Normen
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
SozialbetrugsbekämpfungsG §8
ZustellG §26
BAO §102
VfGG §7 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2019:G117.2019
Spruch:
Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestützten Antrag begehrt das Bundesfinanzgericht,
"1.)
- §8 Abs4 zweiter Satz SBBG BGBl I Nr 113/2015 idF BGBl I Nr 32/2018 (siehe Pkt V.5.);
- §8 Abs5 SBBG BGBl I Nr 113/2015 idF BGBl I Nr 32/2018 (siehe Pkte V.5 und V.1; IV.5 und IV.1.);
- §8 Abs6 SBBG BGBl I Nr 113/2015 idF BGBl I Nr 32/2018 (siehe Pkte V.5 und V.1; IV.5 und IV.1.);
- §8 Abs7 SBBG BGBl I Nr 113/2015 idF BGBl I Nr 32/2018 (siehe Pkte V.3,4 und 5; Pkte IV.2,3,5);
- §8 Abs8 SBBG BGBl I Nr 113/2015 idF BGBl I Nr 32/2018 (siehe V.4,3 und 5; IV.3,2,5.);
- den Satz 'Wird Widerspruch erhoben, hat die Abgabenbehörde nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit Bescheid festzustellen, dass das Unternehmen, hinsichtlich dessen ein Verdacht nach Abs2 vorliegt, als Scheinunternehmen gilt, oder das Verfahren einzustellen' (§8 Abs9 erster Satz SBBG, BGBl I Nr 113/2015 idF BGBl I Nr 32/2018) (siehe Pkte V3,4,5 und 6.; IV.2,3,5),
- §8 Abs12 Z1 SBBG, BGBl I Nr 113/2015 idF BGBl I Nr 32/2018 (siehe Pkte V.5; IV.5),
- den Satz 'Die Frist für die Einbringung einer Beschwerde nach §243 BAO beträgt eine Woche' (§8 Abs12 Z2 erster Satz SBBG BGBl I Nr 113/2015 idF BGBl I Nr 32/2018) (siehe Pkt V.2),
- den Satz 'Soweit die Frist zur Erhebung des Widerspruchs gegen den mitgeteilten Verdacht nach Abs7 versäumt wurde, hat die persönliche Vorsprache innerhalb der Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung zu erfolgen' (§8 Abs12 Z3 zweiter Satz SBBG, BGBl I Nr 113/2015 idF BGBl I Nr 32/2018)(siehe Pkte V.3,4,5; IV.2,3,5)
als verfassungswidrig aufzuheben.
2.) Für den Fall, dass dem Antrag, §8 Abs6 SBBG zur Gänze aufzuheben, nicht entsprochen werden sollte, wird beantragt (Pkte V.1; IV.1),
- die Wortfolge 'ohne Zustellnachweis' in §8 Abs6 erster Satz SBBG, BGBl I Nr 113/2015 idF BGBl I Nr 32/2018, sowie
- §8 Abs6 zweiter bis letzter Satz, BGBl I Nr 113/2015 idF BGBl Nr 32/2018
als verfassungswidrig aufzuheben.
3.) Für den Fall, dass weder
- noch §8 Abs8 erster Satz SBBG,
- noch §8 Abs9 erster Satz SBBG,
- noch §8 Abs12 Z2 erster Satz SBBG
aufgehoben werden sollte, wird beantragt, §8 SBBG (BGBl I Nr 113/2015 idF BGBl Nr 32/2018) und §9 SBBG (BGBl I Nr 113/2015) als verfassungswidrig aufzuheben (siehe Pkt IV.6.).
4.) Für den Fall, dass dem Antrag, §8 Abs12 Z1 SBBG aufzuheben,
nicht entsprochen werden sollte, wird beantragt (siehe Pkte V.3 und 4; IV.2 und 3),
- den Satz 'Weiters ist darauf hinzuweisen, dass im Falle der Erhebung des Widerspruchs das ordentliche Verfahren eingeleitet wird' (§8 Abs12 Z1 zweiter Satz SBBG BGBl I Nr 113/2015 idF BGBl I Nr 32/2018)
als verfassungswidrig aufzuheben."
II. Rechtslage
1. §8 des Bundesgesetzes zur Verbesserung der Sozialbetrugsbekämpfung (Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz – SBBG), BGBl I 113/2015, idF BGBl I 32/2018 lautet (die mit dem Hauptantrag angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):
"3. Abschnitt
Maßnahmen gegen Scheinunternehmen
Verfahren zur Feststellung des Scheinunternehmens
§8. (1) Scheinunternehmen ist ein Unternehmen, das vorrangig darauf ausgerichtet ist,
1. Lohnabgaben, Beiträge zur Sozialversicherung, Zuschläge nach dem BUAG oder Entgeltansprüche von Arbeitnehmer/inne/n zu verkürzen, oder
2. Personen zur Sozialversicherung anzumelden, um Versicherungs-, Sozial- oder sonstige Transferleistungen zu beziehen, obwohl diese keine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen.
(2) Ein Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens ist gegeben, wenn die Anhaltspunkte bei einer Gesamtbetrachtung ihrem Gewicht, ihrer Bedeutung und ihrem wahren wirtschaftlichen Gehalt nach berechtigte Zweifel begründen, ob
1. die Anmeldung zur Sozialversicherung oder die Meldung bei der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse vom Vorsatz getragen ist, die in Folge der Anmeldung oder Meldung auflaufenden Lohn- und Sozialabgaben oder Zuschläge nach dem BUAG zur Gänze zu entrichten, oder
2. die Anmeldung zur Sozialversicherung vom Vorsatz getragen ist, dass die angemeldeten Personen eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen.
Die Abgabenbehörden des Bundes haben die Ermittlungen hinsichtlich des Verdachtes auf Vorliegen eines Scheinunternehmens im Sinne dieser Bestimmung durchzuführen.
(3) Anhaltspunkte für einen Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens sind insbesondere:
1. Auffälligkeiten im Rahmen einer Risiko- und Auffälligkeitsanalyse nach §42b ASVG oder vergleichbaren Instrumenten,
2. Unauffindbarkeit von für das Unternehmen tätigen Personen, die dem angegebenen Geschäftszweig entsprechen, an der der Abgabenbehörde oder dem Träger der Krankenversicherung nach dem ASVG zuletzt bekannt gegebenen Adresse oder der im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsanschrift,
3. Unmöglichkeit des Herstellens eines persönlichen Kontakts zu dem/der Rechtsträger/in oder dessen/deren organschaftlichen Vertreters/Vertreterin über die im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsanschrift oder die der Abgabenbehörde oder dem Träger der Krankenversicherung nach dem ASVG zuletzt bekannt gegebene Adresse,
4. Verwendung falscher oder verfälschter Urkunden oder Beweismittel durch die dem Unternehmen zuzurechnenden Personen,
5. Nichtvorhandensein von dem angegebenen Geschäftszweig angemessenen Betriebsmitteln oder Betriebsvermögen,
6. Vorliegen nicht bloß geringer Rückstände an Sozialversicherungsbeiträgen im Zeitpunkt einer Anmeldung des/der Dienstnehmers/Dienstnehmerin zur Sozialversicherung.
(4) Die für die Feststellung der Scheinunternehmerschaft zuständige Abgabenbehörde ist das Finanzamt der Betriebsstätte (§81 Einkommensteuergesetz 1988 – EStG 1988, BGBl Nr 400/1988), dem die Wahrnehmung der Angelegenheiten des vom betroffenen Unternehmen vorzunehmenden Steuerabzuges vom Arbeitslohn obliegt. Besteht ein Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens, ist dieser dessen Rechtsträger/in durch die Abgabenbehörde schriftlich mitzuteilen. Zum Zwecke der Klärung des Sachverhalts nach §7 Abs1a Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz (IESG), BGBl Nr 324/1977, hat die Abgabenbehörde die IEF-Service GmbH über das Bestehen eines Verdachts im Sinne des ersten Satzes schriftlich zu informieren.
(5) Die Zustellung dieser Mitteilung hat nach dem 3. Abschnitt des Zustellgesetzes (ZustG), BGBl Nr 200/1982, elektronisch ohne Zustellnachweis zu erfolgen. Dabei gelten §35 Abs6 zweiter Satz ZustG, §35 Abs7 und, soweit er sich auf eine elektronische Zustelladresse bezieht, §37 ZustG nicht.
(6) Ist die elektronische Zustellung nicht möglich, hat die physische Zustellung an die der Abgabenbehörde zuletzt bekannt gegebene Adresse und an eine allfällig im Firmenbuch eingetragene Geschäftsanschrift, die als Abgabestellen im Sinne des §2 Z4 ZustG gelten, ohne Zustellnachweis zu erfolgen. Die physische Zustellung wird auch dann bewirkt, wenn die Voraussetzungen des ZustG in Bezug auf die Anwesenheit des/der Empfängers/Empfängerin oder eines/einer Vertreters/Vertreterin nicht vorliegen oder das Dokument – insbesondere wegen Unauffindbarkeit des/der Empfängers/Empfängerin – nicht in eine für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen werden konnte. Bei Zustellung durch einen Zustelldienst oder ein Organ einer Gemeinde gilt die Zustellung am dritten Werktag nach Übergabe an den Zustelldienst oder die Gemeinde als bewirkt. §26 Abs2 zweiter Satz ZustG ist nicht anzuwenden.
(7) Gegen den mitgeteilten Verdacht kann binnen einer Woche ab Zustellung Widerspruch bei der Abgabenbehörde erhoben werden. Der Widerspruch kann nur durch persönliche Vorsprache des/der Rechtsträgers/Rechtsträgerin oder dessen/deren organschaftlichen Vertreters/Vertreterin erfolgen.
(8) Wird kein Widerspruch erhoben, hat die Abgabenbehörde mit Bescheid festzustellen, dass das Unternehmen, hinsichtlich dessen ein Verdacht nach Abs2 vorliegt, als Scheinunternehmen gilt. Für die Zustellung dieses Bescheids gelten die Abs5 und 6. Der rechtskräftige Bescheid ist allen Kooperationsstellen, der Gewerbebehörde und dem Auftragnehmerkataster Österreich zu übermitteln; dasselbe gilt für allfällige spätere Änderungen betreffend die Feststellung als Scheinunternehmen.
(9) Wird Widerspruch erhoben, hat die Abgabenbehörde nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit Bescheid festzustellen, dass das Unternehmen, hinsichtlich dessen ein Verdacht nach Abs2 vorliegt, als Scheinunternehmen gilt, oder das Verfahren einzustellen. Die Feststellung als Scheinunternehmen gilt als wichtiger Grund im Sinne des §102 der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl Nr 194/1961. Für die Zustellung dieses Bescheids gilt die der Abgabenbehörde zuletzt bekannt gegebene Adresse als Abgabestelle im Sinne des §2 Z4 ZustG. Die physische Zustellung wird auch dann bewirkt, wenn die Voraussetzungen des ZustG in Bezug auf die Anwesenheit des/der Empfängers/Empfängerin oder eines/einer Vertreters/Vertreterin nicht vorliegen oder die schriftliche Verständigung von der Hinterlegung – insbesondere wegen Unauffindbarkeit des/der Empfängers/Empfängerin – nicht in eine für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung eingelegt, an der Abgabestelle zurückgelassen oder an der Eingangstüre angebracht werden konnte. Der rechtskräftige Bescheid oder das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts ist allen Kooperationsstellen, der Gewerbebehörde und dem Auftragnehmerkataster Österreich zu übermitteln; dasselbe gilt für allfällige spätere Änderungen betreffend die Feststellung als Scheinunternehmen.
(10) Das Bundesministerium für Finanzen hat eine Liste der rechtskräftig festgestellten Scheinunternehmen im Internet zu veröffentlichen (Identität, Firmenbuchnummer und Geschäftsanschrift des Scheinunternehmens). Veröffentlichungen, die sich auf natürliche Personen beziehen, sind nach Ablauf von fünf Jahren nach der Veröffentlichung zu löschen.
(11) Handelt es sich beim Scheinunternehmen um einen im Firmenbuch eingetragene/n Rechtsträger/in, so ist der rechtskräftige Bescheid oder das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts von der Abgabenbehörde auch dem zuständigen Firmenbuchgericht zu übermitteln; dasselbe gilt für allfällige spätere Änderungen betreffend die Feststellung als Scheinunternehmen. Das Gericht hat aufgrund einer solchen Mitteilung von Amts wegen die Eintragung gemäß §3 Abs1 Z15a des Firmenbuchgesetzes (FBG), BGBl Nr 10/1991, vorzunehmen oder zu löschen. Handelt es sich beim Scheinunternehmen um eine Kapitalgesellschaft, so hat die Abgabenbehörde beim zuständigen Firmenbuchgericht gegebenenfalls auch einen Antrag auf Löschung der Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit gemäß §40 FBG zu stellen.
(12) Auf das Verfahren sind die Vorschriften der BAO sinngemäß mit den vorgenannten und folgenden Besonderheiten anzuwenden:
1. Für die Mitteilung nach Abs4 gilt §93 Abs3 bis 6 BAO sinngemäß. Weiters ist darauf hinzuweisen, dass im Falle der Erhebung des Widerspruchs das ordentliche Verfahren eingeleitet wird.
2. Die Frist für die Einbringung einer Beschwerde nach §243 BAO beträgt eine Woche. §245 Abs3 BAO gilt nicht.
3. Die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung nach §308 Abs3 BAO beträgt zwei Wochen. Soweit die Frist zur Erhebung des Widerspruchs gegen den mitgeteilten Verdacht nach Abs7 versäumt wurde, hat die persönliche Vorsprache innerhalb der Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung zu erfolgen. Die Frist nach §309 BAO beträgt sechs Wochen.
4. Gegen Bescheide nach den Abs8 und 9 sind Beschwerden an das Bundesfinanzgericht zulässig. Die Beschwerde ist bei der Abgabenbehörde einzubringen, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat.
2. Die §§17, 22 und 26 des Bundesgesetzes über die Zustellung behördlicher Dokumente (Zustellgesetz – ZustG), BGBl 200/1982, idF BGBl I 33/2013 lauten:
"Hinterlegung
§17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des §13 Abs3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.
(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des §13 Abs3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.
(4) Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist auch dann gültig, wenn die im Abs2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde.
[…]
Zustellnachweis
§22. (1) Die Zustellung ist vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein, Rückschein) zu beurkunden.
(2) Der Übernehmer des Dokuments hat die Übernahme auf dem Zustellnachweis durch seine Unterschrift unter Beifügung des Datums und, wenn er nicht der Empfänger ist, seines Naheverhältnisses zu diesem zu bestätigen. Verweigert er die Bestätigung, so hat der Zusteller die Tatsache der Verweigerung, das Datum und gegebenenfalls das Naheverhältnis des Übernehmers zum Empfänger auf dem Zustellnachweis zu vermerken. Der Zustellnachweis ist dem Absender unverzüglich zu übersenden.
(3) An die Stelle der Übersendung des Zustellnachweises kann die elektronische Übermittlung einer Kopie des Zustellnachweises oder der sich daraus ergebenden Daten treten, wenn die Behörde dies nicht durch einen entsprechenden Vermerk auf dem Zustellnachweis ausgeschlossen hat. Das Original des Zustellnachweises ist mindestens fünf Jahre nach Übermittlung aufzubewahren und der Behörde auf deren Verlangen unverzüglich zu übersenden.
(4) Liegen die technischen Voraussetzungen dafür vor, so kann die Beurkundung der Zustellung auch elektronisch erfolgen. In diesem Fall hat der Übernehmer auf einer technischen Vorrichtung zu unterschreiben; an die Stelle der Unterschriftsleistung kann auch die Identifikation und Authentifizierung mit der Bürgerkarte (§2 Z10 des E-Government-Gesetzes – E-GovG, BGBl I Nr 10/2004) treten. Die die Beurkundung der Zustellung betreffenden Daten sind dem Absender unverzüglich zu übermitteln.
[…]
Zustellung ohne Zustellnachweis
§26. (1) Wurde die Zustellung ohne Zustellnachweis angeordnet, wird das Dokument zugestellt, indem es in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (§17 Abs2) eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wird.
(2) Die Zustellung gilt als am dritten Werktag nach der Übergabe an das Zustellorgan bewirkt. Im Zweifel hat die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung von Amts wegen festzustellen. Die Zustellung wird nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam."
3. Die §§102, 243, 245, 308 und 309 des Bundesgesetzes über allgemeine Bestimmungen und das Verfahren für die von den Abgabenbehörden des Bundes, der Länder und Gemeinden verwalteten Abgaben (Bundesabgabenordnung – BAO), BGBl 194/1961, idF BGBl I 14/2013 lauten:
"§102. Wenn wichtige Gründe hiefür vorliegen, hat die Abgabenbehörde die schriftlichen Ausfertigungen mit Zustellnachweis zuzustellen. Bei Vorliegen besonders wichtiger Gründe ist die Zustellung zu eigenen Handen des Empfängers zu bewirken.
[…]
7. ABSCHNITT
Rechtsschutz.
A. Ordentliche Rechtsmittel.
1. Beschwerden an Verwaltungsgerichte
§243. Gegen Bescheide, die Abgabenbehörden erlassen, sind Beschwerden (Bescheidbeschwerden) an die Verwaltungsgerichte zulässig, soweit in Abgabenvorschriften nicht anderes bestimmt ist.
[…]
2. Einbringung der Beschwerde
§245. (1) Die Beschwerdefrist beträgt einen Monat. Enthält ein Bescheid die Ankündigung, dass noch eine Begründung zum Bescheid ergehen wird, so wird die Beschwerdefrist nicht vor Bekanntgabe der fehlenden Begründung oder der Mitteilung, dass die Ankündigung als gegenstandslos zu betrachten ist, in Lauf gesetzt. Dies gilt sinngemäß, wenn ein Bescheid auf einen Bericht (§150) verweist.
(2) Durch einen Antrag auf Mitteilung der einem Bescheid ganz oder teilweise fehlenden Begründung (§93 Abs3 lita) wird der Lauf der Beschwerdefrist gehemmt.
(3) Die Beschwerdefrist ist auf Antrag von der Abgabenbehörde aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erforderlichenfalls auch wiederholt, zu verlängern. Durch einen Antrag auf Fristverlängerung wird der Lauf der Beschwerdefrist gehemmt.
(4) Die Hemmung des Fristenlaufes beginnt mit dem Tag der Einbringung des Antrages (Abs2 oder 3) und endet mit dem Tag, an dem die Mitteilung (Abs2) oder die Entscheidung (Abs3) über den Antrag dem Antragsteller zugestellt wird. In den Fällen des Abs3 kann jedoch die Hemmung nicht dazu führen, dass die Beschwerdefrist erst nach dem Zeitpunkt, bis zu dem letztmals ihre Verlängerung beantragt wurde, abläuft.
(5) Abs3 und 4 gelten sinngemäß für Anträge auf Verlängerung der Frist des §85 Abs2 bei Mängeln von Beschwerden.
[…]
3. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
§308. (1) Gegen die Versäumung einer Frist (§§108 bis 110) oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
[…]
(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss binnen einer Frist von drei Monaten nach Aufhören des Hindernisses bei der Behörde (Abgabenbehörde oder Verwaltungsgericht), bei der die Frist wahrzunehmen war bzw bei der die Verhandlung stattfinden sollte, eingebracht werden. Bei Versäumnis einer Beschwerdefrist (§245) oder einer Frist zur Stellung eines Vorlageantrages (§264) gilt §249 Abs1 dritter Satz sinngemäß. Im Fall der Versäumung einer Frist hat der Antragsteller spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Handlung nachzuholen.
(4) Wenn die Zuständigkeit zur Abgabenerhebung auf eine andere Abgabenbehörde übergegangen ist, kann der Antrag unter gleichzeitiger Nachholung der versäumten Handlung auch bei der Abgabenbehörde eingebracht werden, die im Zeitpunkt der Antragstellung zur Abgabenerhebung zuständig ist.
[…]
§309. Nach Ablauf von fünf Jahren, vom Ende der versäumten Frist oder vom Termin der versäumten mündlichen Verhandlung an gerechnet, ist ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mehr zulässig."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Vor dem Bundesfinanzgericht ist eine Beschwerde einer slowakischen Gesellschaft gegen einen Bescheid des Finanzamtes Klagenfurt betreffend die Feststellung des Vorliegens eines Scheinunternehmens gemäß §8 Abs8 SBBG anhängig. Das Bundesfinanzgericht legt den Sachverhalt des bei ihm anhängigen Verfahrens zusammengefasst wie folgt dar:
1.1.1. Am 25. Juli 2018 habe das Finanzamt Klagenfurt ein Schreiben gemäß §8 Abs4 zweiter Satz SBBG wegen des Verdachtes auf Vorliegen eines Scheinunternehmens ("Verdachtsmitteilung") an die (vor dem Bundesfinanzgericht) beschwerdeführende Gesellschaft adressiert. Ein Zustellorgan des Finanzamtes Klagenfurt habe die Verdachtsmitteilung am 25. Juli 2018 physisch, ohne Zustellnachweis gemäß §8 Abs6 erster Satz SBBG an der inländischen Abgabestelle und Betriebsstätte der beschwerdeführenden Gesellschaft zuzustellen versucht. Das Zustellorgan des Finanzamtes Klagenfurt habe an der Abgabestelle keinen Vertreter der beschwerdeführenden Gesellschaft (§13 Abs3 ZustG) und auch keinen Ersatzempfänger (§16 Abs1 ZustG) angetroffen. Daraufhin habe das Zustellorgan des Finanzamtes Klagenfurt die Verdachtsmitteilung am 25. Juli 2018 an die versperrte Eingangstüre des Geschäftslokales geklebt und dies durch Anfertigung von Photoaufnahmen dokumentiert.
1.1.2. Es sei kein Widerspruch gegen die Verdachtsmitteilung gemäß §8 Abs7 SBBG erhoben worden.
1.1.3. Mit Bescheid vom 13. August 2018 habe das Finanzamt Klagenfurt gemäß §8 Abs8 SBBG festgestellt, dass es sich bei der beschwerdeführenden Gesellschaft um ein Scheinunternehmen iSd §8 Abs1 SBBG handle. Es seien Sozialversicherungsbeiträge nicht vollständig geleistet worden und es sei in Anbetracht der (näher bezeichneten) Ermittlungen der Finanzpolizei evident, dass die beschwerdeführende Gesellschaft zu illegalen Zwecken gegründet worden sei.
