VfGH G26/2017

VfGHG26/201714.6.2017

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung einer zivilprozessrechtlichen Regelung betr das Schiedsverfahren mangels Präjudizialität in der vor dem ordentlichen Gericht entschiedenen Rechtssache

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
ZPO §591 Abs2, §611 Abs2 Z5
VfGG §62 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2017:G26.2017

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag begehrt die antragstellende Gesellschaft, "§591 Abs2 ZPO in der Fassung vom 1. Juli 2006, kundgemacht im BGBl I Nr 7/2006" zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Gesetzes vom 1. August 1895, über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung - ZPO), RGBl. 113/1895, in der Fassung BGBl I 7/2006, im Folgenden: ZPO, lauten (die angefochtene Gesetzesbestimmung ist hervorgehoben):

2. §591 ZPO:

"Bestellung eines Ersatzschiedsrichters

 

§591. (1) Endet das Amt eines Schiedsrichters vorzeitig, so ist ein Ersatzschiedsrichter zu bestellen. Die Bestellung erfolgt nach den Regeln, die auf die Bestellung des zu ersetzenden Schiedsrichters anzuwenden waren.

 

(2) Haben die Parteien nichts anderes vereinbart, so kann das Schiedsgericht die Verhandlung unter Verwendung der bisherigen Verfahrensergebnisse, insbesondere des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls und aller sonstigen Akten, fortsetzen."

 

3. §592 ZPO lautet:

 

"Vierter Titel

Zuständigkeit des Schiedsgerichts

 

Befugnis des Schiedsgerichts zur Entscheidung über die eigene Zuständigkeit

 

§592. (1) Das Schiedsgericht entscheidet selbst über seine Zuständigkeit. Die Entscheidung kann mit der Entscheidung in der Sache getroffen werden, aber auch gesondert in einem eigenen Schiedsspruch.

 

(2) Die Einrede der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts ist spätestens mit dem ersten Vorbringen zur Sache zu erheben. Von der Erhebung dieser Einrede ist eine Partei nicht dadurch ausgeschlossen, dass sie einen Schiedsrichter bestellt oder an der Bestellung eines Schiedsrichters mitgewirkt hat. Die Einrede, eine Angelegenheit überschreite die Befugnisse des Schiedsgerichts, ist zu erheben, sobald diese zum Gegenstand eines Sachantrags erhoben wird. In beiden Fällen ist eine spätere Erhebung der Einrede ausgeschlossen; wird die Versäumung jedoch nach Überzeugung des Schiedsgerichts genügend entschuldigt, so kann die Einrede nachgeholt werden.

 

(3) Auch wenn eine Klage auf Aufhebung eines Schiedsspruches, mit welchem das Schiedsgericht seine Zuständigkeit bejaht hat, noch bei Gericht anhängig ist, kann das Schiedsgericht vorerst das Schiedsverfahren fortsetzen und auch einen Schiedsspruch fällen."

 

4. §611 ZPO lautet:

"Antrag auf Aufhebung eines Schiedsspruches

 

§611.(1) Gegen einen Schiedsspruch kann nur eine Klage auf gerichtliche Aufhebung gestellt werden. Dies gilt auch für Schiedssprüche, mit welchen das Schiedsgericht über seine Zuständigkeit abgesprochen hat.

 

(2) Ein Schiedsspruch ist aufzuheben, wenn

 

1. eine gültige Schiedsvereinbarung nicht vorhanden ist, oder wenn das Schiedsgericht seine Zuständigkeit verneint hat, eine gültige Schiedsvereinbarung aber doch vorhanden ist, oder wenn eine Partei nach dem Recht, das für sie persönlich maßgebend ist, zum Abschluss einer gültigen Schiedsvereinbarung nicht fähig war;

 

2. eine Partei von der Bestellung eines Schiedsrichters oder vom Schiedsverfahren nicht gehörig in Kenntnis gesetzt wurde oder sie aus einem anderen Grund ihre Angriffs‑ oder Verteidigungsmittel nicht geltend machen konnte;

 

3. der Schiedsspruch eine Streitigkeit betrifft, für welche die Schiedsvereinbarung nicht gilt, oder er Entscheidungen enthält, welche die Grenzen der Schiedsvereinbarung oder das Rechtsschutzbegehren der Parteien überschreiten; betrifft der Mangel nur einen trennbaren Teil des Schiedsspruchs, so ist dieser Teil aufzuheben;

 

4. die Bildung oder Zusammensetzung des Schiedsgerichts einer Bestimmung dieses Abschnitts oder einer zulässigen Vereinbarung der Parteien widerspricht;

 

5. das Schiedsverfahren in einer Weise durchgeführt wurde, die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) widerspricht;

 

6. die Voraussetzungen vorhanden sind, unter denen nach §530 Abs1 Z1 bis 5 ein gerichtliches Urteil mittels Wiederaufnahmsklage angefochten werden kann;

 

7. der Gegenstand des Streits nach inländischem Recht nicht schiedsfähig ist;

 

8. der Schiedsspruch Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) widerspricht.

 

(3) Die Aufhebungsgründe des Abs2 Z7 und 8 sind auch von Amts wegen wahrzunehmen.

 

(4) Die Klage auf Aufhebung ist innerhalb von drei Monaten zu erheben. Die Frist beginnt mit dem Tag, an welchem der Kläger den Schiedsspruch oder den ergänzenden Schiedsspruch empfangen hat. Ein Antrag nach §610 Abs1 Z1 oder 2 verlängert diese Frist nicht. Im Fall des Abs2 Z6 ist die Frist für die Aufhebungsklage nach den Bestimmungen über die Wiederaufnahmsklage zu beurteilen.

 

(5) Die Aufhebung eines Schiedsspruchs berührt nicht die Wirksamkeit der zugrunde liegenden Schiedsvereinbarung. Wurde bereits zweimal ein Schiedsspruch über den selben Gegenstand rechtskräftig aufgehoben und ist ein weiterer hierüber ergehender Schiedspruch aufzuheben, so hat das Gericht auf Antrag einer der Parteien gleichzeitig die Schiedsvereinbarung hinsichtlich dieses Gegenstandes für unwirksam zu erklären."

 

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Anlassverfahren vor dem Handelsgericht Wien liegt – nach den Feststellungen im vorgelegten Urteil vom 29. Dezember 2016 – folgender Sachverhalt zugrunde:

2. Die klagende Partei ist eine internationale Investmentgesellschaft mit Sitz auf den Cayman Islands und war seit 2005 an der ********* **** ******* ** beteiligt. Die beklagte Partei ist eine Aktiengesellschaft nach italienischem Recht und Hauptaktionärin der **** *********************. Sie beschloss in der Hauptversammlung vom 3. Mai 2007 einen Gesellschafterausschluss. Mit Aktienkaufvertrag vom 30. April 2008 erwarb die beklagte Partei 2.600.000 Stück Aktien von der klagenden Partei. Streitgegenstand ist die Festlegung der angemessenen Barabfindung für die genannten Aktien. Diese wurde zunächst mit € 129,40 pro Aktie festgelegt. Die klagende Partei vertritt die Ansicht, dass die Barabfindung einen weitaus höheren Betrag ausmachen sollte.

3. Im Aktienkaufvertrag (Share Purchase Agreement, im Folgenden: SPA) ist unter Punkt 9. "Beschleunigtes Verfahren zur Berechnung der Top Up Consideration" eine Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien enthalten, die ihnen die Möglichkeit eröffnet, bis 31. Mai 2009 ein Schiedsverfahren einzuleiten. Am 2. Februar 2009 leitete die klagende Partei das Schiedsverfahren ein und beide Parteien bestellten jeweils einen Schiedsrichter. Der Präsident der Kammer der Wirtschaftstreuhänder bestellte am 10. August 2009 den Vorsitzenden des Schiedsgerichts, der jedoch mit 30. September 2009 sein Amt niederlegte, sodass mit 13. Oktober 2009 ein neuer Vorsitzender ernannt wurde.

