab es auch Berichte über punktuelle Amnestien für Deserteure (Public Radio International 17.6.2014; vgl. Iraqi News 17.5.2015). Die Armee hat Schwierigkeiten, Soldaten zu rekrutieren und dauerhaft an sich zu binden (Reuters 4.6.2016, vgl. Strachan 2016). Einer der Hauptgründe dafür ist auch, dass die meisten jungen schiitischen irakischen Männer es mittlerweile vorziehen, sich den paramilitärischen Einheiten (Popular Mobilisation Forces) anzuschließen, denen es gelingt, die konfessionell aufgeheizte Stimmung für ihre Rekrutierungspolitik zu nutzen. Es gibt von Seiten der Öffentlichkeit massiven Druck, sich den PMF anzuschließen. Auch kann das Gehalt bei diesen Milizen mitunter höher sein als jenes bei der irakischen Armee (Strachan, A.L. 2016, vgl. Lattimer 23.6.2017). Ebenso wie dieser gesellschaftliche Druck, sich den PMF anzuschließen, sehr groß sein kann, kann auch das Verlassen der Miliz (sowie auch der Armee) als Schande gesehen werden und schwerwiegende Konsequenzen haben (Lattimer 23.6.2017). Auf Zwangsrekrutierungen scheinen die Milizen der PMF grundsätzlich nicht angewiesen zu sein, da sie ausreichend Zulauf von Freiwilligen haben und diesbezüglich keine Engpässe zu haben scheinen (AIO 12.6.2017, vgl. CEIP 1.2.2016). Nur in vereinzelten Fällen wurde von Zwangsrekrutierungen durch die PMF-Milizen berichtet (Wille 26.4.2017). Es gibt Berichte von Binnenflüchtlingen, die Checkpoints nur dann überqueren durften, wenn sich die Männer PMF-Milizen anschlossen, andernfalls müssten sie in ihre Heimatprovinz zurückkehren (Global Security o.D. vgl. UNAMI 13.7.2015, vgl. Al-Araby 8.5.2015). Es wurde auch berichtet, dass Männer und Jugendliche (IDPs aus IS-Gebieten) ab 15 Jahren unter Druck gesetzt wurden, bewaffneten Stammesgruppen zur Bekämpfung des IS beizutreten, um nicht als IS-Anhänger zu gelten (UNHCR 14.11.2016).

 

Den Soldaten der regulären irakischen Armee droht im Falle einer Desertion aus der Armee per Gesetz die unehrenhafte Entlassung in Verbindung mit einer langjährigen Haftstrafe, bei Desertion zum Feind die Todesstrafe (ÖB 12.2016). In der Praxis kommt es vor, dass Deserteure/Abtrünnige vor ein Militärgericht gestellt werden, oder dass sie nach dem Anti-Terrorgesetz vor ein Zivilgericht gestellt werden (IISS 15.5.2017).

 

Berichten zufolge kam es zur Rekrutierung von Kindern für Unterstützungs- und Kampfhandlungen durch Milizen der PMF, durch Milizen sunnitischer Stämme, durch die PKK und sonstige bewaffnete kurdische Gruppen sowie durch turkmenische und jesidische Selbstverteidigungsgruppen (UNHCR 14.11.2016, vgl. USDOS 3.3.2017). Zur PKK wurde auch berichtet, dass sie Zwangsrekrutierungen durchführte (Wille 26.4.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Allgemeine Menschenrechtslage

 

Auch wenn in der Verfassung aus dem Jahr 2005 wichtige demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung verankert sind, kommt es weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte (AA 7.2.2017). UN-Menschenrechtsgremien und Menschenrechtsorganisationen haben dokumentiert, dass alle Parteien des nicht internationalen bewaffneten Konflikts im Irak das humanitäre Völkerrecht verletzen und schwere Verstöße gegen internationale Menschenrechte begehen (UNHCR 14.11.2016). Die Menschenrechtslage ist vor allem in Hinblick auf die mangelhafte staatliche Kontrolle und das wenig ausgeprägte Gewaltmonopol samt verbreiteter Straflosigkeit desolat, in der KRI vergleichsweise etwas besser (ÖB 12.2017). Im gesamten Land gibt es einen Mangel an Schutzmöglichkeiten, und die Menschen sind ernstzunehmenden Verletzungen des internationalen humanitären Rechts sowie der Menschenrechte ausgesetzt. Mangelnder Zugang zu sicheren Orten, Mangel an Bewegungsfreiheit, Gewalt und unfaire Behandlung verschlimmern die Spannungen zwischen den Volksgruppen (OCHA 7.3.2017).

 

Den Großteil der gravierendsten Menschenrechtsverletzungen beging die Terrororganisation IS, die unter anderem Angriffe gegen folgende Gruppen verübte: Zivilisten (im speziellen Schiiten aber auch Sunniten, die den IS ablehnen); Mitglieder anderer religiöser und ethnischer Minderheiten; einschließlich Frauen und Kinder. Die Behörden entdeckten während des Jahres 2016 etliche Massengräber (USDOS 3.3.2017).

 

Verstöße gegen die Menschenrechte sind aber auch außerhalb des vom IS beherrschten Gebietes weit verbreitet (AA 7.2.2017). Staatliche Stellen, insbesondere die irakische Armee und ihre Verbündeten sind nach wie vor für zahlreiche schwere Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich und trotz erkennbarem Willen der Regierung Abadi nicht in der Lage, die in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten zu gewährleisten (ÖB 12.2016; AA 7.2.2017). Von Seiten der Regierungskräfte wurden u.a. Massenexekutionen, Misshandlungen während der Haft, "Verschwindenlassen", das Verstümmeln von Leichen (HRW 12.1.2017), sowie Folter dokumentiert (AI 22.2.2017). Insbesondere den Popular Mobilisation Forces (PMF) werden Massenerschießungen, Tötungen von Gefangenen und Festgenommenen (ohne Gerichtsverfahren) vorgeworfen (ÖB 12.2016). Den staatlichen Stellen ist es nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen, insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Dies geht einher mit Repressionen, mitunter auch Vertreibungen von Angehörigen der jeweils anderen Konfession Minderheiten geraten oft zwischen die Fronten (AA 7.2.2017).

 

In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, kommt es zu Massenvergeltungsmaßnahmen an sunnitisch-arabischen und turkmenischen Einwohnern und Rückkehrern aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Verbindung zum IS (AA 7.2.2017; vgl. UNHCR 14.11.2016). Daran beteiligt sind mit den PMF verbündete Streitkräfte, Stammesgruppen und kurdische Sicherheitskräfte (UNHCR 14.11.2016). Es kommt zu Repressionen durch schiitische und sunnitische Milizen, durch die kurdischen Peschmerga, sowie in geringerem Maße durch Milizen der verschiedenen konfessionellen Minderheiten (AA 7.2.2017). Auch im Zuge der Mossul-Offensive verhafteten und misshandelten Stammesmilizen Einwohner der Gebiete, die vom IS zurückerobert worden waren, und es kam zu Racheakten der schiitischen Milizen (HRW 12.1.2017; Harrer 10.8.2017; vgl. BAMF 26.6.2017). Die irakischen Sicherheitskräfte misshandelten und töteten Berichten zufolge Männer und Knaben, die aus Mossul flüchteten (HRW 30.6.2017). Allgemein kam es von Seiten Angehöriger der ISF und verbündeter Gruppen zu Vergehen an der flüchtenden Zivilbevölkerung, an Binnenvertriebenen und Rückkehrern. In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, ist auch von Plünderungen und der willkürlichen Inbrandsetzung und Zerstörung von Wohnhäusern, Geschäften und Moscheen berichtet worden (UNHCR 14.11.2016). Zum Teil wurden gesamte arabische Dörfer zerstört, bei gleichzeitiger Deportation der Einwohner, obwohl es dafür keine militärische Notwendigkeit gab. In vielen Fällen handelte es sich dabei um Kriegsverbrechen (HRW 12.1.2017). Bezüglich der Frage der Rückkehrer hat die lokale Regierung in der Provinz Salahuddin im Jahr 2016 ein Dekret erlassen, nach dem jeder, der Verbindungen zum IS hat, nicht in die Region zurückkommen dürfe - Iraker, die ihre IS-assoziierten Verwandten töten würden, wären ausgenommen (OA/EASO 2.2017, vgl. HRW 5.3.2017).

 

Die große Zahl der Binnenvertriebenen im Irak und die weitverbreitete Pauschal-Auffassung, dass sunnitische Araber IS-Mitglieder sind oder mit dem IS sympathisieren, hat Berichten zufolge dazu geführt, dass immer mehr sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen, die nicht vertrieben wurden und in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten leben, nach dem Anti-Terror-Gesetz von 2005 verhaftet werden (UNHCR 14.11.2016). Teilweise unterzogen die Regierungskräfte alle männlichen Personen im kampffähigen Alter (etwa zwischen 15 und 65 Jahren), die aus Gebieten unter IS-Kontrolle geflohen waren, einer Sicherheitsüberprüfung. Sie wurden in behelfsmäßige Hafteinrichtungen oder provisorische Auffanglager gebracht, in denen sie Tage oder sogar Monate ausharren mussten, häufig unter extrem harten Bedingungen. Terrorverdächtige wurden an Sicherheitsbehörden wie die Abteilung für Verbrechensbekämpfung, die Abteilung für Terrorismusbekämpfung oder die Geheimdienstabteilung des Innenministeriums überstellt, wo ihnen Folter und andere Misshandlungen drohten, und regelmäßig wurde ihnen der Kontakt zu ihren Familien oder Rechtsbeiständen verwehrt. Sicherheitskräfte und Milizen nahmen mutmaßliche Terrorverdächtige ohne Haftbefehl in ihren Wohnungen, an Kontrollpunkten und in Lagern für Binnenvertriebene fest und informierten weder die Betroffenen noch deren Angehörige über die Gründe für die Festnahme (AI 22.2.2017). Häufig befinden sich diese Kontrollpunkte in der Nähe der Front. Zwar werden manche Personen nach einigen Tagen wieder entlassen, andere werden jedoch Berichten zufolge wochen- oder gar monatelang festgehalten, bis sie schließlich freigelassen oder in die Obhut der zuständigen Sicherheitsbehörden überstellt werden (UNHCR 14.11.2016).

 

Die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber hat in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen. UNHCR berichtet von Vergeltungsmaßnahmen nach einem ISIS-Anschlag auf Kirkuk vom 21. Oktober 2016. In vier mehrheitlich arabischen Dörfern (Kara Tepa, Wahid Huzairan, Kutans und Qushqai) in der Provinz Kirkuk wurden massenhaft Wohnhäuser zerstört, was zur Vertreibung von über 1.100 Familien geführt hat. Ferner werden nicht näher quantifizierte Vorfälle aufgezeigt, wonach sunnitische Araber entführt, verschleppt oder außergerichtlich hingerichtet wurden. Die sunnitische Zivilbevölkerung wird Berichten zufolge nach IS-Attacken auf die schiitische Zivilbevölkerung von den ISF und verbündeten Streitkräften der PMU ins Visier genommen und im Rahmen offensichtlicher Vergeltungsmaßnahmen wurden sunnitische Zivilpersonen getötet und ihre Häuser, Geschäfte und Moscheen zerstört. Lager für Binnenvertriebene sind Anschlägen zum Ziel gefallen. Dokumentiert sind etwa Vergeltungsmaßnahmen gegen Sunniten nach Angriffen von ISIS auf schiitische Ziele in der Stadt Al-Muqdadiyah (Diyala) im Januar und Februar 2016, bei denen Sunniten getötet und ihre Häuser, Geschäfte und Moscheen in Brand gesetzt wurden. Beim sogenannten "Barwana-Massaker" vom 26. Januar 2015 wurden im Rahmen einer Vergeltungsmaßnahme für den Tod von ISFund PMU-Mitgliedern in den Tagen zuvor mindestens 56 sunnitische Muslime in Barwana (Diyala) von den ISF und PMU summarisch hingerichtet (UNHCR 14.11.2016).

 

Männer und Jugendliche ab 15 Jahren wurden unter Druck gesetzt, bewaffneten Stammesgruppen zur Bekämpfung des IS beizutreten, um nicht für IS-Anhänger gehalten zu werden (UNHCR 14.11.2016). Darüber hinaus gibt es Berichte, dass sowohl Volksmobilisierungskräften (PMF), sunnitische Stämme, die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) und sonstige bewaffnete kurdische Gruppen sowie turkmenische und jesidische Selbstverteidigungsgruppen Kinder für Unterstützungs- und Kampfhandlungen rekrutieren (UNHCR 14.11.2016, vgl. USDOS 3.3.2017; vgl. AI 22.2.2017).

 

Die Behörden unternahmen nichts, um den Aufenthaltsort und das Schicksal Tausender sunnitischer arabischer Männer und Jungen zu klären, die Milizen und Regierungstruppen in den vergangenen Jahren in Wohnhäusern, an Kontrollpunkten und in Lagern für Binnenvertriebene aufgegriffen hatten und die seitdem "verschwunden" sind (AI 22.2.2017).

 

Gemäß einem Bericht von Amnesty International haben die Truppen der Koalition zur Bekämpfung des IS bei ihrem Vorgehen in Mossul keine angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung unternommen, und Waffen eingesetzt, die in bevölkerungsreichen Gebieten niemals verwendet werden dürften (Zeit 11.7.2017). Es werden Bedenken über mögliche Kriegsverbrechen der US-geführten Koalition in Bezug auf den Kampf gegen den IS in Mossul geäußert (IP 3.6.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/5734_1501757671_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-26-06-2017-deutsch.pdf , Zugriff 31.8.2017

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Menschenrechtslage: IS - "Islamischer Staat"

 

In Gebieten unter seiner Kontrolle verübt der IS Hinrichtungen. IS-Kämpfer entführen Menschen, darunter Zivilpersonen, und foltern gefangen genommene Personen systematisch. Den Bewohnern von Gebieten unter IS-Kontrolle werden drakonische Verhaltensregeln auferlegt und Verstöße dagegen werden hart bestraft. Selbsternannte Gerichte verurteilen Personen zu Steinigung wegen Ehebruchs und zu Peitschenhieben und anderen Körperstrafen, weil sie gegen das Rauchverbot, Bekleidungsvorschriften oder andere IS-Regeln verstoßen haben. Die Nutzung von Telefonen und Internet wird ebenso massiv beschnitten wie das Recht von Frauen auf Bewegungsfreiheit. Der IS hindert Zivilpersonen daran, Gebiete unter seiner Kontrolle zu verlassen, und missbraucht Zivilpersonen als menschliche Schutzschilde. IS-Kämpfer schießen auf Personen, die fliehen wollen, zerstören ihr Eigentum und verüben Racheakte an Familienangehörigen, die zurückgeblieben sind (AI 22.2.2017). Darüber hinaus fallen Menschen den IEDs (Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung) zum Opfer, die der IS auf den Fluchtrouten verteilt. Aus den Berichten der Vereinten Nationen und mehrerer Menschenrechtsorganisationen geht hervor, dass der IS an Angriffen gegen die Zivilbevölkerung, Ermordungen (einschließlich Hinrichtung ohne Gerichtsverfahren), Entführungen, Folter, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt, sexueller Sklaverei, Zwangskonvertierungen und der Einberufung von Kindern zum Militärdienst beteiligt war. Des Weiteren wird berichtet, dass der IS systematisch gegen Personen vorgeht, von denen vermutet wird, dass sie mit der irakischen Regierung, den ISF oder verbündeten Gruppen in Verbindung stehen oder zusammenarbeiten. Verurteilungen im Schnellverfahren haben Berichten zufolge u.a. zu Hinrichtung durch Erschießung, Enthauptung, Steinigung, Verbrennung und Ertränken sowie Tötung durch den elektrischen Stuhl und durch das Hinabwerfen von hohen Gebäuden und zu Geißelungen, Kreuzigungen und Amputationen von Gliedmaßen geführt (UNHCR 14.11.2016).

 

Die Hauptsiedlungsgebiete der Minderheiten, darunter Jesiden und Christen, liegen in den Gebieten Nordiraks, die im Sommer 2014 unter die Kontrolle des IS gerieten. Dabei kam es zu systematischer Verfolgung, Zwangskonversion, Massenvertreibungen und -hinrichtungen von Angehörigen religiöser Minderheiten sowie Verschleppungen und sexueller Gewalt gegen Frauen und Kinder. Insbesondere Angehörige der Minderheiten, aber auch schiitische Angehörige der Sicherheitskräfte wurden und werden in den vom IS beherrschten Gebieten Opfer von Gräueltaten (AA 7.2.2017). Jesiden, Christen, Kakai, Kurden, Sabäer-Mandäer, Schiiten, Turkmenen und Schabak wurden Berichten zufolge vom IS schwer misshandelt. Die Mehrzahl der Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten in Gebieten, die vom IS kontrolliert werden, sind laut den Berichten entweder getötet, entführt oder vertrieben worden (UNHCR 14.11.2016). Die IS-Kämpfer stellten die Anhänger anderer Religionen bzw. Konfessionen vor die Wahl, sich entweder zum Islam zu bekehren oder ermordet zu werden. In Mossul und Umgebung wurde die etwa 1.800 Jahre alte christliche Präsenz durch den IS und dessen Verbündete schlagartig beendet. Die Zahl der Jesiden wurde vor dem Einfall des IS in der Provinz Ninewah auf 500.000 geschätzt. Diese wurden jedoch mit Gewalt vertrieben, primär in die irakische Kurdenregion. Insbesondere Jesidinnen wurden vom IS gezielt versklavt und vergewaltigt (ÖB 12.2016). Nach wie vor werden noch etwa 3.400 Jesiden in der Gewalt des IS vermutet (BAMF 17.7.2017). Auch die ethno-religiöse Minderheit der Schabak litt unter dem Vormarsch des IS. Zahlreiche Häuser, deren Besitzer der religiösen Minderheit angehören, sind vom IS konfisziert und zu dessen Eigentum erklärt worden. Ein ähnliches Schicksal ist den Turkmenen, die mit ca. 400.000 Mitgliedern die drittgrößte ethnische Gruppe im Irak ausmachen, widerfahren. Vor allem schiitische Turkmenen wurden vom IS verfolgt und ihre Häuser geplündert. Nach dem Fall von Mossul flüchtete das Gros der schiitischen Turkmenen südwärts nach Bagdad und in die schiitischen Provinzen Karbala und Najaf. Die Menschenrechtsverletzungen des IS sind laut den Vereinten Nationen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und erfüllen Kriterien eines Genozids (ÖB 12.2016).

 

Im Irak werden immer wieder zahlreiche Massengräber in vom IS zurückeroberten Gebieten gefunden (z.B.: Standard 11.5.2017; USDOS 3.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1501508705_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-17-07-2017-deutsch.pdf , Zugriff 31.8.2017

 

 

 

 

 

 

Meinungs- und Pressefreiheit

 

Die Verfassung gewährt das Recht auf freie Meinungsäußerung, sofern die Äußerung nicht die öffentliche Ordnung oder die Moral verletzt, Unterstützung für die Baath-Partei ausdrückt oder das gewaltsame Verändern der Staatsgrenzen befürwortet. Der größte Teil der Einschränkungen dieses Rechts kommt durch Selbstzensur auf Grund von glaubhafter Furcht vor Repressalien durch die Regierung, politische Parteien, ethnische und konfessionelle Kräfte, terroristische und extremistische Gruppen oder kriminelle Banden zustande (USDOS 3.3.2017). Tatsächlich wird die journalistische Arbeit durch Übergriffe auf Journalisten behindert. Nach Angaben von "Reporter ohne Grenzen" ist Irak für Journalisten eines der gefährlichsten Länder (AA 7.2.2017). Laut einem Bericht der International Federation of Journalists von 2016 gilt der Irak als das gefährlichste Land für Journalisten (HRW 12.1.2017). Laut Human Rights Watch sind alleine in den Jahren 1990 bis 2015 300 Journalisten getötet worden (HRW 12.1.2017). Auch Familienmitglieder von Journalisten können bedroht werden (OA/EASO 2.2017). Auf dem Index für Pressefreiheit befand sich der Irak im Jahr 2016 auf Platz 158 von 180 Staaten. Journalisten und Medien sind im Irak systematischer Gewalt ausgesetzt. Es kommt auch zu gezielten Morden an Medienschaffenden. Auch in den autonomen Kurdengebieten wurden Journalisten ermordet. Laut "Reporter ohne Grenzen" schützt der Staat bedrohte Journalisten nicht. Politiker aller Couleur behindern die Arbeit kritischer Berichterstatter durch Schikanen und Gerichtsverfahren - häufig mithilfe repressiver Gesetze, die aus der Diktatur Saddam Husseins stammen (ROG o.D.). Das Land nahm im Straflosigkeitsindex (Zeitraum 2007 - 2016) des "Committee to Protect Journalists" zudem den weltweit vorletzten Platz in Bezug auf die Aufklärung von Morden an Journalisten ein. Danach wurden in den letzten zehn Jahren 71 Morde an Journalisten nicht aufgeklärt. Zuletzt gab es auch einen Fall in der Region Kurdistan-Irak, bei dem ein oppositioneller Journalist mit offenbar durch Sicherheitskräfte beigebrachten Foltermerkmalen tot aufgefunden wurde (AA 7.2.2017).

 

Trotz des Schutzes der Meinungsfreiheit gemäß Verfassung haben die Zentralregierung und die KRG sich in Medienangelegenheiten eingemischt, zum Teil mit dem Ergebnis, dass Medienunternehmen geschlossen wurden, sie ihre Berichterstattung einschränken mussten, oder mit der Folge, dass der Internetzugang des Unternehmens gestört wurde (USDOS 3.3.2017). Im März 2016 schloss die Irakische Kommunikations- und Medienkommission den privaten TV-Sender Al-Baghdadia TV (in Kairo stationiert). Ein Monat später zog die Kommission die Betriebsgenehmigung für das Medienunternehmen Al-Jazeera (in Katar stationiert) für das Jahr 2016 zurück, mit der Begründung, dass die "Rhetorik des Unternehmens konfessionelle Konflikte und Gewalt schüren würde" (HRW 12.1.2017)

 

In der Kurdenregion wurden Journalisten, Aktivisten und Politiker, die der regierenden Demokratischen Partei Kurdistans kritisch gegenüberstanden, schikaniert und bedroht, und einige von ihnen wurden aus der Provinz Erbil vertrieben. Fälle von getöteten Journalisten und Kritikern oder Gegnern der kurdischen Behörden aus den vergangenen Jahren waren immer noch nicht untersucht worden (AI 22.2.2017).

