VfGH G247/2021

VfGHG247/20216.12.2021

Abweisung eines Antrags auf Aufhebung einer Bestimmung des ABGB, gemäß der neben Einzelpersonen, Ehegatten und eingetragenen Partnern auch Personen einer Lebensgemeinschaft zur Adoption berechtigt sind; verfassungskonforme Auslegung der Bestimmung des ABGB gewährt das Recht der Annahme an Kindes statt, soweit sie dem Kindeswohl entspricht

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
EMRK Art8
EMRK Art14
ABGB §191 Abs2
VfGG §7 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2021:G247.2021

 

Spruch:

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG begehren die Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge

"unter Absehen von einer Frist für das Außerkrafttreten

 

A. den Absatz 2 des §191 ABGB JGS Nr 946/1811 idF BGBl I Nr 59/2017 als verfassungswidrig [aufheben],

 

B. in eventu

den Absatz 2 des §191 ABGB JGS Nr 946/1811 idF BGBl I Nr 121/2021 als verfassungswidrig [aufheben],

 

C. in eventu

die §§191 bis 203 ABGB JGS Nr 946/1811 idF BGBl I Nr 121/2021 zur Gänze sowie die §§86 bis 91d AußStrG BGBl I 111/2003 idF BGBl I Nr 38/2019 zur Gänze als verfassungswidrig [aufheben].

 

D. die Republik Österreich in den Kostenersatz zu verfällen, wobei iS des §27 letzter Satz VerfGG Kostenzuspruch für alle regelmäßig anfallenden Kosten zuzüglich USt begehrt wird."

II. Rechtslage

§191 und §194 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, JGS 946/1811, idF BGBl I 59/2017 lauten (die mit dem Hauptantrag angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"Annahme an Kindesstatt

 

§191. (1) Eine Person kann ein Kind an Kindesstatt annehmen, wenn sie entscheidungsfähig ist. Sie kann dabei nicht vertreten werden. Durch die Annahme an Kindesstatt wird die Wahlkindschaft begründet.

 

(2) Ehegatten dürfen in der Regel nur gemeinsam annehmen. Ausnahmen sind zulässig, wenn das leibliche Kind des anderen Ehegatten angenommen werden soll, wenn ein Ehegatte nicht annehmen kann, weil er die gesetzlichen Voraussetzungen hinsichtlich der Entscheidungsfähigkeit oder des Alters nicht erfüllt, wenn sein Aufenthalt seit mindestens einem Jahr unbekannt ist, wenn die Ehegatten seit mindestens drei Jahren die eheliche Gemeinschaft aufgegeben haben oder wenn ähnliche und besonders gewichtige Gründe die Annahme durch nur einen der Ehegatten rechtfertigen.

 

(3) Personen, denen die Sorge für das Vermögen des anzunehmenden Wahlkindes durch gerichtliche Verfügung anvertraut ist, können dieses so lange nicht annehmen, als sie nicht von dieser Pflicht entbunden sind. Sie müssen vorher Rechnung gelegt und die Bewahrung des anvertrauten Vermögens nachgewiesen haben.

 

[…]

 

Bewilligung

 

§194. (1) Die Annahme eines minderjährigen Kindes ist zu bewilligen, wenn sie dessen Wohl dient und eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll. Ist das Wahlkind volljährig, so ist die Annahme nur zu bewilligen, wenn die Antragsteller nachweisen, dass bereits ein enges, der Beziehung zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechendes Verhältnis vorliegt, insbesondere wenn Wahlkind und Annehmender während fünf Jahren entweder in häuslicher Gemeinschaft gelebt oder einander in einer vergleichbar engen Gemeinschaft Beistand geleistet haben.

 

(2) Die Bewilligung ist, außer bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs1, zu versagen, wenn ein überwiegendes Anliegen eines leiblichen Kindes des Annehmenden entgegensteht, insbesondere dessen Unterhalt oder Erziehung gefährdet wäre; im übrigen sind wirtschaftliche Belange nicht zu beachten, außer der Annehmende handelt in der ausschließlichen oder überwiegenden Absicht, ein leibliches Kind zu schädigen."

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die Erstantragstellerin und der Drittantragsteller sind österreichische Staatsbürger, kinderlos und leben in einer nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft.

2. Die minderjährige Zweitantragstellerin wurde von ihrer leiblichen Mutter zur Inkognitoadoption freigegeben und mit Zustimmung der zuständigen Bezirkshauptmannschaft als Kinder- und Jugendhilfeträger der Erstantragstellerin und dem Drittantragsteller zunächst in unentgeltliche Pflege und Erziehung übergeben. Der Drittantragsteller schloss in weiterer Folge mit der zum damaligen Zeitpunkt allein obsorgeberechtigten Bezirkshauptmannschaft als Kinder- und Jugendhilfeträger am 19. Jänner 2021 einen Adoptionsvertrag, der mit Beschluss des Bezirksgerichtes Zell am See vom 9. Februar 2021 bewilligt wurde und rückwirkend mit 19. Jänner 2021 Wirksamkeit erlangte.

3. Die Erstantragstellerin und die Zweitantragstellerin, diese vertreten durch den Drittantragsteller als ihrem gesetzlichen Vertreter, schlossen am 27. Juni 2021 einen Adoptionsvertrag ab. Die Antragsteller beantragten beim Bezirksgericht Zell am See, die Zustimmung der leiblichen Mutter zur Adoption im Falle ihrer Verweigerung zu ersetzen, den Adoptionsvertrag gerichtlich zu genehmigen sowie festzustellen, dass mit Wirksamkeit der Adoption die Erstantragstellerin und der Drittantragsteller mit der Obsorge der Zweitantragstellerin betraut seien, in eventu eine Amtsbestätigung über die gemeinsame Betrauung mit der Obsorge auszustellen.

4. Das Bezirksgericht Zell am See wies alle Anträge mit Beschluss vom 7. Juli 2021 ab. Aus §191 Abs2 ABGB ergebe sich, dass nur Ehegatten oder eingetragene Partner gemeinsam adoptieren dürften und daher Lebensgefährten von einer Adoption ausgeschlossen seien. Eine "Stiefkindadoption" scheide ebenfalls aus, weil es sich nicht um die Adoption des leiblichen Kindes des Drittantragstellers, sondern um dessen Adoptivkind handle. Die Annahme eines Adoptivkindes durch eine Lebensgefährtin sei von der österreichischen Rechtsordnung nicht vorgesehen.

5. Gegen diesen Beschluss erhoben die Antragsteller Rekurs und stellten aus Anlass dieses Rechtsmittels den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG. Darin legen sie ihre verfassungsrechtlichen Bedenken wie folgt dar:

"V. Darlegung der Bedenken

 

1. Wie das BG Zell am See in seinem Beschluss vom 07.07.2021 (Blg. ./A) darlegt, bestimmt §191 Abs2 ABGB, dass die Annahme eines Wahlkindes durch mehr als eine Person, sei es gleichzeitig (gemeinsame Adoption) oder nacheinander (Sukzessivadoption), nur Ehepaaren (und eingetragenen Paaren) vorbehalten ist, während nicht-eheliche Lebensgefährten sowohl von der gemeinsamen Adoption als auch von der Sukzessivadoption ausgeschlossen sind.

 

2. Dies ist grundrechtswidrig.

 

3. Die österreichische Rechtsordnung akzeptiert, dass ein Kind in einer nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft aufwächst und geht davon aus, dass das für ein Kind nicht nachteilig ist.

 

4. Das gilt nicht nur für leibliche Kinder von Lebensgefährten, denen ihre Kinder heute nicht mehr wegen deren Unehelichkeit abgenommen oder unter pflegschaftsbehördliche Überwachung gestellt werden, sondern auch für Adoptionen.

 

5. So ist die Adoption eines Kindes durch eine Einzelperson, mit der Folge, dass das Kind in einer faktischen Familiengemeinschaft auch mit dem nicht-ehelichen Lebensgefährten oder der nicht-ehelichen Lebensgefährtin seines Adoptivelternteils aufwächst, möglich.

 

6. Auch die gemeinsame Elternschaft durch Adoption ist in einer nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft möglich, nämlich wenn das leibliche Kind des Lebensgefährten adoptiert wird.

 

7. Die 1.A darf, obwohl sie in einer nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft lebt, grundsätzlich jedes Kind dieser Welt adoptieren; nur just nicht jenes Kind, mit dem sie seit dessen Geburt in faktischer Familiengemeinschaft lebt und dessen faktische Mutter sie ist: die 2.A.. Und selbst dieses Kind dürfte sie adoptieren, wenn es das leibliche Kind ihres nicht-ehelichen Lebensgefährten, des 3.A, wäre. Sie darf ihr faktisches Kind lediglich deshalb nicht adoptieren, weil es Adoptivkind, und nicht leibliches Kind ihres Lebensgefährten ist.

 

8. Diese schwere Diskriminierung der Familie auf Grund der Geburt der 2.A verletzt die Antragsteller in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insb. in ihrem Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK), auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung jedes Kindes sowie auf die Wahrung seiner Interessen und auf Primat des Kindeswohls bei allen Kindern betreffenden Maßnahmen (Art1 BVG über die Rechte von Kindern) und auf Freiheit von Diskriminierung und auf Gleichbehandlung (Art2 StGG, Art7 B‑VG, Art14 EMRK iVm Art8 EMRK) (VfGH 11.12.2014, G119‑120/2014 Rz 40‑43).