4. Nach Konstituierung des Schiedsgerichts unter dem neuen Vorsitzenden einigten sich die Parteien mit den Schiedsrichtern auf die Verfahrensregeln (Rules governing the proceedings), die in Punkt VI.2. vorsehen, dass sich das Schiedsgericht bemühen werde, den endgültigen Schiedsspruch nicht später als sechs Monate nach dem Tag der Ernennung des Vorsitzenden des Schiedsgerichts zu fällen, sohin bis 13. April 2010, vorausgesetzt, dass die Parteien und ein zu bestellender Sachverständiger sich nach Kräften bemühten, das Schiedsgericht in dieser Bemühung aktiv zu unterstützen. Das Schiedsgericht informierte die Parteien mit Schreiben vom 29. März 2010 und setzte die Termine für die Schiedsverhandlung für 17. bis 19. Mai 2010 fest und teilte mit, dass die in den Verfahrensregeln vorgesehene Frist unmöglich einzuhalten sei.

5. Mit Eingabe vom 2. April 2010 teilte die klagende Partei mit, dass sie die Verfügbarkeit der Zeugen der klagenden Partei zu den angegebenen Terminen nicht bestätigen könne. Sie brachte gleichzeitig den Wunsch zum Ausdruck, dass zum Zweck der Sicherung eines fairen Verfahrens möglichst viele ihrer Zeugen während des gesamten Verfahrens anwesend seien.

6. Mit Schreiben vom 6. Mai 2010 wandte sich die klagende Partei an das Schiedsgericht und beantragte die Abberufung des vom Schiedsgericht bestellten Sachverständigen sowie die Außerachtlassung seines Gutachtens und die Rückzahlung von ihm erhaltener Honorare. In einer weiteren Eingabe vom 10. Mai 2010 brachte die klagende Partei vor, dass der Bericht desselben Sachverständigen fehlerhaft sei und außerhalb des Gutachtensauftrages liege und ersuchte um Übermittlung von Kopien zur Bestellung des Sachverständigen.

7. Mit Eingabe vom 12. Mai 2010 wurde der Vorsitzende des Schiedsgerichts abgelehnt, da die klagende Partei Zweifel an dessen Unparteilichkeit erhob und eine Vertagung der Verhandlungstermine beantragte.

8. Mit Beschluss des Schiedsgerichts vom 16. Mai 2010 wurde der Antrag der klagenden Partei auf Ablehnung des Sachverständigen zurückgewiesen und dem Antrag auf Übermittlung von Unterlagen zu seiner Ernennung nicht stattgegeben.

9. Die mündliche Schiedsverhandlung fand im Zeitraum zwischen 17. und 19. Mai 2010 statt, danach legte die klagende Partei neuerlich ihre bisherigen Anträge vor und stellte weitere Anträge an das Schiedsgericht unter Aufrechterhaltung der Anfechtung der Unabhängigkeit des Vorsitzenden.

10. Die Überschreitung der sechsmonatigen Entscheidungsfrist oder die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts fand nach den Feststellungen des Handelsgerichts Wien in der mündlichen Schiedsverhandlung keine Erwähnung.

11. Mit Beschluss des Schiedsgerichts vom 18. Juni 2010 wurde der Antrag der klagenden Partei auf Ablehnung des Vorsitzenden des Schiedsgerichts abgewiesen. Mit Beschluss vom 21. April 2011 gab das Handelsgericht Wien jedoch dem Ablehnungsantrag Folge und erklärte den Vorsitzenden des Schiedsgerichts als befangen.

12. Am 15. September 2011 wurde ein neuer Vorsitzender des Schiedsgerichts bestellt. Die klagende Partei brachte in der Folge mehrere Eingaben ein, in denen sie geltend machte, dass sie nicht über vollständige Unterlagen verfüge.

13. Mit Verfahrensanordnung Nummer 3 vom 23. Dezember 2011 forderte das Schiedsgericht die Parteien zur Einbringung von Eingaben auf und hielt fest, dass den Parteien ein Verzeichnis sämtlicher das Verfahren betreffender Urkunden, die im Besitz des Schiedsgerichts seien und auf deren Grundlage das Verfahren geführt werde, zur Verfügung gestellt werde. Die Parteien wurden aufgefordert, dem Schiedsgericht bis 16. Jänner 2012 weitere Urkunden vorzulegen, die ihres Erachtens im Verfahrensakt fehlten. Weiters wurde den Parteien bekannt gegeben, dass das Schiedsgericht entscheiden müsse, ob und welche Teile des Verfahrens in Ansehung der Entscheidung des Handelsgerichts Wien zu wiederholen seien. Die Parteien wurden zur Stellungnahme aufgefordert, welche Teile des Verfahrens nach ihrer Ansicht zu wiederholen wären sowie allenfalls ein rechtliches Vorbringen zum Verfahrensgegenstand zu erstatten.

14. Mit Schriftsatz vom 16. Jänner 2012 rügte die klagende Partei erstmals die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts, indem sie auf das Verstreichen von nahezu drei Jahren seit Einleitung des Schiedsverfahrens im Februar 2009 verwies. Das Schiedsgericht habe mehrfach die Grundsätze des fairen Verfahrens verletzt und sei nicht mehr zur Weiterführung des beschleunigten Schiedsverfahrens zuständig. Das Schiedsgericht forderte die beklagte Partei auf zu erklären, ob sie der Beendigung des Schiedsverfahrens widerspreche. Die beklagte Partei gab mit Schriftsatz vom 31. Jänner 2012 bekannt, dass sie eine Zurückziehung der Klage ohne Anspruchsverzicht durch die klagende Partei nicht akzeptiere. Sie nahm dabei auf Punkt 9.3 des SPA Bezug und wies darauf hin, dass die klagende Partei die Wahlmöglichkeit gehabt habe zwischen der Überprüfung des Preises durch ein staatliches Gericht und der Einleitung des Schiedsverfahrens und dass sie von dem Wahlrecht mit Anrufung des Schiedsgerichts Gebrauch gemacht habe. Die beklagte Partei wandte ein, dass sie ein rechtliches Interesse daran habe, dass die Klage entweder unter Anspruchsverzicht und Kostentragung zurückgezogen werde oder das Schiedsverfahren fortgesetzt und ein Schiedsspruch erlassen werde.

15. Mit Verfahrensanweisung Nummer 5 lehnte das Schiedsgericht den Antrag auf Beendigung des Schiedsverfahrens ab und bestätigte seine Zuständigkeit. Die dagegen von der klagenden Partei eingebrachte Aufhebungsklage wurde vom Handelsgericht Wien mit Entscheidung vom 31. Oktober 2013, Z39 Cg 13/12y, abgewiesen, dem Rekurs und der Berufung gegen diese Entscheidung wurde mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 27. August 2014 (Z2 R 20/14x) nicht Folge gegeben.

16. Am 15. Februar 2012 beantragte die klagende Partei neuerlich die Beendigung des Schiedsverfahrens. Mit Verfahrensanweisung Nummer 6 bestätigte das Schiedsgericht die Vollständigkeit des Schiedsaktes und erklärte, dass das Schiedsverfahren fortgesetzt werde.

17. Die klagende Partei brachte weitere Schriftsätze beim Schiedsgericht und in der Folge eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Wien ein, in der sie einen der Schiedsrichter sowie den ehemaligen Vorsitzenden als Beschuldigte angab.

18. Nach weiterer inhaltlich gleichgelagerter Korrespondenz mit den Parteien erließ das Schiedsgericht am 20. Dezember 2012 einen endgültigen Schiedsspruch, mit dem die Zuständigkeit des Schiedsgerichts festgestellt und die Unzuständigkeitseinrede der klagenden Partei abgewiesen wurde.

19. Dagegen brachte die klagende Partei am 22. März 2013 eine Klage beim Handelsgericht Wien ein, in der sie die Aufhebung des Schiedsspruches "gem. §611 ZPO wegen mangelnder Zuständigkeit des Schiedsgerichts" begehrte.

20. Mit Urteil vom 29. Dezember 2016 wies das Handelsgericht Wien die Klage ab und verpflichtete die klagende Partei zum Ersatz der Verfahrenskosten.