Am 13. August 2018 habe ein Zustellorgan des Finanzamtes Klagenfurt versucht, den Bescheid – wegen fehlender Möglichkeit der elektronischen Zustellung gemäß §8 Abs5 SBBG – physisch, ohne Zustellnachweis an der Abgabestelle gemäß §8 Abs8 zweiter Satz iVm Abs6 SBBG zuzustellen. Das Zustellorgan des Finanzamtes Klagenfurt habe an der Abgabestelle keinen Vertreter der beschwerdeführenden Gesellschaft (§13 Abs3 ZustG) und auch keinen Ersatzempfänger (§16 Abs1 ZustG) angetroffen. Daraufhin habe das Zustellorgan des Finanzamtes Klagenfurt den Bescheid in einem Kuvert am 13. August 2018 an die versperrte Eingangstüre des Geschäftslokales geklebt und dies durch Anfertigung von Photoaufnahmen dokumentiert.
1.1.4. Am 28. August 2018 habe die (vor dem Bundesfinanzgericht) einschreitende Partei Beschwerde gegen den Feststellungsbescheid vom 13. August 2018 erhoben. Das Finanzamt habe die Beschwerde am 3. September 2018 als gemäß §8 Abs12 Z2 erster Satz SBBG verspätet zurückgewiesen. Mit Vorlageantrag vom 18. September 2018 habe die beschwerdeführende Partei begehrt, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorzulegen.
2. Das Bundesfinanzgericht legt seine Bedenken wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Original):
"[…]
V.) Gründe für die Verfassungswidrigkeit der bekämpften gesetzlichen Bestimmungen
1.) Verfassungswidrigkeit der Wortfolge 'ohne Zustellnachweis' in §8 Abs6 erster Satz SBBG; Verfassungswidrigkeit des gesamten §8 Abs6 und des gesamten §8 Abs5 SBBG […]
1.1.) die beträchtliche Eingriffswirkung der Verdachtsmitteilungen gem. §8 Abs4 zweiter Satz SBBG und der Feststellungsbescheide gem. §8 Abs8 SBBG (für beide Erledigungen des Finanzamtes gelten dieselben Vorschriften der Zustellung) auf die rechtlichen Interessen eines Unternehmers:
a.) Eintragung in die Liste gem. §8 Abs10 SBBG
Wer einer Verdachtsmitteilung gem. §8 Abs4 zweiter Satz SBBG nicht rechtzeitig (§8 Abs7 SBBG) widerspricht, muss mit der Erlassung eines Feststellungsbescheides gem. §8 Abs8 SBBG rechnen (RV 692 der Beilagen XXV. GP zu §8 Abs8 SBBG). Jeder i.S. des §8 Abs8 SBBG rechtskräftig festgestellte Scheinunternehmer wird in eine Liste des BMF, die im Internet für jedermann einsehbar ist, eingetragen (§8 Abs10 SBBG). Die Eintragung in diese Liste der Scheinunternehmer hat schwerwiegende Rechtsfolgen, die typischerweise die reale Gefahr der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Unternehmers nach sich ziehen werden: Zunächst ist die Eintragung per se einem guten Ruf typischerweise abträglich. Ferner riskiert jeder Unternehmer, der einem rechtskräftig iSd §8 Abs8 SBBG festgestellten Scheinunternehmer einen Auftrag erteilt, eine Haftung für Entgeltansprüche der beim Scheinunternehmer beschäftigten Arbeitnehmer (§9 SBBG). All dies kann de facto typischerweise zu einer beträchtlichen Verringerung der Chancen des rechtskräftig festgestellten Scheinunternehmers, sich noch am österreichischen Markt behaupten zu können, führen.
b.) Die ASVG-Versicherungsverhältnisse der bei dem in die Liste des BMF (§8 Abs10 SBBG) eingetragenen Scheinunternehmer beschäftigten Dienstnehmer unterliegen der realen Gefahr, beendet zu werden (§11 Abs7 ASVG; §43 Abs4 ASVG, insbesondere §35a ASVG; 692 der Beilagen XXV. GP, Regierungsvorlage zu §35a ASVG).
Dieser Umstand kann de facto typischerweise zu einer beträchtlichen Verringerung der Chancen des rechtskräftig festgestellten Scheinunternehmers, sich noch am österreichischen Markt behaupten zu können, führen.
c.) Ab dem Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides, mit dem ein Unternehmer als Scheinunternehmer i.S. des §8 SBBG festgestellt worden ist, sind Anmeldungen zur Pflichtversicherung durch diesen Unternehmer nicht mehr zulässig (§33 Abs1c ASVG).
Dieser Umstand kann de facto typischerweise zu einer beträchtlichen Verringerung der Chancen des rechtskräftig festgestellten Scheinunternehmers, sich noch am Markt behaupten zu können, führen.
d.) Die Feststellung, dass ein Unternehmer ein Scheinunternehmer i.S. des §8 SBBG ist, kann finanzstrafrechtliche (§33 Abs1 FinStrG) und strafrechtliche (§153c, §153d, §153e StGB) Folgen nach sich ziehen und wird (§8 Abs8 dritter Satz SBBG und §87 Abs1 letzter Satz i.V.m. §87 Abs1 Z3 GewO) die Aufmerksamkeit der Gewerbebehörde für den rechtskräftig festgestellten Scheinunternehmer schärfen.
Zudem führt eine solche Feststellung auch zwingend zu einer Eintragung im Firmenbuch, dass es sich beim Unternehmer um einen Scheinunternehmer i.S. des §8 SBBG handelt (§3 Abs1 Z15a FBG). Derlei ist i.d.R. einem guten Ruf abträglich und impliziert die reale Gefahr des Verlustes von Marktanteilen.
e.) Ein Unternehmer, dessen Unternehmen rechtskräftig als Scheinunternehmen festgestellt worden ist, hat mit einer Geldstrafe in Höhe von 730 – 2.180 €, im Wiederholungsfall bis zu 5.000 €, zu rechnen (§111 Abs2 ASVG).
Die Rechtsfolgen einer nicht rechtzeitig widersprochenen Verdachtsmitteilung (§8 Abs7 SBBG) und eines deshalb ergehenden rechtskräftigen Feststellungsbescheides gem. §8 Abs8 SBBG zeugen somit von einer hohen Eingriffswirkung auf die rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen eines Unternehmers. Sie erzeugen die reale Gefahr der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz eines Unternehmers in Österreich (Punkte a.-e).
f.) Priorität eines effektiven Rechtsschutzes gegen die Verdachtsmitteilung (§8 Abs4 zweiter Satz SBBG) und gegen die Feststellung (§8 Abs8 SBBG), dass ein Unternehmer als Scheinunternehmer iSd §8 Abs1 SBBG zu gelten hat:
Es mag sein, dass diese zwangsläufigen Rechtsfolgen i.S. des §8 Abs10 SBBG u.s.w. (siehe oben a.-e.) vom Gesetzgeber gewollt und auch sachlich gerechtfertigt sind, um den Sozialstaat zu schützen, indem man Sozialbetrüger i.S. des §8 Abs1 SBBG vom Markt drängt. Allerdings kommt insbesondere in Fällen mit großer Eingriffswirkung auf die rechtlichen Interessen eines Normadressaten dem Erfordernis der Möglichkeit der effektiven Wahrnehmung der gewährleisteten Rechtsschutzmöglichkeiten erhebliche Bedeutung zu (VfGH vom 26.9.2017, G134/2017, G207/2017).
Daher erfordern diese schwerwiegenden Rechtsfolgen der Feststellung eines Scheinunternehmers (siehe oben a.-e.), dass das Verfahren vor der Feststellung i.S. des §8 SBBG dem rechtsstaatlichen Prinzip entspricht, welches einen effektiven Rechtsschutz verlangt:
Dies erfordert ein Verfahren nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, welches durch effektiven Rechtsschutz gesichert wird:
Damit sind zunächst insbesondere ausreichende Beweisaufnahmen, Gewährung von Parteiengehör, nachvollziehbare Feststellungen mit nachvollziehbarer rechtlicher Beurteilung, und eine nachvollziehbare Zustellung behördlicher Erledigungen (§8 Abs12, 1. Satz SBBG i.V.m. §§98ff BAO i.V. mit den Normen des ZustellG; §115 Abs1-4 BAO, §167 Abs2 BAO und §93 Abs3 lita BAO) gemeint.
Dieses soeben erwähnte, dem rechtsstaatlichen Prinzip entsprechende Verfahren muss durch effektive Möglichkeiten des Rechtsschutzes (Rechtsbehelfe, Beschwerden) gesichert werden, um sich gegen allenfalls unrichtige Feststellungen i.S. des §8 SBBG ausreichend zur Wehr setzen zu können (vgl VfGH vom 26.9.2017, G134/2017 und G207/2017).
Das rechtsstaatliche Prinzip und ihm folgend, das Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes verlangen daher auch die verfassungsrechtlich vorgegebene Pflicht des Gesetzgebers zur Einräumung einer angemessen langen Beschwerde- und/oder Rechtsmittelfrist […]
Die bekämpfte gesetzliche Bestimmung entspricht diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht:
1.2.) Verstöße gegen die Bundesverfassung
a.) unsichere Zustellung – Verstoß des §8 Abs6 SBBG, zumindest aber der Wortfolge 'ohne Zustellnachweis' in §8 Abs6 erster Satz SBBG gegen die Bundesverfassung
Da eine elektronische Zustellung im gegenständlichen Fall nicht möglich war, hatte die physische Zustellung der Verdachtsmitteilung (§8 Abs4 zweiter Satz SBBG) und des Feststellungsbescheides (§8 Abs8 zweiter Satz SBBG) ohne Zustellnachweis zu erfolgen (§8 Abs6 erster Satz SBBG). Dass der Gesetzgeber die Zustellung mit Zustellnachweis nicht wünscht, bringt er auch durch das Fehlen des Hinweises auf §102 BAO in §8 Abs6 SBBG zum Ausdruck (vgl §8 Abs9 zweiter Satz SBBG).
Daher musste das Dokument wegen Fehlens einer Abgabeeinrichtung i.S. des §17 Abs2 ZustellG an der Abgabestelle zurückgelassen werden (§8 Abs6 SBBG i.V.m. §26 Abs1 ZustellG). Diesem Erfordernis wurde im gegenständlichen Fall durch Ankleben der kuvertierten Verdachtsmitteilung und durch Ankleben des kuvertierten Feststellungsbescheides an der Eingangstüre der Abgabestelle Rechnung getragen. Diese Art der Zustellung ohne Zustellnachweis i.S. des §22 ZustellG wäre nach allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen (§102 erster Satz BAO) nur für Angelegenheiten von untergeordneter Bedeutung (zB Einladung zur Eröffnung eines neuen Infocenters, Einladung zu einem 'Tag der offenen Tür', etc....), nicht aber für wichtige Angelegenheiten, wie sie im gegenständlichen Fall vorliegen (Zustellung einer Verdachtsmitteilung gem. §8 Abs4 Abs2 SBBG, Zustellung eines Feststellungsbescheides gem. §8 Abs8 SBBG, die beide schwerwiegende Rechtsfolgen erwarten ließen, vgl Pkt 1.1.a.-e), zulässig gewesen.
Indem allerdings §8 Abs6 erster Satz SBBG die physische Zustellung der Verdachtsmitteilung (§8 Abs4 zweiter Satz SBBG) und des Feststellungsbescheides (§8 Abs8 zweiter Satz SBBG) ohne Zustellnachweis anordnet, und indem §8 Abs6 SBBG keinen Hinweis aufs 102 BAO enthält (vgl §8 Abs9 zweiter Satz SBBG), derogiert §8 Abs6 SBBG als lex specialis dem §102 erster Satz BAO und ebenso dem §22 ZustellG im Verfahren nach §8 Abs8 SBBG und verhindert dadurch eine in wichtigen Angelegenheiten sachlich notwendige, verlässlich nachvollziehbare Zustellung mit Zustellnachweis. Indem §8 Abs6 SBBG die physische Zustellung ohne Zustellnachweis anordnet, ordnet er zwingend die Anwendung von §26 Abs1 ZustellG an (Zustellung durch Zurücklassen des Schriftstückes an der Abgabestelle) und derogiert dadurch im Verfahren nach §8 SBBG dem §17 ZustellG. Dadurch wird die wesentlich verlässlicher nachvollziehbare Zustellung durch Hinterlegung (§17 ZustellG) verhindert.
Die bekämpfte Rechtsnorm (§8 Abs6 SBBG) verhindert somit die verlässliche Art der Zustellung durch Hinterlegung (§17 ZustellG) mit Zustellnachweis (§102 erster Satz BAO i.V.m. §22 ZustellG) zu Gunsten der wesentlich weniger verlässlichen Zustellung durch Zurücklassen des Schriftstückes an der Abgabestelle (§26 Abs1 ZustellG). Bei der Zustellung durch Hinterlegung (§17 ZustellG) wäre es typischerweise zur Übergabe des zugestellten Schriftstückes an eine befugte natürliche Person, die der Sphäre des Empfängers zuzuordnen ist, gekommen (§17 Abs3 ZustellG, vgl Pkt IV.1.c). Dies wäre typischerweise auf dem Zustellnachweis (§22 Abs2 ZustellG) beurkundet worden. Bei dieser Art der Zustellung (§17 i.V.m. §22 ZustellG) gibt es typischerweise keinen Zweifel darüber, dass der Empfänger das Schriftstück tatsächlich erhalten hat. Diese durch die bekämpfte Norm verhinderte, zweckmäßige und unvergleichlich sicherere Art der Zustellung gem. §17 ZustellG hätte somit die erste Voraussetzung für einen wirksamen Rechtsschutz erfüllt: Die hinreichend sicher erwiesene Kenntnisnahme des Empfängers von einem für sie wichtigen Schriftstück. Ohne Kenntnisnahme der Partei von einem behördlichen Schriftstück kann es keinen wirksamen Rechtsschutz für die Partei geben.
Auf Grund der vom Gesetzgeber angeordneten Zustellung ohne Zustellnachweis (§8 Abs6 SBBG i.V.m. §26 Abs1 ZustellG) kam es zum Ankleben der Schriftstücke an der Eingangstüre der Abgabestelle am 25.7.2018 und am 13.8.2018. Ob die Bf als Empfängerin die kuvertierten, an der Eingangstüre angeklebten Schriftstücke tatsächlich am 25.7.2018 und am 13.8.2018 erhalten hat, kann nur gemutmaßt werden. Diese durch die bekämpfte Norm normierte, unsichere Art der Zustellung erfüllt die im vorigen Absatz erwähnte erste Voraussetzung für einen wirksamen Rechtsschutz (die ausreichend verlässlich nachvollziehbare Kenntnisnahme durch den Empfänger von einem Behördenakt) nicht.
Die vom Gesetzgeber durch die bekämpfte Norm angeordnete unsichere Art der Zustellung (§8 Abs6 SBBG) i.V. mit den ungewöhnlich kurzen, nur einwöchigen Fristen für den Widerspruch (§8 Abs7 SBBG) und die Beschwerde (§8 Abs12 Z2 erster Satz), die für die Inanspruchnahme des Rechtsschutzes zur Verfügung stehen (§8 Abs7 SBBG und §8 Abs12 Z2 erster Satz SBBG), lassen Fristversäumnisse der 'Empfänger' mit schwerwiegenden Rechtsfolgen für diese (siehe oben Punkt 1.1.a-e) geradezu typischerweise erwarten. Die bekämpfte Norm (§8 Abs6 SBBG) verhindert daher i.V. mit den ungewöhnlich kurzen, für den Rechtsschutz zur Verfügung stehenden Fristen (§8 Abs7 SBBG und §8 Abs12 Z2 erster Satz SBBG) geradezu typischerweise einen wirksamen Rechtsschutz in Angelegenheiten mit großer Eingriffswirkung (Feststellungsbescheide gem. §8 Abs8 SBBG und Verdachtsmitteilungen gem. §8 Abs4 zweiter Satz SBBG; siehe Pkte 1.1.a-e) auf die rechtlichen Interessen eines Unternehmers.
Die bekämpfte Norm (§8 Abs6 SBBG, zumindest aber dessen Wortfolge 'ohne Zustellnachweis' in §8 Abs6 erster Satz SBBG) ist daher ein Verstoß gegen das aus dem rechtsstaatlichen Prinzip abgeleitete Prinzip des effektiven Rechtsschutzes […]
b.) Sachliche Gründe für diese Art der Zustellung?
Sachliche Gründe dafür, in diesen wichtigen Angelegenheiten (Zustellung der Verdachtsmitteilung nach §8 Abs4 zweiter Satz SBBG, Zustellung des Feststellungsbescheides gem. §8 Abs8 SBBG) eine derart unsichere (siehe Pkt a.) Zustellung (§8 Abs6 SBBG i.V.m. §26 ZustellG) anzuordnen, obwohl es eine wesentlich verlässlichere Alternative (§17 i.V.m. §22 ZustellG) gegeben hätte, sind nicht erkennbar.
aa.) Nicht jeder Verdächtige i.S. des §8 SBBG gibt eine falsche Abgabestelle bekannt – Verstoß gegen das Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes
Die RV (692 der Beilagen XXV. GP) zu §8 Abs5 und 6 SBBG nennt als Grund für diese Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen der Zustellung, dass Inhaber von Scheinunternehmen regelmäßig Abgabestellen vortäuschen.
Dieses Argument rechtfertigt es nicht, Personen, die einer Scheinunternehmerschaft nur verdächtig sind, und die, wie im gegenständlichen Fall, eine richtige Abgabestelle bekannt gegeben haben, einen ausreichend wirksamen Rechtsschutz von vornherein vorzuenthalten. Zu einem wirksamen Rechtsschutz gehört zu allererst eine hinreichend gesicherte Kenntnisnahme von einem Behördenakt, vor allem, wenn dieser wie in den Fällen des §8 Abs4 zweiter Satz und Abs8 SBBG weitreichende und schwerwiegende Rechtsfolgen mit sich bringt. Ohne hinreichend gesicherte Kenntnisnahme von den Behördenakten (siehe Pkt a.) gem. §8 Abs4 zweiter Satz (Verdachtsmitteilung) und Abs8 erster Satz SBBG (Feststellungsbescheid) kann typischerweise nicht erwartet werden, dass sich der einer Scheinunternehmerschaft Verdächtige wirksam und rechtzeitig durch einen Widerspruch (§8 Abs7 SBBG) und durch eine Beschwerde (§8 Abs12 Z2 erster Satz SBBG) gegen einen Feststellungsbescheid gem. §8 Abs8 SBBG zu Wehr setzen kann.
Die bekämpfte Norm (§8 Abs6 SBBG, zumindest aber dessen Wortfolge 'ohne Zustellnachweis' in §8 Abs6 erster Satz SBBG) verstößt daher gegen das aus dem rechtsstaatlichen Prinzip abgeleitete Gebot des wirksamen Rechtsschutzes ([…]).
bb.) Verstöße gegen das Sachlichkeitsgebot (Art7 Abs1 B‑VG)
[…]
aaa.) Was ist ein wichtiger Grund i.S. des §102 BAO? – §8 Abs6 und Abs5 SBBG, zumindest aber die Wortfolge 'ohne Zustellnachweis' in §8 Abs6 erster Satz SBBG verstoßen gegen das Sachlichkeitsgebot des Art7 Abs1 B‑VG
Im Abs9 zweiter Satz des §8 SBBG heißt es: 'Die Feststellung als Scheinunternehmen gilt als wichtiger Grund im Sinne des §102 der Bundesabgabenordnung ...'
Dieser Satz in §8 Abs9 leg.cit ist nachvollziehbar. Die Feststellung als Scheinunternehmen zieht schwerwiegende Rechtsfolgen (siehe Punkte 1.1.a-e) nach sich. Daher liegt ein wichtiger Grund i.S. des §102 BAO vor, die schriftliche Ausfertigung des Feststellungsbescheides gem. §8 Abs9 SBBG mit Zustellnachweis i.S. des ZustellG zuzustellen.
Nicht sachlich nachvollziehbar ist allerdings, warum der Gesetzgeber in Bezug auf die physische Zustellung der Verdachtsmitteilung (§8 Abs6 SBBG) und des Feststellungsbescheides gem. §8 Abs8 erster und zweiter Satz SBBG keine wichtigen Gründe sieht, die auch in diesen Fällen eine Zustellung mit Zustellnachweis i.S. des ZustellG erfordern würden. Im Gegenteil: Er verbietet in diesen Fällen sogar die Zustellung mit Zustellnachweis (§8 Abs6 erster Satz SBBG). Während er die Zustellung des Feststellungsbescheides gem. §8 Abs9 als wichtig genug für eine Zustellung mit Zustellnachweis ansieht und dies deshalb auch ausdrücklich mit dem Hinweis auf §102 BAO artikuliert, unterbleibt dies in §8 Abs6 SBBG (§8 Abs9 zweiter Satz SBBG).
Diese unterschiedliche Normierung der Art der Zustellung des Feststellungsbescheides gem. §8 Abs9 SBBG einerseits und der Zustellung der Verdachtsmitteilung (§8 Abs6 SBBG) und des sich daran anschließenden Feststellungsbescheides (§8 Abs8 erster und zweiter Satz SBBG) andererseits ist sachlich nicht begründbar. Auch die Verdachtsmitteilung, soweit ihr nicht widersprochen worden ist, und der sich daran anschließende Feststellungsbescheid gem. §8 Abs8 SBBG sind wichtige Angelegenheiten, weil sich an beide behördliche Erledigungen dieselben rigorosen Rechtsfolgen (siehe 1.1.a-e) knüpfen wie an den Feststellungsbescheid gem. §8 Abs9 SBBG.