 

9. Während das angefochtene Verbot eine gemeinsame Adoptivelternschaft nicht-ehelicher Lebensgefährten auch dann ausschließt, wenn beide ein Kind in Pflege haben oder ein Partner das Kind bereits adoptiert hat, – ja sogar dann, wenn sie das Kind (wie just im Fall der A) seit seiner Geburt in Pflege haben und ein Partner das Kind bereits adoptiert hat – ermöglicht das Gesetz bei der Stiefkindadoption (Adoption des leiblichen Kindes des nicht-ehelichen Partners) durch Hinzutreten der vertraglichen Adoptionsbeziehung zum selben Kind die gleichzeitige rechtliche Elternschaft des leiblichen und des Adoptivelternteils. Eine sachliche Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlungen ist – insbesondere aus dem auch im Lichte des Art1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern, BGBl I 4/2011, gebotenen Blickwinkel des Wohles des Kindes – nicht gegeben. Weder nach Art8 iVm Art14 EMRK noch nach Art7 Abs1 B‑VG ist es sachlich gerechtfertigt, nicht-eheliche Lebensgefährten grundsätzlich von der gemeinsamen Adoption oder der Sukzessivadoption auszuschließen (VfGH 11.12.2014, G119‑120/2014 Rz 43).

 

10. Es ist nicht zu sehen, warum es im Interesse des Kindeswohls liegen soll, in derartigen Konstellationen nicht nur dem Kind von vorneherein die rechtliche Institutionalisierung des Verhältnisses zu einer (bestehenden oder künftigen) Bezugsperson (hier: zur faktischen Mutter seit Geburt des Kindes) durch Adoptionsvertrag zu verwehren, sondern auch auf diese Weise das Kind von vorneherein von Unterhalts- und Versorgungsansprüchen abzuschneiden (VfGH 11.12.2014, G119‑120/2014 Rz 48).

 

11. Der grundsätzliche gesetzliche Ausschluss nicht-ehelicher Lebensgefährten davon, gemeinsam als Vertragspartner eines Adoptionsvertrages ein Wahlkind anzunehmen, während die gemeinsame Elternschaft nicht-ehelicher Lebensgefährten in anderen Konstellationen rechtlich möglich ist, ist daher inkohärent (vgl EGMR, Fall X ua, Z144) und kann nicht mit der Wahrung des Kindeswohls gerechtfertigt werden (VfGH 11.12.2014, G119‑120/2014 Rz 49).

 

12. Ganz im Gegenteil verletzt dieser grundsätzliche Ausschluss der gemeinsamen Adoption und der Sukzessivadoption eines Kindes durch nicht-eheliche Lebensgefährten das Kindeswohl (VfGH 11.12.2014, G119‑120/2014 Rz 46).

 

13. Nach Art1 BVG über die Rechte von Kindern hat jedes Kind 'Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind, auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf die Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.' Die verfassungsrechtliche Vorgabe, bei Kinder betreffenden Maßnahmen das Kindeswohl als vorrangige Erwägung zu berücksichtigen, bindet auch den Gesetzgeber, wenn er die Grundlage für solche Maßnahmen normiert. Das im zweiten Satz des Art1 BVG über die Rechte von Kindern solcherart verankerte Kindeswohl wird maßgeblich bestimmt durch den im ersten Satz normierten Anspruch von Kindern auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung (VfGH 11.12.2014, G18/2014 Rz 40).

 

14. Eine ausnahmslose und generelle Anordnung des Vorliegens einer Ehe kann – wie just der Fall der Antragsteller anschaulich belegt – das Kindeswohl in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigen, dann nämlich, wenn ein Wahlkind längere Zeit in Familienverhältnissen gelebt hat, die einer Eltern-Kind-Beziehung sehr ähnlich sind oder gar entsprechen, und eine Adoption alleine deshalb nicht bewilligt werden kann, weil die Eltern nicht miteinander verheiratet sind. Eine solche Regelung schließt eine Adoption bei Vorliegen einer nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft auch dann aus, wenn das Kindeswohl die Bewilligung der Adoption geböte. In Fällen, in denen sich ein Kind bereits in einem Familienverband befindet, der durch Adoption rechtlich verfestigt werden soll, hat das grundrechtliche Schutzgut der bestmöglichen Entwicklung und Entfaltung des Kindes erhebliches Gewicht, welches durch das Gebot der Berücksichtigung des Kindeswohls als vorrangige Erwägung in Art1 letzter Satz BVG über die Rechte von Kindern verstärkt wird. Hinzu kommt, dass das gebot einer Ehe zwischen den für das konkrete Kind besten Eltern einem Heiratszwang gleichkommt, weil die Erfüllung des grundrechtlichen Anspruchs der faktischen Familie auf rechtliche Anerkennung von der Eheschließung der Eltern abhängig gemacht wird (VfGH 11.12.2014, G18/2014 Rz 49, 50).

 

15. Die Bestimmung des §191 Abs2 ABGB, die, ohne das konkrete Kindeswohl zu berücksichtigen, alleine auf das Erfordernis der Ehe abzielt, ohne die Möglichkeit eines Absehens von diesem Erfordernis (bei gemeinsamer oder Sukzessivadoption) vorzusehen, verstößt daher gegen Art1 BVG über die Rechte von Kindern (VfGH 11.12.2014, G18/2014 Rz 53; EGMR: ADVISORY OPINION concerning the recognition in domestic law of a legal parent-child realtionship between a child born through a gestational surrogacy arragement abroad and the intended mother, Requested by the French Court of Cassation, Request no. P16‑2018‑001, Grand Chamber 10.04.2019).

 

16. Die angefochtenen Gesetzesbestimmungen verletzen die Antragsteller sohin in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insb. in ihrem Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK), auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung jedes Kindes sowie auf die Wahrung seiner Interessen und auf Primat des Kindeswohls bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen (Art1 BVG über die Rechte von Kindern) und auf Freiheit von Diskriminierung und auf Gleichbehandlung (Art2 StGG, Art7 B‑VG, Art14 EMRK iVm Art8 EMRK)."

6. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Zulässigkeit des Antrages bestreitet und den darin erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken wie folgt entgegentritt:

"3. Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

 

3.1. Zur Entwicklung der Rechtslage:

 

3.1.1. §191 ABGB wurde mit dem Kindschafts- und Namensrechtsänderungsgesetz 2013 – KindNamRÄG 2013, BGBl I Nr 15/2013, neu nummeriert. Die Bestimmung entspricht im Wesentlichen dem §179 ABGB, der mit dem Bundesgesetz über die Neuordnung des Rechtes der Annahme an Kindesstatt, BGBl Nr 58/1960, eingeführt wurde.

 

3.1.2. §179 ABGB in der Fassung vor dem KindNamRÄG 2013 lautete wie folgt:

 

'1. Annahme an Kindesstatt

 

§179. (1) Eigenberechtigte Personen, die den ehelosen Stand nicht feierlich angelobt haben, können an Kindesstatt annehmen. Durch die Annahme an Kindesstatt wird die Wahlkindschaft begründet.

 

(2) Die Annahme eines Wahlkindes durch mehr als eine Person, sei es gleichzeitig, sei es, solange die Wahlkindschaft besteht, nacheinander, ist nur zulässig, wenn die Annehmenden miteinander verheiratet sind. Ehegatten dürfen in der Regel nur gemeinsam annehmen. Ausnahmen sind zulässig, wenn das leibliche Kind des anderen Ehegatten angenommen werden soll, wenn ein Ehegatte nicht annehmen kann, weil er die gesetzlichen Voraussetzungen hinsichtlich der Eigenberechtigung oder des Alters nicht erfüllt, wenn sein Aufenthalt seit mindestens einem Jahr unbekannt ist, wenn die Ehegatten seit mindestens drei Jahren die eheliche Gemeinschaft aufgegeben haben oder wenn ähnliche und besonders gewichtige Gründe die Annahme durch nur einen der Ehegatten rechtfertigen.

 

(3) Personen, denen die Sorge für das Vermögen des anzunehmenden Wahlkindes durch behördliche Verfügung anvertraut ist, können dieses so lange nicht annehmen, als sie nicht von dieser Pflicht entbunden sind. Sie müssen vorher Rechnung gelegt und die Bewahrung des anvertrauten Vermögens nachgewiesen haben.'

 

In den Gesetzesmaterialien zum Bundesgesetz über die Neuordnung des Rechtes der Annahme an Kindesstatt, BGBl Nr 58/1960, wird zu §179 Abs2 ABGB Folgendes ausgeführt (ErläutRV 107 BlgNR 9. GP 14):

 

'Abs2:

 

Hier wird zunächst die gleichzeitige Adoption durch mehrere Personen, sofern sie nicht miteinander verheiratet sind, eindeutig ausgeschlossen. Die Annahme eines Wahlkindes durch mehr als eine Person nacheinander (erneute Adoption) ist – wieder sofern die Annehmenden nicht miteinander verheiratet sind – unzulässig, solange die frühere Wahlkindschaft besteht, also die Bewilligung nicht widerrufen oder die Wahlkindschaft nicht aufgehoben ist.

 

Diese Bestimmung unterstreicht im Zusammenhalt mit den strengeren Voraussetzungen für den Widerruf der Bewilligung und die Aufhebung der Wahlkindschaft die grundsätzliche Unabänderlichkeit einer einmal begründeten Wahlkindschaft.

 

Der Abs2 stellt ferner den Grundsatz auf, daß verheiratete Personen in der Regel nur gemeinsam mit ihrem Ehegatten ein Kind annehmen sollen. Dafür ist die Erwägung maßgebend, daß eine ordentliche Erziehung in der Familie im allgemeinen nur dann gewährleistet ist, wenn sich beide Ehegatten dem Wahlkind durch das rechtliche Band der Annahme verbunden fühlen. Von dieser, sich aus dem Grundsatz der möglichsten Nachbildung einer natürlichen Familie ergebenden Regel müssen aber in begründeten Fällen Ausnahmen zugelassen werden. Der Entwurf führt einige Fälle an, in denen nach Auffassung des Bundesministeriums für Justiz Ausnahmen begründet sind. Eine erschöpfende Aufzählung würde der Vielfalt des Lebens nicht gerecht. Ein Ermessensmißbrauch ist trotz der beispielhaften Aufzählung nicht zu befürchten, weil die anzuerkennenden Ausnahmen den aufgezählten Fällen ähnlich und durch besonders gewichtige Gründe gerechtfertigt sein müssen.'

