BVwG W237 1405993-3

BVwGW237 1405993-331.8.2018

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §53 Abs3 Z6
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W237.1405993.3.00

 

Spruch:

W237 1405993-3/7E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 30.05.2018, Zl. 780952405/180350049, zu Recht:

 

A)

 

I. Die Beschwerde wird betreffend die Spruchpunkte I., II. und VI. des angefochtenen Bescheids gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017, iVm § 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: AsylG 2005), § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: FPG), und § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: BFA-VG), sowie § 53 Abs. 3 Z 6 FPG als unbegründet abgewiesen.

 

II. Der Beschwerde wird betreffend Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids stattgegeben und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 iVm § 50 FPG in die Russische Föderation unzulässig ist.

 

III. Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids wird ersatzlos behoben.

 

IV. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt V. wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass dieser zu lauten hat:

 

"Gemäß § 55 Abs. 1 und 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer reiste am 04.10.2008 illegal ins Bundesgebiet ein und stellte einen Tag später einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 31.03.2009 wurde dieser Antrag vollinhaltlich ab- und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

 

Der Asylgerichtshof gab der Beschwerde gegen diesen Bescheid mit Erkenntnis vom 02.03.2011 statt und erkannte dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zu; unter einem wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Begründend führte der Asylgerichtshof zusammengefasst aus, dass die drei älteren Brüder des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat verfolgt und bedroht worden seien und der Beschwerdeführer wegen deren Probleme zusammen mit seinen Brüdern seinen Herkunftsstaat verlassen habe.

 

2. Infolge einer polizeilichen Anzeige wurde am 20.08.2014 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten eingeleitet.

 

2.1. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung gemäß § 278b Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt. Die seit dem XXXX verbüßte Vorhaft wurde dabei auf die Haftdauer angerechnet.

 

Am XXXX wurde der Beschwerdeführer unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren unter Anordnung von Bewährungshilfe aus der Strafhaft entlassen.

 

2.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte mit dem Beschwerdeführer am 13.10.2015 eine niederschriftliche Einvernahme durch, in der er angab, an keinen gesundheitlichen Problemen zu leiden. Er lebe seit dem Jahr 2008 in Österreich und habe nach islamischem Recht im Jahr 2014 geheiratet; mit seiner Frau habe er eine gemeinsame Tochter. Derzeit "wohne" er noch in der Justizanstalt, davor habe er gemeinsam mit seiner Ehegattin und Tochter zusammengelebt. Nach Erwerbstätigkeiten befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass er vor seiner Inhaftierung soziale Unterstützung bezogen habe. Nach seiner Haftentlassung werde er wieder bei seinen Eltern Unterkunft nehmen. Im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation befürchte er, zuerst verhört und im Anschluss getötet zu werden. Sein Bruder sei auf einer Liste von Rebellen gestanden und in Georgien an der Grenze zu Russland erschossen worden. Er habe eine Schwester in Tschetschenien, die über den Beschwerdeführer und dessen Brüder befragt worden sei. Die Schwester meide seither den Kontakt.

 

2.3. Mit Bescheid vom 18.11.2015 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den mit Erkenntnis vom 02.03.2011 zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 70/2015, ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 leg.cit. fest, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Weiters erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 leg.cit den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation wurde gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 leg.cit. für unzulässig erklärt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 leg.cit. wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt.

 

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers und führte begründend zusammengefasst aus, dass die Unterstützung einer terroristischen Organisation zweifelsohne ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Artikel 1 Abschnitt F der GFK darstelle. Durch seine Beteiligung an der Vereinigung IS-Islamic State und der in Angriff genommenen Ausreise aus Österreich nach Syrien habe sich der Beschwerdeführer eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht. Der Beschwerdeführer habe - wie im Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX ersichtlich - Österreich am XXXX mit dem Ziel Syrien (jenes Gebiet, welches vom IS kontrolliert werde) verlassen, wobei er an der türkisch-syrischen Grenze von der türkischen Polizei festgenommen und nach Österreich abgeschoben worden sei. Am XXXX sei der Beschwerdeführer erneut aus Österreich mit dem Ziel Syrien ausgereist, jedoch an der rumänisch-bulgarischen Grenze zurückgewiesen worden. Am XXXX habe der Beschwerdeführer schließlich ein weiteres Mal versucht, nach Syrien auszureisen, sei jedoch am österreichischen Grenzübergang festgenommen worden. Durch den wiederholten Antritt der Reise nach den Anwerbungen habe der Beschwerdeführer unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, den IS in seinen terroristischen Zielen zu unterstützen und zu fördern. Im gegenständlichen Fall liege ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention (im Folgenden: GFK) vor, womit der Tatbestand des § 6 Abs. 1 Z 2 leg.cit. erfüllt sei. Weiters ergebe sich ob der Verurteilung des Beschwerdeführers zweifelsfrei, dass er eine terroristische Vereinigung, konkret den IS-Islamic State, unterstützt habe, weshalb auch der Tatbestand des § 6 Abs. 1 Z 3 leg.cit. gegeben sei. Weil ein in Art. 1 Abschnitt F GFK genannter Asylausschlussgrund vorliege, sei auch die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten von Vornherein ausgeschlossen. Im Verfahren hätten sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben, welche die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 leg.cit. rechtfertigen würden. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet werde gemäß § 46a Abs. 1 Z 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 121/2015, geduldet.

 

2.4. Die gegen diese Entscheidung erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 14.04.2016 als vollinhaltlich unbegründet ab. Es stellte fest, dass der Beschwerdeführer die seiner strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegende Straftat begangen und am XXXX , XXXX und XXXX versucht habe, nach Syrien zu reisen, um sich dort am bewaffneten Kampf der Terrororganisation IS, durch logistische Unterstützungshandlungen, finanziell oder auf sonstige Art und Weise zu beteiligen. Er habe sich durch seine wissentliche Unterstützung der Terrororganisation IS eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit im Sinne des Art. 1 Abschnitt F GFK schuldig gemacht. Da "somit ein Aberkennungstatbestand nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005" vorliege, sei "der Entscheidung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl nach § 8 Abs. 3a AsylG 2005 nicht entgegenzutreten". Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich in seiner Entscheidung den im Bescheid vom 18.11.2015 getroffenen Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation an. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen erachtete das Bundesverwaltungsgericht als nicht gegeben.

 

3. In der Folge beantragte der Beschwerdeführer am 19.12.2016 die Ausstellung einer Duldungskarte gemäß § 46a Abs. 1 Z 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016. Mit Aktenvermerk vom 31.05.2017 hielt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass die Voraussetzungen der genannten Bestimmung vorlägen und eine Karte für Geduldete unter Berufung auf diese Ziffer ausgestellt werde, weil die "Abschiebung in die Russische Föderation gem. § 8 Abs. 3a iVm. § 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig" sei. Der Beschwerdeführer wurde in weiterer Folge wiederholt zur Abholung der Duldungskarte zur Behörde geladen, befolgte diese Ladungen allerdings nicht.

 

4.1. Am 24.05.2018 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Dabei meinte er zunächst, er habe die Duldungskarte nicht abgeholt, weil er kein Geld habe und dieses Dokument nicht benötige; dies habe er auch seinem Bewährungshelfer mitgeteilt. Auf Vorhalt des bisherigen Verfahrensgangs und seiner strafgerichtlichen Verurteilung meinte der Beschwerdeführer, er habe niemandem etwas getan, was dieses Urteil rechtfertigen würde. Er sei nie in Syrien gewesen und habe in den zehn Jahren seines Aufenthalts in Österreich niemandem etwas getan. Seinen Bewährungsauflagen komme er nach, was sein Bewährungshelfer bezeugen könne. Über die Republik Österreich könne er nichts Schlechtes denken, weil man ihm hier geholfen habe. Er habe kein Naheverhältnis zum Islamischen Staat.

 

In Österreich habe er als Bauarbeiter gearbeitet, derzeit beziehe er Notstandshilfe vom Arbeitsmarktservice (AMS). Er habe die Zusage, dass er bei einer Maschinenbaufirma zu arbeiten beginnen könne; eine schriftliche Einstellungszusage könne er aber nicht vorlegen. In seinem Herkunftsstaat habe der Beschwerdeführer sieben Jahre die Grundschule besucht und keine weitere Ausbildung absolviert. Im Alter von 13 Jahren sei er nach Österreich gekommen, wo er zunächst ein Jahr die Hauptschule und sodann einen polytechnischen Lehrgang besucht habe.

 

Mit seiner nach islamischem Ritus geehelichten Frau, einer im August 1996 in Tschetschenien geborenen russischen Staatsangehörigen, habe eine Tochter und einen Sohn. Warum der Beschwerdeführer in der Geburtsurkunde seiner Tochter nicht als ihr Vater eingetragen sei, wisse er nicht. Pro Monat erhalte er 600,- Euro vom AMS, wovon er im Durchschnitt 200,- Euro seiner Frau gebe. Er lebe aber weder mit ihr noch den Kindern im gemeinsamen Haushalt, weil er zuerst eine Arbeit finden müsse. Derzeit wohne er zeitweise bei seiner Mutter und manchmal bei seinen älteren Brüdern, die als anerkannte Flüchtlinge in Österreich lebten. Ein dritter Bruder sei 2012 getötet worden:

Auch er sei in Österreich anerkannter Flüchtling gewesen, weil er in der Russischen Föderation gefoltert worden sei. Bei einem Besuch bei tschetschenischen Verwandten in Georgien sei er aber von der tschetschenischen Regierung getötet worden. Weiters habe er noch eine ältere Schwester, die in der Russischen Föderation lebe.

 

Der Beschwerdeführer gab auf entsprechende Befragung an, in Tschetschenien mit Sicherheit verfolgt zu werden. Schließlich sei auch sein Bruder in Georgien gefunden und umgebracht worden; man habe seine Schwester zudem mehrfach über den Beschwerdeführer befragt, weshalb sie immer wieder Probleme bekommen habe. Außerdem sei er in Österreich verurteilt worden, was ihm Probleme in seinem Herkunftsstaat brächte. Dem Beschwerdeführer wurde daraufhin vorgehalten, dass ihm laut Länderinformationsblatt der Staatendokumentation bei einer Rückkehr in die Russische Föderation keine generelle Verfolgung drohe und er innerhalb des Staatsgebiets volle Bewegungsfreiheit genieße. Die Einsicht in das Länderinformationsblatt lehnte der Beschwerdeführer ab. Ihm wurde weiters vorgehalten, dass er nach Ansicht des Bundesamts eine Gefährdung für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle. Der österreichische Staat habe ein gesteigertes Interesse daran, den Aufenthalt des Beschwerdeführers zu beenden, weshalb die Erlassung einer Rückkehrentscheidung beabsichtigt sei; in diesem Zusammenhang sei auf näher angeführte Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) zu verweisen.

 

Der Beschwerdeführer weigerte sich daraufhin, weitere - auf die Erlangung eines Heimreisezertifikats gerichtete - Fragen zu beantworten.

 

4.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erkannte dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 30.05.2018 einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: AsylG 2005), nicht zu (Spruchpunkt I.), erließ im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: BFA-VG), eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: FPG), (Spruchpunkt II.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.); die Behörde erkannte einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.) und gewährte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 3 Z 6 FPG wurde schließlich gegenüber dem Beschwerdeführer ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).

 

4.2.1. Begründend führte das Bundesamt aus, der Beschwerdeführer habe keiner der Ladungen zur Ausstellung einer Duldungskarte Folge geleistet. Da der Aufenthalt erst mit Ausstellung einer entsprechenden Karte als geduldet gelte, sei dem Beschwerdeführer die Duldung nicht zugekommen. Zudem sei er wegen einer schwerwiegenden Straftat verurteilt worden und stelle eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Es sei somit keine Voraussetzung des § 57 AsylG 2005 erfüllt, weshalb kein Aufenthaltstitel nach dieser Bestimmung zu erteilen sei.

 

4.2.2. Der Beschwerdeführer halte sich nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet auf, weshalb eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Dieser stehe auch das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK nicht entgegen: So werde durch eine Rückkehrentscheidung nicht in sein Familienleben eingegriffen, weil gegenüber der nach Aberkennung ihres Asylstatus illegal im Bundesgebiet befindlichen Lebensgefährtin des Beschwerdeführers ebenfalls ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung anhängig sei. Hinsichtlich der Anträge der Kinder des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sei festzuhalten, dass die Gewährung eines Schutzstatus unwahrscheinlich und dies auch im Wege des Familienverfahrens nicht möglich sei, weil beiden Elternteilen der Asylstatus ab- bzw. der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt worden sei - auch im Verfahren der Kinder sei also eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Mag der Beschwerdeführer bei seinen Eltern und Brüdern vorübergehend auch Unterkunft nehmen, so habe er sich doch nicht davon abbringen lassen, drei Mal seine Ausreise nach Syrien - und damit die Aufgabe seines Lebens mit ihnen in Österreich - zu versuchen. Der durch die Rückkehrentscheidung erfolgende Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers sei statthaft, weil er wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung verurteilt worden sei und sein Aufenthalt im Bundesgebiet eine massive Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich darstelle. Außerdem könne gemäß den Darstellungen in einem Schreiben des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung vom 23.03.2018 nicht von einer relevanten Integration des Beschwerdeführers in die österreichische Gesellschaft ausgegangen werden, zumal er nicht einmal einfachste allgemein anerkannte Gepflogenheiten, wie das Grüßen weiblicher Personen, beherzige.

 

4.2.3. Die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation sei zulässig, weil er Nachweise für sein Verfolgungsvorbringen nicht habe vorlegen können. Es stünde ihm bei seiner Rückkehr dorthin eine innerstaatliche Fluchtalternative offen; aus dem Verfahren gehe nicht hervor, dass der Beschwerdeführer jedenfalls nach Tschetschenien zurückkehren müsste, zumal er bei einer Niederlassung in anderen Landesteilen der Russischen Föderation von der tschetschenischen Diaspora Unterstützung erfahren könnte. Aus der Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverwaltungsgerichts ergäben sich keine Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer entweder durch tschetschenische Sicherheitskräfte gefunden und misshandelt oder von russischen Sicherheitskräften "präventiv" misshandelt werden würde, selbst wenn die Verurteilung durch ein österreichisches Strafgericht bekannt sein sollte. Dies lasse sich auch nicht aus Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation und von ACCORD ableiten. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zitierte in diesem Zusammenhang - neben aktuellen Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation - ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, in dem das Urteil des EGMR vom 07.11.2017, Appl. 54646/17, X. gg. Deutschland, wiedergegeben wurde. Außerdem habe das Bundesverwaltungsgericht in einem anderen Fall entschieden, dass nicht davon auszugehen sei, die russischen Behörden würden von strafgerichtlichen Verurteilungen russischer Staatsangehöriger in Österreich erfahren; die Russische Föderation sei im Rahmen der EMRK auch zum Prinzip "ne bis in idem" verpflichtet, bei dessen Verletzung eine Beschwerde an den EGMR möglich sei.

 

4.2.4. Der Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich stelle eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich dar, weshalb seine sofortige Ausreise erforderlich sei. Einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung sei somit gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung abzuerkennen. Dem Beschwerdeführer sei folglich auch keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren.

 

Angesichts der Schwere des strafrechtlichen Fehlverhaltens sei unter Bezugnahme auf näher angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Erlassung eines unbefristeten Einreiseverbots geboten.

 

4.3. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 13.06.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für sein Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt und der Beschwerdeführer über sein verpflichtendes Rückkehrberatungsgespräch bis zum 28.06.2018 in Kenntnis gesetzt.

 

5. Mit Schriftsatz vom 11.07.2018 erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter gegen den angeführten Bescheid vollumfänglich Beschwerde.

 

5.1. Darin wird unter näherer Begründung ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation in unmittelbare Gefahr geriete, dort verschleppt, gefoltert und/oder ermordet zu werden, weil ihm immer noch eine ideologische Nähe zu islamistisch-extremistischen Kräften unterstellt werden würde. Um das Leben des Beschwerdeführers nicht in Gefahr zu bringen, werde dringend angeregt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG zuzuerkennen. Aus den im angefochtenen Bescheid angeführten Länderberichten gehe klar hervor, dass Angehörige von Personengruppen, denen eine Nähe zu extremistischen Kräften unterstellt werde, keinesfalls in die Russische Föderation zurückkehren könnten. Ebenso werde betont, dass Personen aus Tschetschenien eine Neuansiedlung in anderen Teilen Russlands nicht möglich sei. Der Beschwerdeführer habe insbesondere vorgebracht, dass im Herkunftsstaat lebende Familienmitglieder aufgrund seiner strafgerichtlichen Verurteilung in Zusammenhang mit versuchten Ausreisen in das syrische IS-Gebiet befragt, diskriminiert und gefoltert worden seien. Familiäre oder soziale Bezugspunkte außerhalb Tschetscheniens habe der Beschwerdeführer nicht. In russischen Medien sei namentlich über ihn als IS-Mitglied berichtet worden. Von zwei Personen, die gemeinsam mit dem Beschwerdeführer verurteilt worden seien, fehle jede Spur, weshalb kein Zweifel daran bestehen könne, dass die russischen und tschetschenischen Behörden von der Verurteilung des Beschwerdeführers wüssten.

 

Vermeintlich mit dem vorliegenden Fall vergleichbare Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, des deutschen Bundesverfassungsgerichts und des EGMR seien nicht tauglich, im konkreten Fall als Entscheidungshilfe herangezogen zu werden. So sei beim Beschwerdeführer zu beurteilen, ob die Rückkehr auch seiner Lebensgefährtin und minderjährigen Kinder möglich sei; als Jungfamilienverband seien sie besonders vulnerabel. In den meisten anderen Entscheidungen sei lediglich zu beurteilen gewesen, ob die Rückkehr einem alleinstehenden Mann zugemutet werden könne. Dem Beschwerdeführer würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen. Überdies stelle eine Abschiebung des Beschwerdeführers eine Verletzung seiner Rechte nach Art. 8 EMRK dar, weil er bereits seit langem in Österreich lebe und hier ein schützenswertes Privat- und Familienleben führe.

 

Der Beschwerdeführer stelle auch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, weil er sich nach Verbüßung seiner Haftstrafe von seinen bisherigen ideologischen und religiösen Überzeugungen zunehmend entfernt habe. Er sei nunmehr erwerbstätig, besuche regelmäßig die gerichtlich auferlegten Beratungstreffen bei einem Imam und habe sich auch schon vor der belangten Behörde explizit von seinen früheren Taten distanziert.

 

In der Beschwerde wird folglich auf mehrere Passagen der im angefochtenen Bescheid angeführten Länderberichte verwiesen, mit denen der Beschwerdeführer das dargestellte Beschwerdevorbringen zu stützen beabsichtigt. Angesichts der von der belangten Behörde selbst ins Treffen geführten Berichte sei das Verfolgungsvorbringen des Beschwerdeführers glaubhaft.

 

5.2. Seiner Beschwerde legte der Beschwerdeführer eine auf den 25.06.2018 datierende Stellungnahme seines Bewährungshelfers vom Verein Neustart bei, der zufolge er seit Haftentlassung seine Termine bei der Bewährungshilfe einhalte oder diese zeitgerecht absage; Absagen kämen dabei nur vor, wenn er seine Kinder vom Kindergarten abhole oder seine Familie auf Amtswegen begleite. Er nehme gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin an einem vom Innenministerium koordinierten Deradikalisierungsprogramm teil und besuche auch regelmäßig die Termine beim Verein DERAD. Er sei als obdachlos gemeldet und nächtige bei verschiedenen Bekannten und Verwandten. Seine finanzielle Situation erlaube keine ordentliche Wohnsitznahme. Aufgrund seines im Bundesgebiet lediglich geduldeten Aufenthalts finde er keine Arbeit; derzeit absolviere er einen vom AMS vermittelten Deutschkurs. Seine Versuche, nach Syrien zu gelangen, beurteile der Beschwerdeführer heute als großen Fehler, den er nicht wiederholen würde. Die daraus resultierenden Konsequenzen trage er mit Fassung. Die Trennung von seiner Frau und seinen Kindern belaste ihn allerdings sehr. Trotzdem versuche er, ein guter Vater und Mann zu sein: Er begleite seine Frau zu Terminen und hole die Kinder vom Kindergarten ab, wenn seine Frau dafür keine Zeit habe; insgesamt bemühe er sich um die bestmögliche Unterstützung seiner Familie. Es werde daher ersucht, dem Beschwerdeführer und seiner Familie eine Chance in Österreich zu geben, zumal sein Leben in Tschetschenien nicht sicher sei.

 

5.3. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 17.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig.

 

1.1.1. Er gelangte im Alter von 13 Jahren nach Österreich und stellte durch seinen gesetzlichen Vertreter am 05.10.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 02.03.2011 wurde ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erkannte mit Bescheid vom 18.11.2015 dem Beschwerdeführer diesen Status ab und zugleich den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation wurde für unzulässig erklärt. Das Bundesverwaltungsgericht wies die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 14.04.2016 ab.

 

Der Verfahrensgang im Detail wird wie unter Pkt. I. dargelegt festgestellt.

 

1.1.2. Der Aberkennung des Asyl- und Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzstatus lag zugrunde, dass sich der Beschwerdeführer an einer terroristischen Vereinigung beteiligte, indem er zunächst am XXXX mit mehreren Personen, aufgeteilt auf zwei PKW, nach Syrien in das zum damaligen Zeitpunkt von der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) gehaltene Territorium reisen wollte. Im Raum XXXX (Türkei) wurde der Beschwerdeführer zusammen mit seinen Mitreisenden jedoch von der türkischen Polizei festgenommen und nach kurzer Haft über Sofia nach Österreich abgeschoben. Am XXXX versuchte er per Bus erneut, nach Syrien zu gelangen; an der bulgarisch-türkischen Grenze wurde ihm aber die Einreise mangels Visums verweigert, weshalb er nach Wien zurückkehrte. Schließlich tat er sich am XXXX neuerlich mit mehreren Personen zusammen, die auf zwei PKW aufgeteilt über den osteuropäischen Raum nach Syrien gelangen wollten. Noch auf österreichischem Staatsgebiet wurden jedoch alle Personen festgenommen. Der Beschwerdeführer beabsichtigte mit seinen Ausreiseversuchen nach Syrien, sich dem dortigen bewaffneten Kampf des IS - sei es auch durch logistische Unterstützungshandlungen, finanziell oder auf sonstige Art und Weise durch Stärkung der Gruppenmoral - anzuschließen.

 

Wegen dieser Handlungen wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX gemäß § 278b Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt. Die seit dem XXXX verbüßte Vorhaft wurde dabei auf die Haftdauer angerechnet. In der Bemessung des Strafausmaßes wertete das Gericht den bisherigen ordentlichen Lebenswandel des Beschwerdeführers sowie den Umstand, dass er die Tat zwar nach Vollendung des 18., aber vor Vollendung des 21. Lebensjahres beging, sowie den Beitrag zur Wahrheitsfindung durch Zugestehen des Reiseziels als mildernd, erschwerend demgegenüber die wiederholte gleichartige Begehung. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer unter der Anordnung von Bewährungshilfe und Setzung einer Probezeit von drei Jahren aus der Strafhaft entlassen. Er befolgt die Bewährungsauflagen und nimmt an einem vom Innenministerium koordinierten Deradikalisierungsprogramm teil.

 

1.1.3. Sämtliche Ausreiseversuche nach Syrien unternahm der Beschwerdeführer mit seiner im Frühjahr 2014 nach islamischem Ritus geheirateten Lebensgefährtin, welcher in Österreich im Jahr 2005 ebenfalls der Status einer Asylberechtigten zuerkannt worden war, dieser nach entsprechender strafrechtlicher Verurteilung jedoch ebenso aberkannt wurde. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 08.06.2018 wurde ihr gegenüber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht zuerkannt, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei; einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt, gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und schließlich ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers erhob gegen den sie betreffenden Bescheid unter einem mit dem Beschwerdeführer im selben Schriftsatz Beschwerde. Mit Erkenntnis vom heutigen Tag entscheidet das Bundesverwaltungsgericht - im Spruch gleichlautend wie vorliegend - über die Beschwerde auch der Lebensgefährtin.

 

Der Beschwerdeführer hat mit seiner Lebensgefährtin zwei Kinder: Die Tochter wurde am 08.02.2015 während der Haft der Mutter geboren, der Sohn am 01.09.2016. Für beide Kinder wurde ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der - verbunden mit einer Rückkehrentscheidung - von der belangten Behörde mit Bescheiden vom 08.06.2016 abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde ist beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.

 

Mit seiner Lebensgefährtin und seinen Kindern wohnt der Beschwerdeführer nicht in gemeinsamem Haushalt, weil er zunächst die Aufnahme einer Arbeit beabsichtigt, um seine Familie ernähren zu können. Derzeit ist er obdachlos beim Verein Neustart gemeldet, er wohnt zeitweise bei seinen Eltern und manchmal bei seinen beiden älteren Brüdern, die als anerkannte Flüchtlinge in Österreich leben. Von XXXX .2015 bis XXXX .2016 und vom XXXX .2016 bis XXXX .2017 war der Beschwerdeführer als Bauarbeiter unselbständig erwerbstätig, in den Jahren 2013 und 2016/2017 bezog der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld; seit 13.06.2017 erhält er laufend Notstandshilfe. In der Russischen Föderation lebt eine ältere Schwester des Beschwerdeführers.

 

1.2. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:

 

1.2.1. Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten samt Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers stützte sich auf folgende - auszugsweise wiedergegebene - Feststellungen, die im Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 18.11.2015 enthalten sind:

 

"Im August 2015 erlitt der Rest des noch bestehenden Kaukasus Emirat einen erneuten harten Rückschlag. Drei der Top-Kommandanten wurden im Untsukul Distrikt in Dagestan von Regierungskräften getötet, darunter der neue Anführer des Emirates Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov). Gimrinsky war der Nachfolger des im Frühling getöteten Emir des Kaukasus Emirates Aliaschab Kebekow. Bei den anderen getöteten Kommandanten handelt es sich um Said Arakansky (Kamil Saidov), dem Amir des Velayat Dagestan, und Abu Dujan (Abdulla Abdullaev), dem Amir des Gebirgssektors des Velayat Dagestan. Nun sind quasi alle Top-Anführer des Kaukasus Emirates ausgelöscht. Wie es mit dem Emirat weitergehen wird ist unklar. Ob nun ein muslimischer Kleriker oder ein Kämpfer nächster Anführer des Emirates wird ist momentan wohl zu vernachlässigen. Wichtiger erscheint, ob das Emirat als ein Teil des bewaffneten islamischen Widerstandes überhaupt überleben wird. Es könnte durchaus sein, dass das Emirat - acht Jahre nach Entstehung - als Ganzes verschwindet, denn mit dem Tod von Amir Abu Usman Gimrinsky scheint niemand mehr da zu sein, der gegen den Islamischen Staat (IS) auftreten kann. Die übriggebliebenen Mitglieder des Emirates könnten sich nun dem IS anschließen und Amir Rustam Asilderov (vom IS eingesetzter Repräsentant des Vilayat Qavqaz; vgl. vorige Kurzinfo) den Treueeid schwören. Dies wird die russische Position im Nordkaukasus wohl auch nicht verbessern, da weiterhin aufständische Kämpfer bekämpft werden müssen (Jamestown 14.8.2015, vgl. Long War Journal 11.8.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

http://www.longwarjournal.org/archives/2015/08/new-leader-of-islamic-caucasus-emirate-killed-by-russian-forces.php , Zugriff 26.8.2015

 

[...]