Das Gesetz behandelt somit behördliche Erledigungen von gleichartiger Wichtigkeit (Verdachtsmitteilungen, Feststellungsbescheide bei Unterlassung eines Widerspruches, Feststellungsbescheide nach Erhebung eines Widerspruches gem. §8 Abs6, Abs8 erster und zweiter Satz und Abs9 erster Satz SBBG) zum Teil als dermaßen unwichtig, dass es nicht einmal die Zustellung mit Zustellnachweis erlaubt und nicht auf §102 BAO verweist (§8 Abs6 erster Satz SBBG in Bezug auf die Verdachtsmitteilung und den Feststellungsbescheid gem. §8 Abs8 SBBG), während es sie zum Teil (in Bezug auf den Feststellungsbescheid gem. §8 Abs9 SBBG) als so wichtig behandelt, wie dies ihrer tatsächlichen Bedeutung entspricht, indem es auf §102 BAO verweist (§8 Abs9 zweiter Satz SBBG) und somit erkennbar eine Zustellung mit Zustellnachweis fordert.
Diese unterschiedliche gesetzliche Behandlung in Bezug auf die Zustellung ist unsachlich. Es ist unsachlich, anzuordnen, dass behördliche Erledigungen von gleicher Wichtigkeit einmal in schlampiger Weise (§8 Abs6 SBBG iVm §26 Abs1 ZustellG) und einmal in sorgfältiger Weise (§8 Abs9 SBBG iVm §102 BAO iVm §22 ZustellG) zuzustellen sind.
Selbst wenn nach Unterlassen eines Widerspruchs ein Feststellungsbescheid ergehen muss, wenn ein Verdacht nach §8 Abs2 SBBG vorliegt (§8 Abs8 erster Satz SBBG), ist die Erlassung dieses Feststellungsbescheides noch keine bloße Formsache, weil der Empfänger immer noch die Möglichkeit hat, zu beweisen, dass kein Verdacht gem. §8 Abs2 SBBG vorliegt. Daher ist jedenfalls auch der Feststellungsbescheid gem. §8 Abs8 SBBG eine wichtige Angelegenheit, ebenso wie der Feststellungsbescheid gem. §8 Abs9 SBBG eine wichtige Angelegenheit ist. Nichts anderes gilt für die Verdachtsmitteilung. Ihr zu widersprechen (§8 Abs7 SBBG) ist unerlässlich für den Fortbestand des Unternehmens des Empfängers (siehe Punkt 1.1.a-e). Daher ist auch die Verdachtsmitteilung gleich bedeutsam wie die Feststellungsbescheide gem. §8 Abs8 und 9 SBBG.
Indem das Gesetz für wichtige behördliche Erledigungen zum Teil eine Zustellung mit Zustellnachweis vorsieht und insoweit auf §102 BAO verweist (§8 Abs9 zweiter Satz SBBG), während es für andere, ebenso wichtige behördliche Erledigungen die Zustellung mit Zustellnachweis geradezu verbietet und insoweit nicht auf §102 BAO verweist (§8 Abs6 SBBG), misst es mit zweierlei Maß.
§8 Abs6 SBBG, zumindest dessen Wortfolge 'ohne Zustellnachweis' in §8 Abs6 erster Satz SBBG verstößt somit gegen das Sachlichkeitsgebot, weil diese Norm nicht denselben Hinweis auf §102 BAO enthält wie §8 Abs9 zweiter Satz SBBG und weil in dieser Norm die Zustellung mit Zustellnachweis i.S. des ZustellG ganz zum Unterschied von §8 Abs9 SBBG verboten wird.
§8 Abs5 SBBG enthält denselben Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot, weil er ebenso im Gegensatz zu §8 Abs9 zweiter Satz SBBG die Zustellung ohne Zustellnachweis verlangt und ebenso im Gegensatz zu §8 Abs9 zweiter Satz SBBG keinen Verweis auf §102 BAO enthält. Auch §8 Abs5 SBBG ist daher wegen Verstoßes gegen Art7 Abs1 B‑VG (Sachlichkeitsgebot) verfassungswidrig (zum Anfechtungsumfang siehe IV.5.).
bbb.) Zustellung gem. §8 Abs6 SBBG wie in Angelegenheiten von untergeordneter Bedeutung
Es gibt in Österreich keine einzige vergleichbare verfahrensrechtliche Norm mit einer dermaßen unsicheren Art der Zustellung derart wichtiger (Verdachtsmitteilung gem. §8 Abs4 zweiter Satz, Feststellungsbescheid gem. §8 Abs8 SBBG) behördlicher Erledigungen. Eine solchermaßen auffallend unsichere Art der Zustellung wäre nur dann nicht gleichheitswidrig, wenn es dafür sachliche Gründe gäbe.
Ein Verfahren nach §8 Abs8 SBBG ist im Hinblick auf die rigorosen Rechtsfolgen, die einen Unternehmer treffen können (siehe Punkt 1.1.a-e) alles andere als eine Bagatelle. Es ist von existenzieller Bedeutung für die wirtschaftliche Lebensfähigkeit eines Unternehmens. Die äußerst unsichere (siehe Pkt a.) Art der Zustellung, die §8 Abs6 erster Satz SBBG (Wortfolge 'ohne Zustellnachweis' i.V.m. §26 ZustellG) i.V. mit dem Fehlen des Hinweises auf §102 BAO vorsieht, ist jedoch die typische Zustellungsart, die für Bagatellen zweckmäßig ist (zB Einladungen für Tage der offenen Tür oder zu kulturellen Veranstaltungen, 'Infomails', private Schreiben....). Weil man das Feststellungsverfahren nach §8 Abs8 SBBG und eine Verdachtsmitteilung gem. §8 Abs4 zweiter Satz SBBG nicht mit Bagatellen vergleichen kann, ist die bekämpfte Zustellungsnorm (§8 Abs6 SBBG, zumindest aber die Wortfolge 'ohne Zustellnachweis' in §8 Abs6 erster Satz SBBG), die für Verdachtsmitteilungen und Feststellungsbescheide gem. §8 Abs8 SBBG gilt, unsachlich, dh, sie verstößt gegen das Sachlichkeitsgebot (Art7 Abs1 B‑VG).
ccc.) Alle Verdächtigen werden durch §8 Abs6 SBBG so behandelt, als ob sie versucht hätten, Zustellversuchen zu entgehen
Die Argumente der RV 692 der Beilagen XXV. GP zu §8 Abs5 und 6 SBBG rechtfertigen es nicht, all jenen i.S. des §8 SBBG Verdächtigen, die so wie die Bf eine richtige Abgabestelle bekannt gegeben haben, eine dermaßen unsichere (siehe Pkt a.) Art der Zustellung zuzumuten. Wenn, wie im gegenständlichen Fall, ein Verdächtiger eine richtige Abgabestelle bekannt gegeben hat, bestünde für den Fall einer Zustellung durch Hinterlegung mit Zustellnachweis (§§17 und 22 ZustellG i.V.m. §102 BAO) berechtigte Aussicht auf eine erfolgreiche und gut nachvollziehbare Zustellung als Grundlage für einen wirksamen Rechtsschutz. Dh, in Fällen, in denen eine richtige Abgabestelle bekannt gegeben worden ist, ist die Zustellung durch Hinterlegung mit Zustellnachweis jedenfalls wesentlich sicherer als die Zustellung durch Hinterlassen des Schriftstückes an der Abgabestelle (§26 Abs1 ZustellG) ohne Zustellnachweis i.S. des §22 ZustellG.
Zudem ist eine Zustellung durch Hinterlegung mit Zustellnachweis nicht nur eine der sichersten, seit vielen Jahren bewährten Arten der Zustellung, sie funktioniert auch ausreichend rasch, da die Zustellung mit dem ersten Tag der Abholfrist (§17 Abs3 ZustellG) wirkt.
Durch §8 Abs6 erster Satz, Wortfolge 'ohne Zustellnachweis' SBBG und durch das Fehlen des Hinweises auf §102 BAO in §8 Abs6 SBBG werden Unternehmer, die eine richtige Abgabestelle bekannt gegeben haben, gleich behandelt (äußerst unsichere Zustellung – siehe Pkt a – ohne Zustellnachweis i.S. des §22 ZustellG) wie Unternehmer, die eine falsche Abgabestelle bekannt gegeben haben. §8 Abs6 SBBG verstößt daher auch deshalb gegen das Sachlichkeitsgebot (Art7 Abs1 B‑VG).
Als weiteren Grund für die angeordnete (§8 Abs6 erster Satz SBBG iVm dem Fehlen des Hinweises auf §102 BAO in §8 Abs6 SBBG) Zustellung ohne Zustellnachweis nennt die RV erkennbar auch, dass es erforderlich sei, von den Voraussetzungen des ZustellG in Bezug auf die Anwesenheit des Empfängers oder eines Vertreters an der Abgabestelle abzusehen, sodass demnach auch die Zustellung bei Abwesenheit von der Abgabestelle wirksam wäre:
Der Gesetzgeber sieht unterschiedslos eine und dieselbe Rechtsfolge (Zustellung der Verdachtsmitteilung gem. §8 Abs4 zweiter Satz SBBG und des Bescheides gem. §8 Abs8 SBBG ohne Zustellnachweis = Zustellung unter Ausschluss des §17 ZustellG i.V.m. §22 ZustellG) für Unternehmer vor, die
- eine richtige Abgabestelle angegeben haben und die für eine regelmäßige Anwesenheit einer zum Empfang von Schriftstücken befugten Person an der Abgabestelle dergestalt sorgen, dass zumindest die Abholung (§17 Abs3 ZustellG) einer gem. §17 Abs1 ZustellG hinterlegten Sendung i.d.R. möglich ist, und für Unternehmer, die
- nicht für eine regelmäßige Anwesenheit einer zum Empfang von Schriftstücken befugten Person an der Abgabestelle zumindest dergestalt gesorgt haben, dass eine Übernahme eines hinterlegten Schriftstückes i.d.R. möglich ist.
Das Gesetz (Wortfolge 'ohne Zustellnachweis' in §8 Abs6 erster Satz SBBG; Fehlen des Hinweises auf §102 BAO in §8 Abs6 SBBG) behandelt somit alle i.S. des §8 SBBG verdächtigen Personen in unterschiedloser Weise wie Personen, die durch ihr Verhalten eine Zustellung durch Hinterlegung gem. §17 ZustellG nicht ermöglichen, egal, ob dies zutrifft oder nicht. Dies erscheint unsachlich. §8 Abs6 SBBG, zumindest dessen Wortfolge 'ohne Zustellnachweis' in §8 Abs6 erster Satz SBBG verstößt somit gegen das Sachlichkeitsgebot (Art7 Abs1 B‑VG).
ddd.) Vergleich des §8 SBBG mit dem Strafrecht
Die RV nennt als Begründung für die normierte, ungewöhnlich unsichere Art der Zustellung (§8 Abs6 erster Satz SBBG; Fehlen des Hinweises auf 102 BAO in §8 Abs6 SBBG), dass Inhaber von Scheinunternehmen regelmäßig Abgabestellen vortäuschen:
Dieses Problem ist nicht neu. Gerade die zur Strafverfolgung berufenen Organe sind mit dem Phänomen vertraut, dass Verdächtige die Entgegennahme behördlicher Schriftstücke nach Möglichkeit zu verhindern suchen. Dennoch sieht die StPO keineswegs dermaßen unsichere Zustellungen von Schriftstücken vor (vgl §82 StPO), wie §8 Abs6 erster Satz SBBG mit seiner Wortfolge 'ohne Zustellnachweis' und wie §8 Abs6 SBBG mit dem Fehlen des Hinweises auf §102 BAO. Dies hat mit Rechtsschutzüberlegungen zu tun.
§8 SBBG kann mit dem Strafrecht verglichen werden (siehe Punkt 4.2.c.aa). Die Tatbestände des §8 Abs1 SBBG sind mit den Straftatbeständen der §§153c-e StGB vergleichbar. Die Rechtsfolgen einer Feststellung eines Scheinunternehmens (§8 SBBG) wiegen so schwer, dass sich daraus die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz eines Unternehmers ergeben kann (siehe Punkt 1.1.a-e). Diese Rechtsfolgen sind zwar nicht dasselbe wie Geld- und Freiheitsstrafen, wie sie im Strafrecht verhängt werden, können aber damit verglichen werden: In beiden Rechtsgebieten (Strafrecht und §8 SBBG) sind die Rechtsfolgen schwerwiegend. Zudem enthalten die Absätze 10 und 11 des §8 SBBG (Eintragung in eine im Internet veröffentlichte Liste der Scheinunternehmer, Eintragung im Firmenbuch als Scheinunternehmer i.S. des §8 SBBG) typische Strafnormen i.S. eines virtuellen Prangers. Auf Grund der Schwere der Rechtsfolgen der Feststellung eines Scheinunternehmens und auf Grund der Vergleichbarkeit des Tatbestandes des §8 Abs1 SBBG mit Straftatbeständen muss der Rechtsschutz in Bezug auf Zustellungen jedenfalls vergleichbar effektiv sein wie im Strafrecht. Dies erfordert hinreichend verlässliche Zustellungen mit Zustellnachweis i.S. des ZustellG.
Man könnte es auch so sagen: Wer im Zusammenhang mit dem Verdacht, gegen §153c, §153d oder §153e StGB verstoßen zu haben, sich in einem Strafverfahren verantworten muss, kann jedenfalls mit hinreichend verlässlichen Zustellungen behördlicher oder gerichtlicher Schriftstücke rechnen (§82 StPO). Wer im Verdacht steht, ein Scheinunternehmer gem. §8 Abs1-3 SBBG zu sein, muss trotz der Vergleichbarkeit der Tatbestände (siehe Punkt 4.2.c.aa) mit unsicheren Zustellungen (§8 Abs6 erster Satz, §8 Abs8 zweiter Satz SBBG i.V.m §26 Abs1 ZustellG) rechnen, die üblicherweise bei Angelegenheiten von untergeordneter Bedeutung (bei öffentlichen Einladungen zu einem Tag der offenen Tür oder zu kulturellen Veranstaltungen, bei 'Infomails', bei privaten Schreiben und dergleichen) durchgeführt werden. Die bekämpfte Norm (§8 Abs6 SBBG), die eine Zustellung mit Zustellnachweis i.S. des ZustellG (§22 ZustellG) und eine Zustellung durch Hinterlegung (§17 ZustellG) geradezu verbietet (§8 Abs6 erster Satz SBBG i.V.m. §26 Abs1 ZustellG), und die zum Unterschied von §8 Abs9 SBBG keinen Hinweis auf §102 BAO enthält, ist somit unsachlich und verstößt gegen Art7 Abs1 B‑VG. Zumindest aber verstößt die Wortfolge 'ohne Zustellnachweis' in §8 Abs6 erster Satz SBBG gegen das Sachlichkeitsgebot.
eee.) In jedem anderen Rechtsgebiet, nicht nur im Strafrecht, mit Ausnahme des §8 Abs6 und Abs8 SBBG, erfolgt die Zustellung in wichtigen Angelegenheiten mit Zustellnachweis i.S. des ZustellG.
Auf Grund der Schwere der Rechtsfolgen der unwidersprochen gebliebenen Verdachtsmitteilung (§8 Abs4 zweiter Satz, Abs7 SBBG) und der sich daran anschließenden Feststellung eines Scheinunternehmens (§8 Abs8 erster Satz SBBG) (siehe 1.1.a-e) muss der Rechtsschutz in Bezug auf Zustellungen der Verdachtsmitteilung und des Feststellungsbescheides gem. §8 Abs8 SBBG jedenfalls vergleichbar effektiv sein wie in jedem anderen Rechtsgebiet. Dies erfordert hinreichend verlässliche Zustellungen mit Zustellnachweis i.S. des ZustellG.
§8 Abs6 SBBG verstößt aus diesen Gründen mit seiner Wortfolge 'ohne Zustellnachweis' im ersten Satz und auf Grund des Fehlens des Hinweises auf §102 BAO (vgl §8 Abs9 zweiter Satz SBBG) auch gegen das Sachlichkeitsgebot (Art7 Abs1 B‑VG). Zumindest aber verstößt die Wortfolge 'ohne Zustellnachweis' in §8 Abs6 erster Satz SBBG gegen das Sachlichkeitsgebot (Art7 Abs1 B‑VG).
fff.) Was kommt zuerst, das Gesetz oder das Formular?
Als weiteren Grund für die in §8 Abs6 erster Satz angeordnete Zustellung ohne Zustellnachweis i.S. des §22 ZustellG nennt die RV den konkreten Inhalt eines Formulars (Nr 9 und Nr 1), das auf Grund der Zustellformularverordnung (ZustFormV), BGBl Nr 600/1982 existiere (RV 692 der Beilagen XXV. GP zu §8 Abs5 und §8 Abs6 SBBG). Dieses Argument ist auf Grund des Stufenbaus der Rechtsordnung nicht schlüssig: Es ist weder eine Verordnung noch ein Formular, an die/das sich der Gesetzgeber bei der Normierung eines Gesetzes zu halten hat; das Gesetz ist vielmehr der Verordnung und selbstverständlich auch einem Formular überlegen (Art139 B‑VG: […]).
[…]
2.) Verfassungswidrigkeit von §8 Abs12 Z2 erster Satz SBBG ([…])
Die Beschwerdefrist von nur einer Woche gem. §8 Abs12 Z2 erster Satz SBBG verstößt prima vista gegen das Sachlichkeitsgebot (Art7 B‑VG) und gegen das aus dem rechtsstaatlichen Prinzip der Bundesverfassung [abgeleitete] Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes (vgl VfGH 23.2.2016, G574/2015).
Allerdings sind die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen (§62 Abs1 VfGG). Daher werden die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der bekämpften Norm sprechen, wie folgt präzisiert:
2.1) Die Existenz eines Unternehmens bedrohende Rechtsfolgen der Feststellung gem. §8 Abs8 SBBG – daraus folgende Priorität des Erfordernisses eines effektiven Rechtsschutzes (siehe oben 1.1.a-f)
Die Rechtsfolgen einer Feststellung gem. §8 Abs8 SBBG wiegen schwer (siehe oben 1.1.a.-e; §8 Abs10 SBBG, §9 SBBG; §11 Abs7 ASVG, §33 Abs1c ASVG; §35a ASVG; §43 Abs4 ASVG, §3 Abs1 Z15a FBG; §87 Abs1 letzter Satz i.V.m. Abs1 Z3 GewO).
Nicht zuletzt auf Grund der schwerwiegenden Rechtsfolgen einer rechtskräftigen Feststellung gem. §8 Abs8 SBBG muss es im Verfahren gem. §8 Abs8 SBBG einen effektiven Rechtsschutz geben. Dazu gehört auch die Einräumung einer angemessenen Beschwerdefrist (vgl VfSlg 15.218, 15.529, 9.234; siehe oben 1.1.f).
Die bekämpfte gesetzliche Bestimmung entspricht diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht:
2.2.) nicht effektiver Rechtsschutz gegen die Herbeiführung der oben erwähnten rigorosen Rechtsfolgen ua durch die ungewöhnlich kurze Beschwerdefrist gem. §8 Abs12 Z2 erster Satz SBBG:
a.) die einschlägigen Normen:
[…]
Zur Verfassungswidrigkeit der Zustellungsnorm (§8 Abs6 insbesondere erster Satz, Wortfolge 'ohne Zustellnachweis'; §8 Abs6 SBBG wegen des Fehlens des Hinweises auf §102 BAO) siehe Pkt 1. Zur Verfassungswidrigkeit der auffallend kurzen Frist für den Widerspruch gegen die Verdachtsmitteilung (§8 Abs7 SBBG) siehe Punkt 3.
c.) verfassungsrechtliche Beurteilung der kurzen Beschwerdefrist von einer Woche gem. §8 Abs12 Z2 erster Satz i.V.m. §8 Abs12 Z4 erster Salz SBBG:
aa.) Verstoß gegen den aus dem rechtsstaatlichen Prinzip abgeleiteten Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes
Rechtsschutzeinrichtungen müssen ein Mindestmaß an faktischer Effizienz aufweisen ([…]; vgl VfGH vom 30.11.2017, G131/2017 ua). Dies ergibt sich nicht nur aus dem Sachlichkeitsgebot, sondern auch aus dem Rechtsstaatsprinzip (VfGH G134/2017-12 und G207/2017-8 vom 26.9.2017). Dieses Postulat setzt jedenfalls auch ausreichend lange Fristen für Beschwerden voraus. Eine Beschwerdefrist von einer Woche (§8 Abs12 Z2 erster Satz i.V.m. §8 Abs12 Z4 erster Satz SBBG) gegen einen Bescheid gem. §8 Abs8 SBBG mit enormer Eingriffswirkung auf den Unternehmer (vgl §8 Abs10 SBBG; §9 SBBG; §11 Abs7 ASVG; §33 Abs1c ASVG; §35a ASVG; §43 Abs4 ASVG; 692 der Beilagen XXV. GP, Regierungsvorlage zu §35a ASVG; §3 Abs1 Z15a FBG; §87 Abs1 letzter Satz i.V.m. Abs1 Z3 GewO) ist nicht ausreichend, weil sie dem Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes nicht entspricht (vgl VfGH 23.2.2016, G574/2015).
Gerade die kurze Beschwerdefrist (§8 Abs12 Z2 erster Satz SBBG) i. V. mit der wesentliche Normen des ZustellG umgehenden Zustellung des Bescheides (§8 Abs6 SBBG i.V.m. §8 Abs8 zweiter Satz SBBG) begünstigt ex lege typischerweise ([…]) Fristversäumnisse des Unternehmers, die schwerwiegende Rechtsfolgen auslösen können.
Wer einen unerwünschten Bescheid (hier: Bescheid gem. §8 Abs8 SBBG) erhält, muss in wichtigen Fällen (Fälle nach dem §8 SBBG sind wegen der oben erwähnten schwerwiegenden Rechtsfolgen äußerst wichtig)
- erst einen tüchtigen Anwalt finden,
- der ausreichend Zeit hat, um ihm zuzuhören,
- der ausreichend Zeit hat, in seinem Namen Akteneinsicht zu nehmen,
- und der in der Lage ist, bei der Formulierung seiner Beschwerde die Rechtsprechung des VwGH anzuwenden, und sich mit komplexen Tatfragen auseinanderzusetzen. Bei einer Beschwerde gegen einen Bescheid, der durch das Finanzamt auf §8 Abs8 SBBG gegründet wurde, muss der Bf in der Regel einen Verdacht des Finanzamtes gem. §8 Abs2 SBBG widerlegen. Dies erfordert idR die Erörterung komplexer Tatfragen.