 

3.1.3. Der Verfassungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 11. Dezember 2014, G119‑120/2014 den ersten Satz des §191 Abs2 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, in der Fassung des KindNamRÄG 2013, BGBl I Nr 15/2013, sowie §8 Abs4 des Eingetragenen Partnerschaft-Gesetzes – EPG, BGBl I Nr 135/2009, in der Fassung des Adoptionsrechts-Änderungsgesetzes 2013 – AdRÄG 2013, BGBl I Nr 179/2003, mit Ablauf des 31. Dezember 2015 als verfassungswidrig auf. Das Verbot der gemeinsamen Adoption durch eingetragene Partner stelle eine sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung nach der sexuellen Orientierung und Ungleichbehandlung eingetragener Partner gegenüber gleich- oder verschiedengeschlechtlichen Lebenspartnern bei der Stiefkindadoption dar.

 

§191 ABGB in der Fassung des KindNamRÄG 2013, BGBl I Nr 15/2013, lautete wie folgt (der aufgehobene Satz ist unterstrichen):

 

'Annahme an Kindesstatt

 

§191. (1) Eigenberechtigte Personen können an Kindesstatt annehmen. Durch die Annahme an Kindesstatt wird die Wahlkindschaft begründet.

 

(2) Die Annahme eines Wahlkindes durch mehr als eine Person, sei es gleichzeitig, sei es, solange die Wahlkindschaft besteht, nacheinander, ist nur zulässig, wenn die Annehmenden miteinander verheiratet sind. Ehegatten dürfen in der Regel nur gemeinsam annehmen. Ausnahmen sind zulässig, wenn das leibliche Kind des anderen Ehegatten angenommen werden soll, wenn ein Ehegatte nicht annehmen kann, weil er die gesetzlichen Voraussetzungen hinsichtlich der Eigenberechtigung oder des Alters nicht erfüllt, wenn sein Aufenthalt seit mindestens einem Jahr unbekannt ist, wenn die Ehegatten seit mindestens drei Jahren die eheliche Gemeinschaft aufgegeben haben oder wenn ähnliche und besonders gewichtige Gründe die Annahme durch nur einen der Ehegatten rechtfertigen.

 

(3) Personen, denen die Sorge für das Vermögen des anzunehmenden Wahlkindes durch gerichtliche Verfügung anvertraut ist, können dieses so lange nicht annehmen, als sie nicht von dieser Pflicht entbunden sind. Sie müssen vorher Rechnung gelegt und die Bewahrung des anvertrauten Vermögens nachgewiesen haben.'

 

3.1.4. Mit dem 2. Erwachsenenschutz‑Gesetz – 2. ErwSchG, BGBl I Nr 59/2017, erfolgte in §191 Abs2 ABGB eine terminologische Änderung, wonach anstelle des Wortes 'Eigenberechtigung' der Begriff 'Entscheidungsfähigkeit' verwendet wird (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 12).

 

3.2. Zum Regelungsinhalt:

 

3.2.1. Mit der Adoption wird die rechtliche Elternschaft zwischen Annehmendem und Wahlkind begründet. Die Adoption kommt nach §192 Abs1 ABGB durch einen schriftlichen Vertrag zwischen Annehmendem und Wahlkind zustande und muss darüber hinaus gerichtlich bewilligt werden. Während das entscheidungsfähige Wahlkind gemäß §192 Abs2 ABGB den Vertrag selbst abschließt, wird das nicht entscheidungsfähige Wahlkind gemäß §192 Abs3 ABGB durch dessen gesetzlichen Vertreter vertreten.

 

Notwendige Voraussetzungen für die gerichtliche Bewilligung der Adoption eines minderjährigen Kindes gemäß §194 Abs1 ABGB ist einerseits, dass die Adoption dessen Wohl dient, dh eine merklich bessere Entwicklung des Kindes zu erwarten ist (RIS‑Justiz RS0048776; OGH 7 Ob 68/02d) und andererseits, dass eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kind entsprechende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll. Bei der Erwachsenenadoption muss ein solches Verhältnis bereits bestehen. Nach der Rechtsprechung ist unter einer Beziehung zwischen dem Wahlkind und dem Wahlelternteil entsprechend dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und ihren Kindern ein gesellschaftliches und psychologisches Verhältnis zu verstehen (RIS‑Justiz RS0048743). Bei der Adoption eines minderjährigen Kindes folgt die Gesetzgebung dem Schutzprinzip im Gegensatz zum Interessenprinzip, das bei der Adoption von entscheidungsfähigen Personen maßgebend ist. Aus den Gesetzesmaterial[i]en geht hervor, dass die Adoption ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Wohls des anzunehmenden Wahlkindes steht (ErläutRV 107 BlgNR 9. GP 17).

 

3.2.2. Das österreichische Adoptionsrecht beruht auf dem Grundsatz der Einzeladoption. Davon ausgenommen sind nach §191 Abs2 ABGB ausdrücklich Ehegatten, die 'in der Regel' nur gemeinsam adoptieren können. Das Gebot der gemeinsamen Adoption durch Ehegatten wird damit begründet, dass Kinder möglichst in einer vollständigen Familie aufwachsen sollen und es dem Kindeswohl entspricht, wenn sich beide Ehegatten dem Kind verbunden fühlen (vgl ErläutRV 107 BlgNR 9. GP 14). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes steht die Bestimmung, dass Ehegatten in der Regel Wahlkinder nur gemeinsam annehmen dürfen, im Einklang mit Art8 EMRK (RIS‑Justiz RS0118511; 1 Ob 284/03a).

 

Die Adoption durch nur einen Ehegatten ist gemäß §191 Abs2 ABGB ausnahmsweise möglich, wenn das leibliche Kind des anderen Ehegatten angenommen werden soll, wenn ein Ehegatte nicht annehmen kann, weil er die gesetzlichen Voraussetzungen hinsichtlich der Entscheidungsfähigkeit oder des Alters nicht erfüllt, wenn sein Aufenthalt seit mindestens einem Jahr unbekannt ist, wenn die Ehegatten seit mindestens drei Jahren die eheliche Gemeinschaft aufgegeben haben oder wenn ähnliche und besonders gewichtige Gründe die Annahme durch nur einen Ehegatten rechtfertigen. Bei den in §191 Abs2 ABGB genannten Ausnahmen handelt es sich um eine demonstrative Aufzählung (vgl ErläutRV 107 BlgNR 9. GP 14; RIS‑Justiz RS0106752).

 

3.2.3. Bei der Adoption des leiblichen Kindes durch einen Partner des Elternteils handelt es sich um eine sogenannte 'Stiefkindadoption'. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte Österreich aufgrund einer Verletzung von Art14 iVm. Art8 EMRK, weil die Stiefkindadoption nur Ehegatten, nicht aber auch eingetragenen Partnern ermöglicht wurde (EGMR 19.2.2013 [GK], 19010/07, X ua/Österreich). Mit dem AdRÄG 2013 wurde die Adoption des leiblichen Kindes des gleichgeschlechtlichen Partners sowohl eingetragenen Partnern als auch Lebensgefährten ermöglicht. Gemäß §197 Abs4 ABGB bleiben die familienrechtlichen Beziehungen zum leiblichen Elternteil durch die Annahme des Wahlkindes durch den gleichgeschlechtlichen Partner bestehen. Es erlöschen in diesem Fall allein die Beziehungen zum anderen Elternteil.

 

3.2.4. Als 'Sukzessivadoption' wird die gemeinsame Adoption des Wahlkindes durch mehrere Personen verstanden, wenn diese nicht gleichzeitig, sondern nacheinander erfolgt. Die Materialien zum AdRÄG 2013 führten aus, dass die Sukzessivadoption Ehegatten vorbehalten sei, wodurch dem besonderen Status der Ehe Rechnung getragen werde (ErläutRV 2403 BlgNR 24. GP 5). Mit der Aufhebung des ersten Satzes des §191 Abs2 ABGB durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 11. Dezember 2014, G119‑120/2014 ist auch diese Einschränkung weggefallen, sodass die Sukzessivadoption auch einem gleichgeschlechtlichen Partner sowie gleichgeschlechtlichen Lebensgefährten offensteht (Deixler-Hübner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.08 §197 Rz. 3; Fuhrmann, Gemeinsame Adoption für alle? JAP 2016/2017, 114 [117]; Kutscher/Wildpert, Personenstandsrecht2 §197 ABGB Rz. 10).

 

3.2.5. Nach einhelliger Meinung können in Anwendung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2014, G119‑120/2014 auch eingetragene Partner gemeinsam adoptieren (Hopf/Weixelbraun-Mohr in KBB6 §191 Rz. 2; Fuhrmann, JAP 2016/2017, 116; Deixler-Hübner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 §191 Rz. 4). Nach einem Teil der Lehre können sie – analog zur Regelung für Ehegatten – nur gemeinsam adoptieren (Beclin, Gemeinsame und sukzessive Adoption nicht mehr auf Ehepaare beschränkt, EF‑Z 2016, 142 [142 f]; Fuhrmann, JAP 2016/2017, 118; offenlassend Deixler-Hübner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 §191 Rz. 4; aA Hopf/Weixelbraun-Mohr in KBB6 §191 Rz. 2).

 

3.2.6. Ebenso können Lebensgefährten nach ganz einhelliger Auffassung gemeinsam adoptieren, und zwar gleichzeitig oder sukzessive (Hopf/Weixelbraun-Mohr in KBB6 §191 Rz. 2; Beclin, EF‑Z 2016, 143; Fuhrmann, JAP 2016/2017, 117; Nademleinsky in Schwimann/Neumayr, ABGB Taschenkommentar5 §191 ABGB Rz. 2; Kutscher/Wildpert, Personenstandsrecht2 §191 ABGB Rz. 6; Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I15 [2018] Rz. 1806). Auch wenn sich das Normprüfungsverfahren des Verfassungsgerichtshofes zu G119‑120/2014 auf die Zulässigkeit einer Adoption durch eingetragene Partner beschränkte, wirkt sich die Aufhebung des §191 Abs2 erster Satz ABGB auch auf Lebensgefährten aus, da das Gesetz – durch den Wegfall des zwingenden Erfordernisses einer Ehe – nicht mehr das Bestehen einer bestimmten Beziehung zweier Menschen voraussetzt (s Fuhrmann, JAP 2016/2017, 117; Beclin, EF‑Z 2016, 142).