 

Internetfreiheit:

 

Gemäß Weltbank benutzten im Jahr 2015 ungefähr 17 Prozent der Bevölkerung das Internet, verglichen mit 5 Prozent im Jahr 2011. Es gibt offensichtliche Einschränkungen des Internetzugangs und es gibt Berichte, dass die Regierung die E-Mail- und Internet-Kommunikation überwacht, ohne dafür eine tatsächliche rechtliche Befugnis zu besitzen. Die Regierung gab zu, dass sie im Jahr 2016 in einigen Gebieten des Landes auf Grund der Verschlechterung der Sicherheitslage und auf Grund der destruktiven Nutzung sozialer Medien durch den IS den Internetzugang manipulierte. Es gab keine Berichte, dass die Regierung Social-Media-Blackouts durchführte. Die Regierung ließ ab und zu während Protesten den Internetzugang stilllegen, sowie auch während Schulprüfungs-Zeiten - angeblich, damit die Schüler nicht schummeln können (USDOS 3.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Iraq,

http://www.ecoi.net/local_link/337187/479950_de.html , Zugriff 6.8.2017

 

Haftbedingungen

 

Die Haftbedingungen in den Gefängnissen und Internierungsanstalten werden als "hart und lebensbedrohlich" beschrieben und sind durch Nahrungsmittelknappheit, Überfüllung, unzureichenden Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung sowie allgegenwärtige Folter und andere Formen der Misshandlung gekennzeichnet (UNHCR 14.11.2016, vgl. USDOS 3.3.2017). Für Personen, die nach dem Anti-Terror-Gesetz festgenommen werden, sind die Haftbedingungen Berichten zufolge besonders hart (UNHCR 14.11.2016). Auch laut Auswärtigem Amt entsprechen die Bedingungen nicht dem Mindeststandard, wobei die Situation in den Haftanstalten erheblich variiert. Das auf Völkerrecht basierende Mandat der VN-Mission UNAMI, irakische Haftanstalten zu besuchen, konnte nicht umfassend wahrgenommen werden, da irakische Behörden UNAMI den Zugang zu verschiedenen Haftanstalten in mehreren Fällen verwehrten (AA 7.2.2017). Auch im Süden des Landes sind die Gefängnisse auf Grund einer erhöhten Inhaftierungsrate in Zusammenhang mit Drogendelikten und Kidnapping überfüllt. Außerdem wurden Gefangene aus nördlichen Provinzen des Landes nach Basra überstellt. Beispielsweise sollten im Gefängnis in der Provinz Muthanna nicht mehr als 50 Gefangene pro Zelle inhaftiert sein, Beobachter berichteten jedoch von mehr als 100 Gefangenen pro Zelle. Im Zentralgefängnis von Basra mit einer Kapazität von 1.100 Gefangenen befanden sich mehr als 2.500 Insassen (USDOS 3.3.2017).

 

In den Haftanstalten der Region Kurdistan-Irak herrschen nach Informationen von UNAMI etwas bessere Bedingungen, insbesondere in der neugebauten Modellanstalt Dohuk (AA 7.2.2017). In den Inhaftierungszentren der Asayisch (KRG) wird von Folter und anderen Misshandlungen, sogar von Minderjährigen, berichtet (HRW 29.1.2017). Allgemein gibt es Berichte internationaler Menschenrechtsgruppen, die den Regierungskräften und den schiitischen Popular Mobilization Forces vorwerfen, Gefangene und Untersuchungshäftlinge - vorwiegend Sunniten - zu misshandeln (USDOS 3.3.2017). Anm.: Weitere Berichte zu Misshandlungen s. Abschnitt Folter und unmenschliche Behandlung.

 

Sowohl die Zentralregierung, als auch die KRG betreiben zusätzlich geheime Inhaftierungseinrichtungen (USDOS 3.3.2017). Der IS betreibt zumindest drei Haftanstalten, in denen - laut Berichten von Gefangenen - regelmäßig Auspeitschungen und Folter verübt werden (USDOS 3.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Todesstrafe

 

Im irakischen Strafrecht ist die Todesstrafe vorgesehen, sie wird auch verhängt und vollstreckt. Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen. Sie wurde von der ehemaligen US-Besatzungsbehörde kurzzeitig suspendiert, von der irakischen Interimsregierung am 8. August 2004 unter Verweis auf die Ausnahmesituation im Irak aber wieder eingeführt. Derweil werden vor allem gegen IS-Kämpfer, die in fragwürdigen Prozessen überführt wurden, zunehmend Todesurteile verhängt und vollstreckt (2015: mind. 26 Hinrichtungen; 2016: mind. 71 Hinrichtungen und über 123 neue Todesurteile). Problematisch sind zudem die Bandbreite und die mitunter fehlende rechtliche Klarheit der Straftatbestände, für die die Todesstrafe verhängt werden kann: neben Mord und Totschlag u.a. auch wegen des Verdachts auf staatsfeindliche Aktivitäten, Vergewaltigung, Einsatz von chemischen Waffen und insbesondere wegen terroristischer Aktivitäten unterschiedlicher Art (AA 7.2.2017). Der UN-Ausschuss gegen Folter sprach von "einem durchgängigen Muster, nach dem mutmaßliche Terroristen und andere Verdächtige, die als hohes Sicherheitsrisiko angesehen werden, einschließlich Minderjähriger, ohne Haftbefehl festgenommen, über lange Zeiträume in Isolationshaft gehalten oder in geheimen Internierungsanstalten untergebracht und grausam gefoltert werden, damit sie ein Geständnis ablegen (UNHCR 14.11.2016). Der öffentliche und der politische Druck auf die Behörden, "Terroristen" hinzurichten, erhöhte sich nach einem Selbstmordanschlag im Karrada-Viertel von Bagdad in der Nacht vom 2. auf den 3. Juli 2016, bei dem fast 300 Menschen getötet wurden, die meisten von ihnen Zivilpersonen. Der Anführer einer Miliz drohte, zum Tode verurteilte Häftlinge im Nasriya-Gefängnis zu töten, sollte die Regierung nicht tätig werden. Am 12. Juli 2016 unterzeichnete Präsident Fuad Masum eine Reform des Strafverfahrensrechts, die Einschränkungen für Wiederaufnahmeverfahren vorsah, um auf diese Weise den Vollzug von Hinrichtungen zu beschleunigen (AI 22.2.2017). Im August des Jahres 2016 exekutierten die Behörden 36 Männer, die in einem Scheinprozess für schuldig befunden wurden, an Massenexekutionen schiitischer Armeerekruten durch den IS in Camp Speicher teilgenommen zu haben (HRW 12.1.2017). Die Verfahren dauerten nur wenige Stunden. Das Gericht ignorierte unter anderem dabei die Vorwürfe der Angeklagten, ihre "Geständnisse" seien während der Untersuchungshaft unter Folter erpresst worden (AI 22.2.2017). Im August 2017 kam es zuletzt zu einer zweiten Massenverurteilung in Zusammenhang mit dem Camp Speicher-Massaker. Dabei wurden 27 Männer zum Tode verurteilt (CNN 8.8.2017).

 

Am 24.09.17 wurden 42 Todesurteile wegen terroristischer Angriffe und tödlicher Überfälle auf Sicherheitskräfte vollstreckt (BAMF 25.9.2017).

 

Autonomes Kurdengebiet

 

In der Region Kurdistan-Irak wurde nach dem Fall des Regimes Saddam Husseins die Todesstrafe abgeschafft, später aber zur Bekämpfung des Terrorismus wiedereingeführt. Am 12. August 2015 wurden erstmals seit 2008 wieder drei Menschen hingerichtet. Gerichte in der Autonomen Region Kurdistan verhängten weiterhin Todesurteile für terroristische Straftaten (AA 7.2.2017). Im Jahr 2016 gab es jedoch keine Hinrichtungen (AI 22.2.2017)

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Religionsfreiheit

 

Die Verfassung erklärt den Islam als die offizielle Religion und legt fest, dass kein Gesetz beschlossen werden darf, das den "bestehenden Vorschriften des Islam" widerspricht. Die Verfassung gewährt das Recht auf Religionsfreiheit für Muslime, Christen, Jesiden, und Saebäer/Mandäer. Das Gesetz verbietet allerdings das Ausüben des Bahai-Glaubens und des wahabitischen Zweiges des sunnitischen Islam (USDOS 10.8.2016).

 

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Yeziden, Sabäer, Mandäer und Schabak. Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und Assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 7.2.2017). Der Verfassungsentwurf der KRG enthält die Scharia als eine der Gesetzesquellen, jedoch verbietet er nicht die Existenz von Gesetzen, die das islamische Recht verletzen (wie dies in der irakischen Verfassung festgeschrieben ist), außerdem anerkennt er die Rechte von Nicht-Muslimen (UNCIRF 26.4.2017). Anm.: In der Praxis sind Personen bei der Ausübung ihrer Religion in vielen Punkten de-facto eingeschränkt. S. dazu auch die Abschnitte Minderheiten, Menschenrechte, etc.

 

Es existieren zwar keine Gesetze im irakischen Zivil- oder Strafrecht, die Strafen für Personen vorsehen, die vom islamischen Glauben abfallen, es gibt jedoch Gesetze und Regulierungen, die die Konversion vom islamischen Glauben zu anderen Religionen verhindern. Iraks Muslime sind aber darüber hinaus auch nach wie vor der Scharia, dem islamischen Recht, untergeordnet. Dieses verbietet Apostasie, also den Abfall vom islamischen Glauben. Älteren Quellen des Jahren 2014 zufolge sind Menschen, die den islamischen Glauben ablegen wollen, sind darüber hinaus oft ernsthafter Verfolgung durch die Gesellschaft ausgesetzt, werden zum Teil sogar getötet, oftmals von den eigenen Angehörigen/Bekannten. Im Jahr 2010 wurde dem Institute for War and Peace Reporting zufolge ein Sunnit von seiner Familie getötet, da er zum Christentum konvertierte. Feindseligkeiten gegenüber den Konvertiten oder Atheisten sind im Irak weit verbreitet (IRB 10.6.2014, vgl. IRB 2.9.2016).

 

Massive Einschränkungen der Religionsfreiheit gibt es insbesondere im IS-Gebiet: Der IS ging nach wie vor gewaltsam gegen Mitglieder aller Glaubensbekenntnisse vor, insbesondere gegen Nicht-Sunniten. In Gebieten, die unter der Kontrolle des IS stehen, beging dieser Morde, Massenexekutionen, Vergewaltigungen, Entführungen, Verhaftungen, Massenvertreibungen und Versklavung von Frauen und Mädchen, die religiösen Minderheiten angehören (USDOS 10.8.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Minderheiten

 

Traditionelle Stammesstrukturen und ethnisch-religiöse Zugehörigkeiten bestimmen die gesellschaftlichen und politischen Loyalitäten bzw. Konfliktlinien. Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60 bis 65% der Bevölkerung ausmachen (AA 7.2.2017), [gemäß CIA-Factbook 55-60 Prozent (CIA 2010)] und vor allem den Süden und Südosten des Landes bewohnen; (arabische) Sunniten (17 bis 22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak (aus dieser Gruppe stammte bis zum Ende der Diktatur von Saddam Hussein 2003 der größte Teil der politischen und militärischen Führung) und die vor allem im Norden des Landes lebenden überwiegend sunnitischen Kurden (15 bis 20%). Entlang dieser Linien hat sich auch die Parteienlandschaft gebildet. Angehörige der religiösen Minderheiten, die traditionell besonders im arabisch-kurdischen Grenzgebiet siedelten, haben teilweise eine eigene ethnisch-religiöse Identität bewahrt, betrachten sich häufig aber auch als Kurden oder Araber (AA 7.2.2017). In der Hauptstadt Bagdad wird die Mehrheit der Bevölkerung von den schiitischen Arabern gestellt (USDOS 10.8.2016).

 

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Religiöse/konfessionelle Verteilung im Irak (Anmerkungen zur Karte siehe unten)

 

(Quelle: BMI 2016)

 

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Ethnische und linguistische Verteilung im Irak (Quelle BMI 2016)

 

Anmerkungen zu den beiden Karten: Die irakische Bevölkerung ist sehr heterogen bezüglich der religiösen und konfessionellen Zugehörigkeit. Deshalb, sowie auf Grund von teilweise inkonsistenten Quellen zeigt diese Karte nur die ungefähre Verteilung, wo sich die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen/konfessionellen Gruppen befinden, bzw. bis zum Frühling 2014 befanden. Insbesondere in Städten kann die Verteilung der konfessionellen/religiösen Gruppen deutlich von der Verteilung in der ländlichen Umgebung abweichen. Durch den Vorstoß des IS seit dem Sommer 2014 kam es darüber hinaus zu drastischen Veränderungen in der ethnischen und konfessionellen Zusammensetzung/Verteilung der irakischen Bevölkerung (BMI 2016).

 

Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in jenen Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen oder noch stehen. Hier kommt es zu gezielten Verfolgungen und systematischer Unterdrückung von Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten. Jesiden, Christen, Kakai, Kurden, Sabäer-Mandäer, Schiiten, Turkmenen und Schabak werden Berichten zufolge vom IS schwer misshandelt. Es kommt zu Hinrichtungen, Entführungen, Zwangskonvertierungen, Vergewaltigungen, Versklavungen, Zwangsverheiratungen, Zwangsabtreibungen und Zwangsvertreibungen. Die Mehrzahl der Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten in Gebieten, die vom IS kontrolliert werden, sind laut Berichten entweder getötet, entführt oder vertrieben worden (UNHCR 14.11.2016; vgl. AA 7.2.2017). Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten unter weitreichender faktischer Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen. Sie bleiben daher, u.

a. im Zusammenhang mit ihren Berufen und damit verbundenen Lösegelderwartungen, Opfer von Entführungen und sind bevorzugte Ziele von Anschlägen. In Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden problematische Versuche einer ethnisch-konfessionellen Neuordnung unternommen, besonders in der ethnisch-konfessionell sehr heterogenen Provinz Diyala (AA 7.2.2017). Die Muster der ethnischen und religiösen Verfolgung sind nicht auf bestimmte ethnische/religiöse Gemeinschaften beschränkt, sondern können, abhängig vom jeweiligen Gebiet, fast auf alle Gemeinschaften zutreffen (Lattimer 26.4.2017). In der kurdischen Autonomieregion gaben Jesiden, Christen und sunnitische Anführer an, dass sie Schikanen und Misshandlungen durch die Peschmerga der KRG und der Asayisch ausgesetzt waren (USDOS 10.8.2016).

 

Schiiten sind regelmäßig Ziel von Anschlägen im Irak, insbesondere durch den IS (exemplarisch: Guardian 5.1.2017; HRW 15.1.2017, sowie Abschnitt Sicherheitslage). Generell gibt es im Irak ganz erhebliche Konflikte zwischen den Religionsgruppen der arabischen Sunniten und der Schiiten im Irak (z.B. LIPortal 12.2014, siehe dazu u.a. auch die Abschnitte politische Lage, Sicherheitslage und Menschenrechtslage.

 

Sunnitische Araber

 

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach Entmachtung Saddam Husseins 2003 insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Maliki (2006 bis 2014) aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es ihr weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Die Sunniten leben mehrheitlich in den am stärksten umkämpften Gebieten der Provinzen Anbar und Ninewah. Einige bekennen sich nicht mehr zu ihrer Konfession und versuchen dadurch, Benachteiligungen zu umgehen. (AA 7.2.2017). Insbesondere ist die Lage von Sunniten, die aus (ehemaligen) IS-Gebieten stammen, sehr schlecht (UNHCR 14.11.2016). Ca. 60 Prozent der IDPs im Irak sind sunnitische Araber - laut US-Department of State selbst handelt es sich dabei jedoch um eine ungenaue Schätzung (USDOS 10.8.2016).

Anm.: S. dazu, sowie zu anderen Themen bzgl. der sunnitischen Araber auch die Abschnitte Menschenrechtslage, politische Lage, IDPs und Flüchtlinge, etc.

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kinder

 

Die Hälfte der Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt. Kinder waren und sind Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Sie sind nach Angaben der Vereinten Nationen in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage betroffen. Sehr viele Kinder und Jugendliche sind von Gewaltakten betroffen, sei es direkt, oder dadurch, dass ihre Familienmitglieder zu Opfern von Gewalt wurden (AA 7.2.2017). Laut einem UNICEF-Bericht von 2016 wird der Irak als eines der tödlichsten Länder für Kinder erachtet. 3,6 Millionen Kinder seien dort der Gefahr ausgesetzt, getötet, verletzt, ausgebeutet oder Opfer sexueller Gewalt zu werden (HRW 12.1.2017). Tötungen und Verstümmelungen sind die am häufigsten gemeldeten Formen von Gewalt gegen Kinder. Kinder werden durch militärische Operationen verletzt und getötet, und Berichten zufolge sind sie von den sich verschlechternden humanitären Bedingungen unverhältnismäßig stark betroffen (UNHCR 14.11.2016). Laut UNICEF sind Kinder im Irak seit der Intensivierung der Kämpfe in einer endlosen Schleife von Gewalt und Armut gefangen. Mehr als fünf Millionen Kinder sind auf dringende humanitäre Hilfe angewiesen. Seit 2014 sind1.075 Kinder getötet worden, mehr als 150 Kinder in den ersten sechs Monaten des Jahres 2017 (UN 22.6.2017).

 

Der IS veröffentlicht regelmäßig Videos von Kindersoldaten in seinen Reihen. Es liegen Berichte über Umerziehungskampagnen an mehreren Tausend Kindern in den vom IS beherrschten Gebieten vor (AA 7.2.2017). Darüber hinaus wurde gemeldet, dass bewaffnete Gruppen, die gegen den IS kämpfen, einschließlich der Volksmobilisierungskräften (PMF), sunnitischer Stämme, Kurdischer Arbeiterpartei (PKK) und sonstiger bewaffneter kurdischer Gruppen sowie turkmenischer und jesidischer Selbstverteidigungsgruppen, Kinder für Unterstützungs- und Kampfhandlungen rekrutieren (UNHCR 14.11.2016, vgl. USDOS 3.3.2017).

 

Zahlreiche Jugendliche sind nach Angaben der Vereinten Nationen wegen Terrorvorwürfen angeklagt oder verurteilt. Es fehlt an Jugendstrafanstalten; laut IKRK werden jugendliche Häftlinge mittlerweile meist getrennt von erwachsenen Straftätern inhaftiert, ihnen wird aber oft der regelmäßige Kontakt zu ihren Familien verwehrt (AA 7.2.2017). Eine große und Berichten zufolge steigende Zahl von Kindern wird willkürlich festgenommen, für terroristische Handlungen verantwortlich gemacht und teilweise für lange Zeit ohne Kontakt zur Außenwelt in Hafteinrichtungen, Polizeistationen und Rehabilitationszentren der irakischen Regierung und der KRG-Behörden untergebracht (UNHCR 14.11.2016).

 

Die Sicherheitslage, die Einquartierung von Binnenvertriebenen und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren drastisch gefallen ist, besonders in ländlichen Gebieten. Im Unterschied dazu sind in der Region Kurdistan fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig. In den vom IS beherrschten Gebieten findet kein regulärer Schulunterricht statt (AA 7.2.2017). Über 3,7 Millionen Kinder im Schul-Alter sind von der derzeitigen Krise im Irak betroffen. Am Ende des Schuljahres 2016 hatten nur 60 Prozent der vom Konflikt betroffenen Kinder Zugang zu irgendeiner Art von Bildung (OCHA 7.3.2017).

 

UNICEF schätzt, dass sich die Zahl der arbeitenden Kinder seit 1990 verdoppelt hat, und nunmehr 575.000 beträgt (HRW 12.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Berufsgruppen und andere soziale Gruppen

 

Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats sind besonders gefährdet. Auch

 

Mitarbeiter der Ministerien sowie Mitglieder von Provinzregierungen werden regelmäßig Opfer von gezielten Attentaten. Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird (fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen (AA 7.2.2017). Extremisten und bewaffnete Gruppen verübten Angriffe auf Künstler, Poeten, Schriftsteller und Musiker (USDOS 3.3.2017).

 

Eine Vielzahl von ehemaligen Mitgliedern der seit 2003 verbotenen Baath-Partei Saddam Husseins ist, soweit nicht ins Ausland geflüchtet, häufig auf Grund der Anschuldigung terroristischer Aktivitäten in Haft (AA 7.2.2017). Nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003 wurde die Baath-Partei verboten und höherrangige Baath-Partei-Mitglieder wurden im Zuge des De-Baathifizierungsgesetzes aus ihren Ämtern entfernt. Zu dieser Zeit gab es sogenannte Abschusslisten, anhand derer Baathisten verfolgt und getötet wurden. Dies betraf nicht nur hochrangige Mitglieder, sondern auch Menschen, die in ihren Gemeinden als [einfache] Partei-Mitglieder bekannt waren. Das Ausmaß der Verfolgung war nicht zwangsläufig daran geknüpft, ob eine Person hochrangiges oder niederrangiges Mitglied war, sondern wie bekannt die Baath-Parteimitgliedschaft in der Gesellschaft war, und ob die Person sich aus Sicht der Gesellschaft "schuldig" gemacht hatte. Wenn es heute einen Angriff auf eine Person gibt, ist oft schwer zu sagen, ob es in Zusammenhang mit seiner früheren Partei-Mitgliedschaft oder etwas anderem steht - zum Beispiel mit seiner Tätigkeit nach 2003. Die gezielte Verfolgung von früheren Baathisten speziell auf Grund ihrer ehemaligen Mitgliedschaft ist heute weniger allgegenwärtig als damals, allerdings kann es gelegentlich vorkommen (AIO 12.6.2017). Laut der irakischen Menschenrechtsorganisation Freedom Monitoring Commission wurden alleine zwischen Anfang 2006 und Mai 2007 1.556 ehemalige Baathisten getötet, die Fälle wurden nicht untersucht (UNHCR 5.2007).