 

Nachdem einige Kommandanten des Kaukasus Emirates (von Dagestan, Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien/Karatschai) dem IS ihren Treueeid schworen, verlautbarte am 23.6.2015 Abu Muhammad al-Adnani - Sprecher des IS - die Schaffung der Provinz Kaukasus (Vilayat Qavqaz). Diese Entwicklung ist keine große Überraschung, da seit Herbst 2014 einige der Kommandanten von Tschetschenien und Dagestan dem IS den Treueeid leisteten. Der IS-Sprecher gratulierte den "Soldaten des Islamischen Staates im Kaukasus" und richtete aus, dass der Kalif den Treueeid annimmt und Sheikh Abu Mohammad al-Qadari (Rustam Asilderov) als "Gouverneur" des Kaukasus ernennt. Dies zeugt wohl davon, dass die Kaukasusgruppe vom IS als wichtige Organisation gesehen wird, da nicht jede Gruppe, die den Treueeid leistet, auch anerkannt wird. Natürlich ist der Ruf der tschetschenischen bzw. der nordkaukasischen Kämpfer im IS ein sehr guter. Dies dürfte wohl auch ein ausschlaggebender Punkt in der Anerkennung gewesen sein. Obwohl die "übergelaufenen" Kommandanten verlautbarten, dass "alle Mudschahedin des Kaukasus in dieser Entscheidung einig sind" haben jedoch das Vilayat Nogai Steppe und Karatschai-Tscherkessia ihre Position noch nicht öffentlich gemacht. Auch gibt es einige Anführer im Kaukasus Emirat, die sich weigern, dem IS die Treue zu schwören, wie z.B. Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov), der angeblich momentan dem Emirat vorstehen bzw. der Nachfolger von Aliaschab Kebekow (alias Ali Abu Muhammad) sein soll (siehe vorige Kurzinformation) (TOL 1.7.2015).

 

Bis jetzt hat die Abreise von Kämpfern aus dem Nordkaukasus nach Syrien dazu geführt, dass die Terroraktivitäten in Russland im vergangenen Jahr nachgelassen haben. Nur wenige kehrten bis jetzt zurück - in ganz Russland wurden weniger als 100 Strafverfahren gegen die Rückkehrer eingeleitet. Doch jetzt scheint sich die Lage zu verändern. Die Folgen für Russland könnten sehr ernst sein. Die Kampfmethoden könnten sich verändern (öffentliche Hinrichtungen, auch der Zivilbevölkerung). Der ehemalige Anführer der Islamisten im Kaukasus, Kebekow, sprach sich gegen brutale Aktionen gegen die Zivilbevölkerung aus und wollte sich auf die Anschläge auf russische Sicherheitskräfte konzentrieren. In den nordkaukasischen Republiken waren die Terroristen auch auf die Unterstützung der lokalen Bevölkerung angewiesen. Doch im April 2015 wurde Kebekow getötet. Sein Nachfolger war offenbar nicht stark genug, um die Verbreitung des IS-Einflusses zu stoppen (Welt.de 25.6.2015).

 

Quellen:

 

 

 

[...]

 

Tschetschenien

 

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Gemäß der letzten offiziellen Volkszählung 2010 hat Tschetschenien 1,27 Millionen Einwohner/innen. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russ/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

 

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015). Die Macht von Ramsan Kadyrow ist in Tschetschenien unumstritten. Kadyrow versucht durch Förderung einer moderaten islamischen Identität einen gemeinsamen Nenner für die fragmentierte, tribalistische Bevölkerung zu schaffen. Politische Beobachter meinen, Ersatz für Kadyrow zu finden wäre sehr schwierig, da er alle potentiellen Rivalen ausgeschalten habe und über privilegierte Beziehungen zum Kreml und zu Präsident Putin verfüge (ÖB Moskau 10.2014).

 

Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zur russischen Präsidentschaft im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen (Welt 5.3.2012, Ria Novosti 5.12.2012, vgl. auch ICG 6.9.2013).

 

Quellen:

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1379094096_the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-226-the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-governance-elections-rule-of-law.pdf , Zugriff 1.4.2015

 

 

 

 

 

 

http://www.integrationsfonds.at/laenderinformation/laenderinformation_russiche_foederationtschetschenische_republik/ , Zugriff 1.4.2015

 

 

Sicherheitslage

 

Russische Behörden gehen weiterhin von einer terroristischen Gefahr auch außerhalb des Nordkaukasus aus (SFH 25.7.2014, vgl. AA 1.4.2015b). Aus Sicht der Behörden versuchen die Aufständischen nicht nur den Nordkaukasus zu destabilisieren, sondern auch Terroranschläge in anderen Regionen Russlands zu verüben. Nach Angaben russischer Experten spiegelt die Wahl von Alaiskhab Kebekov als neuem Führer des kaukasischen Emirats, die Tatsache wider, dass mittlerweile Dagestan und nicht mehr Tschetschenien das Zentrum des Aufstands ist (SFH 25.7.2014).

 

Die Terroranschläge auf den zwischen Moskau und St. Petersburg verkehrenden Newski Express Ende November 2009 (28 Todesopfer), die beiden Anschläge in der Moskauer U-Bahn am 29.3.2010 (40 Todesopfer), der Anschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo am 24.1.2011 (37 Todesopfer darunter zwei österreichische Staatsbürger) sowie zwei Selbstmordanschläge auf den Bahnhof bzw. einen Trolley-Bus in Wolgograd Ende Dezember 2013 (33 Todesopfer) (ÖB Moskau 10.2014, vgl. AA 1.4.2015b) scheinen von Tätern aus dem Nordkaukasus verübt worden zu sein, um somit zu zeigen, dass die Unruhe im Nord-Kaukasus auch auf das russische Kernland ausstrahlt. Zuletzt häuften sich Berichte, wonach zahlreiche Personen aus dem Nordkaukasus sich an Kämpfen in Syrien und zuletzt auch dem Irak auf Seiten radikalislamischer Gruppierungen und Organisationen (IS, Al Nusra-Front,...) beteiligen sollen. Die diesbezüglichen Angaben schwanken: von offizieller Seite werden die russisch-stämmigen Kämpfer auf einige Hundert geschätzt. Experten gehen hingegen von bis zu 2.000 Kämpfern mit russ. Staatsbürgerschaft aus (davon 1500 aus Tschetschenien, 200 aus Dagestan, der Rest aus anderen Gebieten). Auch in Österreich wurden Fälle bekannt, in denen Personen tschetschenischer Herkunft sich an Kämpfen in Syrien beteiligt bzw. dies zumindest ernsthaft versucht haben sollen oder andere Personen als Kämpfer für den Nahen Osten angeworben haben.

Beobachter sehen dies als neues Phänomen an: bis vor kurzem hätten Tschetschenen und andere Kaukasier fast ausschließlich in ihrer Heimatregion gekämpft, um diese von der russischen Herrschaft zu befreien. Der Bürgerkrieg in Syrien zeige insofern eine Neuausrichtung des bisher stark nationalistischen Jihadismus der Kaukasier hin zu mehr Integration in die transnationale Szene. In Syrien sollen Kaukasier mittlerweile die größte nicht-arabische Gruppe unter den ausländischen Kämpfern darstellen und zugleich auch aufgrund ihrer Kampferfahrung und Homogenität eine der effektivsten Gruppierungen sein. Russische Offizielle warnten wiederholt vor den Gefahren, die für Russland (und andere Staaten) entstünden, wenn diese Personen mit der gesammelten Kampferfahrung in ihre Heimat zurückkehren. Berichten russischer Zeitungen zu Folge werden aus Syrien zurückkehrende Kämpfer bei ihrer Rückkehr nach Russland in der Regel umgehend verhaftet und vor Gericht gestellt (ÖB Moskau 10.2014).

 

Quellen:

 

 

 

 

Nordkaukasus allgemein

 

Die Lage im Nordkaukasus war 2014 weiterhin instabil; bewaffnete Gruppen griffen wiederholt Angehörige der Sicherheitskräfte an. Bei verschiedenen Anschlägen sollen mehr als 200 Personen getötet worden sein, darunter zahlreiche Zivilpersonen (AI 25.2.2015). Im Sicherheitsbereich ist gegenwärtig ein Trend zu beobachten, der auf eine Stabilisierung Tschetscheniens bei gleichzeitiger Verschlechterung der Lage in Dagestan hinausläuft. In manchen Regionen konstatieren Beobachter auch ein Übergreifen der Gewalt auf bisher ruhige Gebiete. So haben sich seit Sommer 2010 auch in Kabardino-Balkarien die Anschlagstätigkeiten intensiviert. Nach zwei Anschlägen auf Touristen und touristische Infrastruktur, bei denen drei Touristen getötet wurden, wurde im Februar 2011 in zwei Distrikten Kabardino-Balkariens (Elbrus und Baksan) der Ausnahmezustand verhängt. Vor dem Hintergrund zunehmender ethnischer Rivalitäten warnen Experten auch vor einer Destabilisierung Karatschaj-Tscherkessiens. Zusätzlich werden zahlreiche "kleinere" Anschläge verübt, die überregional kaum mehr Aufmerksamkeit finden. Dabei werden neben Sicherheitskräften zunehmend auch belebte Märkte sowie Geschäfte und Cafés, in denen Alkohol verkauft wird, Ziele von Anschlägen. Dieser Zunahme von Anschlägen korrespondiert eine Steigerung von Anti-Terror Operationen, die auch regelmäßig Todesopfer fordern. Die russischen Sicherheitskräfte gehen mit einiger Härte gegen Rebellen und deren Unterstützer vor. Dabei wird auch von Fällen von Sippenhaftung berichtet, insbesondere der Zerstörung der Häuser der Angehörigen von Rebellen (ÖB Moskau 10.2014).

 

Im Jahr 2014 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 525 Opfer des bewaffneten Konfliktes. 341 davon wurden getötet, 184 verwundet. Im Vergleich zu 2013 fiel die Zahl der Opfer um 46,9% (Caucasian Knot 31.1.2015). Mehr als zwei Drittel aller Todesopfer im Kampf gegen den islamistischen Widerstand im Nordkaukasus wurden 2014 in Dagestan gezählt (HRW 29.1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

In Tschetschenien ist es seit 2010 zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt (teilweise bewirkte dies ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien). Als besonders unruhig gilt die an die Nachbarrepublik Dagestan angrenzende Region (ÖB Moskau 10.2014).

 

2014 gab es in Tschetschenien 117 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 52 Tote und 65 Verwundete. Dies bedeutet einen Anstieg um 15,8% im Vergleich zu 2013 (39 Tote, 62 Verwundete). Tschetschenien ist die einzige Region im Nordkaukasus in der die Opferzahlen 2014 im Vergleich zu 2013 anstiegen (Caucasian Knot 31.1.2015). Tschetschenien ist von den schwersten Gefechten zwischen islamistischen Kämpfern und Sicherheitskräften seit Jahren erschüttert worden. Dabei wurden am Donnerstag, den 4.12.2014, in der Hauptstadt Grosny mindestens 10 Angreifer und 10 Beamte getötet sowie 20 weitere Personen verletzt (NZZ 4.12.2014). Zu der Attacke soll sich in einem Video das Kaukasus Emirat bekannt haben. Ob das Material und die Angaben authentisch sind, wird genauso kontrovers diskutiert wie die Frage, wie stark die Gruppe der Angreifer war. Die Zahlen reichen von 10 bis über 200 Bewaffneten. Moskau und das Oberhaupt Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, gehen dagegen von einem internationalen Hintergrund aus und stellen die Attacke in Verbindung mit Vorgängen innerhalb der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien. Nach einem Schusswechsel mit Polizisten an einem Kontrollposten teilten sich die Angreifer, in mehrere Gruppen auf. Eine davon verschanzte sich im "Haus der Presse". Die Sicherheitsbehörden umstellten das Gebäude und nahmen es unter Feuer. In den oberen Stockwerken brachen Brände aus, es kam zu Explosionen. Ein anderer Teil der Angreifer setzte sich nur einige Straßen weiter in einer Schule fest. Andere Personen sollen sich nicht darin befunden haben. Die Feuergefechte hielten bis zum Donnerstagnachmittag an. Am selben Tag hielt Putin seine Rede zur Lage der Nation. In letzter Zeit nahmen die Aktivitäten des als zersplittert und geschwächt eingeschätzten islamistischen Untergrunds wieder etwas zu. Im Oktober 2014 sprengte sich in Grosny ein Selbstmordattentäter in die Luft und riss fünf Personen mit in den Tod. Hinter dem 19-jährigen Täter aus Grosny wird allerdings eher eine autonom agierende Splittergruppe vermutet. Zu vergleichen sind die beiden Vorfälle ohnehin nicht. Die Attacke am 4.12.2014 glich einer komplexen militärischen Operation. Dafür bedarf es Planung, Erfahrung und Geld. Dass die russischen Behörden dabei eine Verbindung ins Ausland vermuten, überrascht nicht. In den Reihen des IS stehen auch Extremisten mit nordkaukasischen Wurzeln, von einigen hundert ist die Rede. Schon mehrmals in diesem Jahr stießen Fraktionen der Terrormiliz Drohungen gegen Russland aus. Die Gefahr für Russland geht laut Experten dabei jedoch mehr von Rückkehrern aus Syrien oder dem Irak aus, als dass die Strategen des IS den Nordkaukasus als neues Kampffeld für ihren Jihad auserkoren hätten (NZZ 4.12.2014, vgl. Die Presse 4.12.2014).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Sicherheitsbehörden

 

Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und des Antiterrorismus betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Die Regierung verabsäumte es angemessene Schritte zu setzen um die meisten Behördenvertreter welche Missbräuche begingen, zu verfolgen oder zu bestrafen, wodurch ein Klima der Straffreiheit entstand. Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Aufständischen, islamischen Militanten und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führt, einschließlich Morde, Folter, körperliche Misshandlung und politisch motivierte Entführungen (USDOS 27.2.2014).

 

Die russische Polizei genießt in der Bevölkerung wenig Ansehen und steht im Ruf, oft selbst in Kriminalität und Korruption verwickelt zu sein. Vielfach wird von Misshandlungen von Personen in Polizeigewahrsam berichtet, meist um Geständnisse zu erzwingen, die häufig die Hauptgrundlage für russ. Gerichtsurteile darstellen. Im März 2011 trat ein neues russ. Polizeigesetz in Kraft. Neben der Namensänderung ("Polizei" statt wie bisher "Miliz") sollten damit die Bürgerrechte gestärkt werden. Für die Reform des Innenministeriums hatte die russische Regierung in den Jahren 2012 und 2013 insgesamt 7,9 Mrd. Euro zusätzlich im Budget eingeplant. In dieser Summe sind auch höhere Gehälter enthalten, die Polizisten korruptionsresistenter machen sollen. Im selben Zeitraum sollte die Zahl der Beamten um ca. ein Drittel reduziert werden. Ein großer Teil der beim EGMR eingehenden Beschwerden gegen die Russische Föderation betreffen das Exekutiv- und Strafvollzugssystem (ÖB Moskau 10.2014).

 

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Von russischer Seite werden die meisten Operationen im Nordkaukasus gegen Terroristen heute nicht mehr vom Militär, sondern von Einheiten des Innenministeriums und des Geheimdienstes durchgeführt. Diese sind zwar nicht weniger schwer bewaffnet, nur soll so der Eindruck eines Krieges vermieden werden. Insgesamt ist der sicherheitspolitische Aufwand für Russland im Nordkaukasus gewaltig, und die Verluste sind hoch (Zenithonline 10.2.2014). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnender Weise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen dürften (Rüdisser 11.2012).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Folter und unmenschliche Behandlung

 

Die Verfassung verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Es gibt jedoch zahlreiche glaubwürdige Berichte, dass Exekutivbeamte in Fälle von Folter, Misshandlung und Gewaltanwendung zum Erzwingen von Geständnissen verwickelt sind, und es gab Vorwürfe, dass die Regierung Beschuldigte nicht konsequent zur Verantwortung zieht. Folter ist nicht gesetzlich definiert, daher können verdächtigte Polizisten von der Staatsanwaltschaft nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt werden. In den Nordkaukasuskonflikt involvierte Regierungsbeamte foltern und misshandeln Berichten zufolge Zivilisten und Konfliktteilnehmer. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Streitkräfte und Polizeieinheiten misshandeln sowohl Rebellen als auch Zivilisten in Anhaltezentren.

Menschenrechtsgruppen weisen darauf hin, dass die körperliche Misshandlung von Frauen in der Region Nordkaukasus zunimmt. Das Niederbrennen von Häusern mutmaßlicher Rebellen wird Berichten zufolge fortgesetzt. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet (USDOS 27.2.2014).

 

Ein Drittel der beim Ombudsmann für Menschenrechte eingehenden Beschwerden beziehen sich auf polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen. Exekutivpersonal greift manchmal auf Misshandlungs- und Folterpraktiken zurück, um Geständnisse zu erzwingen. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen oft nur auf Geständnisse der Beschuldigten basieren, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Exekutivbeamte werden oft nicht untersucht. Besonders oft wird Folter offenbar im Nordkaukasus angewendet (ÖB Moskau 10.2014, vgl. DIS 1.2015).

 

2014 gingen weiterhin Berichte über Folterungen und andere Misshandlungen aus dem ganzen Land ein. Opfer, die ihr Recht auf Entschädigung geltend machen wollten, wurden häufig unter Druck gesetzt, um sie zu einer Rücknahme ihrer Klage zu bewegen. Untersuchungen von Foltervorwürfen blieben fast immer folgenlos. Unter Folter erzwungene "Geständnisse" wurden vor Gericht als Beweismittel anerkannt. Nur in einigen wenigen Fällen, in denen sich in der Regel Menschenrechtsorganisationen eingeschaltet hatten, wurde Anklage gegen die an der Folter beteiligten Staatsbediensteten erhoben (AI 25.2.2015).

 

Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).

 

Quellen:

 

 

https://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/russische-foederation , Zugriff 9.3.2015

 

 

 

 

 

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Allgemeine Menschenrechtslage

 

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, Strategie 31 setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Art-Gruppe Wojna setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen "Initiativen von unten" und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering (GIZ 3.2015a).

 

Menschenrechtsverteidiger beklagen zum Teil erhebliche Defizite bei der Umsetzung der in der Verfassung verankerten Rechte. Beklagt werden die mangelhafte Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten, die weiterhin verbreitete Korruption sowie der gestiegene Druck auf die kritische Zivilgesellschaft und Opposition. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen werden aus dem Nordkaukasus gemeldet (AA 11 .2014a).

 

In einigen Bereichen gibt die Menschenrechtslage in Russland weiterhin Anlass zu Kritik. Grundlegende Rechte wie Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit werden nicht immer in vollem Umfang gewährt; Journalisten und Menschenrechtsverteidiger haben mit Behinderungen bei ihrer Arbeit zu kämpfen und sind in manchen Fällen sogar Bedrohungen an Leib und Leben ausgesetzt. Während es zahlreiche unabhängige Radiosender, Printmedien, Online-Portale und Buchverlage gibt, übt der Staat besonders auf das am weitesten verbreitete Medium Fernsehen beträchtlichen Einfluss aus. Zudem haben staatliche Stellen in der Vergangenheit wiederholt Gesetze gegen Extremismus, zur Regulierung von NGOs und allgemeine Steuergesetze angewendet, um Druck auf unabhängige Medien auszuüben. In der Folge von teils gewalttätigen Protesten im Mai 2012 wurden eine Reihe legislativer Maßnahmen, durch welche die Tätigkeit der politischen Opposition erschwert wird, angenommen. Anfang Juni 2012 unterzeichnete Präsident Putin eine Gesetzesnovelle zur deutlichen Verschärfung des russischen Versammlungsrechts. Das neue Gesetz sieht u.a. eine drastische Erhöhung der Geldstrafen für die Organisation und Teilnahme an nicht genehmigten Kundgebungen vor, enthält ein Vermummungsverbot und andere Einschränkungen (ÖB Moskau 10.2014).

 

Quellen:

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Bei Operationen von Sicherheitskräften u.a. in Dagestan, Kabardino-Balkarien und Tschetschenien kam es zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen wie rechtswidrigen Festnahmen, Folter und anderen Misshandlungen, Verschwindenlassen und außergerichtlichen Hinrichtungen (AI 25.2.2015, vgl. HRW 29.1.2015). Am 4.12.2014 griffen bewaffnete Kämpfer in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny mehrere Regierungsgebäude an und töteten dabei mindestens einen Zivilisten und 14 Polizeibeamte. Am nächsten Tag kündigte der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow öffentlich an, man werde die Angehörigen der bewaffneten Männer des Landes verweisen und ihre Häuser zerstören. Mindestens 15 Häuser mit Dutzenden von Bewohnern, darunter kleinen Kindern, wurden niedergebrannt oder zerstört. Als Menschenrechtsverteidiger am 11.12.2014 in einer Pressekonferenz in Moskau dieses Vorgehen verurteilten und eine Untersuchung forderten, wurden sie mit Eiern beworfen. Über soziale Medien warf Ramsan Kadyrow dem Leiter der Menschenrechtsorganisation Joint Mobile Group, Igor Kalyapin vor, er unterstütze Terroristen. Am Abend des 13.12.2014 wurde bei einem mutmaßlich durch Brandstiftung verursachten Feuer das Büro der Organisation in Grosny zerstört. Am Tag danach hielten Polizisten zwei Mitarbeiter ohne Erklärung mehrere Stunden lang fest, führten Leibesvisitationen durch und konfiszierten ihre Mobiltelefone sowie mehrere Fotoapparate und Computer. Den Opfern von Menschenrechtsverletzungen standen nach wie vor praktisch keinerlei Rechtsmittel zur Verfügung, da die Strafjustiz weiterhin nicht effektiv arbeitete und von höchster politischer Stelle - zumeist heimlich - unter Druck gesetzt wurde. Präsident Kadyrow übte jedoch auch offen Kritik an tschetschenischen Richtern und Geschworenen, wenn sie in Strafverfahren Urteile verhängten, die seiner Ansicht nach zu mild ausfielen. Über Menschenrechtsverletzungen zu berichten, war weiterhin schwierig und gefährlich. Man geht davon aus, dass viele Vorfälle nie öffentlich gemacht wurden. Menschenrechtsverteidiger, unabhängige Journalisten und Rechtsanwälte, die sich mit Menschenrechtsverletzungen befassten, wurden häufig von Polizeikräften oder unbekannten Personen bedroht und schikaniert (AI 25.2.2015).

 

Seit 2002 sind in Tschetschenien über 2000 Personen entführt worden, von denen über die Hälfte bis zum heutigen Tage verschwunden bleibt. Auch heute noch wird von Fällen illegaler Festnahmen und Folter von Verdächtigen berichtet. Menschenrechtsverletzungen durch föderale oder tschetschenische Sicherheitskräfte werden in den seltensten Fällen strafrechtlich verfolgt. In einigen Fällen wurden Opponenten und Kritiker Kadyrows in Tschetschenien und anderen Gebieten der Russischen Föderation, aber auch im Ausland durch Auftragsmörder getötet (darunter Mord an Umar Israilow in Wien im Jänner 2009). Keiner dieser Mordfälle konnte bislang vollständig aufgeklärt werden (ÖB Moskau 10.2014).

 

Quellen:

 

 

https://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/russische-foederation , Zugriff 31.3.2015

 

 

 

Rebellentätigkeit / Unterstützung von Rebellen

 

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Der islamistische Widerstand in Tschetschenien ist in drei Gruppen geteilt. Eine versteckt sich an der Grenze zu Inguschetien, wird vom Emir Khamzat kommandiert und in diesem Gebiet konnte sich der frühere Emir des Kaukasus Emirates Dokku Umarow sieben Jahre lang verstecken. Er soll das Gebiet nie verlassen haben. Die zweite Gruppe versteckt sich im Vedenskiy Distrikt und wurde von den Brüdern Muslim und Hussein Gakajew angeführt, die im Jänner 2013 bei einer Militäroperation getötet wurden. Neuer Kommandant ist Amir Mahran. Momentan gibt es zu dieser Gruppe keine Informationen, außer dass sie existiert. Sie hat in letzter Zeit keine Aktionen ausgeführt. Die dritte Gruppe versteckt sich in den bergigen Wäldern an der Grenze zu Dagestan. Emir Aslanbek ist ihr Kommandant. Er nahm schon am Ersten Tschetschenienkrieg teil und ist ein sehr erfahrener Kämpfer. Diese Gruppe operiert in Dagestan und untersteht dem Emir von Dagestan. Neben diesen drei Gruppen, die das tschetschenische Vilayat bilden, gibt es kleine Gruppen junger Männer, die zwar behaupten, Teil der jihadistischen Struktur zu sein und dem Emir Tschetscheniens zu unterstehen, was aber nicht stimmt. Diese kleinen Gruppierungen und weitere Individuen, deren Motivation die jihadistische Ideologie ist, sind fähig, Schießereien oder kleinere Bomben zu legen. Sie wenden sich - wie auch die jihadistischen Kämpfer des Emirates hauptsächlich gegen Polizisten, Mullahs und Beamte und nicht gegen die tschetschenische Zivilbevölkerung. Kidnappings werden von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

 

Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden. Nach Einschätzung von Experten wird das Gesetz weitgehend zur Diskriminierung der Angehörigen Terrorismusverdächtiger führen. Weiter kritisieren Experten, dass das Gesetz durch die unklare Verwendung der Begriffe "Verwandte" und "nahestehende Personen" sich gegen ganze Familienclans in den muslimischen Republiken des Nordkaukasus richten könne. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina werden Familienangehörige von Terrorverdächtigen oft beschuldigt, sie unterstützten auch illegale bewaffnete Gruppierungen auf verschiedenste Art und Weise. Insbesondere kritisiert die Menschenrechtsaktivistin, dass bereits der bloße Verdacht für eine Anschuldigung reiche und kein Beweis notwendig sei. Die Verfolgung von Verwandten und Freunden von Aufständischen ist seit 2008 im Nordkaukasus weit verbreitet und geht oft mit der Zerstörung des Besitzes und Hauses einher. Nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen kommt es zu Übergriffen und Kollektivstrafen durch Sicherheitskräfte, die gegen Familien von vermuteten Terroristen gerichtet sind (SFH 25.7.2014).