 

3.2.7. Nach einem Teil der Lehre sollen aufgrund der fehlenden gesetzlichen Beschränkung auf Paare auch zwei Personen gemeinsam einzeln und nacheinander ein Kind adoptieren können, die weder verheiratet oder verpartnert sind noch in einer Lebensgemeinschaft leben (Beclin, EF‑Z 2016, 143). Aufgrund der durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes bereinigten Rechtslage sei nämlich nunmehr die einzige Schranke, dass maximal zwei (und nicht mehr) Personen gemeinsam annehmen dürfen (Beclin, EF‑Z 2016, 142; offenlassend und für eine klarstellende Novelle Deixler-Hübner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 §191 Rz. 5 f; ablehnend Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I15 Rz. 1806).

 

3.2.8. Die Wirkungen der Adoption sind in §197 ABGB geregelt. Gemäß §197 Abs1 ABGB entstehen mit dem Zeitpunkt der Annahme zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind die gleichen Rechte, wie sie durch Abstammung begründet werden. Wird das Wahlkind durch Ehegatten als Wahleltern angenommen, so erlöschen nach §197 Abs2 ABGB mit diesem Zeitpunkt die nicht bloß in der Verwandtschaft an sich (§40 ABGB) bestehenden familienrechtlichen Beziehungen zwischen den leiblichen Eltern und deren Verwandten einerseits und dem Wahlkind und dessen im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Annahme minderjährigen Nachkommen andererseits (sofern nicht eine der Ausnahmen nach §198 ABGB vorliegt).

 

Nimmt ein Ehegatte, ein eingetragener Partner oder ein Lebensgefährte das Kind seines Ehegatten, eingetragenen Partners oder Lebensgefährten an, so erlöschen nach §197 Abs4 ABGB die familienrechtlichen Beziehungen nach Maßgabe des §197 Abs2 ABGB lediglich zum anderen Elternteil und zu dessen Verwandten. Damit wird im Wesentlichen die Stiefkindadoption umgesetzt; sie ist Sonderform der Adoption durch eine einzelne Person (vgl Höllwerth in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5 §197 ABGB Rz. 12). Demnach erlöschen bei Adoption des Kindes eines Ehegatten, eingetragenen Partners oder Lebensgefährten durch den anderen Ehegatten, eingetragenen Partner oder Lebensgefährten die familienrechtlichen Beziehungen nach Maßgabe des §197 Abs2 ABGB nur zum anderen leiblichen Elternteil und dessen Verwandten. Dadurch wird nunmehr auch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften die Stiefkindadoption ermöglicht, ohne dass die familienrechtlichen Beziehungen des Kindes zum eingetragenen Partner oder Lebensgefährten des Wahlelternteils erlöschen. Damit sollte dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 19. Februar 2013 (GK), 19010/07, X ua/Österreich – im engst möglichen Rahmen – entsprochen werden. Nach dem Verständnis des AdRÄG 2013 sollten vom Begriff 'Kind' in §197 Abs4 ABGB nur leibliche Kinder verstanden werden. Zum Vorbehalt der Sukzessivadoption zugunsten von Ehegatten beriefen sich die Materialien zum AdRÄG 2013 allerdings auf den inzwischen vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen §191 Abs2 erster Satz ABGB in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 15/2013, weshalb diese Einschränkung mittlerweile obsolet ist (ErläutRV 2403 BlgNR 24. GP 5; Höllwerth in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5 §197 ABGB Rz. 13; Deixler-Hübner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.08 §197 Rz. 3; Fuhrmann, JAP 2016/2017, 115 f).

 

II. Zum Anlassverfahren und zur Zulässigkeit:

 

1. Zum Anlassverfahren:

 

[…]

 

2. Zur Zulässigkeit:

 

2.1. Geltendmachung von Vollziehungsmängeln:

 

2.1.1. Die Antragsteller behaupten im Wesentlichen, dass die Auslegung des §191 Abs2 ABGB durch das Bezirksgericht nicht dem Gesetz entspreche und daher die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte der Antragsteller verletze (vgl auch die Argumentation im eingebrachten Rekurs). Das Bezirksgericht unterstelle mit seiner Auslegung dem einfachen Gesetz einen verfassungswidrigen Inhalt, da §191 Abs2 ABGB lediglich ein Gebot der gemeinsamen Adoption (nur) für Ehegatten, aber keinen Ausschluss anderer als Ehegatten für eine gemeinsame Adoption normiere (s auch Punkt 4 und 7 des Rekurses).

 

2.1.2. Der Argumentation der Antragsteller folgend resultiert die Verletzung in ihren Rechten jedoch nicht aus der Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, sondern aus dem Beschluss des Bezirksgerichtes. Damit machen die Antragsteller aber lediglich Vollziehungsfehler geltend. Zulässiger Prüfungsgegenstand eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG ist aber ausschließlich die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen, nicht jedoch die gerichtliche Entscheidung und die in dieser Entscheidung zum Ausdruck kommende Rechtsanschauung (vgl VfGH 2.7.2015, G145/2015; 26.2.2016, G179/2015; 23.2.2017, G274/2016; VfSlg 20.188/2017 mwN). Der Verfassungsgerichtshof ist auf Grund des Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG nicht für die Korrektur von Vollziehungsfehlern der ordentlichen Gerichte zuständig, selbst wenn diese in die Verfassungssphäre reichen sollten. Diesbezüglich ist der Rechtsschutz auf der Ebene des gerichtlichen Rechtsmittelverfahrens geblieben (VfSlg 20.001/2015).

 

Nach Auffassung der Bundesregierung erweist sich der Antrag daher bereits aus diesem Grund zur Gänze als unzulässig.

 

2.2. Zur Präjudizialität:

 

2.2.1. Die Bundesregierung verweist auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag auf Aufhebung einer generellen Norm nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl zB VfSlg 19.824/2013 und 19.833/2013). Diese Rechtsprechung ist sinngemäß auf Verfahren über einen Parteiantrag auf Normenkontrolle übertragbar (vgl VfGH 23.2.2017, G369/2016; 14.6.2017, G26/2017).

 

Ein Parteiantrag auf Normenkontrolle kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das angefochtene Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht der Antragsteller wäre. Der Antrag hat darzulegen, inwiefern das Gericht das Gesetz anzuwenden und welche Auswirkungen die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes auf die beim Gericht anhängige Rechtssache hätte. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG setzt daher voraus, dass die angefochtenen Gesetzesbestimmungen in der vor dem ordentlichen Gericht entschiedenen Rechtssache präjudiziell sind (vgl zB VfSlg 20.010/2015; 19.11.2015, G498/2015 ua; 13.10.2016, G33/2016 ua; 30.11.2016, G286/2016; 14.6.2017, G26/2017).

 

2.2.2. Die Präjudizialität ist entsprechend den Anforderungen des §62 Abs2 VfGG von den Antragstellern für jede angefochtene Bestimmung gesondert darzulegen (vgl Fuchs/Kneihs in Eberhard/Fuchs/Kneihs/Vašek, Kommentar zum Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 §62 VfGG Rz. 16). Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes zu untersuchen, ob und inwiefern welche Norm präjudiziell sein könnte (vgl VfSlg 12.869/1991, 13.445/1993, 14.314/1995). Diesen Anforderungen wird der zweite Eventualantrag in Bezug auf §191 Abs1 und Abs3, die §§192 bis 203 ABGB sowie die §§86 bis 91d AußStrG nicht gerecht und ist daher nach Auffassung der Bundesregierung bereits vor diesem Hintergrund unzulässig.

 

Selbst wenn man annehmen würde, dass auch §191 Abs1 und Abs3, die §§192 bis 203 ABGB sowie die §§86 bis 91d AußStrG im vorliegenden Fall präjudiziell sind, wäre der Antrag diesbezüglich zurückzuweisen, da die Antragsteller gegen diese Bestimmungen keine eigenständigen Bedenken vorbringen. Damit genügt der Antrag insofern nicht den Anforderungen des §62 Abs1 VfGG.

 

2.2.3. Die Antragsteller führen aus, dass das Bezirksgericht im Fall der Aufhebung der 'angefochtenen Gesetzesbestimmungen' die Anträge unter Abstandnahme vom Hinderungsgrund des Nichtbestehens einer Ehe oder eingetragenen Partnerschaft am Kindeswohl zu prüfen und stattzugeben hätte.

 

Zunächst weist die Bundesregierung darauf hin, dass aus der Darlegung der Antragsteller nicht hervorgeht, ob sich die behaupteten Auswirkungen lediglich auf §191 Abs2 ABGB oder auch auf §191 Abs1 und 3, §§192 bis 203 ABGB sowie die §§86 bis 91 AußStrG beziehen. Insoweit sich diese Auswirkungen auch auf den Anfechtungsumfang iSd. zweiten Eventualantrags beziehen, würde die Aufhebung dieser Bestimmungen betreffend die Bewilligung und das Verfahren dazu führen, dass die Anträge keiner Bewilligung durch das Bezirksgericht mehr zugänglich wären.