 

Misshandlungen von Migranten, Flüchtlingen und Staatenlosen:

UN-Organisationen, NGOs und die Presse berichteten, dass während des Jahres 2016 Flüchtlinge, inklusive Palästinenser, Ahwazi und syrische Araber von konfessionell motivierten Gruppen, Extremisten, Kriminellen und - in einigen mutmaßlichen aber nicht verifizierten Fällen - auch von Regierungskräften attackiert und verhaftet wurden (USDOS 3.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/432_1189068774_2007-08-unhcr-iraq.pdf , Zugriff 14.6.2017

 

 

 

IDPs und Flüchtlinge / Bewegungsfreiheit

 

Die Vorstöße des IS in den Jahren 2014/2015 und die nachfolgenden militärischen Operationen gegen den IS haben zu Massenvertreibungen geführt (UNHCR 14.11.2016), während gleichzeitig humanitäre Hilfsorganisationen einen starken Rückgang internationaler Finanzhilfen beklagten (ÖB 12.2017). Die humanitäre Krise im Irak ist eine der größten und brisantesten in der Welt (OCHA 7.3.2017). Gemessen an der Gesamtzahl verfügt der Irak über die drittgrößte Flüchtlingspopulation der Welt (UNHCR 14.11.2016). Im Jahr 2014 waren über 2,5 Millionen Menschen vertrieben worden, im Jahr 2015 war eine weitere Million gezwungen, zu fliehen. Während des Jahres 2016 wurden abermals fast 700.000 Menschen vertrieben (OCHA 7.3.2017). Laut der International Organization for Migration (IOM) gibt es mit Stand Juli 2017 über 3,3 Millionen IDPs im Irak. Zurückgekehrt in ihre Heimatgebiete sind rund zwei Millionen (IOM 15.7.2017). Die Provinzen Anbar, Ninewah und Salahuddin sind besonders stark von den Vertreibungen betroffen (AA 7.2.2017). Fast 1,8 Millionen Iraker und Syrer sind in die KRI geflohen, in der geschätzte 20 Prozent der Bevölkerung Vertriebene sind (UNHCR 27.4.2017). Über 10 Mio. Menschen im Irak, also knapp ein Drittel der Bevölkerung, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 7.2.2017).

 

Die folgende Grafik stellt die Gebiete, in die die IDP-Familien geflohen sind, grafisch dar:

 

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(IOM 15.7.2017)

 

Auf Grund der massiven finanziellen Schwierigkeiten kämpfen die irakische Regierung und die Regionalregierung Kurdistans auch auf Grund von Ressourcenproblemen mit der Bewältigung der IDP-Krise. Die irakischen Streitkräfte und die Streitkräfte der Regionalregierung tragen zur Unsicherheit der IDPs bei, indem sie sich zu wenig um den Schutz und die Unterstützung der vom Konflikt betroffenen IDPs kümmern, wodurch viele Vertriebene um ihr Leben kämpfen müssen, obwohl sie sich bereits in von der Regierung kontrollierten Gebieten befinden (MRG 22.12.2016). Die missliche Lage der IDPs wird zum Teil ausgenützt. So werden IDPs - Vorwürfen zufolge - teilweise von Milizen zwangsrekrutiert (auch Minderjährige). Die in Flüchtlingscamps untergebrachten IDPs haben häufig das Problem, dass ihre Bewegungsfreiheit drastisch eingeschränkt ist, sowie dass Milizen ihnen die Papiere abnehmen und für lange Zeit nicht zurückgeben. Ein zusätzliches Problem ist, dass sie nicht mit ihren Familien kommunizieren können, da ihnen die Mobiltelefone abgenommen werden (UNHCR 20.1.2017, vgl. Al-Jazeera 1.2.2017). Dadurch, dass den IDPs in bestimmten Flüchtlingslagern auch ihre Dokumente abgenommen werden, kämpfen diese mit zusätzlichen Problemen bei der Registrierung von personenstandsrechtlichen Ereignissen [z.B. Heirat, Geburt, etc.]. Viele IDPs haben auch das Problem, dass in (vormals) unter der Kontrolle des IS stehenden Gebieten zum Teil viele standesamtliche Aufzeichnungen zerstört wurden (AIO 12.6.2017). UNAMI berichtete, dass aus Konfliktzonen fliehende Zivilisten in manchen Gebieten von bewaffneten Gruppen und Milizen, die mit Unterstützung der ISF operieren, abgefangen werden und Drohungen, Einschüchterungen, physischer Gewalt, Entführungen, Zerstörung von Eigentum und Tötungen ausgesetzt sind (USDOS 3.3.2017). Anm.: S. dazu auch den folgenden Abschnitt.

 

Fokus Mossul

 

Weiter angefacht wurde die Flüchtlingskrise durch die Mossul-Offensive. Laut Zahlen der Regierung sind seit Beginn der Offensive im Oktober 2016 mehr als 875.000 Menschen aus Mossul geflohen, aus Westmossul alleine fast 700.000. Über 679.000 Menschen bleiben aus der Stadt vertrieben, die Mehrheit davon ist in Camps rund um Mossul untergebracht (UNHCR 27.6.2017). Die Zustände in den Flüchtlingslagern um Mossul sind geprägt vom Mangel an Nahrung und Medikamenten (BAMF 26.6.2017).

 

Die zuständigen Behörden in Mossul werden laut Ankündigungen den Zuzug - ebenso wie die Möglichkeit des Umzugs innerhalb Mossuls - massiv einschränken. Künftig besteht ein Rückkehrrecht nur dann, wenn man nachweisen kann, dass man vor Juni 2014 in Mossul gelebt hat und nur zur alten Adresse. Ausnahmen soll es lediglich bei Zerstörung der alten Wohnung geben (BAMF 26.6.2017). Bislang sind 79.000 Menschen - etwa 10 Prozent der Geflüchteten - in den Westen Mossuls zurückgekehrt. In den Osten der Stadt, in dem weniger zerstört wurde, sind rund 90 Prozent der Einwohner zurückgekehrt (UNOF 15.8.2017). Allerdings gibt es Berichte, dass die irakische Armee und andere lokale Sicherheitskräfte hunderte IDP-Familien zur Rückkehr nach Mossul zwingen. Auf diese Weise soll in den Lagern Platz für weitere IDPs geschaffen werden, die aus neu zurückeroberten Gebieten stammen (HRW 18.5.2017). Die Infrastruktur ist wesentlich stärker zerstört als gedacht, und die Zivilisten in den zuletzt vom IS gehaltenen Stadtteilen weisen in erheblichem Maße Anzeichen von Unterernährung und Mangelerkrankungen auf.

 

Staatliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit

 

Anm.: Die Regelungen bzgl. der Bewegungsfreiheit, insbesondere bezüglich der Zugangs- und Aufenthaltsbestimmungen für IDPs sind laufenden Änderungen und einem hohen Maß an Willkür unterworfen. Darüber hinaus berichten unterschiedliche Quellen bezüglich mancher Aspekte Unterschiedliches. Daher werden die unterschiedlichen

Quellen namentlich erwähnt und nebeneinandergestellt:

 

Laut Einschätzung des UNHCR sind die Möglichkeiten einer innerstaatlichen Fluchtalternative für IDPs durch die aktuellen Umstände, das Ausmaß innerstaatlicher Vertreibung, die ernstzunehmende humanitäre Krise, die zunehmenden interkommunalen Spannungen, die Beschränkungen bzgl. des Zuganges und/oder Aufenthaltes in fast allen Teilen des Landes und durch den steigenden Druck auf IDPs in ihre Heimatgebiete zurückzukehren, eingeschränkt (UNHCR 12.4.2017). Laut Amnesty International schränkten die Behörden des Irak sowie der KRI die Bewegungsfreiheit vertriebener arabischer Sunniten willkürlich und in diskriminierender Weise ein (AI 22.2.2017). Laut USDOS hatten IDPs während des Jahres 2016 (Berichtszeitraum des USDOS-Menschenrechtsberichtes) eingeschränkten Zugang zu Bagdad, Kirkuk, sowie zur Provinz Najaf und zu Gebieten, die unter der Kontrolle der KRG stehen. Hunderten sunnitisch-turkmenischen IDPs aus der Umgebung von Tal Afar wurde die Einreise nach Dohuk in der KRI verwehrt. Der Gouverneur von Dohuk äußerte Bedenken, dass es innerhalb dieser IDPs Elemente des IS gäbe, deren Anwesenheit in den IDP-Lagern in Dohuk zu jesidischen Racheattacken an ihnen führen könnte (USDOS 3.3.2017). Das Gesetz erlaubt es, dass bevollmächtigte Sicherheitskräfte die Reisefreiheit im Inland einschränken, Ausgangssperren verhängen, ein Gebiet absperren oder durchsuchen dürfen, sowie andere notwendige Sicherheits- und Militärmaßnahmen als Reaktion auf Sicherheitsbedrohungen und Angriffe ergreifen können. Es gab im Berichtszeitraum 2016 zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte, inklusive der ISF, der Peschmerga, sowie auch der PMF selektiv Bestimmungen bezüglich Aufenthaltsgenehmigungen durchsetzten, um den Zugang von Personen in befreite, unter ihrer Kontrolle stehende Gebiete zu limitieren. UNAMI und das UN Office of the High Commissioner for Human Rights erhielten mehrere Berichte, dass Behörden von Kirkuk sunnitisch-arabischen IDPs aus den Provinzen Salahuddin und Ninewah den Zugang in die Provinz Kirkuk verwehrten (USDOS 3.3.2017).

 

Das deutsche Auswärtige Amt berichtete am 7.2.2017, dass auch die Hauptstadt Bagdad (ca. 570.000) und in geringerem Maße der schiitisch geprägte Südirak (ca. 200.000) zahlreiche Binnenvertriebene aus umkämpften Gebieten aufgenommen haben. Aus Furcht vor der Infiltration von Terroristen sind die Grenzen von Bagdad, Kerbela und Babel für weitere Vertriebene fast vollständig geschlossen. (AA 7.2.2017).

 

Laut UNHCR wurden in fast allen Teilen des Landes für IDPs verschärfte Zugangs- und Aufenthaltsbeschränkungen implementiert. Zu den verschärften Maßnahmen gehören die Notwendigkeit des Vorweisens eines Sponsors (Bürgen), des Registrierens bei lokalen Behörden, sowie Sicherheitsüberprüfungen durch mehrere verschiedene Sicherheitsbehörden. Diese Maßnahmen wurden zwar damit begründet, dass der Irak mit zahlreichen sicherheitsrelevanten Herausforderungen konfrontiert ist, gleichzeitig weisen Berichte jedoch darauf hin, dass es häufig zu diskriminierenden Vorgehensweisen bezüglich der Gewährung oder Nicht-Gewährung des Zuganges oder Aufenthaltes zu/in den vergleichsweise sichereren Gebieten kommt (UNHCR 12.4.2017). Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen variieren von Provinz zu Provinz und beinhalten nicht nur Sicherheits-Screenings, sondern hängen Berichten zufolge auch vom persönlichen Profil der IDPs ab, wie z.B. vom ethnisch-konfessionellen Hintergrund, dem Herkunftsort oder der Zusammensetzung der Familie der jeweiligen Person (UNHCR 12.4.2017, vgl. AI 22.2.2017). Selbst Menschen mit ernsthaften gesundheitlichen Problemen wurde der Zugang verwehrt (UNHCR 14.11.2016). Laut Amnesty International mussten zehntausende IDPs in Lagern ausharren und hatten keinen Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu grundlegenden Versorgungsleistungen, weil sie vor Ort keine Bürgen hatten, die ihnen die notwendigen offiziellen Aufenthaltsgenehmigungen für die Städte besorgen konnten (AI 22.2.2017).

 

Ad Sponsorsystem: Die Bedingung des Vorweisens eines Sponsors basiert im Irak auf keinem Gesetz, wird nicht offiziell verkündet, und deren Implementierung ist ständigen Änderungen unterworfen. Ob und auf welche Art diese Bedingung zur Anwendung kommt, ist von Checkpoint zu Checkpoint und von Beamten zu Beamten unterschiedlich. Selbst dann, wenn die betreffende Person alle diesbezüglichen Bedingungen erfüllt, ist der Zugang nicht garantiert. Wenn das Vorweisen eines Sponsors verlangt wird, die betreffende Person jedoch keinen vorweisen kann, führt dies regelmäßig dazu, dass die Person verhaftet, oder unter Druck gesetzt wird, in die Region zurückzukehren, in der sie verfolgt wurde (UNHCR 12.4.2017). Das Erfordernis eines Sponsors und der Umstand, dass weder ihr Geltungsumfang noch die anzuwendenden Verfahren eindeutig geregelt sind, erhöhen die Gefahr, dass Binnenvertriebene ausgebeutet und misshandelt werden, einschließlich sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, da einige Bürgen Geld oder "Dienste" für die Übernahme einer Bürgschaft verlangen (UNHCR 14.11.2016).

 

Ebenfalls laut UNHCR betreffen Beschränkungen bezüglich des Zugangs und Aufenthaltes zu/in einer Region insbesondere sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen aus (damals oder aktuell) vom IS kontrollierten Gebieten, die vorgeblich als Sicherheitsrisiko wahrgenommen werden, und denen häufig auf der Basis von breit ausgelegten und diskriminierenden Kriterien der Zugang oder der Aufenthalt zu/in vergleichsweise sicheren Gebieten verwehrt wird. Im Gegensatz dazu gibt es im Land für Schiiten, Kurden und Mitglieder religiöser/ethnischer Minderheiten in den überwiegenden Fällen keine außertourlichen Anforderungen für den Zugang oder den Aufenthalt (mit Ausnahme der Provinz Erbil) (UNHCR 12.4.2017).

 

Die Anforderungen für jene Personen, die in Bagdad wohnhaft werden wollen, unterscheiden sich Berichten zufolge (auch bezüglich der geforderten Dokumente) je nach Viertel und dem dafür zuständigen Beamten (Hierbei können auch die Mukhtars - die für die Checkpoints der ISF-Milizen zuständigen Milizenangehörigen eine Rolle spielen). Grundsätzlich sind die Anforderungen, um in Bagdad wohnhaft werden zu können, in Bezirken mit einer höheren Konzentration von IDPs strikter (vorwiegend die sunnitischen Viertel wie Adhamiyah, Karkh, Abu Ghraib und die Mahmoudiyah-Bezirke). Personen, die aus (damals oder aktuell) vom IS kontrollierten Gebieten oder aus von Konflikten betroffenen Gebieten stammen und in einem dieser Viertel Bagdads wohnhaft werden wollen, müssen grundsätzlich kumulativ drei Anforderungen erfüllen. Bei der Benützung von Straßenverbindungen (z.B. vom Bagdader Flughafen nach Bagdad City, oder zwischen den Provinzen) können Iraker mit bestimmtem ethnischen oder religiösen Hintergrund bei Checkpoints Opfer diskriminierender Behandlung werden (einschließlich willkürlicher Verhaftungen aufgrund von pauschalisierendem und diskriminierendem Profiling) (UNHCR 12.4.2017).

 

Personen werden immer häufiger unter Druck gesetzt, in die Regionen ihrer Herkunft zurückzukehren, wenn diese durch die ISF oder die kurdischen Kräfte vom IS zurückerobert wurden (UNHCR 12.4.2017)..

 

Zugang zur Kurdenregion:

 

Die dänische Einwanderungsbehörde (Danish Immigration Service, DIS) schreibt in ihrem im April 2016 veröffentlichten Fact-Finding-Mission-Bericht, dass mehrere befragte Quellen angaben, dass es möglich sei, ohne Bürgschaft in die KRI einzureisen. Man brauche jedoch in der Praxis eine solche Bürgschaft, um dort zu arbeiten oder sich niederzulassen. Laut IOM würden irakische Bürger bei der Ankunft an einem Checkpoint einer Landgrenze zu Kurdistan oder am Flughafen eine einwöchige Aufenthaltserlaubnis erhalten. Ein westlicher Diplomat hat angegeben, dass man keine Bürgschaft brauche, um in die KRI einzureisen, irakische Bürger aber eine Bürgschaft bräuchten, um Arbeit zu finden. Zwei Quellen gaben an, dass seit Ende 2014 die Behörden für Binnenflüchtlinge eine Bürgschaftspflicht durchgesetzt hätten. Laut UNHCR könne der Zugang zur KRI für Binnenflüchtlinge sehr schwierig sein, wenn sie über keine Bürgschaft oder ein bestimmtes ethnisch/religiöses Profil sowie Verbindungen zu Regierungsbeamten oder Personen, die Kontakte zu lokalen Sicherheitskräften haben, verfügen würden. Auch in den zwischen der Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung umstrittenen Gebieten würde eine Art Bürgschaft verlangt. Der westliche Diplomat habe hingegen angegeben, dass man als irakischer Binnenflüchtling keine Bürgschaft benötige. Laut Angaben des International Rescue Committee gibt es keine Bürgschaftspflicht für IDPs, die in den Flüchtlingslagern leben würden, aber sehr wohl für IDPs, die außerhalb der Lager leben würden (DIS 12.4.2016).

 

Laut USDOS-Menschenrechtsbericht schränkte die KRG im Berichtszeitraum 2016 die Bewegungsfreiheit innerhalb der Gebiete, die sie verwaltet ein, indem sie laut eigenen Angaben "notwendige Sicherheitsmaßnahmen" ergriff. Die Behörden verlangten von Nicht-Einwohnern der KRI das Einholen einer Genehmigung, die einen zeitlich beschränkten Aufenthalt ermöglicht. Diese Genehmigungen konnten in den meisten Fällen erneuert werden. Von den irakischen Bürgern, die aus Gebieten außerhalb der KRI stammten und die versuchten, sich eine solche Genehmigung für den Aufenthalt in den von der KRG kontrollierten Gebieten zu beschaffen, wurde das Vorweisen eines "Bürgen", der innerhalb der Region wohnt, verlangt (USDOS 3.3.2017). Die Behörden der KRG schränkten die Bewegungsfreiheit in einigen Gegenden stärker ein, als in anderen. Gemäß Vereinten Nationen und internationalen Hilfsorganisationen war der Zugang in die KRI für IDPs und irakische Flüchtlinge, die versuchten zurückzukehren, stärker oder schwächer eingeschränkt, je nach Ort des Checkpoints und je nach ethno-konfessionellem Hintergrund der Vertriebenen. Es gab auch Berichte, dass Checkpoints in die KRI manchmal für längere Zeiten geschlossen waren. Beamte verwehrten Personen, die sie als Sicherheitsrisiko wahrnahmen, den Zutritt in die Region. In den überwiegenden Fällen gewährten die Beamten jenen IDPs, die Mitglieder einer Minderheitengruppe sind, Zutritt in die Region, es kam allerdings gelegentlich zu in die Länge gezogenen Sicherheitschecks. Für Männer, insbesondere (arabische) Männer ohne Familie war es schwieriger, in die KRI zu gelangen (USDOS 3.3.2017).

 

Laut Auswärtigem Amt ist die inner-irakische Migration in die Region Kurdistan-Irak grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug kontrolliert. Wer dauerhaft bleiben möchte, muss zur Asayisch-Behörde des jeweiligen Bezirks gehen und sich anmelden. Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 7.2.2017). Laut Human Rights Watch gestatten die Behörden den IDPs nicht, sich in der KRI und den umstrittenen Gebieten frei zu bewegen. Von IDPs wurde verlangt, dass sie in Camps verbleiben, mit ernsthaften Einschränkungen der Bewegungsfreiheit (HRW 12.1.2017). Beispielsweise gewährt keines der Lager, in denen die aus Mossul Geflohenen leben, mit der Ausnahme von einem, das Recht auf Bewegungsfreiheit, so dass die IDPs nach ihrer Befreiung laut Human Rights Watch- Irakexpertin Belkis Wille, nun in "Open Air-Gefängnissen" festsitzen, teilweise mit Telefonverbot und ohne Möglichkeit mit ihren Angehörigen Kontakt aufzunehmen (Al-Jazeera 1.2.2017). Human Rights Watch (HRW) berichtet davon, dass sowohl die irakischen als auch die Sicherheitsbehörden der Autonomen Region Kurdistan widerrechtlich die Bewegungsfreiheit von Binnenflüchtlingen in Lagern in der Nähe von Kirkuk einschränken. Den IDPs ist es nicht erlaubt, die Lager zu verlassen. IDPs in den Lagern Nazrawa und Laylan haben gegenüber HRW erwähnt, dass sie das Lager nur verlassen könnten, wenn sie einen Bürgen finden würden. Diese Einschränkungen haben für die Lagerbewohner den Zugang zu medizinischer Versorgung, Arbeit und Verwandten eingeschränkt (HRW 21.10.2016).

 

Zu den von den kurdischen Sicherheitskräften kontrollierten Gebieten wurde auch berichtet, dass sunnitisch-arabische Familien von kurdischen Sicherheitskräften zwangsweise umgesiedelt und aus ihren Heimatorten vertrieben wurden. Angeblich erfolgten die Umsiedlungen zur Sicherheit der Betroffenen, doch wurden diese nunmehr in unmittelbarer Nähe der Front angesiedelt (UNHCR 14.11.2016).

 

Insgesamt hat die zunehmende Anwesenheit und Macht der Milizen eine Reihe von unmittelbaren Folgen für die jeweilige Bevölkerung. Sie bewirkt, dass ihre Möglichkeiten, sich fortzubewegen, oder auch ihre geschäftlichen Tätigkeiten fortzusetzen, jetzt vom Wohlwollen der bewaffneten Milizen abhängen. Um in diesen von Milizen kontrollierten Gebieten leben zu können, müssen die Menschen eine Art von Beziehung zu / Verpflichtung gegenüber diesen Milizen eingehen. Das bedeutet, dass - wenn man reisen / sich fortbewegen will - man sich der Herausforderung stellen muss, mehrere Checkpoints (zum Teil von ganz unterschiedlichen Milizen, teilweise mit unterschiedlichen konfessionellen und ethnischen Identitäten) durchqueren muss. Dies stellt eine massive Abschreckung dar, von A nach B zu fahren, insbesondere auf Grund des tatsächlichen Risikos, das mit einem solchen Unterfangen verbunden ist (Lattimer 26.4.2017).