21. Gegen diese Entscheidung erhob die klagende Partei das Rechtsmittel der Berufung mit den Berufungsgründen "der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung" und stellte gleichzeitig beim Verfassungsgerichtshof den auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten (Partei‑)Antrag, "der Verfassungsgerichtshof möge §591 Abs2 ZPO idF vom 1. Juli 2006, kundgemacht im BGBl I Nr 7/2006," zur Gänze als verfassungswidrig aufheben.

22. Zur Frage der Betroffenheit der antragstellenden Partei und zur Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung wird Folgendes vorgebracht (ohne die Hervorhebungen im Original):

"Der Antragsteller ist durch das vom HG Wien zu 27 Cg 17/13z, gefällte Urteil wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.

 

26. Gem Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG ist eine Partei eines vor einem ordentlichen Gericht geführten erstinstanzlichen Verfahrens, die behauptet, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein, berechtigt, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels den VfGH anzurufen und die Überprüfung der Verfassungskonformität dieser Bestimmung zu beantragen.

 

Voraussetzung für die Geltendmachung eines solchen Prüfbegehrens ist demnach die Präjudizialität der angezogenen Norm. In diesem Sinne präjudiziell ist eine Rechtsvorschrift, wenn sie für die Entscheidung im Ausgangsverfahren Voraussetzung ist. Auch §62 Abs2 VfGG knüpft das Recht zur Einbringung eines Aufhebungsbegehren iSd Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG daran, ob die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre.

 

Der Antrag hat zudem darzulegen, inwiefern das Gericht das Gesetz anzuwenden und welche Auswirkungen die Entscheidung des VfGH auf die bei Gericht anhängige Rechtssache hätte.

 

Ein Prüfbegehren iSd Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG iVm §62 Abs2 VfGG kann demnach nur gestellt werden, wenn die betroffene Rechtsvorschrift vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden ist bzw wenn ihre Rechtmäßigkeit eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht der Antragsteller wäre. Klar ist, dass nicht nur die tatsächliche Anwendung der Norm zu belegen ist, sondern auch eine dadurch verursachte Rechtsverletzung. Diese muss freilich nicht tatsächlich eingetreten sein, es genügt, wenn eine solche Verletzung 'denkmöglich' ist (vgl dazu Altenburger/Kneihs, Schriftsätze an VwG, VfGH und VwGH 118).

 

27. Dem hier gegenständlichen Verfahren liegt ein Schiedsverfahren zugrunde, im Zuge dessen der bestellte Vorsitzende des Schiedsgerichtes, Dr K., wegen befangener Verfahrensführung durch Beschluss des HG Wien vom 21. April 2011 abberufen wurde […]. Das Schiedsgericht wäre nun dazu angehalten gewesen, unter der Führung des neu bestellten Vorsitzenden, Dr H., die von Dr K. bis zum Zeitpunkt seiner Abberufung erzielten Verfahrensergebnisse, wozu auch ein fertiger Entwurf des zu fällenden Schiedsurteils gehörte, aus dem Verfahren auszusondern und alle dadurch erforderlichen Ergänzungen bzw Verfahrenswiederholungen vorzunehmen. Ganz im Gegenteil übernahm das neubesetzte Schiedsgericht aber sämtliche noch von Dr K. erzielten Verfahrensergebnisse und legte diese dem von ihm erlassenen Endschiedsspruch vom 20. Dezember 2012 zugrunde.

 

Das Schiedsgericht berief sich dabei auf §591 Abs2 ZPO, nach dem 'das Schiedsgericht die Verhandlung unter Verwendung der bisherigen Verfahrensergebnisse, insbesondere des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls und aller sonstigen Akten, fortsetzen' kann, wenn 'die Parteien nichts anderes vereinbart haben.'

 

Nach Ansicht des Antragstellers wurde bereits bei Anwendung dieser Norm durch das Schiedsgericht gegen verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte auf Gewährung eines fair trial verstoßen. §591 Abs2 ZPO sieht die Möglichkeit der Verwendung von Verfahrensergebnissen vor, die bereits vor Ausscheiden eines Schiedsrichters erzielt wurden (dies insb auch um langwierige Verfahrensschritte nicht grundlos wiederholen zu müssen). Aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenklich ist nach Ansicht des Antragstellers, dass diese Verfahrensnorm keine Differenzierung dahingehend vornimmt, warum es zum Ausscheiden eines Schiedsrichters kam. Denn es mag unproblematisch und in der Sache sogar zweckmäßig und sachlich gerechtfertigt sein, wenn ein Schiedsrichter etwa wegen einer Erkrankung oder einer sonstigen Verhinderung aus dem Schiedsverfahren ausscheidet und die bisherigen Verfahrensakte fortgesetzt werden. Ganz sicher kann dies aber nicht für den Fall gelten, dass ein Schiedsrichter deswegen aus dem Verfahren ausscheidet, weil er der befangenen und insofern parteiischen Verfahrensführung überführt und deswegen abberufen wurde. In diesem Fall sind die betroffenen Verfahrensteile auszusondern und erforderlichenfalls zu wiederholen, um ein faires und unparteiisches Verfahren – in verfassungs- und unionsrechtskonformer Weise – sicherzustellen.

 

Da das Schiedsgericht keinerlei Verfahrensschritte wiederholte, sondern seine Entscheidung ausschließlich auf Basis der von einem befangenen Gutachter erzielten Verfahrensergebnisse fällte, zog die schiedsklagende Partei die Schiedsklage zurück, kündigte die ursprünglich getroffene Schiedsabrede aus wichtigem Grund und forderte vom Schiedsgericht, das Verfahren zu beenden. Ungeachtet der daraus resultierenden Unzuständigkeit des Schiedsgerichtes erließ das Schiedsgericht am 20. Dezember 2012 einen Endschiedsspruch.

 

28. Das daraufhin vom Antragsteller (im Zivilverfahren Kläger) angerufene Zivilgericht hatte im Weiteren die Frage zu beantworten, ob das auf dieser Grundlage erlassene Schiedsurteil ohne rechtliche Grundlage und insofern von einem dafür nicht zuständigen Gericht gefällt wurde, ob also das Schiedsurteil gem §611 Abs2 Z1 ZPO aufzuheben ist.

 

Da das Gericht zur Beantwortung dieser Frage ua auch die Zulässigkeit der Verwendung der von einem abberufenen Schiedsrichter erzielten Verfahrensergebnisse zu beurteilen hatte, hatte es auch die Bestimmung des §591 Abs2 ZPO zu prüfen und letztlich seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

 

(i) Das angerufene Gericht nahm in den im Urteil vom 29. Dezember 2016 zu 27 Cg 17/13z dargelegten Entscheidungsgründen auf die hier als verfassungswidrig bekämpfte Bestimmung des §591 Abs2 ZPO insofern Bezug, als es das Parteienvorbringen wiedergab und dabei folgendes festhielt:

 

'Gemäß §591 Abs2 ZPO, der auch in den Rules in Punkt 111.10 abgebildet sei, könne bei Abberufung eines Schiedsrichters das neu konstituierte Schiedsgericht über die Notwendigkeit einer Beweiswiederholung nach Anhörung der Parteien frei entscheiden.' (US 18)

 

Auf das iZm §591 Abs2 ZPO relevante Thema der Wiederholung von Verfahrensschritten ging das angerufene Gericht aber auch in anderen Zusammenhängen mehrfach ein:

 

'Mit 23.12.2011 seien, ungeachtet dieses Ersuchens, die Parteien um Stellungnahme gebeten worden, welche Teile des Verfahrens wiederholt werden sollte, wobei sie unter einem aufgefordert worden seien[,] ihre Position im Schiedsverfahren zusammenfassend und abschließend darzustellen.' (US 7)

 

'Im österreichischen Zivilprozess sei das Abhalten einer mündlichen Verhandlung im Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit verpflichtend. Im Schiedsgerichtsverfahren stehe dem Schiedsgericht ein Ermessen zu[,] ob es nach einem Wechsel in der Besetzung des Spruchkörpers jede der vorgenommenen prozessualen Handlungen oder nur Teile davon, wiederhole.' (US 11)

 

'Die Beweisaufnahme hätte zwingend einer Wiederholung bedurft, da sich das neubesetzte Schiedsgericht die rechtswidrig erzielten Ergebnisse der Beweisaufnahme nicht zu eigen hätte machen dürfen.' (US 11)