Eine Beschwerdefrist muss so lange sein, dass sie dem negativ beschiedenen potenziellen Rechtsschutzsuchenden gewährleistet, seine Beschwerde in einer Weise auszuführen, die dem Inhalt der anzufechtenden Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gerecht wird (VfGH vom 26.9.2017, G134/2017; G207/2017).
Zudem sollte auch noch an die Möglichkeit gedacht werden, dass sich der Verdächtige gerade auf Urlaub oder handlungsunfähig im Krankenhaus befinden könnte, wenn der unerwünschte Bescheid einlangt.
All dies erweist, dass die Beschwerdefrist von einer Woche völlig unzureichend ist (vgl VfGH vom 23.2.2016, G574/2015).
Sie widerspricht daher mangels einer ausreichenden Effektivität des Rechtsschutzes dem Rechtsstaatsprinzip.
bb. Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot (Art7 Abs1 B‑VG)
Nur bei der Verwirklichung vertretbarer Zielsetzungen ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei ([…]).
Es gibt in Österreich keine einzige vergleichbare verfahrensrechtliche Norm mit einer dermaßen kurzen, dh nur einwöchigen Frist für eine Beschwerde.
§8 SBBG dient der Verhinderung der Verkürzung von Lohn- und Sozialversicherungsabgaben und der Verhinderung der Vortäuschung von Dienstverhältnissen zum Zwecke der Lukrierung von Sozialversicherungsleistungen. Vergleichbare verfahrensrechtliche Normen findet man daher in der BAO, dem FinStrG, dem ASGG, der ZPO, soweit sie in ASGG-Verfahren anwendbar ist, dem AVG, dem VwGVG, sowie dem VStG und der StPO.
Die grundsätzliche Vergleichbarkeit strafrechtlicher Normen mit dem §8 SBBG ergibt sich zunächst aus dem materiellen Strafrecht: Die Tatbestände des §8 Abs1 SBBG sind mit den Straftatbeständen der §§153c-e StGB vergleichbar (siehe Pkt 4.2.c.aa). Vergleichbar ist auch die Schwere der Rechtsfolgen im Strafrecht und im Verfahren nach §8 SBBG. Die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz eines Unternehmers, die im Zusammenhang mit den Rechtsfolgen eines Feststellungsbescheides gem. §8 Abs8 SBBG typischerweise droht ([…]), wiegt dermaßen schwer, dass sie mit Geld- oder Freiheitsstrafen vergleichbar erscheint. Zudem sind §8 Abs10 und 11 SBBG typische Strafnormen i.S. eines virtuellen Prangers.
Alle vergleichbaren verfahrensrechtlichen Normen sehen je nach der Größe der Eingriffswirkung eines Hoheitsaktes Fristen für Rechtsbehelfe zwischen zwei Wochen und einem Monat vor.
Fristen von 4 Wochen oder geringfügig mehr gewähren §245 Abs1 BAO; §150 Abs2 FinStrG; §7 Abs4 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG; §464 Abs1 ZPO (dieselbe Berufungsfrist gilt gem. §2 Abs1 ASGG auch in Arbeits- und Sozialrechtsangelegenheiten); §67 Abs2 ASGG; §70 Abs2 ASGG; §285 Abs1 StPO, §294 Abs2 StPO; Fristen von 2 Wochen findet man in Angelegenheiten von geringerer Bedeutung: §15 Abs1 VwGVG Vorlageantrag; §54 Abs3 VwGVG Vorstellung gegen Beschlüsse des Rechtspflegers; §49 Abs1 VStG Einspruch gegen Strafverfügung; §63 Abs5 AVG Berufung im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde; §521 Abs1 ZPO zB Kostenrekurs]. Allerdings sind Angelegenheiten, die unter §8 Abs8 SBBG subsumiert werden, wegen der schwerwiegenden Rechtsfolgen der Bescheide gem. §8 Abs8 SBBG keineswegs von geringer Bedeutung.
In allen vergleichbaren Fällen des Überganges der Zuständigkeit von einer Verwaltungsbehörde auf ein Gericht ist eine Beschwerdefrist oder vergleichbare Frist von zumindest 4 Wochen bis zu einem Monat vorgesehen (§245 Abs1 BAO; §150 Abs2 FinStrG; §7 Abs4 […] VwGVG; §67 Abs2 ASGG; §70 Abs2 ASGG).
Eine Regel, die von der eingeräumten Beschwerdefrist, die in der BAO vorgesehen ist (ein Monat, vgl §245 Abs1 BAO), abweicht, muss sachlich gerechtfertigt sein und sie darf auf keinen Fall dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes widersprechen (vgl VfGH 23.2.2016, G574/2015; vgl VfGH vom 26.9. 2017, G134/2017; G207/2017).
Einen sachlichen Grund für die Abweichung von der üblicherweise gewährten Frist für eine Beschwerde an das Gericht von zumindest einem Monat (§245 Abs1 BAO) nennt auch die Regierungsvorlage nicht (692 der Beilagen XXV. GP, Regierungsvorlage zum SBBG zu §8 Abs12 Z2 SBBG).
Es mag sein, dass es Inhaber von Scheinunternehmen gibt, die falsche Abgabestellen bekanntgeben, um Zustellungen an sich zu verhindern (RV 692 der Beilagen XXV. GP zu §8 Abs5 und 6). Es gibt Personen, die Zustellungen an sich zu verhindern suchen und Personen, die derartige Malversationen nicht verwirklichen. Die auffallend kurze Rechtsmittelfrist trifft jedoch alle Empfänger unterschiedslos, egal, ob sie Malversationen zum Zwecke der Verhinderung von Zustellungen verwirklicht haben, oder ob sie dies nicht getan haben. Daher verstößt diese kurze Frist jedenfalls gegen das Sachlichkeitsgebot (Art7 B‑VG).
Auch die bloße Möglichkeit, dass die Unternehmer, die mit einem Verfahren nach §8 Abs8 SBBG konfrontiert sind, Scheinunternehmer i.S. des §8 Abs1 SBBG sein könnten (vgl §8 Abs8 erster Satz i.V.m. §8 Abs2 SBBG), rechtfertigt eine Frist von nur einer Woche für die Einbringung einer Beschwerde (§8 Abs12 Z2 erster Satz SBBG) nicht, zumal diese Frist unvergleichlich kürzer ist als Fristen für Rechtsbehelfe in vergleichbaren Verfahrensgesetzen (siehe oben) und zumal diese kurze Frist und die gesetzlich normierte unsichere Art der Zustellung (§8 Abs6 SBBG, §8 Abs8 zweiter Satz SBBG) Fristversäumnisse mit schwerwiegenden Rechtsfolgen typischerweise erwarten lassen. Die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes gegen Bescheide mit hoher Eingriffswirkung auf die rechtlichen Interessen eines Normadressaten ist jedenfalls höherwertig als das Bestreben nach Verfahrensverkürzung oder gar pönale Erwägungen (vgl VfGH vom 23.2.2016, G574/2015).
Auch dass nach Versäumung eines Widerspruchs (§8 Abs7 SBBG) gegen eine 'Verdachtsmitteilung' (§8 Abs4 zweiter Satz SBBG) zwingend ein Feststellungsbescheid gem. §8 Abs8 SBBG erlassen werden muss, wenn nur ein Verdacht i.S. des §8 Abs2 SBBG besteht (§8 Abs8 erster Satz SBBG), rechtfertigt die kurze Beschwerdefrist in Verfahren gem. §8 Abs8 SBBG nicht: Zum einen muss dem Bf auch für die Widerlegung des qualifizierten Verdachtes gem. §8 Abs2 SBBG eine ausreichende (dh viel länger als eine einwöchige Frist) Frist gewährt werden. Es kann keinesfalls prima vista festgestellt werden, dass die Widerlegung des Verdachtes gem. §8 Abs2 SBBG im Verfahren gem. §8 Abs8 SBBG leichter ist als die Widerlegung der Erfüllung des Tatbestandes gem. §8 Abs1 SBBG im Verfahren gem. §8 Abs9 erster Satz SBBG. Zum anderen wurde auch §8 Abs8 SBBG wegen Verfassungswidrigkeit bekämpft (siehe Punkt 4).
Es kann niemals von vornherein ausgeschlossen werden, dass demjenigen, der eine Beschwerde gegen einen Bescheid gem. §8 Abs8 SBBG einbringt, Unrecht geschehen ist. Eine auf sachlichen Erwägungen beruhende Beschwerdefrist hat daher insbesondere der Ermöglichung eines effektiven Rechtsschutzes des Beschwerdeführers zu dienen.
Sachliche Gründe dafür, dass der Gesetzgeber eine Beschwerdefrist von einer Woche angeordnet hat (§8 Abs12 Z2 erster Satz SBBG), während grundsätzlich im Verfahren nach der BAO eine Beschwerdefrist von einem Monat gilt (§245 Abs1 BAO), sind somit nicht erkennbar.
Die bekämpfte Norm lässt wegen ihrer ungewöhnlich kurzen Beschwerdefrist von einer Woche (§8 Abs12 Z2 erster Satz SBBG) i.V.m. der ungewöhnlich unsicheren Zustellung des Feststellungsbescheides (§8 Abs8 zweiter Satz SBBG i.V.m. §8 Abs6 SBBG) ohne Zustellnachweis i.S. des §22 ZustellG und ohne Hinterlegung gem. §17 ZustellG Fristversäumnisse der Unternehmer typischerweise erwarten. Dasselbe lässt sich über die unsichere Art der Zustellung der dem Feststellungsbescheid vorgelagerten und den Feststellungsbescheid auslösenden (§8 Abs4 zweiter Satz, §8 Abs7 SBBG, §8 Abs8 erster Satz SBBG) Verdachtsmitteilung (§8 Abs6 i.V.m. §8 Abs4 zweiter Satz SBBG) und die auffallend kurze Widerspruchsfrist gegen die Verdachtsmitteilung (§8 Abs7 SBBG) sagen ([…]).
[…]
3.) Verfassungswidrigkeit von §8 Abs7 erster Satz SBBG (Widerspruchsfrist von einer Woche gegen eine Verdachtsmitteilung gem. §8 Abs4 zweiter Satz SBBG) […]
3.1.) Eingriffswirkung und Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes
a.) beträchtliche Eingriffswirkung der Verdachtsmitteilung gem. §8 Abs4 zweiter Satz SBBG und des daraus resultierenden Feststellungsbescheides gem. §8 Abs8 erster Satz SBBG auf die rechtlichen Interessen des Unternehmers (siehe Punkt 1.1.a-e; §8 Abs10 SBBG, §9 SBBG; §11 Abs7 ASVG, §33 Abs1c ASVG; §35a ASVG; §43 Abs4 ASVG, §3 Abs1 Z15a FBG; §87 Abs1 letzter Satz i.V.m. Abs1 Z3 GewO).
b.) Priorität eines effektiven Rechtsschutzes gegen die Verdachtsmitteilung gem. §8 Abs4 SBBG (siehe oben Punkt 1.1 f.)
Das rechtsstaatliche Prinzip und das sich daraus ergebende Gebot eines effektiven Rechtsschutzes bringen daher auch das Erfordernis einer ausreichend langen Widerspruchsfrist gem. §8 Abs7 SBBG mit sich (vgl VfSlg 15.218, 15.529, 9.234; […]).
3.2.) Nicht effektiver Rechtsschutz gegen die Herbeiführung der oben erwähnten Rechtsfolgen ua durch die ungewöhnlich kurze Widerspruchsfrist gem. §8 Abs7 SBBG:
[…]
b.) Trotz der schwerwiegenden Rechtsfolgen einer Verdachtsmitteilung und der deshalb drohenden Feststellung gem. §8 Abs8 erster Satz SBBG steht für die Einbringung eines Widerspruchs eine ungewöhnlich kurze Frist (§8 Abs7 SBBG) zur Verfügung
c.) verfassungsrechtliche Beurteilung der einwöchigen Frist für einen Widerspruch gegen eine Verdachtsmitteilung (§8 Abs4 zweiter Satz SBBG und Abs7 SBBG):
aa.) rechtsstaatliches Prinzip
Die Widerspruchsfrist von einer Woche (§8 Abs7 SBBG) gegen die Verdachtsmitteilung gem. §8 Abs4 zweiter Satz SBBG steht in einem Missverhältnis zu den existenzbedrohenden Rechtsfolgen (siehe 1.1.a-e) der Verdachtsmitteilung und des auf Grund der Verdachtsmitteilung real drohenden Feststellungsbescheides gem. §8 Abs8 SBBG […].
Gerade die kurze Frist gem. §8 Abs7 SBBG von nur einer Woche gegen die Verdachtsmitteilung (§8 Abs4 SBBG) i. V. m. der wesentliche Normen des ZustellG umgehenden, unzuverlässigen Zustellung (§8 Abs6 SBBG, vgl Punkt 1.2.) dieser Mitteilung lässt ex lege typischerweise ([…]) die Versäumung der Frist für den Widerspruch gegen die Verdachtsmitteilung erwarten. Dieses Fristversäumnis löst i.d.R. einen Feststellungsbescheid gem. §8 Abs8 erster Satz SBBG aus, welcher bereits für den Fall eines Verdachtes gem. §8 Abs2 SBBG die erwähnten schwerwiegenden Rechtsfolgen auslöst. Die kurze Frist (§8 Abs7 SBBG) i.V. mit der stark vereinfachten Zustellung (§8 Abs6 SBBG), wie sie üblicherweise nur in Bagatellfällen (Zustellung von Schreiben von untergeordneter Bedeutung) zulässig ist, bietet daher keinen effektiven Rechtsschutz und verstößt somit gegen das rechtsstaatliche Prinzip ([…]).
Vom Gesetzgeber normierte Rechtsschutzeinrichtungen müssen ein Mindestmaß an faktischer Effizienz aufweisen ([…]; vgl VfGH vom 30.11.2017, G131/2017 ua). Dies ergibt aus dem Rechtsstaatsprinzip (VfGH G134/2017-12 und G207/2017-8 vom 26.9.2017). Dieses Postulat setzt jedenfalls auch ausreichend lange Fristen für Rechtsbehelfe (hier: Widerspruch gem. §8 Abs7 SBBG) voraus. Eine Widerspruchsfrist von einer Woche (§8 Abs7 SBBG) gegen eine Verdachtsmitteilung gem. §8 Abs4 zweiter Satz SBBG widerspricht dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes (vgl VfGH 23.2.2016, G574/2015).
Die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes gegen Hoheitsakte mit großer Eingriffswirkung auf die rechtlichen Interessen eines Normadressaten ist höherwertig als das Bestreben nach Verfahrensverkürzung (vgl VfGH vom 23.2.2016, G574/2015).
Es kann niemals von vornherein ausgeschlossen werden, dass demjenigen, der einen Widerspruch gegen eine Verdachtsmitteilung gem. §8 Abs4 SBBG erhebt, Unrecht geschehen ist. Die Widerspruchsfrist (§8 Abs7 SBBG) hat daher, wenn sie auf Grund sachlicher Erwägungen normiert worden ist, insbesondere der Ermöglichung eines effektiven Rechtsschutzes des Unternehmers zu dienen. Bestrebungen der Verfahrensverkürzung oder gar pönale Erwägungen müssen daher auch bei der Normierung der Widerspruchsfrist gemäß §8 Abs7 SBBG zurückstehen.
Wer eine unerwünschte Verdachtsmitteilung erhält, muss […] innerhalb einer Woche (§8 Abs7 SBBG) persönlich bei der Abgabenbehörde vorsprechen und den Widerspruch erklären, widrigenfalls mit der Erlassung eines Feststellungsbescheides gem. §8 Abs8 SBBG zu rechnen ist. Dasselbe gilt für den organschaftlichen Vertreter einer Kapitalgesellschaft.
Der berufliche Alltag von Unternehmern und Geschäftsführern von Kapitalgesellschaften ist typischerweise durch beträchtliche Zeitnot geprägt. Üblicherweise hat ein Unternehmer nicht ausreichend Zeit, um innerhalb einer Woche beim Finanzamt persönlich vorzusprechen. Das gilt gleichermaßen für den organschaftlichen Vertreter einer Kapitalgesellschaft. Dringende geschäftliche Termine, die sich nicht mehr ohne Schaden kurzfristig verschieben lassen oder Dienstreisen werden es dem Unternehmer idR nicht ermöglichen, so rasch (§8 Abs7 SBBG) vor der Abgabenbehörde zu erscheinen. Zudem nimmt auch ein Unternehmer fallweise Urlaub oder er muss sich im Krankenhaus behandeln lassen. Eine einen effektiven Rechtsschutz gewährleistende Frist muss auch lange genug sein, um einen Urlaubsaufenthalt oder Krankenhausaufenthalt von üblicher Dauer ohne Versäumnis der Frist gem. §8 Abs7 SBBG zu ermöglichen. Eine nur einwöchige Frist erfüllt diese Voraussetzungen nicht, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Verdachtsmitteilung der erste Hinweis an den Unternehmer ist, dass gegen ihn ein Verfahren im Gange ist, das schwerwiegende Rechtsfolgen auslösen kann.
In dieses Bild fügt sich, dass es in der derzeit geltenden österreichischen Rechtsordnung keine einzige vergleichbare Frist gibt, die dermaßen kurz geraten ist. Selbst in Bagatellfällen (eine Verdachtsmitteilung gem. §8 Abs4 zweiter Satz SBBG ist das Gegenteil einer Bagatelle) hat der Empfänger zB zwei Wochen Zeit für einen Einspruch (vgl §47 und §49 VStG). In dieses Bild fügt sich ferner, dass nach allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen die Abholfrist für hinterlegte Schriftstücke zwei Wochen beträgt (§17 Abs3 ZustellG). Es ist dem Gesetzgeber daher die Kenntnis zuzusinnen, dass eine Frist für einen Rechtsbehelf von einer Woche gegen eine zugestellte schriftliche behördliche Erledigung, die obendrein schwerwiegende Rechtsfolgen auslösen kann, grundsätzlich nicht ausreichend ist. Sachliche Gründe, die die Annahme erlauben, dass die beispiellos kurze Frist für einen Widerspruch gem. §8 Abs7 SBBG von einer Woche ausreichend sein könnte, hat der Gesetzgeber in der Regierungsvorlage (692 der Beilagen XXV. GP zu §8 Abs7 SBBG) nicht genannt.
Aus den erwähnten Gründen verstößt die kurze Widerspruchsfrist von einer Woche gegen das aus dem rechtsstaatlichen Prinzip abgeleitete Prinzip des effektiven Rechtsschutzes.
bb.) Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot:
Sachliche rechtspolitische Erwägungen des Gesetzgebers für diese ungewöhnlich kurze Frist sind nicht erkennbar (692 der Beilagen XXV. GP zu §8 Abs7 SBBG).
Die bloße Möglichkeit, dass die Unternehmer, die mit einem Verfahren nach §8 SBBG konfrontiert sind, Scheinunternehmer i.S. des §8 Abs1 SBBG sein könnten, der Umstand, dass i. S. des §8 SBBG Verdächtige angeblich dafür bekannt seien, bei der Verhinderung von Zustellungen eine gewisse Kreativität zu entfalten ([…]) rechtfertigt eine Frist von nur einer Woche für die Einbringung eines Widerspruchs gegen eine Verdachtsmitteilung nicht, zumal diese Frist unvergleichlich kürzer als Fristen für Rechtsbehelfe in vergleichbaren Verfahrensgesetzen ist.
Nur bei der Verwirklichung vertretbarer Zielsetzungen ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei ([…]). Vertretbare Ziele des Gesetzgebers, die eine so auffallend kurze Frist sachlich rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.
§8 SBBG dient der Verhinderung der Verkürzung von Lohn- und Sozialversicherungsabgaben und der Verhinderung der Vortäuschung von Dienstverhältnissen zum Zwecke der Lukrierung von Sozialversicherungsleistungen. Annähernd vergleichbare verfahrensrechtliche Normen findet man daher in erster Linie in der BAO, dem ASGG, der ZPO, soweit sie in ASGG-Verfahren anwendbar ist, dem AVG, dem VwGVG, dem VStG und dem FinStrG, sowie der StPO.
Die grundsätzliche Vergleichbarkeit strafrechtlicher Normen mit dem §8 SBBG ergibt sich zunächst aus dem materiellen Recht: Die Tatbestände des §8 Abs1 SBBG sind mit den Straftatbeständen des §153 c-e StGB vergleichbar (siehe Pkt 4.2.c.aa). Die Vergleichbarkeit mit strafrechtlichen Normen hat aber auch etwas mit den Rechtsfolgen einer Verdachtsmitteilung (§8 Abs4 zweiter Satz SBBG) und eines daraus resultierenden Feststellungsbescheides gem. §8 Abs8 erster Satz SBBG zu tun: Die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz eines Unternehmers, die sich aus diesen Rechtsfolgen typischerweise ergeben kann ([…]), wiegt dermaßen schwer, dass sie mit Geld- oder Freiheitsstrafen vergleichbar erscheint. Zudem enthalten die Abs10 und 11 des §8 SBBG typische Strafsanktionen nach der Art eines virtuellen Prangers.
[…]
Die äußerst kurze Anmeldungsfrist von 3 Tagen für die Nichtigkeitsbeschwerde gem. §284 Abs1 StPO und für die Berufung gem. §294 Abs1 StPO lässt sich mit der kurzen Widerspruchsfrist gem. §8 Abs7 SBBG nicht vergleichen: IdR ist im Strafverfahren nach der StPO der Angeklagte oder Beschuldigte bei der mündlichen Urteilsverkündung anwesend, sein Verteidiger ist jedenfalls anwesend. Ist der Angeklagte oder Beschuldigte ausnahmsweise nicht anwesend, findet §269 StPO Anwendung. Es ist sodann eine Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde jedenfalls entweder sofort mündlich zu Protokoll oder schriftlich innerhalb dreier Tage zumutbar, weil es über die Kenntnisnahme des Beschuldigten und seines Verteidigers vom Urteil idR nie einen Zweifel geben kann. Eine vergleichbare Unsicherheit über die Kenntnisnahme des Empfängers von einem Schriftstück wie im Verfahren nach dem SBBG gibt es im Strafprozess typischerweise nicht. Die StPO ermöglicht eben nicht dermaßen vereinfachte und damit unsichere Zustellungen von Schriftstücken, wie sie §8 Abs6 SBBG vorsieht (§82 StPO).