 

Auslandsreisen

 

Die Regierung verlangt von Bürgern, die ausreisen wollen, Ausreisgenehmigungen. Diese Bestimmung wurde jedoch nicht routinemäßig umgesetzt (USDOS 3.3.2017).

 

Anm.: Zur Bewegungsfreiheit von Frauen s. Abschnitt "Frauen".

 

IDP-RückkehrerInnen und "quasi-staatliche" Einschränkungen der Bewegungsfreiheit

 

Laut der International Organization for Migration (IOM) sind es mit Stand Juli 2017 rund zwei Millionen IDPs, die in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt sind (IOM 15.7.2017). Die folgende Grafik veranschaulicht, in welche Gebiete die IDPs laut IOM vorwiegend zurückgekehrt sind:

 

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(IOM 15.7.2017)

 

Eine weitere Grafik von IOM stellt grob die Bewegungen der RückkehrerInnen dar:

 

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(IOM 15.7.2017)

 

Laut REACH, einer Initiative der NGOs IMPACT und ACTED sowie des operativen UN-Satellitenanwendungsprogramm UNOSAT, gibt es im Irak im Allgemeinen eine Präferenz von Binnenvertriebenen, in ihre Herkunftsregionen zurückzukehren, manche würden jedoch noch nicht zurückkehren, da sie bezüglich des Schutzes ernsthaft besorgt seien, und es beim Zugang zu Basisdienstleistungen Probleme gäbe (REACH 12.2016). In den vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wiederhergestellt werden, da einige Städte weitgehend zerstört sind (AA 7.2.2017). Den diesbezüglich größten Bedarf gibt es in erst vor kurzem zurückeroberten Gebieten mit schweren Schäden an der Infrastruktur, beispielsweise in Fallujah und Ramadi. Hingegen sind in Gebieten wie Tikrit und Muqdadiya, in denen es bereits seit mehr als einem Jahr Rückkehrer gibt, deutliche Verbesserungen beim Zugang zu Basisdiensten und beim Wiederaufbau von grundlegender Infrastruktur zu sehen. Eine grundsätzliche Sorge betrifft jedoch den Mangel an ausreichenden Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu bestreiten, was wiederum den Zugang zu Basisdiensten blockiert (REACH 12.2016). Die Stadt Tikrit ist insofern nennenswert - und noch am ehesten als Erfolgsmodell zu sehen (WP 23.11.2016), als sie eine unerwartete Wendung erlebt hat. Nachdem die Popular Mobilization Forces nach der Rückeroberung in einem Racheakt zunächst ganze Stadtteile niederbrannten und andere Menschenrechtsverletzungen begingen (MOI 11.2.2016), sind inzwischen die meisten der ursprünglichen Einwohner Tikrits zurückgekehrt. Allerdings ist der Großteil der Stadt zerstört und die Infrastruktur noch nicht wieder vollständig hergestellt. Auch ist auf lange Sicht der oben erwähnte Erfolg fraglich, da keine ausreichenden finanziellen Mittel vorhanden sind, um das wiederaufzubauen, was im Zuge des Konfliktes zerstört wurde - die irakische Regierung hat im Zuge des Konfliktes innerhalb kürzester Zeit fast die Hälft ihres Einkommens verloren, und das während sie große Mengen an finanziellen Mitteln für militärische Offensiven aufbringen muss (WP 23.11.2016). Neben Tikrit sind auch Viele in die Städte Fallujah (Anm.: s. dazu auch weiter unten in diesem Abschnitt) und Ramadi zurückgekehrt, in denen ebenfalls wie in Tikrit v.a. Sunniten leben. An Orte zurückzukehren, an denen Sunniten in Nachbarschaft mit Schiiten oder Kurden gelebt hatten, ist für Sunniten besonders schwierig, und Hunderttausenden war dies nicht möglich, obwohl der IS dort bereits verdrängt wurde. Sunniten leiden unter dem Pauschalverdacht, mit dem IS zu sympathisieren. In manchen Orten, die die Popular Mobilization Forces vom IS zurückerobert hatten, werden überhaupt keine ehemaligen Ortseinwohner zurückgelassen. Auch Stammeskonflikte oder Rachefeldzüge können dabei eine Rolle spielen (WP 23.11.2016). Die Sicherheit von Rückkehrern ist also von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u. a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort (AA 7.2.2017). Darüber hinaus müssen sich Rückkehrer Sicherheitsüberprüfungen unterziehen und von verschiedenen lokalen Akteuren in den Rückkehrgebieten - einschließlich der Streitkräfte, die das betreffende Gebiet kontrollieren, örtlicher Behörden und Stämme - eine Rückkehrerlaubnis einholen. Dabei kommen die oben erwähnten Diskriminierungen ebenfalls zum Tragen. In der Provinz Babil beispielsweise gibt es derzeit verschiedene Versuche, die Demographie zugunsten der schiitischen Bevölkerung zu verschieben. So wird einer erheblichen Anzahl an Binnenflüchtlingen sunnitischen Glaubens auch mehrere Jahre nach der Rückeroberung vom IS die Rückkehr in die Provinz verwehrt und sunnitischer Zuzug generell unterbunden (BAMF 17.7.2017). Nicht nur die PMF, sondern auch Peschmerga-Kämpfer und andere kurdische Sicherheitskräfte verwehrten zehntausenden arabischen Bewohnern der KRI, die im Zuge des Konflikts vertrieben worden waren, eine Rückkehr in ihre Heimat (AI 22.2.2017, vgl. AA 7.2.2017), und es kam im Zuge dessen auch zur Zerstörung von Häusern vermeintlicher IS-Kollaborateure (AA 7.2.2017). Auch Turkmenen und anderen ethnoreligiösen Gruppen wurde eine Rückkehr von Seiten der Peschmerga oder der PMF verwehrt (USDOS 10.8.2016). In einigen Fällen wurden die kurdischen Sicherheitskräfte und die mit den PMF verbündeten Streitkräfte sogar beschuldigt, nicht nur einzelne Häuser, sondern ganze sunnitisch-arabische und sunnitisch-turkmenische Dörfer vorsätzlich im Rahmen von Vergeltungsmaßnahmen oder zur Verhinderung einer Rückkehr zerstört zu haben, um ihre Kontrolle über das Gebiet zu konsolidieren (UNHCR 14.11.2017). Das Bemühen bestimmter Akteure, das Rückkehren von IDPs zu verhindern, hat verschiedenste Gründe, v. a. aber auch jenen, dass es oft im Interesse dieser Gruppen liegt, das Gebiet selbst für sich in Anspruch zu nehmen, es einzunehmen, oder als Druckmittel für zukünftige Streitigkeiten bzw. Verhandlungen über territoriale "Tauschgeschäfte" benutzen zu können (Lattimer 26.4.2017).

 

Zum Teil entscheiden sich Binnenvertriebene dennoch für eine Rückkehr, weil sie in den Gebieten, in die sie geflüchtet sind, unter schwierigen und häufig extrem prekären Umständen leben und Unterbringung, Gesundheits-, Nahrungsmittel- und Wasserversorgung notdürftig und oft unzureichend sind. Aus Bagdad wird berichtet, dass Binnenvertriebene aus Anbar aufgrund von Sicherheitsbedenken zurückkehren, insbesondere nach Angriffen auf Al Salam, das drittgrößte Binnenvertriebenenlager in Bagdad (UNHCR 14.11.2016).

 

Die Lage in den rückeroberten Gebieten ist zudem vor allem durch IEDs (Improvised explosive device) und Minen stark gefährdet sowie durch logistische Schwierigkeiten, mangelnde Schulen, eine allgemeine prekäre Sicherheitslage sowie Konflikte zwischen Milizen geprägt (ÖB 12.2016). Der IS versieht Häuser, öffentliche Plätze und Straßen in den von ihm aufgegebenen Gebieten regelmäßig mit Minen und , denen Rückkehrer zum Opfer fallen (UNHCR 14.11.2016). Das Beschlagnahmen und Zerstören des Besitzes von Angehörigen ethnischer und religiöser Minderheiten und die Inbesitznahme dieses Eigentums, auch durch die vormaligen Nachbarn, machen (neben dem Problem, dass es in diesen Gebieten kaum Möglichkeiten zur Sicherung der Existenzgrundlage gibt) eine Rückkehr in befreite Gebiete für viele Angehörige von Minderheiten oft unzumutbar (ÖB 12.2016; vgl. UNHCR 14.11.2016). Fallujah beispielsweise war vor etwa einem Jahr vom IS zurückerobert worden. Die dortigen Stabilisierungsbemühungen schreiten fort - etwa 60 Prozent der Stadtbewohner haben wieder Wasserzugang. Gleichwohl sind die Wohngebiete noch nicht im selben Maße von Minen geräumt, und die Stadt ist nach wie vor regelmäßig Ziel von Terrorangriffen des IS (BAMF 26.6.2017). Die irakische Regierung hat laut Berichten Schwierigkeiten, ein umfassendes und wirksames Machtmonopol zu errichten, und die Möglichkeiten des Staates und seiner Institutionen, das Recht durchzusetzen und seine Bürger zu schützen, sind weiterhin schwach ausgeprägt (UNHCR 14.11.2016). Spannungen und Ausbrüche von Gewalt wurden auch im Zusammenhang mit den Machtkämpfen verschiedener Akteure in ehemals vom IS kontrollierten Gebieten gemeldet, insbesondere in Gebieten, die sowohl von der Zentralregierung als auch von der Regionalregierung von Kurdistan (KRG) beansprucht werden ("umstrittene Binnengrenzgebiete") und v.a. in ethnisch gemischten Provinzen (UNHCR 14.11.2106; vgl. USDOS 3.3.2017).

 

Einschränkungen der Bewegungsfreiheit durch den IS

 

Der IS beschränkte laut USDOS im Berichtszeitraum 2016 die Bewegungsfreiheit, insbesondere im Westen und Norden des Landes. Der IS verwehrte Bürgern die Ausreise aus den Städten Fallujah, Ramadi, Mossul und anderen Orten, sofern sie nicht Bestechungsgelder zahlten, Familienmitglieder als "Pfand" zurückließen, oder zustimmten, Grundbesitz oder Eigentum, das sie in der jeweiligen Stadt besaßen zu überlassen (USDOS 3.3.2017).

 

IDPs im Kurdengebiet

 

Anm.: S. dazu den Abschnitt "Sozioökonomische und Menschenrechtslage im Kurdischen Autonomiegebiet und den von kurdischen Streitkräften kontrollierten Gebieten".

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/5734_1501757671_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-26-06-2017-deutsch.pdf , Zugriff 31.8.2017

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1501508705_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-17-07-2017-deutsch.pdf , Zugriff 31.8.2017

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/5734_1501757671_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-26-06-2017-deutsch.pdf , Zugriff 31.8.2017

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Grundversorgung / Wirtschaft

 

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Nach Angaben des Programms "Habitat" der Vereinten Nationen gleichen die Lebensbedingungen von 57% der städtischen Bevölkerung im Irak denen von Slums (AA 7.2.2017). Das Land befindet sich in einer anschwellenden humanitären Krise, die durch anhaltende Konflikte, beschränkten Zugang zu humanitären Hilfsleistungen, zunehmendes Versagen bestehender Bewältigungsmechanismen und finanzielle Engpässe gekennzeichnet ist. Durch den Konflikt und die anhaltende Vertreibung und Unterbrechung der Grundversorgung ist der Bedarf an humanitärer Hilfe laut Berichten schnell eskaliert. Schätzungsweise über 10 Mio. Menschen, d. h. fast ein Drittel der Bevölkerung, benötigen derzeit humanitäre Hilfe im Irak, einschließlich Binnenvertriebener, Rückkehrer, Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern sowie der Menschen, die in Gebieten leben, die vom IS kontrolliert werden (UNHCR 14.11.2016). Es gibt derzeit im Irak mehr schutzbedürftige Menschen und mehr Menschen, die auf humanitäre Unterstützung angewiesen sind, als zu irgendeinem Zeitpunkt der letzten Jahre (OCHA 7.3.2017). Dennoch erreichen die humanitären Hilfsorganisationen derzeit nur 7,3 Mio. Menschen (UNHCR 14.11.2016). Aufgrund des Ausmaßes und der Komplexität der humanitären Krise haben die Vereinten Nationen im August 2014 die "Notstandstufe 3" - die höchste Stufe - für den Irak ausgerufen und seitdem jedes Jahr bestätigt (UNHCR 14.11.2016; aktuell s. OCHA o. D.). ACAPS kategorisiert die humanitäre Krise im Irak als "severe humanitarian crisis" - dies stellt innerhalb dieser Kategorisierung ebenfalls die höchste Stufe dar:

 

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(ACAPS 7.6.2017)

 

Die folgende Grafik von UNOCHA (Stand März 2017) zeigt je nach Provinz die Anzahl der Menschen, die auf humanitäre Unterstützung angewiesen sind bzw. wären, sowie die Bereiche des Landes, die für humanitäre Organisationen schwer zugänglich sind:

 

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(OCHA 7.3.2017)

 

Die humanitäre Situation ist in Regionen, die vom IS kontrolliert werden, und in Konfliktgebieten besonders besorgniserregend, da die Bevölkerung keinen oder nur erheblich eingeschränkten Zugang zu grundlegender Versorgung, Nahrungsmitteln und sonstigen Bedarfsgütern hat, und internationale Organisationen diese Menschen kaum erreichen können. Den Konfliktparteien wurde auch vorgeworfen, dass sie Zivilgebiete belagern und absichtlich von Nahrungsmittelzufuhr und humanitärer Hilfe abschneiden (UNHCR 14.11.2016). Angriffe auf Krankenhäuser und Schulen kommen häufig vor und das Vorenthalten von humanitärer Hilfe sowie das Zerstören grundlegender Infrastruktur wie Wasser- und Stromversorgung werden als Kriegswaffe eingesetzt (UNICEF o.D.). Anm.: Zur Grundversorgung in vom IS zurückeroberten Gebieten s. den Abschnitt zu IDPs und Flüchtlingen.

 

In den Aufnahmegemeinden sind die örtlichen Behörden und Gemeinden Berichten zufolge überlastet, und es wird gemeldet, dass sich der Zugang zu Dienstleistungen, der bereits vor dem jüngsten Konflikt nicht ausreichte, nun weiter verschlechtert hat, einschließlich Trinkwasserversorgung, sanitärer Anlagen, Abfallentsorgung, Bildungseinrichtungen und Gesundheitsversorgung. Berichten zufolge sind Binnenvertriebene von der schlechten Versorgungslage besonders betroffen, da sie oftmals von ihren ehemaligen Einkommensquellen, traditionellen sozialen Netzwerken und sonstigen Auffangmechanismen abgeschnitten sind. Für Mitglieder der ärmsten Haushalte sowie für Haushalte, die von Frauen geführt werden, ist es besonders schwer, eine Stelle oder Verdienstmöglichkeit in der Aufnahmegemeinde zu finden, und viele müssen auf sogenannte "negative Bewältigungsstrategien" zurückgreifen (UNHCR 14.11.2016). Die Stromversorgung ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht. Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung häufig unterbrochen (AA 7.2.2017).

 

Wasser, Sanitäreinrichtungen und Hygiene

 

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr (AA 7.2.2017). Das Fehlen eines kontinuierlichen und gerecht verteilten Zugangs zu sicherem Wasser und sicheren sanitären Einrichtungen sowie zu notwendigen Hygieneartikeln hat einen negativen Einfluss auf die allgemeine Gesundheit im Land. Im Jahr 2011 hatten 91 Prozent der irakischen Bevölkerung Zugang zu einer verbesserten Trinkwasserquelle, aber seit damals haben Entwicklungen wie politische Instabilität, andauernde Gewalt und interne Vertreibung zur Zerstörung, zum Zusammenbruch und zu massiver Überlastung von Wasser-/Sanitär- und Hygieneeinrichtungen im ganzen Land geführt. Derzeit befinden sich im Irak 6,3 Millionen Menschen bezüglich ihrer Versorgung mit sicherem Wasser und ihrer sanitären sowie Hygieneversorgung in kritischer Notlage (OCHA 7.3.2017). Laut Auswärtigem Amt verfügt heute im ganzen Land nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 7.2.2017). Die folgende Grafik zeigt den Schweregrad betreffend die verschiedenen Gebiete des Irak, der geschlechtlichen - sowie der Altersverteilung:

 

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(OCHA 7.3.2017)

 

Nahrungsmittelversorgung

 

Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. Die UN-Mission ermittelte schon im Juni 2013, dass vier Millionen Iraker unterernährt sind. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (2 USD/Tag) (AA 7.2.2017). Auf Grund des Fortschreitens der Krise sind Millionen von Haushalten, die von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen sind, massiv auf Unterstützung angewiesen. In solchen betroffenen Haushalten wird häufig auf "negative Bewältigungsstrategien" umgestellt, um den Nahrungsmittelbedarf decken zu können. Ungefähr 800.000 Einwohner und 138.000 IDPs leiden im Irak unter Nahrungsmittelunsicherheit - die Menschen in Mossul, Anbar und Hawija nicht einberechnet (OCHA 7.3.2017).

 

Unterkunft

 

Die Zahl der Menschen, die bezüglich Unterkunft und bezüglich anderer "Nicht-Lebensmittel" (non-food items) auf Unterstützung angewiesen sind, hat sich seit 2016 um 95 Prozent auf 3,9 Millionen erhöht (OCHA 7.3.2017). Die folgende Grafik zeigt die Zahl der Betroffenen in den meistbetroffenen Provinzen des Landes:

 

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(OCHA 7.3.2017).

 

Die Höhe der Miete für Wohnraum hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD. In KR-I Städten liegt die Miete bei 300 - 600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage zum Mieten stieg, nahm die Nachfrage zum Kaufen ab.

Durchschnittliche Betriebskosten pro Monat: Gas (15,000 IQD), Wasser (10-25,000 IQD), Öffentliche Elektrizität (30-40,000 IQD), Private oder nachbarschaftliche Generatoren (40,000 IQD). Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrer nicht. Private Immobilienfirmen können helfen.

 

Wohnen ist zu einem der größten Probleme im Irak geworden, insbesondere nach den Geschehnissen von 2003, als viele Iraker ihre Häuser verließen um in anderen Gegenden, hauptsächlich in KR-I, Sicherheit zu suchen. Dies führt zu einer wachsenden Nachfrage und steigenden Mieten. Generell ist es vor allem schwierig, Einzelwohnungen zu mieten (IOM 2016).

 

Einkommen/Arbeitsplätze

 

Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Über 4 Mio. der 36 Mio. Iraker erhalten reguläre Gehälter von der Regierung, die 2015 und 2016 aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt wurden. Etwa ein Zehntel der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor (AA 7.2.2017).

 

Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit

350 - 1500 USD, je nach Position und Ausbildung. Die folgende Grafik

zeigt - je nach Provinz - den Anteil jener Personen, die keinen Zugang zu einem Einkommen haben:

 

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(OCHA 7.3.2017)

 

Die Arbeitslosenquote beträgt 14%. Das Ministerium für Arbeit und Soziales (Ministry Of Labor and Social Affairs) stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Stellen können beim Generalsekretariat der Arbeits und Sozialversicherung (General directorate of Labor and Social insurance) eingesehen werden. Die Regierung hat ein Programm gestartet um irakische Arbeiter zu unterstützen, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, sowie Arbeitslose. Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe eingestellt und es wird keine Arbeitslosenhilfe ausbezahlt. Die Regierung hat jedoch ein Programm entwickelt um die hohe Arbeitslosigkeit, schlechte Ausbildungen und die Notwendigkeit eines aufstrebenden Dienstleistungsbereichs anzugehen. Durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen sollen die Fähigkeiten der irakischen Arbeitskräfte verbessert werden Private Zentren und Kurse sind ebenfalls zugänglich (IOM 2016).

 

Alle Angestellten im öffentlichen Sektor haben Zugang zum Rentensystem, sobald sie vom Staat eingestellt werden. Männliche Staatsbürger im Alter von 60 Jahren müssen zuvor 25 Jahre Dienst im öffentlichen Sektor geleistet haben, um beim Rentensystem berücksichtigt zu werden. Weibliche Angestellte im Alter von 55 Jahren müssen 20 Jahre Dienst vorweisen. In Baghdad können Beamte mit 13 Dienstjahren oder im Alter von 55 Rente in Anspruch nehmen (IOM 2016).

 

Das staatliche Bildungssystem ist über alle Stufen kostenfrei. Daher gibt es auch keine Stipendien und Studienkredite (IOM 2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

Medizinische Versorgung

 

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt: In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen (AA 7.2.2017). Geschätzte 75 Prozent der Ärzte, Pharmakologen und Krankenpfleger haben seit 2003 ihre Arbeit niedergelegt, wodurch ein massiver Versorgungsmangel entsteht. Etwa 60 Prozent des medizinischen Fachpersonals, das das Land verlassen hat, tat dies aufgrund der Sicherheitslage (CR 7.7.2016).

 

Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Korruption ist verbreitet. Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 7.2.2017). Die Jahre des bewaffneten Konflikts haben das Gesundheitssystem ernsthaft deformiert und im Irak gibt es beträchtliche Lücken bei der Bereitstellung von medizinischen Leistungen, auch wenn es regionale Unterschiede gibt. In Konfliktzonen sind viele Gesundheitseinrichtungen außer Betrieb oder zerstört (AIO 12.6.2017). In den am meisten betroffenen Provinzen Anbar, Kirkuk, Ninewah und Salahuddin wurden geschätzt 23 Krankenhäuser und über 230 medizinische Versorgungseinrichtungen beschädigt oder zerstört (OCHA 7.3.2017). Angriffe auf Spitäler und Schulen sind häufig und die Verweigerung von humanitärer Unterstützung und die Zerstörung von grundlegenden Diensten wie Wasser- und Stromversorgung werden als Kriegswaffe eingesetzt (UNICEF o.D.). Jenen Gesundheitseinrichtungen, die weiterbetrieben werden, fehlt es häufig an der Kapazität für den erhöhten Bedarf an zu Versorgenden, insbesondere in Gebieten mit einer hohen Zahl an IDPs, wie in der Region Kurdistan (AIO 12.6.2017).