 

'Die wahren Beweggründe für die Existenz des Schiedsspruches würden – leicht erkennbar – in der Tatsache liegen, dass das Schiedsgericht den Schiedsakt aus Sorge vor den mit der Offenlegung verbundenen Konsequenzen, nicht offenlegen habe können. Es seien nämlich potentielle Haftungen des ehemaligen Vorsitzenden für alle Mitglieder des Schiedsgerichtes absehbar gewesen. Solche Haftungen hätten in erster Linie aus der Beendigung des Schiedsverfahrens wegen zeitlicher Befristung oder einer Wiederholung des Schiedsverfahrens bzw. einzelner Verfahrensschritte gedroht, da dies die bislang getätigten Aufwendungen der Parteien frustriert und Ansprüche gegen die Schiedsrichter nach sich gezogen hätte.' (US 20)

 

(ii) Das angerufene Gericht ist in seiner Entscheidung zum Ergebnis gekommen, dass das angerufene Schiedsgericht weder (i) wegen der ausgesprochenen Klagsrückziehung, (ii) wegen der damit konkludent ausgesprochenen Kündigung der ursprünglich getroffenen Schiedsabrede und auch nicht (iii) wegen Fristablaufs […] zur Fällung eines Schiedsspruchs unzuständig geworden ist. Vielmehr habe sich an der Zuständigkeit des Schiedsgerichtes ungeachtet all dieser Ereignisse nichts geändert.

 

Ein zentraler Aspekt bei dieser gerichtlichen Wertung war dabei auch die gesetzliche Vorgabe des §591 Abs2 ZPO, nach dem das Schiedsgericht die Verhandlung unter Verwendung der bisherigen Verfahrensergebnisse fortsetzen kann. Ausgehend von dieser Bestimmung befand es das angerufene Gericht auch als unproblematisch, dass das neu zusammengesetzte Schiedsgericht die bisherigen Verfahrensergebnisse einfach übernahm und auf dieser (klar durch befangene Verfahrensführung unbrauchbaren) Basis den Endschiedsspruch vom 20. Dezember 2012 fällte. Das angerufene Gericht fand auch nicht problematisch, dass die Entscheidung gem. §591 Abs2 ZPO naturgemäß, wie bereits aus dem Wortlaut und dem Zweck der Bestimmung ('fortsetzen') hervorgeht, sogleich, also im Zuge der ersten Handlungen des Schiedsgerichts und nicht erst im Endschiedsspruch zu treffen ist, widrigenfalls – wie im vorliegenden Fall – die Fortsetzung der Verhandlung unter Verwendung der Ergebnisse der befangenen Verfahrensführung aus den (hier: unmissverständlichen) Handlungen des Schiedsgerichts abzuleiten ist. Dies erhellt auch aus dem Umstand, dass nach einem Endschiedsspruch, in dem eine Entscheidung gem. §591 Abs2 ZPO erfolgt, gar keine Fortsetzung einer Schiedsverhandlung möglich ist. Dieser für die Frage der Präjudizialität wesentliche Aspekt ist auch insofern von Bedeutung, als §591 Abs2 ZPO regelmäßig in vergleichbaren bzw ähnlichen Fällen die Erfüllbarkeit der Schiedsvereinbarung in der fortgesetzten Verhandlung bestimmen wird. Die zentralen Aspekte der Entscheidung des angerufenen Gerichts hingen gerade von der durch §591 Abs2 eingeräumten Möglichkeit ab, die Verhandlung unter Verwendung (hier: sämtlicher) der bisherigen Verfahrensergebnisse, insbesondere des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls und aller sonstigen Akten, fortzusetzen. Aus der Tatsache, dass Dr H. ohne Absprache mit den Schiedsparteien beschloss, Dr K. zur Übergabe der Ergebnisse der befangenen Verfahrensführung (einschließlich des Entwurfs des Endschiedsspruchs) in Graz aufzusuchen und sodann die Parteien vor vollendete Tatsachen zu stellen, lässt sich unschwer erkennen, dass es ihm gerade darum ging, das Verfahren unter Berufung auf §591 Abs2 ZPO im Sinne einer vollständigen Verwendung der Ergebnisse der befangenen Verfahrensführung und des Entwurfs des Endschiedsspruchs fortzusetzen. Durch die erst im Endschiedsspruch erfolgte Entscheidung des Schiedsgerichts zu [§] 591 Abs2 ZPO sollte lediglich verhindert werden, dass Rechtsbehelfe des Antragstellers innerhalb und außerhalb des Schiedsverfahrens deshalb erfolgreich sein würden, weil das Schiedsgericht nicht nur tatsächlich, sondern auch formal seine Entscheidung, das Verfahren unter Verwendung der Ergebnisse der befangenen Verfahrensführung und des Entwurfs des Endschiedsspruchs fortzusetzen, getroffen hat. Entscheidend ist, dass die Fortsetzung eines Schiedsverfahrens jedenfalls dann unzumutbar wird, wenn sich herausstellt, dass ein Schiedsgericht die Schiedsverhandlung ausschließlich auf der Grundlage befangener Verfahrensergebnisse und des von einem wegen Befangenheit abberufenen Schiedsrichters stammenden Entwurfs eines Endschiedsspruchs lediglich dahingehend fortzusetzen plant, dass es den genannten Ergebnissen und dem Entwurf ohne weiteren Verfahrensakt als Endschiedsspruch rechtliche Bindungswirkung zu Lasten einer Schiedspartei zukommen lassen möchte. §591 Abs2 ZPO, auf den sich […] Dr H. im Endschiedsspruch ausdrücklich stützt, ermächtigt das Schiedsgericht wider den Grundsatz eines fairen Verfahrens zu dieser Vorgehensweise.

 

Das angerufene Gericht hatte daher die Bestimmung des §591 Abs2 ZPO bei seiner Entscheidungsfindung anzuwenden und hätte andernfalls gar nicht zur Auffassung gelangen können, dass das neu besetzte Schiedsgericht unverändert zur Entscheidungsfindung zuständig war.

 

(iii) Wie bereits ausgeführt, nimmt diese Bestimmung keinerlei Differenzierung dahingehend vor, aus welchem Grund ein Schiedsrichter aus dem Verfahren ausscheidet und warum daher der Bedarf besteht, Verfahrensschritte teilweise oder auch vollständig zu wiederholen. Das angerufene Gericht wendet §591 Abs2 ZPO so an, dass auch bei Ausscheiden eines Schiedsrichters wegen festgestellter Befangenheit keinerlei Verfahrenswiederholung erforderlich ist und sich insofern auch an der Zuständigkeit des Schiedsgerichtes selbst in diesem Fall nichts ändert.

 

§591 Abs2 ZPO nimmt – wie ausgeführt — keinerlei Differenzierung nach dem Grund des Ausscheidens eines Schiedsrichters vor. Da das Zivilgericht auch verfassungswidrige Gesetze anzuwenden hat und ihm die Prüfung der Verfassungskonformität einer ordnungsgemäß kundgemachten gesetzlichen Bestimmung nicht zukommt, hat es sich mit der Frage, ob die mit dem Wortlaut des §591 Abs2 ZPO im Einklang stehende Fortsetzung des Verfahrens mit den bisherigen Verfahrensergebnissen durch das neu zusammengesetzte Schiedsgericht nach Abberufung eines befangenen Schiedsrichters den tragenden Grundsätzen des rechtlichen Gehörs entspricht, überhaupt nicht auseinander gesetzt.