 

Insoweit sich die dargelegten Auswirkungen allerdings auf §191 Abs2 ABGB beziehen sollten, verkennen die Antragsteller, dass sich der Regelungsinhalt des §191 Abs2 ABGB darauf beschränkt, dass Ehegatten ein Kind nur gemeinsam annehmen können, sofern nicht einer der demonstrativ aufgezählten Ausnahmegründe vorliegt. §191 Abs2 ABGB normiert nicht, ob bzw welche Form der Beziehung zwischen den Annehmenden bestehen muss, um ein Kind gemeinsam adoptieren zu können und verbietet insbesondere auch nicht die gemeinsame Adoption durch Lebensgefährten (vgl auch VfSlg 19.942/2014 Rz. 19 zu §191 Abs2 zweiter und dritter Satz in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 15/2013, der inhaltlich dem §191 Abs2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 59/2017 entspricht). Mit der Aufhebung des §191 Abs2 ABGB wäre für die Antragsteller somit nichts gewonnen. Die Aufhebung würde vielmehr dazu führen, dass auch Ehegatten zu einer Einzeladoption unabhängig vom Vorliegen besonderer Voraussetzung legitimiert wären.

 

2.3. Bezeichnung der aufzuhebenden Bestimmungen:

 

2.3.1. Gemäß §62 Abs1 erster Satz VfGG sind die anzufechtenden Bestimmungen genau und eindeutig zu bezeichnen (zB VfSlg 11.888/1988, 12.062/1989, 12.263/1990, 14.040/1995, 14.634/1996). Es darf nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des Antragstellers tatsächlich aufgehoben werden soll (VfSlg 12.062/1989, 12.487/1990, 14.040/1995, 16.340/2001). Eine ungenaue Bezeichnung der Gesetzesvorschriften, deren Aufhebung beantragt wird, ist nach ständiger Rechtsprechung kein verbesserungsfähiger Mangel (VfSlg 14.634/1996; vgl auch VfSlg 17.570/2005). Es ist dem Verfassungsgerichtshof nämlich verwehrt, Gesetzesbestimmungen auf Grund bloßer Vermutungen darüber, welche Normen der Antragsteller ins Auge gefasst haben könnte, in Prüfung zu ziehen und aufzuheben (VfSlg 15.775/2000; 16.340/2001; 17.570/2005).

 

Im Aufhebungsbegehren muss auch zweifelsfrei hervorgehen, in welcher Fassung die angefochtene Norm aufgehoben werden soll. Bei Gerichts- und Parteianträgen muss die jeweils präjudizielle Fassung der angefochtenen Bestimmung angeführt werden (vgl Fuchs/Kneihs in Eberhard/Fuchs/Kneihs/Vašek, Kommentar zum Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 §62 VfGG Rz. 5).

 

2.3.2. Der erste und der zweite Eventualantrag werden den Anforderungen an eine hinreichend bestimmte Bezeichnung der angefochtenen Bestimmungen nicht gerecht:

 

Im ersten Eventualantrag begehren die Antragsteller die Aufhebung des §191 Abs2 ABGB, JGS Nr 946/1811, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 121/2021, mit dem das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, das Landarbeitsgesetz 2021 und das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert wurden. Mit der zitierten Fassung erfolgte jedoch weder eine Änderung des §191 Abs2 ABGB noch eine der im zweiten Eventualantrag angefochtenen Bestimmungen. §191 Abs2 ABGB wurde zuletzt durch das 2. ErwSchG, BGBl I Nr 59/2017, geändert. Diese Fassung, die auch im Hauptantrag angefochten wurde, stellt somit die präjudizielle Fassung dar. Der erste Eventualantrag ist daher mangels Anfechtung der präjudiziellen Fassung unzulässig.

 

Im zweiten Eventualantrag werden die §§191 bis 203 ABGB, JGS Nr 946/1811, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 121/2021, sowie die §§86 bis 91d AußStrG, BGBl I Nr 111/2003, in der Fassung des Zivilrechts- und Zivilverfahrensrechts-Änderungsgesetzes 2019 – ZZRÄG 2019, BGBl I Nr 38/2019, angefochten. Mit den zitierten Fassungen wurden weder die angefochtenen Bestimmungen des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches noch jene des Außerstreitgesetzes geändert, sodass sich auch der zweite Eventualantrag mangels Bezeichnung der präjudiziellen Fassungen als unzulässig erweist.

 

2.4. Zum Anfechtungsumfang:

 

2.4.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist der Umfang einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesbestimmung derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird als zur Beseitigung der zulässigerweise geltend gemachten Rechtsverletzung erforderlich ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (vgl VfSlg 16.195/2001, 17.792/2006, 19.496/2011; VfGH 2.3.2015, G140/2014; jeweils mwN).

 

2.4.2. Der Anfechtungsumfang des zweiten Eventualantrags ist nach Auffassung der Bundesregierung zu weit gefasst:

 

Die Antragsteller begehren die Aufhebung der §§191 bis 203 ABGB, JGS Nr 946/1811, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 121/2021, zur Gänze sowie der §§86 bis 91d AußStrG, BGBl I Nr 111/2003, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 38/2019, zur Gänze. Die Aufhebung im Umfang des zweiten Eventualantrags würde dazu führen, dass mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden würde, als dies zur Beseitigung der behaupteten Rechtsverletzung erforderlich wäre. Die Antragsteller führen in ihrem Aufhebungsbegehren selbst aus, dass sie den Sitz der Verfassungswidrigkeit in §191 Abs2 ABGB verorten und die Eventualanträge nur für den Fall stellen, dass der Verfassungsgerichtshof 'die Aufhebung weiter fassen will'. Auch die von den Antragstellern vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken beziehen sich ausschließlich auf §191 Abs2 ABGB.

 

Die Antragsteller legen auch nicht dar, dass zwischen dem §191 Abs2 ABGB und den anderen angefochtenen Bestimmungen ein untrennbarer Zusammenhang bestehe. Ein solcher liegt auch nicht vor: Der Verfassungsgericht[s]hof hat einen untrennbaren Zusammenhang zwischen dem §191 Abs2 erster Satz ABGB, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 15/2013, der die gemeinsame Adoption ausschließlich verheirateten Personen ermöglichte, und den §§193, 197 und 200 Abs1 Z3 ABGB ausdrücklich verneint (VfSlg 19.942/2014 Rz. 30 ff). Diese Rechtsprechung lässt sich nach Auffassung der Bundesregierung auch auf §191 Abs2 ABGB in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 59/2017 übertragen. Ein untrennbarer Zusammenhang kann darüber hinaus auch nicht zu den anderen angefochtenen Bestimmungen im Sinne des zweiten Eventualantrags erblickt werden.

 

Der zweite Eventualantrag erweist sich daher nach Auffassung der Bundesregierung auch aus diesem Grund als unzulässig.

 

3. Aus diesen Gründen ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der Antrag zur Gänze unzulässig ist.

 

Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof den Antrag dennoch als zulässig erachten sollte, nimmt die Bundesregierung im Folgenden in der Sache Stellung:

 

III. In der Sache:

 

Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012). Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.

 

1. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art8 EMRK, Art2 StGG, Art7 B‑VG und Art14 iVm. Art8 EMRK

 

1.1. Die Antragsteller sehen sich durch die verwehrte Möglichkeit der gemeinsamen Adoption sowie der Sukzessivadoption der Zweitantragstellerin in ihrem Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) und auf Freiheit von Diskriminierung und auf Gleichbehandlung (Art2 StGG, Art7 B‑VG, Art14 iVm. Art8 EMRK) verletzt. Die Verletzung in ihren Rechten liege darin, dass §191 Abs2 ABGB bestimme, 'dass die Annahme eines Wahlkindes durch mehr als eine Person, sei es gleichzeitig (gemeinsame Adoption) oder nacheinander ('Sukzessivadoption'), nur Ehepaaren (und eingetragenen Partnern) vorbehalten ist, während nichteheliche Lebensgefährten sowohl von der gemeinsamen Adoption als auch von der Sukzessivadoption ausgeschlossen sind' (Seite 6 des Antrags).

 

1.2. Die Bundesregierung verweist auf die herrschende Auffassung, wonach §191 Abs2 ABGB einer gemeinsamen Adoption sowie einer Sukzessivadoption durch Lebensgefährten nicht entgegensteht (s Punkt I.3.2.). Einen Ausschluss verschiedengeschlechtlicher und gleichgeschlechtlicher Lebensgefährten sowie eingetragener Partner von einer gemeinsamen Adoption eines Wahlkindes normierte §191 Abs2 erster Satz ABGB in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 15/2013, der vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 11. Dezember 2014 als verfassungswidrig aufgehoben wurde (VfSlg 19.942/2014). Durch den Wegfall der Regelung, wonach die Annahme eines Wahlkindes durch mehr als eine Person ausschließlich Ehegatten vorbehalten ist, steht nach Auffassung der Bundesregierung nunmehr auch gleich- und verschiedengeschlechtlichen Lebensgefährten sowie eingetragenen Partnern eine gemeinsame Adoption und eine Sukzessivadoption offen.

 

1.3. Sollte der Verfassungsgerichtshof die Ausführungen und die herrschende Lehre zum Verständnis des §191 Abs2 ABGB in der angefochtenen Fassung nicht teilen, so wäre eine Auslegung, dass die gemeinsame Adoption Ehegatten und eingetragenen Partnern vorbehalten bleibt, nach Auffassung der Bundesregierung nicht verfassungswidrig:

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte könne aus Art8 EMRK per se kein Recht auf Adoption abgeleitet werden (EGMR 26.2.2002, 36515/97, Fretté/Frankreich Rz. 32 mwN; VfSlg 19.942/2014 Rz. 42). Die Gesetzgebung verfügt bei der Regelung der Voraussetzungen der Adoption über einen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum (vgl VfSlg 19.941/2014 Rz. 46). Ermöglicht die Rechtsordnung einem bestimmten Personenkreis jedoch grundsätzlich die Adoption, fallen nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auch bezüglich dieser Personen (und von ihnen zu adoptierenden Kinder[n]) die gesetzlichen Regelungen über die Adoption in den Anwendungsbereich des Art8 EMRK, womit sie den Anforderungen des Art14 EMRK entsprechen müssen (vgl VfSlg 19.942/2014 Rz. 42; EGMR 19.2.2013 [GK], 19010/07, X ua/Österreich Rz. 136). Da die Rechtsordnung unverheirateten Personen, die in einer gleich- oder verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaft leben, die Adoption des leiblichen Kindes des anderen Partners ('Stiefkindadoption') ermöglicht, stellt der Ausschluss dieser Personen von der Möglichkeit einer gemeinsamen Adoption oder einer Sukzessivadoption eines Wahlkindes einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in Art8 EMRK dar.