 

Die folgende Grafik des Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) der Vereinten Nationen zeigt den Schweregrad bezüglich der Zahl von Menschen, die in medizinischer Notlage sind, nach Regionen, Alter und Geschlecht. Die darunterliegende Grafik gibt einen Überblick über die Zahl der Betroffenen anhand der Provinzen:

 

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(OCHA 7.3.2017)

 

Neben dem bewaffneten Konflikt und der großen Menge an IDPs tragen auch noch der Ausbruch von Krankheiten (mitausgelöst durch die beeinträchtigte Wasserversorgung und die Unterbrechung bei Schutzimpfungsprogrammen), sowie Finanzierungsengpässe zur Verschlimmerung bei. Es gibt einen weit verbreiteten Mangel an wesentlichen Medikamenten, Sanitätsartikeln und Nahrungsergänzungen. Laut Schätzungen haben mehr als 7,7 Millionen Menschen (laut anderer Quelle mehr als 8 Millionen Menschen) dringenden Bedarf an wesentlichen medizinischen Dienstleistungen. Seit Ende 2015 gibt es im Irak einen Cholera-Ausbruch und es besteht darüber hinaus ein erhöhtes Risiko, an Typhus, Gelbsucht oder Masern zu erkranken (WHO 2016, vgl. OCHA 7.3.2017). Im gesamten Land gibt es für schwangere Frauen nur eingeschränkten Zugang zu reproduktiven Gesundheits- und Beratungsdiensten, zu prä- und postnataler Versorgung und sicheren Geburtseinrichtungen. Diese Situation ist in verschärftem Ausmaß in Flüchtlingslagern oder anderen Umgebungen zu beobachten, in denen es einen mangelhaften Zugang zu Gesundheitsversorgung in diesem Bereich gibt. Darüber hinaus sehen sich schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen verschiedenen Barrieren beim Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung gegenüber, beispielsweise auf Grund der Sicherheitslage, der ethnischen Zugehörigkeit oder finanzieller Schwierigkeiten (OCHA 7.3.2017).

 

Gemäß WHO lag im Jahr 2014 die Dichte von primären medizinischen Einrichtungen im Irak bei 0,7 auf 10.000 Einwohner (MedCOI 2017). In ungefähr der Hälfte der medizinischen Zentren arbeitet zumindest ein Arzt/ eine Ärztin, im Rest der Versorgungszentren arbeiten geschulte Gesundheitskräfte wie medizinische HelferInnen und KrankenpflegerInnen.

 

Das Gesundheitsministerium ist der Hauptanbieter im Gesundheitsbereich. Das öffentliche Gesundheitssystem basiert auf einem Kostenteilungsmodell, bei dem die Regierung die Kosten für die medizinischen Dienstleistungen übernimmt und dem Patienten eine geringe Gebühr in Rechnung stellt. Der Mangel an politischer Stabilität und Staatssicherheit im Irak hindert den Staat jedoch daran, die allgemeine Gesundheitsversorgung der Bevölkerung abzudecken. Der private Sektor bietet ebenfalls heilmedizinische Leistungen an, diese können jedoch, wenn weitere Leistungen nötig werden (z.B. MRT, Medikamente oder operative Eingriffe) für ärmere Familien kostspielig sein (MedCOI 2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Behandlung nach Rückkehr

 

Eine freiwillige Rückkehr in den Irak aus dem österreichischen Bundesgebiet ist über Vermittlung entsprechender Rückkehrberatungseinrichtungen und nach erteilter Zustimmung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Unterstützung von IOM-Österreich möglich. IOM stellt im Gefolge der administrativen Abwicklung Flugtickets zur Verfügung und gewährt in Einzelfällen besonderer Hilfsbedürftigkeit auch finanzielle Überbrückungshilfe.

 

Auf niedrigem Niveau ist eine freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten zu beobachten. In der Region Kurdistan-Irak gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren, ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 7.2.2017). Aus Österreich kehrten in der ersten Jahreshälfte 2017 in Etwa 346 Iraker freiwillig in den Irak zurück - von diesen fast alle im Zuge einer sogenannten unterstützen Rückkehr (BFA 11.8.2017). Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u. a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort (AA 7.2.2017).

 

Dokumente

 

Irakische Reisepässe, die nach dem 17.Juni 1999 abgelaufen sind, bleiben zur Rückkehr in den Irak gültig. Die Regierung erkennt die vom alten Regime für ungültig erklärten Pässe der Serie H im Rahmen ihrer Gültigkeitsdaten an. Pässe der Serie M werden seit 01.Jänner 2007 nicht mehr anerkannt, Pässe der Serie N sind seit 1. Jänner 2008 nicht mehr gültig. Es sind vereinzelt noch Pässe der Serie S im Umlauf, die mittlerweile von den EU-Staaten, Jordanien und den USA nicht mehr anerkannt werden. Von 2006 bis 2009 gab die Regierung Pässe der Serie G aus, seit dem 1. Oktober 2010 werden nur noch Pässe der Serie A ausgestellt. Die Pässe der alten Serie G behalten ihre Gültigkeit. Irakische Blanko-Pässe der Serie A 4091901 - bis A 4150000 sind nicht mehr gültig; diese stammten aus der Provinz Anbar. Die neuen irakischen Pässe enthalten einen maschinenlesbaren Abschnitt sowie einen 3D-Barcode und gelten als fälschungssicherer im Vergleich zu den Vorgängermodellen, v. a. können diese nur noch persönlich und nicht mehr durch Dritte beantragt werden. Die irakischen Botschaften haben erst vereinzelt begonnen, Pässe auszustellen. An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen - auch kurzfristig - gerechnet werden (AA 7.2.2017).

 

Die irakische Regierung stellte im USDOS-Berichtszeitraum 2016 für hunderte auf die Abschiebung aus den USA wartende irakische Staatsbürger die entsprechenden Reisedokumente nicht aus, und gab an, dass es sich um Staatenlose handelt (USDOS 3.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Lage von sunnitischen Arabern in Bagdad, ergänzende Informationen

 

Bagdad ist weiterhin entlang konfessioneller Linien gespalten, es sind separate sunnitische und schiitische Viertel entstanden. Dies geht auch aus den folgenden Grafiken hervor, die die zunehmende konfessionelle Gliederung der Stadt in den Jahren 2003, 2010 und 2016 zeigen:

 

Bild kann nicht dargestellt werden

 

Quelle: National Geographic (o.D.)

 

Bild kann nicht dargestellt werden

 

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Quelle: Izady 2016

 

Gareth Stansfield, ein Professor of Middle East Politics an der University of Exeter, vertritt zur Lage von sunnitischen Arabern in Bagdad die Ansicht, dass den sunnitischen Arabern, die lange Zeit in Bagdad gelebt haben, die erforderlichen Verhaltensweisen bekannt sind, um nicht auf sich aufmerksam zu machen. Sie sind in der Regel gut in das soziale Gefüge integriert (Stansfield 26.04.2017).

 

Bei der Bekämpfung des IS nehmen die Behörden Verdächtige fest. Die rechtliche Grundlage dafür ist das Anti-Terrorismus-Gesetz aus dem Jahr 2005, das die Möglichkeit der Verhängung der Todesstrafe einschließt. Es gibt keine Zahlen dazu, wie viele Menschen in Bagdad auf Grund von Terrorverdacht festgenommen wurden. Al-Quds al-Arabi, eine in London erscheinende palästinensische Tageszeitung, berichtet im April 2016, dass sunnitische Moscheen in den westlichen Vierteln von Bagdad, insbesondere in den Stadtvierteln Ghazaliya, Mansur und Dawudi bereits seit Wochen Schikanen vonseiten der PMF und der irakischen Sicherheitskräfte ausgesetzt seien. Sowohl die PMF als auch die Sicherheitskräfte hätten Checkpoints vor den Moscheen errichtet und würden am Eingang der Moscheen die Identitätspapiere der Moscheebesucher kontrollieren. Ein Imam einer Moschee habe Al-Quds al-Arabi berichtet, dass es fast täglich zu Verhaftungen von Bewohnern komme, die die Moschee zu den vier Tagesgebeten aufsuchen würden. Es habe Fälle von Massenverhaftungen am Ende der Freitagsgebete gegeben, die insbesondere auf junge, männliche Moscheebesucher abgezielt hätten. Ihnen werde Terrorismus vorgeworfen, obwohl keine Beweise gegen sie vorliegen würden und nicht nach ihnen gefahndet werde. Dem Imam zufolge würden diesen willkürlichen Verhaftungen religiös motivierte sowie finanzielle Motive zugrunde liegen. Die meisten Opfer würden schnell wieder freigelassen, nachdem eine Summe von 2.000 bis 10.000 Dollar gezahlt worden sei. (Al-Quds Al-Arabi, 14 April 2016)

 

Auf dem Weblog "Informed Comment" findet sich ein Beitrag eines für Niqash schreibenden Autors namens Ibrahim Saleh vom November 2016, in dem berichtet wird, dass mehrere sunnitische Familien in letzter Zeit aus mehrheitlich schiitischen Wohnvierteln in Bagdad herausgedrängt worden seien. Die örtlichen Bewohner würden die schleichende Rückkehr von religiös motivierten Spannungen befürchten, während sich das Bild von mehr und mehr Straßen verändere. Anfang November habe Mohammed al-Rubaie, der Leiter des Sicherheitskomitees des Provinzrates Bagdad, bekanntgegeben, dass sunnitische Bewohner gewaltsam aus dem mehrheitlich von Schiiten bewohnten, südöstlichen Viertel Zaafaraniya vertrieben worden seien. Banden, die behauptet hätten, einflussreiche Einwohner zu vertreten, hätten fünf Familien dazu gezwungen, wegzuziehen. Das Sicherheitskomitee habe das Baghdad Operations Command, eine führende militärische Einheit, deren Aufgabe es sei, die Stadt zu sichern, verständigt. Die Sicherheitskräfte dort hätten jedoch gesagt, dass es keine Möglichkeit gebe, solche Erpresser zu kontrollieren. Al-Rubaie sei besorgt, dass im Lichte der Spannungen, die durch die vom IS herbeigeführte Sicherheitskrise ausgelöst worden seien, Zaafaraniya erst den Anfang darstelle. Ende September habe eine Gruppe sunnitischer Politiker den Premierminister al-Abadi dazu aufgefordert, dafür zu sorgen, dass lokale Vertriebene wieder in ihre Häuser zurückkehren könnten. Sie hätten gewarnt, dass in der Stadt und insbesondere im Bagdad-Gürtel demographische Veränderungen betrieben würden. Einwohner von Zaafaraniya wüssten genau, dass die Personen, die man zum Wegziehen gezwungen habe, nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit zurückkehren würden. Ein Bewohner von Zaafaraniya habe gesagt, dass mächtige Personen das Problem seien, die ihren Einfluss und ihren Reichtum ausnutzen würden, um in ihrem Viertel nach ihrem Belieben zu handeln. Daher vermute er, dass diese Vorfälle nicht auf religiösem Hass basieren würden. Die kriminellen Vorfälle hingen mit der Gier nach den Grundstücken zusammen, von denen die Familien vertrieben worden seien. Die betroffenen Familien seien schwer drangsaliert worden, bevor sie gegangen seien. Informed Comment berichtet weiters, dass man den Personen, die aus ihren Häusern vertrieben würden, meistens vorwerfe, mit dem IS verbündet zu sein. Die schiitische Freiwilligenmiliz Harakat al-Nudschaba habe gesagt, dass der IS über Schläferzellen in Zaafaraniya verfüge, die terroristische Operationen planen würden. Aus diesem Grund sage die Miliz, die bereits zuvor Auseinandersetzungen mit den irakischen Sicherheitskräften in dem Viertel gehabt habe, dass sie auf diese potentiellen Kriminellen reagieren könne, ohne vorher jemanden um Erlaubnis zu fragen (ACCORD 27.03.2017).

 

Es gibt keine Zahlen, die zeigen würden, wie viele Sunniten etwa aus politischen oder religiösen Gründen getötet wurden. Es liegen auch keine Informationen vor, die zeigen ob - und wenn ja in welchem Ausmaß - die konfessionell motivierten Morde (die in den Jahren 2014-2016 Berichten von Menschenrechtsorganisationen zufolge stattfanden) nun gesunken sind, nachdem viele IDPs in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt sind und nachdem der IS keine unmittelbare Bedrohung mehr für das Territorium Bagdads darstellt. Die UNO-Unterstützungsmission im Irak (UNAMI), schreibt in ihrem Bericht zur Lage von Zivilpersonen im bewaffneten Konflikt vom Dezember 2016, dass während des Berichtszeitraums vom November 2015 bis September 2016 mindestens 505 Fälle nicht identifizierter Leichen verzeichnet worden seien, von denen fast 80 Prozent in der Provinz Bagdad aufgefunden worden seien. Beispielsweise habe die Polizei am 13. Jänner 2016 im mehrheitlich sunnitischen Tarmiya-Viertel im Norden der Stadt die Leichen von elf Männern gefunden, die Schusswunden aufgewiesen hätten. Am 31. Jänner 2016 habe die Polizei die Leichen von zwei Männern mit Schusswunden im mehrheitlich sunnitischen Viertel Dora im Süden von Bagdad gefunden. Am 18. Juni 2016 seien vier Leichen mit Schusswunden im mehrheitlich sunnitischen Viertel Sabea al-Bur aufgefunden worden. Im ebenfalls mehrheitlich von Sunniten bewohnten Viertel Abu Ghraib habe die Polizei am 16. August die Leiche eines Mannes gefunden, die Schusswunden aufgewiesen habe (UNAMI 30.12.2016).

 

In der Provinz Bagdad gibt es tägliche Angriffe, Anschläge auf Geschäfte, Märkte und andere Orte, an denen sich größere Zahlen von Menschen versammeln. Selbst wenn es so ist, dass sich diese Anschläge nicht primär gegen Sunniten richten, stellen sie ein enormes allgemeines Sicherheitsrisiko dar. Die Zahl der zivilen Opfer in Bagdad ist zuletzt allerdings gesunken. UNAMI geht für den Monat Dezember 2017 von 24 zivilen Todesopfern und 98 Verletzen in Bagdad aus. Im November 2017 wurden 51 Tote und 150 Verletzte verzeichnet, im Oktober 2017 38 Tote und 139 Verletzte. Im September 2017 wurden 37 zivilen Todesopfer und 157 Verletzte in Bagdad verzeichnet, im August 45 Tote und 135 Verletzte. Der Blogger und Irakexperte Joel Wing spricht in seinem Beitrag vom 04.12.2017 zu den Opferzahlen des Monats November 2017 davon, dass der Irak das geringste Gewaltniveau seit dem Sturz des Saddam-Regimes im Jahr 2003 erlebe. Infolgedessen wären die Opferzahlen auf ein extrem niedriges Niveau gesunken (Joel Wing 04.12.2017).

 

Die am weitest verbreiteten sicherheitsrelevanten Probleme, denen die sunnitische Bevölkerung in Bagdad ausgesetzt ist, scheinen in Zusammenhang mit der weitreichenden Bewegungs- und Aktionsfreiheit der schiitischen Milizen (Popular Mobilization Forces - PMF) zu stehen, sowie mit den weiterhin stattfindenden terroristischen Akten. Die PMF genießen in Bagdad einen enormen Handlungsspielraum, was Einfluss auf die Sicherheitslage aller Einwohner der Stadt. Die offene Präsenz der Milizen scheint in den schiitischen Vierteln - wo sie die Kontrolle haben - am größten zu sein, allerdings genießen sie dank der Unterstützung von ihnen gegenüber loyalen Kräften innerhalb der Armee und der Polizei auch eine weitreichende Bewegungsfreiheit im Rest der Stadt. Was die Sunniten angeht, so scheinen die Behörden keine Kontrolle über die PMF zu haben, diese können in Bagdad frei agieren, ohne richterliche oder militärische Einmischung.

 

In der Stadt gibt es zahlreiche Checkpoints. Stadtbewohner müssen täglich Checkpoints überqueren. Die Checkpoints werden v.a. von Polizei und Armee betrieben, aber zum Teil auch direkt von den Milizen. Gemäß UNHCR ist einer der Gründe dafür, dass sunnitische Araber versuchen zu vermeiden, von A nach B zu fahren, jener, dass sie bei einem der Checkpoints als Sunniten erkannt werden könnten. Sunniten sind zum Teil auch sehr vorsichtig, wenn es darum geht, die Polizei oder andere Behörden zu kontaktieren, um von Vorfällen zu berichten, oder wenn es einfach darum geht öffentliche Einrichtungen oder Dienstleistungen zu nutzen. Laut Jim Muir, langjähriger Irakexperte des BBC, herrscht in Bagdad ein hohes Maß an Unsicherheit unter den Menschen der Stadt, insbesondere weil die Regierung aus Sicht der Bevölkerung keine effektiven Maßnahmen unternommen habe, sie vor den PMF zu beschützen, und sie umgekehrt keine eigenen Milizen besitzen, welche sie vor den PMF beschützen würden. Ein irakischer Politiker gab an, dass die Opfer bei den meisten von Milizen in Bagdad ausgeübten Übergriffen Sunniten sind. Der Politiker gab weiters an, dass die PMF die Möglichkeit haben, in jede Privatwohnung einzudringen, sogar in die Wohnungen von Parlamentsmitgliedern. Dass die Milizen im Irak - auch in Bagdad - Menschen in ihren Wohnhäusern festnehmen, wurde auch von Amnesty International berichtet. Es kommt auch vor, dass die Milizen maskiert auftreten.

 

Vertreibungen finden am häufigsten in den Vororten der Stadt Bagdad und in den umliegenden Gebieten statt, Sunniten scheinen dort in einem großen Ausmaß vertrieben worden zu sein, und es wird schwierig für sie werden, zurückzukehren. Allgemein muss angenommen werden, dass Sunniten willkürlich aus ihren Wohnhäusern vertrieben werden können. Der von Landinfo und Lifos in Bagdad interviewte irakische Politiker meinte, dass Sunniten und Christen in Bagdad nach wie vor aus ihren Wohnhäusern geworfen würden. Im Anschluss darauf würde das Eigentum von jener Miliz, die die Wohnhaus-Eigentümer hinausgeworfen hat, konfisziert. Die Eigentümer würden nicht die Gelegenheit erhalten, zurückzukehren. In welchem Ausmaß diese Vorgehensweise die sunnitischen Einwohner, bzw. die sunnitischen IDPs betreffen würde, konnte der Politiker nicht einschätzen. Einer der Gründe für eine solche Vorgehensweise kann die von einer einflussreichen Person ausgesprochene Behauptung sein, dass die Hauseigentümer mit dem IS in Verbindung stehen würden. Es kommt auch vor, dass die lokalen Einwohner Sunniten so lange schikanieren, bis diese schließlich aufgeben und das Gebiet/Viertel verlassen.

 

Auch zu kriminell motivierte Entführungen gibt es keine verlässlichen Statistiken. Gemäß Suadad al-Sahly (2017), einer Journalistin und ehemaligen Reuters-Korrespondentin, wurden ihr gegenüber von verschiedenen Quellen dargelegt, dass es sich im Jahr 2016 um ca. um 800 Entführungen in Bagdad handeln könnte. Der Journalist Mustafa Saadoun, der für Al-Monitor schreibt, gab ebenfalls im Jahr 2017 an, dass es zusätzlich zu diesen Angaben pro Jahr von ihm geschätzte hunderte weitere Fälle gäbe, die nicht in die Berichterstattung kämen. Da es zu Protesten in der Bevölkerung kam, und zu Forderungen an den Staat, Maßnahmen zu ergreifen, wurde in den letzten zwei Jahren das Thema Kidnappings in der Öffentlichkeit diskutiert. Immer wieder kam es zu Wellen von Entführungen, die gegen bestimmte Professionen und Gruppen der Gesellschaft gerichtet waren. Anfang 2017 tauchten Berichte auf, dass Sicherheitskräfte eine kriminelle Gruppe zu identifizieren suchten, die auf die Entführung von Kindern in der Gegend um Bagdad al-Jadida spezialisiert war. Im August 2017 veröffentlichte Niqash einen Artikel über eine vor kurzem vorgefallene Serie an Kidnappings, die gegen Ärzte und medizinisches Personal gerichtet waren. Diese wurden von kriminellen Banden durchgeführt, aber auch von Stämmen, die Wiedergutmachung für Verwandte forderten, die nicht behandelt werden konnten oder die im Spital verstorben waren. Im Mai 2017 wurde eine Gruppe von Studenten und Anti-Korruptions-Aktivisten gekidnappt, angeblich von einer Miliz. Dennoch war einer der meist diskutierten Fällen die Entführung von Afrah Shawqi, einem Journalisten, der nur wenige Tage davor einen Artikel im Al-Sharq al-Awsat über die Straffreiheit von schiitischen Milizen im Irak veröffentlicht hatte. In beiden Fällen wurden die Opfer freigelassen, nachdem großer öffentlicher Druck auf den Premierminister selbst, sowie auf das Innenministerium ausgeübt worden war. Regierungsbeamte und andere politische Führungskräfte wurden ebenso ins Visier genommen wie z.B. bei jenem Fall eines hohen Beamten des Justizministeriums, der im September 2015 gekidnappt wurde, oder jenem Fall eines sunnitischen Stammesführers, dessen Entführung und Ermordung Anlass zu einer Kampagne von Amnesty International wurde (MRG 10.2017).