 

Im Falle der Aufhebung des §591 Abs2 ZPO wegen Verfassungswidrigkeit durch den Verfassungsgerichtshof, ist dem Klagebegehren stattzugeben, weil mangels einer Ausnahmeregelung für Schiedsverfahren (§591 Abs2 ZPO ist nach Ansicht des Antragstellers eine derartige Ausnahmebestimmung – siehe unten) nach den Wertungen der Zivilprozessordnung bzw nach den Vorgaben des §25 JN die Ergebnisse eines befangenen Schiedsrichters nicht im fortgesetzten Verfahren der weiteren Verfahrensführung zugrunde gelegt werden können. Die Aufhebung des §591 Abs2 ZPO ist erforderlich, weil – nach der Ansicht des Antragstellers – die angefochtene Norm mit der Gewährleistung von grundlegenden verfassungsrechtlichen Mindeststandards an ein faires und unvoreingenommenes Verfahren gem Art6 EMRK unvereinbar ist. Der Vorsitzende des Schiedsgerichts […] hat §591 Abs2 ZPO im Sinne eines Ermessens ausgelegt, dass dem Schiedsgericht auch die vorgenannten Verletzungen des fair trial iSd Art6 EMRK ermöglicht. Die von ihm gewählte Begründung, diese Ermessensausübung iSd §591 Abs2 ZPO sei durch die Tatsache begründet, im Schiedsverfahren sei 'bereits alles gesagt' worden, hat ersichtlich keinen Einfluss auf die rechtliche Problematik, da sich dies regelmäßig einerseits als untrennbar mit dem Verfahrensstadium verbundene Tatsache erweisen und andererseits regelmäßig der Schwerpunkt der Verfahrensführung durch die befangene Verfahrensführung des Schiedsgerichts vorgegeben wird, sodass das eigentliche Problem der befangenen Verfahrensführung dadurch nicht berührt wird. Wäre seine Rechtsansicht zutreffend bzw vertretbar, würde dies die fair trial Garantie und die staatliche Gerichtsverfahren betreffenden Bestimmungen der ZPO und der JN aushebeln bzw inhaltsleer machen. Ist die Verletzungen des Art6 EMRK ermöglichende Entscheidung des Schiedsgerichts als rechtmäßige Ermessensausübung zu betrachten, muss dies qua Verletzung der verfassungsrechtlichen Mindestgarantien eines fair trial zwingend zur Aufhebung des §591 Abs2 ZPO führen.

 

29. Erst mit der Aufhebung dieser Norm durch den Verfassungsgerichtshof ist klar, dass ein Schiedsgericht (genauso wenig wie ein staatliches Gericht!) solcherart belastete Verfahrensergebnisse nicht einfach übernehmen hätte dürfen. Eine aus einem solchen Grund erfolgte Klagsrückziehung bzw eine außerordentliche Kündigung der ursprünglich getroffenen Schiedsabrede durch eine beteiligte Schiedspartei würde somit die Unzuständigkeit des in der Sache einschreitenden Schiedsgerichtes zur Folge haben, was im konkreten Fall zur Klagsstattgebung führen würde."

 

23. Die antragstellende Partei begründet ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §591 Abs2 ZPO wie folgt:

"Verstoß gegen Art6 EMRK

 

30. Seit dem Beitritt Österreichs zur EMRK im Jahr 1964 hat die EMRK in Österreich Verfassungsrang. Artikel 6 Abs1 EMRK bestimmt, dass jedermann das Recht auf ein faires Verfahren vor eine[m] unabhängigen und unparteiischen auf dem Gesetz beruhende[n] Gericht hat:

 

'Jedermann hat Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Das Urteil muß öffentlich verkündet werden, jedoch kann die Presse und die Öffentlichkeit während der gesamten Verhandlung oder eines Teiles derselben im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einem demokratischen Staat ausgeschlossen werden, oder wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen, oder, und zwar unter besonderen Umständen, wenn die öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde, in diesem Fall jedoch nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang.'

 

Tragende Grund[s]ätze eines fairen Verfahrens (fair trial) sind ua die Gewährung des Rechts auf Gehör sowie die Beachtung der Prinzipien eines ordnungsgemäßen Beweisverfahrens (Walter Berka, Verfassungsrecht5, Rz 1604). Gerade wegen der fehlenden inhaltlichen Überprüfbarkeit des Schiedsspruches muss den tragenden Grundsätzen eines fairen Verfahrens im Schiedsverfahren sogar mehr Bedeutung zukommen als im Verfahren vor staatlichen Gerichten. Das rechtliche Gehör ist im Schiedsverfahren ein wesentlicher Bestandteil der Richtigkeitsgewähr des sonst inhaltlich nicht mehr überprüfbaren Schiedsspruches (Reiner, Schiedsverfahren und rechtliches Gehör, ZfRV 2003/11).

 

Art6 EMRK ist daher auch Maßstab im Schiedsverfahren (Reiner, Schiedsverfahren und rechtliches Gehör, ZfRV 2003/11) was auch einfachgesetzlich in §594 Abs2 Satz 2 ZPO verankert ist:

 

'Die Parteien sind fair zu behandeln. Jeder Partei ist rechtliches Gehör zu gewähren.'

 

Demgegenüber regelt die bekämpfte Norm des §591 Abs2 ZPO:

 

'Haben die Parteien nichts anderes vereinbart, so kann das Schiedsgericht die Verhandlung unter Verwendung der bisherigen Verfahrensergebnisse, insbesondere des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls und aller sonstigen Akten, fortsetzen.'

 

Für den Fall, dass die Parteien nichts anderes vereinbart haben, kann das Schiedsgericht gestützt auf §591 Abs2 ZPO Verfahrensergebnisse im fortgesetzten Verfahren (auch dann) übernehmen, wenn diese von einem befangenen Richter stammen. Wird ein Schiedsrichter – wie im vorliegenden Fall – wegen Befangenheit abgelehnt – kann das Verfahren nach Maßgabe des §591 Abs2 ZPO basierend auf den bisherigen Verfahrensergebnissen weitergeführt werden, sodass das künftige Erkenntnis des neu besetzten Schiedsgerichtes durch die bisherigen Verfahrensergebnisse präjudiziert wird.

 

31. Im verfahrensgegenständlichen Anlassfall begründete das Schiedsgericht sein Vorgehen, die befangene Verfahrensführung des ehemaligen Vorsitzenden des Schiedsgerichts (unter erwiesener Abstimmung und Mitwirkung der übrigen Schiedsrichter) und den von diesem erstellten Entwurf des Endschiedsspruchs als ausschließliche Grundlage der Entscheidungsfindung zu erklären, mit der Bestimmung des §591 Abs2 ZPO (siehe Endschiedsspruch vo[m] 20. Dezember 2012 S. 47 ff, Beilage XX), die dem Schiedsgericht nach Auffassung des […] Dr H. entsprechendes Ermessen zwingend zubilligt.

 

Der Einfluss des wegen Befangenheit ausgeschlossenen Schiedsrichters haftet – wie der Anlassfall zeigt – dem fortzusetzenden Verfahren an, insbesondere wenn das Verfahren im Zeitpunkt der Enthebung des befangenen Schiedsrichters bereits weit fortgeschritten war. Im verfahrensgegenständlichen Anlassfall lag sogar bereits ein Entscheidungsentwurf des befangenen Schiedsrichters vor, der sogar – offenbar in weiten Teilen fast wortident – in die Endentscheidung einfloss.

 

32. Diese Möglichkeit, nach Ermessen des Schiedsgerichts über die Fortsetzung des Schiedsverfahrens nach Bestellung eines Ersatzrichters entscheiden zu können, ist eine Besonderheit des Schiedsverfahrens, das der Prozessökonomie dient (Hausmaninger in Fasching/Konecny3 ZPO §591 Rz 3 mwN; Rechberger/Melis in Rechberger, ZPO4 §591 Rz 2). §412 Abs2 ZPO sieht für das streitige Zivilverfahren vor, dass für den Fall, dass vor der Urteilsschöpfung eine Änderung in der Person des Vorsitzenden oder eines der übrigen Senatsmitglieder eingetreten ist, die mündliche Verhandlung vor dem geänderten Senat mit Benützung der Klage, der zu den Akten gebrachten Beweise und des Verhandlungsprotokolls von neuem durchzuführen ist.