 

1.4. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist die Gesetzgebung nicht dazu verhalten, Ehe und Lebensgemeinschaft in jeder Hinsicht gleichzustellen (vgl VfSlg 10.064/1984, 14.008/1995, 17.979/2006; zuletzt VfGH 23.6.2021, G32/2021). Der Verfassungsgerichtshof stellte in diesem Zusammenhang klar, dass die eheliche Gemeinschaft auf einer rechtlichen Institution beruhe, die ein wesentliches Element der rechtlichen Ordnung menschlicher Beziehungen bilde, während für nichteheliche Lebensgemeinschaften eine vergleichbare rechtliche Ordnung des Gemeinschaftsverhältnisses nicht bestehe.

 

Wenn der Gesetzgeber an das Bestehen einer Ehe (oder einer eingetragenen Partnerschaft) besondere Rechtsfolgen knüpft, so berücksichtigt er damit in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise die nach wie vor vielfältigen Unterschiede, die zwischen diesen Formen der Partnerschaft bestehen. Ehe und eingetragener Partnerschaft ist es gemein, dass sie einen rechtlichen Rahmen für das gleichberechtigte Zusammenleben von Paaren schaffen, indem sie auf Dauer angelegte stabile Verbindungen institutionalisieren (VfSlg 20.225/2017; 19.942/2014). Das Eingehen einer Ehe begründet eine umfassende eheliche Lebensgemeinschaft, die nur unter besonderen Voraussetzungen wieder aufgelöst werden kann, und zieht eine Reihe von persönlichen Rechtswirkungen nach sich. Die Partner einer Ehe treffen insbesondere verschiedene Verpflichtungen, denen jeweils Rechtsansprüche des anderen Partners korrespondieren (§§90, 94 ff ABGB), wobei im vorliegenden Zusammenhang insbesondere die Pflicht von Ehegatten zum gemeinsamen Wohnen (§90 Abs1 ABGB), zum gegenseitigen Beistand in der Ausübung der Obsorge für die Kinder (§90 Abs3 ABGB) oder die Verpflichtung zur einvernehmlichen Gestaltung (ua) der Obsorge unter Rücksichtnahme aufeinander und auf das Wohl der Kinder (§91 Abs1 ABGB) relevant sind. Auch bei Scheidung der Ehe (§55 Abs2 EheG) und nach Auflösung der Ehe ist besonders auf das Wohl der gemeinsamen Kinder abzustellen (vgl §69 EheG zur Unterhaltspflicht bei Scheidung aus anderen Gründen, §83 EheG zur Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse) (vgl VfSlg 17.979/2006 mwN).

 

Auch das Eingehen einer eingetragenen Partnerschaft begründet eine umfassende auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft mit gegenseitigen Rechten und Pflichten, die jenen der Ehe ähneln (vgl §§2 ff EPG; Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I15 Rz. 1676). Die jeweiligen, die gemeinsamen Kinder betreffenden ehe- und kindschaftsrechtlichen Bestimmungen, die die Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft sowie die Voraussetzungen und Folgen der Auflösung oder Scheidung der Ehe regeln, sind auf eingetragene Partner sinngemäß anzuwenden (§43 Abs1 Z27 EPG).

 

Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft sind derartigen Pflichten nach der derzeitigen Rechtslage nicht unterworfen; insbesondere sind sie einander nicht zu Unterhaltsleistungen verpflichtet; es steht ihnen überdies frei, die Gemeinschaft jederzeit aufzulösen (vgl VfSlg 17.979/2006 mwN; Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I15 Rz. 1414).

 

Nach Ansicht der Bundesregierung steht es der Gesetzgebung innerhalb ihres rechtspolitischen Gestaltungsspielraums frei, bestimmte privilegierende Regelungen an Rechtsinstitute zu knüpfen, die die Rechtsordnung zur Verfügung stellt, und sie nicht für einen bestimmten Lebenssachverhalt zuzulassen. Der Verfassungsgerichtshof betonte im Erkenntnis zur Aufhebung des §191 Abs2 erster Satz ABGB in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 15/2013, dass sowohl die Ehe als auch die eingetragene Partnerschaft auf 'die Institutionalisierung einer auf Dauer angelegten stabilen Beziehung zweier Menschen' abziele, wobei es zur Wahrung des Kindeswohls im Hinblick auf eine vorhandene Stabilität der Beziehung der Wahleltern zueinander sachlich nicht gerechtfertigt sei, eingetragene Partner von der gemeinsamen Adoption eines Wahlkindes auszuschließen (VfSlg 19.942/2014 Rz. 48).

 

1.5. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte liegt der Zweck der Adoption darin, 'ein Kind mit einer Familie, nicht eine Familie mit einem Kind auszustatten' (EGMR 26.2.2002, 36515/97, Fretté/Frankreich Rz. 42). Vor diesem Hintergrund und zur Wahrung des Kindeswohls besteht nach Auffassung der Bundesregierung insofern auch kein Anspruch, dass jegliche Partnerschaft zwischen zwei Personen unabhängig von ihrer Stabilität und Dauer zu einer gemeinsamen Adoption eines Kindes berechtigt (vgl auch Schoditsch, Die gemeinsame Adoption homosexueller Personen, iFamZ 2015, 161 [164]). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betonte, dass die EMRK die Mitgliedstaaten nicht verpflichte, das Recht auf (Stiefkind‑)Adoption auf unverheiratete Paare auszuweiten (EGMR 19.2.2013 [GK], 19010/07, X ua/Österreich Rz. 136; 15.6.2012, 25951/07, Gas and Dubois/Frankreich Rz. 66 ff).

 

Nach Auffassung der Bundesregierung liegt es daher im Rahmen des weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes der Gesetzgebung, wenn die gemeinsame Adoption und die Sukzessivadoption Ehegatten und eingetragenen Partnern vorbehalten wird. Die Bundesregierung verkennt zwar nicht, dass die Stabilität einer Beziehung zwischen den Wahleltern und die Auswirkungen auf das Wohl des Wahlkindes im Rahmen des gerichtlichen Bewilligungsverfahrens einer Überprüfung zugänglich ist. Nach Auffassung der Bundesregierung liegt es jedoch innerhalb des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums, erhöhte und formalisierte Anforderungen an die Stabilität der Beziehung der Wahleltern zu stellen. Die Annahme, dass die Stabilität einer Beziehung – im Sinne einer typisierenden Durchschnittsbetrachtung – durch eine Institutionalisierung der Partnerschaft sichergestellt bzw wahrscheinlicher ist und der Förderung des Kindeswohles dient, spiegelt sich im Übrigen auch in Art6 Abs1 des Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern, BGBl Nr 314/1980, sowie in Art7 Abs1 des – von Österreich nicht ratifizierten – revidierten Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern vom 27. September 2008, ETS. 202, wider (vgl Art7 Abs2 des revidierten Abkommens, wonach Staaten berechtigt – nicht aber dazu verpflichtet – sind, die gemeinsame Adoption auch auf gleich- und verschiedengeschlechtliche Paare zu erstrecken, die in einer stabilen Beziehung zusammenleben).

 

1.7. Nach Auffassung der Bundesregierung ist der Ausschluss der gemeinsamen Adoption und der Sukzessivadoption eines Kindes durch nicht in einer Ehe oder eingetragenen Partnerschaft lebende Lebensgefährten daher gerechtfertigt.

 

2. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art1 BVG über die Rechte von Kindern

 

2.1. Die Antragsteller sehen sich durch die verwehrte Möglichkeit der gemeinsamen Adoption sowie der Sukzessivadoption der Zweitantragstellerin im Recht auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung jedes Kindes sowie auf Wahrung seiner Interessen und auf das Primat des Kindeswohls bei allen Kindern betreffenden Maßnahmen (Art1 BVG über die Rechte von Kindern) verletzt.

 

2.2. Zunächst verweist die Bundesregierung abermals auf die herrschende Auffassung zur Auslegung des §191 Abs2 ABGB, wonach eine gemeinsame Adoption sowie eine Sukzessivadoption auch nicht in einer Ehe oder eingetragenen Partnerschaft lebenden Lebensgefährten offensteht (s Punkt I.3.2.). Ein Eingriff in Art1 BVG über die Rechte von Kindern ist daher nach dieser Auslegung zu verneinen.

 

2.3. Sollte der Verfassungsgerichtshof die herrschende Lehre zum Verständnis des §191 Abs2 ABGB in der angefochtenen Fassung nicht teilen, so wäre ein allfälliger Eingriff in Art1 BVG über die Rechte von Kindern aus den unter Punkt III.1. genannten Gründen gerechtfertigt. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass die angefochtene Bestimmung der Sicherstellung des Kindeswohles dient und verhältnismäßig ist.

 

3. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die angefochtenen Bestimmungen nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig sind."

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

1.2. Der vorliegende Antrag wurde aus Anlass des Rekurses gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Zell am See vom 7. Juli 2021 gestellt. Mit diesem Beschluss wurde die Rechtssache in erster Instanz durch ein ordentliches Gericht entschieden (Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG).

1.3. Als Antragsteller im zivilgerichtlichen Verfahren sind die Antragsteller des verfassungsgerichtlichen Verfahrens Parteien des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht, womit sie zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG berechtigt sind.

1.4. Dem Erfordernis der Einbringung aus Anlass eines Rechtsmittels haben die Antragsteller jedenfalls dadurch Rechnung getragen, dass sie den vorliegenden Antrag und das Rechtsmittel gegen den genannten Beschluss des Bezirksgerichtes Zell am See am selben Tag erhoben und eingebracht haben (vgl VfSlg 20.074/2016).