 

All diese Fälle haben Regierung und Sicherheitsdienste gezwungen, sich aktiver diesem Problem zu widmen. In vergangenen Jahren, sowie auch in den Jahren 2006-2007, war die Exekutive beinahe gänzlich außerstande, mit dieser Art der Gewalt umzugehen. Heute spricht Premierminister Abadi, der sich manchmal persönlich in Fälle involviert, lautstark über die Bedenken der Bevölkerung, und unternimmt Schritte, um die Kapazitäten der Gesetzesvollstreckung auszuweiten. Dennoch werden Milizen in erfolgreichen Fällen - wenn es Sicherheitskräften gelingt, Banden zur Anklage bringen - selten erwähnt. Es ist praktisch unmöglich einzuschätzen, wie oft die von den Sicherheitskräften vorgenommenen Verhaftungen Mitglieder von Milizen einschließen, da Fälle von Kidnappings mit Lösegeldforderungen einfach als kriminelle Akte kategorisiert werden. Dies kann nur durch anekdotische Hinweise und durch Zeugenaussagen belegt werden. Allerdings besteht das Problem, dass die Opfer oft selber nicht wissen woher die Bedrohung kommt oder wer der Empfänger des geforderten Lösegeldes ist (MRG 10.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Individuell:

 

Irak war das erste Land im Mittleren Osten, welches Anfang 2014 einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der VN-Sicherheitsratsresolution 1325 (2000) zu Frauen, Frieden

 

und Sicherheit verabschiedete. Die Region Kurdistan-Irak hatte bereits 2013 eine Strategie zum Kampf gegen Gewalt gegen Frauen verabschiedet. In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25% im Parlament (Region Kurdistan: 30%) verankert. Dadurch sind im irakischen Parlament derzeit 82 Frauen vertreten (von insgesamt 328 Abgeordneten). Allerdings sind Frauen in den bedeutenden Ausschüssen wie dem für Verteidigung und Sicherheit oder dem Komitee für Nationale Versöhnung nicht vertreten. Auch die Mitglieder der Wahlkommission für die Parlamentswahlen im Mai 2018 sind allesamt männlich. Die Hauptstadt Bagdad hat seit 2015 erstmals eine Frau als Bürgermeisterin, der Posten gilt allerdings als wenig einflussreich. Die geschätzte Erwerbsquote unter Frauen lag 2014 bei nur 14%, der Anteil an der arbeitenden Bevölkerung bei 17%. Laut Art. 14 und 20 der Verfassung ist jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Art. 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten

 

ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragraphen als Grundlage für eine Re-Islamisierung des Personenstandsrechts und damit eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung. Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsangehörigkeitsrecht. Frauen

 

werden noch immer in Ehen gezwungen, rund 20% der Frauen werden vor ihrem 18. Lebensjahr (religiös) verheiratet, viele davon im Alter von 10 - 14 Jahren. 10% der irakischen

 

Frauen sind Witwen, viele davon Alleinversorgerinnen ihrer Familien. Ohne männliche Angehörige erhöht sich das Risiko für diese Familien, Opfer von Kinderheirat und sexueller Ausbeutung zu werden.

 

Aktuell wurde von schiitischen Abgeordneten ein Gesetzesentwurf ins Parlament eingebracht,

 

welcher die zivilrechtliche Verheiratung von Mädchen im Alter ab neun Jahren legitimieren würde.

 

Die Stellung der Frau hat sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert. Die prekäre Sicherheitslage in Teilen der irakischen Gesellschaft hat negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen. Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln,

 

z. B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter

 

Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken. Die kurdische Regionalregierung hat ihre Anstrengungen zum Schutz der Frauen verstärkt. So wurden im Innenministerium vier Abteilungen zum Schutz von weiblichen Opfern von (familiärer) Gewalt sowie drei staatliche Frauenhäuser eingerichtet. Zwei weitere werden von

 

NROs betrieben. Vereinzelt werden Frauen "zum eigenen Schutz" inhaftiert. Seit 2011 gibt es

 

ein kurdisches Gesetz gegen häusliche Gewalt, in dem weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung von Frauen und andere Gewalt innerhalb der Familie unter Strafe gestellt

 

werden.

 

Quellen:

 

 

Frauen

 

In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25 Prozent im Parlament (Autonomieregion Kurdistan: 30%) verankert. Dadurch sind im irakischen Parlament derzeit 82 Frauen vertreten (von insgesamt 328 Abgeordneten). Allerdings sind Frauen in den bedeutenden Ausschüssen, wie dem für Verteidigung und Sicherheit oder dem Komitee für Nationale Versöhnung, nicht vertreten. Die geschätzte Erwerbsquote von Frauen lag 2014 bei nur 14%, der Anteil an der arbeitenden Bevölkerung bei 17 %. Laut Art. 14 und 20 der Verfassung ist jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Art. 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragraphen als Grundlage für eine Re-Islamisierung des Personenstandsrechts und damit eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung. Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsangehörigkeitsrecht. Frauen werden noch immer zur Ehe gezwungen, rund 20% der Frauen werden vor ihrem 18. Lebensjahr (religiös) verheiratet, viele davon im Alter von 10 - 14 Jahren. Kinderheirat wie auch sexuelle Ausbeutung werden dadurch begünstigt, dass 10% der irakischen Frauen Witwen, viele davon Alleinversorgerinnen ihrer Familien sind (AA 7.2.2017). Frauen und Mädchen werden durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert und sind nicht ausreichend gegen sexualisierte und andere geschlechtsspezifische Gewalt geschützt (AI 22.2.2017). Paragraph 41 des Strafgesetzbuches gibt Ehemännern das Recht, ihre Frauen zu bestrafen, was im gesamten Irak zu einem extremen Ausmaß an häuslicher Gewalt führt. Frauen, die Misshandlungen oder Missbrauch ausgesetzt sind, haben das Problem, dass sie keinen sicheren Zufluchtsort haben (Lattimer 26.4.2017). Sexuelle Gewalt ist zwar per Gesetz verboten, diesbezügliche Anschuldigungen können nach Paragraph 398 aber fallen gelassen werden, sofern der Täter das Opfer heiratet (HRW 12.1.2017).Die Stellung der Frau hat sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert. Die prekäre Sicherheitslage und wachsende fundamentalistische Tendenzen in Teilen der irakischen Gesellschaft haben negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten von Frauen. Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden islamische Regeln, z. B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken (AA 7.2.2017). Unverheiratete oder verwitwete Frauen sind dabei einem besonders großen Risiko ausgesetzt, Opfer von sexuellen Schikanen zu werden (IISS 15.5.2017).

 

Das irakische Gesetz, sowie auch die irakischen Sitten respektieren das Recht auf Bewegungsfreiheit für Frauen grundsätzlich nicht. Zum Beispiel verbietet es das Gesetz auch, dass Frauen ohne Zustimmung ihres Mannes, Vormundes oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass beantragen. Frauen war es auch nicht möglich, ohne Zustimmung eines männlichen Angehörigen das "Civil Status Identification Document" zu beantragen, das für die Inanspruchnahme von öffentlichen Dienstleistungen, Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, Zugang zum Bildungssystem, etc. notwendig ist (USDOS 3.3.2017).

 

In den vom IS kontrollierten Gebieten sind Frauen und Mädchen vom öffentlichen Leben weitgehend ausgeschlossen. Sie dürfen das Haus nur in männlicher Begleitung verlassen und müssen sich einem strengen Kleidungs- und Sittenkodex unterwerfen. Berichten zufolge werden Regelverstöße streng bestraft, u. a. durch Geldbußen, Prügelstrafen für die Frau oder ihren männlichen Begleiter, Folter und Hinrichtung. Frauen, insbesondere gut ausgebildete und berufstätige Frauen wie Ärztinnen, Rechtsanwältinnen Politikerinnen, wurden laut Berichten vom IS attackiert, gefoltert und hingerichtet (UNHCR 14.11.2016). Diejenigen Frauen, denen die Flucht gelang oder die von Verwandten durch Zahlung eines Lösegeldes freigekauft wurden, erhielten weder angemessene psychologische Hilfe noch ausreichende materielle Unterstützung (AI 22.2.2017).

 

IDPs: Viele Frauen und Mädchen sind durch Flucht und Verfolgung besonders gefährdet. Es gibt vermehrt Berichte, dass minderjährige Frauen in Flüchtlingslagern zur Heirat gezwungen werden. Dies geschieht entweder, um ihnen ein vermeintlich besseres Leben zu ermöglichen oder um ihre Familien finanziell zu unterstützen. Häufig werden die Ehen nach kurzer Zeit wieder annulliert, mit verheerenden Folgen für die betroffenen Frauen (AA 7.2.2017).

 

Genitalverstümmelung: In Teilen des stark patriarchalisch strukturierten Nordirak kommt es immer noch zu Genitalverstümmelung bei Frauen. Genitalverstümmlung ist kein ausschließlich kurdisches Problem. Seit 2011 stellt ein Gesetz in der Region Kurdistan-Irak die Genitalverstümmelung unter Strafe (AA 7.2.2017).

 

Häusliche Gewalt: Es gibt wenige Rechtsvorschriften und Schutzmechanismen, die Frauen vor häuslicher Gewalt schützen. Das irakische Strafgesetzbuch enthält zwar einige Bestimmungen zu körperlichen An-/Übergriffen, jedoch fehlt es an der expliziten Nennung des Problems der häuslichen Gewalt (HRW 12.1.2017). Es kann geschätzt werden, dass im Irak pro Jahr ungefähr 1.000 Frauen oder mehr durch häusliche Gewalt umkommen (Lattimer 26.4.2017).

 

Ehrenverbrechen an Frauen:

 

Ehrenverbrechen bleiben im ganzen Land weiterhin ein ernstzunehmendes Problem (USDOS 3.3.2017), das sich derzeit sogar zunehmend verschärft. Die Gründe dafür sind u.a. die schwachen Strafverfolgungsbehörden, die Milizen, die stark an Macht gewonnen haben, sowie die zunehmende Verbreitung besonders strenger und konservativer religiöser Werte (IISS 15.5.2017). Ehrenmorde werden meist begangen, nachdem eine Frau eines der folgenden Dinge getan hat, oder dessen verdächtigt wird: eine Freundschaft oder voreheliche Beziehung mit einem Mann einzugehen, sich zu weigern einen von der Familie ausgewählten Mann zu heiraten, gegen den Willen der Familie zu heiraten, Ehebruch, oder das Opfer einer Vergewaltigung oder Entführung zu sein. Solche Verletzungen der Ehre werden in der irakischen Gesellschaft als unverzeihlich angesehen und können aus Sicht dieser häufig nur getilgt werden, im dem man die Frau tötet. (Anm.: Auch Männer können Opfer von Ehrenverbrechen werden - s. dazu z.B. auch Abschnitt "Sexuelle Minderheiten"). Ehrenverbrechen passieren in allen Gegenden des Irak und bei allen ethnischen und religiösen Gruppen. Es ist jedoch schwer, das wahre Ausmaß von Ehrenverbrechen im Irak zu erfassen, da viele Fälle nicht angezeigt werden (MRG 4.11.2015). Selbst wenn es zur Anzeige kommt, werden Täter selten zur Rechenschaft gezogen und das Gesetz erlaubt es, dass Strafen milder ausfallen können, wenn das Verbrechen einen "Ehren"-Aspekt hat (USDOS 3.3.2017). In der Region Kurdistan haben die Behörden Berichten zufolge Paragrafen, die eine solche Milderung ermöglichen, abgeschafft. Nach der neuen Gesetzeslage gelten Morde, die aus Gründen der "Ehre" begangen worden sind in der Region Kurdistan nunmehr als Morde. Dieses Verbot von Ehrenmorden hat in dieser Region allerdings dazu geführt, dass sie häufiger als Unfall oder Selbstmord kaschiert werden, um eine Strafverfolgung zu vermeiden. Berichten zufolge gab es bisher nur sehr wenige Fälle, die vor Gericht kamen, seit das neue Gesetz in Kraft trat (AIO 12.6.2017). Ehrenverbrechen sind in der KRI nach wie vor ebenso weit verbreitet wie im Rest-Irak, einigen Meinungen zufolge sogar weiter verbreitet. Ehrenmorde sind in ländlichen Gebieten weiter verbreitet als in städtischen (IISS 15.5.2017) und es gibt in unterschiedlichen Gebieten verschiedene Ausprägungen. Das Verbrennen von Frauen scheint besonders in der Region Kurdistan vorherrschend zu sein, während "fasiliya" (s.u.) oder der Handel mit Frauen eher in anderen Gebieten des Irak vorherrschend zu sein schein (Lattimer 23.6.2017). In der KRI werden pro Jahr ungefähr 300-400 Frauen bei lebendigem Leib verbrannt (Lattimer 26.4.2017).

 

Per Definition werden Ehrenmorde von einem Familienmitglied ausgeführt, es kann aber auch sein, dass die Großfamilie, der Clan, die Gemeinde, der Stamm, eine bewaffnete Gruppe oder anderen externe Akteure Druck auf die Familie ausüben, ein Familienmitglied zu töten, das vermeintliche Schande über die Familie gebracht hat (AIO 12.6.2017, vgl. IISS 15.5.2017). In anderen Fällen begehen Frauen Selbstmord, u.a. durch Selbstverbrennung, weil sie befürchten, von ihrer Familie getötet zu werden, oder sie werden zum Selbstmord gezwungen oder genötigt (AIO 12.6.2017).

 

Im Allgemeinen gibt es keine Zufluchtsstätten für von Ehrenverbrechen bedrohten Frauen (Lattimer 23.6.2017, vgl. IISS 15.5.2017). In der Kurdenregion existieren jetzt drei offizielle Frauenhäuser, aber um in einem solchem unterkommen zu dürfen, ist ein Gerichtsbeschluss erforderlich, was ein beträchtliches Hindernis für eine Frau darstellt, die bedroht wird (Lattimer 23.6.2017). Darüber hinaus kommt es häufig vor, dass die Behörden ohne Zustimmung des Opfers den Täter zu dem Frauenhaus bringen und auf Kosten des Opfers versuchen eine Lösung auszuhandeln (UKHO 8.2016). Im Rest des Iraks gibt es keine offiziellen Unterkünfte. Einige Frauenrechtsorganisationen versuchen im Geheimen inoffizielle Unterkünfte zu betreiben, jedoch sind die Betreiber oder die Bewohnerinnen dieser unter großer Gefahr, weil solche Unterkünfte häufig das Ziel von Angriffen verschiedener Milizen sind (Lattimer 23.6.2017). Darüber hinaus werden sie oft von den Behörden geschlossen, die solche Einrichtungen scheinbar teilweise als Bordelle betrachten (AIO 12.6.2017). Es ist nicht unüblich, dass Frauen für längere Zeit in Polizei-Gefängniszellen sitzen, weil sie von ihren Familien bedroht werden und keine andere Unterkunftsmöglichkeit haben (Lattimer 23.6.2017).

 

Fasiliya: Vertreter der Regierung, sowie internationale und lokale NGOs berichteten, dass die traditionelle Praxis "fasiliya" weiterhin ein Problem darstellt, insbesondere in südlichen Provinzen. "Fasiliya" bezeichnet jene Praxis, bei der mit Familienmitgliedern, einschließlich Frauen und Kindern, gehandelt wird, um damit Stammeskonflikte zu bereinigen (USDOS 3.3.2017).

 

Zwangsheirat / Frühehen / temporäre Ehen:

 

Im Irak gibt es einen Anstieg an Kinderehen, insbesondere bei IDPs. Heirat wird häufig als Möglichkeit gesehen, Frauen und Mädchen zu beschützen (AIO 12.6.2017). Das gesetzliche Mindestalter für die Eheschließung liegt bei 15 Jahren mit elterlicher Zustimmung und bei 18 Jahren ohne elterliche Zustimmung. Die Regierung unternahm wenige Anstrengungen zur Durchsetzung dieser gesetzlichen Vorschriften. Traditionelle Zwangshochzeiten von Mädchen im Alter von beispielsweise 11 Jahren wurden weiterhin durchgeführt, insbesondere in ländlichen Gebieten. Gemäß UNICEF wurden im Jahr 2016 ungefähr 975.000 Mädchen vor Ihrem 15. Geburtstag verheiratet, doppelt so viele wie im Jahr 1990. (Kinderehen und Zwangsehen waren in vom IS kontrollierten Gebieten stärker verbreitet.) Auch kommt es immer wieder zur sexuellen Ausbeutung von Frauen im Rahmen von sogenannten temporären Ehen ("Ehen auf Zeit"), eine Praxis, die in schiitischen Gebieten üblicher ist, als in sunnitischen (Ausnahme IS-Gebiet, wo dies auch verstärkt vorkommt). Dabei gibt ein Mann der Familie eines Mädchens oder einer Frau Ehegeld, damit er sie für eine bestimmte Dauer "ehelichen" darf (USDOS 3.3.2017).

 

Übertragung der Staatsbürgerschaft:

 

Laut Gesetz können sowohl Mutter als auch Vater gleichermaßen ihre irakische Staatsbürgerschaft auf ihre Kinder übertragen. Dies gilt aber nur für Kinder, die im Irak geboren sind. Bringt eine irakische Staatsbürgerin im Ausland ein Kind zur Welt, liegt es im Ermessen des Staates, ob das Kind die Staatsbürgerschaft erhält (AIO 12.6.2017). Unverheiratete Frauen und Witwen hatten häufig Probleme dabei, ihre Kinder zu registrieren, selbst wenn sie im Irak geboren worden waren. In den meisten Fällen stellten die Behörden die entsprechenden Geburtsurkunden aus, nachdem die Geburt registriert wurde, allerdings waren das Berichten zufolge langwierige und zum Teil komplizierte Prozeduren. Scheitert eine Frau beim Versuch die Geburt seines Kindes registrieren zu lassen, kann dies dazu führen, dass der Zugang zu öffentlichen Diensten wie Bildung, Nahrungsmittelsystemen und zum Gesundheitssystem verwehrt werden (USDOS 3.3.2017). In folgenden Fällen können Frauen beispielsweise Probleme haben, ihre Staatsbürgerschaft auf ihre Kinder zu übertragen: Wenn das Kind außerehelich geboren wurde, die Heirat nie offiziell registriert wurde, oder kein gültiger Eheschließungsvertrag zustande gekommen ist (z.B. zwischen einer muslimischen Mutter und einem nicht-muslimischen Vater kann es keinen gültigen Eheschließungsvertrag geben). In solchen Fällen müsste die Frau ihre Staatsbürgerschaft auf das Kind übertragen können, dies kann in der Praxis jedoch schwierig bzw. strukturellen Barrieren unterworfen sein. Für Frauen, deren Ehemann verhaftet oder getötet wurde, oder Frauen, die Kinder zur Welt gebracht haben, nachdem sie von IS-Mitgliedern vergewaltigt worden waren, kann es ebenfalls schwierig sein, ihre Kinder zu registrieren, geschweige denn ihre Staatsbürgerschaft auf diese Kinder zu übertragen (AIO 12.6.2017).

 

Westlicher bzw. "nicht-konservativer" Lebens- und Kleidungsstil

 

Durch den steigenden Einfluss von besonders konservativen Kräften, einschließlich der schiitischen Milizen, von denen viele mit politischen Akteuren verlinkt sind, geht der Trend deutlich in Richtung Einschränkung der persönlichen Freiheit der Bevölkerung. Die Milizen führen Regelungen ein, die sie für den "richtigen" islamischen Lebensstil halten (AIO 12.6.2017). Der Kleidungsstil, der von Frauen erwartet wird, ist im Irak über die letzten zwei Dekaden konservativer geworden. Dieses Phänomen hat sich nach 2003 dadurch beschleunigt, dass sunnitische und schiitische religiöse Kräfte im Irak auf dem Vormarsch sind. Im IS-Gebiet gibt es einen strengen Dress Code, der strikt durchgesetzt wird. In schiitischen Gebieten, einschließlich Basra und Bagdad versuchen schiitische Milizen ebenfalls strikte Bekleidungsvorschriften durchzusetzen und sind für gewalttätige Übergriffe auf Frauen verantwortlich, deren Kleidungsstil als unangebracht angesehen wird. Über das Jahr 2006-2007 ist bekannt, dass Milizen in Basra und Diyala hunderte Frauen töteten, weil sie den Dress Code nicht eingehalten hatten. Es gibt Befürchtungen, dass ein solches Ausmaß erneut droht (Lattimer 23.6.2017).

 

Frauen in von (schiitischen) Milizen kontrollierten Gebieten:

 

In Gebieten, in denen es eine starke Präsenz von Milizen gibt (wie z. B. jenen der Volksmobilisierung - PMF), kommt es vor, dass diese Milizen in Bezug auf Frauen (aber auch ganz allgemein) konservativere kulturelle Normen und Konventionen einführen bzw. sogar gewaltsam erzwingen (AIO 12.6.2017). In von diesen Milizen kontrollierten Gebieten werden die Rechte von Frauen eingeschränkt. Einige Milizen tun dies systematisch (IISS 15.5.2017). Ob und wie weit dies geht, hängt nicht nur von der jeweiligen Miliz ab, sondern auch von den jeweiligen lokalen Kommandanten. Die Milizen schränken die Rechte von Frauen nicht nur in jenen Gebieten ein, die unter ihrer Kontrolle stehen, sondern auch in den Städten wie z.B. Bagdad und Basra, in denen der Einfluss der Milizen sehr groß ist. Die Milizen operieren diesbezüglich ungestraft, zum Teil auch in Komplizenschaft mit den lokalen Behörden (Lattimer 23.6.2017). Es wird z.B. auch von Übergriffen auf bzw. Morden an Frauen berichtet, die in Bordells arbeiten, oder die die "falsche" Kleidung tragen (Lattimer 24.7.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

II.1.3. Behauptete Ausreisegründe aus dem Herkunftsstaat

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass in der Region Diyala für die BF1 und die BF2 eine Verfolgung von schiitischen Milizen, der IS, privater Seite und staatlicher Seite droht.

 

2. Beweiswürdigung:

 

II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren sowie eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt.

 

Aufgrund des vorliegenden Verwaltungsaktes, des Ergebnisses des ergänzenden Ermittlungsverfahrens sowie der Beschwerdeverhandlung ist das erkennende Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

 

II.2.2. Die Feststellungen zur Person der BF1 und der BF2 ergeben sich - vorbehaltlich der Feststellungen zur Identität - aus den in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben der BF1 sowie ihren Sprach- und Ortskenntnissen.

 

Aufgrund der Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität der BF1 und der BF2 festgestellt werden.

 

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der BF1, konkret, dass die BF1 an keiner lebensbedrohlichen Krankheit leidet, ergeben sich aus ihren eigenen Angaben. Die BF1 hat zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht angeführt, dass sie grundsätzlich gesund sei, psychisch sei sie angeschlagen. Sie gehe jedoch zu keinem Therapeuten. Sie möchte die deutsche Sprache besser lernen, um alleine zum Psychiater gehen zu können. Dass die BF1 aufgrund ihres psychischen Gesundheitszustandes nicht in der Lage sei ihre Fluchtgründe zu schildern, hat die BF1 weder vor dem BFA noch vor dem erkennenden Gericht- entgegen den Erläuterungen im Beschwerdeschreiben - nie ausgeführt.