 

Bemerkenswert ist, dass §591 Abs2 ZPO weder im UNCITRAL Modellgesetz noch in der DZPO ein Vorbild hat. Sie stammt aus dem Entwurf für ein neues Schiedsverfahrensrecht und wurde dort schlicht mit 'prozessökonomischen Erwägungen' begründet (vgl Oberhammer in Rechberger, Entwurf 72). Der Gesetzgeber des SchiedsRÄG 2006 hat diese Begründung allerdings nicht übernommen, sondern in den Erläuterungen (ErlRV 1158 BIgNR 22. GP 15) bloß bemerkt, dass eine Neudurchführung des Verfahrens iSd §412 ZPO grundsätzlich nicht vorgesehen sei, sondern im Ermessen des Schiedsgerichts stehe. Nur dann, wenn die Parteien vereinbart hätten, dass jedenfalls eine Neudurchführung stattzufinden hat, 'muss eine solche erfolgen'. Insofern ist §591 ZPO als eine Art 'Besenklausel' zu verstehen, die versucht – aus prozessökonomischen Überlegungen – sämtliche Gründe, die zu der Ersatzbestellung eines Richters führen können (inklusive der Ablehnung wegen Befangenheit) und die Folgen davon in einer einzigen Bestimmung zu regeln. Im Hinblick darauf, dass diese Regelung für alle denkmöglichen Fälle der vorzeitige[n] Amtsbeendigung gilt, also auch für den Fall der Ablehnung eines Schiedsrichters wegen Zweifel an seiner Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gilt, ist die Verfassungskonformität des §591 Abs2 ZPO – aus der Sicht des Antragstellers – fraglich.

 

33. Gemäß §412 Abs1 ZPO kann das Urteil 'nur von denjenigen Richtern gefällt werden, welche an der dem Urteile zugrunde liegenden mündlichen Verhandlung teilgenommen haben'. Im Fall eines Richterwechsels in einem Verfahren bevor ein Urteil gefallen ist, sieht §412 Abs2 ZPO vor, dass die gesamte Verhandlung 'mit Benutzung der Klage, der zu den Akten gebrachten Beweise und des Verhandlungsprotokolls' aufgrund des Unmittelbarkeitsgrundsatzes neu durchzuführen ist. Falls in Ausführung dieser Neudurchführung des Verfahrens der neue Richter bzw der neu zusammengesetzte Senat ein Urteil erlässt, das auf keinen eigenen Entscheidungsgrundlagen basiert, ist ein solches Urteil mit Nichtigkeit gemäß §477 Abs1 Z4 ZPO bedroht (Rechberger in Rechberger4 §412 ZPO Rz 4; Bajons, Beweiswiederholung und Verfahrensergänzung in der Berufungsinstanz, in FS Fasching [1988] 19 [33 Fn 62]; EvBI 1959/301).

 

Im Fall der erfolgreichen Ablehnung eines Richters vor einem ordentlichen Gericht sieht die ZPO gemäß §25 JN Satz 3 JN eine strenge Sanktion vor, nämlich dass 'die vom abgelehnten Richter vorgenommenen Prozesshandlungen nichtig und, soweit erforderlich, aufzuheben' sind. Hier ist zu unterstreichen, dass der OGH in der Entscheidung 1 Ob 3/92 = SZ65/125 ausdrücklich ausgesprochen hat: 'Nichtig ist schon angesichts des Gebotes des Art6 MRK nach einem 'fair trial' jeder Akt, der unter Mitwirkung des abgelehnten Richters zustande kam.' Gerade im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit ist – wegen des Grundsatzes der parteiernannten Schiedsrichterbestellung – besonderer Wert darauf zu legen, dass die einzige Kardinaleigenschaft jedes Schiedsrichters – seine Objektivität und Neutralität – in deutlicher Weise gewahrt ist. Dennoch hat das Zivilgericht basierend auf §591 Abs2 ZPO die Übernahme der nachweislich von einem befangenen Schiedsrichter gesetzten Prozesshandlungen (wie oben in Tz 30 ff ausgeführt, entspricht der Endschiedsspruch in weiten Teilen dem Entwurf des ausgeschlossenen Schiedsrichters Dr. K.) nicht für nichtig erklärt und die Klage auf Unzuständigkeit abgewiesen. Diese auf §591 Abs2 ZPO gestützte Entscheidung des Erstgerichts steht – nach der Ansicht des Antragstellers – im klaren Widerspruch zum verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahrens nach Art6 EMRK.

 

34. Zum rechtlichen Gehör im Schiedsverfahren hat der OGH in einer jüngst ergangenen Entscheidung zu 18 OCg 3/15p ausführlich Stellung genommen. In dieser Entscheidung hat der OGH (in Anlehnung an 4 Ob 185/12b, wbl 2013/105) ausgeführt dass die Aufhebung eines Schiedsspruchs 'die Einhaltung von Mindestgarantien sichern soll' (RIS-Justiz RS0117294) und dass 'im Schiedsverfahren jedenfalls keine strengeren Anforderungen gelten können als in einem staatlichen Zivilprozess'. Weiters hat der OGH festgehalten: 'Entscheidender Maßstab für die Beurteilung als Aufhebungsgrund nach §611 Abs2 Z2 ZPO ist demnach das Gewicht, das einer Gehörverletzung im staatlichen Verfahren beigemessen wird, sollen doch die Anforderungen im Schiedsverfahren nicht strenger sein (4 Ob 185/12b, wbl 2013/105). Nur wenn die Gehörverletzung im staatlichen Verfahren mit Nichtigkeit zu ahnden wäre oder wenn der Gehörentzug einem Nichtigkeitsgrund wertungsmäßig zumindest nahekommt, wäre der Aufhebungstatbestand [iSd §611 Abs2 Z2 ZPO] erfüllt.' In der Entscheidung zu 18 OCg 2/14i wurde dagegen ausgeführt, dass die in einem staatlichen Zivilprozess bloß als Verfahrensmangel zu qualifizierenden Verletzungen des rechtlichen Gehörs unter der Voraussetzung einer 'Plausibilisierung' ihrer Eignung zur Beeinflussung des Verfahrensergebnisses zur Aufhebung des Schiedsspruchs führen müssten.

 

Nach dieser Rechtsprechung des OGH wird – nach Ansicht des Antragstellers zutreffend – gefordert, dass in einem Schiedsverfahren ein ähnlicher Standard für den Schutz des rechtlichen Gehörs gelten muss wie im staatlichen Verfahren. Eine Gehörverletzung, die in einem staatlichen Verfahren mit Nichtigkeit zu sanktionieren ist, verwirklicht im Schiedsverfahren einen Aufhebungstatbestand gemäß §611 Abs2 Z8 ZPO.

 

35. Mit diesen Wertungen, die dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art6 EMRK entsprechen, steht die Ermessungsentscheidung gemäß §591 Abs2 ZPO nicht im Einklang. §591 Abs2 ZPO verhindert im Schiedsverfahren – wie der verfahrensgegenständliche Sachverhalt zeigt, einen ausreichenden – verfassungskonformen – Schutz des rechtlichen Gehörs und insofern die Einhaltung der 'Mindestgarantien' eines fairen Verfahrens und verstößt daher gegen Art6 EMRK.

 

Das Schiedsgericht kann gestützt auf §591 Abs2 ZPO nach freiem Ermessen, prozessökonomischen Überlegungen gegenüber tragenden Grundsätze[n] der österreichischen Bundesverfassung im Hinblick auf die Durchführung eines fairen Verfahrens den Vorrang geben und Verfahrensergebnisse unabhängig vom Grund der vorzeitigen Beendigung des Amts des Schiedsrichters gemäß §591 ZPO im fortzusetzenden Verfahren verwerten. Eine derartige Vorgehensweise führt ohne Zweifel zur Verletzung des gemäß Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gebots auf Gewährung des rechtlichen Gehörs.

 

Verstoß gegen Art47 GRC

 

36. Die Grundsätze des fair trial sind auch in Art47 GRC gewährleistet.

 

'Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.

 

Jede Person hat ein Recht darauf dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

 

Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.'