Im Übrigen geht der Verfassungsgerichtshof auf Grund einer entsprechenden Mitteilung des Bezirksgerichtes Zell am See davon aus, dass das erhobene Rechtsmittel rechtzeitig und zulässig ist.

1.5. Ein auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützter Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG setzt daher voraus, dass die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes im Anlassfall bildet (VfSlg 20.029/2015; vgl VfSlg 20.010/2015).

Das Erstgericht hat §191 Abs2 ABGB, dessen Verfassungswidrigkeit die Antragsteller behaupten, in seinem Beschluss angewendet. Aus dem Gesetzeswortlaut ergebe sich, dass nur Ehegatten und eingetragene Partner gemeinsam adoptieren dürften, somit Lebensgefährten von einer Adoption ausgeschlossen seien. Eine "Stiefkindadoption" sei ebenfalls nicht möglich, weil nicht das leibliche Kind des Drittantragstellers angenommen werden solle, sondern ein Adoptivkind. Der österreichische Gesetzgeber sehe eine Adoption durch Lebensgefährten nicht vor. Die angefochtene Bestimmung ist vor diesem Hintergrund als im Verfahren vor dem ordentlichen Gericht präjudiziell anzusehen.

1.6. Die Bundesregierung ist der Auffassung, der Antrag sei aus mehreren Gründen unzulässig.

1.6.1. Die Antragsteller machten zunächst keine Verfassungswidrigkeit geltend, sondern lediglich eine fehlerhafte Auslegung des Gesetzes durch das Erstgericht, das §191 Abs2 ABGB einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Damit rügten die Antragsteller aber lediglich Vollzugsfehler, die keinen zulässigen Prüfungsgegenstand in einem Verfahren nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG darstellten.

1.6.2. Darüber hinaus sei für die Antragsteller durch die Aufhebung der angefochtenen Bestimmung nichts gewonnen, weil sich der Regelungsinhalt des §191 Abs2 ABGB darauf beschränke, dass Ehegatten ein Kind nur gemeinsam annehmen könnten, sofern nicht einer der demonstrativ aufgezählten Ausnahmetatbestände vorliege. Die Bestimmung normiere nicht, ob bzw welche Form der Beziehung zwischen den Annehmenden bestehen müsse, und verbiete insbesondere auch nicht die gemeinsame Adoption durch Lebensgefährten. Die begehrte Aufhebung führte lediglich dazu, dass auch Ehegatten zu einer Einzeladoption unabhängig vom Vorliegen weiterer Voraussetzungen legitimiert wären.

1.6.3. Darüber hinaus seien die Eventualanträge aus näher angeführten Gründen unzulässig.

1.7. Entgegen dem Vorbringen der Bundesregierung ist der (Haupt‑)Antrag zulässig.

1.7.1. Der Verfassungsgerichtshof vermag zunächst nicht zu erkennen, dass die Antragsteller keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die angefochtene Bestimmung erhoben hätten. Die Antragsteller sind zusammengefasst der Ansicht, dass aus der angefochtenen Bestimmung die Unzulässigkeit der Adoption des Adoptivkindes des einen Lebensgefährten durch den anderen Lebensgefährten abzuleiten sei. Diese Auslegung hat auch das Erstgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Eine solche Regelung verstoße nach Auffassung der Antragsteller insbesondere gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art7 B‑VG sowie gegen das Recht auf Privat- und Familienleben gemäß Art8 EMRK iVm Art14 EMRK. Die Ansicht, die Antragsteller hätten lediglich Vollzugsmängel geltend gemacht, trifft somit nicht zu.

1.7.2. Der Verfassungsgerichtshof teilt darüber hinaus die Auffassung der Bundesregierung nicht, die mit dem Hauptantrag begehrte Aufhebung des §191 Abs2 ABGB könne nicht dazu führen, dass in der vorliegenden Konstellation eine Adoption durch zwei Lebensgefährten zulässig wäre: Die Entscheidung des Erstgerichtes zeigt, dass die Frage der Zulässigkeit der Adoption durch zwei Lebensgefährten nicht endgültig geklärt ist (dafür etwa Beclin, Gemeinsame und sukzessive Adoption nicht mehr auf Ehepaare beschränkt – Weitreichende Folgen der ersatzlosen Aufhebung des §191 Abs2 Satz 1, EF‑Z 2016, 142 [143]; zweifelnd hingegen Deixler-Hübner, §191 ABGB, in: Kletečka/Schauer [Hrsg.], ABGB‑ON1.06, rdb.at, Stand 15.1.2021, Rz 6). Das Erstgericht hat sich in seinem Beschluss jener Auffassung angeschlossen, wonach der nunmehrige Wortlaut des §191 Abs2 ABGB eine Adoption durch zwei Lebensgefährten untersage. Träfe diese Auslegung des einfachen Gesetzes zu, entfiele im Falle einer Aufhebung der genannten Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof die gesetzliche Grundlage für diese Auslegung.

1.8. Der Hauptantrag erweist sich somit als zulässig, sodass sich ein Eingehen auf das Vorbringen der Bundesregierung zu den Eventualanträgen erübrigt.

2. In der Sache

Der Antrag ist nicht begründet.

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.2. Die Antragsteller sind zusammengefasst der Auffassung, §191 Abs2 ABGB verstoße gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 iVm Art14 EMRK, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B‑VG sowie auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung jedes Kindes sowie auf Wahrung seiner Interessen gemäß Art1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern.

Die österreichische Rechtsordnung akzeptiere, dass ein Kind in einer nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft aufwachse. Damit sei die Auffassung verbunden, dass dies für ein Kind grundsätzlich nicht nachteilig sei. Dies gelte nicht nur für leibliche Kinder von Lebensgefährten, sondern grundsätzlich auch für Adoptionen. In diesem Sinne sei die Adoption eines Kindes durch eine Einzelperson mit der Folge, dass das Kind in einer faktischen Familiengemeinschaft mit dem Lebensgefährten des Annehmenden aufwachse, möglich. In gleicher Weise sei es möglich, dass das leibliche Kind eines Lebensgefährten adoptiert werde. Die Erstantragstellerin dürfe grundsätzlich jedes Kind dieser Welt adoptieren, nur nicht jenes, mit dem sie seit dessen Geburt in einer faktischen Familiengemeinschaft lebe und dessen Mutter sie faktisch sei. Sie dürfe das Kind lediglich deshalb nicht adoptieren, weil es sich um das Adoptivkind ihres Lebensgefährten handle. Dies sei eine gravierende Diskriminierung und verletze die Antragsteller in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.

Die angefochtene Bestimmung schließe eine gemeinsame Adoptivelternschaft nicht-ehelicher Lebensgefährten umfassend aus, selbst wenn das Kind seit seiner Geburt in der Familie lebe und von einem Partner bereits adoptiert worden sei. Demgegenüber ermögliche der Gesetzgeber im Falle der sogenannten "Stiefkindadoption", sohin der Adoption des leiblichen Kindes des nicht-ehelichen Lebenspartners, die gleichzeitige rechtliche Elternschaft des leiblichen sowie des Adoptivelternteils. Eine sachliche Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung sei nicht zu erkennen.

Es sei nicht einzusehen, warum es im Interesse des Kindeswohles liegen solle, in derartigen Konstellationen dem Kind nicht nur von vornherein die rechtliche Institutionalisierung seines Verhältnisses zu einer bestehenden oder zukünftigen Bezugsperson zu verwehren, sondern es auch von diesbezüglichen Versorgungs- und Unterhaltsansprüchen auszuschließen. Der grundsätzliche Ausschluss nicht-ehelicher Lebensgefährten von der gemeinsamen Adoption eines Wahlkindes, während die gemeinsame Elternschaft in anderen Zusammenhängen möglich sei, sei inkohärent und könne nicht mit dem Kindeswohl gerechtfertigt werden. Vielmehr verletze der grundsätzliche Ausschluss der gemeinsamen Adoption sowie der Sukzessivadoption eines Kindes durch nicht-eheliche Lebensgefährten das Kindeswohl (unter Hinweis auf VfSlg 19.942/2014).

Darüber hinaus verletze die angefochtene Bestimmung auch die Vorgaben des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern, wonach bei allen Maßnahmen stets das Kindeswohl als vorrangige Überlegung zu berücksichtigen sei. Dieses Gebot binde auch den Gesetzgeber. Die generelle Voraussetzung einer Ehe oder eingetragenen Partnerschaft sei – wie der vorliegende Fall zeige – geeignet, das Kindeswohl in unverhältnismäßiger Weise zu beeinträchtigen. Dies sei nämlich dann der Fall, wenn das Kinde lange Zeit in Verhältnissen gelebt habe, die Eltern-Kind-Beziehungen entsprächen, der Antrag auf Adoption aber lediglich deshalb nicht bewilligt werden könne, weil die Pflegeeltern in Lebensgemeinschaft lebten. Diesfalls sei eine Adoption ausgeschlossen, selbst wenn das Kindeswohl diese eigentlich geböte. In diesen Fällen habe das grundrechtliche Schutzgut der bestmöglichen Entwicklung und Entfaltung des Kindes erhebliches Gewicht, was zusätzlich durch das Gebot der Berücksichtigung des Kindeswohles verstärkt werde. Die derzeitige Regelung komme zudem einem "Heiratszwang" gleich, weil eine Ehe eingegangen werden müsse, um die faktischen Familienverhältnisse im Wege der Adoption legalisieren zu können. Die angefochtene Bestimmung verstoße daher auch gegen Art1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern.