 

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF2, konkret, dass die BF2 an einer psychischen Erkrankung leidet, ergeben sich aus den Angaben der BF1 und dem vorgelegten psychotherapeutischen Bericht.

 

II.2.3. Zu der getroffenen Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen - sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges - handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen.

 

Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten - von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen - diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges. Der Organisationszweck dieser Erkenntnisquellen liegt gerade darin, vermeintliche Defizite in der Lage der Menschenrechtslage aufzudecken und falls laut dem Dafürhalten - immer vor dem Hintergrund der hier vorzunehmenden inneren Quellenanalyse - der Organisation ein solches Defizit vorliegt, dies unter der Heranziehung einer dem Organisationszweck entsprechenden Wortwahl ohne diplomatische Rücksichtnahme, sowie uU mit darin befindlichen Schlussfolgerungen und Wertungen - allenfalls unter teilweiser Außerachtlassung einer systematisch-analytischen wissenschaftlich fundierten Auswertung der Vorfälle, aus welchen gewisse Schlussfolgerungen und Wertungen abgeleitet werden - aufzuzeigen.

 

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu.

 

Die BF1 und die BF2 traten mit ihren Stellungnahmen den Kernaussagen den getroffenen Länderfeststellungen nicht konkret und substantiiert entgegen.

 

II.2.4. Das Vorbringen der BF1 und BF2 - ihr Leben sei in Gefahr, da Gefahr seitens des Islamischen Staate, schiitischer Milizen sowie dem Stamm der BF1 besteht - wird aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens für unglaubwürdig erachtet.

 

II.2.4.1. Das erkennende Gericht hat anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten - z.B. gehäufte und eklatante Widersprüche oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

 

Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden.

 

Weiters ist eine abweisende Entscheidung im Verfahren nach § 7 AsylG [numehr: § 3 AsylG] bereits dann möglich, wenn es als wahrscheinlich angesehen wird, dass eine Verfolgungsgefahr nicht vorliegt, das heißt, mehr Gründe für als gegen diese Annahme sprechen.

 

Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.

 

Die BF1 wurde im Rahmen des Asylverfahrens darauf hingewiesen, dass seine Angaben eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung im Asylverfahren darstellen. Die BF1 wurde zudem aufgefordert, durch wahre und vollständige Angaben an der Sachverhaltsfeststellung mitzuwirken und er wurde darauf aufmerksam gemacht, dass unwahre Angaben nachteilige Folgen haben.

 

Die B1 konnte ein individuelles Verfolgungsschicksal nicht substantiiert und glaubhaft geltend machen.

 

II.2.4.2. Sofern die BF1 in ihrem Verfahren vorbringt, dass sie teilweise mit dem vom BFA anwesenden Dolmetscher Verständigungsschwierigkeiten hatte, handelt es sich hierbei offenbar um eine Schutzbehauptung der BF1. Die BF1 versucht dadurch mögliche Ungereimtheiten bzw. Unschlüssigkeiten zu erklären, die BF1 war jedoch dazu nicht in der Lage.

 

Die BF1 wurde am Beginn ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde über die Rolle der anwesenden Personen aufgeklärt. Sie wurde ebenso darauf hingewiesen bei Verständigungsschwierigkeiten beim Dolmetscher rückzufragen. Am Ende der Einvernahme wurden die protokollierten Angaben der BF1 vom Dolmetscher rückübersetzt. Daraufhin wurde die BF1 befragt, ob sie Einwendungen gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit der Niederschrift vorbringen wolle. Die BF1 machte keine Einwände geltend. Sie gab weiters an, sie habe den Dolmetscher einwandfrei verstanden. Die BF1 bestätigte zudem mit ihrer Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit der Niederschrift.

 

Beim erkennenden Gericht hinterlässt die BF1 mit ihrer Aussage, der Dolmetscher habe ihre Angaben bezüglich der Adresse ihrer Eltern und der Schwiegereltern nicht rückübersetzt bzw. sie habe den Dolmetscher teilweise nicht richtig verstanden, den Eindruck, dass sie bewusst nachträglich Änderungen bzw. Ergänzungen hinsichtlich ihrer Angaben machen möchte, um diese schlüssig erscheinen zu lassen. Die BF1 versucht nachträglich Angaben, die sie vor dem BFA gemacht hat, nunmehr vor dem erkennenden Gericht abzuändern. Dass es tatsächlich zu einer korrekten Protokollierung bzw. Übersetzung der Aussagen der BF1 kam, kann aus Sicht des erkennenden Gerichtes durch die nachträgliche Rückübersetzung und der Einräumung der Möglichkeit Unvollständigkeiten bzw. Unrichtigkeiten im Rahmen der Protokollierung preiszugeben, erhärtet werden. Zudem hat die BF1 im Zuge ihrer Beschwerde gegen die Entscheidung der belangten Behörde Verständigungsprobleme oder Fehler bei der Rückübersetzung nie vorgebracht.

 

Die BF1 wurde vor dem BFA aufgefordert die Gründe dafür, dass sie ihr Heimatland verlassen habe darzulegen.

 

Bei Betrachtung des Sachvortrages der BF1 vor der belangten Behörde fällt auf, dass die BF1 im Gegensatz zu ihren Angaben im Zuge der Erstbefragung ein anderes, weil unterschiedliches Bedrohungsszenario darlegte.

 

In der Erstbefragung gab die BF1 zusammengefasst an, sie habe Probleme mit dem Islamischen Staat, da sie kein Kopftuch tragen würde und weil sie Lehrerin sei. Sie sei mehrmals bedroht worden. Beim letzten Mal hätten sie neben ihren Fuß in den Boden geschossen. Sie hätten gesagt, wenn der Mann nicht zurückkomme, dann würden sie kommen und die BF2 mitnehmen. Bei einer Rückkehr in die Heimat würde die BF1 befürchten getötet zu werden.

 

Die BF1 hat mit ihren später erstatteten Angaben vor dem BFA eine gänzlich andere und widersprüchliche Bedrohungslage zum Vorbringen in ihrer Erstbefragung geschildert. Diese nachfolgend dargelegten Widersprüche sind vor allem deshalb kaum erklärbar, da die BF1 am Beginn ihrer Einvernahme vor dem BFA anführte, sie habe in der Erstbefragung die Wahrheit gesagt, ihre Angaben seien rückübersetzt und richtig protokolliert worden.

 

Die Ungereimtheiten im Sachvortrag der BF1 werden vor allem deshalb deutlich, da die BF1 in ihrer Erstbefragung ausschließlich eine Bedrohung durch den Islamischen Staat vorbrachte. Vor der belangten Behörde hingegen sprach die BF1 ebenso von einer Bedrohung durch eine bewaffnete Gruppierung. Wenn die BF1 die Nichterwähnung des Vorfalles mit sechs bewaffneten Männern damit begründet, dass sie in der Erstbefragung darüber nicht reden konnte und Angst hatte, dass ihr Mann davon erfährt, kann diese Begründung der BF1 nicht überzeugen. Es muss zwar zweifelsohne festgehalten werden, dass eine besondere psychische Belastung einer Frau besteht, die behauptet vergewaltigt worden zu sein. Im gegenständlichen Fall ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die BF1 in der Erstbefragung von einer weiblichen Person einvernommen wurde. Eine bestehende Hemmung, über das Erlebte näher zu berichten, müsste bereits damals abgebaut gewesen sein. Selbst wenn kein derartiges Vertrauen aufgebaut hätte werden können, ist nicht schlüssig, warum die BF1 eine Bedrohung durch eine bewaffnete Gruppierung nicht einmal angedeutet hat. Wäre doch nicht nachvollziehbar, dass eine Person, die Schutz in einem Land sucht, nicht mögliche Gefahrenquellen, wenn auch vage, anführt. Ebenso ist anzumerken, dass die BF1 nicht alleine und kurz nach deren Einreise zur Befragung erschien, vielmehr wurde die BF1 von ihrem Mann und einer Nachbarin in Österreich zur Polizei gebracht. Zuvor war die BF1 von der Polizei in Ungarn mit einem Bus nach Österreich geschickt worden. In Ungarn wurde die BF1 - folgt man den Eurodac-Treffern - fremdenrechtlich als auch asylrechtlich behandelt. Die BF1 war somit bereits mit ihrem Ehemann vereint und war bereits in Ungarn über den Ablauf eines Asylverfahrens in Europa informiert worden. Nicht unberücksichtigt darf der Umstand bleiben, dass die BF1 offensichtlich kein ängstliches Verhalten bei der Erstbefragung zeigte. Die BF1 hat - folgt man ihren Angaben - die Reise selbst organisiert und ist mit ihrer minderjährigen Tochter alleine von ihrer Heimat in die Türkei und dann weiter durch zahlreiche Länder nach Österreich gelangt. Die BF1 wurde zudem am Anfang der Erstbefragung darauf hingewiesen, dass ihre Angaben eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung im Asylverfahren darstellen. Sie wurde aufgefordert wahre und vollständige Angaben zu machen bzw. dass unwahre Aussagen nachteilige Folgen haben können. Die BF1 gab zudem an, dass sie keine Beschwerden oder Krankheiten habe, die sie an der Einvernahme hindern oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigen. Zudem handelt es sich bei der BF1 um einen gebildete junge Frau mit Universitätsabschluss. Wenn in der Beschwerde angeführt wird, dass die BF1 traumatisiert war und deshalb bestimmte Umstände nicht geschildert hat, hat die BF1 weder vor der belangten Behörde noch vor dem erkennenden Gericht Derartiges erwähnt. Folglich handelt es sich aus Sicht des erkennenden Gerichtes um eine unglaubwürdige Behauptung im Beschwerdeschreiben. Angemerkt darf, dass die BF1 in Österreich laut ihren Angaben nie bei einem Psychiater war, da sie keine ausreichenden Deutschkenntnisse habe und nur ohne Anwesenheit eines Dolmetschers einen Arzt aufsuchen möchte. Dafür, dass die BF1 im Verfahren an einer schweren psychischen Erkrankung litt bzw. leidet, wodurch die BF1 nicht einvernahmefähig war, gibt es keine Hinweise.

 

Dass sich die von der BF1 erörterte Gewalttat nicht zugetragen hat, wird vor allem durch die unterschiedlichen Angaben der BF1 in Bezug auf ihre Aufenthaltsorte im Irak deutlich. Die BF1 wurde am Beginn der Einvernahme vor dem BFA zu ihren Aufenthaltsorten bzw. Adressen im Irak befragt. Die BF1 gab unmissverständlich an, sie habe bis zu ihrer Eheschließung bei ihren Eltern (XXXX), nach der Eheschließung in XXXX gelebt. Nachdem ihr Mann das Land verlassen habe, sei sie zu ihren Eltern zurückgekehrt. Wenn die BF1 nachträglich nach entsprechender Befragung angab, sie hätte auch bis zu ihrer Ausreise bei ihren Schwiegereltern gelebt, entsteht der Eindruck, dass die BF1 augenscheinlich versucht, die von ihr präsentierte Fluchtgeschichte mit ihren Aufenthaltsorten nachträglich in Einklang zu bringen. Auch ergab sich ein eklatanter Widerspruch zwischen den Angaben der BF1 und ihres Mannes. Während die BF1 davon sprach, dass sie bei ihren Schwiegereltern in XXXX vor ihrer Ausreise lebte, gab der Ehemann der BF1 an, dass seine Eltern in XXXX lebten. Auf die unterschiedlichen Angaben angesprochen, gab die BF1 an, ihr Mann wisse über die Details, über ihre Aufenthaltsorte nicht Bescheid. Diese Begründung mag nicht überzeugen, hat der Ehemann in seiner Einvernahme am 08.04.2015 angeführt, dass seine Ehefrau und seine Tochter derzeit bei seinen Eltern leben würden, seine Eltern würden noch immer in XXXX leben. Würde der Ehemann darüber nicht Bescheid wissen, hätte er diese Auskünfte nicht erteilt. Vor dem erkennenden Gericht hat die BF1 ihre Angaben vor dem BFA abgeändert und angeführt, dass sie mit ihren Schwiegereltern in XXXX gelebt habe. Schon alleine diese unterschiedlichen Angaben bezüglich der Aufenthaltsorte der BF1 und deren Schwiegereltern lassen den Sachvortrag der BF1 insgesamt völlig unglaubwürdig erscheinen.

 

In der Folge versuchte die BF1 vor dem erkennenden Gericht ihre Fluchtgeschichte auf die Fluchtgeschichte ihres Ehemannes aufzubauen. So gab die BF1, dass eine bewaffnete Truppe zu ihren Schwiegereltern kam und nach dem Ehemann der BF1 fragte.

 

Die BF1 hat die Geschehnisse jedoch -werden Details betrachtet- vor dem BFA und dem BVwG unterschiedlich dargestellt. So erwähnte die BF1 vor dem BFA nichts davon, dass ihr Schwiegervater, als 6 Personen ins Haus der Schwiegereltern der BF1 kamen und nach dem Mann der BF1 fragten, diesen Vorfall bei der Polizei angezeigt habe. Die BF1 hat vielmehr dazu divergierend vor dem BFA erörtert, dass Nachbarn die Polizei verständigt hätten. Daraufhin sei die Polizei gekommen und hätte nachgefragt, wie die Täter aussahen und wie sie bewaffnet waren. Davon, dass ihr Schwiegervater diesen Vorfall anzeigt habe, erwähnte die BF1 vor der belangten Behörde nichts. Ebenso hat die BF1 vor dem BFA nicht erwähnt, dass die Polizei die Räume fotografierte, Fingerabdrücke von den Möbeln und von den Türen machte, etc.. Unstimmig erscheint auch der Umstand zu sein, dass die BF1 vor der belangten Behörde nicht angab, dass die BF1 in Anwesenheit der Täter von der Polizei einvernommen wurde. Ebenso schilderte die BF1 vor dem BFA nicht, dass auch ihre Dienerin, die bei dem Vorfall anwesend war, zu einer Gegenüberstellung mit den Tätern geladen wurde. Wenn die BF1 in diesem Kontext erwähnt, sie habe dies vor dem BFA nicht geschildert, da sie nicht gewusst habe, dass es sich bei der anwesenden Person um eine Referentin gehandelt habe, sie dachte, dies sei eine Sekretärin und sie würde dann weiters von einem Referenten einvernommen werden, ist diese Erklärung nicht nachvollziehbar. Die BF1 wurde am Beginn der Einvernahme über die Rolle der anwesenden Personen aufgeklärt und wusste somit über die Bedeutung und die Aufgaben der Personen Bescheid. Die BF1 versucht hiermit Ungereimtheiten zu erklären, dazu war sie aber nicht in der Lage.

 

Dass sich das weitere von der BF1 geschilderte Geschehen und die von ihr weiteren behaupteten, gegen ihre Person gerichteten Bedrohungen tatsächlich ereignet haben, wird zusätzlich durch den Umstand in Zweifel gezogen, dass die BF1 im Zusammenhang mit ihrer behaupteten Vergewaltigung vor der belangten Behörde nie vorbrachte, dass von ihrer Person Fotos gemacht worden wären. Dass die BF1 zur Referentin des BFA ein derartiges Vertrauen aufbauen konnte, um die von ihr behauptete Vergewaltigung zu schildern, lässt die Schlussfolgerung zu, dass die BF1 wäre es tatsächlich zu einem derartigen Handlungsablauf gekommen, sämtliche auch unwesentliche Details ihrer Fluchtgeschichte präsentiert hätte. Diese nachträgliche Schilderung erscheint daher dem erkennenden Gericht dazu zu dienen, um eine Bedrohungslage zu schaffen, die auch weiterhin aktuell ist. Die BF1 hat vor dem erkennenden Gericht angeführt, dass die zwei Täter ihren Schwiegervater einen Teil der Fotos zukommen ließen und Geld verlangt hätte. Der Stamm der BF1 hätte dem Schwiegervater der BF1 Geld gegeben, damit er die Fotos bekomme. Über diese Vorfälle hätte die BF1 erst im Jahr 2017 erfahren.

 

Auch ist die BF1 mit ihrer Fluchtgeschichte, deshalb bedroht worden zu sein, da sie sich nicht an das Verschleierungsgebot gehalten hätte, unglaubwürdig geblieben. Während sie anlässlich ihrer Einvernahme vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde noch angegeben hatte, deswegen vom Islamischen Staat bedroht worden zu sein, da sie sich nicht an das Verschleierungsgebot hielt bzw. weil sie Englischlehrerin sei, wobei beim letzten Mal diese neben ihren Fuß in den Boden schossen, schilderte die BF1 weder vor dem BFA noch vor dem erkennenden Gericht ein Ereignis, bei dem Leute des Islamischen Staates neben ihren Fuß in den Boden schossen. Vor dem erkennenden Gericht schilderte die BF1 gänzlich divergierend zu ihren Angaben in der Erstbefragung, dass nicht Leute des Islamischen Staates ihr gedroht hätten, sondern vielmehr Leute der Miliz Al Sadr. Ist doch ein gravierender Unterschied darin zu sehen, ob eine Gefahr seitens des islamischen Staates ausgeht oder von Angehörigen einer Miliz.

 

Wenn in der Beschwerde die Rede davon ist, dass die BF1 westlich orientiert sei und schon deshalb eine Rückkehr der BF1 nicht möglich sei, wird darauf verwiesen, dass die BF1 Derartiges im Zuge der mündlichen Verhandlung nicht vorbrachte. Sie gab zusammengefasst an, dass eine mögliche Bedrohung seitens einer Miliz und dem Stamm, dem sie angehöre drohe.

 

§ 2 Abs. 1 Z 11 AsylG umschreibt "Verfolgung" als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 EMRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 EMRK niedergelegte Verbot der Folter. Fallbezogen hat die Beschwerdeführerin nur allgemeine Diskriminierungen vorgebracht, zumal den behaupteten Gründen für die Ausreise keine Glaubwürdigkeit ob der Widersprüchlichkeiten zuerkannt werden konnte. Diese Diskriminierungen erreichen - bei Wahrunterstellung - somit nicht die Qualität einer individuellen asylrelevanten Verfolgung.

 

Aus den Länderberichten lässt sich zu Frauen im Irak noch Folgendes festhalten: Irak war das erste Land im Mittleren Osten, welches Anfang 2014 einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der VN-Sicherheitsratsresolution 1325 (2000) zu Frauen, Frieden und Sicherheit verabschiedete. Die Region Kurdistan-Irak hatte bereits 2013 eine Strategie zum Kampf gegen Gewalt gegen Frauen verabschiedet. In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25% im Parlament (Region Kurdistan: 30%) verankert. Dadurch sind im irakischen Parlament derzeit 82 Frauen vertreten (von insgesamt 328 Abgeordneten). Die Hauptstadt Bagdad hat seit 2015 erstmals eine Frau als Bürgermeisterin, der Posten gilt allerdings als wenig einflussreich. Die geschätzte Erwerbsquote unter Frauen lag 2014 bei nur 14%, der Anteil an der arbeitenden Bevölkerung bei 17%. Laut Art. 14 und 20 der Verfassung ist jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Art. 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten

 

ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragraphen als Grundlage für eine Re-Islamisierung des Personenstandsrechts und damit eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsangehörigkeitsrecht. Die prekäre Sicherheitslage in Teilen der irakischen Gesellschaft hat negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen. Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln, z. B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt.

 

Die aktuelle Situation für Frauen im Irak ist entsprechend der herangezogenen Länderberichte derart gestaltet, dass davon auszugehen ist, dass eine asylrelevante Verfolgung von Frauen im Irak ohne Vorliegen weiterer individueller Umstände nicht vorliegt. Dem Vorbringen ist auch die UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak vom 14.11.2016 entgegenzuhalten, wo - anders als nach der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender - nicht angenommen wird, dass Frauen bei einer Rückkehr in den Irak als gefährdet angesehen werden.

 

Wenn sich die BF1 und die BF2 auf Verfolgungshandlungen bzw. möglichen Bedrohungen in Bezug auf den Ehegatten bzw. Vater sowie Sohn bzw. Bruder stützten, wird darauf verwiesen, dass diese Vorbringen in deren Verfahren als nicht glaubwürdig bzw. nicht asylrelevant beurteilt wurden.

 

Zur vorgebrachten Bedrohung aufgrund der religiösen Zugehörigkeit als Sunnit bzw. der allgemeinen Lage im Irak sind folgende Erwägungen maßgeblich:

 

In Anbetracht der zwischenzeitlichen Lageänderung im Irak - das Gouvernement Diyala wurde von den Milizen des Islamischen Staates vollständig befreit - sind keine glaubhafte Rückkehrbefürchtungen aufgrund einer möglichen Verfolgung durch den Islamischen Staat zu gegenwärtigen. In Anbetracht der seit der Ausreise der BF1 und der BF2 eingetretenen Lageänderung in Gestalt der militärischen Niederlage des Islamischen Staates in Diyala und der weiteren militärischen Erfolge der irakischen Streitkräfte, welche zu einer vollständigen Vertreibung des Islamischen Staates führten und eine Wiedererlangung der Kontrolle durch die Milizen des Islamischen Staates als ausgeschlossen erscheinen lassen, haben die BF1 und die BF2 im Rückkehrfall nicht mit der Ausübung pseudostaatlicher Gewalt durch die Milizen des Islamischen Staates im Gouvernements Diyala zu rechnen und werden damit im Rückkehrfall jedenfalls nicht mit offen operierenden Kämpfern des Islamisten Staates konfrontiert sein.