 

37. Der Verfassungsgerichtshof greift einen Verstoß gegen die Grundrechtecharta anlässlich eines Nonnenprüfungsverfahrens dann auf, wenn der konkrete Anlassfall einen ausreichenden Bezug zum Unionsrechts aufweist. Die Grundrechte der GRC finden in allen unionsrechtlich geregelten Fallkonstellationen, nicht aber außerhalb derselben Anwendung (VfSlg 19.865/2014). Der Anwendungsbereich des Unionsrechts ist insbesondere dann eröffnet, wenn die bekämpfte innerstaatliche Rechtsvorschrift Unionsrecht umsetzt. Die Grundrechte der GRC sind im Verhältnis zu einer nationalen Regelung nicht anwendbar, wenn die unionsrechtlichen Vorschriften in dem betreffenden Sachbereich keine Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den im Ausgangsverfahren fraglichen Sachverhalt schaffen (VfGH 5. März 2015, B533/2013 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union. Im Anlassfall bestehen jedenfalls auch unionsrechtliche Verpflichtungen, Verfahrensbestimmungen in einem Schiedsverfahren nach Maßgabe von fair trial zu gestalten. Der Antragsteller stützt daher die Grundrechtsverletzung des §591 Abs2 ZPO auch auf Art47 GRC.

 

Verstoß gegen das Legalitätsprinzip des Art18 B‑VG

 

38. Wie oben ausgeführt, liegt dem hier gegenständlichen Anlassfall ein Schiedsverfahren zugrunde, im Zuge dessen der bestellte Vorsitzende des Schiedsgerichtes, Dr K., wegen befangener Verfahrensführung durch Beschluss des HG Wien vom 21. April 2011 abberufen wurde (vgl dazu die Ausführungen zum Sachverhalt unter Tz. 11 f). Das Schiedsgericht wäre nun dazu angehalten gewesen, unter der Führung des neu bestellten Vorsitzenden, Dr H., die von Dr K. bis zum Zeitpunkt seiner Abberufung erzielten Verfahrensergebnisse, wozu auch ein fertiger Entwurf des zu fällenden Schiedsurteils gehörte, aus dem Verfahren auszusondern und alle dadurch erforderlichen Ergänzungen bzw Verfahrenswiederholungen vorzunehmen. Dennoch übernahm das neubesetzte Schiedsgericht aber sämtliche noch von Dr K. erzielten Verfahrensergebnisse und legte diese dem von ihm erlassenen Endschiedsspruch vom 20. Dezember 2012 zugrunde.

 

Das Schiedsgericht berief sich dabei auf §591 Abs2 ZPO, nach dem 'das Schiedsgericht die Verhandlung unter Verwendung der bisherigen Verfahrensergebnisse, insbesondere des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls und aller sonstigen Akten, fortsetzen' kann, wenn 'die Parteien nichts anderes vereinbart haben.'

 

39. Soweit §591 Abs2 ZPO überhaupt keine Anhaltspunkte dafür vorsieht, nach welchen Kriterien das Schiedsgericht das vom Gesetzgeber eingeräumte Ermessen auszuüben hat, ist die gesetzliche Bestimmung des 591 Abs2 ZPO nicht ausreichend bestimmt. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass §591 Abs2 ZPO ganz unabhängig davon, aus welchem Grund das Amt des Schiedsrichters vorzeitig endete, eine Verwendung der bisherigen Verfahrensergebnisse im fortgesetzten Verfahren ins freie Ermessen des Schiedsgerichtes stellt. So mag es unproblematisch und in der Sache sogar zweckmäßig und sachlich gerechtfertigt sein, wenn ein Schiedsrichter etwa wegen einer Erkrankung oder einer sonstigen Verhinderung aus dem Schiedsverfahren ausscheidet und die bisherigen Verfahrensakte fortgesetzt werden. Wenn aber wie im Anlassfall ein Schiedsrichter deswegen aus dem Verfahren ausscheidet, weil er der befangenen und insofern parteiischen Verfahrensführung überführt und deswegen abberufen wurde, ist eine Übernahme der bisherigen Verfahrensergebnisse nicht im Einklang mit dem Gebot ein faires und unparteiisches Verfahren sicherzustellen.

 

40. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem eine vergleichbare Regelung im nicht staatlichen Verfahren deutlich anders ausgestaltet ist als im staatlichen Verfahren, und ein im staatlichen Verfahren klar geregelter Sachverhalt (Wiederholung der mündlichen Streitverhandlung bei einer Änderung in der Person des Vorsitzende[n] oder eines Senatsmitgliedes – §412 Abs2 ZPO) dem freien Ermessen eines nicht staatlichen Schiedsgerichts überlassen wird, hätte der Gesetzgeber konkrete Regeln vorgeben müssen, wie und unter welchen Voraussetzungen das Ermessen auszuüben ist. Insoweit eine klare und abschließende Regelung in §591 Abs2 ZPO unterblieb, ist das Gesetz nicht ausreichend bestimmt und verstößt daher gegen das Determinierungsgebot des Art18 Abs1 B‑VG."

 

Schließlich regt die antragstellende Partei an, der Verfassungsgerichtshof möge ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union stellen.

24. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie zu den Prozessvoraussetzungen u.a. Folgendes vorbrachte:

"2.1. Gemäß §62 Abs2 VfGG idF BGBl I Nr 101/2014 kann von einem Gericht oder einer Person gemäß §62a VfGG ein Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw. die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht der Antragsteller wäre. Der Antrag hat darzulegen, inwiefern das Gericht das Gesetz anzuwenden und welche Auswirkungen die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes auf die beim Gericht anhängige Rechtssache hätte.

 

2.2. Die angefochtene Bestimmung ist im gerichtlichen Anlassverfahren nicht angewendet worden. Das Handelsgericht Wien hat festgestellt, dass das Aufhebungsbegehren allein auf §611 Abs2 Z1 ZPO betreffend die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts gestützt war (s. Urteil des Handelsgerichts Wien, S. 46, vgl. auch aa0 S. 38; vgl. auch oben Pkt. II.1.). §591 Abs2 ZPO regelt die Möglichkeit der Fortsetzung des Verfahrens nach Bestellung eines Ersatzschiedsrichters und betrifft daher das Verfahren vor dem Schiedsgericht. Ein Verstoß dagegen hätte mittels Aufhebungsklage gemäß §611 Abs2 Z5 ZPO wegen Verletzung des verfahrensrechtlichen ordre public geltend gemacht werden können (s. dazu oben Pkt. 1.6. sowie unten Pkt. III.3.2.3.). Dies hat die antragstellende Partei jedoch – wie sich aus dem Urteil des Handelsgerichts Wien ergibt – bewusst unterlassen (vgl. dazu auch das auf Seite 13 des Urteils wiedergegebene Vorbringen der beklagten Partei im Verfahren vor dem Handelsgericht Wien). Das Handelsgericht Wien hatte den Aufhebungsgrund gemäß §611 Abs2 Z5 ZPO auch nicht von Amts wegen wahrzunehmen (s. Urteil des Handelsgerichts Wien, S. 46; Hausmaninger, aa0 §611 Rz 137). Insofern hat das Handelsgericht Wien auch §591 Abs2 ZPO weder angewendet noch hätte es die Bestimmung anwenden müssen. Da somit auch das Berufungsgericht die angefochtene Bestimmung nicht denkmöglich anzuwenden hätte, stellt die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmung auch keine Vorfrage für dessen Entscheidung dar.

 

Nach Auffassung der Bundesregierung wäre der Antrag somit mangels Präjudizialität zur Gänze zurückzuweisen."

 

Die Bundesregierung trat den vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken inhaltlich entgegen und beantragte die Zurückweisung des Antrages als unzulässig, in eventu den Ausspruch, dass die angefochtene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufgehoben werde.

25. Die mitbeteiligte, im Anlassverfahren beklagte Partei erstattete eine Äußerung, in der sie vorbrachte, dass die angefochtene Bestimmung im Verfahren über die Aufhebung eines Schiedsspruchs nicht präjudiziell sei, der Anfechtungsumfang überdies falsch abgegrenzt und die angefochtene Bestimmung nicht verfassungswidrig sei. Wörtlich bringt die mitbeteiligte Partei in einer Zusammenfassung Folgendes vor:

"P. beantragt im Wege eines Parteiantrags auf Normenkontrolle die verfassungsgerichtliche Überprüfung der Bestimmung des §591 Abs2 ZPO. Wie in der vorliegenden Stellungnahme dargelegt wird, kommt diesem Antrag aus nachfolgenden Gründen keine Berechtigung zu:

 

• Der von P. im Antrag ausufernd dargestellte Sachverhalt ist für die Behandlung des vorliegenden Normprüfungsantrags weitgehend unerheblich. Die Darstellung ist auch in weiten Teilen unrichtig (siehe unten Punkt 2).