Selbst in Bagatellfällen (§47 und §49 VStG) hat der Normadressat wesentlich mehr Zeit für einen Rechtsbehelf als gemäß §8 Abs7 SBBG.
Einen sachlichen Grund für die Abweichung von der üblicherweise gewährten Frist für ein Rechtsmittel von zumindest einem Monat (§245 Abs1 BAO) nennt auch die Regierungsvorlage nicht (692 der Beilagen XXV. GP, Regierungsvorlage zu §8 Abs7 SBBG).
Die ungewöhnlich kurze Widerspruchsfrist verstößt aus diesen Gründen gegen das Sachlichkeitsgebot (Art7 Abs1 B‑VG).
cc.) verfassungskonforme Frist
Eine Regel, die von allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen (§245 Abs1 BAO; §264 Abs1 BAO) abweicht, muss sachlich gerechtfertigt sein und sie darf auf keinen Fall dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes widersprechen (vgl VfGH 23.2.2016, G574/2015; vgl VfGH vom 26.9.2017, G134/2017; G207/2017).
Da sogar in wegen ihrer geringen Bedeutung nicht vergleichbaren Bagatellfällen (vgl §47 und §49 VStG) zB eine zweiwöchige Frist für einen Einspruch vorgesehen ist und eine Verdachtsmitteilung gem. §8 Abs4 SBBG keine Bagatelle, sondern ein Hoheitsakt von existenzieller Bedeutung für einen Unternehmer ist (siehe oben Punkt 1.1.a-e), wird eine verfassungskonforme Frist für einen Widerspruch gem. §8 Abs7 SBBG die normale Frist für Rechtsbehelfe von einem Monat (§245 Abs1 BAO, §264 Abs1 BAO) nicht unterschreiten dürfen.
Auch eine Widerspruchsfrist von 14 Tagen wäre nicht ausreichend, es sei denn, es ließen sich dafür besondere, sachliche Gründe finden, die bis jetzt nicht erkennbar sind; in diesem Zusammenhang käme allerdings wegen der großen Eingriffswirkung der Verdachtsmitteilung und des deshalb möglich werdenden Feststellungsbescheides gem. §8 Abs8 SBBG dem Erfordernis der effektiven Wahrnehmung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtsschutzmöglichkeiten erhebliche Bedeutung zu (vgl VfGH vom 26.9.2017, G134/2017, G207/2017).
Eine dem Sachlichkeitsgebot und dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes entsprechende Widerspruchsfrist gegen Verdachtsmitteilungen nach §8 Abs4 SBBG wird daher in der Größenordnung von einem Monat liegen.
4.) Verfassungswidrigkeit von §8 Abs8 erster Satz SBBG ([…])
4.1.) schwerwiegende Eingriffswirkung und das daraus resultierende Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes
a.) beträchtliche Eingriffswirkung des Feststellungsbescheides gem. §8 Abs8 SBBG auf die rechtlichen Interessen des Unternehmers ([…])
b.) Priorität eines effektiven Rechtsschutzes gegen den Feststellungsbescheid gem. §8 Abs8 SBBG (siehe oben Punkt 1.1.f.)
Das rechtsstaatliche Prinzip und das sich daraus ergebende Gebot eines effektiven Rechtsschutzes bringt auch das Erfordernis mit sich, dass alle Feststellungen auf ausreichenden Beweisergebnissen beruhen, dass dem Verdächtigen ausreichend Parteiengehör gewährt worden ist, dass die Feststellungen nachvollziehbar begründet werden, und dass die rechtliche Beurteilung ebenso nachvollziehbar sein muss.
Werden diese elementaren Grundsätze, die i.d.R. in einem Verfahren nach der BAO gelten, im Verfahren nicht eingehalten, muss dem Bf auf Grund des rechtsstaatlichen Prinzips die Möglichkeit offen stehen, im Wege einer Beschwerde wirksamen Rechtsschutz zu erhalten.
4.2.) Nicht effektiver Rechtsschutz durch die gesetzlich determinierte Pflicht, den Feststellungsbescheid gem. §8 Abs8 SBBG lediglich auf Grund eines Verdachtes zu erlassen (§8 Abs8 erster Satz SBBG).
[…]
c.) verfassungsrechtliche Beurteilung der Pflicht, einen Feststellungsbescheid gem. §8 Abs8 SBBG, der schwerwiegende Rechtsfolgen nach sich zieht, lediglich auf Grund eines Verdachtes zu erlassen:
aa.) Verstoß gegen das aus dem Gleichheitssatz abgeleitete Sachlichkeitsgebot (Art7 Abs1 B‑VG)
Eine vergleichbare Norm, durch welche schwerwiegende Rechtsfolgen ohne ordentliches Ermittlungsverfahren lediglich auf der Grundlage eines Verdachtes angeordnet werden, gibt es abgesehen von §8 Abs8 erster Satz SBBG in vergleichbaren Normen der österreichischen Rechtsordnung nicht.
Nach Ansicht des BFG sind die Tatbestände des §8 Abs1 SBBG mit den Tatbeständen der §§153c-e StGB vergleichbar:
'[…]'
Die ähnlichen Texte der §§153c-e StGB und des §8 Abs1 SBBG erweisen die Vergleichbarkeit dieser Normen. Zu den Rechtsfolgen eines Feststellungsbescheides gem. §8 SBBG (siehe Punkte 1.1.a-e; siehe auch §8 Abs10 SBBG) und den Rechtsfolgen der Tatbestände des StGB (insbesondere §§153c-e StGB) ist jedenfalls zu sagen, dass die Rechtsfolgen in beiden Rechtsgebieten schwerwiegend sind.
Im Strafrecht (StGB, StPO) wäre es undenkbar, dass ein den Verdächtigen belastender Tatbestand nur auf Grund eines Verdachtes in zulässiger Weise festgestellt werden und dessen Rechtsfolgen angeordnet werden könnten, ohne dass die Erfüllung eines strafrechtlichen Tatbestandes nachgewiesen worden ist. Mehr noch: Im Zweifel ist stets zu Gunsten des Beschuldigten zu entscheiden (§14 StPO).
In jedem anderen mit §8 SBBG vergleichbaren Rechtsgebiet (vgl insb. BAO, FinStrG, ASGG, ZPO, AVG, VwGVG, VStG) wäre es ebenso undenkbar, dass ein den Normadressaten in schwerwiegender Weise belastender Tatbestand nur auf Grund eines Verdachtes zu Recht angenommen werden könnte, und dessen Rechtsfolgen (vgl Punkte 1.1.a-e) zu Recht angeordnet werden könnten, ohne dass die Erfüllung des Tatbestandes nachgewiesen worden ist. Das hat etwas mit dem Willkürverbot ([…]) zu tun.
Warum es all dessen ungeachtet in einem Verfahren nach §8 Abs8 SBBG zulässig sein könnte, lediglich auf Grund eines Verdachtes (§8 Abs8 erster Satz iVm §8 Abs2 SBBG), dh ohne Nachweis des Tatbestandes (§8 Abs1 SBBG) schwerwiegende Rechtsfolgen (siehe Punkte 1.1.a-e) auszulösen, die den Unternehmer wirtschaftlich ruinieren könnten, ist nicht sachlich begründbar.
Bisher war es lediglich in Bagatellfällen zulässig, dass ohne ordentliches Ermittlungsverfahren ein Bescheid (zB Strafverfügung) ergehen durfte, dessen Rechtsfolgen eintraten, wenn nicht rechtzeitig ein Einspruch eingelegt wurde. Nur wenn ein Einspruch eingelegt wird, ist ein ordentliches Verfahren durchzuführen (§47 Abs1 und 2, §49 Abs1 und 2 VStG). Die Verfassungskonformität dieser Normen ist unbestritten, weil diese Normen Angelegenheiten von untergeordneter Bedeutung regeln.
[…]
In dieses Bild fügt sich: Die Zustellung der Verdachtsmitteilung (§8 Abs4 zweiter Satz SBBG) ist der erste Hinweis des Finanzamtes an den Unternehmer, dass ein Verfahren gegen ihn im Gange ist, welches schwerwiegende Rechtsfolgen auslösen kann, die ihn wirtschaftlich ruinieren könnten. Zum Zeitpunkt dieser Zustellung wird der Unternehmer in vielen Fällen noch unvertreten sein. Versäumt der unvertretene Unternehmer die Frist für den Widerspruch gegen die Verdachtsmitteilung, muss lediglich auf der Grundlage eines Verdachtes ein Feststellungsbescheid (§8 Abs8 erster Satz SBBG) ergehen, der die reale Gefahr mit sich bringt, die wirtschaftliche Existenz des Unternehmers zu vernichten (siehe Punkt 1.1.a-e). Dh, ein einziger verfahrensrechtlicher Fehler eines nicht vertretenen Unternehmers könnte die Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz im Zusammenhang mit einem Feststellungsbescheid nach sich ziehen, der nur auf der Grundlage eines Verdachtes zu ergehen hat. Auch dies spricht dafür, §8 Abs8 erster Satz SBBG als Verstoß gegen das aus dem Gleichheitssatz abgeleitete Sachlichkeitsgebot (Art7 Abs1 B‑VG) anzusehen.
[…]
bb.) Verstoß gegen das aus dem rechtsstaatlichen Prinzip abgeleitete Prinzip eines effektiven Rechtsschutzes
Auf Punkt aa.) wird verwiesen.
Zu einem ordentlichen Verfahren mit effektivem Rechtsschutz gehören grundsätzlich auch Feststellungen auf der Grundlage nachvollziehbarer Beweise. Die grundsätzlich bestehende Pflicht der Behörden, Feststellungen mit nachvollziehbaren Beweisen zu untermauern, schützt den Normadressaten vor behördlicher Willkür und insbesondere davor, dass Bescheide lediglich auf der Grundlage von Verdächtigungen erlassen werden ([…]).
Eben diese RSp des VfGH, die sich gegen behördliche Willkür wendet, unterläuft §8 Abs8 erster Satz SBBG, indem er das Finanzamt geradezu dazu verpflichtet, lediglich auf der Grundlage eines Verdachtes (§8 Abs2 SBBG) einen Bescheid zu erlassen.
Ein Scheinunternehmen ist ua ein Unternehmen, das vorrangig darauf ausgerichtet ist, Lohnabgaben, Beiträge zur Sozialversicherung, Zuschläge nach dem BUAG oder Entgeltansprüche von Arbeitnehmern zu verkürzen (§8 Abs1 Z1 SBBG).
Für den Fall der Unterlassung eines Widerspruches gegen eine Verdachtsmitteilung reichen dem Finanzamt gem. §8 Abs8 erster Satz SBBG i.V.m. §8 Abs2 SBBG nach einer Gesamtbetrachtung der Anhaltspunkte schon berechtigte Zweifel, ob die Anmeldung zur Sozialversicherung vom Vorsatz getragen ist, die in Folge der Anmeldung auflaufenden Lohn- und Sozialabgaben zur Gänze zu entrichten, aus, um festzustellen, dass ein Unternehmer ein Scheinunternehmer i.S. des §8 Abs1 Z1 SBBG ist.
'Berechtigte Zweifel' nach einer 'Gesamtbetrachtung der Anhaltspunkte' i.S. des §8 Abs2 SBBG erzeugen bei Weitem noch keinen Beweis für die Erfüllung des Tatbestandes gem. §8 Abs1 Z1 SBBG. Indem §8 Abs8 erster Satz die Erlassung eines Feststellungsbescheides lediglich auf der Grundlage eines Verdachtes gem. §8 Abs2 SBBG verlangt, verstößt er gegen die Pflicht zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes, die aus dem rechtsstaatlichen Prinzip abgeleitet wird ([…]).
cc.) Verstoß des §8 Abs8 erster Satz SBBG gegen Art87 Abs1 B‑VG i.V.m. Art130 Abs1 Z1, Art130 Abs4, und Art132 Abs1 Z1 B‑VG
Unterlässt der Unternehmer einen Widerspruch gegen eine Verdachtsmitteilung (§8 Abs4 zweiter Satz SBBG), so hat das Finanzamt mit Bescheid festzustellen, dass das Unternehmen, hinsichtlich dessen ein Verdacht nach §8 Abs2 SBBG vorliegt, als Scheinunternehmen gilt (§8 Abs8 erster Satz SBBG).
Das BFG hat für den Fall einer Beschwerde gegen einen auf der Grundlage des §8 Abs8 erster Satz SBBG ergangenen Bescheid nur zu prüfen (§269 Abs1 BAO), ob
- eine Verdachtsmitteilung ergangen ist,
- ob dagegen Widerspruch erhoben worden ist,
- und, falls kein Widerspruch erhoben worden ist, ob ein Verdacht gem. §8 Abs2 SBBG vorliegt. Falls das Finanzamt auch nur berechtigt war, einen Verdacht i.S. des §8 Abs2 SBBG zu hegen, hat das BFG den Bescheid des Finanzamtes zu bestätigen (vgl auch RV 692 der Beilagen XXV. GP zu §8 Abs8 SBBG). Das BFG hat nicht mehr zu untersuchen, ob überhaupt der Tatbestand eines Scheinunternehmens (§8 Abs1 SBBG) erfüllt ist. Das BFG hat somit, wenn nur ein Verdacht gem. §8 Abs2 SBBG auf Vorliegen eines Scheinunternehmens gegeben ist, den Bescheid des Finanzamtes gem. §8 Abs8 SBBG zu bestätigen. Die Beschwerde und mit ihr das verfassungsgesetzlich geschützte Recht auf eine Beschwerde gem. Art130 Abs1 Z1 B‑VG laufen somit diesfalls ins Leere. Der Gesetzgeber verhindert dadurch entgegen Art130 Abs4 B‑VG eine Entscheidung des BFG in der Sache, selbst wenn der maßgebliche Sachverhalt feststehen sollte. Es ist keine Entscheidung in der Sache mehr, wenn das BFG nicht überprüfen darf, ob der Tatbestand, um den es eigentlich gehen sollte (§8 Abs1 SBBG), erfüllt worden ist oder nicht. Diese einfachgesetzliche Rechtslage (§8 Abs8 erster Satz SBBG) verstößt gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit (Art87 Abs1 B‑VG), weil das BFG die Entscheidung des Finanzamtes bereits dann bestätigen muss, wenn das Finanzamt mit Recht einen Verdacht gem. §8 Abs2 SBBG gehegt haben sollte.
Das BFG entscheidet über Beschwerden (Art132 Abs1 Z1 B‑VG) gegen Bescheide der Finanzämter (Art130 Abs1 Z1 B‑VG) grundsätzlich in der Sache (Art130 Abs4 B‑VG), wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder wenn zB die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das BFG im Interesse der Raschheit gelegen ist. Dies bedeutet in der gegenständlichen Angelegenheit, dass das BFG auf Grund der Bundesverfassung grundsätzlich in der Sache selbst zu überprüfen hat, ob der Tatbestand des §8 Abs1 SBBG erfüllt ist, oder, falls die Feststellung des Sachverhaltes durch das BFG nicht im Interesse der Raschheit gelegen sein sollte, aufhebend und zurückverweisend (§8 Abs12 erster Satz SBBG i.V.m. §278 Abs1 BAO) entscheiden darf.
§8 Abs8 erster Satz SBBG schränkt diese von der Bundesverfassung vorgegebene, umfassende Prüfkompetenz des BFG entgegen Art87 Abs1, Art130 Abs1 Z1, Art130 Abs4, und Art132 Abs1 Z1 B‑VG im Wesentlichen auf die bloße Überprüfung, ob das Finanzamt zu Recht einen Verdacht gem. §8 Abs2 SBBG gehabt hat, ein. Die Bundesverfassung lässt an keiner Stelle erkennen, dass die richterliche Tätigkeit auf die Lösung der Frage reduziert werden darf, ob die Behörde, deren Bescheid bekämpft worden ist, zu Recht einen Verdacht gehegt hat. […]
5.) Verstoß der §§8 Abs4 zweiter Satz, Abs5, Abs6, Abs7 und Abs8 SBBG gegen den Grundsatz der Geschlossenheit des Rechtsquellensystems i.S. eines Rechtstypenzwanges ([…])
Besteht ein Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens, ist dieser dem Unternehmer schriftlich mitzuteilen ('Verdachtsmitteilung', §8 Abs4 zweiter Satz, §8 Abs5, §8 Abs6 SBBG). Diese schriftliche Mitteilung ist nach Ansicht der RV (692 der Beilagen XXV. GP zu §8 Abs12 Z1 SBBG) kein Bescheid.
[…]
Im Verfahren nach der BAO sind grundsätzlich Rechtsquellen, die abgabenrechtlich bedeutsame Tatsachen feststellen, als Bescheide zu erlassen (§92 BAO). Der Gesetzgeber hat nicht das Recht, durch die Erfindung einer neuen Rechtsquelle (hier: Verdachtsmitteilung gem. §8 Abs4 zweiter Satz i.V.m. §8 Abs5 und Abs6 SBBG) und eines neuen Rechtszuges (§8 Abs7 und 8 SBBG) den Rechtsschutz zu mindern ([…]).
Im gegenständlichen Fall wird durch die Erfindung der neuen Rechtsquelle (Verdachtsmitteilung gem. §8 Abs4 zweiter Satz SBBG, zugestellt gem. §8 Abs5 und 6 SBBG) und eines neuen behördlichen Rechtszuges (Verdachtsmitteilung gem. §8 Abs4 zweiter Satz i.V.m. §8 Abs5 und Abs6 SBBG – Widerspruch gem. §8 Abs7 SBBG – ordentliches Verfahren gem. §8 Abs9 SBBG; Verdachtsmitteilung – kein Widerspruch – stark verkürztes Verfahren mit stark limitiertem Rechtsschutz gem. §8 Abs8 erster Satz SBBG, siehe oben Punkt 4.2.c.cc) der Rechtsschutz in wesentlichem Umfang gemindert. Wenn der Unternehmer der Verdachtsmitteilung nicht widerspricht, ist mit Bescheid festzustellen, dass das Unternehmen, hinsichtlich dessen ein Verdacht nach §8 Abs2 SBBG vorliegt, als Scheinunternehmen gilt (§8 Abs8 erster Satz SBBG). Zwar darf der Unternehmer gegen diesen Bescheid noch eine Beschwerde einbringen (§8 Abs12 Z4 SBBG), die jedoch von vornherein äußerst limitierte Erfolgsaussichten hat, da das BFG gegen diesen Bescheid eine äußerst limitierte Prüfungskompetenz hat, wenn nur ein Verdacht gem. §8 Abs2 SBBG vorliegen sollte (siehe oben Punkt 4.2.c.cc).
[…]"
3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Zulässigkeit des Antrages teilweise bestreitet und den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegentritt:
"[…]
II. Zur Zulässigkeit:
Die Bundesregierung verweist auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag auf Aufhebung einer generellen Norm nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl zB VfSlg 19.824/2013 und 19.833/2013).
Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen erweist sich die Anfechtung des §8 Abs5 SBBG als unzulässig. §8 Abs5 SBBG regelt die elektronische Zustellung der Mitteilung eines Verdachts auf Vorliegen eines Scheinunternehmens. Die Norm ist im Ausgangsverfahren nicht einschlägig, da ausschließlich physische Zustellungen (zum einen der genannten Mitteilung zum anderen des Bescheids auf Feststellung eines Scheinunternehmens; vgl hierzu auch §8 Abs8 SBBG, der explizit auf die Abs5 und 6 verweist) erfolgen. Darüber hinaus ist §8 Abs5 SBBG offensichtlich trennbar von den übrigen angefochtenen Bestimmungen, denn die vorgesehenen Zustellungen können eben nur entweder elektronisch oder physisch vorgenommen werden.
Unabhängig von der mangelnden Präjudizialität des §8 Abs5 SBBG hat das Bundesfinanzgericht seine Bedenken gegen die genannte Bestimmung auch nicht im Einzelnen darlegt. Das Bundesfinanzgericht meint im Wesentlichen, dass §8 Abs5 SBBG – ebenso wie der auf die physische Zustellung abstellende §8 Abs6 SBBG – in verfassungswidriger Weise die Zustellung ohne Zustellnachweis verlange und keinen Verweis auf §102 BAO enthalte. Der Einwand des fehlenden Verweises auf §102 BAO ist nicht nachvollziehbar, da die genannte Bestimmung grundsätzlich nur auf physische Zustellungen abstellt. Darüber hinaus ist das Bundesfinanzgericht auf die Besonderheiten elektronischer Zustellungen und den hierzu ergangenen §8 Abs5 SBBG nicht näher eingegangen. Die Anfechtung des §8 Abs5 SBBG erweist sich folglich, auch mangels ausreichender Darlegung der Bedenken im Einzelnen, als unzulässig.
Gleiches gilt für den zweiten Eventualantrag des Bundesfinanzgerichts (vgl Punkt 3 der Anträge). Darin beantragt das Bundesfinanzgericht für den Fall, dass einzelne Bestimmungen des §8 SBBG nicht aufgehoben werden sollten, die gesamten §§8 und 9 SBBG aufzuheben. Der Grund für diesen ungewöhnlichen Eventualantrag erschließt sich nicht aus dem verwiesenen Punkt IV.6. (Seite 40 des Normprüfungsantrages). Die vom Bundesfinanzgericht erhobenen Bedenken beziehen sich weder auf den gesamten §8 SBBG noch auf den §9 SBBG an sich. Mangels ausreichender Darlegung der Bedenken im Einzelnen ist daher auch der zweite Eventualantrag – soweit er sich nicht bereits auf die im Hauptantrag genannten Bestimmungen bezieht (ausgenommen davon ist freilich §8 Abs5 SBBG) – unzulässig.
Abgesehen von den soeben genannten Bedenken sind für die Bundesregierung keine Anhaltspunkte erkennbar, die gegen die Zulässigkeit des übrigen Antrages sprechen würden.
III. In der Sache:
Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012). Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.