 

Kollektivstrafen wie das Niederbrennen von Häusern von Personen, die man verdächtigt, Kontakte zum terroristischen Widerstand zu haben, werden weitergeführt (Caucasian Knot 9.12.2014). Nach der Terrorattacke auf Grosny am 4.12.2014, bei der 14 Polizisten ums Leben kamen, hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter" Igor Kaljapin, dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard 14.12.2014).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

http://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/russland/russland-verfolgung-von-verwandten-dagestanischer-terrorverdaechtiger-ausserhalb-dagestans.pdf , Zugriff 26.3.2015

 

 

Religionsfreiheit

 

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Tschetschenien

 

Die Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist (BAMF 10.2013). Beim Sufismus handelt es sich um eine weit verbreitete und zudem äußerst facettenreiche Glaubenspraxis innerhalb des Islam. Heutzutage sind Sufis sowohl innerhalb des Schiitentums als auch unter Sunniten verbreitet (ÖIF 2013). Gegenwärtig ist eine Zunahme der Anhänger des Salafismus/Wahabismus, eine strenge, radikale Form des Islam, zu verzeichnen (BAMF 10.2013).

 

Kadyrow billigt oder leitet Massenverstöße gegen die Menschenrechte, darunter gegen die Religionsfreiheit. Er verfälschte tschetschenische Sufi-Traditionen, errichtete auf Grundlage seiner religiösen Ansichten einen repressiven Staat und zwingt Frauen, islamische Kopftücher zu tragen (USCIRF 30.4.2014). Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem "guten" sufistischen Islam dem von weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Rebellen propagierten "schlechten" fundamentalistischen Islam, dem oft auch Wahhabismus genannten Salafismus, entgegenzuwirken. Diese Strategie hatte bereits sein Vater unter Maschadow - relativ erfolglos - anzuwenden versucht. Diese politische Nutzung der Religion führt aus mehreren Gründen zu heftiger Kritik: Durch die kadyrowsche Islamisierung werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Innerhalb der tschetschenischen Bevölkerung empfinden viele die von Kadyrow angeordneten Verhaltensnormen als nicht gerechtfertigten (und schon gar nicht durch tschetschenische Tradition zu rechtfertigenden) Eingriff in ihr Privatleben. Einige der aufgrund der (Re‑)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder seine Aussprache für Polygamie, widersprechen zudem russischem Recht. Beobachter der Lage sind sich gemeinhin einig, dass all dies von föderaler Seite geduldet wird, weil und solange es Kadyrow gelingt, die relativ stabile Sicherheitslage zu erhalten (BAA Staatendokumentation 19.5.2011).

 

Im Jänner 2014 berichtete Caucasian Knot, dass durch Sicherheitskräfte in Tschetschenien junge Menschen auf der Straße angehalten und einvernommen wurden. Die Sicherheitskräfte sollen hier auf Männer mit Bärten und Frauen in Hidschab abgezielt haben, da diese als dem radikalen Islam zugehörig angesehen werden. Die Sicherheitskräfte sagten, dass dies als präventive Maßnahme zu sehen sei. Nicht nur in Grosny, auch in anderen Städten Tschetscheniens unternahmen Sicherheitskräfte "Anti-Wahabismus Razzien" und kontrollierten Handys von jungen Männern und Frauen. Menschenrechtsorganisationen haben keine Beschwerden über gesetzwidrige Handlungen in diesem Zusammenhang erhalten (Caucasian Knot 16.1.2014, vgl. DIS 1.2015, ACCORD 1.7.2014).

 

Als Salafisten werden unterschiedliche religiöse und politische Bewegungen bezeichnet, die sich etwa seit Beginn des letzten Jahrhunderts an einem idealisierten Bild der Frühzeit des Islam (arab. "Salaf" steht für "Ahnen", "Vorfahren") orientieren. Der Begriff Salafismus dagegen steht heute für eine Strömung des Islamismus. Ihre Anhänger werden als Salafisten bezeichnet. Sie behaupten, besonders eng dem Wortlaut des Korans und den Überlieferungen über das Leben des Propheten (sunna) zu folgen. Das gilt insbesondere auch für Äußerlichkeiten wie Bekleidungsvorschriften. Viele Salafisten tragen deshalb lange Bärte, weite Gewänder und Kopfbedeckungen. Frauen, die kein Kopftuch tragen, begehen nach Überzeugung von Salafisten eine schwere Sünde (GfbV o.D.). Das Tragen eines Bartes ohne Schnurrbart oder hochgekrempelte Hosen, würden einen Grund für die Festnahme oder Kontrolle einer Person darstellen (Kaliszewska 2010). Unterschiedliche Personengruppen können Opfer von Verschwindenlassen werden: Männer, die verdächtigt werden, dem bewaffneten Untergrund anzugehören oder ihn zu unterstützen, bzw. Salafisten zu sein. Auch Rückkehrer nach Tschetschenien, die von den Behörden verdächtigt werden, zurückgekehrt zu sein, um den bewaffneten Untergrund zu unterstützen, können entführt werden (GfbV o.D.). Entführungen werden heute hauptsächlich von regierungsnahen Personen verübt und treffen vor allem Personen, die als Salafisten angesehen werden. Dies führt jedoch dazu, dass die Salafisten noch anti-russischer werden und die Behörden selbst die Anzahl der Anhänger der radikalen Bewegungen in der Region und unter Muslimen in der ganzen Russischen Föderation erhöhen (Jamestown 19.6.2014).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb der Republik Tschetschenien

 

Gemäß Einschätzung verschiedener NGOs greifen Strafverfolgungsbehörden oft auf ein ethnisches "Profiling" zurück. Dieses richte sich besonders gegen Personen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina beschuldigen russische Behörden Personen aus dem Nordkaukasus oft willkürlich für Straftaten, die sie nicht begangen, die sich aber tatsächlich ereignet hätten. Die Ermittler würden eine Straftat so darstellen, dass die Mitschuld der betroffenen Person aus dem Nordkaukasus als erwiesen erscheine. Nach Angaben von Gannuschkina würden dabei auch Geständnisse mittels Folter (Schläge, Elektroschocks, Vergewaltigung oder die Androhung von Vergewaltigung) erpresst. Staatsanwälte unterstützten in der Regel diese Untersuchungen. Die Gerichte würden die Mängel der Untersuchung ignorieren und oft eine unbedingte Strafe verhängen. Laut Gannuschkina versuchen Polizeivertreter, die Zahl von aus dem Nordkaukasus stammenden Personen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten zu verringern. Die polizeilichen Führungskräfte würden diese Maßnahmen unterstützen. Nach Angaben einer westlichen Botschaft in Moskau aus dem Jahr 2012 kommen fingierte Strafverfahren vor, jedoch nicht in systematischer Weise. Es gebe Berichte, dass insbesondere junge muslimische Personen aus dem Nordkaukasus Opfer solcher Praktiken werden können. Auch die norwegische Landinfo kommt im März 2014 zum Schluss, dass es weiterhin fingierte Strafverfahren gegen Personen aus dem Nordkaukasus und Tschetschenien gebe (SFH 25.7.2014).

 

Laut UNHCR in Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities. Die größten befinden sich in Moskau, der Region Moskau und in St. Petersburg. Hauptsächlich arbeiten Tschetschenen im Baugewerbe und im Taxibusiness. In der Region Volgograd leben ca. 20.000 Tschetschenen. Einige von ihnen leben dort schon seit 30 Jahren. Viele flohen aus Tschetschenien während der beiden Kriege. Mittlerweile sind die Zahlen von ankommenden Tschetschenen geringer geworden. 2013 kamen weniger als 500 Tschetschenen in die Region. Die meisten Tschetschenen verlassen die Republik aufgrund der sehr bescheidenen sozio-ökonomischen Aussichten in ihrer Heimatrepublik. Laut Memorial Volgograd gibt es keine Beschwerden von Tschetschenen in der Region aufgrund von Rassismus oder Diskriminierung. Tschetschenen haben denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsbürger. Heutzutage kommen Tschetschenen hauptsächlich zum Zwecke eines Studiums nach Volgograd. Mittlerweile sind die Lebensbedingungen in Volgograd nicht so gut wie in Tschetschenien. Dies liegt an den föderalen Fördermittel, die Tschetschenien erhält. Die Bevölkerung in Volgograd sinkt, während jene in Tschetschenien steigt (DIS 1.2015).

 

Beträchtliche tschetschenische Gemeinschaften gibt es auch in den Städten und Regionen im südlichen Russland, darunter in Volgograd, Saratov, Samara und Astrachan. Von den rund 100.000 Tschetschenen, die 1996 nach Moskau flohen, halten sich heutzutage noch rund 25.000 in der Region Moskau auf. Diese haben dort eine dauerhafte Registrierung. Zusätzlich lebt eine große Gruppe von Tschetschenen in Moskau und der Region Moskau, die nicht registriert ist, oder nur vorübergehend registriert ist. Ein großer Anteil der außerhalb Tschetscheniens lebenden Tschetschenen hätte keine Registrierung und arbeitet im Handel, auf Märkten und in Cafes. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence umfasst die tschetschenische Gemeinde in der Region St. Petersburg 20.000 bis 30.000 Personen. Viele würden auch zu Besuchen oder um Schulen oder Universitäten zu besuchen nach St. Petersburg kommen. Obwohl Rassismus gegenüber Kaukasiern in St. Petersburg vorkomme, ist dieser "nicht unerträglich". Ein ethnischer Tschetschene in St. Petersburg schätzte die Anzahl der Tschetschenen in St. Petersburg selbst auf 13.000. Ein anderer Tschetschene in Moskau gab an, dass die sozioökonomische Lage in Moskau zwar besser sei als in Tschetschenien, aber dass viele Tschetschenen es dennoch schwer hätten, Arbeit zu finden. Einem Vertreter einer NGO zufolge könnte es für einen Tschetschenen schwer sein, in einen anderen Teil der Russischen Föderation zu ziehen, wenn man dort keinerlei Verwandte hat. Jedoch gibt es Tschetschenen in fast allen Regionen Russlands. Das Bestehen einer tschetschenischen Gemeinschaft in einer Region kann Neuankömmlingen zur Unterstützung oder zum Schutz gereichen, es sei denn, es handelt sich um einen Clan-Konflikt. Laut SOVA leben viele Tschetschenen in der Region Stavropol, es gibt viele tschetschenische Studenten an der Universität der Stadt Stavropol. Dies führte bereits zu kleineren Spannungen im Süden der Region. Betreffend rassistisch motivierter Gewalt gibt es keine allein Tschetschenen betreffenden Daten, Tschetschenen gehören hier zur Gruppe der Kaukasier. Es gibt keine Hinweise, dass Tschetschenen mehr als andere ethnische Gruppen aus dem Kaukasus Hassverbrechen zum Opfer fallen. Untererfassung von Hassverbrechen ist gemäß SOVA ein Thema und dürfte im Steigen begriffen sein. Im Verlauf der letzten 10 Jahre konzentrierten sich ultranationalistische Banden bei rassistisch motivierter Gewalt immer mehr auf Zentralasiaten, nicht zuletzt weil sich Kaukasier dieser Gewalt zunehmend widersetzten. IOM bestätigte, dass die Grenze zwischen Tschetschenien und dem restliche Russland völlig offen ist. Zudem gab IOM an, dass es in Russland einen politischen Willen zur Bekämpfung von Hassverbrechen, Diskriminierung und Korruption zu geben scheint. Einer westlichen Botschaft zufolge schenken Strafgerichte heutzutage Hassverbrechen mehr Aufmerksamkeit. Swetlana Gannuschkina und Oleg Orlov (Memorial) gehen davon aus, dass Tschetschenen in andere Regionen Russlands ziehen können, und einige tun dies auch. Ist eine Person nicht offenkundig kritisch gegenüber Kadyrow, so kann diese überall in der Russischen Föderation leben, ohne Angst haben zu müssen getötet oder in die Republik Tschetschenien zurückgeschickt zu werden. Wird eine Person aber tatsächlich von Kadyrow gesucht, so könnte jener die Person überall in der Welt, auch in Kopenhagen, Wien, Dubai oder Moskau finden. Laut einem Anwalt von Memorial könnten Personen in Verbindung mit Oppositionsführern mit hohem Bekanntheitsgrad, aktive Rebellenkämpfer oder bekannte und tatverdächtige Terroristen der Bedrohung einer Entführung oder Tötung durch tschetschenische Behörden ausgesetzt sein. Ein Vertreter der Chechen Social and Cultural Association betrachtet es als unmöglich für die tschetschenischen Behörden, einen low-profile-Unterstützer der Rebellen in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zu finden (DIS 11.10.2011).

 

Im Mai/Juni 2012 schätzte eine westliche Botschaft die Anzahl der Tschetschenen in Moskau auf Hunderttausende. Außerhalb Tschetscheniens leben die meisten Tschetschenen in Moskau und der Region Stawropol, eine größere Anzahl an Tschetschenen kann in St. Petersburg, Jaroslawl, Wolgograd und Astrachan gefunden werden. SK-Strategy schätzt die Zahl der in Moskau lebenden Tschetschenen auf 100.000 bis 200.000, rund 70.000 Tschetschenen seien in Moskau registriert, rund 50.000 in Jaroslawl. Die NGO Vainakh Congress schätzt die Zahl der Tschetschenen in der Region St. Petersburg auf 20.000 bis 30.000. SOVA gab an, dass die Haltung gegenüber Personen aus dem Nordkaukasus negativer wird. Russen haben verschiedene Gründe, warum ihnen Personen aus dem Nordkaukasus unbehaglich seien:

Diese werden als anders oder als gewalttätig betrachtet, oder man hat Angst vor terroristischen Aktivitäten. In großen Städten werden sie zudem als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt betrachtet. Gemäß SOVA gab es seit 2008 einen Rückgang rassistisch motivierter Übergriffe. 2008 fielen 116 Personen rassistisch motivierten Morden zum Opfer, 2011 waren es 23. 2007 hatte es 623 Berichte über rassistisch motivierte Übergriffe gegeben, 2011 waren es 183. Die meisten Opfer stammten aus Zentralasien, Personen aus dem Kaukasus lagen bei den Opferzahlen an zweiter Stelle. Wenngleich die Berichterstattung über solche Verbrechen lückenhaft ist, kann dennoch aufgrund der von der Organisation gesammelten Information von einem tatsächlichen Rückgang von Hassverbrechen ausgegangen werden. Der Rückgang der Zahlen liegt gemäß SOVA daran, dass der Druck der Behörden auf Neonazi-Gruppen erhöht wurde und dass diese Gruppen nunmehr eher auf politischer Ebene partizipieren. 2011 wurden 189 Personen für gewalttätige Hassverbrechen verurteilt (2010: 297, 2009: 130). Gemäß der Chechen Social and Cultural Association ist die negative Stimmung nicht nur gegen Tschetschenen, sondern gegen Personen aus dem Kaukasus insgesamt gerichtet. Eine zunehmende Anzahl von jungen Kaukasiern studiert an Universitäten in Moskau, diese würden ihre ethnische Zugehörigkeit und Kultur offen zur Schau stellen; gelegentlich käme es zu (auch physischen) Auseinandersetzungen. Einer internationalen Organisation zufolge sind Moskau und St. Petersburg nicht mit anderen Städten Russlands vergleichbar, da dort die Menschen mehr Vorurteile gegenüber Migranten haben. Nicht nur Tschetschenen sind in den großen Städten Diskriminierung ausgesetzt. Die internationale Organisation geht jedoch nicht davon aus, dass im Allgemeinen diese Diskriminierung eine Verfolgung darstellt. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture ist Diskriminierung von Tschetschenen durch Behörden (etwa Polizisten) nicht auf einen Erlass oder Befehl der Regierung zurückzuführen, sondern auf persönliche Vorurteile und das Misstrauen einzelner. Mehrere Quellen gaben an, dass Tschetschenen heutzutage weniger oft für Personenkontrollen herausgegriffen werden, als etwa Zentralasiaten. Zumindest gelegentlich kommt es nach Aussage mehrerer Quellen vor, dass Tschetschenen Drogen oder Waffen untergeschoben werden, um einen Strafrechtsfall zu fabrizieren. Jedoch kommen solche Fälle falscher Anschuldigungen weniger oft vor als vor einigen Jahren und sind nicht systematisch; betroffen von solchen Praktiken sind nicht nur Tschetschenen. Mehreren Quellen zufolge finden nur sehr wenige Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens einen Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst und bei der Polizei (DIS 8.2012).

 

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann (BAA Staatendokumentation 20.4.2011).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

http://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/russland/russland-verfolgung-von-verwandten-dagestanischer-terrorverdaechtiger-ausserhalb-dagestans.pdf , Zugriff 10.3.2015

 

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Behandlung nach Rückkehr

 

Die Abschiebung von russischen Staatsangehörigen aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen). Der Abschiebung geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rückübernahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Personen von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Gemäß Rückübernahmeabkommen muss die Rückstellung 10 Tage vor Ankunft in der Russischen Föderation den russischen Behörden mitgeteilt werden. Wenn die rück zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rückübernahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation wird den Abgeschobenen von einem Mitarbeiter des Föderalen Migrationsdiensts der Russischen Föderation ein Fragebogen ausgehändigt. Das Ausfüllen dieses Fragebogens beruht auf Freiwilligkeit. Darin werden u.a. Fragen zum beabsichtigten Wohnsitz in Russland gestellt, zum Grund des Verlusts des Reisedokuments und ob man in dem Land, aus dem man abgeschoben wurden, ordentlich behandelt wurde. Dieser Fragebogen dient laut Auskunft der russischen Seite dazu, die lokalen Stellen des Föderalen Migrationsdienstes am Ort des beabsichtigten Wohnsitzes zu informieren, dass eine Überprüfung der Identität und der Staatsangehörigkeit bereits im Zuge der Rückübernahme stattgefunden hat und somit nicht nochmals erforderlich ist. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Abschiebung informiert wird und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden. Informationen zur weiteren Situation von Abgeschobenen nach ihrer Rückkehr in die Russische Föderation liegen der Botschaft nicht vor. Im November 2012 wurde ein per Sammelflug aus Österreich abgeschobener Tschetschene auf Grundlage eines Haftbefehls wegen KFZ-Diebstahls unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen in Moskau verhaftet. Wenige Tage später wurde ein weiterer, mit demselben Flug abgeschobener, Tschetschene in Grosny inhaftiert. Über beide Fälle wurde in den österreichischen Medien intensiv berichtet. Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern (freiwilligen Rückkehrern und Abgeschobenen) wird darauf hingewiesen, dass die der Botschaft vorliegenden Informationen sich in erster Linie auf Rückkehrer nach Tschetschenien beziehen. Laut einem Bericht des Menschenrechtszentrums Memorial Komitee Bürgerbeteiligung sind "in Tschetschenien alle gefährdet, die nach einer langen Abwesenheit nach Tschetschenien zurückkehren". Von anderer Seite wurde berichtet, dass Rückkehrer nach Tschetschenien mit verschiedenen Problemen konfrontiert sein können. Einerseits stehen Rückkehrer, ebenso wie die restliche Bevölkerung vor den alltäglichen Problemen der Region. Dies betrifft in erster Linie die hohe Arbeitslosigkeit (laut offiziellen Quellen lag diese im Mai 2014 bei 22,8%), die Wohnungsfrage und die Beschaffung von Dokumenten sowie die Registrierung. Viele Häuser wurden für den Neubau von Grosny abgerissen und der Kauf einer Wohnung sei für viele unerschwinglich, die Arbeitslosigkeit sei um einiges höher als in den offiziellen Statistiken angegeben und bei der Beschaffung von Dokumenten würden oft Schmiergeldzahlungen erwartet. Darüber hinaus stellen Rückkehrer eine besonders verwundbare Gruppe dar, da sie ein leichtes Opfer im Antiterrorkampf darstellen. Um die Statistiken zur Verbrechensbekämpfung aufzubessern, würden zum Teil Strafverfahren fabriziert und ehemaligen Flüchtlingen angelastet. Andererseits können Rückkehrer auch ins Visier staatlicher Behörden kommen, weil vermutet wird, dass sie tatsächlich einen Grund zur Flucht aus Tschetschenien hatten, d.h. Widerstandskämpfer waren oder welche kennen. Manchmal würden Rückkehrer gezwungen, für staatliche Behörden zu spionieren. Eine allgemein gültige Aussage über die Gefährdung von Personen nach ihrer Rückkehr nach Tschetschenien könne nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall und von der individuellen Situation des Rückkehrers abhängt. Von einer NGO in Tschetschenien, die freiwillige Rückkehrer betreut, wurde mitgeteilt, dass freiwillige Rückkehrer bei Behördenkontakten in der Regel nicht mit besonderen Problemen konfrontiert seien. Es sei weder ein besonders Prozedere für Rückkehrer noch Befragungen vorgesehen. Rückkehrer müssten auch bei der Neuausstellung von Dokumenten keine besonderen Fragen beantworten, viele seien ohnehin noch im Besitz ihres russischen Inlandspasses. Sogar wenn ein Heimreisezertifikat vorgelegt werde, würde dies nicht zu Problemen führen, da den Behörden die Situation in diesem Fall ohnehin klar wäre. Nichtsdestotrotz wurde mitgeteilt, dass es Einzelfälle gab, wo freiwillige Rückkehrer mit Heimreisezertifikaten bei Ankunft am Flughafen Moskau für einige Stunden angehalten wurden. Es sei ein Fall bekannt, wo ein freiwilliger Rückkehrer angeblich als ehemaliger Widerstandskämpfer "mitgenommen worden sei". Zur Wohnungssituation wurde mitgeteilt, dass Rückkehrer in der Regel bei Verwandten unterkommen (ÖB Moskau 10.2014). Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden (AA 10.6.2013).

 

Quellen:

 

 

 

1.2.2. Zur aktuellen Lage in der Russischen Föderation werden - wie in der angefochtenen Entscheidung - folgende Feststellungen getroffen:

 

Politische Lage

 

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3 .2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3 .2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt.

 

So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3 .2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

 

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3 .2017a).

 

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3 .2017a).

 

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

 

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015).

 

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens zurücktreten, nachdem er von Kadyrow kritisiert worden war, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter in die föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen im September 2016, wenn auch das Republikoberhaupt gewählt wird, durchzuführen. Die Entscheidung erklärte man mit potentiellen Einsparungen durch das Zusammenlegen der beiden Wahlgänge, Experten gehen jedoch davon aus, dass Kadyrow einen Teil der Abgeordneten durch jüngere, aus seinem Umfeld stammende Politiker ersetzen möchte. Bei den Wahlen vom 18. September 2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Den offiziellen Angaben zufolge wurde Kadyrow mit über 97% der Stimmen im Amt des Oberhauptes der Republik bestätigt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld HRW über Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte (ÖB Moskau 12.2016). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 24.1.2017).

 

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die darauf aus wären, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtlern, aber auch von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert. Im März ernannte Präsident Putin Kadyrow im Zusammenhang mit dessen im April auslaufender Amtszeit zum Interims-Oberhaupt der Republik und drückte seine Unterstützung für Kadyrows erneute Kandidatur aus. Bei den Wahlen im September 2016 wurde Kadyrow laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt, wohingegen unabhängige Medien von krassen Regelverstößen bei der Wahl berichteten (ÖB Moskau 12.2016). Im Vorfeld dieser Wahlen zielten lokale Behörden auf Kritiker und Personen, die als nicht loyal zu Kadyrow gelten ab, z.B. mittels Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlungen, Todesdrohungen und Androhung von Gewalt gegenüber Verwandten (HRW 12.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Sicherheitslage

 

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

 

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

 

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

 

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

 

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

 

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

 

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

 

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

 

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nordkaukasus allgemein

 

Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Aus dieser Region kommen in den letzten drei Jahren zwiespältige Nachrichten. Einerseits heißt es, der bewaffnete Untergrund sei deutlich geschwächt und zersplittert. Andererseits verlagerte sich der regionale Jihad, der sich als Kaukasus-Emirat manifestiert hatte, auf die globale Ebene, weil Kämpfer aus der Region sich islamistischen Milizen in Syrien und Irak anschlossen. Von dauerhafter Stabilität ist der Nordkaukasus wohl noch entfernt. Das zeigte zuletzt eine Serie von Anschlägen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien im Dezember 2016 und im März 2017. Zudem stellt sich für Russland, seine Nachbarn im Kaukasus und in Zentralasien wie auch für Europa die Frage, wie viele Jihadisten aus dem nun schrumpfenden IS-Territorium in ihre Heimatregionen zurückkehren werden. Für den Rückgang der Gewalt im Nordkaukasus werden unterschiedliche Gründe angeführt. Russische Sicherheitsorgane verweisen auf gesteigerte Effizienz bei der Bekämpfung des bewaffneten Untergrunds. In den letzten Jahren wurden dessen militärische und ideologische Führer in hoher Zahl bei gezielten Einsätzen von Eliteeinheiten getötet. Das Kaukasus-Emirat wurde innerlich gespalten, da viele seiner Führer sich von al-Qaida abwandten und dem sogenannten Islamischen Staat (IS) oder anderen Milizen in Syrien Treue schworen. Außerdem hieß es, russische Sicherheitsorgane hätten die Abwanderung von Kämpfern in den Mittleren Osten vorübergehend geduldet, wenn nicht sogar gefördert, um im eigenen Revier für Entlastung zu sorgen - besonders vor der Winterolympiade in Sotschi 2014. Seit 2016 sinkt die Jihad-Migration in den Mittleren Osten, da die Ressourcen des IS schrumpfen. Seine Anziehungskraft auf die nun zersplitternde Untergrundbewegung des Nordkaukasus hatte der IS in erster Linie seiner Territorialherrschaft zu verdanken, die in seinem Kerngebiet aber inzwischen zurückgedrängt wird. Auf seinem Staatsgebiet im Nordkaukasus favorisiert Russland militärische Einsätze, wenngleich in präzisierter, selektiver und gezielterer Form im Vergleich zur unverhältnismäßigen Gewalt in den beiden Tschetschenienkriegen, die nahezu in jeder tschetschenischen Familie Todesopfer gefordert hatte. Im Jahr 2009 eingeleitete Reformmaßnahmen, die auf sozioökonomische und politische Krisenursachen zielten, sind zugunsten der Agenda der "siloviki" (Sicherheitskräfte) wieder in den Hintergrund gerückt (SWP 4.2017).

 

In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben. Seit gut zehn Jahren liegt das Epizentrum von Gewalt nicht mehr in Tschetschenien. Dort konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

 

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 24.1.2017).

 

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar. Ein weiteres Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine harte Politik der Einschüchterung und Repression extremistischer Elemente. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer nach Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den letzten zwei Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2016).