 

• Der Antrag von P. ist unzulässig, da die angefochtene Bestimmung im Ausgangsverfahren über die von P. erhobene Aufhebungsklage (Handelsgericht Wien, Gz 27 Cg 17/13z) nicht präjudiziell ist. P. hat im Aufhebungsverfahren nur die Unzuständigkeit des Schiedsgerichtes releviert. §591 Abs2 ZPO war für die Entscheidung über die Aufhebungsklage von P. daher nicht relevant und wurde auch vom Erstgericht – zu Recht – nicht angewendet (siehe unten Punkt 3).

 

• Weiters ist der Antrag von P. unzulässig, weil P. den Anfechtungsumfang falsch abgegrenzt hat. Der Anfechtungsumfang muss so weit gewählt werden, dass die behauptete Verfassungswidrigkeit durch Aufhebung der angefochtenen Bestimmung beseitigt wird. Auch nach Aufhebung des §591 Abs2 ZPO stünde aber die Wiederholung von Verfahrensschritten nach einem Schiedsrichterwechsel (mangels abweichender Parteienvereinbarung) im Ermessen des Schiedsgerichts. Denn nach einer Aufhebung des §591 Abs2 ZPO würde sich ein dahingehendes Ermessen des Schiedsgerichts aus §594 Abs1 ZPO ergeben. P. hätte daher zumindest die Bestimmung des §594 Abs1 ZPO ebenfalls anfechten müssen (siehe unten Punkt 4).

 

• Im Übrigen bestehen gegen §591 Abs2 ZPO keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weder in Hinblick auf Art6 EMRK noch Art47 EU-GRC noch Art18 B‑VG (siehe unten Punkt 5).

 

– Gegen §591 Abs2 ZPO können keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, weil diese Norm eine Verfahrenswiederholung nicht aussschließt, sondern die Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang eine Verfahrenswiederholung im konkreten Einzelfall geboten ist, in das pflichtgemäße Ermessen der Schiedsrichter stellt.

 

– In Hinblick auf Art6 EMRK ist in Schiedsverfahren ein geringerer Maßstab anzusetzen als in staatlichen Gerichtsverfahren. Selbst in staatlichen Gerichtsverfahren gebietet Art6 EMRK nicht in jedem Fall eine Verfahrenswiederholung. Soweit eine Verfahrenswiederholung in Hinblick auf Art6 EMRK geboten ist, steht dem §591 Abs2 ZPO nicht entgegen (siehe unten Punkt 5.1)

 

– Art47 EU-GRC ist mangels Unionsrechtsbezug in vorliegendem Verfahren nicht anwendbar und wäre auch von §591 Abs2 ZPO nicht verletzt (siehe unten Punkt 5.2).

 

Art18 B‑VG verlangt keine detaillierte Vorherbestimmung von Schiedsverfahren. §591 Abs2 ZPO ist auch ansonsten ausreichend bestimmt, weil aus dem Regelungszusammenhang eindeutig hervorgeht, dass die in §591 Abs2 ZPO festgelegte Ermessensübung im Sinne der Fairness des Verfahrens zu erfolgen hat (siehe unten Punkt 5.3).

 

• Die angeregten Vorabentscheidungsersuchen sind bereits mangels Unionsrechtsbezug unbeachtlich und auch sonst nicht erforderlich (siehe unten Punkt 6)."

 

IV. Zulässigkeit

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

Voraussetzung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle ist sohin – entsprechend der Formulierung des Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG – die Einbringung eines Rechtsmittels in einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache", also eines Rechtsmittels gegen eine die Rechtssache erledigende Entscheidung erster Instanz. Außerdem muss der Parteiantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG "aus Anlass" der Erhebung eines Rechtsmittels gestellt werden.

1.1. Mit der Berufung, aus deren Anlass der vorliegende Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erhoben wurde, wendete sich die antragstellende Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 29. Dezember 2016. Mit diesem Urteil wurde das Klagebegehren abgewiesen, den Schiedsspruch vom 20. Dezember 2012 aufzuheben, mit dem die Zuständigkeit des Schiedsgerichts festgestellt und die Unzuständigkeitseinrede abgewiesen worden war.

1.2. Dem Erfordernis der Einbringung aus Anlass eines Rechtsmittels hat die antragstellende Partei jedenfalls dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass sie den vorliegenden Parteiantrag und die Berufung gegen das näher bezeichnete Urteil am selben Tag erhoben und eingebracht hat (vgl. VfSlg 20.001/2015; VfGH 8.10.2015, G264/2015; 26.11.2015, G197/2015).

1.3. Der Verfassungsgerichtshof geht auf Grund einer entsprechenden Mitteilung des Handelsgerichts Wien vom 20. Februar 2017 davon aus, dass das Rechtsmittel rechtzeitig und zulässig ist.

1.4. Ein Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw. wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht der Antragsteller wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG setzt daher voraus, dass die angefochtenen Gesetzesbestimmungen in der vor dem ordentlichen Gericht entschiedenen Rechtssache präjudiziell sind (vgl. zB VfSlg 20.010/2015.; VfGH 19.11.2015, G498/2015 ua.; VfGH 13.10.2016, G33/2016 ua.; 30.11.2016, G286/2016).

2. Die angefochtene Rechtsvorschrift bestimmt, dass das Schiedsgericht bei Bestellung eines Ersatzschiedsrichters die Verhandlung unter Verwendung der bisherigen Verfahrensergebnisse, insbesondere des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls und aller sonstigen Akten, fortsetzen kann.

3. Dem Verfahren vor dem Handelsgericht liegt ein Antrag auf Aufhebung eines Schiedsspruches "wegen mangelnder Zuständigkeit des Schiedsgerichts" (vgl. §611 ZPO) zugrunde. Die Ausführungen der antragstellenden Partei im Klagebegehren, in denen behauptet wird, dass das Schiedsverfahren "ordre-public-widrig" sei, bezieht sich auf die Verfahrensführung, die zur Feststellung der Befangenheit des ehemaligen Vorsitzenden durch den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 21. April 2011 geführt hat. Die angefochtene Bestimmung des §591 Abs2 ZPO hat die Fortsetzung des Verfahrens nach der Bestellung eines Ersatzschiedsrichters zum Gegenstand.

4. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung hätte – wenn überhaupt – mit einer Aufhebungsklage nach §611 Abs2 Z5 ZPO geltend gemacht werden können. In dieser Klage wäre darzutun gewesen, dass das Schiedsverfahren in einer Weise durchgeführt worden sei, die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) widerspreche. Der Aufhebungsgrund des §611 Abs2 Z5 ZPO ist auch nicht von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. §611 Abs3 ZPO; siehe auch Hausmaninger in Fasching/Konecny3, Zivilprozessgesetze, Band IV, §611, Rz 166 ff. zur Spezifizierung der Aufhebungsgründe und Rz 137 zur Berücksichtigung eines Verstoßes gegen den verfahrensrechtlichen ordre public nur über Vorbringen des Antragstellers).

5. Das Rechtsmittel, aus dessen Anlass der Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestellt wurde, richtet sich gegen ein Urteil des Handelsgerichts Wien, mit dem das Klagebegehren auf Aufhebung eines Schiedsspruches, mit dem die Zuständigkeit des Schiedsgerichts festgestellt und die Unzuständigkeitseinrede vom Schiedsgericht abgewiesen wurde, abgewiesen wurde. Wie die Bundesregierung zutreffend festhält, ist es vor dem Hintergrund der geltenden Rechtslage geradezu denkunmöglich, dass die Bestimmung des §591 Abs2 ZPO in einem solchen Verfahren angewendet wird, zumal es dabei nicht um die Frage der Zuständigkeit des Schiedsgerichts, sondern um Verfahrensfragen geht.

6. Der Antrag erweist sich damit schon aus diesem Grund als unzulässig.

V. Ergebnis

1. Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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