1. Vorbemerkung
Spezielle Problemfälle im Rahmen des Sozialbetrugs stellen sogenannte Scheinfirmen bzw Scheinunternehmen dar. Diese sind vorrangig darauf ausgerichtet, in Zusammenhang mit (vorgetäuschten) Arbeitsverhältnissen Lohn- und Sozialabgaben oder Entgeltansprüche zu verkürzen oder Personen zur Sozialversicherung anzumelden, um zu Unrecht Versicherungs-, Sozial- oder sonstige Transferleistungen zu beziehen (vgl §8 Abs1 SBBG). Zu diesem Zweck werden neue Gesellschaften gegründet oder bestehende – und bislang nicht rechtswidrig agierende – Gesellschaften übernommen bzw verwendet. Sie dienen als Anmelde- und Verrechnungsvehikel, indem sowohl tatsächlich beschäftigte Personen als auch Personen ohne tatsächliche Beschäftigung (bei) der Sozialversicherung, der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) oder der Finanzbehörde (an)gemeldet werden. Regelmäßig werden nichtexistente Türnummern, verwaiste Kellerabteile, Lagerräume in Innenhöfen oder reine Briefkastenadressen angeben. Häufig werden 'Strohmänner' als organschaftliche Vertreter in das Firmenbuch eingetragen.
Die nutzbare Lebensdauer von Scheinfirmen betrug vor Inkrafttreten des SBBG mehrere Monate bis zu rund einem Jahr und endete regelmäßig erst mit der Eröffnung von Insolvenzverfahren.
Diese Problemfälle einschließlich der nutzbaren Lebensdauer wurden im Rahmen einer Studie der Universität Wien zum Sozialbetrug aus dem Jahr 2012 näher dargestellt ('Endbericht zum Forschungsprojekt, <Sozialbetrug, auch im Zusammenhang mit Lohn- und Sozialdumping>', Seiten 43 ff — abrufbar unter:
Eine Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS), bestehend aus einer Basisstudie aus dem Jahr 2013 und einer Teilaktualisierung aus dem Jahr 2015, schätzt die versursachten Ausfälle an Einnahmen von Abgaben (Steuern und Sozialversicherung), die durch Scheinfirmen alleine in den Bereichen Bewehrung, Stuckatur- und Trockenbauarbeiten des Bausektors resultieren, auf bis zu 508 Millionen Euro jährlich
(https:/www.sozialministerium.at/site/Service_Medien/Studien/Studien ).
Die Anzahl der bei Scheinfirmen in den Bereichen Bewehrung, Stuckatur- und Trockenbauarbeiten beschäftigten Personen, wird in der Studie mit einer Bandbreite von 12.800 bis 29.600 angegeben.
Scheinfirmen in anderen Bereichen als jenen der Studie des IHS erhöhen die (volkswirtschaftlichen) Schäden.
Aufgrund des enormen (volkswirtschaftlichen) Schadens und der langen Nutzugsdauer war es notwendig, spezielle Regelungen zur Verkürzung der Nutzungsdauer von Scheinfirmen/Scheinunternehmen zu schaffen. Diese wurden mit dem BGBl. I Nr 113/2015 geschaffen. Kern dieser Regelungen ist die Feststellung von Scheinunternehmen im Rahmen des §8 SBBG. An die rechtskräftige Feststellung knüpfen diverse Rechtsfolgen an, die die Nutzugsdauer von Scheinunternehmen verkürzen. Diese finden sich etwa in §8 Abs10 und 11 SBBG (zB Erkenntlichmachung des Scheinunternehmens), §9 SBBG (Haftung für Entgelt) und in §11 Abs7, §33 Abs1c und §35a ASVG (zB Unzulässigkeit der Anmeldung von Personen als Dienstnehmer zur Sozialversicherung bzw Endigung der Pflichtversicherung von angemeldeten Personen unter besonderen Umständen).
Vor dem Hintergrund der gebotenen Dringlichkeit ist es erforderlich, dass das Verfahren zur Feststellung von Scheinunternehmen rasch geführt werden kann. Die Bestimmungen des §8 SBBG stehen im Einklang mit dieser Erforderlichkeit.
2. Zu den rechtstaatlichen Bedenken in Zusammenhang mit der Zustellregelung nach §8 Abs6 SBBG
Das Bundesfinanzgericht meint, dass vor dem Hintergrund der schwerwiegenden Rechtsfolgen die der Verdacht des Vorliegens eines Scheinunternehmens mit sich bringt – gleiches gilt wohl auch für die Feststellung eines Scheinunternehmens nach §8 Abs8 SBBG, der explizit auf die Zustellung nach Abs6 SBBG verweist –, dieser im Fall einer physischen Zustellung mit Zustellnachweis erfolgen müsse. Nur so könne die Kenntnisnahme des Empfängers sichergestellt werden; im Ausgangssachverhalt wäre es typischerweise zur Übergabe des Schriftstückes an eine befugte natürliche Person, die der Sphäre des Empfängers zuzuordnen ist, gekommen. §8 Abs6 SBBG, zumindest aber dessen Wortfolge 'ohne Zustellnachweis', verstoße daher gegen das aus dem rechtsstaatlichen Prinzip abgeleitete Gebot des effektiven Rechtsschutzes.
Den Ausführungen des Bundesfinanzgerichts ist entgegenzuhalten, dass Zustellungen ohne Zustellnachweis nicht unbedingt unsicher sind. Gerade im Ausgangssachverhalt hat die Finanzpolizei, die die Zustellung vor Ort vornahm, das Ankleben der Dokumente (weil keine Abgabeeinrichtung vorhanden war) dokumentiert bzw fotografiert.
Im Allgemeinen hängt die Kenntnisnahme übermittelter Dokumente stark vom Verhalten des jeweiligen Empfängers ab. Setzt dieser ein Verhalten, das zur Unkenntnis der Vorgänge an der Abgabestelle führt, hat eine Zustellung mit Zustellnachweis (gegenüber einer Zustellung ohne Zustellnachweis) keinen Mehrwert. Umgekehrt wird aber jedes Unternehmen, das an der angegebenen Adresse die üblichen Vorkehrungen für den Empfang von Dokumenten trifft, über deren Zustellung Kenntnis erlangen, unabhängig davon ob es sich um eine Zustellung mit oder ohne Zustellnachweis handelt (etwa indem die Finanzpolizei die Dokumente vor Ort an die entsprechenden Personen übergibt). Sollte daher der Verdacht des Vorliegens eines Scheinunternehmens sich tatsächlich einmal gegen ein seriös agierendes Unternehmen richten, hat selbiges es primär selbst in der Hand durch entsprechende Vorkehrungen an der Abgabestelle über die Zustellung des Verdachts des Vorliegens eines Scheinunternehmens Kenntnis zu erlangen und dagegen mittels Widerspruch (oder Beschwerde gegen den Feststellungsbescheid) vorzugehen.
Darüber hinaus stellt eine Zustellung mittels Zustellnachweis keinesfalls sicher, dass der Betroffene tatsächlich Kenntnis vom Inhalt des Dokuments bzw Schriftstücks erlangt. Wird etwa das übermittelte Schriftstück innerhalb der in §17 Abs3 ZustG vorgesehenen zweiwöchigen Frist nicht behoben, erfolgt die Rücksendung an den Absender und gilt (trotz Hinterlegung mit Zustellnachweis) als zugestellt. Im Ausgangsfall hätte sich daher durch eine Hinterlegung mit Zustellnachweis faktisch kaum etwas geändert: Da an der Abgabestelle niemand angetroffen wurde, wäre entsprechend §17 Abs2 ZustG nur die Verständigung über die Hinterlegung angebracht worden. Diese im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung bliebe freilich selbst dann gültig, wenn die Verständigung über die Hinterlegung beschädigt oder entfernt würde (vgl dazu näher §17 Abs4 ZustG). Im Gegensatz dazu eröffnet das Hinterlassen des Schriftstücks an der Abgabestelle ohne Zustellnachweis die Möglichkeit für den Empfänger über die zweiwöchige Hinterlegungsfrist des §17 Abs3 ZustG hinaus Kenntnis vom Inhalt des Schreibens zu erlangen. Insofern kann die in §8 Abs6 SBBG vorgesehene Zustellungsart – im Fall eines Unternehmens, welches wie sich aus §8 Abs2 iVm Abs3 SBBG ergibt schwierig zu kontaktieren ist – unter bestimmten Umständen sogar einen Vorteil gegenüber einer Zustellung mit Zustellnachweis darstellen.
Schließlich wird darauf hingewiesen, dass nach der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ein aus dem Regelungszusammenhang mit den materiellen Vorschriften begründetes Abweichen von bestehenden verfahrensrechtlichen Regeln – dazu gehören eben auch Zustellregelungen, die sich vom ZustG unterscheiden – vor allem dann gebilligt wird, wenn mit einer Tätigkeit besondere Gefahren verbunden sind und auf Grund dieser eine besondere Aufsicht zu schaffen ist (vgl in diesem Sinne etwa VfSlg 15.351/1998 sowie 19.787/2013). Ausgehend von den Erläuterungen zu §8 SBBG sowie den Ausführungen in Teil III.1. erfüllt die Regelung des §8 Abs6 SBBG gerade die genannten Voraussetzungen. §8 Abs6 SBBG erweist sich als unumgänglich um die Bestandsdauer von Scheinunternehmen zu verkürzen: Insofern handelt es sich dabei um eine rasch wirksame Maßnahme, die die Gefahren, welche von sozialbetrügerisch agierenden Unternehmen ausgehen, hintanstellt und gleichzeitig seriösen Unternehmen einen hinlänglichen Rechtsschutz gewährleistet (zum Rechtsschutz an sich siehe näher Teil III.4).
Im Ergebnis verstößt §8 Abs6 SBBG nicht gegen das aus dem rechtsstaatlichen Prinzip abgeleitete Gebot des wirksamen Rechtsschutzes.
3. Zu den gleichheitsrechtlichen Bedenken in Zusammenhang mit der Zustellregelung nach §8 Abs6 SBBG
Das Bundesfinanzgericht ist der Auffassung, dass die Mitteilung des Verdachtes des Vorliegens eines Scheinunternehmens – ebenso wie ein nach Widerspruch und Ermittlungsverfahren erlassener (Scheinunternehmens-)Feststellungsbescheid gemäß §8 Abs9 zweiter Satz SBBG – mit Zustellnachweis erfolgen müsse, weil diese einen wichtigen Grund (iS des §102 BAO) darstelle. Durch die angefochtene Bestimmung des §8 Abs6 SBBG würden Unternehmen, die rechtskonform agieren (also sich Zustellungen nicht entziehen), zu Unrecht wie Unternehmen, die Zustellversuche vereiteln, behandelt. Die strafrechtlichen Bestimmungen, die auf vergleichbare Tatbestände abstellen und auf das Verhalten von Scheinfirmen Bezug nehmen, würden eine verlässlichere Zustellung ermöglichen. §8 Abs6 SBBG widerspreche somit dem Gleichheitsgrundsatz.
Nach Auffassung der Bundesregierung erscheinen diese Bedenken unbegründet.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass beide in §8 SBBG vorgesehenen Arten der Zustellung – sprich die Zustellung nach §8 Abs6 SBBG sowie jene nach §8 Abs9 SBBG – für den Empfänger in sicherer Weise vorgenommen werden können. Im Stadium der Verdachtsmitteilung bietet gerade die Zustellung nach §8 Abs6 SBBG ohne Zustellnachweis, die von der Finanzpolizei vor Ort vorgenommen und dokumentiert/fotografiert wird, für den Empfänger Gewähr, das Dokument tatsächlich vorzufinden (vgl dazu Teil III.2). Auch für die Abgabenbehörde ist auf diese Weise ein Höchstmaß an Dokumentation erreichbar. Demgegenüber kann die Abgabenbehörde im Fall der Zustellung eines (Scheinunternehmens‑)Feststellungsbescheides nach §8 Abs9 SBBG davon ausgehen, dass die Zustellung des Bescheides nicht vereitelt wird – die Verdachtsmitteilung wurde ja bereits vom Unternehmen entgegengenommen –, sodass derselbe direkt dem Empfänger oder einem Ersatzempfänger an der Abgabestelle übergeben werden kann. Die in diesem Zusammenhang erforderliche Dokumentation wird mittels Zustellnachweis durch den Zustelldienst vorgenommen.
Mangels eindeutig relevanter Unterschiede zwischen den beiden Zustellungsarten kann daher aus dem Vergleich derselben keine Gleichheitswidrigkeit (bzw in weiterer Folge daraus eine Verletzung des Sachlichkeitsgebots) abgeleitet werden. Beide Arten der Zustellung schaffen im jeweiligen Verfahrensstadium die sachgerechteste Möglichkeit zur sicheren Zustellung.
Entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichtes erleiden rechtskonform agierende Unternehmen auch keinen Nachteil dadurch, dass für sie dieselben Zustellregelungen gelten, wie sie für Unternehmen gelten, die Zustellversuche zu vereiteln versuchen. In beiden Fällen hat es der Empfänger in der Hand, durch entsprechende Vorkehrungen über die Zustellung der entsprechenden Dokumente (also Verdachtsmitteilung über das Vorliegen eines Scheinunternehmens oder Feststellungsbescheid) Kenntnis zu erlangen (vgl hierzu auch Teil III.2).
Was schließlich die Behauptung des Bundesfinanzgerichtes anbelangt, wonach selbst bei Begehung eines gerichtlich strafbaren Sozialbetruges nach den §§153c bis 153e des Strafgesetzbuches (StGB) im Vergleich zum SBBG verlässlichere Zustellungsarten vorgesehen wären (vgl dazu §82 der Strafprozeßordnung 1975), ist anzumerken, dass die genannten Tatbestände des StGB sich nicht mit jenen des §8 Abs1 SBBG decken.
Abgesehen davon besteht der wesentliche Unterschied des §8 SBBG zu den Bestimmungen des Strafrechts darin, möglichst rasch durch das Feststellen von Scheinunternehmen einen Beitrag zu leisten, dass diese nicht mehr sozialbetrügerisch agieren. Aufgrund des enormen volkswirtschaftlichen Schadensausmaßes und der gebotenen Dringlichkeit, die Nutzungsdauer von Scheinunternehmen zu verkürzen, bedarf es eben besonderer Zustellbestimmungen für das Verfahren zur Feststellung von Scheinunternehmen. In diesem Zusammenhang ist auf die Ausführungen in Teil III.1. zum Sozialbetrug zu verweisen. Die Rechtsfolgen des §8 SBBG ähneln in ihrer Wirkungsweise verwaltungsrechtlichen Normen wie etwa jener der Betriebsschließung nach §360 Abs3 der Gewerbeordnung 1994 und des §56a des Glücksspielgesetzes. Indes sieht §8 SBBG im Unterschied zu den letztgenannten Normen Fristen samt 'ex ante' Rechtsschutzmöglichkeiten vor.
Vor dem Hintergrund der dargelegten Argumente ergibt sich aus den unterschiedlichen im SBBG geregelten Zustellarten weder eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes noch eine Verletzung des aus ihm abgeleiteten Sachlichkeitsgebotes.
4. Zu den rechtstaatlichen sowie gleichheitsrechtlichen Bedenken in Zusammenhang mit der verkürzten Beschwerdefrist nach §8 Abs12 Z2 SBBG
Das Bundesfinanzgericht hegt die Bedenken, dass die in §8 Abs12 Z2 erster Satz SBBG geregelte Beschwerdefrist von einer Woche gegen das Sachlichkeitsgebot und gegen das Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes verstößt. Die Frist sei zu kurz für die erforderlichen Handlungen der Partei bzw des organschaftlichen Vertreters oder eines Rechtsanwaltes. Dies gelte umso mehr, als die Zustellbestimmung des §8 Abs6 SBBG eine Versäumung der Beschwerdefrist regelrecht erwarten ließe. Auch könnten persönliche Umstände die rechtzeitige Beschwerdeerhebung verhindern.
Die Bundesregierung teilt diese Bedenken nicht.
Eingangs ist festzuhalten, dass die Zustellung des Feststellungsbescheides über das Vorliegen eines Scheinunternehmens von der dagegen bestehenden Beschwerdefrist zu unterscheiden ist. Die Beschwerdefrist beginnt erst mit der wirksamen Zustellung des Bescheides zulaufen. Allfällige verfassungsrechtliche Bedenken, die in Zusammenhang mit der Zustellung stehen, wirken insofern nicht auf Ebene der Beschwerdefrist fort. Im Folgenden wird daher ausschließlich auf die Bedenken zur angeblich unzureichenden Dauer der Beschwerdefrist eingegangen. Die vom Bundesfinanzgericht relevierten Bedenken zu den vom ZustG abweichenden Zustellungsarten wurden bereits […] besprochen.
§8 Abs12 Z2 SBBG bewirkt in Zusammenhang mit den übrigen anzuwendenden Bestimmungen der BAO einen sachgerechten Ausgleich zwischen dem Ziel, Scheinunternehmen rasch rechtskräftig festzustellen, und der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes.
a.) Zum Ziel Scheinunternehmen rasch festzustellen
Da Inhaber von Scheinunternehmen den Kontakt zu Behörden oder Gerichten scheuen, erheben sie im Regelfall keine Beschwerden gegen (Scheinunternehmens-)Festellungsbescheide. Eine Verlängerung der Beschwerdefrist macht daher für sie in der Praxis kaum einen Unterschied. Gleichwohl haben längere Beschwerdefristen erhebliche negative Auswirkungen auf die intendierte Verkürzung der Nutzungsdauer von Scheinunternehmen. Auf die in Teil III.1 zu findenden Ausführungen zum durch Scheinunternehmen bewirkten volkswirtschaftlichen Schaden darf nochmals gesondert hingewiesen werden. Eine Verkürzung der Beschwerdefrist erscheint sohin im Lichte der Bekämpfung von Sozialbetrug gerechtfertigt.
b.) Zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes
Trotz einer auf eine Woche verkürzten Beschwerdefrist, ist nach Ansicht der Bundesregierung der Rechtsschutz von Unternehmen, welchen gegenüber ein Feststellungsbescheid zu Unrecht erlassen wird, ausreichend gewahrt. Zu bedenken ist, dass nach §270 BAO kein Neuerungsverbot besteht. D.h. sämtliche zur Lösung des Falles relevanten neuen Tatsachen, Beweise und Anträge können noch im Laufe des Beschwerdeverfahrens, also nach Erhebung der Beschwerde, geltend gemacht werden. Es besteht folglich schlichtweg nicht das Erfordernis, bereits in der Beschwerdeschrift umfassend Stellung zu nehmen. Vielmehr reicht zunächst eine einfach gehaltene Beschwerde aus. Auch ohne Rechtsvertretung können diese Schritte einfach gesetzt werden. Hinzu kommt, dass entsprechend der in §113 BAO vorgesehenen Manuduktionspflicht die Abgabenbehörde jenen Parteien, die nicht berufsmäßig vertreten sind, auf Verlangen die zur Vornahme ihrer Verfahrenshandlungen nötigen Anleitungen zu geben hat und sie über die mit ihren Handlungen oder Unterlassungen unmittelbar verbundenen Rechtsfolgen belehren muss.
Allfällige persönliche Umstände, die – so das Bundesfinanzgericht – ein Hindernis für die Erhebung einer Beschwerde darstellen, sprechen ebenso wenig gegen die Effektivität des Rechtsschutzes. Zum einen ist zu beachten, dass selbst bei längeren Beschwerdefristen derartige persönliche Umstände eintreten können; zum anderen ist im Fall einer Verhinderung durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, wie zB eines Krankenstandes, ein Antrag auf Wiedereinsetzung jederzeit möglich.
Im Übrigen scheint das Bundesfinanzgericht zu übersehen, dass der Feststellungsbescheid für den Beschwerdeführer grundsätzlich nicht überraschend kommt. Dem Feststellungsbescheid vorgelagert ist nämlich die Mitteilung des Verdachts auf Vorliegen eines Scheinunternehmens, die mittels eines Widerspruchs, der wiederum innerhalb einer Woche erhoben werden kann, 'bekämpfbar' ist. Damit kann die Verdachtsmitteilung als eine Art 'Warnung' vor dem möglichen baldigen Eingang eines Feststellungsbescheides gesehen werden.
Aus den vorgenannten Gründen – und vor dem Hintergrund der speziellen Erfordernisse der Sozialbetrugsbekämpfung – ist davon auszugehen, dass die im SBBG verkürzte Beschwerdefrist sowohl das Sachlichkeitsgebot als auch das Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes nicht verletzt, zumal dem negativ beschiedenen potenziellen Rechtsschutzsuchenden ermöglicht wird, sein Rechtsmittel in einer Weise auszuführen, die sowohl dem Inhalt der anzufechtenden Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht adäquat ist als auch dem zu dieser Entscheidung führenden, allenfalls mit Mängeln belasteten Verfahren (vgl etwa VfSlg 15.529/1999, VfSlg 20.040/2016 und VfSlg 20.193/2017).
5. Zu den rechtstaatlichen sowie gleichheitsrechtlichen Bedenken in Zusammenhang mit der Frist von einer Woche für einen Widerspruch gegen eine Verdachtsmitteilung (§8 Abs7 SBBG)
Das Bundesfinanzgericht vermeint, dass die in §8 Abs7 SBBG normierte einwöchige Frist für den Widerspruch gegen die Verdachtsmitteilung des Vorliegens eines Scheinunternehmens die Versäumung derselben erwarten lässt. Aufgrund von Zeitnot und Umständen des Privatlebens wäre es üblicherweise nicht möglich, innerhalb von einer Woche persönlich beim Finanzamt vorzusprechen. Die kurze Widerspruchsfrist verstoße somit gegen das […] Prinzip des effektiven Rechtsschutzes und das Sachlichkeitsgebot.
Nach Ansicht der Bundesregierung vermögen diese Bedenken nicht zu überzeugen.
Bei Erheben eines Widerspruchs sind entsprechend §8 Abs7 SBBG zwei Elemente zu unterscheiden. Zum einen ist dies die Frist von einer Woche; zum anderen ist dies die vorgesehene persönliche Vorsprache durch den Rechtsträger oder dessen organschaftlichen Vertreter.
a.) Zur Frist
Obgleich die Widerspruchsfrist mit einer Woche kurz bemessen wird, ist es ohne besonderen Aufwand leicht möglich, einen Widerspruch zu erheben: Dies zeigt sich beispielhaft daran, dass die Erhebung eines Widerspruchs keiner gesonderten Begründung bedarf.
Sollte die Erhebung des Widerspruchs dennoch unterlassen werden, folgt aus der Verdachtsmitteilung keine verbindliche Entscheidung. Vielmehr ist erst in der Folge ein Bescheid zu erlassen, wogegen das Rechtsmittel der Beschwerde zusteht (vgl dazu näher Teil III.4.).