 

Im ersten Quartal des Jahres 2017 gab es im Nordkaukasus 45 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 36 Todesopfer (25 Aufständische, 11 Exekutivkräfte) und neun Verwundete (sieben Exekutivkräfte, zwei Zivilisten). In Tschetschenien wurden im selben Zeitraum elf Exekutivkräfte und 17 Aufständische getötet, zwei Zivilisten und sechs Exekutivkräfte wurden verletzt. In Dagestan wurden im selben Zeitraum acht Aufständische getötet und ein Polizist verletzt. In Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Karatschay-Tscherkessien, Nordossetien-Alania und im Stavropol Gebiet gab es im selben Zeitraum keine Opfer (Caucasian Knot 15.5.2017).

 

Im Jahr 2016 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 287 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 258; 2014: 525 Opfer). 202 davon wurden getötet (2015: 209; 2014: 341), 85 verwundet (2015: 49; 2014: 184) (Caucasian Knot 2.2.2017). Im ersten Quartal 2016 gab es im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 48 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 20 davon getötet, 28 davon verwundet (Caucasian Knot 10.5.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, vor allem jedoch an der derzeit prominentesten und brutalsten Jihad-Front in Syrien und im Irak (SWP 4.2015).

 

2016 gab es in Tschetschenien 43 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 30; 2014: 117), davon 27 Tote und 16 Verwundete (Caucasian Knot 2.2.2017).

 

Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hat einen Anschlag auf einen russischen Militärstützpunkt in Tschetschenien für sich reklamiert. Sechs Angreifer hätten am Freitag, den 24.3.2017 eine Militärbasis der russischen Nationalgarde nahe dem Dorf Naurski im Nordwesten Grosnys in Tschetschenien gestürmt. Alle Angreifer seien bei den mehrstündigen Kämpfen auf dem Stützpunkt getötet worden (Zeit Online 24.3.2017). Nach Armeeangaben wurden bei dem Angriff auch sechs russische Nationalgardisten getötet. Die Nationalgarde erklärte, der Angriff sei in den frühen Morgenstunden bei dichtem Nebel erfolgt. Die Soldaten auf dem Stützpunkt hätten den Angriff zurückgeschlagen. Außer den Toten habe es auch Verletzte gegeben. Die im vergangenen Jahr gebildete Nationalgarde ist direkt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstellt. Sie hat den Auftrag, Grenzen zu schützen und Extremisten zu bekämpfen (Focus Online 24.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Sicherheitsbehörden

 

Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Im April 2016 wurde die Föderale Nationalgarde gegründet. Diese neue Exekutivbehörde steht unter der Kontrolle des Präsidenten, der ihr Oberbefehlshaber ist. Ihre Aufgaben sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache, Administrierung von Waffenbesitz, Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, Schutz der Öffentlichen Sicherheit und Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil (US DOS 3.3.2017).

 

Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Die Regierung verabsäumte es angemessene Schritte zu setzen, um die meisten Behördenvertreter, welche Missbräuche begingen, zu verfolgen oder zu bestrafen, wodurch ein Klima der Straffreiheit entstand. Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Aufständischen, islamischen Militanten und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führt, einschließlich Morde, Folter, körperliche Misshandlung und politisch motivierte Entführungen. Die Regierung untersucht und verfolgt Missbräuche nicht adäquat, besonders wenn regionale Behörden involviert waren. Tschetschenische Sicherheitsbehörden unter direkter Kontrolle von Ramzan Kadyrow können mit Straffreiheit rechnen, sogar bei Drohungen gegen russische Sicherheitsbehörden, die versuchen in Tschetschenien tätig zu werden (US DOS 13.4.2016).

 

Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA 24.1.2017).

 

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Von russischer Seite werden die meisten Operationen im Nordkaukasus gegen Terroristen heute nicht mehr vom Militär, sondern von Einheiten des Innenministeriums und des Geheimdienstes durchgeführt. Diese sind zwar nicht weniger schwer bewaffnet, nur soll so der Eindruck eines Krieges vermieden werden (Zenith 10.2.2014). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnender Weise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen (Rüdisser 11.2012). Ramsan Kadyrows Macht gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen Kadyrowzy. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet und ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Kämpfern der Rebellen (EASO 3.2017).

 

NGOs berichten, dass lokale Polizeibeamten manchmal nicht auf Anzeigen von Vergewaltigungen und häuslicher Gewalt reagieren, solange das Leben des Opfers nicht in Gefahr ist. Viele Frauen melden keine Vergewaltigungen oder andere Arten von Gewalt, besonders wenn sie von Ehepartner begangen wurden, aufgrund des sozialen Stigmas und dem Mangel an offizieller Unterstützung (US DOS 3.3.2017, vgl. EASO 3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Folter und unmenschliche Behandlung

 

Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von

Artikel 21.2 der Verfassung und Art. 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 12.2016, vgl. EASO 3.2017).

 

Aus ganz Russland werden Folter und Todesfälle von Häftlingen - insbesondere in Polizeigewahrsam oder in Untersuchungshaft - gemeldet. NGOs wie "Amnesty International" oder das russische "Komitee gegen Folter" berichten, dass es bei Verhaftungen, in Polizeigewahrsam und Untersuchungshaft zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung durch die Polizei und die Ermittlungsbehörden kommt. Opfer, die ihr Recht auf Entschädigung geltend machen wollten, wurden häufig unter Druck gesetzt, um sie zu einer Rücknahme ihrer Klage zu bewegen. Untersuchungen von Foltervorwürfen blieben fast immer folgenlos. Unter Folter erzwungene "Geständnisse" wurden vor Gericht als Beweismittel anerkannt. Nur in einigen wenigen Fällen, in denen sich Menschenrechtsorganisationen eingeschaltet hatten, wurde Anklage gegen die an der Folter beteiligten Staatsbediensteten erhoben. Es gibt v.a. im Nordkaukasus Fälle von Folter sowie Straflosigkeit für Vergehen der Sicherheitskräfte (AA 24.1.2017).

 

Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 3.3.2017).

 

Auch 2016 waren systematische Folter und andere Misshandlungen in den ersten Tagen der Haft und in Gefängniskolonien weit verbreitet (AI 22.2.2017).

 

Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Menschenrechtslage Tschetschenien

 

NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. Im März 2016 wurde eine Gruppe russischer und ausländischer Journalisten und Menschenrechtler an der Grenze zwischen Inguschetien und Tschetschenien attackiert, ihre Fahrzeuge wurden in Brand gesteckt. Die Pressereise war von der russischen NGO "Komitee gegen Folter" organisiert worden, die in Tschetschenien bereits in den letzten Jahren zur Zielscheibe geworden war (ÖB Moskau 12.2016, vgl. AI 22.2.2017).

 

In den letzten Monaten häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischen Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der soziökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten. So musste ein Mann, der sich im April 2016 in einem Videoaufruf an Präsident Putin über die Misswirtschaft und Korruption lokaler Beamter beschwerte, nach Dagestan flüchten, nachdem sein Haus von Unbekannten in Brand gesteckt worden war. Einen Monat später entschuldigte sich der Mann in einem regionalen Fernsehsender. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow darüber hinaus mit einer kaum verhüllten Warnung vor Kritik an seiner Politik in einem TV-Beitrag an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora. Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein; man wisse, wer sie seien und wo sie leben, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow (ÖB Moskau 12.2016).

 

Nach dem Angriff auf Grosny im Dezember 2014 verfügte Ramzan Kadyrow, dass die Häuser der Familien von Terroristen niedergebrannt werden und die Angehörigen des Landes verwiesen werden (Tagesspiegel 19.12.2014, vgl. HRW 12.1.2017).

 

Auch 2016 wurden aus dem Nordkaukasus schwere Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Operationen der Sicherheitskräfte gemeldet, darunter Fälle von Verschwindenlassen und mutmaßlichen außergerichtlichen Hinrichtungen. Auch Menschenrechtsverteidiger waren in der Region gefährdet (AI 22.2.2017, vgl. HRW 12.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Rebellentätigkeit / Unterstützung von Rebellen

 

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen (ÖB Moskau 12.2016). Über Jahre sind die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte, die unter Kadyrows De facto-Kontrolle stehen, mit illegalen Methoden gegen mutmaßliche Rebellen und ihre Unterstützer/innen vorgegangen, mit der Zeit sind sie jedoch dazu übergegangen, diese Methoden gegenüber Gruppen anzuwenden, die von den tschetschenischen Behörden als "unerwünscht" erachtet würden, beispielsweise lokale Dissidenten, unabhängige Journalisten oder auch salafistische Muslime. In den letzten zehn Jahren gab es andauernde, glaubhafte Anschuldigungen, dass die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den aggressiven islamistischen Aufstand an Entführungen, Fällen von Verschwindenlassen, Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und kollektiven Bestrafungen beteiligt gewesen seien. Insbesondere Aufständische, ihre Verwandten und mutmaßliche Unterstützer/innen seien ins Visier geraten. Kadyrow setzte lokale salafistische Muslime und Aufständische oder deren Unterstützerinnen weitgehend gleich. Er habe die Polizei und lokale Gemeinschaften angewiesen, genau zu überwachen, wie Personen beten und sich kleiden würden, und die zu bestrafen, die vom Sufismus abkommen würden (HRW 26.5.2017).

 

Familienmitglieder von "Foreign Fighters" dürften weniger schweren Reaktionen seitens der Behörden ausgesetzt sein, als Familienmitglieder von lokalen Militanten. Wenn Foreign Fighters in die Russische Föderation zurückkehren, müssen sie mit Strafverfolgung rechnen. Die Schwere der Strafe hängt davon ab, ob sie sich den Behörden stellen und kooperieren. Jene, die sich nicht stellen, laufen Gefahr, in sogenannten Spezialoperationen liquidiert zu werden (Landinfo 8.8.2016).

 

Als Vergeltungsmaßnahme sollen tschetschenische Sicherheitskräfte im Jänner 2017 27 Menschen hingerichtet haben. Das berichtete die russische regierungskritische Zeitung "Nowaja Gaseta" unter Berufung auf lokale Ordnungskräfte. Demnach wollte die tschetschenische Führung den Mord an einem Polizisten rächen. Der Polizist wurde vermutlich von islamistischen Kämpfern ermordet. Tschetschenische Regierungsvertreter bestreiten die Vorfälle aufs schärfste (ORF.at 9.7.2017, vgl. Standard 10.7.2017). Caucasian Knot berichtet, das im Jänner 2017 Ramsan Kadyrow bei einem Auftritt in Grosny, der im Fernsehen übertragen worden sei, die Sicherheitskräfte angewiesen habe, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in die Irre geführt worden seien (Caucasian Knot 25.1.2017).

 

Im August 2014 meldete der Inlandsgeheimdienst FSB Erfolge bei der Bekämpfung von Terrorismus im Nordkaukasus, was in Expertenkreisen jedoch auf Zweifel stieß. Die Rede war von 328 potentiellen Terroristen, die im ersten Halbjahr 2014 verhaftet wurden. Da die Sicherheitskräfte im Nordkaukasus aber nach dem Prinzip kollektiver Bestrafung vorgehen, handelte es sich hierbei möglicherweise weniger um aktive Untergrundkämpfer als um Personen aus deren sozialem und verwandtschaftlichem Umfeld. Im Januar 2015 berichtete das russische Innenministerium, 2014 sind 259 Rebellen, darunter 36 Kommandeure, von Sicherheitskräften getötet und 421 Untergrundkämpfer verhaftet worden (SWP 4.2015). [Neuere Zahlen konnten nicht gefunden werden.]

 

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnapping wird von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

 

Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden. Nach Einschätzung von Experten wird das Gesetz weitgehend zur Diskriminierung der Angehörigen Terrorismusverdächtiger führen. Weiter kritisieren Experten, dass das Gesetz durch die unklare Verwendung der Begriffe "Verwandte" und "nahestehende Personen" sich gegen ganze Familienclans in den muslimischen Republiken des Nordkaukasus richten könne. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina werden Familienangehörige von Terrorverdächtigen oft beschuldigt, sie unterstützten auch illegale bewaffnete Gruppierungen auf verschiedenste Art und Weise. Insbesondere kritisiert die Menschenrechtsaktivistin, dass bereits der bloße Verdacht für eine Anschuldigung reiche und kein Beweis notwendig sei. Die Verfolgung von Verwandten und Freunden von Aufständischen ist seit 2008 im Nordkaukasus weit verbreitet und geht oft mit der Zerstörung des Besitzes und Hauses einher. Nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen kommt es zu Übergriffen und Kollektivstrafen durch Sicherheitskräfte, die gegen Familien von vermuteten Terroristen gerichtet sind (SFH 25.7.2014).

 

Nach der Terrorattacke auf Grosny am 4.12.2014, hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter" Igor Kaljapin, dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard 14.12.2014).

 

In Bezug auf Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges, erging von der KA der ÖB Moskau die Information, dass sich auf youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=0viIlHc51bU ein Link zu einem Nachrichtenbeitrag, der am 23.04.2014 auf youtube veröffentlicht wurde, findet. Diesem Beitrag zufolge haben tschetschenische Ermittlungsbehörden Anfragen an die Archivbehörden des Verteidigungsministeriums in Moskau gerichtet, um Daten zu erfahren, die ein militärisches Geheimnis darstellen: Nummern militärischer Einheiten, Namen von Kommandeuren und Offizieren, die der Begehung von Kriegsverbrechen verdächtig sind, Fotos dieser Personen; Familienname und Rang von Teilnehmern an Spezialoperationen, in deren Verlauf Zivilisten verschwunden sind. Unbekannt ist laut Bericht, ob die tschetschenischen Behörden die angefragten Informationen erhalten haben. Im Interview betont der Pressesekretär des tschetschenischen Präsidenten, Alvi Karimov, dass an den Anfragen nichts Besonderes sei; es gehe um die Aufklärung von Verbrechen, die an bestimmten Orten begangen wurden, als sich dort russisches Militär aufgehalten habe und die Anfragen seien gestellt worden zur Identifizierung der Militärangehörigen, die sich zu dieser Zeit dort aufgehalten haben, aber nicht zur Identifizierung aller Teilnehmer an militärischen Handlungen. Diese Anfragen beziehen sich offenbar auf Kampfhandlungen des 1. und 2. Tschetschenienkrieges. Aus den Briefköpfen der Anfragen ist allerdings ersichtlich, dass diese schon aus dem Jahr 2011 stammen. Hinweise auf neuere Anfragen oder Verfolgungshandlungen tschetschenischer Behörden konnten ho. nicht gefunden werden, ebenso wenig wie Hinweise darauf, dass russische Behörden tschetschenische Kämpfer der beiden Kriege suchen würden. Hinweise darauf, dass Verwandte von Tschetschenien-Kämpfern durch russische oder tschetschenische Behörden zu deren Aufenthaltsort befragt würden, konnten ho. nicht gefunden werden (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Nach Ansicht der Österreichischen Botschaft kann aus folgenden Gründen davon ausgegangen werden, dass sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung mittlerweile auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen konzentrieren, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen:

 

1. Es konnten keine Hinweise auf Verfolgung von Veteranen der Tschetschenien-Kriege nach 2011 gefunden werden, es gibt im Internet jedoch zahlreiche Berichte neueren Datums über antiterroristische Spezialoperationen im Nordkaukasus.

 

2. Zahlreichen Personen, nach denen von russischen Behörden gefahndet wird (z.B. Fahndungen via Interpol), werden Delikte gemäß § 208 Z 2 1. Fall (Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation) oder gemäß § 208 Z 2 2. Fall (Teilnahme an einer bewaffneten Formation auf dem Gebiet eines anderen Staates, der diese Formation nicht anerkennt, zu Zwecken, die den Interessen der RF widersprechen) des russischen StGB zur Last gelegt. In der Praxis zielen diese Gesetzesbestimmungen auf Personen ab, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen bzw. auf Personen, die ins Ausland gehen, um aktiv für den IS zu kämpfen (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Islamischer Staat (IS)

 

Zusammenfassend ist festzustellen, dass der IS in der Russischen Föderation und speziell im Nordkaukasus in den letzten Jahren zunehmend als reelle Bedrohung wahrgenommen wird, auf die seitens der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden vor allem im Nordkaukasus mit großer Härte reagiert wird: In diesem Landesteil gehen die Behörden gegen tatsächliche oder mutmaßliche Islamisten mit teils gewaltsamer Repression vor. Es kommt zu Razzien in Moscheen, Festnahmen, Zerstörung von Wohnhäusern angeblicher Islamisten, Misshandlungen, Entführungen und Fällen von "Verschwindenlassen" sowie "außergerichtlichen" Tötungen. Im Nordkaukasus wenden die lokalen Polizeibehörden sowie die nationalen Sicherheitsbehörden auch Folter an. Salafisten werden von Angehörigen des Militärs und der Geheimdienste verdächtigt, den bewaffneten Aufstand zu unterstützen oder daran beteiligt zu sein und nicht selten entführt und in der Folge getötet. Aktionen von Sicherheitskräften nehmen auch die Familienangehörigen von bewaffneten Untergrundkämpfern ins Visier. Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden - ihrer Straflosigkeit gewiss - missbrauchten ihre Macht, um im "Krieg gegen den Terror" Erfolgsquoten zu liefern oder gar um Geld von den Angehörigen der Verhafteten zu erpressen (Accord, Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation: Dagestan: Korruption bei der Polizei, 12. Oktober 2016).

 

Salafistische Organisationen bzw. Muslime, die religiösem Extremismus nahe stehen oder unter ausländischem Einfluss stehen sollen, werden im Nordkaukasus als Wahhabiten bezeichnet und teilweise pauschal mit Terroristen gleichgesetzt. Sie müssen in Tschetschenien und Dagestan bereits ohne Hinzutreten weiterer Handlungen oder konkreter Verdächtigungen befürchten, von den Sicherheitsbehörden als "Extremisten" verhaftet zu werden.

 

Bewegungsfreiheit

 

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes, als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung. Somit steht Tschetschenen, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.] das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Es ist grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen. An den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor Kontrollposten, die gewöhnlich eine nicht staatlich festgelegte "Ein- bzw. Ausreisegebühr" erheben (AA 24.1.2017, vgl. US DOS 3.3.2017, FH 2017).

 

Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen. Dies gilt nicht für Pendler (US DOS 3.3.2017).

 

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Der Inlandspass ermöglicht die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme, die Eröffnung eines Bankkontos, aber auch den Kauf von Bahn- und Flugtickets (AA 24.1.2017).

 

Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

Meldewesen

 

Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch Vorweisen der Busfahrkarte. Wenn jemand ausreist, um im Ausland zu leben, so wird dies registriert und in seinem Reisepass vermerkt. Umgangssprachlich wird die Registrierung nach wie vor so genannt, wie das Meldesystem zu Sowjetzeiten: "Propiska" (Russisch:

?????¿???). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum (ggf. Bescheinigung des Vermieters). Eine Arbeitsstelle oder Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen. Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die zuständige lokale Behörde schicken. Eine Registrierung ist wie ausgeführt für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, werden am Aufenthaltsort registriert. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Staatsbürger können bei Verwandten unterkommen oder selbstständig einen Wohnraum organisieren. Die föderal-gesetzlichen Regeln für die Registrierung gelten in der gesamten Russischen Föderation einheitlich, werden jedoch regional unterschiedlich angewendet. Korruption soll auch im Bereich der Registrierung in nicht unbeträchtlichem Ausmaß vorkommen, insbesondere in der Hauptstadt Moskau (BAA 12 .2011). Gegen Jahresmitte 2016 wurde der FMS aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert (ÖB Moskau 12.2016). Die neue Behörde, die die Aufgaben des FMS übernommen hat, ist die Hauptverwaltung für Migrationsfragen (General Administration for Migration Issues - GAMI) (US DOS 3.3.2017).

 

Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen. In Mietanzeigen werden Zimmer oft nur für Slawen angeboten. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence ist es für Tschetschenen leichter, in kleineren Orten als Moskau und St. Petersburg zu leben, jedoch ist es in großen Städten leichter, unterzutauchen. Personen, die Kadyrow fürchten, würden ihren Aufenthalt nicht registrieren lassen. Auch in St. Petersburg werden in Mietanzeigen Wohnungen oft nur für Russen angeboten. Tschetschenen nutzen aber ihre Netzwerke, um Wohnungen zu finden. Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture sind tschetschenische Familien, die in andere Regionen Russlands kommen, nicht automatisch schweren Rechtsverletzungen ausgesetzt. Öffentlich Bedienstete haben kein Recht, einem Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, weshalb im Endeffekt jeder registriert wird. Tschetschenen könnten Diskriminierung durch die Behörden ausgesetzt sein, nicht aber Gewalt. Laut einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence und einer westlichen Botschaft zufolge könnten aber temporäre Registrierungen nur für drei Monate anstatt für ein Jahr ausgestellt werden, weshalb dann die betroffene Person öfter zum Amt kommen muss (DIS 8.2012). Im FFM Bericht des Danish Immigration Service vom Jänner 2015 wird berichtet, dass es keine größeren Änderungen in Bezug auf die Registrierung gibt. Es gibt eine Neuheit, nämlich dass eine Person in dem Apartment wohnen muss, wo sie registriert ist. Wenn die Person woanders wohnt, könnte der/die Eigentümer/in bestraft werden. Aufgrund dessen könnte es schwieriger sein, den Wohnort zu registrieren. Einige Vermieter möchten auch keine Mieter registrieren, da sie Steuerabgaben vermeiden wollen (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb der Republik Tschetschenien

 

Was die Anzahl von Tschetschenen im Rest des Landes anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen. Laut Volkszählung 2010 lebten etwa in Moskau ca. 14.500 Tschetschenen (von insgesamt 1.4 Mio landesweit). Es ist anzunehmen, dass die tatsächliche Zahl größer ist, insbesondere wenn man sie mit den Angaben über andere, kleinere Nationalitäten vergleicht (ca. 11.400 Osseten, über 17.000 Mordwinen). Dabei ist auch zu bedenken, dass laut der Statistik fast 700.000 Personen keine Angaben über ihre nationale Zugehörigkeit machten. In den meisten Regionen Russlands lag die Anzahl der Tschetschenen bei der Volkszählung 2010 bei einigen Hundert, größere Gemeinschaften gab es in Dagestan (ca. 93.600), in Inguschetien (ca. 18.700), sowie in den südlichen Regionen Astrachan (ca. 7.200), Wolgograd (fast 10.000), Rostow (ca. 11.500), Stawropol (ca. 12.000), Saratow (ca. 5.700) und im westsibirischen Tjumen (ca. 10.500) (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die Bevölkerung in Tschetschenien selbst wird auf etwa 1,3 Millionen geschätzt, wobei auch hier die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien in Frage gestellt werden. Laut Aussagen von Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in Russland, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Eine der derzeitigen Hauptmigrationsrouten aus dem Nordkaukasus nach Mitteleuropa führt über Belarus und Polen. Laut einer Analyse der Jamestown Foundation soll die tschetschenische Diaspora in Europa rund 150.000 Personen umfassen, die tschetschenische Diaspora in Österreich wird auf rund 30.000 Personen geschätzt. Das tschetschenische Oberhaupt hat verlautbart, die Bande zu den tschetschenischen Gemeinschaften außerhalb der Teilrepublik aufrecht halten zu wollen, wobei unabhängigen Medien zufolge auch Familienmitglieder in Tschetschenien für als ungebührlich empfundenes Verhalten Angehöriger gemaßregelt bzw. unter Druck gesetzt werden. Abgesehen davon sind auch vereinzelte Fälle gezielter Tötungen politischer Gegner im Ausland bekannt geworden. Prominentes Beispiel dafür sind die Brüder Jamadajew, von denen einer in Moskau erschossen und ein anderer in Dubai umgebracht wurde, während ein dritter sich mit Kadyrow ausgesöhnt haben soll. Insgesamt schwanken die mitunter ambivalenten Aussagen von Kadyrow zur Migration nach Westeuropa zwischen Toleranz und Kritik. Vor diesem Hintergrund herrscht aus menschenrechtlicher Perspektive die Einschätzung vor, dass die gemessen an der Größe der tschetschenischen Diaspora innerhalb und außerhalb Russlands quantitativ geringe Zahl an tatsächlich Verfolgten sowohl im Inland als auch im Ausland in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein können. Auf das Potential zur Instrumentalisierung dieser nur selten begründbaren Gefährdungslage wird meist dann zurückgegriffen, wenn sozio-ökonomische Motive hinter dem Versuch der Migration nach Westeuropa stehen, wie von menschenrechtlicher Seite eingeräumt wird. Analysten weisen überdies auf den dynamischen Wandel des politischen Machtgefüges in Tschetschenien sowie gegenüber dem Kreml hin. Prominentes Beispiel dafür ist der Kadyrow-Clan selbst, der im Zuge der Tschetschenienkriege vom Rebellen- zum Vasallentum wechselte. Laut einer aktuellen Analyse des Carnegie-Zentrums in Moskau sollen die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren, Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht erstrecke sich allerdings nicht über die Grenzen Tschetscheniens hinaus. Überdies wird hervorgehoben, dass das tschetschenische Vasallentum zum Kreml in gewisser Konkurrenz mit den föderalen Sicherheitskräften um das Machtmonopol in Tschetschenien selbst stehe. Andere Kommentatoren verweisen auf die Rivalität zwischen verschiedenen islamischen Strömungen in Tschetschenien, insbesondere zwischen dem traditionellen Sufismus und dem als wenig autochthon kritisierten Salafismus. Die Heterogenität und Dynamik des politischen und religiösen Machtgefüges in Tschetschenien prägen also auch die oppositionellen Strömungen. Überdies wirken sozio-ökonomische Motive als bedeutende ausschlaggebende Faktoren für die Migration aus dem Nordkaukasus. Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gilt dessen Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften. Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen explizite Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Was die sozio-ökonomischen Grundlagen für die tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands betrifft, ist davon auszugehen, dass die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch entsprechende Chancen für russische Staatsangehörige aus der bislang eher strukturschwachen Region des Nordkaukasus bieten. Parallel dazu zeigt sich die russische Regierung bemüht, auch die wirtschaftliche Entwicklung des Nordkaukasus selbst voranzutreiben, unter anderem auch durch Ankurbelung ausländischer Investitionstätigkeit. Dazu führte etwa der für den Nordkaukasus zuständige Minister Ende Februar 2016 Arbeitsgespräche mit dem BMWFW in Wien, und Anfang April veranstaltete die WKÖ eine Marktsondierungsreise in die Region. Für 2017 prognostiziert die Weltbank ein moderates Wachstum der russischen Volkswirtschaft (ÖB Moskau 12.2016).