 

Bei den nach wie vor im Gouvernement Diyala vereinzelt stattfindenden Auseinandersetzungen zwischen verbliebenen Anhängern des Islamischen Staates und den irakischen Sicherheitskräften handelt es sich aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes um einen asymmetrischen Konflikt und es ist davon auszugehen, dass sich Angriffe von sogenannten Schläfern entweder gegen militärisch relevante Ziele richten oder mittels terroristischer Anschläge mit möglichst intensiver Verbreitung in den Medien eine Verunsicherung in der Bevölkerung erzielt und der politischen Rückhalt der irakischen Regierung und der Sicherheitskräfte erschüttert werden soll. Ferner steht außer Zweifel, dass auch weiterhin vom Islamischen Staat und anderen Gruppierungen ausgehende terroristische Aktivitäten im Irak zu erwarten sind. Eine gezielte Verfolgung von Einzelpersonen, wie etwa der BF1 und der BF2, durch Schläfer des Islamischen Staates oder sonstige dort verblieben Anhänger ist dennoch angesichts der derzeitigen Lage im Gouvernement Diyala schlicht nicht vorstellbar und auch kein Grund erkennbar, weshalb sich allenfalls verblieben Anhänger des Islamischen Staates gerade für die BF1 und die BF2 im Fall von deren (hypothetischer) Rückkehr nach Diyala interessieren sollten und eine gezielte Verfolgung gerade dieser beiden Personen für allenfalls verblieben Anhänger des Islamischen Staates attraktiver sein sollte, als terroristischen Aktivitäten mit großer Breitenwirkung oder Anschläge auf Sicherheitskräfte zu begehen.

 

Eine Gefährdung der BF1 und der BF2 durch verbliebene Anhänger des Islamischen Staates mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Fall einer Rückkehr in den Gouvernement Diyala kann zusammenfassend nicht erkannt werden.

 

Soweit die BF1 befürchtet, im Fall einer Rückkehr in den Irak aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit von schiitischen Milizen verfolgt zu werden, ist in diesem Zusammenhang zunächst festzuhalten, dass ausweislich der getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak Übergriffe von schiitischen Milizen und auch anderen Angehörigen der Sicherheitskräfte auf sunnitische Personen in jenen Gebieten dokumentiert sind, die vom Islamischen Staat zurückerlangt wurden. Auch im Zuge der Offensive im Gouvernement Diyala sind willkürliche Festnahmen und Racheakte schiitischer Milizen dokumentiert. Den getroffenen Feststellungen zur Sicherheitslage zufolge werden Angehöriger der irakischen Streitkräfte und verbündeten Gruppen Vergehen an der flüchtenden Zivilbevölkerung, an Binnenvertriebenen und Rückkehrern vorgeworfen.

 

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes liegt indes in Ansehung der BF1 und der BF2 keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit solcher Übergriffe vor, zumal sich die beiden Beschwerdeführer bereits lange vor der Rückeroberung des Gouvernement Diyala durch die irakischen Streitkräfte in das Ausland begaben. Die beiden Beschwerdeführer werden sich daher nicht in der Situation vorfinden, in einem soeben von den Milizen des Islamischen Staates zurückerlangen Gebiet den irakischen Streitkräften oder schiitischen Milizen gegenüberzustehen und als Sympathisanten des Islamischen Staates verdächtig zu sein, da sie die letzten Jahre unter der Herrschaft des Islamischen Staates zubrachten, ohne von diesen behelligt zu werden. Da sich die beiden Beschwerdeführer schon XXXX in das Ausland begaben, ist auch nicht ersichtlich, weshalb ihnen unterstellt werden sollte, sich den Milizen des Islamischen Staates angeschlossen zu haben oder mit diesen zu sympathisieren. Vielmehr sind die beiden Beschwerdeführer aus dem Gouvernement Diyala aufgrund einer möglichen Verfolgung des IS geflüchtet.

 

Dass andere Personen als Binnenvertriebene und diejenigen Sunniten, die in vom Islamischen Staat zurückeroberten Gebieten vorgefunden werden (und sohin dort während der Machtausübung durch den Islamischen Staat gelebt und sich nicht wie die Beschwerdeführer durch Flucht entzogen haben), von schiitischen Milizen oder Sicherheitskräften systematisch bedrängt werden, kann den länderkundlichen Informationen indes nicht entnommen werden. Vielmehr liegen keine Informationen darüber vor, dass Rückkehrer aus Lagern für Binnenvertriebene, die sich bereits anfangs der Herrschaft des Islamischen Staates entzogen, von schiitischen Milizen bedrängt wurden. Ferner steigt die Anzahl solcher Rückkehrer - vornehmlich sunnitischen Bekenntnisses, zumal es sich dabei um die mehrheitlich im Gouvernement Diyala vertretene Glaubensrichtung des Islam handelt - stetig an, was ebenfalls gegen eine Gefährdung solcher Rückkehrer durch schiitische Milizen spricht, da nicht anzunehmen ist, dass sich solche Rückkehrer aus Eigenem einer Verfolgungssituation aussetzen würden.

 

Die BF1 selbst konnte bei der Befragung durch das Bundesverwaltungsgericht außerdem - von der sunnitischen Religionszugehörigkeit abgesehen - keine glaubhaften Gründe anführen, weshalb die BF1 und die BF2 im Rückkehrfall von besonderem Interesse für schiitische Milizen sein sollten.

 

An dieser Stelle ist eine Auseinandersetzung mit der Position von UNHCR zur Rückkehr in den Irak vom 14.11.2016 erforderlich, da Empfehlungen internationaler Organisationen Indizwirkung nach der Rechtsprechung Indizwirkung zukommt (VwGH 06.07.2011, Zl. 2008/19/0994) und sich die angeführte Position von UNHCR ausführlich mit potentiellen Verfolgungsszenarien im Irak auseinandersetzt. Die zitierte Indizwirkung bedeutet jedoch nicht, dass das Bundesverwaltungsgericht in Bindung an entsprechende Empfehlungen etwa des UNHCR Asyl zu gewähren haben. Vielmehr ist, wenn in den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Einschätzung des UNHCR nicht gefolgt wird, beweiswürdigend darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte von einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat ausgegangen wird (VwGH 13.12.2010, Zl. 2008/23/0976; 06.02.2017, Ra 2017/20/0016, zur Lage im Irak).

 

Voranzustellen ist, dass die Einschätzung von UNHCR zur Lage im Irak vom 14.11.2016 an unterschiedlichen Stellen Eingang in die Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat gefunden hat, wiewohl diese Einschätzung ob der sich rasch ändernden Lage im Irak - insbesondere im Hinblick auf die rezenten militärischen Erfolge gegen die Milizen des Islamischen Staates sich mittlerweile als weitgehend nicht aktuell erweist. Dazu tritt, dass die Einschätzung von UNHCR zur Lage im Irak vom 14.11.2016 ihrerseits auf Quellen, und Ereignissen beruht, die vornehmlich in den Jahren 2014 und 2015 angesiedelt sind, sodass auch insoweit die Faktenlage mittlerweile anders darstellt. Sachverhaltsbezogen sind die beiden Beschwerdeführer keine Personen, die aus dem Gouvernement Diyala und anderen Gebieten unter der Kontrolle des Islamischen Staates flohen, während die irakischen Streitkräfte und die mit ihnen verbündeten Gruppen vorrücken und Gebiete zurückerobern, sodass das diesbezügliche Kapitel (Seiten 8 ff der Position von UNHCR zur Lage im Irak vom 14.11.2016) in Ansehung der Beschwerdeführer nicht einschlägig ist. Hinsichtlich der berichteten Übergriffe in den Gebieten, die vom Islamischen Staat zurückerobert wurden, ist nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes maßgeblich, dass es sich bei den von UNHCR als Beleg angeführten Einzelfällen von Vergeltungsmaßnahmen vornehmlich um Ereignisse des Jahres 2015 handelt und sämtliche dieser Aktionen gegen vermeintliche Unterstützer des Islamischen Staates - insbesondere Personen, die unter der Herrschaft des Islamischen Staates gelebt haben - gerichtet waren. Inhaftierungen betreffen ebenfalls Personen, die in ihren Häusern verhaftet wurden, als ihre Heimatorte von den irakischen Streitkräften zurückerobert wurden und sie verdächtigt wurden, mit dem Islamischen Staat kollaboriert zu haben, wobei sich der Verdacht oft allein auf den Umstand stützte, dass die Betroffenen in Städten und Dörfern geblieben waren, die von den Milizen des Islamischen Staates kontrolliert wurden. Alle diese Aspekte treffen auf die Beschwerdeführer - wie bereits erörtert - nicht zu. Soweit von Gewaltakten gegen sunnitische Araber berichtet wird, geht im Übrigen aus den Nachweisen hervor, dass es sich um Einzelfälle wie etwa das Barwana-Massaker im Gouvernement Diyala vom 28.01.2015 oder Vertreibungen in Kirkuk im Oktober 2016 handelt. Eine Gruppenverfolgung sämtlicher Sunniten im Irak kann aus der Position von UNHCR zur Lage im Irak vom 14.11.2016 unter Berücksichtigung der darin genannten Quellen aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht abgeleitet werden und betreffen die darin angeführten Fälle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in überwiegender Zahl Vorfälle, die sich im Gefolge der Kampfhandlungen zwischen den Milizen des Islamischen Staates und den irakischen Streitkräften und verbündeten Gruppierungen wie etwa schiitische Milizen ereigneten oder in direkten Zusammenhang mit vorangehenden Kriegsverbrechen oder Anschlägen des Islamischen Staates stehen. Wiewohl es sich dabei klar um Verbrechen gegen die Menschlichkeit teilweise gravierenden Ausmaßes handelt und die davon unmittelbar betroffenen Personen von UNHCR zutreffend als schutzbedürftig angesehen werden, kann aus den geschilderten Ereignissen in Zusammenhang mit den bis Ende des Jahres 2017 vorherrschenden bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Teilen des Nordirak nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes keine generalisierende Betrachtungsweise dahingehend angelegt werden, dass auch Personen, die sich bereits vor dem Vordringen des Islamischen Staates in Sicherheit brachten, jedenfalls von Übergriffen aufgrund einer ihnen unterstellten Kollaboration mit dem Islamischen Staat betroffen wäre. Zwar wird in der Position von UNHCR zur Lage im Irak vom 14.11.2016 auch von Übergriffen auf Binnenvertriebene berichtet (insbesondere Vertreibungen), jedoch nicht in der Intensität, dass von einer asylrelevanten Verfolgung gesprochen werden könne. Gravierende Übergriffe betreffen - wie vorstehend erörtert - im wesentlichen Personen, die in das Blickfeld der Streitkräfte bzw. verbündeter Gruppierungen gerieten, als ihre Heimatorte von den irakischen Streitkräften zurückerobert wurden und sie verdächtigt wurden, mit dem Islamischen Staat kollaboriert zu haben.

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die Gewalt gegen sunnitische Araber im gesamten Irak seit den militärischen Erfolgen der Milizen des Islamischen Staates im Jahr 2014 zugenommen hat und ausweislich der getroffenen Feststellungen von Todesdrohungen angefangen bis hin zu außergerichtlichen Hinrichtungen mannigfach Fälle von Gewalt gegenüber sunnitischen Arabern im Irak seit dem Jahr 2014 festgestellt werden können. In Anbetracht der Anzahl sunnitischer Binnenvertriebener bzw. sunnitischer Männer und Jugendlicher im Irak kann das Bundesverwaltungsgericht indes angesichts der Häufigkeit und Intensität der bereits dokumentierten Übergriffe auf Mitglieder dieser Gruppe noch keine solche Vorfallsdichte erkennen, dass von einer über die allgemeinen Gefahren des innerstaatlichen Konflikts hinausgehenden Gruppenverfolgung sämtlicher sunnitischer Araber im Irak bzw. im Gouvernement Diyala ausgegangen werden müsste. Eine Verfolgungsgefahr ist jedenfalls nach der Rechtsprechung nur dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069 mwN). Eine solche maßgebliche Wahrscheinlichkeit kann das Bundesverwaltungsgericht angesichts der Quellenlage nicht erkennen. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass zahlreiche Binnenvertriebene nach Diyala zurückkehren und dem Bundesverwaltungsgericht keine Hinweise darauf vorliegen, dass auch zurückkehrende Binnenvertriebene als mutmaßliche Anhänger des Islamischen Staates Übergriffen von Milizen oder Sicherheitskräften ausgesetzt sind.

 

Zweifellos unterliegen Personen, die von Sicherheitskräften oder Milizen (gleich welcher Konfession) als Anhänger des Islamischen Staates angesehene werden, in Anbetracht der Berichtslage der Gefahr, willkürlich festgenommen und misshandelt oder sogar der Todesstrafe unterzogen zu werden. Dies trifft jedoch nicht für diejenigen Personen zu, die sich bereits vor dem Einmarsch der Milzen des Islamischen Staates oder zeitnah danach der faktischen Herrschaft des Islamischen Staates in Gebieten des Nordirak durch Flucht entzogen. Die rechtzeitige Flucht erweist sich aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes als verlässlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Beschwerdeführer sich gerade nicht der faktischen Herrschaft des Islamischen Staates unterzuordnen bereit waren. Die BF1 und die BF2 werden im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in der Lage sein, ihre frühzeitige Ausreise durch Zeugen wie Verwandten nachweisen zu können. Dazu tritt, dass die Schwiegereltern der BF1 nach XXXX geflüchtet sind. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist nicht anzunehmen, dass die frühzeitig aus dem Gouvernement Diyala ausgereisten BF1 und BF2 im Rückkehrfall belangt werden würden.

 

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist nicht davon auszugehen, dass die BF1 und die BF2 im Rückkehrfall mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit als mutmaßliche Anhänger des Islamischen Staates angesehen würden und deshalb einer Gefährdung durch schiitische Milizen oder Sicherheitskräfte unterliegen würden. Vielmehr gibt es keine glaubhaften Hinweise darauf, dass den Beschwerdeführern eine Nähe zum Islamischen Staat unterstellt werden sollte. Für die vorgebrachte asylrelevante Verfolgung sämtlicher sunnitischer Frauen allein aufgrund ihres Religionsbekenntnisses fehlt auch in den jüngsten Erhebungen jeglicher Hinweis. In Anbetracht hunderttausender Rückkehrer in der Region - wobei davon ausgegangen werden kann, dass diese Personen mehrheitlich sunnitischen Bekenntnisses sind - wäre indes zu erwarten, dass entsprechende Berichte vorhanden wären, wenn diese systematisch aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit verfolgt wurden. Eine Sicherheitsüberprüfung kann schließlich nicht als asylrelevante Verfolgungshandlung qualifiziert werden.

 

Dass die sunnitische Bevölkerung im Gouvernement Diyala systematisch von schiitischen Milizen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit verfolgt werden würde, kann den Feststellungen zur Lage im Irak nicht entnommen werden.

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die irakische Gesellschaft bereits seit dem Sturz des (sunnitisch geprägten) Regimes von Saddam Hussein in zunehmendem Maße religiös gespalten ist und sich etwa in den Jahren 2006 bis 2008 massive konfessionelle Konflikte ereigneten. Seit dem Vorrücken der (ebenfalls sunnitischen) Milizen des Islamischen Staates wird die sunnitische Minderheit im Irak darüber hinaus oftmals einerseits für das Erstarken des Islamischen Staates und die damit verbundenen zahlreichen vornehmlich schiitischen Opfer unter den Sicherheitskräften (wie etwa beim Massaker von Tikrit) und Zivilisten verantwortlich gemacht und andererseits selbst fallweise mit einer unterstellten Sympathie gegenüber dem Islamischen Staat konfrontiert. Dabei kommt es - wie in den Feststellungen zur Lage im Irak ersichtlich zu Vergeltungsmaßnahmen, Misshandlungen, willkürlichen Inhaftierungen, Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen. Auch wenn derartige Vorfälle wiederkehrend stattfinden, kann in Anbetracht der Anzahl der dokumentierten Vorfälle (welche etwa aus der wiederholt zitierten Position von UNCHR zur Rückkehr in den Irak vom 14.11.2016 ablesbar sind) noch nicht auf eine derartige Intensität solcher Übergriffe geschlossen werden, dass von einer systematischsten und zielgerichteten asylrelevanten Verfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung im Irak - immerhin mehrere Millionen Menschen - gesprochen werden kann. Dazu tritt, dass ausweislich der Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak hohe Staatsämter, etwa jenes des Parlamentspräsidenten oder des Verteidigungsministers, auch von Sunniten bekleidet werden und diese auch im irakischen Parlament repräsentiert sind, was gegen eine Verfolgung sämtlicher Angehöriger des sunnitischen Religionsbekenntnisses im Irak spricht. Würde eine Gruppenverfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung im Irak oder im Gouvernement Diyala tatsächlich stattfinden, die über Übergriffe in zeitlichen und örtlichem Zusammenhang mit Kampfhandlungen gegen Milizen des Islamischen Staates hinausgehen, wäre ferner mit Sicherheit davon auszugehen, dass entsprechende eindeutige und aktuelle Quellen vorhanden wären.

 

Diese nur entfernte Möglichkeit, Opfer eines religiös motivierten Übergriffes zu werden, genügt indes nicht zur Annahme einer Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Eine darüberhinausgehende konkrete Bedrohung ihrer Person aufgrund individueller Merkmale konnten die Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung nicht glaubhaft darlegen.

 

Zusammenfassend ist aus den vorstehenden Erwägungen nicht glaubhaft, dass die BF1 und die BF2 vor ihrer Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder Übergriffen durch staatliche Organe oder durch Dritte wie etwa Anhänger des Islamischen Staates, schiitischer Milizen ausgesetzt waren.

 

Im Fall einer Rückkehr in ihre Herkunftsregion sind die Beschwerdeführer - wie vorstehend ausführlich dargelegt - nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit psychischer und/oder physischer Gewalt seitens verbliebener Anhänger des Islamischen Staates und/oder schiitischer Milizen ausgesetzt. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in ihre Herkunftsregion eine Anhängerschaft bzw. Unterstützung des Islamischen Staates oder ein sonstiges Naheverhältnis zum Islamischen Staat vor der Ausreise unterstellt werden würde.

 

Abschließend darf angemerkt werden, dass das erkennenden Gericht von einer Befragung der BF2 Abstand genommen hat. Ist doch im gegenständlichen Fall darauf zu verweisen, dass die BF2 erst 10 Jahre alt ist bzw. zum Zeitpunkt der behaupteten Vorfälle noch wesentlich jünger war. Die BF1 war bei diesen Vorfällen ebenso anwesend, sodass sich die belangte Behörde als auch das erkennenden Gericht sich im Rahmen einer Glaubwürdigkeitsprüfung auf die Befragung der BF1 stützen konnte. Wenn im Verfahren ein psychotherapeutischer Bericht vorgelegt wurde, zum Beweis, dass die Angaben der BF1 der Wahrheit entsprechen, ist zu bedenken, dass dieser Bericht nicht geeignet ist die umfassende Glaubwürdigkeitsprüfung in Zweifel zu ziehen. So wird im Bericht angeführt, dass sowohl die BF1 als auch die BF2 so gute Deutschkenntnisse aufweisen, dass die psychotherapeutische Arbeit auf Deutsch ohne Dolmetscher erfolgen konnte. Die BF1 führte im Widerspruch dazu vor dem erkennenden Gericht aus, sie möchte erst dann einen Psychiater aufsuchen, wenn sie besser Deutsch spreche und kein Dolmetscher dabei anwesend sein muss. Ebenso erschließt sich dem erkennenden Gericht nicht, warum im erwähnten Bericht, die Rede davon ist, dass die BF1 und die BF2 ihr zu Hause in XXXX verlassen mussten. Die BF1 hat im Asylverfahren nie vorgebracht, dass sie jemals in XXXX gelebt hat. Dieser Bericht sollte anscheinend dazu dienen, um eine mögliche Abschiebung der Familie zu verhindern, wurde hier vermerkt, dass eine Rückkehr der BF1 in ihre Heimat medizinisch nicht zu bejahen ist und weitreichende Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der BF2 habe. Dass die BF2 an einer psychischen Erkrankung litt, wird seitens des erkennenden Gerichtes nicht in Zweifel gezogen, es wird jedoch aufgrund der oa. Beweiswürdigung davon ausgegangen, dass der damalige psychische Gesundheitszustand der BF2 aufgrund anderer Umstände als von der BF1 geschildert verursacht wurde.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu Spruchteil A):

 

II.3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

 

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

 

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Zu A)

 

II.3.2. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention), droht.

 

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069 mwN).

 

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/19/0459). Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in seinem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233 mwN). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).

 

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

 

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, im Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:

 

Im gegenständlichen Fall gelangt das Bundesverwaltungsgericht aus oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich erörterten Gründen zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführer keiner individuellen Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt waren oder im Fall der Rückkehr ausgesetzt wären, sodass internationaler Schutz nicht zu gewähren ist. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).

 

Ferner liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass den Beschwerdeführern eine über die allgemeinen Gefahren der im Irak gebietsweise herrschenden bürgerkriegsähnlichen Situation hinausgehende Gruppenverfolgung droht. Dass im Irak eine generelle und systematische Verfolgung von Arabern mit sunnitischer Glaubensrichtung stattfindet, kann aus den länderkundlichen Feststellungen zur Lage im Irak sowie dem Umstand, dass Familienmitglieder der BF1, etwa die Eltern der BF1, nach wie vor im Irak wohnhaft sind, nicht abgeleitet werden. Wiewohl ausweislich der Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak eine sunnitisch-feindliche Politik vorherrscht (siehe dazu insbesondere die Feststellungen zum Punkt "Politische Lage" und zum Punkt "Religionsfreiheit") und es in unterschiedlicher Intensität zu Vertreibungen mit dem Ziel einer religiösen Homogenisierung (siehe dazu insbesondere die Feststellungen zum Punkt "Sicherheitslage in Bagdad") oder von Entführungen kommt, kann noch nicht von einer zielgerichteten und systematischen Verfolgung von Muslimen sunnitischer Glaubensrichtung ausgegangen werden. Die Beschwerdeführer haben demnach nicht bereits aufgrund ihrer sunnitischen Glaubensrichtung eine individuell gegen ihre Person gerichtete Verfolgung zu befürchten (vgl. VwGH 09.05.2016, Ra 2016/01/0068; 17.12.2015, Ra 2015/20/0048 mwN).

 

Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer keine Verfolgung aus in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht. Bezüglich der Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder unruhebedingten Lebensbedingungen zurückzuführen sind, bleibt festzuhalten, dass diese keine Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes darstellen, da alle Bewohner gleichermaßen davon betroffen sind.

 

Bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur sind hinzunehmen, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe hat, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge des Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstigen Unruhen entstehen, ein Standpunkt den beispielsweise auch das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in Punkt 164 einnimmt (vgl. auch Erkenntnis des VwGH vom 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

 

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht weiters hervor, dass das erkennende Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe abgeht.

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