Die Verdachtsmitteilung hat somit einen ganz anderen Charakter hat als jene Entscheidungen und Verfügungen, gegen welche die vom Bundesfinanzgericht genannten Rechtsbehelfe vorgesehen sind (vgl dazu Seite 64 des Normprüfungsantrages). Der Umstand, dass das Verstreichenlassen der Widerspruchsfrist die Sache nicht abschließend erledigt, macht einen Vergleich zwischen der kurzen Widerspruchsfrist und den längeren vom Bundesfinanzgericht genannten Fristen für Rechtsbehelfe anderer Entscheidungen und Verfügungen überflüssig.
b.) Zur persönlichen Vorsprache durch den Rechtsträger oder dessen organschaftlichen Vertreter
Mit der Verpflichtung zur persönlichen Vorsprache gewisser (vertretungsbefugter) Personen kann zwar nicht verhindert werden, dass Strohmänner als Geschäftsführer bestellt werden, allerdings kann verhindert werden, dass diese Strohmänner der Grund für die weitere Nutzung der Gesellschaften bzw Scheinunternehmen sind. Da sich Strohmänner als Geschäftsführer regelmäßig keinen Verfahren nach §8 SBBG stellen, ist gerade das Abstellen auf ihre persönliche Einbindung in das Verfahren in einem möglichst frühen Zeitpunkt, wie eben jenem bis zum Ablauf der Frist für den Widerspruch, ein äußerst effektives Mittel zur (gebotenen) Verfahrensbeschleunigung und zur Hintanstellung von sozialbetrügerischen Aktivitäten (vgl dazu auch Teil III.1).
Im Übrigen kann die persönliche Vorsprache – auch wenn der Widerspruch keiner Begründung bedarf – zur Entkräftung des Verdachts und zur Verhinderung der Feststellung als Scheinunternehmen genutzt werden, indem die maßgebliche (vertretungsbefugte) Person bloß die Unternehmensführung darstellt und insbesondere hinsichtlich Personaleinsatz und Tätigkeit Auskunft gibt.
Kurzum aufgrund des besonderen Charakters der Verdachtsmitteilung einschließlich ihrer Unverbindlichkeit, der nicht erforderlichen Begründung des Widerspruchs, der nicht abschließenden Erledigung der Angelegenheit bei Verstreichenlassen der Widerspruchsfrist sowie der im Lichte der Bekämpfung sozialbetrügerischer Aktivitäten bestehenden Erforderlichkeit einer persönlichen Vorsprache zur Erhebung eines Widerspruches, bedingt §8 Abs7 SBBG weder einen Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot noch gegen das Prinzip eines effektiven Rechtsschutzes.
6. Zu den vorwiegend rechtstaatlichen sowie gleichheitsrechtlichen Bedenken in Zusammenhang mit der Feststellung eines Scheinunternehmens auf Grundlage eines bloßen Verdachtes (§8 Abs8 SBBG)
Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts müsse nach erfolgter Verdachtsmitteilung (auf Vorliegen eines Scheinunternehmens) und Unterlassung eines Widerspruches dagegen, gemäß §8 Abs8 SBBG lediglich auf der Grundlage eines bloßen Verdachtes iS des §8 Abs2 SBBG) ein Bescheid zur Feststellung des Scheinunternehmens erlassen werden. In weiterer Folge könne das Bundesfinanzgericht bei Vorliegen des Verdachts nach §8 Abs2 SBBG diesen Bescheid bloß bestätigen; es dürfe nicht überprüfen, ob der Tatbestand des §8 Abs1 SBBG tatsächlich erfüllt sei. §8 Abs8 SBBG widerspreche somit dem Sachlichkeitsgebot, dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit (Art87 Abs1 B‑VG), den Art130 Abs1 Z1, Art130 Abs4, und Art132 Abs1 Z1 B‑VG, und dem Prinzip eines effektiven Rechtsschutzes. Dies würde dadurch unterstrichen, dass in zu §8 SBBG vergleichbaren Rechtsgebieten – dabei verweist das Bundesfinanzgericht wiederum auf die Tatbestände der §§153c-e StGB – die Erfüllung des jeweiligen Tatbestandes nicht aufgrund eines bloßen Verdachtes angenommen werde.
Den Bedenken des Bundesfinanzgerichts tritt die Bundesregierung wie folgt entgegen:
Nach §8 Abs8 SBBG erfolgt ein (Scheinunternehmens-)Feststellungsbescheid nicht nur auf Grundlage eines einfachen Verdachtes. Der Verdacht, dem seinerseits Ermittlungen über die Verdachtselemente vorangehen, ist vielmehr Grundlage für eine Verdachtsmitteilung. Wird der Verdachtsmitteilung nicht widersprochen, so liegt ein weiteres starkes Indiz für das Vorliegen eines Scheinunternehmens vor. Die genannten Umstände – Ermittlungen über Verdachtselemente, Übermittlung der Verdachtsmitteilung, fehlende Erhebung eines Widerspruchs – bilden somit in ihrer Gesamtheit eine starke Vermutung, dass die Erlassung eines Feststellungsbescheids nach §8 Abs8 SBBG gerechtfertigt ist.
Sollte dennoch der Behörde ein Fehler passiert sein, so besteht nach wie vor die Möglichkeit, nach Erlassung des Bescheids eine Beschwerde an das Bundesfinanzgericht zu erheben. Unrichtig ist die Rechtsansicht des Bundesfinanzgerichts, wonach dieses bei Vorliegen eines Verdachtes nach §8 Abs2 SBBG den Feststellungsbescheid nur mehr bestätigen könne. §8 Abs8 SBBG bezieht sich nämlich ausdrücklich nur auf die Abgabenbehörde. Dementsprechend hat das Bundesfinanzgericht volle Kognitionsbefugnis; es kann selbständig ermitteln (oder gemäß §269 Abs2 BAO auch von einer Behörde nochmals ermitteln lassen), ob der Tatbestand des §8 Abs1 SBBG tatsächlich erfüllt ist. Wie bereits in Teil III.4. erwähnt, besteht auch kein Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren: Sämtliche neue Umstände, die im Laufe des Beschwerdeverfahrens zur Kenntnis gelangen, sind daher zu berücksichtigen (vgl §270 BAO).
Es zeigt sich sohin, dass die Befürchtungen des Bundesfinanzgerichts sich nicht bewahrheiten. Jene Vorgaben für einen effektiven Rechtsschutz, die das Gericht selbst in seinem Normprüfungsantrag nennt (vgl dazu näher Seite 66 des Normprüfungsantrages) – d.h. die Feststellung mittels ausreichender Beweisergebnisse, die Gewährung von Parteiengehör, die nachvollziehbare Begründung der Feststellung und die Nachvollziehbarkeit der rechtlichen Beurteilung – werden allesamt durch das in §8 SBBG vorgesehene Verfahren erfüllt. Dem Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens nach §8 Abs2 SBBG sind nämlich behördliche Ermittlungen vorgelagert, in deren Rahmen konkrete Anhaltspunkte (nach §8 Abs3 SBBG) zur Untermauerung des Verdachts gesammelt werden. Das Parteiengehör wird durch die Mitteilung des Verdachts und der Einräumung einer Widerspruchmöglichkeit gewährleistet. Die Verdachtsmitteilung sowie der allenfalls folgende (Scheinunternehmens-)Feststellungsbescheid sind entsprechend §93 Abs3 BAO (vgl dazu §8 Abs12 Z1 SBBG, der ua auf §93 Abs3 bis 6 BAO verweist) nachvollziehbar zu begründen. Die Nachvollziehbarkeit der Beurteilung wird zusätzlich durch die Beschwerdemöglichkeiten gegen den Bescheid (bzw durch den Widerspruch gegen die Mitteilung) gesichert.
§8 SBBG ist auch nicht mit den Bestimmungen des Strafrechts vergleichbar. §8 SBBG dient dazu, möglichst rasch durch das Feststellen von Scheinunternehmen einen Beitrag zur Sozialbetrugsbekämpfung zu leisten (vgl dazu oben Teil III.1). Im Rahmen des §8 Abs8 SBBG kommt eben der Unterlassung des Widerspruchs eine starke Indizwirkung für das Vorliegen eines Scheinunternehmens zu (die wie oben dargestellt gemeinsam mit anderen Umständen eine ausreichend starke Vermutung für das Vorliegen eines Scheinunternehmens begründet). Indes ist der österreichischen Rechtsordnung nicht fremd, dass eine Unterlassung verfahrensrechtlicher Schritte der säumigen Partei zum Nachteil gereicht. Hinzuweisen ist etwa auf die Unterlassung eines Einspruchs gegen einen Zahlungsbefehl bei zivilrechtlicher Klage auf Geldleistung. Trotz der Unterlassung des Widerspruchs steht im Rahmen des §8 Abs8 SBBG jederzeit noch die Möglichkeit einer Beschwerde offen (vgl dazu näher Teil III.4). Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesfinanzgerichts in Zusammenhang mit §8 Abs8 SBBG gründen somit auf einem falschen Verständnis der genannten Vorschrift.
7. Zum behaupteten Verstoß gegen den Grundsatz der Geschlossenheit des Rechtsquellensystems iS eines Rechtstypenzwangs
Nach Auffassung des Bundesfinanzgerichts widerspricht die Verdachtsmitteilung nach §8 Abs4 zweiter Satz SBBG iVm den Zustellbestimmungen des §8 Abs5 und 6 SBBG und der dagegen vorgesehene Rechtszug nach §8 Abs7, Abs8 und Abs9 erster Satz SBBG dem Grundsatz der Geschlossenheit des Rechtsquellensystems (Rechtstypenzwang). Dadurch würde der Rechtsschutz in wesentlichem Umfang unterminiert.
Dem tritt die Bundesregierung wie folgt entgegen:
Die Verdachtsmitteilung nach §8 Abs4 zweiter Satz SBBG hat – wie bereits erwähnt – keine Rechtsverbindlichkeit. Dies ergibt sich alleine schon aus den ua vom Bundesfinanzgericht genannten Erläuterungen zu §8 SBBG, worin es heißt: '(...) die Mitteilung nach Abs4 [ist] kein Bescheid' (vgl ErIRV 692 BlgNR XXV. GP 6). Die Mitteilung beinhaltet somit keine Verpflichtung, sie dient auch nicht dem Abschluss des Verfahrens zur Feststellung des Scheinunternehmens nach §8 SBBG. Damit handelt es sich bei der Verfahrensmitteilung sowie den sonstigen in diesem Zusammenhang vom Bundesfinanzgericht genannten Bestimmungen um – für die konkrete Materie erforderliche – verfahrensrechtliche Bestimmungen, die auf die rasche Erlassung des Rechtstypus Bescheid abzielen, damit die Nutzungsdauer von Scheinunternehmen verkürzt wird (vgl dazu Teil III.1).
Eine Verletzung des aus dem rechtstaatlichen Prinzip abgeleiteten verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Geschlossenheit des Rechtsquellensystem[s] im Sinne eines Rechtstypenzwangs ist somit im Ausgangsverfahren nicht erkennbar. Selbst wenn man die Verfahrensmitteilung als eigenständigen Rechtstyp sähe, mündet dieser – sollte es nicht zu einer Verfahrenseinstellung kommen – jedenfalls in einen (bekämpfbaren) Feststellungsbescheid, der letztlich durch das Bundesfinanzgericht, den Verwaltungsgerichtshof und den Verfassungsgerichtshof überprüfbar ist (vgl in diesem Sinne VfSlg 13.233/1992). Demzufolge lässt sich die Verfahrensmitteilung, die im Grunde genommen das Parteiengehör gewährleistet, durch ihr Einmünden in einen Bescheid mit dem in der Bundesverfassung vorgezeichneten Rechtsschutzsystem vereinbaren (vgl dazu etwa VfSlg 17.101/2004 zu den Leistungsvereinbarungen in §13 Universitätsgesetz 2002).
[…]"
4. Das Bundesfinanzgericht erstattete eine Replik, in der es der Äußerung der Bundesregierung im Wesentlichen mit der Begründung des Antrages entgegentritt.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
1.2. Ein von Amts wegen oder auf Antrag eines Gerichtes eingeleitetes Gesetzesprüfungsverfahren dient der Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren (vgl VfSlg 11.506/1987, 13.701/1994).
Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; VfGH 14.3.2017, G311/2016). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für das anfechtende Gericht präjudiziell sind und vor dem Hintergrund der Bedenken für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).
Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; VfSlg 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).
Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Gesetzesbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letztes liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).
Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Zunächst ist ein Antrag nicht zu weit gefasst, soweit das Gericht solche Normen anficht, die denkmöglich eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bilden und damit präjudiziell sind; dabei darf aber nach §62 Abs1 VfGG nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes aus welchem Grund aufgehoben werden soll (siehe mwN VfGH 2.3.2015, G140/2014 ua; vgl auch VfGH 10.12.2015, G639/2015; 15.10.2016, G103-104/2016 ua). Ist ein solcher Antrag in der Sache begründet, hebt der Verfassungsgerichtshof aber nur einen Teil der angefochtenen Bestimmungen als verfassungswidrig auf, so führt dies — wenn die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen — im Übrigen zur teilweisen Abweisung des Antrages (VfSlg 19.746/2013; VfGH 5.3.2014, G79/2013 ua).
Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die für das antragstellende Gericht offenkundig keine Voraussetzung seiner Entscheidung im Anlassfall bilden und die somit nicht präjudiziell sind (insofern ist der Antrag zu weit gefasst), die mit den präjudiziellen (und nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes den Sitz der Verfassungswidrigkeit bildenden) Bestimmungen aber vor dem Hintergrund der Bedenken in einem Regelungszusammenhang stehen, so ist zu differenzieren: Sind diese Bestimmungen von den den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden präjudiziellen Bestimmungen offensichtlich trennbar, so führt dies zur teilweisen Zurückweisung des Antrages. Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die mit den präjudiziellen, den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden Bestimmungen in einem so konkreten Regelungszusammenhang stehen, dass es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ihre Aufhebung im Fall des Zutreffens der Bedenken erforderlich sein könnte (sind diese Bestimmungen also nicht offensichtlich trennbar), so ist der Antrag insgesamt zulässig (VfSlg 20.111/2016). Dies gilt nach dem vorhin Gesagten aber keinesfalls dann, wenn Bestimmungen mitangefochten werden (etwa alle eines ganzen Gesetzes), gegen die gar keine konkreten Bedenken vorgebracht werden und zu denen auch kein konkreter Regelungs-zusammenhang dargelegt wird (VfSlg 19.894/2014; VfGH 29.9.2015, G324/2015; 15.10.2016, G183/2016 ua).
Der Verfassungsgerichtshof entscheidet daher – vor dem Hintergrund der Bedenken und der Erforderlichkeit, die den Sitz der Bedenken bildenden Bestimmungen (bei geringstmöglichem Eingriff in den Gehalt der Rechtsordnung) zu ermitteln – über die Frage, ob gegebenenfalls auch Bestimmungen aufzuheben sind, die nicht präjudiziell sind, aber mit präjudiziellen Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (vgl zB VfSlg 19.939/2014, 20.086/2016), nicht im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Antrages, sondern im Einzelnen erst dann, wenn der Verfassungsgerichtshof, erweist sich der Antrag als begründet, den Umfang der aufzuhebenden Bestimmungen abzugrenzen hat.
1.3. Für den Verfassungsgerichtshof besteht kein Zweifel, dass das antragstellende Bundesfinanzgericht in dem bei ihm anhängigen Verfahren für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Beschwerde gegen den Feststellungsbescheid gemäß §8 Abs8 SBBG die angefochtenen Bestimmungen des §8 Abs4 zweiter Satz, Abs6, Abs7, Abs8 und Abs12 Z1 sowie Z2 erster Satz SBBG anzuwenden hat. Die zudem angefochtene Bestimmung des §8 Abs5 SBBG betreffend die elektronische Zustellung steht mit diesen (präjudiziellen) Bestimmungen nicht offenkundig in keinem Zusammenhang. Insoweit erweist sich der Antrag – anders als die Bundesregierung meint – auch betreffend den §8 Abs5 SBBG als zulässig. Gleiches gilt für die darüber hinaus angefochtenen Wortfolgen in §8 Abs9 und Abs12 Z3 SBBG.
Da sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, ist der (Haupt-)Antrag auf Aufhebung des §8 Abs4 zweiter Satz, Abs5, Abs6, Abs7, Abs8, Abs9 erster Satz und Abs12 Z1, Z2 erster Satz sowie Z3 zweiter Satz SBBG zulässig. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die Eventualanträge.
2. In der Sache
Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
Der Antrag ist nicht begründet.
2.1. Zu den Bedenken gegen §8 Abs5, Abs6 und Abs8 zweiter Satz SBBG:
2.1.1. Das Bundesfinanzgericht wendet sich in seinem Antrag zunächst gegen die Regelungen über die Zustellung ohne Zustellnachweis an (verdächtigte) Scheinunternehmen in §8 Abs5, Abs6 und Abs8 zweiter Satz SBBG. Die Bestimmungen, wonach zum einen die Mitteilung über den Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens (§8 Abs4 zweiter Satz SBBG) sowie zum anderen der (bei unterlassenem Widerspruch ergehende) Feststellungsbescheid, das betroffene Unternehmen gelte als Scheinunternehmen (§8 Abs8 erster Satz SBBG), jeweils ohne Zustellnachweis erfolgt, verstießen gegen den Gleichheitsgrundsatz sowie gegen das aus dem rechtsstaatlichen Prinzip abgeleitete Gebot des effektiven Rechtsschutzes. Bei der Verdachtsmitteilung gemäß §8 Abs4 zweiter Satz SBBG sowie dem Feststellungsbescheid über das Vorliegen eines Scheinunternehmens gemäß §8 Abs8 SBBG handle es sich um für den Adressaten "wichtige Angelegenheiten" iSd §102 erster Satz BAO. Durch die angefochtenen Bestimmungen sei – anders als bei vergleichbar wichtigen Angelegenheiten iSd §102 erster Satz BAO oder auch im gerichtlichen Strafverfahren (§82 StPO) – keine "verlässlich nachvollziehbare" Zustellung mit Zustellnachweis (§§17, 22 ZustG), sondern die Zustellung ohne Zustellnachweis gemäß §26 ZustG vorgesehen. Die bekämpften Bestimmungen ermöglichten, dass die genannten Schriftstücke – wie im Anlassverfahren – durch Ankleben an der Eingangstüre der Abgabestelle des Empfängers zurückgelassen werden könnten, wodurch nicht sichergestellt sei, dass der Adressat des Schriftstückes dieses tatsächlich erhalte. Hingegen sei die Wahrscheinlichkeit, dass die Zustellung mit Zustellnachweis gemäß §§17, 22 ZustG tatsächlich funktioniere und richtig dokumentiert werde, wesentlich höher, weil der Empfänger in die Dokumentation der Zustellung mit Zustellnachweis eingebunden werde. Nach Rechtsauffassung des Bundesfinanzgerichtes bewirkten die angefochtenen Regelungen zur physischen Zustellung ohne Zustellnachweis eine gleichheitswidrige Differenzierung im Vergleich zu anderen wichtigen Angelegenheiten, für die eine Zustellung mit Zustellnachweis gemäß §102 BAO (etwa §8 Abs9 zweiter Satz SBBG) bestimmt sei.
Zudem liege eine unsachliche Gleichbehandlung im Hinblick auf "richtige" Abgabestellen einerseits und "falsche" Abgabestellen andererseits durch die Regelungen betreffend eine Zustellung ohne Zustellnachweis nach §8 Abs6 SBBG vor. Die Zustellung ohne Zustellnachweis gelte gemäß §8 Abs6 SBBG unterschiedslos für sämtliche Adressaten und differenziere – in gleichheitswidriger Weise – nicht dahin, ob das betreffende (Schein-)Unternehmen eine richtige oder eine falsche Abgabestelle bekannt gegeben habe. Für Unternehmen, die eine richtige Abgabestelle bekannt gegeben hätten und für die daher (im Fall des Nichtantreffens des Empfängers) eine Zustellung durch Hinterlegung gemäß §17 ZustG in Frage käme, schließe §8 Abs6 SBBG die Hinterlegung gemäß §17 ZustG – wie bei falschen Abgabestellen – aus.
2.1.2. Die Bundesregierung hält den Bedenken in ihrer Äußerung entgegen, dass Zustellungen ohne Zustellnachweis nicht in jedem Fall unsicherer seien als Zustellungen mit Zustellnachweis. Die Kenntnisnahme von Schriftstücken hänge im Allgemeinen – unabhängig davon, ob die Zustellung mit oder ohne Zustellnachweis erfolge – vom Verhalten des jeweiligen Empfängers ab. Sofern sich ein Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens (zu Unrecht) gegen ein seriös agierendes Unternehmen richten sollte, habe es dieses selbst in der Hand, durch entsprechende Vorkehrungen von einer Verdachtsmitteilung gemäß §8 Abs4 zweiter Satz SBBG Kenntnis zu erlangen und Widerspruch zu erheben. Auch bei einer Zustellung mit Zustellnachweis sei nicht sichergestellt, dass der Betroffene in jedem Fall Kenntnis vom Inhalt des Schriftstückes erhalte, zumal im Fall des §17 ZustG das (hinterlegte) Schriftstück am Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird, auch bei Nichtbehebung innerhalb von zwei Wochen als wirksam zugestellt gelte (vgl §17 Abs3 zweiter Satz ZustG). Eine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung liege nicht vor, weil beide Arten der Zustellung (mit und ohne Zustellnachweis) jeweils im Hinblick auf ihre "Sicherheit" gleichwertig seien.
2.1.3. Der Verfassungsgerichtshof teilt die unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes vorgebrachten Bedenken gegen §8 Abs5, Abs6 und Abs8 zweiter Satz SBBG nicht:
2.1.3.1. Dem Gesetzgeber sind durch den Gleichheitsgrundsatz insofern inhaltliche Schranken gesetzt, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl zB VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001) sowie sachlich nicht begründbare Differenzierungen vorzunehmen (vgl VfSlg 8169/1977, 15.590/1999, 18.269/2007). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002).