 

Gemäß Einschätzung verschiedener NGOs greifen Strafverfolgungsbehörden oft auf ein ethnisches "Profiling" zurück. Dieses richte sich besonders gegen Personen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina beschuldigen russische Behörden Personen aus dem Nordkaukasus oft willkürlich für Straftaten, die sie nicht begangen, die sich aber tatsächlich ereignet hätten. Die Ermittler würden eine Straftat so darstellen, dass die Mitschuld der betroffenen Person aus dem Nordkaukasus als erwiesen erscheine. Nach Angaben von Gannuschkina würden dabei auch Geständnisse mittels Folter (Schläge, Elektroschocks, Vergewaltigung oder die Androhung von Vergewaltigung) erpresst. Staatsanwälte unterstützten in der Regel diese Untersuchungen. Die Gerichte würden die Mängel der Untersuchung ignorieren und oft eine unbedingte Strafe verhängen. Laut Gannuschkina versuchen Polizeivertreter, die Zahl von aus dem Nordkaukasus stammenden Personen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten zu verringern. Die polizeilichen Führungskräfte würden diese Maßnahmen unterstützen. Nach Angaben einer westlichen Botschaft in Moskau aus dem Jahr 2012 kommen fingierte Strafverfahren vor, jedoch nicht in systematischer Weise. Es gebe Berichte, dass insbesondere junge muslimische Personen aus dem Nordkaukasus Opfer solcher Praktiken werden können. Auch die norwegische Landinfo kommt im März 2014 zum Schluss, dass es weiterhin fingierte Strafverfahren gegen Personen aus dem Nordkaukasus und Tschetschenien gebe (SFH 25.7.2014).

 

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Ihr Aufenthalt wird aber durch antikaukasische Stimmungen erschwert. In großen Städten wird der Zuzug von Personen reguliert und ist erkennbar unerwünscht. Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem "langen Arm" des Regimes von Ramsan Kadyrow nicht sicher. Bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind etwa auch in Moskau präsent. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist in den letzten Jahren stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben) (AA 24.1.2017).

 

Laut UNHCR in Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities. Die größten befinden sich in Moskau, der Region Moskau und in St. Petersburg. Hauptsächlich arbeiten Tschetschenen im Baugewerbe und im Taxibusiness. In der Region Wolgograd leben ca. 20.000 Tschetschenen. Einige von ihnen leben dort schon seit 30 Jahren. Viele flohen aus Tschetschenien während der beiden Kriege. Mittlerweile sind die Zahlen von ankommenden Tschetschenen geringer geworden. 2013 kamen weniger als 500 Tschetschenen in die Region. Die meisten Tschetschenen verlassen die Republik aufgrund der sehr bescheidenen sozio-ökonomischen Aussichten in ihrer Heimatrepublik. Laut Memorial Wolgograd gibt es keine Beschwerden von Tschetschenen in der Region aufgrund von Rassismus oder Diskriminierung. Tschetschenen haben denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsbürger. Heutzutage kommen Tschetschenen hauptsächlich zum Zwecke eines Studiums nach Wolgograd. Mittlerweile sind die Lebensbedingungen in Wolgograd nicht so gut wie in Tschetschenien. Dies liegt an den föderalen Fördermittel, die Tschetschenien erhält. Die Bevölkerung in Wolgograd sinkt, während jene in Tschetschenien steigt (DIS 1.2015).

 

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann (BAA Staatendokumentation 20.4.2011).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Behandlung nach Rückkehr

 

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen). Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation müssen sich alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. Gegen Jahresmitte wurde der FMS allerdings aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden. Im November 2012 wurde etwa ein per Sammelflug aus Österreich rücküberstellter Tschetschene auf Grundlage eines Haftbefehls wegen KFZ-Diebstahls unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen in Moskau verhaftet. Wenige Tage später wurde ein weiterer, mit demselben Flug rücküberstellte Tschetschene in Grozny in Haft genommen und zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Über beide Fälle wurde in den österreichischen Medien intensiv berichtet. Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus, die landesweit hohe Inflation sowie das durch die Wirtschaftskrise ausgelöste Sinken der Realeinkommen. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen große Teile der russischen Bevölkerung und können somit laut Einschätzung der Botschaft nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich aufgrund der regionalen Spezifika insbesondere für Frauen. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche (politische) Verfolgung durch die russischen oder im speziellen die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Aus gut informierten Kreisen war jedoch zu erfahren, dass Rückkehrer gewöhnlich mit keiner Diskriminierung von Seiten der Behörden konfrontiert sind (ÖB Moskau 12.2016).

 

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Solange die Konflikte im Nordkaukasus, einschließlich der Lage in Tschetschenien, nicht endgültig gelöst sind, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt. Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

1.2.3. Die Konsularabteilung der österreichischen Botschaft in Moskau konnte im Juni 2017 auf entsprechende Anfrage hin keine Informationen mit Hinweisen darauf finden, dass Personen, die im Ausland wegen einer Mitgliedschaft in der Terrororganisation IS strafgerichtlich verurteilt worden seien und eine Haftstrafe bereits verbüßt hätten, in der Russischen Föderation abseits einer eigentlichen Strafverfolgung Opfer von Menschenrechtsverletzungen worden seien. Ebenso wenig lägen Berichte über Menschenrechtsverletzungen an entlassenen Straftätern vor, die in der Russischen Föderation wegen terroristischer Verbrechen verurteilt worden seien.

 

1.3. Zur Terrororganisation Islamischer Staat:

 

1.3.1. Zur Geschichte und Struktur des Islamischen Staats werden folgende Feststellungen getroffen:

 

Der Islamische Staat (IS) ist eine dschihadistisch-salafistische terroristische Vereinigung (Anmerkung: Salafismus = "die Orientierung an den frommen Altvorderen"; das Verständnis des Islam orientiert sich an der Frühzeit der Religion und wird daher von ihren Anhängern als unverfälscht angesehen). Je nach Kontext sind diese radikalen Strömungen unterschiedlich geprägt und haben unterschiedliche Forderungen. Gemeinsam ist ihnen jedoch ein Fundamentalismus im Wortsinne, weil viele Jahrhunderte theologischer Entwicklung ignoriert werden, um direkt zu den Quellen Koran und Sunna zurückzugehen. Ein Anhänger der Salafiyya wird als Salafi bezeichnet, der inzwischen übliche Begriff Salafist bezieht sich meist nur auf die zeitgenössische Bewegung, deren Ziel die gewaltsame Errichtung eines Kalifats ist, welches Syrien und den Irak, aber auch den Libanon, Israel, Palästina und Jordanien umfassen soll. Sowohl in Syrien als auch im Irak tritt seit mehr als zehn Jahren eine sunnitisch geprägte Terrorgruppe als eine der Konfliktparteien auf, die sich nach zahlreichen Umstrukturierungen und Namensänderungen heute als IS bezeichnet. Sie konnte jeweils das Machtvakuum im Irak und im nördlichen Syrien erfolgreich nutzen, um dort mit Gewalt ihre Interessensphäre schrittweise zu erweitern.

 

Im April 2004 schlossen sich frühere Gefolgsleute Saddam Husseins und aus der aufgelösten irakischen Armee entlassene Soldaten unter Führung des jordanischen Terroristen Abu Musab AZ-ZARQAWI zur "Gemeinschaft für den Tauhid und Dschihad" (idF: JTJ) zusammen. JTJ machte sich zunächst mit Entführungen (zur Erpressung von Lösegeldern) und Ermordungen ausländischer Zivilisten und Personen aus der schiitischen Elite des Irak einen Namen. Erst mit ZARQAWI-s Schritt, Al Qaida seine Treue zu bekunden (ohne sich allerdings tatsächlich unterzuordnen), wurde seine seit Oktober 2004 unter dem Namen "Tazim Qaìdat al-Dschihad Bilad ar-Rafidain" ("Basis des Dschihad im Zweistromland" [idF: TQJBR]) agierende Organisation finanziell von solchen Entführungen unabhängiger, zumal die "Al-Qaida im Irak" (idF: AQI), nunmehr auch finanzielle Unterstützung von anderer Seite erlangte. Ab diesem Zeitpunkt änderte AQI auch ihr Vorgehen. Sie verübte nun im Irak in hoher Frequenz und mit verheerenden Folgen Selbstmordattentate und Bombenanschläge gegen schiitische Prozessionen, Heiligtümer und Wohngebiete, am 9.11.2005 auch Sprengstoffanschläge auf mehrere Hotels in Amman/Jordanien, um eine noch größere Aufmerksamkeit für ihren Kampf zu erhalten und ihren Ideen einen noch stärkeren Nachdruck zu verleihen. Nachdem ZARQAWI im Juni 2006 bei einem amerikanischen Luftangriff getötet worden war, übernahm zunächst Abu Ayyub AL-MASRI und ab Mai 2010 Abu Bakr ALBAGHDADI die Führung der "ad-Dawlat al-Islamiya fil-Iraq" ("Islamischer Staat im Irak" [idF: ISI]), wie sich AQI seit Oktober 2006 nannte. Autobomben- und Selbstmordanschlägen der ISI fielen im Irak allein 2007 etwa 1.900 Menschen zum Opfer, 2008 bis 2012 kam es bei Anschlägen vor allem auf schiitische Moscheen und Pilger sowie auf frequentierte Märkte zu insgesamt etwa 3.000 Toten. Obwohl ISI schrittweise in den Untergrund gedrängt worden war, konnte er mit Unterstützung von Sympathisanten in Armee und Polizei seine Aktivitäten im Irak unvermindert fortsetzen. Die finanzielle Basis sicherten dabei Einnahmen aus Erdölschmuggel sowie von den Händlern Mossuls erpresste Steuern. Auf Seiten der AQI/ISI kämpfte unter anderem der Syrer Abu Muhammad AL-DSCHOLANI, der Mitte 2011 mit vielen seiner Landsleute in seine Heimat zurückkehrte, um, zusammen mit von ASSAD unterdrückten Salafisten, das Regime in Damaskus zu beseitigen. Der hierzu von ALDSCHOLANI aufgebauten "Jabhat an-Nusra il Ahl ash-Sham" ("Hilfsfront für das syrische Volk", "Al-Nusra-Front") ging es allerdings nur bedingt um die "Befreiung" des syrischen Territoriums. Vielmehr wollte sie auf dem "heiligen" Boden Syriens den Nukleus eines sunnitischen Weltreichs schaffen. Dies lief jedoch den Bestrebungen der ISI-Miliz zuwider: ISI wollte nach Gründung eines islamischen Staates im Irak unter sunnitischer Führung diesen auf Syrien, Jordanien und den Libanon ausdehnen, anschließend Jerusalem "befreien" und langfristig ebenfalls einen panislamischen Staat aufbauen. Das führte daher zu der Befürchtung von ISI, durch die zunehmenden Erfolge der Al-Nusra-Front marginalisiert zu werden. Aus diesem Grund trat ISI im Frühjahr 2013 als "Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien" (idF: ISIS) in den syrischen Bürgerkrieg ein. Zum Zusammenschluss zwischen ISIS und der Al-Nusra-Front, wie er von AL-BAGHDADI verkündet wurde, kam es allerdings nicht, denn AL-DSCHOLANI weigerte sich, seine Kämpfer dem ISIS zu unterstellen. Stattdessen kam es in Syrien zwischen beiden Gruppen sogar zu bewaffneten Auseinandersetzungen, in deren Folge die Al-Qaida-Führung ISIS aus der Organisation ausschloss. Der ISIS gelang es dennoch, im syrischen Bürgerkrieg schrittweise die Kontrolle über weite Gebiete des Landes (einschließlich der ökonomisch wichtigen Ölfelder um Dair az-Zor) zu gewinnen und sich zwischen Aleppo und der türkischen Grenze festzusetzen. Am 29.6.2014 verkündete der Sprecher der "ISIS", Abu Muhammad AL-ADNANI, in einer - auch in russisch, englisch, französisch und deutsch übersetzten - Audiobotschaft die Ernennung des "Emirs" Abu Bakr AL-BAGHDADI zum "Kalifen" (Nachfolger des Propheten) und die Umbenennung der Organsiation in "ad-Dawlat al-Islamiy/Islamischer Staat (IS)", wodurch - unter Beibehaltung des bisherigen ideologischen Ausrichtung - eine Abkehr der regionalen Selbstbeschränkung auf ein "Großsyrien" und die Erhebung eines Führungs- und Herrschaftsanspruchs in Bezug auf das gesamte "Haus des Islam" verdeutlicht wurde. Zugleich eingeleitete organisatorische Veränderungen wie die Bildung von "Räten" für Einzelressorts, die Einteilung der besetzten Gebiete in Gouvernements und die Errichtung eines Geheimdienstapparats zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen ab. In der Audiobotschaft ruft der IS unter anderem alle Muslime auf, AL-BAGHDADI die Treue zu schwören. Alle, die dieser Forderung nicht Folge leisten würden, würden als Abtrünnige behandelt und bekämpft (Quelle: http://www.spiegel.de/politik/ausland vom 29.6.2014). Am 1.7.2014 rief AL BAGHDADI mit einer ebenfalls in russisch, englisch, französisch und deutsch übersetzten Audiobotschaft alle Muslime weltweit auf, in die vom IS eroberten Gebiete zu kommen und beim Aufbau eines islamischen Staates zu helfen. Er wandte sich vor allem an Studenten, Richter, Doktoren, Ingenieure und Menschen mit militärischer und administrativer Expertise und rief zur Rache für alles, was Muslimen angetan worden sei, auf (Quelle: http://www.spiegel.de/politik/ausland vom 1.7.2014). Bereits am 9.6.2014 startete der IS von

 

Syrien aus einen Angriff auf den Irak. Es gelang, sich gegen die irakischen Sicherheitskräfte durchzusetzen und mehrere Provinzen und Städte, darunter auch Mossul zu erobern. Begleitet wurden diese Angriffe von zahlreichen Gräueltaten und Massakern (z.B. die als Massaker von Tikrit bekannte Hinrichtung von 1700 schiitischen Soldaten der sich ergebenden irakischen Armee; Quelle auch zur Geschichte des Islamischen Staates:

www.wikipedia.org./wiki/Islamischer Staat mit 534 Quellennachweisen). Obwohl sich Teile der islamischen Welt von der Terrorpraxis des IS distanzieren, leiten seine Ideologie, die militärischen Erfolge und das brutale Vorgehen, in Propagandavideos über das Internet global

 

verbreitet, der Miliz immer neue Unterstützer und Kämpfer aus aller Welt zu. Die materielle und finanzielle Situation (u.a. durch Lösegelderpressungen, Rohöl- und Beutekunsthandel) ermöglicht dem IS sowohl eine gute Ausbildung und Bezahlung seiner Kämpfer als auch eine Kriegsführung mit modernen Waffen. Mit Guerilla-Methoden und exzessiver Gewalt schüchtert der IS die Bevölkerung ein und bewegt den Gegner sogar zum Überlaufen. Die großflächige Ausbreitung des IS und seine Ansätze, Funktionen eines Staates in der Region tatsächlich einzurichten, stellen somit eine ernsthafte Bedrohung - nicht nur für die staatliche Ordnung des Nahen Ostens - dar. Mittlerweile konnten die meisten größeren vom IS gehaltenen Städte sowohl im Irak als auch Syrien zurückerobert werden. Der IS bleibt als Terrororganisation allerdings in diesem Raum nach wie vor präsent; überdies übernahm er Verantwortung u.a. für verheerende Terroranschläge mit zahlreichen Todesopfern in Europa in den letzten Jahren.

 

Die Terrororganisation Al Qaida im Irak (AQI) ist seit Oktober 2004 auf der UN-Sanktionsliste unter Punkt QDe. 115 gelistet, QE.J.115.04. Name: AL-QAIDA IN IRAQ (Stand Jänner 2015). Auch die Jabhat al Nusrah-Front ist seit 14.5.2014 auf dieser Sanktionenliste aufgenommen (ON 9 S 7, QE.A. 137.14 Name: Al-Nusrah Front of the People of the Levant). Laut UN-Sanktionenliste operiert diese Gruppierung in Syrien, ist assoziiert mit Al-Qaida und Ibrahim Awwad Ali al-Badri al-Samarrai, dem Führer der Al-Qaida im Irak seit mindestens Januar 2012. Sie bringt syrische und ausländische Kämpfer gemeinsam mit anderen ausländischen Al-Qaida-Operateuren nach Syrien um sich lokalen Elementen in Syrien anzuschließen und terroristsche Aktionen und Guerillaaktionen durchzuführen.

 

Sowohl bei der IS bzw. der Vorgängerorganisation ISIS als auch der Al-Nusrah-Front handelt es sich um auf Jahre angelegte Zusammenschlüsse von tausenden Menschen, die darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung laufend Straftaten, und zwar (nur beispielsweise angeführt) Mord (auch Massentötungen anders Denkender), schwere Körperverletzungen, erpresserische Entführungen, schwere Nötigungen, schwere Sachbeschädigungen mit der Gefahr für das Leben anderer oder fremden Eigentums in großem Ausmaß sowie vorsätzliche Gefährdung durch Sprengmittel, und zwar unter anderem in Form von Bombenattentaten in Syrien, im Irak, aber auch in Europa, Entführung in- und ausländischer Personen verbunden mit entsprechenden Lösegeldforderungen, Tötung entführter Personen, bewaffneter Angriffe auf die Zivilbevölkerung, welche alle geeignet sind, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens zumindest in Syrien und dem Irak, aber auch dem gesamten Nahen Osten herbeizuführen, begangen werden. Diese terroristischen Straftaten wurden und werden von den Mitgliedern des IS bzw. ISIS sowie auch der Al-Nusrah-Front in der Absicht begangen, zumindest die Bevölkerung in Syrien, im Irak und auch im gesamten Nahen Osten auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern und die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen von Staaten, und zwar Syriens, des Irak aber auch anderer Staaten des Nahen Ostens ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören, wobei letztendlich Ziel des IS ist und bereits vor den Tatzeitpunkten war, auf dem Gebiet der heutigen Staaten Syrien, Irak, Libanon und Jordanien einen umfassenden, auf militant-fundamentalistischer Ausrichtung basierenden "Gottesstaat" zu errichten und Gegner dieses "Gottesstaates" als "Feinde des Islam" zu töten sowie durch sonstige Gewaltakte einzuschüchtern.

 

1.3.2. Diese Umstände waren dem Beschwerdeführer im Kern bereits im XXXX bekannt. Insbesondere wusste er von der Ausrufung des Kalifats und der Aufforderung Al Baghdadis an alle Muslime, in das Gebiet des IS zu kommen und diesen zu unterstützen. Mag der Beschwerdeführer teilweise eine andere Einschätzung bzw. Wertung der Tätigkeiten des IS gehabt und diesen selbst nicht als terroristisch beurteilt haben, so wusste er doch über dessen Ziele und ideologische Ausrichtung im Wesentlichen Bescheid; insbesondere wusste er, dass es sich nach den in den westlichen Staaten, und somit jedenfalls auch in Österreich, geltenden Gesetzen um eine terroristische Vereinigung handelt, deren Unterstützung jedenfalls unter gerichtlicher Strafe steht. Er hieß diese Umstände im Sommer 2014 zumindest insoweit gut, als er bereit war, den IS im Rahmen des von ihm in Syrien gehaltenen Territoriums zu unterstützen.

 

1.4. Zu relevanter Rechtsprechung:

 

1.4.1. Mit Entscheidung vom 07.11.2017, Appl. 54646/17, X. gg. Deutschland, wies der EGMR eine Beschwerde eines russischen Staatsangehörigen einstimmig als unzulässig ab, der vorbrachte, bei einer Abschiebung aus Deutschland wegen seiner Einstufung als "Gefährder" einer realen Gefahr zu unterliegen, in der Russischen Föderation eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu erleiden:

 

1.4.1.1. Der Gerichtshof verwies in erster Linie auf die ausführliche Entscheidung des deutschen Bundesverwaltungsgerichts, das feststellte, dass, selbst wenn eine Gefahr für den Beschwerdeführer in Dagestan drohen würde, eine solche für ihn in anderen Regionen der Russischen Föderation nicht drohe. Da es keine Hinweise darauf gebe, dass der Beschwerdeführer unter Zwang nach Dagestan gebracht werden würde, drohe dem Beschwerdeführer weder Folter oder noch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nach einer Abschiebung nach Moskau. Das deutsche Bundesverfassungsgericht habe diese Entscheidung bestätigt (Rz 29). Der Gerichtshof führte aus, dass die allgemeine Berichtslage die Situation solcher Personen betreffe, die entweder direkt mit dem Konflikt im Nordkaukasus in Verbindung stünden oder Verwandte solcher Personen seien (Rz 30). Mit der konkreten Situation des Beschwerdeführers befassten sich eine Information des "Komitees zur Verhinderung von Folter", die dem Auswärtigen Amt gegeben worden sei, und eine Antwort darauf durch die NGO Memorial (Rz 31). Die Information von Memorial widerspreche der Information des "Komitees zur Verhinderung von Folter", wobei erstere den deutschen Gerichten noch nicht zur Verfügung gestanden sei (Rz 32). Der EGMR beurteilte beide NGOs als glaubwürdig, stellte aber fest, dass keine der beiden auf bereits erfolgte Abschiebungen verweisen könne, um ihre Rückschlüsse fundiert zu begründen (Rz 33). Unter Berücksichtigung aller Beweismittel und der ausführlichen Beurteilung durch die nationalen Gerichte sowie im Lichte der zur Verfügung stehenden Aktenlage kam der EGMR zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer mit den Konflikten im Nordkaukasus nicht in Verbindung stehe und daher keine ausreichenden Gründe für die Annahme vorlägen, dass er einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung zum Opfer fiele, wenn er nach Moskau abgeschoben werden würde (Rz 34).

 

In Rz 26 verweist die Entscheidung auf eine Information von Memorial, die der Beschwerdeführer erlangte, nachdem die deutschen innerstaatlichen Entscheidungen getroffen worden waren. Darin antwortete Memorial auf die Frage, ob es wahrscheinlich sei, dass eine Person, die aus Deutschland wegen des Verdachts des Terrorismus abgeschoben werde, das Interesse der Russischen Sicherheitsbehörden wecken würde: Eine Person, die aus Deutschland abgeschoben werde, stehe zweifellos unter gesellschaftlicher Beobachtung. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Person ein Ziel von Verfolgung oder ein Opfer von Folter werden würde, sei größer. Wenn eine solche Person mit dem Stigma eines Verdachts, eine terroristische Handlung begehen zu wollen, abgeschoben würde, steige diese Gefahr um das Vielfache.

 

1.4.1.2. In dem der genannten Entscheidung zugrunde liegenden Anlassfall hielt das deutschen Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 13.07.2017, Zl. BVerwG 1 VR 3.17, auszugsweise (anonymisiert) fest:

 

"[...]

 

(Rz 2) Er wurde am xx.xx.2017 in der Wohnung seiner Eltern verhaftet. Dabei wurde ihm eine Verfügung des Senators für Inneres vom xx.xx. 2017 ausgehändigt, mit der dieser - gestützt auf § 58a AufenthG - die Abschiebung des Antragstellers in die Russische Föderation angeordnet hatte. Der Senator begründete seine Entscheidung damit, nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden sei anzunehmen, dass der Antragsteller, der dem radikal-islamistischen Spektrum in Deutschland zuzurechnen sei und mit der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) sympathisiere, einen Anschlag verüben oder bei der Verübung eines Anschlags mitwirken werde, bei dem gemeingefährliche Waffen genutzt würden und das Leben Dritter angegriffen werde. Hierzu habe sich der Antragsteller in einem "Chat" bereit erklärt. Daraus ergebe sich die auf Tatsachen gestützte Prognose, dass vom Antragsteller eine terroristische Gefahr ausgehe. Angesichts der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr überwiege bei der Ermessensentscheidung auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass er sich bereits seit dem Kleinkindalter in Deutschland aufhalte, hier den Hauptschulabschluss erlangt habe und über soziale Bindungen an seine Familie und seine religiös angetraute Ehefrau verfüge, das Interesse an einer Ausreise das private Interesse am Verbleib. Gegen den Antragsteller wurde Abschiebungshaft bis einschließlich xx.xx. 2017 angeordnet, die nachfolgend mehrfach verlängert wurde. Seine Abschiebung in die Russische Föderation war ursprünglich für den xx.xx. 2017 geplant.

 

[...]

 

(Rz 82ff) [...] Dem Vollzug der Abschiebungsanordnung stehen auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote entgegen, sofern der Antragsteller nicht in den Nordkaukasus abgeschoben wird. Das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG steht dem Erlass einer Abschiebungsanordnung nicht entgegen, es führt aber dazu, dass der Betroffene nicht in diesen Staat abgeschoben werden darf (§ 58a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 59 Abs. 2 und 3 AufenthG in entsprechender Anwendung). Aus diesem Grund hat die zuständige Behörde beim Erlass einer Abschiebungsanordnung in eigener Verantwortung zu prüfen, ob der beabsichtigten Abschiebung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG entgegensteht. Dies umfasst sowohl die Frage, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz als Flüchtling (§ 60 Abs. 1 AufenthG) oder als subsidiär Schutzberechtigter (§ 60 Abs. 2 AufenthG) vorliegen, als auch die Prüfung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG.

 

Auf der Grundlage des dem Senat im Eilverfahren zur Verfügung stehenden Akten- und Erkenntnismaterials spricht einiges dafür, dass hinsichtlich Dagestan bzw. der nordkaukasischen Teilrepubliken der Russischen Föderation die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gegeben sind (a). Das hindert jedoch nicht die Vollziehung der Abschiebungsanordnung in andere Teile der Russischen Föderation, in denen dem Antragsteller eine zumutbare interne Ausweichmöglichkeit zur Verfügung steht (b).

[...]

 

a) Der Senat sieht zumindest gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller angesichts des anzunehmenden Bekanntwerdens der Gründe seiner beabsichtigten Abschiebung in der Russischen Föderation (dazu aa) bei einer Rückkehr nach Dagestan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit durch die dortigen Sicherheitsbehörden einer menschenrechtswidrigen Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt würde (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, dazu bb).

 

aa) Die Gründe und Hintergründe der beabsichtigten Abschiebung des Antragstellers (Gefahr eines radikal-islamistisch motivierten Terroranschlags, salafistisch-religiöse Einstellung mit grundsätzlicher Billigung der Aktionen des sogenannten Islamischen Staates, früher beabsichtigte Ausreise nach Syrien) dürften den russischen staatlichen Stellen nach der Einschätzung des Senats aller Voraussicht nach bekannt werden. Hiervon ist vor allem aufgrund der öffentlichen Berichterstattung in den Medien bzw. im Internet unter Nennung zur Identifizierung hinreichender Daten (K.

C. aus B., geboren im ... in Dagestan) auszugehen. Hinzu kommt im

vorliegenden Fall das im russischen Pass eingetragene, zwischenzeitlich aufgehobene Ausreiseverbot, das gegen den Antragsteller im Dezember 2014 angeordnet worden war und die Aufmerksamkeit der russischen Behörden zusätzlich auf sich ziehen wird.

 

bb) Unter Berücksichtigung dieses Bekanntwerdens der Abschiebegründe besteht voraussichtlich die tatsächliche Gefahr, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr nach Dagestan durch die dortigen Sicherheitsbehörden der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK, Art. 4 GRC ausgesetzt würde (vgl. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK).