2.3. Die Bundesregierung tritt diesen verfassungsrechtlichen Bedenken der Antragsteller in ihrer Äußerung auf das Wesentliche zusammengefasst wie folgt entgegen:

Es entspreche der herrschenden Auffassung, dass die angefochtene Bestimmung einer gemeinsamen Adoption sowie einer Sukzessivadoption durch Lebensgefährten – entgegen der Auffassung des Erstgerichtes – nicht entgegenstehe. Einen solchen Ausschluss von Lebensgefährten habe §191 Abs2 erster Satz ABGB idF BGBl I 15/2013 vorgesehen, welche Bestimmung der Verfassungsgerichtshof aber mit Erkenntnis VfSlg 19.942/2014 als verfassungswidrig aufgehoben habe. Durch den Wegfall dieser Regelung stehe nach Auffassung der Bundesregierung die gemeinsame Adoption und auch die Sukzessivadoption sowohl gleich- als auch verschiedengeschlechtlichen Ehegatten, eingetragenen Partnern sowie Lebensgefährten offen.

Sollte der Verfassungsgerichtshof demgegenüber zu der Auffassung gelangen, dass die Adoption weiterhin Ehegatten und eingetragenen Partnern vorbehalten bleibe, sei diese Regelung nach Auffassung der Bundesregierung nicht verfassungswidrig: Aus Art8 EMRK könne kein Recht auf Adoption abgeleitet werden. Dem Gesetzgeber komme bei der Regelung der Voraussetzungen der Adoption ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sei der Gesetzgeber nicht dazu verpflichtet, Ehe und Lebensgemeinschaften in jeder Hinsicht gleichzustellen. Wenn der Gesetzgeber an das Bestehen einer Ehe oder einer eingetragenen Partnerschaft besondere Rechtsfolgen knüpfe, berücksichtige er in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise die nach wie vor vielfältigen Unterschiede, die zwischen diesen Formen der Partnerschaft bestünden.

2.4. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

2.4.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich im Verfahren VfSlg 19.942/2014 mit der Vorgängerregelung der nunmehr angefochtenen Bestimmung (§191 ABGB idF BGBl I 15/2013) befasst. Der erste Satz des damaligen Abs2 leg.cit. lautete: "Die Annahme eines Wahlkindes durch mehr als eine Person, sei es gleichzeitig, sei es, solange die Wahlkindschaft besteht, nacheinander, ist nur zulässig, wenn die Annehmenden miteinander verheiratet sind." Diese Bestimmung bewirkte zusammen mit der korrespondierenden Bestimmung des §8 Abs4 EPG insbesondere, dass die gemeinsame Adoption im Ergebnis lediglich verschiedengeschlechtlichen Paaren möglich war, weil die Ehe nach der damaligen Rechtslage lediglich solchen Paaren offenstand.

2.4.2. Der Verfassungsgerichtshof hob in dem genannten Verfahren §191 Abs2 erster Satz ABGB (idF BGBl I 15/2013) sowie §8 Abs4 EPG wegen Verstoßes gegen Art8 iVm Art14 EMRK sowie den Gleichheitsgrundsatz auf. Diese Bestimmungen, die eine rechtliche Ungleichbehandlung von eingetragenen Partnern gegenüber Ehegatten und gegenüber gleich- wie verschiedengeschlechtlichen Personen in Lebensgemeinschaft sowie eingetragenen Partnern im Hinblick auf die Stiefkindadoption und damit auch von Adoptivkindern in Bezug zu eingetragenen Partnern gegenüber Adoptivkindern in Bezug zu Personen in den anderen genannten Konstellationen bewirkten, entbehrten der gebotenen sachlichen Rechtfertigung.

2.4.3. Wie die Bundesregierung in ihrer Äußerung zutreffend ausführt, geht die herrschende Ansicht im Schrifttum davon aus, dass Lebensgefährten nunmehr gemeinsam adoptieren können, und zwar entweder gleichzeitig oder aber auch nacheinander bzw sukzessiv (vgl Beclin, aaO, 143; Fuhrmann, Gemeinsame Adoption für alle?, JAP 2016/2017, 114 [117]; Nademleinsky, §191 ABGB, in: Schwimann/Neumayr [Hrsg.], ABGB Taschenkommentar5, 2020, Rz 2; Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I15, 2018, Rz 1806; Hopf/Weixelbraun-Mohr, §191 ABGB, in: Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger [Hrsg.], ABGB6, 2020, Rz 2; zweifelnd lediglich Deixler-Hübner, §191 ABGB, in: Kletečka/Schauer [Hrsg.], ABGB‑ON1.06, rdb.at, Stand 15.1.2021, Rz 6, die sich für eine Klarstellung durch den Gesetzgeber ausspricht).

2.5. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ist es im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz sowie das Recht auf Privat- und Familienleben gemäß Art8 iVm Art14 EMRK geboten, die geltende Rechtslage dahin auszulegen, dass bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen auch Lebensgefährten die gemeinsame – gleichzeitige oder sukzessive – Adoption offensteht.

2.5.1. Zweck der Adoption ist es, einem Kind bestmöglich geeignete Wahleltern zu verschaffen (EGMR 26.2.2002, Fall Fretté, Appl 36.515/97, Z42; s. bereits EB RV 107 BlgNR 9. GP , 11: "Der Hauptzweck der Kindesannahme soll die Förderung des Wohles des anzunehmenden nicht eigenberechtigten Kindes sein [Schutzprinzip]"). Sowohl bei der Adoptionsvermittlung als auch im gerichtlichen Verfahren zur Bewilligung eines Adoptionsvertrages mit einem nicht eigenberechtigten Wahlkind steht die Wahrung des Kindeswohls im konkreten Einzelfall im Mittelpunkt. In diesem Sinn ist die gerichtliche Bewilligung nur zu erteilen, wenn die Adoption dem Kindeswohl entspricht und eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll (§194 Abs1 erster Satz ABGB, vgl Höllwerth, §194 ABGB, in: Schwimann/Kodek [Hrsg.], ABGB5, 2018, Rz 4 ff.). Im Bewilligungsverfahren hat das Gericht im Einzelfall ua zu prüfen, ob gewährleistet ist, dass dem Wahlkind ein beständiges und ausgeglichenes Zuhause verschafft sowie sein körperliches, geistiges und seelisches Wohl gefördert wird (OGH 29.4.2002, 7 Ob 68/02d mwH). Die gesetzlichen Regelungen über die Annahme an Kindes statt dienen mit der Wahrung des Kindeswohls einem legitimen Ziel (s EGMR, Fall Fretté, Z38; 22.1.2008, Fall E.B., Appl 43.546/02, Z70 sowie Z76; 19.2.2013 [GK], Fall ua, Appl 19.010/07, Z138; vgl etwa auch iZm obsorgerechtlichen Regelungen EGMR, 3.12.2009, Fall Zaunegger, Appl 22.028/04, Z52) und einem besonderen Grund im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Gleichheitsgrundsatz und zu Art14 EMRK.

2.5.2. Nach der geltenden Rechtslage steht die Adoption jedenfalls Einzelpersonen sowie Ehegatten und eingetragenen Partnern offen (vgl etwa Deixler-Hübner, aaO, Rz 3 f.). Im Falle der Adoption durch eine Einzelperson ist es selbstverständlich möglich, dass der Annehmende in einer Lebensgemeinschaft lebt und ein angenommenes Kind faktisch von beiden Partnern aufgezogen wird. Darüber hinaus steht es auch Lebensgefährten offen, das leibliche Kind des anderen Partners anzunehmen (vgl §197 Abs4 ABGB). Diese Möglichkeiten bestehen im Übrigen unabhängig von der jeweiligen sexuellen Orientierung der annehmenden Personen.

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Adoption in diesen Konstellationen nicht nur dem Kindeswohl entsprechen kann, sondern vielmehr aus diesem Grund sogar geboten sein kann (vgl VfSlg 19.942/2014). Das Gericht hat in diesem Zusammenhang gemäß §194 Abs1 erster Satz ABGB in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Annahme an Kindes statt dem Kindeswohl entspricht und eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll.

2.5.3. Für den Verfassungsgerichtshof bestehen keine Zweifel, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Adoption und insbesondere die Wahrung des Kindeswohles auch in einer auf Dauer angelegten, stabilen Lebensgemeinschaft vorliegen können. Eine Auslegung der angefochtenen Bestimmung, wonach Lebensgefährten generell von der Möglichkeit der gemeinsamen Adoption ausgeschlossen wären, verstieße gegen Art8 iVm Art14 EMRK sowie den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art7 B‑VG. Das Gericht hat in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die (gleichzeitige oder sukzessive) Adoption durch zwei Lebensgefährten dem Kindeswohl entspricht bzw aus diesem Grund sogar geboten ist.

2.5.4. Die geltende Rechtslage steht dieser Auslegung – entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichtes – nicht entgegen. In diesem Sinne geht die herrschende Ansicht (vgl Punkt 2.4.3.) davon aus, dass eine Adoption durch zwei Lebensgefährten nach geltender Rechtslage möglich ist. Der angefochtene §191 Abs2 ABGB enthält – anders als die vom Verfassungsgerichtshof im Verfahren VfSlg 19.942/2014 insofern aufgehobene Vorgängerbestimmung – keine Beschränkung der gemeinsamen Adoption auf Ehegatten. Die Regelung bestimmt lediglich, dass Ehegatten ein Kind im Regelfall nur gemeinsam annehmen können und sieht von diesem Grundsatz bestimmte Ausnahmen vor. Ein Verbot der gemeinsamen – gleichzeitigen oder sukzessiven – Adoption durch zwei Personen in Lebensgemeinschaft lässt sich nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes auch aus keiner anderen Bestimmung ableiten.

2.6. Da die angefochtene Bestimmung somit dahin auszulegen ist, dass sie einer Adoption durch Lebensgefährten – bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen – nicht entgegensteht, ist der vorliegende Antrag auf Aufhebung des §191 Abs2 ABGB abzuweisen.

V. Ergebnis

1. Die ob der Verfassungsmäßigkeit des §191 Abs2 ABGB erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag auf Aufhebung dieser Bestimmung ist daher abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Kosten sind nicht zuzusprechen, weil es im Falle eines Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG Sache des zuständigen ordentlichen Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (zB VfSlg 20.102/2016, 20.112/2016).

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