2.1.3.2. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ist dem Bundesfinanzgericht zwar zuzustimmen, dass es sich bei der Mitteilung über den Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens (§8 Abs4 zweiter Satz SBBG) sowie beim Bescheid über die Feststellung, dass ein Scheinunternehmen vorliegt (§8 Abs8 erster Satz SBBG), um mit den "wichtigen Angelegenheiten" iSd §102 erster Satz BAO vergleichbare behördliche Dokumente ("schriftliche Ausfertigungen") handelt. Das Bundesfinanzgericht lässt jedoch in seinem Antrag außer Acht, dass die angefochtenen (Sonder-)Bestimmungen zur Zustellung dieser Dokumente den besonderen Merkmalen des Adressaten, nämlich eines (verdächtigten) Scheinunternehmens iSd §8 Abs1, Abs2 und Abs3 SBBG, Rechnung tragen.
Bei einem "Scheinunternehmen" iSd §8 SBBG handelt es sich um einen Rechtsträger, der einen geschäftlichen Betrieb nur zum Schein zum Zweck der Abgabenverkürzung oder des unrechtmäßigen Bezuges von Transferleistungen angibt (§8 Abs1 SBBG; Erläut zur RV 692 BlgNR 25. GP , 4). Die angefochtenen Bestimmungen des §8 Abs5, Abs6 und Abs8 zweiter Satz SBBG regeln die Zustellung der Mitteilung des Verdachtes auf Vorliegen eines solchen Scheinunternehmens (§8 Abs4 zweiter Satz SBBG) und des Feststellungsbescheides über das Vorliegen eines Scheinunternehmens bei unterlassenem Widerspruch (§8 Abs8 SBBG). §8 Abs6 und Abs8 zweiter Satz SBBG sieht vor, dass diese Schriftstücke im Fall der fehlenden Möglichkeit der elektronischen Zustellung jeweils physisch ohne Zustellnachweis (§26 ZustG) an das (verdächtigte) Scheinunternehmen zuzustellen sind. Als Abgabestelle iSd §2 Z4 ZustG gelten die der Abgabenbehörde zuletzt bekannt gegebene Adresse und eine allfällig im Firmenbuch eingetragene Geschäftsanschrift (§8 Abs6 erster Satz SBBG). Ist nun an der Abgabestelle der Empfänger (§13 Abs3 ZustG) oder ein Vertreter (§16 Abs1 ZustG) nicht (persönlich) anzutreffen, kann das jeweilige Schriftstück durch Einlegen in die Abgabeeinrichtung (§17 Abs2 ZustG) oder – bei fehlender Abgabeeinrichtung – durch Zurücklassen an der Abgabestelle (etwa durch Ankleben an die Eingangstüre) wirksam zugestellt werden. Die Zustellung wird ungeachtet der Abwesenheit des Empfängers am Tag des Einlegens bzw Zurücklassens durch die Abgabenbehörde bzw am dritten Tag nach Übergabe an den Zustelldienst jedenfalls wirksam bewirkt (§8 Abs6 SBBG in Abweichung zu §26 Abs2 zweiter und dritter Satz ZustG).
2.1.3.3. Das Vorbringen des Bundesfinanzgerichtes verkennt zunächst, dass die – vom Bundesfinanzgericht für geboten erachtete – Zustellung mit Zustellnachweis, die im Fall des Nichtantreffens des Empfängers die Hinterlegung des Schriftstückes gemäß §17 ZustG vorsieht, bei einem (verdächtigten) Scheinunternehmen regelmäßig von vornherein nicht in Betracht kommen wird: Gemäß §17 Abs1 ZustG ist eine Hinterlegung nur dann möglich, wenn der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter regelmäßig an der Abgabestelle aufhält (vgl dazu Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely, Österreichisches Zustellrecht², 2012, §17 ZustG Rz 4). Hegt die Abgabenbehörde den Verdacht, dass ein Scheinunternehmen iSd §8 Abs1, Abs2 und Abs3 SBBG vorliegt und die bekannt gegebene Adresse die Abgabestelle eines bestimmten nur zum Schein betriebenen Unternehmens bezeichnet, kann der Gesetzgeber vertretbarerweise im Allgemeinen davon ausgehen, dass sich der Adressat der Dokumente regelmäßig nicht an der betreffenden Abgabestelle aufhält oder dass es sich nicht um eine Abgabestelle iSd §2 Z4 ZustG handelt. Die Materialien sowie die Bundesregierung in ihrer Äußerung weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es sich bei den "offiziellen Firmensitzen" von Scheinunternehmen regelmäßig um nichtexistente Türnummern, verwaiste Kellerabteile, Lagerräume in Innenhöfen oder reine Briefkastenadressen handle (Erläut zur RV 692 BlgNR 25. GP , 4). Die rechtswirksame Zustellung durch Hinterlegung gemäß §17 ZustG scheidet in diesen Fällen bei (verdächtigten) Scheinunternehmen aus.
2.1.3.4. Der vom Bundesfinanzgericht angestellte Vergleich zwischen einerseits Angelegenheiten, bei denen eine (physische) Zustellung mit Zustellnachweis (insbesondere "wichtigen Angelegenheiten" gemäß §102 erster Satz BAO iVm §§17, 22 ZustG) vorgesehen ist, und andererseits den angefochtenen Regelungen des §8 Abs5, Abs6 und Abs8 zweiter Satz SBBG, die eine Zustellung ohne Zustellnachweis vorsehen, lässt die Besonderheit des (verdächtigten) Scheinunternehmers als Empfänger der behördlichen Erledigungen außer Betracht. Bei den Adressaten einer Verdachtsmitteilung (§8 Abs4 zweiter Satz SBBG) und eines Bescheides nach §8 Abs8 SBBG handelt es sich definitionsgemäß – im Unterschied zu Adressaten von behördlichen Dokumenten iSd §102 BAO – um Unternehmen, die einen bestimmten geschäftlichen Betrieb eben nur dem Anschein nach, zum Zweck der Verkürzung von Abgaben und Beiträgen sowie zur Erschleichung von Versicherungs-, Sozial- oder sonstigen Transferleistungen führen. Anders als das Bundesfinanzgericht (auch im Hinblick auf die Behauptung der unsachlichen Gleichbehandlung von Unternehmen bei der Qualifikation als Abgabestelle gemäß §8 Abs6 SBBG) offenbar meint, kommen die angefochtenen Bestimmungen über die Zustellung nach §8 Abs5, Abs6 und Abs8 zweiter Satz SBBG nur zur Anwendung, wenn ein Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens gemäß §8 Abs2 und Abs3 SBBG besteht. Vor diesem Hintergrund vermag das Vorbringen des Antrages keine Gleichheitswidrigkeit des §8 Abs5, Abs6 und Abs8 SBBG aufzuzeigen.
2.1.3.5. Soweit das Bundesfinanzgericht zudem eine unzulässige Ungleichbehandlung darin erblickt, dass der Bescheid über die Feststellung des Vorliegens eines Scheinunternehmens nach erhobenem Widerspruch gemäß §8 Abs9 SBBG (anders als bei unterlassenem Widerspruch gemäß §8 Abs8 SBBG) mit Zustellnachweis zugestellt werde, erweist sich auch dieses Bedenken als unbegründet.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass §8 Abs9 zweiter Satz SBBG zwar (im Unterschied zu §8 Abs6 SBBG) die Zustellung mit Zustellnachweis gemäß §102 BAO vorsieht, §8 Abs9 vierter Satz SBBG jedoch eine dem §8 Abs6 zweiter Satz SBBG entsprechende Regelung trifft. Demgemäß ist es der zustellenden Behörde (auch) möglich, die Verständigung über die Hinterlegung des Feststellungsbescheides gemäß §8 Abs9 SBBG ungeachtet der Abwesenheit des Empfängers durch Zurücklassen an der Abgabestelle wirksam zuzustellen.
Die (nur) im Fall des §8 Abs9 SBBG vorgesehene physische Zustellmöglichkeit durch Hinterlegung ist insoweit sachlich gerechtfertigt, als die Behörde im Fall des erhobenen Widerspruches gegen die Verdachtsmitteilung (§8 Abs4 SBBG) zu Recht – wegen der zuvor behobenen Verdachtsmitteilung – gemäß §17 Abs1 ZustG davon ausgehen kann, dass sich der Empfänger des Feststellungsbescheides regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. In Anbetracht dieses Umstandes in Fällen des §8 Abs9 SBBG erweist sich die (differenzierende) Regelung als geboten. Eine unsachliche Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte liegt sohin auch im Hinblick auf §8 Abs9 SBBG nicht vor.
2.1.3.6. Schließlich teilt der Verfassungsgerichtshof auch das Bedenken, die Zustellung gemäß §8 Abs6 und Abs8 zweiter Satz SBBG verstoße gegen das allgemeine Sachlichkeitsgebot, nicht: Es ist dem Gesetzgeber aus dem Blickwinkel des allgemeinen Sachlichkeitsgebotes nicht entgegenzutreten, wenn er dem Umstand, dass bei der Abgabestelle eines (verdächtigten) Scheinunternehmens iSd §8 Abs1, Abs2 und Abs3 SBBG regelmäßig weder deren Vertreter bzw ein Ersatzempfänger anzutreffen sein wird, damit begegnet, dass dieses betreffende behördliche Schriftstücke (letztlich) durch Zurücklassen an der Abgabestelle wirksam zugestellt werden können. Eine solche Regelung ist sachlich gerechtfertigt, weil anderenfalls eine Zustellung von Schriftstücken an (verdächtigte) Scheinunternehmen – die ihrer Natur nach oftmals gerade nicht über einen anwesenden Empfänger bzw Vertreter noch über eine Abgabeeinrichtung an der Abgabestelle verfügen (vgl Erläut zur RV 692 BlgNR 25. GP , 4) – nicht rechtswirksam erfolgen könnte.
2.2. Zu den Bedenken gegen §8 Abs8 erster Satz SBBG:
2.2.1. Das Bundesfinanzgericht erachtet §8 Abs8 erster Satz SBBG für verfassungswidrig, weil die Bestimmung nach der Rechtsauffassung des Bundesfinanzgerichtes vorsehe, dass im Fall des unterbliebenen Widerspruches gegen die Verdachtsmitteilung (§8 Abs4 zweiter Satz SBBG) ein Feststellungsbescheid über das Vorliegen eines Scheinunternehmens alleine auf Grundlage eines Verdachtes ergehe. In einem allfälligen Beschwerdeverfahren gegen den Feststellungsbescheid vor dem Bundesfinanzgericht könne dieses lediglich überprüfen, ob die bescheiderlassende Abgabenbehörde die Verwirklichung des Tatbestandes des §8 Abs8 erster Satz SBBG (der nur in der Begründung eines Verdachtes gemäß §8 Abs2 SBBG bestehe) zu Recht angenommen habe. §8 Abs8 erster Satz SBBG verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, das rechtsstaatliche Prinzip sowie gegen Art87 Abs1, Art130 Abs1 Z1, Art130 Abs4 und Art132 Abs1 Z1 B‑VG.
2.2.2. Die Bundesregierung meint demgegenüber in ihrer Äußerung, dass der Feststellungsbescheid über das Vorliegen eines Scheinunternehmens gemäß §8 Abs8 SBBG nicht alleine auf Grundlage eines Verdachtes ergehe. Der – auf behördlichen Ermittlungen beruhende – Verdacht iSd §8 Abs2 und Abs3 SBBG sei zunächst Grundlage für die Verdachtsmitteilung, wobei der unterlassene Widerspruch gegen eine solche Mitteilung ein weiteres starkes Indiz für das Vorliegen eines Scheinunternehmens iSd §8 Abs1 SBBG sei. Die verfassungsrechtlichen Bedenken seien zudem unbegründet, weil das Bundesfinanzgericht in einem Beschwerdeverfahren gegen einen gemäß §8 Abs8 SBBG ergangenen Feststellungsbescheid volle Kognitionsbefugnis habe, ermitteln könne und neue Umstände entsprechend zu berücksichtigen seien (§270 BAO).
2.2.3. Der Verfassungsgerichtshof teilt die Bedenken des Bundesfinanzgerichtes im Hinblick auf §8 Abs8 erster Satz SBBG nicht:
2.2.3.1. Gemäß §8 Abs8 erster Satz SBBG hat die Abgabenbehörde, wenn kein Widerspruch gegen eine Verdachtsmitteilung erhoben wird, mit Bescheid festzustellen, dass das Unternehmen, hinsichtlich dessen ein Verdacht nach §8 Abs2 SBBG vorliegt, als Scheinunternehmen gilt. Im Unterschied zur offenbaren Auffassung des Bundesfinanzgerichtes wird der "Verdacht" auf Vorliegen eines Scheinunternehmens iSd §8 Abs8 erster Satz SBBG durch den Gesetzgeber in §8 Abs2 und Abs3 SBBG näher umschrieben: Eine Verdachtsmitteilung hat seitens der Abgabenbehörde nur dann zu ergehen, wenn konkrete und gewichtige Anhaltspunkte Zweifel begründen, ob die Anmeldung zur Sozialversicherung oder die Meldung bei der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse vom Vorsatz getragen ist, die in Folge der Anmeldung oder Meldung auflaufenden Lohn- und Sozialabgaben oder Zuschläge nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz (BUAG) zur Gänze zu entrichten (§8 Abs2 Z1 SBBG), oder die Anmeldung zur Sozialversicherung vom Vorsatz getragen ist, dass die angemeldeten Personen eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen (§8 Abs2 Z2 SBBG). Die Abgabenbehörde hat dazu – vor Erlass einer Verdachtsmitteilung gemäß §8 Abs4 zweiter Satz SBBG – Ermittlungen vorzunehmen (§8 Abs2 letzter Satz SBBG, siehe im Übrigen auch §115 Abs1 BAO).
Von einer Verdachtsmitteilung betroffene Rechtsträger können zunächst durch die Erhebung eines Widerspruches im Wege der mündlichen Vorsprache bei der Abgabenbehörde dartun, dass ein Verdacht iSd §8 Abs2 und Abs3 SBBG (und damit auch ein Scheinunternehmen iSd §8 Abs1 SBBG) nicht vorliegt oder nicht begründet ist. Die Abgabenbehörde hat allerdings auch bei Nichterhebung eines Widerspruches gegen die Verdachtsmitteilung von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln (§115 Abs1 BAO) und hat auch auf neue Tatsachen, die ihr zur Kenntnis gelangen, oder Anregungen Bedacht zu nehmen (§270 erster Satz BAO). Im Beschwerdeverfahren gegen einen gemäß §8 Abs8 erster Satz SBBG ergangenen Feststellungsbescheid ist es dem betroffenen Unternehmen weiterhin möglich – wie auch das Bundesfinanzgericht in seinem Antrag einräumt –, darzulegen, dass kein Verdacht iSd §8 Abs2 und Abs3 SBBG (und damit auch kein Scheinunternehmen iSd §8 Abs1 SBBG) vorliegt.
2.2.3.2. Der Verfassungsgerichtshof geht somit – entgegen der Rechtsauffassung des Bundesfinanzgerichtes – davon aus, dass im Fall des Nichtvorliegens eines Scheinunternehmens gemäß §8 Abs1 SBBG auch ein entsprechendes Beschwerdevorbringen gegen einen Feststellungsbescheid nach §8 Abs8 erster Satz SBBG begründet und vom Bundesfinanzgericht wahrzunehmen ist. Vor diesem Hintergrund erweisen sich die Bedenken des Bundesfinanzgerichtes – auch unter dem Blickwinkel des rechtsstaatlichen Prinzipes sowie im Lichte des Art87 Abs1, Art130 Abs1 Z1, Art130 Abs4 und Art132 Abs1 Z1 B‑VG – gegen §8 Abs8 erster Satz SBBG als unzutreffend.
2.3. Zu den Bedenken gegen §8 Abs7 und Abs12 Z2 erster Satz SBBG:
2.3.1. Das Bundesfinanzgericht äußert Bedenken gegen die zum einen in §8 Abs7 SBBG und zum anderen in §8 Abs12 Z2 erster Satz SBBG jeweils vorgesehene einwöchige Frist zur Erhebung eines Widerspruches gegen die Verdachtsmitteilung bzw einer Beschwerde gegen den Feststellungsbescheid über das Vorliegen eines Scheinunternehmens im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz und das rechtsstaatliche Prinzip. Die Frist von einer Woche sei in Anbetracht der Notwendigkeit zur "Erörterung komplexer Tatfragen" zu kurz, um vom Widerspruchs- bzw Beschwerderecht effektiv Gebrauch machen zu können. Es gebe keine sachliche Rechtfertigung dafür, dass im Verfahren nach §8 SBBG eine erheblich kürzere (Widerspruchs- bzw Beschwerde-)Frist gelte als die im Abgabenverfahren ansonsten vorgesehene vierwöchige Beschwerdefrist (§245 Abs1 BAO).
2.3.2. Die Bundesregierung begründet die in den angefochtenen Bestimmungen jeweils vorgesehene einwöchige Frist zur Erhebung eines Widerspruches bzw einer Beschwerde damit, dass bei Scheinunternehmen iSd §8 Abs1 SBBG ein besonderes Interesse an der raschen Verfahrensführung bestehe. Ziel des Verfahrens nach §8 SBBG und der an die Feststellung des Vorliegens eines Scheinunternehmens knüpfenden Rechtsfolgen (insbesondere §8 Abs10 und Abs11 SBBG, §9 SBBG, §11 Abs7, §33 Abs1c und §35a ASVG) sei es, die "Nutzungsdauer" von Scheinunternehmen und den durch solche versuchten "enormen (volkswirtschaftlichen) Schaden" zu minimieren. Die Frist zur Erhebung eines Widerspruches und einer Beschwerde in der Dauer von jeweils einer Woche sei vor dem Hintergrund dieser Ziele gerechtfertigt. Zudem führt die Bundesregierung ins Treffen, dass im Beschwerdeverfahren gemäß §270 BAO kein Neuerungsverbot gelte; eine "einfach gehaltene Beschwerde" innerhalb der einwöchigen Frist reiche daher aus. Im Fall der Fristversäumnis wegen eines unvorhergesehenen und unabwendbaren Ereignisses bestehe die Möglichkeit eines Antrages auf Wiedereinsetzung gemäß §308 BAO.
2.3.3. Der Verfassungsgerichtshof hat sich mit der sachlichen Rechtfertigung von Fristen unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes bereits wiederholt befasst und festgestellt, dass die Bemessung einer Frist nur dann sachlich nicht gerechtfertigt wäre, wenn sie jeglicher Erfahrung entgegenstünde (s VfSlg 5484/1967, 9314/1982, 15.661/1999; VfGH 3.12.2018, G103/2018; 12.3.2019, G329/2018). Dem Gesetzgeber kommt bei der Festsetzung der Frist sohin ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu; verfassungsrechtliche Grenzen sind durch den Gleichheitsgrundsatz insbesondere dahin gesetzt, dass die festgesetzte Frist – von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehend – hinreichen muss, um das Rechtsmittel auszuführen und einzubringen. Anderenfalls wäre Verfahrensbeteiligten durch die Frist der Zugang zum Gericht faktisch verwehrt und wäre eine solche Regelung mit dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot unvereinbar (vgl VfSlg 5484/1967, 9314/1982, 15.661/1999, 16.641/2012).
2.3.4. Diese Grenzen hat der Gesetzgeber durch die angefochtenen Bestimmungen des §8 Abs7 und Abs12 Z2 erster Satz SBBG nicht überschritten:
2.3.4.1. Es ist dem Gesetzgeber aus der Sicht des Gleichheitsgrundsatzes nicht entgegenzutreten, wenn er vor dem Hintergrund des öffentlichen Interesses an der ehestmöglichen Feststellung des Vorliegens eines Scheinunternehmens die Frist zur Erhebung eines Widerspruches gemäß §8 Abs7 SBBG und zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Feststellungsbescheid gemäß §8 Abs12 Z2 erster Satz SBBG mit jeweils einer Woche festlegt. Im Hinblick auf die einwöchige Frist zur Erhebung eines Widerspruches gemäß §8 Abs7 SBBG gewährleistet diese ihrer Dauer und dem mit einer persönlichen Vorsprache bei der Abgabenbehörde verbundenen Aufwand nach, dass ein Widerspruch effektiv wahrgenommen werden kann. Auch einem gegen den Feststellungsbescheid Rechtsschutzsuchenden ist durch die Frist von einer Woche gemäß §8 Abs12 Z2 erster Satz SBBG gewährleistet, das Rechtsmittel der Beschwerde innerhalb dieser Frist in einer Weise ausführen zu können, die sowohl dem Inhalt des anzufechtenden Feststellungsbescheides als auch dem zu dieser Entscheidung führenden, allenfalls mit Mängeln belasteten Verfahren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht adäquat ist. Für eine Beschwerde nach §8 Abs12 Z4 SBBG sind keine besonderen inhaltlichen Voraussetzungen vorgesehen und überdies besteht im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht gemäß §270 zweiter Satz BAO kein Neuerungsverbot (vgl auch VfSlg 15.218/1998, 15.529/1999, 15.786/2000).
2.3.4.2. Soweit das Bundesfinanzgericht im Übrigen eine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung durch die angefochtenen Fristenregelungen im Vergleich zu Rechtsmittelfristen in anderen (Straf-)Verfahren behauptet, ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes der bloße Vergleich der Länge von Rechtsmittelfristen ohne Berücksichtigung des jeweiligen Systems des Rechtsmittelrechtes nicht aussagekräftig ist (vgl zB VfSlg 15.786/2000; VfGH 12.3.2019, G329/2019).
2.3.4.3. Die Bedenken des Antrages zur Dauer der Frist nach §8 Abs7 und Abs12 Z2 erster Satz SBBG erweisen sich daher unter dem Blickpunkt des Gleichheitsgrundsatzes und rechtsstaatlicher Grundsätze als nicht berechtigt.
2.3.4.4. Für den Verfassungsgerichtshof ist auch nicht ersichtlich, inwiefern die angefochtenen Bestimmungen des §8 SBBG gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit (Art87 Abs1 B‑VG) oder gegen Art130 Abs1 Z1, Art130 Abs4 und Art132 Abs1 Z1 B‑VG verstoßen könnten.
V. Ergebnis
1. Die ob der Verfassungsmäßigkeit des §8 Abs4 zweiter Satz, Abs5, Abs6, Abs7, Abs8, Abs9 erster Satz sowie Abs12 Z1, Z2 erster Satz und Z3 zweiter Satz SBBG erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag ist daher abzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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