 

(1) Dabei geht der Senat von folgender Lagebeurteilung aus: Teile des Nordkaukasus und insbesondere Dagestan sind nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen der regionale Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand: Dezember 2016, S. 13).

 

Der "IS" wird in der Russischen Föderation und speziell im Nordkaukasus in den letzten Jahren zunehmend als echte Bedrohung wahrgenommen, auf die seitens der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden vor allem im Nordkaukasus mit großer Härte reagiert wird: In diesem Landesteil gehen die Behörden gegen tatsächliche oder mutmaßliche Islamisten mit teils gewaltsamer Repression vor. Es kommt zu Razzien in Moscheen, Festnahmen, Zerstörung von Wohnhäusern angeblicher Islamisten, Misshandlungen, Entführungen und Fällen von "Verschwindenlassen" sowie "außergerichtlichen" Tötungen. Im Nordkaukasus wenden die lokalen Polizeibehörden sowie die nationalen Sicherheitsbehörden auch Folter an (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 1. Juni 2016, S. 40;

Schweizerische Flüchtlingshilfe/A. Baudacci, Tschetschenien:

Aktuelle Menschenrechtslage, Update vom 13. Mai 2016, S. 6 und 7; zu den o.g. Maßnahmen siehe auch Accord, ecoi.net-Themendossier zur Russischen Föderation: Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen). Salafisten werden von Angehörigen des Militärs und der Geheimdienste verdächtigt, den bewaffneten Aufstand zu unterstützen oder daran beteiligt zu sein und nicht selten entführt und in der Folge getötet (Accord, ecoi.net-Themendossier zur Russischen Föderation: Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen). Aktionen von Sicherheitskräften nehmen auch die Familienangehörigen von bewaffneten Untergrundkämpfern ins Visier.

Menschenrechtsorganisationen beklagten ein Klima der Straflosigkeit für Täter aus den Reihen der Sicherheitskräfte (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand: Dezember 2016, S. 13 - 15). Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden - ihrer Straflosigkeit gewiss - missbrauchten ihre Macht, um im "Krieg gegen den Terror" Erfolgsquoten zu liefern oder gar um Geld von den Angehörigen der Verhafteten zu erpressen (Accord, Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation: Dagestan: Korruption bei der Polizei, 12. Oktober 2016).

 

Salafistische Organisationen bzw. Muslime, die religiösem Extremismus nahe stehen oder unter ausländischem Einfluss stehen sollen, werden in Dagestan als Wahhabiten bezeichnet und teilweise pauschal mit Terroristen gleichgesetzt (Schweizerische Flüchtlingshilfe/A. Schuster, Russland: Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger ausserhalb Dagestans, Auskunft vom 25. Juli 2014, S. 1 f.; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 1. Juni 2016, S. 52, 65). Sie müssen in Tschetschenien und Dagestan bereits ohne Hinzutreten weiterer Handlungen oder konkreter Verdächtigungen befürchten, von den Sicherheitsbehörden als "Extremisten" verhaftet zu werden. Auch das Tragen langer Bärte oder salafistischer Kleidung kann bereits zu Verhaftungen und Misshandlungen führen (Schweizerische Flüchtlingshilfe/A. Baudacci, Tschetschenien: Aktuelle Menschenrechtslage, Update vom 13. Mai 2016, S. 15).

 

(2) Ausgehend von dieser Erkenntnislage spricht viel dafür, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr nach Dagestan dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung durch die lokalen oder föderalen Sicherheits- bzw. Strafverfolgungsbehörden ausgesetzt würde, selbst wenn er sich dort einer salafistischen Betätigung, soweit diese die Grenzen der geschützten Religionsfreiheit überschreitet, enthält.

 

Die Angaben des Auswärtigen Amtes in der Auskunft vom 29. Mai 2017 vermögen diese Gefahr nicht hinreichend zu entkräften. Darin wird zu Frage 1a ausgeführt, nach Aussage von Mitarbeitern der russischen Nichtregierungsorganisation "Komitee zur Verhinderung von Folter" gegenüber der Botschaft Moskau am 16. Mai 2017 sei anzunehmen, dass russische Sicherheitsbehörden einen aus Deutschland abgeschobenen russischen Staatsangehörigen dagestanischer Herkunft, der in Deutschland einen islamistisch motivierten Terroranschlag geplant haben soll, befragen und überwachen würden; es erscheine jedoch nahezu ausgeschlossen, dass er "präventiv" gefoltert oder einer anderen Art. 3 EMRK verletzenden Behandlung ausgesetzt werden würde. Bei dieser Antwort wird nicht hinreichend deutlich, dass sich diese Einschätzung auch auf die lokalen und föderalen Behörden in Dagestan beziehen würde, zumal das Auswärtige Amt zu Frage 1b u.a. mitgeteilt hat, die Botschaft verfüge über keine eigenen Erkenntnisse zum Verhalten der Sicherheitsbehörden in den im Nordkaukasus gelegenen Teilrepubliken, da in Auslieferungsfällen bei regulärem Gerichtsstand in einer der Teilrepubliken ergänzende Zusicherungen darüber verlangt und abgegeben würden, dass der Betroffene nur in einem anderen Teil der Russischen Föderation inhaftiert und vor Gericht gestellt werde.

 

b) Dem Antragsteller stehen auf der Grundlage der dem Senat derzeit zur Verfügung stehenden Erkenntnisse jedoch Ausweichmöglichkeiten in sonstigen Bereichen der Russischen Föderation außerhalb der Teilrepubliken des Nordkaukasus (etwa in der Umgebung des voraussichtlichen Abschiebeziels P.) zur Verfügung. Hinsichtlich dieser Bereiche liegen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vor. Sie erfüllen zugleich die Voraussetzungen des internen Schutzes im Sinne von § 3e Abs. 1, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG. Daher steht dem Antragsteller auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG als subsidiär Schutzberechtigter zu, ohne dass entschieden werden muss, ob dieses Abschiebungsverbot nicht auch wegen der vom Antragsteller ausgehenden Gefahren ausgeschlossen ist (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AsylG).

 

aa) Nach der dem Senat zur Verfügung stehenden Erkenntnislage droht dem Antragsteller außerhalb des Nordkaukasus wegen der Handlungen und Äußerungen im Bundesgebiet nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, dass er unter Berücksichtigung der ihm zugeschriebenen Terrorgefahr durch Sicherheitsbehörden oder Strafverfolgungsorgane der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt oder zwangsweise nach Dagestan zurückverbracht wird. Soweit er nach Rückkehr in die Russische Föderation Aktivitäten entfaltet, die auch nur den Verdacht begründen könnten, er neige dem gewaltbereiten Jihadismus zu oder plane oder unterstütze Terroranschläge, begründete dieses erst künftige Verhalten hier aktuell kein Abschiebungshindernis und wäre nicht von der Antragsgegnerin zu berücksichtigen.

 

Der Senat verkennt nicht, dass aus Sicht der russischen Behörden auch außerhalb des Nordkaukasus die Gefahr von Terroranschlägen besteht. Radikale islamistische Netzwerke aus dem Nordkaukasus und Dagestan verfügen über Zellen in ganz Russland - von Moskau, St. Petersburg bis nach Sibirien (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe/A. Schuster, Russland: Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger ausserhalb Dagestans, Auskunft vom 25. Juli 2014, S. 3 und 15). Der russische Staat geht auch im übrigen Staatsgebiet konsequent gegen islamistische Terroristen vor. Erst im Juli 2016 wurde in der Russischen Föderation mit dem Ziel der effektiveren Bekämpfung des Terrorismus und der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit das Strafrecht deutlich verschärft, worauf der Antragsteller hingewiesen hat (www.icnl.org/research/library/files/Russia/Yarovaya.pdf , GA Bl. 264). Zuvor ist im November 2013 in Russland ein neues Gesetz verabschiedet worden, mit dem die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreicht werden sollte und das darauf abzielte, die "harte Form" des Kampfes gegen den Aufstand, die bereits in mehreren Republiken im Nordkaukasus praktiziert wird, zu legalisieren. Die neue Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, die Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien dazu zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, die durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Die durch sie erlaubten Kollektivbestrafungen werden von den Behörden im Nordkaukasus bereits angewendet (Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 1. Juni 2016, S. 34; Schweizerische Flüchtlingshilfe/A. Schuster, Russland: Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger ausserhalb Dagestans, Auskunft vom 25. Juli 2014, S. 4 f.). Von einer entsprechenden Praxis außerhalb des Nordkaukasus wird demgegenüber bisher nicht berichtet; auch belegt diese Gesetzeslage ebenso wenig wie die Verschärfung des Strafrechts eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung von Terrorverdächtigen.

 

Nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand: Dezember 2016, S. 20) ist der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen aus Angst vor Terroranschlägen erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichteten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Solange die Konflikte im Nordkaukasus nicht endgültig gelöst sind, ist nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen (Kaukasier) besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Das gilt insbesondere für Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagieren bzw. denen ein derartiges Engagement unterstellt wird, oder die - wie hier - im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren.

 

Dass der Antragsteller zu einer solchen Risikogruppe gehört, rechtfertigt indes ebenfalls noch nicht die Annahme, dass ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Dies entspricht im Wesentlichen der in der fallbezogen erteilten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. Mai 2017 wiedergegebenen Einschätzung von Mitarbeitern der russischen Nichtregierungsorganisation "Komitee zur Verhinderung von Folter": Danach hat der Antragsteller im Falle seiner Abschiebung in die Russische Föderation mit einer Befragung und Überwachung zu rechnen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 29. Mai 2017 zu Frage 1a). Es erscheine jedoch nahezu ausgeschlossen, dass er "präventiv" gefoltert oder einer anderen Art. 3 EMRK verletzenden Behandlung ausgesetzt würde. Der Zuverlässigkeit dieser Auskunft steht nicht entgegen, dass der Leiter dieser Organisation nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes Mitglied des präsidialen Menschenrechtsrats ist. Der Antragsteller begründet seine Zweifel insoweit damit, der präsidiale Menschenrechtsrat sei gerade bezogen auf Polizeigewalt eine fragwürdige Referenz, weil es sich bei der neuen Hochkommissarin für Menschenrechte/ Menschenrechtsbeauftragten in der Russischen Föderation um eine frühere Polizeigenerälin ohne menschenrechtlichen Hintergrund handele (EASO, Country of Origin Information Report - Russian Federation State Actors of Protection, März 2017, S. 78). Nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes handelt es sich bei der Menschenrechtsbeauftragten und dem konsultativen "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten indes um zwei verschiedene Institutionen. Der Menschenrechtsrat übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Zuletzt hat er angemahnt, Amnesty International Zugang zu ihren von der Moskauer Stadtverwaltung geschlossenen Büros zu gewähren (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand:

Dezember 2016, S. 15). Ausgehend davon bestehen gegen die Unabhängigkeit der russischen Nichtregierungsorganisation "Komitee zur Verhinderung von Folter" keine durchgreifenden Bedenken.

 

Der Senat misst dieser Einschätzung einer vor Ort befindlichen Nichtregierungsorganisation größere Aussagekraft bei als der Bewertung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, welches der Antragsgegnerin auf ihre Anfrage am 17. Mai 2017 ohne nähere Begründung und auch ohne Bezeichnung der Erkenntnisquellen mitgeteilt hat, die in der Russischen Föderation bestehende massive Verfolgung von islamistischem Extremismus lasse darauf schließen, dass - eine bei den russischen Stellen vorhandene Kenntnis der Abschiebungsgründe zugrunde gelegt - auch der Antragsteller davon betroffen wäre, sofern er dorthin zurückkehrt.

 

Vor diesem Hintergrund vermag der Senat auch aus der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 25. Juli 2014 (A. Schuster, Russland: Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger ausserhalb Dagestans, S. 3 f.) nicht abzuleiten, dass dem Antragsteller in der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Art. 3 EMRK zuwiderlaufende Behandlung drohen würde. Zwar wird dort von Angaben der Nichtregierungsorganisation Memorial (Swetlana Gannuschkina) berichtet, wonach Familienangehörige von Terrorismusverdächtigen aus Dagestan auch in anderen Regionen in Russland von staatlichen Behörden verfolgt und schikaniert werden und dem ständigen Risiko einer willkürlichen Strafverfolgung ohne Begründung ausgesetzt sind. Auch werde von einer Reihe dokumentierter Fälle berichtet, in denen ganze Familien in Moskau, St. Petersburg und weiteren russischen Städten Opfer von gewaltsamem "Verschwindenlassen" geworden seien. Dies sei vor allem in den Fällen geschehen, in welchen die Behörden der nordkaukasischen Republiken Interesse daran hatten, Maß- nahmen gegen Familienangehörige zu ergreifen. "Wahhabiten" und ihre Familienmitglieder würden in ganz Russland verfolgt. Der Modus Operandi der Behörden des Nordkaukasus finde mittlerweile auch im übrigen Russland Anwendung. Seit 2009 sei die Zahl der Verhaftungen und Entführungen von Personen aus dem Nordkaukasus in ganz Russland gestiegen. Rund 20 Prozent der dokumentierten Entführungen fänden mittlerweile außerhalb des Nordkaukasus statt.

 

Diesen Ausführungen ist nichts dafür zu entnehmen, dass der russische Staat auch einer im europäischen Ausland entfalteten islamistisch-jihadistischen Betätigung - insbesondere Planung/Vorbereitung eines Terroranschlags in Deutschland - in der Russischen Föderation mit derart drastischen Maßnahmen begegnen würde. Ein vergleichbares Interesse der russischen Behörden, gegen eine Person wie den Antragsteller menschenrechtswidrig vorzugehen, ist in einem solchen Fall mangels Referenzfällen nicht belegbar und kann auch nicht ohne Weiteres unterstellt werden. Denn spezifisch russische Interessen hat der Antragsteller bisher nicht verletzt.

 

Der Senat hält es daher auch nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass in der Russischen Föderation gegen den Antragsteller ein Strafverfahren eingeleitet wird oder er in Polizeigewahrsam genommen wird. Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass nach russischem Strafrecht für Auslandstaten russischer Staatsbürger das Personalitätsprinzip gilt, rechtfertigt dieser Hinweis auf die Rechtslage für sich allein noch nicht den Schluss auf eine entsprechende Praxis. Auch die Erklärung des russischen Generalstaatsanwalts von November 2015, wonach 650 Strafverfahren aufgrund der Beteiligung in einer illegalen bewaffneten Gruppierung im Ausland eröffnet wurden, wovon laut Chef des FSB (Inlandsgeheimdienst) 1 000 Personen betroffen seien (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 1. Juni 2016, S. 27), lässt nicht hinreichend auf eine Betroffenheit auch des Antragstellers schließen. Es liegen keine Hinweise darauf vor, dass sich der Fokus der russischen Strafverfolgungsbehörden dabei auch auf Personen richten würde, die nicht aus Syrien, Irak oder der Türkei, sondern aus dem westeuropäischen Ausland zurückkehren.

 

Berichte über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand: Dezember 2016, S. 10) beziehen sich zumeist auf den Nordkaukasus. Gegen Tschetschenen (bzw. Personen aus dem Nordkaukasus), die sich in Moskau oder anderen Bereichen der Russischen Föderation niedergelassen haben, kommen Strafverfahren aufgrund falscher Anschuldigungen heute kaum noch vor (vgl. Danish Immigration Service, Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations, Januar 2015, S. 85 f.). Nach Angaben einer westlichen Botschaft in Moskau aus dem Jahr 2012 kommen fingierte Strafverfahren zwar vor, insbesondere gegen junge muslimische Personen aus dem Nordkaukasus, jedoch nicht in systematischer Weise (vgl. Schweizerische 100 101 - 51 - Flüchtlingshilfe/A. Schuster, Russland: Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger ausserhalb Dagestans, Auskunft vom 25. Juli 2014, S. 6; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 1. Juni 2016, S. 82).

 

Das Risiko, dass die Behörden in Dagestan, soweit sie von der Abschiebung des Antragstellers erfahren, den Antragsteller außerhalb Dagestans aufsuchen und dort misshandeln oder nach Dagestan verbringen würden, hält der Senat ebenfalls für gering. Das Auswärtige Amt führt in seinem aktuellen Lagebericht zwar aus, die regionalen Strafverfolgungsbehörden könnten Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlten sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem "langen Arm" des Regimes von Ramsan Kadyrow nicht sicher. Bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen seien, seien etwa auch in Moskau präsent (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand: Dezember 2016, S. 15; siehe auch Schweizerische Flüchtlingshilfe/A. Baudacci, Tschetschenien:

Aktuelle Menschenrechtslage, Update vom 13. Mai 2016, S. 24). Bei Umzügen in eine andere Region der Russischen Föderation informiert das FMS-Büro, bei dem die Registrierung erfolgt, das FMS-Büro am Ort der ursprünglichen Registrierung etwa in Tschetschenien. Ob diese Information durch die Behörden des ursprünglichen Wohnorts in irgendeiner Weise aktiv verwendet wird, ist aber eine andere Frage. Dies hängt davon ab, wie wichtig sie für die dortigen Behörden war/ist (vgl. Danish Immigration Service, Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations, Januar 2015, S. 68). Ausgehend davon ist eher unwahrscheinlich, dass dagestanische Strafverfolgungsbehörden aufgrund der gegen den Antragsteller in Deutschland erhobenen Vorwürfe Anlass sehen werden, ein Strafverfahren gegen ihn einzuleiten oder gegen ihn in irgendeiner Weise extralegal vorzugehen, wenn er - der Dagestan schon im Kleinkindalter verlassen hat - in keinen Kontakt zu Dagestan tritt und insbesondere andernorts seinen Wohnsitz nimmt.

 

Hinreichend tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr droht, gegen seinen Willen durch russische föderale Stellen nach Dagestan zurückverbracht zu werden, waren den ausgewerteten Erkenntnisquellen nicht zu entnehmen. Soweit die Schweizerische Flüchtlingshilfe von rückgeführten Tschetschenen berichtet, die etwa vom russischen Geheimdienst nach Ankunft am Flughafen Moskau festgenommen und nach Tschetschenien gebracht oder nach Rückkehr aus dem westeuropäischen Ausland verhaftet und gefoltert worden seien (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe/A. Baudacci, Tschetschenien: Aktuelle Menschenrechtslage, Update vom 13. Mai 2016, S. 22), werden die jeweiligen Hintergründe nicht mitgeteilt. Schlüsse für den hier zu entscheidenden Fall können daraus mithin nicht gezogen werden.

 

[...]

 

(cc) Die weiteren Voraussetzungen für eine interne Ausweichmöglichkeit in die Gebiete der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus liegen vor.

 

Nach der Rechtsprechung des EGMR zur Berücksichtigung internen Schutzes muss die abzuschiebende Person in der Lage sein, in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen. Außerdem dürfen die voraussichtlichen Lebensbedingungen dort nicht gegen Art. 3 EMRK verstoßen (vgl. EGMR, Urteile vom 11. Januar 2007 - Nr. 1948/04, Salah Sheekh/Niederlande - Rn. 141 ff., vom 28. Juni 2011 - Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich - Rn. 278 ff. und vom 13. Oktober 2011 - Nr. 10611/09, Husseini/Schweden - Rn. 65; siehe auch § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG zum subsidiären Schutz).

 

Diese Voraussetzungen sind hier auch unter Berücksichtigung der individuellen Merkmale des Antragstellers gegeben. Es besteht zunächst kein Zweifel, dass es der Antragsgegnerin gelingen wird, den Antragsteller in die Russische Föderation außerhalb des Nordkaukasus abzuschieben. Eben dies ist hier beabsichtigt, weil er mit dem Flugzeug unter Sicherheitsbegleitung nach P. abgeschoben werden soll. Nach der vorliegenden Erkenntnislage ist es dem Antragsteller auch grundsätzlich möglich, in der Russischen Föderation etwa in der weiteren, ländlicheren Umgebung von Moskau legal Wohnsitz zu nehmen und insbesondere registriert zu werden.

 

Entgegen seiner Annahme (Schriftsatz vom 2. Mai 2017, S. 36) ist der Antragsteller nicht gezwungen, sich für die erforderliche Ausstellung eines Inlandspasses nach Dagestan an seinen letzten Wohnort zu begeben. Sowohl Inlands- wie Auslandspässe können in der Russischen Föderation in jedem FMS-Büro beantragt und abgeholt werden. Beantragt eine Person den Pass beispielsweise in Moskau, erscheint das FMS-Büro Moskau als ausstellende Behörde, ohne dass es darauf ankommt, wo die Person mit ihrem Wohnsitz registriert ist (vgl. Danish Immigration Service, Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations, Januar 2015, S. 66; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand:

Januar 2011, S. 38; anders Schweizerische Flüchtlingshilfe/A.

Schuster, Russland: Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger ausserhalb Dagestans, Auskunft vom 25. Juli 2014, S. 8, 10).

 

Auch Personen aus dem Nordkaukasus ist es möglich, in der übrigen Russischen Föderation eine Wohnung zu finden, auch wenn sie dabei auf größere Schwierigkeiten stoßen werden als ethnische Russen. Zwar haben Kaukasier größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, einen Vermieter zu finden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand: Dezember 2016, S. 20). In Moskau ist es besonders schwierig, eine Unterkunft zu finden, weil freie Wohnungen selten und die Mieten hoch sind. Die schon allgemein bestehenden Schwierigkeiten sind für Tschetschenen/Kaukasier infolge ihres allgemein schlechten Ansehens noch größer (vgl. Danish Immigration Service, Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations, Januar 2015, S. 83). Letzten Endes gelingt es aber auch Tschetschenen immer, eine Bleibe zu finden, weil es keine obdachlosen Tschetschenen etwa in Moskau gibt; üblicherweise gelingt dies mit der Hilfe von Freunden oder Verwandten (Danish Immigration Service, a.a.O., S. 84). Dem Antragsteller dürfte dies zumindest außerhalb von Moskau auch ohne Freunde oder Verwandte möglich sein, zumal nicht alle Vermieter nur an ethnische Russen vermieten.

 

Die Registrierung ist jedenfalls nach einem Aufenthalt von drei Monaten obligatorisch. Auch wenn es Fälle von geforderten Bestechungsgeldern oder Diskriminierungen durch Behördenvertreter gibt, sei letzten Endes jeder in der Lage, eine Registrierung zu erhalten, auch ohne ein Bestechungsgeld zu zahlen. Bei fehlender Bereitschaft zur Zahlung eines Bestechungsgeldes dauere die Registrierung nur länger, ungefähr drei Wochen, sie werde am Ende aber vorgenommen. Seitens einer tschetschenischen sozialen und kulturellen Vereinigung wird berichtet, die Registrierung sei deutlich einfacher geworden als noch vor zwei Jahren. Das FMS habe ein Service-Center in Moskau eingerichtet, bei dem man alle notwendigen Informationen erhalte und die geforderten Dokumente (etwa eine Kopie des Inlandspasses) einreichen und die Registrierungsunterlagen ausfüllen könne. Es sei nicht mehr notwendig, zur Polizei oder zur Hausverwaltung zu gehen, und das administrative Verfahren sei vereinfacht worden, einschließlich der Möglichkeit, es elektronisch durchzuführen. Das Verfahren sei nunmehr in ein paar Tagen abschließend durchzuführen (Danish Immigration Service, Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations, Januar 2015, S. 75 f.).

 

Der Senat geht davon aus, dass der Antragsteller auch außerhalb Dagestans seinen Lebensunterhalt auf einem einfachen Niveau sichern kann. Dazu ist erforderlich, dass er unter Berücksichtigung seiner persönlichen Voraussetzungen das wirtschaftliche Existenzminimum, sei es durch eigene Arbeit, sei es durch staatliche oder sonstige Hilfen, erlangen kann und nicht der Obdachlosigkeit ausgesetzt ist (BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2007 - 1 C 24.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz Nr. 30 Rn. 11; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Mai 2017 - 2 BvR 157/17 - juris Rn. 21). Dies ist vorliegend anzunehmen. Zwar wird die Arbeitsuche für einen Kaukasier, der in einem anderen Gebiet der Russischen Föderation dauerhaft Aufenthalt nehmen will, als schwierig bezeichnet (vgl. Danish Immigration Service, Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - 118 119 -

60 - residence registration, racism and false accusations, Januar

2015, S. 83). Auch hat der Antragsteller keine Berufsausbildung und verfügt soweit feststellbar nicht über Verwandte oder Bekannte außerhalb Dagestans. Der Antragsteller ist aber ein gesunder und arbeitsfähiger junger Mann, der nicht nur über einen Hauptschulabschluss, sondern nach den obigen Ausführungen auch über grundlegende Russischkenntnisse verfügt. Ihm sind außer kriminellen Tätigkeiten alle Arbeiten zumutbar, auch solche, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2007 - 1 C 24.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz Nr. 30 Rn. 11). Eine solche Tätigkeit wird er nach entsprechend ausdauernder Arbeitsuche finden können. Dass der Antragsteller nach dem Gutachten des Dr. K. noch nicht wie ein Erwachsener wirkt und ihm nach Beobachtungen von Pflegern in der B. Klinik "jegliche Alltagspraxis" fehle, rechtfertigt keine andere Prognose. [...]"

 

1.4.1.3. Das deutsche Bundesverfassungsgericht sprach über ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil mit Entscheidung vom 26.07.2017, Zl. 2 BvR 1606/17, aus:

 

"[...] 3. Auch die Verneinung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes durch das Bundesverwaltungsgericht beruht nicht auf einem Verfassungsverstoß.

 

a) Zwar lässt die Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts zu der Annahme, dem Beschwerdeführer stehe die Möglichkeit offen, in Gebieten außerhalb des Nordkaukasus ohne die Gefahr einer drohenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch russische Sicherheitsbehörden zu leben und Wohnung und Arbeit zu finden, eine Tiefe vermissen, die den Ausführungen im angegriffenen Beschluss zu den in seiner Person und in der Situation in der Russischen Föderation begründeten Risiken die Waage halten könnte. Die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Voraussetzungen internen Schutzes ist im Ergebnis jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es hat allen aufgeworfenen Bedenken gegen eine Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation seine eigene entgegenstehende Bewertung gegenübergestellt und sich mit aktuellen Erkenntnisquellen zur Lage von aus dem Nordkaukasus stammenden Rückkehrern nach Moskau und Umgebung auseinandergesetzt. Da das Bundesverwaltungsgericht die Gefahr einer menschenunwürdigen oder erniedrigenden Behandlung des Beschwerdeführers nicht als beachtlich wahrscheinlich bewertet hat, ist es auch folgerichtig, dass es die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation nicht von einer einzuholenden Zusicherung, er werde nicht menschenrechtswidrig behandelt werden, abhängig gemacht hat.

 

b) Die Verneinung eines Abschiebungsverbotes hinsichtlich der Russischen Föderation wahrt auch die aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GG folgenden Anforderungen an die Beurteilung der Lage im Zielstaat der Abschiebung (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Mai 2017 - 2 BvR 157/17 -, juris). Das Maß dessen, was wirkungsvoller Rechtsschutz ist, bestimmt sich entscheidend auch nach dem sachlichen Gehalt des als verletzt behaupteten Rechts, hier des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Der Sachverhaltsaufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann daher bei der Überprüfung der Situation für Rückkehrer in den Zielstaat der Abschiebung verfassungsrechtliches Gewicht zukommen. Hier hat das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Erkenntnisquellen zur Lage von aus dem Nordkaukasus stammenden Rückkehrern nach Moskau und Umgebung berücksichtigt und mehrere Anfragen an das Auswärtige Amt und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gerichtet, die es seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. [...]"

 

1.4.2. Am Ausreiseversuch nach Syrien am XXXX nahmen weitere russische Staatsangehörige teil, denen in Österreich der Status von Asylberechtigten zukam und die - ebenso wie der Beschwerdeführer - in dem angeführten Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung gemäß § 278b Abs. 2 StGB verurteilt wurden. Zumindest zwei dieser Personen wurde der Status des Asylberechtigten unter einem mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtskräftig aberkannt, wobei das Bundesverwaltungsgericht jeweils nicht feststellen konnte, dass ihnen bei einer Rückkehr in die Russische Föderation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens bzw. ihrer körperlichen Unversehrtheit drohen würde (vgl. BVwG 08.06.2017, W147 2159966-1; 21.06.2017, W147 1265512-3). Auch im Erkenntnis BVwG 31.01.2018, W211 1428789-2, wurde keine reale Gefahr einer Verletzung der Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK durch die Abschiebung einer am XXXX ebenso verurteilten Person in die Russische Föderation erkannt.

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit gründen sich auf die Angaben des Beschwerdeführers in Zusammenschau mit den von ihm vorgelegten Dokumenten. Die Identität des Beschwerdeführers war bereits in den vorangegangenen asyl-, fremden- und strafrechtlichen Verfahren unstrittig; diesbezügliche Zweifel kamen auch für das Bundesverwaltungsgericht nicht hervor.

 

2.1.1. Die Feststellungen zu den asylrechtlichen Verfahren des Beschwerdeführers seit seiner Einreise in Österreich ergeben sich in unbedenklicher Weise aus den ihn betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakten. Der Verfahrensgang konnte auf Basis dieser Akten wie unter Pkt. I. dargelegt festgestellt werden.

 

2.1.2. Seine drei Versuche, mit seiner Lebensgefährtin und (beim ersten und dritten Ausreiseversuch) anderen Personen nach Syrien zwecks Mitwirkung in der zum damaligen Zeitpunkt dort Territorium kontrollierenden Terrororganisation IS zu gelangen, wurden bereits in dem in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX festgestellt. Dieser Sachverhalt wurde auch dem rechtskräftig abgeschlossenen Asylaberkennungsverfahren zugrunde gelegt und vom Beschwerdeführer weder in diesem noch im vorliegenden Verfahren bestritten. Die Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft am XXXX und die seither laufende Probezeit von drei Jahren sind aus einem ihn betreffenden Auszug aus dem Strafregister ersichtlich. Die Einhaltung der Treffen mit seinem Bewährungshelfer und die Teilnahme an einem Deradikalisierungsprogramm werden im der Beschwerde beigelegten Schreiben des Vereins Neustart vom 25.06.2018 bestätigt.

 

2.1.3. Dass der Beschwerdeführer seine Lebensgefährtin nach islamischem Ritus im Frühjahr 2014 heiratete und mit ihr zwei Kinder hat, ergibt sich aus ihren übereinstimmenden Angaben. Sowohl ihr eigener Verfahrensstand als auch jener der Kinder ist aus den sie betreffenden - beim Bundesverwaltungsgericht ebenso anhängigen - Verfahrensakten zu entnehmen.

 

Die Feststellungen zur Lebenssituation des Beschwerdeführers in Österreich waren auf Basis seiner diesbezüglich unbedenklichen Angaben in der Einvernahme vor der belangten Behörde vom 24.05.2018 zu treffen. Auch die belangte Behörde traf keine davon abweichenden Feststellungen.

 

2.2. Dass sich die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten samt Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers auf die unter Pkt. II.1.2.1. wiedergegebenen Länderfeststellungen stützte, ergibt sich aus dem Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 18.11.2015; das Bundesverwaltungsgericht schloss sich in seinem die Beschwerde gegen den genannten Bescheid abweisenden Erkenntnis vom 14.04.2016 diesen Länderfeststellungen an und legte diese seiner Entscheidung zugrunde.

 

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen aktuellen Situation im Herkunftsstaat (Pkt. II.1.2.2.) stützen sich auf die darin zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die angeführten Länderberichte wurden dem Beschwerdeführer bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren vorgehalten und im angefochtenen Bescheid zitiert. Deren Richtigkeit wurde vom Beschwerdeführer zu keinem Verfahrenszeitpunkt - auch nicht in der Beschwerde - angezweifelt; er bezog sich in der Beschwerde im Gegenteil auf Aussagen aus diesen Länderberichten.

 

Die unter dem Unterpunkt "Islamischer Staat (IS)" getroffenen Aussagen sind eine zusammenfassende Darstellung der Situation von russischen Staatsangehörigen insbesondere nordkaukasischer Herkunft, die seitens der russischen Sicherheitsbehörden in Verdacht stehen, mit dem IS zu kollaborieren bzw. diesen zu unterstützen. Diese Zusammenfassung ergibt sich aus den unter Pkt. II.1.2.2. zitierten Quellen sowie dem - ebenfalls als Teil der Feststellungen im bekämpften Bescheid der belangten Behörde abgedruckten - Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 13.07.2017, Zl. BVerwG 1 VR

3.17. Da diese Aussagen auch in der Beschwerde nicht bestritten wurden, können sie der vorliegenden Entscheidung als unstrittig zugrunde gelegt werden.

 

Dem angefochtenen Bescheid ist schließlich ebenso die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl zu entnehmen, wonach die Konsularabteilung der österreichischen Botschaft in Moskau im Juni 2017 keine Informationen mit Hinweisen darauf finden habe können, dass Personen, die im Ausland wegen einer Mitgliedschaft in der Terrororganisation IS strafgerichtlich verurteilt worden seien und eine Haftstrafe bereits verbüßt hätten, in der Russischen Föderation abseits einer eigentlichen Strafverfolgung Opfer von Menschenrechtsverletzungen worden seien.

 

2.3. Die Feststellungen zum IS wurden gleichlautend im Wesentlichen bereits im rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX getroffen und können als notorisch vorausgesetzt werden. Auch die Kenntnis des Beschwerdeführers über den IS wurde in diesem Urteil bereits festgestellt.

 

2.4. Soweit unter Pkt. II.1.4. Rechtsprechung des BVwG, EGMR sowie des deutschen Bundesverwaltungsgerichts und Bundesverfassungsgerichts wiedergegeben ist, sind die angeführten und teilweise zitierten Judikate in den öffentlichen Rechtsdatenbanken auffindbar.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017 (im Folgenden: VwGVG), geregelt; gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Materiengesetzen (BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

Der angefochtene Bescheid wurde dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung am 18.06.2018 zugestellt. Die am 11.07.2018 bei der Post aufgegebene Beschwerde ist somit gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG rechtzeitig.

 

Zu A)

 

3.1. Zur Abweisung der Beschwerde betreffend die Nichterteilung des Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG 2005:

 

3.1.1. Der Beschwerdeführer hielt sich nach Eintritt der Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.04.2016, mit dem die Beschwerde gegen den die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten samt Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers verfügenden Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 18.11.2015 abgewiesen wurde, nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Gemäß § 58 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 prüfte die belangte Behörde die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 zu Recht.

 

3.1.2. § 57 Abs. 1 AsylG 2005 lautet:

 

"'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz'

 

§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

(2) - (4) [...]"

 

3.1.3. Anzeichen für das Vorliegen eines der Tatbestände des § 57 Abs. 1 Z 2 und 3 AsylG 2005 kamen im gesamten Verfahren nicht hervor. Die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" aufgrund § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 kommt - ungeachtet der Frage, ab wann der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet geduldet war - deshalb nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung gemäß § 278b Abs. 2 StGB und somit wegen eines Verbrechens im Sinne des § 17 StGB verurteilt wurde.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist daher abzuweisen.

 

3.2. Zur Abweisung der Beschwerde betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung:

 

3.2.1 Die diesbezüglich maßgeblichen Rechtsgrundlagen stellen sich wie folgt dar:

 

3.2.1.1. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 erteilt wird, mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

 

3.2.1.2. § 52 FPG lautet auszugsweise:

 

"Rückkehrentscheidung

 

§ 52 (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

 

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

 

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

 

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

 

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

 

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

 

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

(3) - (8) [...]

 

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

(10) - (11) [...]"

 

3.2.1.3. § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet auszugsweise:

 

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

(4) - (6) [...]"

 

3.2.2. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wird, weil dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

3.2.2.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

 

3.2.2.2. Was einen allfälligen Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers betrifft, lässt sich das Bundesverwaltungsgericht von nachstehenden Erwägungen leiten:

 

3.2.2.2.1. Vom Prüfungsumfang des Begriffs des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, die miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

 

3.2.2.2.2. Mit Entscheidung vom heutigen Tag wird eine spruchgemäß gleichlautende Entscheidung über die Beschwerde der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers getroffen. Selbst unter der Annahme, dass der Beschwerdeführer mit dieser ein Familienleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK führt, wird durch die Rückkehrentscheidung schon deshalb nicht in dieses eingegriffen, weil die Lebensgefährtin von derselben aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen ist (vgl. VwGH 18.3.2010, 2010/22/0013; 19.09.2012, 2012/22/0143; 19.12.2012, 2012/22/0221; vgl. EGMR 9.10.2003, Fall Slivenko, NL 2003, 263).

 

Der Beschwerdeführer führt mit seinen beiden minderjährigen Kindern ipso iure ein Familienleben (vgl. VwGH 28.06.2011, 2008/01/0583). Der für sie gestellte Antrag auf internationalen Schutz wurde von der belangten Behörde mit Bescheiden vom 08.06.2018 abgewiesen, wobei die Behörde jeweils eine Rückkehrentscheidung erließ. Die dagegen erhobene Beschwerde ist zum Entscheidungszeitpunkt beim Bundesverwaltungsgericht anhängig, wobei dieser die aufschiebende Wirkung zukommt (s. BVwG 31.07.2018, W237 2131922-2 und W 237 2201180-1). Folglich verfügen die Kinder auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht bis zum rechtskräftigen Abschluss über ihre Beschwerde über das asylrechtliche Aufenthaltsrecht gemäß § 13 AsylG 2005; zum Entscheidungszeitpunkt sind sie - anders als ihre Eltern - von keiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen. Mit der vorliegenden Entscheidung wird jedoch ausgesprochen, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 iVm § 50 FPG in die Russische Föderation unzulässig ist. Damit kommt es durch dieses Erkenntnis zu keiner faktischen Trennung des Beschwerdeführers von seinen beiden minderjährigen Kindern, weil es der Effektuierung einer Rückkehrentscheidung entgegensteht. In das Familienleben des Beschwerdeführers zu seinen Kindern wird sohin ebenfalls nicht eingegriffen.

 

Schließlich ist festzuhalten, dass weder zur Mutter noch den beiden in Österreich lebenden Brüdern des Beschwerdeführers ein solches besonderes Nahe- bzw. Abhängigkeitsverhältnis besteht, das dieses als Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK qualifizieren würde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer bei seiner Mutter und seinen Brüdern lediglich zeitweise Übernachtungsmöglichkeiten in Anspruch nimmt, diese aber seinen eigenen Angaben zufolge nicht bereit sind, ihn am jeweiligen Wohnsitz anzumelden. Die belangte Behörde führte in diesem Zusammenhang auch zutreffend an, dass der Beschwerdeführer durch seine wiederholten Versuche, nach Syrien auszureisen und sich dem IS anzuschließen, offenbar bereit war, seine Familienmitglieder für einen unbestimmten längeren Zeitraum - womöglich dauerhaft - zu verlassen. Ein schützenswertes Familienleben kann daher nicht angenommen werden.

 

Auch sonst war nicht festzustellen, dass der Beschwerdeführer über ein solches in Österreich verfügen würde.

 

3.2.2.3. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme greift daher lediglich in das Privatleben des Beschwerdeführers ein:

 

3.2.2.3.1. Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwH).

 

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, Solomon v. Niederlande, Appl. 44328/98; EGMR 09.10.2003, Slivenko v. Lettland, Appl. 48321/99; EGMR 22.04.2004, Radovanovic v. Österreich, Appl. 42703/98; EGMR 31.01.2006, da Silva und Hoogkamer

  1. v. Niederlande, Appl. 50435/99; EGMR 31.07.2008, Darren Omoregie ua
  2. v. Norwegen, Appl. 265/07).

 

3.2.2.3.2. Der Beschwerdeführer gelangte im Herbst 2008 im Alter von 14 Jahren nach Österreich und verbrachte hier prägende Jahre seiner jugendlichen Sozialisation. Er schloss in Österreich seine Schulausbildung ab und war als Bauarbeiter tätig; es ist davon auszugehen, dass er freundschaftliche Bindungen mit anderen im Bundesgebiet lebenden Personen knüpfte. Wesentliche Aspekte seines Privatlebens - wie die Heirat mit seiner Lebensgefährtin nach muslimischem Ritus, die Geburt seiner Kinder oder das Zusammenleben mit seinen Verwandten - haben sich im Bundesgebiet entfaltet, wobei der Beschwerdeführer den Willen hat, sein Privatleben in Österreich fortzusetzen und hier ein dauerhaftes Einkommen zur Unterstützung seiner Familie zu erwirtschaften. Seinen Interessen an der Fortführung seines seit annähernd zehn Jahren in Österreich - zumindest bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Asylstatus im April 2016 auf Basis eines legalen Aufenthalts - geführten Privatlebens kommt daher in der vorzunehmenden Interessenabwägung ein hohes Gewicht zu.

 

Im vorliegenden Fall sind allerdings die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung des Beschwerdeführers noch höher zu gewichten: Der Beschwerdeführer wurde am XXXX wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt, weil er durch drei Ausreiseversuche nach Syrien im Sommer XXXX sich dem dort zum damaligen Zeitpunkt großflächiges Territorium kontrollierenden IS anschließen wollte. Beim IS handelt es sich um eine Terrororganisation, die in ihrer ideologischen Ausrichtung und Struktur wesentliche Grundwerte der österreichischen Gesellschaftsordnung nicht nur ablehnt, sondern diese auch mit gewaltsamen Mitteln - zumeist mit dem Ziel zahlreicher Todesopfer - bekämpft. Durch seine wiederholten Versuche, nach Syrien zu gelangen, zeigte der Beschwerdeführer, dass er zumindest im Sommer XXXX nachhaltig bestrebt war, an dieser Organisation mitzuwirken und sie in ihren Operationen aktiv zu unterstützen. Damit zeigte er offen, wesentliche bis zu diesem Zeitpunkt erfahrenen Grundwerte der österreichischen Gesellschaft abzulehnen und deren Bekämpfung durch den IS zumindest in Kauf zu nehmen. Daran ändert im Übrigen auch der von ihm in der Einvernahme vor der belangten Behörde hervorgehobene Umstand nichts, dass er im Bundesgebiet niemals jemandem Schaden zugefügt habe und über die Republik Österreich nicht schlecht denke.

 

Er legte sohin einen derartigen - strafrechtlich relevanten - Verhaltensunwert an den Tag, der nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG die öffentlichen Interessen an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers sein persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet jedenfalls überwiegen lässt, zumal der seit seiner Verurteilung verstrichene Zeitraum von drei Jahren nach Maßgabe des Falles - in welchem die gesetzte Probezeit noch nicht abgelaufen ist und der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme am 24.05.2018 überdies keine volle Schuldeinsicht seine Straftat betreffend zeigte (vgl. diesbezüglich näher Pkt. II.3.3.3.) - auch noch zu kurz erscheint, um zu einer anderen Beurteilung der gegenläufigen Interessen zu gelangen. Bei diesem Ergebnis muss auf die im angefochtenen Bescheid angesprochenen "Darstellungen des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung vom 23.03.2018", wonach es dem Beschwerdeführer aufgrund seiner religiösen Haltung verboten sei, mit weiblichen Mitarbeitern einer näher genannten Caritas-Einrichtung zu sprechen bzw. diese zu begrüßen, nicht weiter eingegangen werden. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, nach denen im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

3.2.2.4. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist daher nicht nur nicht geboten, sondern es war dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch verwehrt, über diesen überhaupt abzusprechen (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

3.2.3. Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 AsylG 2005 liegen deshalb vor, weshalb Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids zu Recht erging.

 

3.3. Zur Abweisung der Beschwerde betreffend die Erlassung eines unbefristeten Einreiseverbots:

 

3.3.1. Die fremdenpolizeiliche Maßnahme des Einreiseverbots wird in § 55 FPG normiert. Diese Bestimmung lautet auszugsweise:

 

"Einreiseverbot

 

§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

 

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige

 

1. - 9. [...]

 

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

 

1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

 

2. - 5. [...];

 

6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);

 

7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

 

8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt oder

 

9. der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.

 

(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

 

(5) Eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.

 

(6) [...]"

 

Dass Einreiseverbot knüpft gemäß § 53 Abs. 1 erster Satz FPG an das Bestehen einer Rückkehrentscheidung an. Es kann daher unbesehen der Frage erlassen werden, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dass mit der vorliegenden Entscheidung also die Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation ausgesprochen wird, hindert die Erlassung eines Einreiseverbots nicht; die Frist des Einreiseverbots begänne erst mit Ablauf des Tages der Ausreise des Beschwerdeführers zu laufen (§ 53 Abs. 4 FPG).

 

3.3.2. Bei der für ein Einreiseverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289; 24.03.2015, Ra 2014/21/0049).

 

Bei der Entscheidung betreffend die Verhängung eines Einreiseverbots ist - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Fremden - darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237). Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen, wobei im Allgemeinen auch der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt (VwGH 16.10.2014, Ra 2014/21/0039).

 

Weiters ist bei der Entscheidung über die Dauer des Einreiseverbots auch auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0002; vgl. auch Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 53 FPG, K12).

 

Schließlich darf bei der Verhängung eines Einreiseverbots das Ausschöpfen der vorgesehenen Höchstfristen nicht regelmäßig schon dann erfolgen, wenn einer der Fälle des § 53 Abs. 2 Z 1 bis 9 bzw. des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 FPG vorliegt (vgl. etwa VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0002 mwH).

 

3.3.3. Durch die strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung gemäß § 278b StGB ist die Tatbestandsvoraussetzung des § 53 Abs. 3 Z 6 FPG erfüllt. Unzweifelhaft ist deshalb im vorliegenden Fall die Annahme immer noch gerechtfertigt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt, womit die Grundvoraussetzung des § 53 Abs. 3 FPG gegeben ist.

 

Wie unter Pkt. II.3.2.2.3.2. bereits aufgezeigt, zeichnet sich die durch den Beschwerdeführer begangene Straftat durch eine besondere Verwerflichkeit aus: So versuchte er wiederholt, sich einer durch Verübung von Gräueltaten weltweit Schrecken verbreitenden islamistischen Terrororganisation anzuschließen, die die grundlegenden Werte der österreichischen Gesellschaft nicht nur ablehnt, sondern diese durch Terrorakte mit dem Ziel möglichst vieler Todesopfer sogar offen bekämpft. Das Bundesverwaltungsgericht hat dabei keinen Zweifel, dass eine solche Handlungsweise eines Drittstaatsangehörigen - zumindest in der noch offenen Probezeit - auch die Ausschöpfung des gesetzlich möglichen Höchstmaßes der Einreiseverbotsfrist indiziert (vgl. BVwG 08.06.2017, W147 2159966-1; 21.06.2017, W147 1265512-3).

 

Eine Herabsetzung dieser Frist käme nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann in Betracht (und wäre dann erst auf die diesbezüglichen Beschwerdeausführungen einzugehen), wenn der betreffende Fremde einen vollständigen Persönlichkeitswandel und - abgeschlossenen - Bruch mit seiner terroristischen Vergangenheit bescheinigte. Dies war im vorliegenden Fall allerdings schon deshalb nicht anzunehmen, weil der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 24.05.2018 (somit erst vor drei Monaten) betreffend seine strafgerichtliche Verurteilung eine bloß ausweichende Verantwortung an den Tag legte bzw. gar keine Schuldeinsicht zeigte. So meinte er, "nur" wegen seiner Absicht, nach Syrien zu reisen, verurteilt worden zu sein, wobei er "niemande[m] etwas getan [habe], das eine solche Verurteilung gerechtfertigt hätte". Er bestritt in seiner Befragung sogar ausdrücklich, jemals ein Naheverhältnis zum IS gehabt zu haben, was den Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil entgegensteht. Bei einem solchen Zugang des Beschwerdeführers zu seiner - terroristischen - Vergangenheit ist der belangten Behörde nicht entgegenzutreten, wenn sie die Verhängung eines Einreiseverbots in unbefristeter Dauer als notwendig erachtet. An den vom Beschwerdeführer selbst getätigten Aussagen vermögen im Übrigen auch die Angaben seines Bewährungshelfers im Schreiben vom 25.06.2018 nichts zu ändern.

 

3.3.4. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des Bescheids vom 30.05.2018 ist somit ebenfalls abzuweisen.

 

3.4. Zur Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation:

 

3.4.1. Die diesbezüglich maßgeblichen Bestimmungen des FPG lauten:

 

"Abschiebung

 

§ 46 (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

 

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

 

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

 

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

 

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

(2) - (6) [...]

 

Duldung

 

§ 46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist zu dulden, solange

 

1. deren Abschiebung gemäß §§ 50, 51 oder 52 Abs. 9 Satz 1 unzulässig ist, vorausgesetzt die Abschiebung ist nicht in einen anderen Staat zulässig;

 

2. deren Abschiebung gemäß §§ 8 Abs. 3a und 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig ist;

 

3. deren Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenen Gründen unmöglich erscheint oder

 

4. die Rückkehrentscheidung im Sinne des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG vorübergehend unzulässig ist;

 

es sei denn, es besteht nach einer Entscheidung gemäß § 61 weiterhin die Zuständigkeit eines anderen Staates oder dieser erkennt sie weiterhin oder neuerlich an. Die Ausreiseverpflichtung eines Fremden, dessen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß Satz 1 geduldet ist, bleibt unberührt.

 

(2) [...]

 

(3) Vom Fremden zu vertretende Gründe (Abschiebungshindernisse) liegen jedenfalls vor, wenn er

 

1. seine Identität verschleiert,

 

2. einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder

 

3. an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.

 

(4) Bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 1 hat das Bundesamt von Amts wegen oder auf Antrag eine Karte für Geduldete auszustellen. Im Antrag ist der Grund der Duldung gemäß Abs. 1 Z 1, 2, 3 oder 4 zu bezeichnen. Die Karte dient dem Nachweis der Identität des Fremden im Verfahren vor dem Bundesamt und hat insbesondere die Bezeichnungen "Republik Österreich" und "Karte für Geduldete", weiters Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Lichtbild und Unterschrift des Geduldeten sowie die Bezeichnung der Behörde, Datum der Ausstellung und Namen des Genehmigenden zu enthalten. Die nähere Gestaltung der Karte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest.

 

(5) Die Karte für Geduldete gilt ein Jahr beginnend mit dem Ausstellungsdatum und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 über Antrag des Fremden für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Die Karte ist zu entziehen, wenn

 

1. deren Gültigkeitsdauer abgelaufen ist;

 

2. die Voraussetzungen der Duldung im Sinne des Abs. 1 nicht oder nicht mehr vorliegen;

 

3. das Lichtbild auf der Karte den Inhaber nicht mehr zweifelsfrei erkennen lässt oder

 

4. andere amtliche Eintragungen auf der Karte unlesbar geworden sind.

 

Der Fremde hat die Karte unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen, wenn die Karte entzogen wurde oder Umstände vorliegen, die eine Entziehung rechtfertigen würden. Wurde die Karte entzogen oder ist diese vorzulegen, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und das Bundesamt ermächtigt, die Karte abzunehmen. Von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes abgenommene Karten sind unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen.

 

(6) Der Aufenthalt des Fremden gilt mit Ausfolgung der Karte als geduldet, es sei denn das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 1 wurde bereits zu einem früheren Zeitpunkt rechtskräftig festgestellt. Diesfalls gilt der Aufenthalt ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Feststellung als geduldet.

 

[...]

 

Verbot der Abschiebung

 

§ 50 (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

[...]"

 

In der vorliegenden Rechtssache sind weiters nachstehende Bestimmungen des AsylG 2005 zu beachten:

 

"Status des subsidiär Schutzberechtigten

 

§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

 

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

 

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

 

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

(2) [...]

 

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

 

(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

 

(4) - (5) [...]

 

(6) Kann der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden, ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen. Diesfalls ist eine Rückkehrentscheidung zu verfügen, wenn diese gemäß § 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG nicht unzulässig ist.

 

(7) [...]

 

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

 

§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

 

1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

 

2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder

 

3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

 

1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

 

2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

 

3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

 

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

(3) - (4) [...]"

 

3.4.2. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.04.2016 wurde dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten rechtskräftig aberkannt und unter einem gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 (in der damaligen Fassung) der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt sowie seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation auf Basis der genannten Bestimmungen für unzulässig erklärt. Festzuhalten ist dabei, dass sich die Bestimmungen des § 8 Abs. 3a und § 9 Abs. 2 AsylG 2005 seither nicht geändert haben.

 

Im vorangegangenen Verfahren wurde damit entschieden, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation eine reale Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde und er dieser Gefahr auch nicht durch Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative - also durch Niederlassung in anderen Landesteilen der Russischen Föderation - entgehen könnte.

 

Wäre einer dieser Umstände nicht vorgelegen, hätte der Status des subsidiär Schutzberechtigten bereits auf Grundlage des § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 (im Falle des Nichtvorliegens eines real risk einer Verletzung von Art. 3 EMRK) oder des Abs. 3 leg.cit. (im Falle des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative) abgewiesen werden müssen. Da jedoch von der Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers ausgegangen wurde, war das Bundesverwaltungsgericht - in Abweisung der damaligen Beschwerde des Beschwerdeführers - darauf verwiesen, den Status des subsidiär Schutzberechtigten (nur) gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 wegen Vorliegens des Aberkennungstatbestands des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 abzuerkennen.

 

Überhaupt gilt, dass der Gesetzgeber nach der Systematik der in Rede stehenden Bestimmungen sowohl bei der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten als auch bei dessen Aberkennung zunächst eine Refoulement-Prüfung in Bezug auf den Herkunftsstaat des Fremden verlangt. Erst wenn diese negativ ausfällt, sind die mit der Feststellung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung einhergehenden Tatbestände des § 8 Abs. 3a und § 9 Abs. 2 AsylG 2005 anzuwenden (vgl. die Wortfolgen "... Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen ..." in § 8 Abs. 3a AsylG 2005 und "... nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen ..." in § 9 Abs. 2 AsylG 2005).

 

3.4.3. Die im vorangegangenen Verfahren getroffene Feststellung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation wegen einer realen Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK war auf die unter Pkt. II.1.2.1. zitierten Länderfeststellungen (die im Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 18.11.2015 abgedruckt sind und denen sich das Bundesverwaltungsgericht im Erkenntnis vom 14.04.2016 ausdrücklich anschloss) in Verbindung mit seinem Vorbringen gestützt.

 

3.4.4. Der Verwaltungsgerichtshof sprach in Zusammenhang mit der Gewährung von subsidiärem Schutz bereits wiederholt aus, dass eine rechtskräftig getroffene Refoulement-Prüfung Rechtskraftwirkungen entfaltet, deren Durchbrechung nur dann gerechtfertigt ist, wenn sich nach Erlassung der in Rechtskraft erwachsenen Entscheidung der Sachverhalt oder die Rechtsvorschriften wesentlich geändert haben, also eine neue Sache vorliegt, für die die Rechtskraftwirkung der ursprünglichen Entscheidung nicht mehr gelten würde. Von einer nachträglichen Änderung der Sache ist der Fall zu unterscheiden, in dem der Sachverhalt anders rechtlich beurteilt wird oder neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung vorlagen, aber erst später bekannt wurden ("nova reperta"). Die schon vor Erlassung der Entscheidung bestehende Sachlage ist von der Rechtskraft des Bescheids erfasst und bindet Gerichte und Behörden, solange diese Entscheidung dem Rechtsbestand angehört (vgl. VwGH 28.02.2017, Ra 2016/01/0206; 18.01.2017, Ra 2016/18/0293 mwN).

 

3.4.5. An die mit Erlassung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.04.2016 in Rechtskraft erwachsene Beurteilung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation war das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bzw. ist das Bundesverwaltungsgericht selbst also gebunden. Dies wäre nur dann nicht mehr der Fall, hätte sich etwas in den dieser Beurteilung zugrundeliegenden Feststellungen so weit geändert, dass vom Vorliegen einer neuen Sache auszugehen wäre.

 

Dies ist im vorliegenden Fall aber nicht ersichtlich:

 

3.4.5.1. Aus einer Zusammenschau der Länderfeststellungen, die dem Erkenntnis vom 14.04.2016 zugrunde lagen, und den aktuellen, unter Pkt. II.1.2.2. angeführten Feststellungen zur Situation in der Russischen Föderation lassen sich für das Bundesverwaltungsgericht keine strukturellen Änderungen in Bezug auf die Themenaspekte politische Situation, Sicherheitslage, Sicherheitsbehörden, Rebellentätigkeit im Nordkaukasus und Menschenrechtslage im Sinne von für die konkrete Situation des Beschwerdeführers ableitbaren Verbesserungen entnehmen.

 

Aus den Feststellungen zur Terrororganisation IS (Pkt. II.1.3.1.) bzw. zu Personen, die in Tschetschenien in Verdacht stehen, mit diesem zu kollaborieren (Pkt. II.1.2.2., Abschnitt "Islamischer Staat (IS)"), sind jedenfalls keine Änderungen im Sinne einer Verbesserung der Situation des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückverbringung dorthin zu ersehen. Das Bundesverwaltungsgericht erachtet es angesichts dieser Feststellungen im Gegenteil - der Beurteilung des deutschen Bundesverwaltungsgerichts folgend - als maßgeblich wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer in Tschetschenien (nach wie vor) der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung durch die lokalen oder föderalen Sicherheits- bzw. Strafverfolgungsbehörden ausgesetzt wäre, selbst wenn er sich dort einer salafistischen Betätigung, soweit diese die Grenzen der geschützten Religionsfreiheit überschreitet, enthielte; auch die belangte Behörde vermochte "nicht mit hinlänglicher Sicherheit davon aus[zu]gehen, dass [dem Beschwerdeführer] im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien keine Art. 3 EMRK-widrige Behandlung drohen würde".

 

Damit bleibt zu prüfen, ob sich womöglich hinsichtlich der Bewegungsfreiheit des Beschwerdeführers innerhalb der Russischen Föderation, des dortigen Meldewesens und der Lage von Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens seit Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.04.2016 Änderungen ergeben haben, die eine neue - anderslautende - Beurteilung seiner Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. § 8 Abs. 3 AsylG 2005) erforderlich machen. Eine strukturelle Änderung der Situation in den genannten Aspekten ist allerdings aus der angeführten Berichtslage nicht erkennbar. So war der Beurteilung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers im vorangegangenen Verfahren bereits die Feststellung zugrunde gelegt, dass sich Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens innerhalb der Russischen Föderation niederlassen können, mögen sie vor Ort dabei auch auf Diskriminierungen stoßen (vgl. Pkt. II.1.2.1., Abschnitt "Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb der Republik Tschetschenien"). Was die Feststellungen zum aktuellen russischen Meldewesen im Sinne der Registrierung im Inlandsreisepass russischer Staatsbürger anbelangt, sind diese großteils auf Berichtsmaterial gestützt, das auf Zeitpunkte vor dem 14.04.2016 datiert; ausdrücklich wird darin sogar festgehalten, dass keine größeren Änderungen in Bezug auf die Registrierung in den vergangenen Jahren festgestellt werden konnten (vgl. Pkt. II.1.2.2., Abschnitt "Meldewesen").

 

Der Berichtslage zur Situation für den Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat sind in den entscheidungswesentlichen Aspekten daher keine maßgeblichen Änderungen seit Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.04.2016 zu entnehmen (woran im Übrigen auch die von der belangten Behörde zitierte und unter Pkt. II.1.2.3. genannte Mitteilung der Konsularabteilung der österreichischen Botschaft in Moskau von Juni 2017 nichts zu ändern vermag).

 

3.4.5.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ging im angefochtenen Bescheid davon aus, dass dem Beschwerdeführer die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in anderen Landesteilen der Russischen Föderation offenstehe. In diesem Zusammenhang führte es - im Rahmen seiner Feststellungen - vor allem die Aussagen des Urteils des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 13.07.2017, Zl. BVerwG 1 VR 3.17, ins Treffen.

 

Das deutsche Bundesverwaltungsgericht sprach dabei unter näherer Begründung im Wesentlichen aus, dass einiges für die Annahme spreche, es seien für einen IS-Sympathisanten in Bezug auf die "nordkaukasischen Teilrepubliken der Russischen Föderation die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V.m. Art. 3 EMRK gegeben"; dies hindere aber die Abschiebung "in andere Teile der Russischen Föderation, in denen [...] eine zumutbare interne Ausweichmöglichkeit zur Verfügung steht", nicht (s. Pkt. II.1.4.1.2.). Diese Aussage wurde vom deutschen Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 26.07.2017, Zl. 2 BvR 1606/17, - zwar unter der Bemängelung, dass die Begründung des deutschen Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative "eine Tiefe vermissen" lasse, "die den Ausführungen im angegriffenen Beschluss zu den in seiner Person (gemeint: der betreffende Beschwerdeführer) und in der Situation in der Russischen Föderation begründeten Risiken die Waage halten könnte" - bestätigt (s. Pkt. II.1.4.1.3.). Der EGMR wies die dagegen erhobene Beschwerde schließlich mit Entscheidung vom 07.11.2017, Appl. 54646/17, X. gg. Deutschland, unter Verweis auf die ausführliche Entscheidung des deutschen Bundesverwaltungsgerichts einstimmig als unzulässig ab.

 

Soweit das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diese Urteile im angefochtenen Bescheid ins Treffen führte, weil der diesen zugrunde liegende Sachverhalt mit dem gegenständlichen Beschwerdefall vergleichbar sei, ist dieser Auffassung nicht entgegenzutreten. Festzuhalten ist auch, dass das - durch den EGMR letztlich bestätigte - Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 13.07.2017 auf einen Zeitpunkt nach der Erlassung des gegenüber dem Beschwerdeführer zuletzt ergangenen Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.04.2016, mit welchem die Unzulässigkeit seiner Abschiebung in die Russische Föderation festgestellt wurde, datiert.

 

Mit den Entscheidungen der deutschen Gerichte und des EGMR wird allerdings kein neuer Sachverhalt in Hinblick auf die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation dargetan, sondern lediglich eine andere Beurteilung des gleichen Sachverhalts getroffen, der bereits dem Erkenntnis vom 14.04.2016 zugrunde lag: Das deutsche Bundesverwaltungsgericht und ihm folgend der EGMR nahmen die Möglichkeit an, dass eine Person, der die Unterstützung des IS von russischen Sicherheitsbehörden zumindest unterstellt wird, einer ihre Rechte nach Art. 3 EMRK verletzenden Situation in Dagestan oder Tschetschenien dadurch entgehen könnte, dass sie sich in anderen Landesteilen der Russischen Föderation niederließe. Im vorangegangenen Verfahren des Beschwerdeführers wurde diese Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht gesehen. Dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative durch das deutsche Bundesverwaltungsgericht und den EGMR aber auf anderen Feststellungen über die Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers beruhen würde, ist dem (ausführlichen) Urteil vom 13.07.2017 nicht zu entnehmen und wurde auch durch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht dargetan. Dabei ist hervorzuheben, dass die Feststellungen, aus denen die deutschen Gerichte und der EGMR die Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative ableiteten, auf Berichtsmaterial fußen, das größtenteils auf Zeiträumen vor der Erlassung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.04.2016 datiert und somit von dessen Rechtskraft erfasst ist.

 

Nach Maßgabe der unter Pkt. II.3.4.4. dargelegten Judikatur bewirkt die nach seinem vorangegangenen Verfahren sohin bloß anders rechtlich beurteilte Situation des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat keine neue Sache und vermag die Rechtskraft der ausgesprochenen Unzulässigkeit seiner Abschiebung in die Russische Föderation nicht zu durchbrechen.

 

3.4.5.3. Dies trifft auch für die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angeführte rezente Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts betreffend mit dem Beschwerdesachverhalt vergleichbare Fälle zu (vgl. BVwG 08.06.2017, W147 2159966-1; 21.06.2017, W147 1265512-3), zumal diesen Entscheidungen auch nicht die Konstellation zugrunde lag, dass den jeweiligen Beschwerdeführern zuvor bereits einmal eine die Unzulässigkeit ihrer Abschiebung in die Russische Föderation aussprechende Entscheidung ergangen wäre.

 

Soweit die belangte Behörde zudem die Aussage im angeführten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.06.2017, W147 1265512-3, hervorhob, dass nicht davon auszugehen sei, die russischen Behörden wüssten von strafgerichtlichen Verurteilungen russischer Staatsangehöriger in Österreich, und die Russische Föderation sich außerdem dem Verbot der Doppelbestrafung verpflichtet sehe, steht dies zum einen mit ihrer eigenen Beurteilung, wonach für den Beschwerdeführer in Tschetschenien durchaus eine reale Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK bestehe (s. oben unter Pkt. II. 3.4.5.1.), in einem denklogischen Widerspruch. Darüber hinaus ist damit ebenso keine Lageänderung aufgezeigt, die im vorliegenden Fall eine neue Sache begründen würde.

 

3.4.5.4. Schließlich ist festzuhalten, dass sich auch das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner konkreten Bedrohungslage in seinem Herkunftsstaat seit dem vorangegangenen Verfahren nicht geändert hat: Schon in seiner Einvernahme betreffend die Aberkennung seines Status des Asylberechtigten am 13.10.2015 brachte der Beschwerdeführer vor, dass russische Sicherheitskräfte von seinen Ausreiseversuchen nach Syrien wüssten und er im Falle seiner Rückkehr ob seines im Jahr 2011 in Georgien als Widerstandskämpfer getöteten Bruders in ihrem Focus stünde. Dieses Vorbringen hielt der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme vom 24.05.2018 aufrecht.

 

3.4.6. Es haben sich sohin weder in den Rechtsvorschriften noch der maßgeblichen Sachlage Änderungen ergeben, die die Rechtskraft des Ausspruchs der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation durchbrechen würden.

 

Da gemäß § 52 Abs. 9 FPG mit Erlassung einer Rückkehrentscheidung festzustellen ist, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, war - in diesbezüglicher Stattgabe der Beschwerde - festzustellen, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 iVm § 50 FPG in die Russische Föderation unzulässig ist. Diese Feststellung steht im Übrigen der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht entgegen (vgl. ErläutRV 1523 BlgNR 25. GP , 30; s. auch Gachowetz/Schmidt/Simma/ Urban, Asyl- und Fremdenrecht im Rahmen der Zuständigkeit des BFA, 2017, S. 303 f.).

 

3.5. Zur Aufhebung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung:

 

3.5.1. Gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG ist die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl abzuerkennen, wenn die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist (Z 1), der Drittstaatsangehörige einem Einreiseverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt ist (Z 2) oder Fluchtgefahr besteht (Z 3).

 

§ 18 Abs. 5 BFA-VG verpflichtet das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

3.5.2. Im angefochtenen Bescheid begründet die belangte Behörde die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung damit, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle, und stützt sich damit auf den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG.

 

3.5.2.1. Der Verwaltungsgerichtshof sprach in seinem Erkenntnis vom 13.12.2017, Ro 2017/19/0003, aus, dass die Entscheidung über die Zuerkennung bzw. Aberkennung der aufschiebenden Wirkung das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung sei.

 

Daher darf die aufschiebende Wirkung - schon nach dem Gesetzeswortlaut - gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG nur aberkannt werden, wenn die Voraussetzungen für die Aberkennung gegeben sind und darüber hinaus nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung durch das Bundesverwaltungsgericht nach § 18 Abs. 5 BFA-VG vorliegen.

 

3.5.2.2. Dass diese jedoch vorlägen, ergibt sich aus Spruchpunkt A.II. der vorliegenden Entscheidung bzw. der o.a. Begründung unter Pkt. II.3.4. Der die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung verfügende Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids kann daher schon deshalb keinen Bestand haben (vgl. BVwG 12.07.2018, W170 2200671-1; 13.07.2018, W221 2200846-1). Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 19.06.2018, C-181/16 , Gnandi gg. Belgien.

 

3.6. Zur Festlegung der Frist für die freiwillige Ausreise:

 

3.6.1. § 55 FPG lautet:

 

"Frist für die freiwillige Ausreise

 

§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

 

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

 

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

 

(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.

 

(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht."

 

3.6.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gewährte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise, weil es der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannte. Da der die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung verfügende Spruchpunkt des angefochtenen Bescheids mit der vorliegenden Entscheidung aufgehoben wird, entfällt die nach § 55 Abs. 4 FPG notwendige Tatbestandsvoraussetzung.

 

3.6.3. Spruchpunkt V. des Bescheids vom 30.05.2018 ist damit aber nicht aufzuheben, sondern im Sinne des § 55 Abs. 2 FPG dahingehend abzuändern, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

 

Dass ein Ausspruch einer Frist zur freiwilligen Ausreise nämlich trotz festgestellter Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers zu erfolgen hat, ergibt sich aus § 55 Abs. 1 FPG, wonach die Frist zur freiwilligen Ausreise "[m]it einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52" festgelegt wird. Sie knüpft damit - wie das Einreiseverbot (s. Pkt. II.3.3.1.) - an das Bestehen der aufenthaltsbeendenden Maßnahme einer Rückkehrentscheidung; mit der Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids wird dem Beschwerdeführer gegenüber eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen.

 

3.7. Es war damit spruchgemäß zu entscheiden.

 

Lediglich ergänzend ist festzuhalten, dass der vorliegenden Entscheidung auch nicht die Anhängigkeit der Beschwerde der beiden minderjährigen Kinder beim Bundesverwaltungsgericht entgegensteht:

So wurde mit den sie betreffenden Entscheidungen des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl zwar ihr Antrag auf internationalen Schutz vollinhaltlich samt Erlassung einer Rückkehrentscheidung abgewiesen, doch liegt im Fall des Beschwerdeführers (nur mehr) ein Verfahren über die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt damit zusammenhängenden Aussprüchen vor. Die asylrechtliche Bestimmung zur gemeinsamen Führung eines Familienverfahrens gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 ist daher nicht einschlägig.

 

4. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

 

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

 

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann - unter anderem - eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann - soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist - das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

 

Gemäß der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK, dessen Garantien nach Art. 47 Abs. 2 GRC auch im vorliegenden Fall Anwendung finden, kann eine mündliche Verhandlung unter bestimmten Voraussetzungen unterbleiben, etwa wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Äußerungen der Parteien angemessen entschieden werden kann (EGMR 12.11.2002, 28.394/95, Döry vs. Schweden; 8.2.2005, 55.853/00, Miller vs. Schweden).

 

4.1. Der Verfassungsgerichtshof hat betreffend die Anwendung des § 41 Abs. 7 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008, (also zur wortidenten Vorgängerbestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG) unter Berücksichtigung des Art. 47 iVm Art. 52 GRC ausgesprochen, dass das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist, im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC steht, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde. Hat der Asylwerber hingegen bestimmte Umstände oder Fragen bereits vor dem Bundesasylamt releviert oder sind solche erst nachträglich bekannt geworden, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof erforderlich, wenn die vom betroffenen Asylwerber bereits im Verwaltungsverfahren oder in der Beschwerde an den Asylgerichtshof aufgeworfenen Fragen - allenfalls mit ergänzenden Erhebungen - nicht aus den Verwaltungsakten beantwortet werden können, und insbesondere, wenn der Sachverhalt zu ergänzen oder die Beweiswürdigung mangelhaft ist (VfSlg. 19.632/2012).

 

Seit seinem Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, judiziert der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa VwGH 02.08.2018, Ra 2018/19/0136; 01.03.2018, Ra 2017/19/0410; 18.05.2017, Ra 2016/20/0258), dass für die Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung daher unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich sind: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleibt wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

 

4.2. Eine mündliche Verhandlung konnte im Fall des Beschwerdeführers deshalb unterbleiben, weil der für die getroffene rechtliche Beurteilung maßgebliche Sachverhalt vorliegt und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seiner Ermittlungspflicht durch eine Befragung des Beschwerdeführers nachkam, die erst vor drei Monaten stattfand. Auch in Zusammenschau mit dem Beschwerdevorbringen ergab sich keine Notwendigkeit, den Beschwerdeführer im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu befragen:

 

Die für die Interessenabwägung im Rahmen der Abweisung der Beschwerde gegen die erlassene Rückkehrentscheidung maßgebliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung ergibt sich aus dem im Akt aufliegenden Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16.06.2015, das keiner weiteren Erörterung bedurfte.

 

Soweit die Ansichten bzw. Einstellung des Beschwerdeführers selbst in Bezug auf seine Straftat für die vorliegende Entscheidung - vor allem hinsichtlich der Bemessung der Frist des Einreiseverbots - von Bedeutung waren, tat er für diese Bemessung bereits ausreichende Aussagen in der (zeitnahen) Einvernahme vor der belangten Behörde am 24.05.2018. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass - wie unter Pkt. II.3.3.2. ausgeführt - bei der Gefährdungsprognose im Zusammenhang mit der Bemessung der Frist des Einreiseverbots im Allgemeinen auch der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt. Es ist jedoch schlechterdings nicht ersichtlich, inwieweit eine Befragung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung an seinen entscheidungsmaßgeblichen Aussagen vor der belangten Behörde etwas hätte ändern können, zumal der Beschwerdeführer diese bzw. deren Niederschrift vom 24.05.2018 in der Beschwerde auch nicht bestritt (zum Absehen mündlicher Verhandlungen bei Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen in eindeutigen Fällen, bei denen selbst unter Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft, vgl. VwGH 03.07.2018, Ra 2018/21/0066, und 15.03.2018, Ra 2017/21/0147, mwN).

 

Schließlich war der Ausspruch der Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers eine Rechtsbeurteilung, die auf dem Beschwerdeführer bekannten Umständen und Informationen bzw. unstrittigen Berichten zur Lage in der Russischen Föderation fußt. Im Beschwerdeverfahren wurden auch von Amts wegen keine neuen Länderberichte, die über jene hinausgingen, die in dem angefochtenen Bescheid enthalten sind, eingeführt; eine mündliche Verhandlung war daher auch in dem Sinne nicht von Nöten, dass dem Beschwerdeführer in dieser der Inhalt der Länderfeststellungen vorzuhalten gewesen wäre. Überhaupt sind der vorliegenden Entscheidung keine Beweismittel zugrunde gelegt, die dem Beschwerdeführer nicht bereits vorgehalten wurden oder in ihren wesentlichen Aussagen bekannt waren.

 

4.3. Vor diesem Hintergrund konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

Zu B)

 

1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

 

2. Im gegenständlichen Fall liegt in Bezug auf Spruchpunkt II. dieses Erkenntnisses eine solche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor:

 

2.1. Wie unter Pkt. II.3.4.4. festgehalten, besteht eine klare Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dahingehend, dass mit einer Refoulement-Beurteilung in Bezug auf den Herkunftsstaat eines Fremden eine zu beachtende Rechtskraftwirkung einhergeht, deren Durchbrechung nur dann gerechtfertigt ist, wenn sich nach Erlassung der in Rechtskraft erwachsenen Entscheidung der Sachverhalt oder die Rechtsvorschriften wesentlich geändert haben, also eine neue Sache vorliegt, für die die Rechtskraftwirkung der ursprünglichen Entscheidung nicht mehr gelten würde. Von einer nachträglichen Änderung der Sache ist der Fall zu unterscheiden, in dem der Sachverhalt anders rechtlich beurteilt wird oder neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung vorlagen, aber erst später bekannt wurden ("nova reperta"). Die schon vor Erlassung der Entscheidung bestehende Sachlage ist von der Rechtskraft des Bescheids erfasst und bindet Gerichte und Behörden, solange diese Entscheidung dem Rechtsbestand angehört (vgl. VwGH 18.01.2017, Ra 2016/18/0293 mwN).

 

2.2. In der vorliegenden Entscheidung betreffend die Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat vertritt das Bundesverwaltungsgericht die Ansicht, dass nach den von der belangten Behörde herangezogenen bzw. auch dem Bundesverwaltungsgericht zur Verfügung stehenden Länderberichten sich die Lage in der Russischen Föderation in Bezug auf die den Beschwerdeführer treffenden refoulementrelevanten Umstände nicht geändert bzw. verbessert hat, sondern in der jüngeren Judikatur lediglich anders beurteilt wird.

 

2.2.1. Es ließe sich aber zumindest denkmöglich auch argumentieren, dass dieser Rechtsprechung - soweit sie nach dem die Beschwerde gegen den die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten samt Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers verfügenden Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 18.11.2015 abweisenden Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.04.2016 erging - zum Entscheidungszeitpunkt jeweils eine Situation in der Russischen Föderation zugrunde lag, die in den dem vorliegenden Fall vergleichbaren Rechtssachen keine Verletzung der Rechte dieser Drittstaatsangehörigen nach Art. 3 EMRK durch deren Abschiebung bewirkte, weshalb sich also (in einem Rückschluss) die refoulementrelevanten Umstände durchaus geändert haben müssen. Anders formuliert geht dieser Gedanke dahin, dass wenn sich in der Judikatur nach dem 14.04.2016 die Abschiebung einer Person, der die Unterstützung des IS von russischen Sicherheitsbehörden zumindest unterstellt wird, in die Russische Föderation bereits als zulässig erwiesen hat, sich die Lage für den vergleichbaren Fall des Beschwerdeführers ja verändert haben muss.

 

Folgte man diesem Gedanken, wäre der vorliegenden Entscheidung betreffend Spruchpunkt II. die Grundlage entzogen.

 

2.2.2. Dies wäre auch der Fall, sähe man die rezente Judikatur selbst bzw. die darin angeführten Informationen zur Lage in der Russischen Föderation als neuen Sachverhalt, der eine andere Beurteilung der Refoulement-Situation geböte. So verkennt das Bundesverwaltungsgericht - wie dargelegt - nicht, dass sich die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl maßgebend ins Treffen geführte Entscheidung des EGMR vom 07.11.2017, Appl. 54646/17, X. gg. Deutschland, auf das zitierte Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 13.07.2017, Zl. BVerwG 1 VR 3.17, stützt, in welchem im Wesentlichen ausgesprochen wird, dass einiges für die Annahme spreche, es seien für einen IS-Sympathisanten in Bezug auf die "nordkaukasischen Teilrepubliken der Russischen Föderation die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gegeben", dies aber zugleich die Abschiebung "in andere Teile der Russischen Föderation, in denen [...] eine zumutbare interne Ausweichmöglichkeit zur Verfügung steht", nicht hindere (Rz 82). In diesem Urteil werden zumindest vereinzelt Berichte genannt, die auf einen Zeitpunkt nach dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.04.2016 datieren, weshalb argumentierbar scheint, das deutsche Bundesverwaltungsgericht habe nicht nur eine andere Beurteilung der zum Erkenntnis vom 14.04.2016 gleichen Sachlage in Bezug auf die Refoulement-Situation vorgenommen, sondern überhaupt eine neue und geänderte Sachlage zu beurteilen gehabt (vgl. in diesem Zusammenhang auch VwGH 28.02.2017, Ra 2016/01/0206).

 

Es sei aber darauf hingewiesen, dass gerade hinsichtlich der Begründung der entscheidungswesentlichen Annahme einer innerstaatlichen Flucht- bzw. Ausweichalternative das deutsche Bundesverwaltungsgericht sich fast nur auf Berichte bezog, die auf Zeitpunkte vor dem 14.04.2016 datieren. Nicht zuletzt deshalb wurde unter Pkt. II.3.4.5.2. angenommen, dass sich für den Beschwerdeführer keine Änderung der maßgeblichen Sachlage seit der rechtskräftig festgestellten Unzulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation ergeben hat.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hatte die vorliegende Konstellation jedenfalls - soweit ersichtlich - bislang noch nicht zu beurteilen.

 

2.2.3. Die Revision ist in diesem Zusammenhang auch deshalb zulässig, weil es der Beurteilung des Verwaltungsgerichtshofes obliegt, ob und inwiefern Aussagen des Europäischen Gerichtshofes zum Vorabentscheidungsersuchen vom 14.12.2017, Ra 2016/20/0038, für die Beantwortung der vorliegenden Rechtssache von Bedeutung sein könnten.

 

Bloß ergänzend wird darauf hingewiesen, dass sich derzeit die Frage, inwieweit neue Refoulement-Beurteilungen nach Änderungen in der Rechtsprechungspraxis zulässig sind, auch im Bereich der Aberkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten aus dem Herkunftsstaat Afghanistan immer häufiger stellt (vgl. BVwG 18.07.2018, W246 1423870-2).

 

2.3. Die mit Spruchpunkt II. der vorliegenden Entscheidung beurteilte Rechtsfrage ist daher im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG von grundsätzlicher Bedeutung.

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