Normen
B-VG Art136 Abs2
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
AsylG 2005 §22 Abs12
VwGVG §7 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2016:G574.2015
Spruch:
I. §22 Abs12 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I Nr 100 idF BGBl I Nr 68/2013, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
II. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
III. Die aufgehobene Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.
IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren und Vorverfahren
1.1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E615/2015 eine auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Der Beschwerdeführer des Anlassverfahrens, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 16. August 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 12. November 2014 wurde sein Antrag gemäß §5 Abs1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Ungarn gemäß Art18 Abs1 litb Dublin III‑Verordnung zur Prüfung des Antrages zuständig sei, sowie die Außerlandesbringung gemäß §61 Abs1 FPG angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ungarn gemäß §61 Abs2 FPG zulässig sei. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer des Anlassverfahrens am 17. November 2014 rechtswirksam zugestellt. Am 28. November 2014 erhob dieser Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Dieses wies die Beschwerde mit Beschluss vom 30. Jänner 2015 unter Berufung auf §22 Abs12 AsylG 2005 als verspätet zurück.
1.2. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §22 Abs12 AsylG 2005 idF BGBl I 68/2013 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 24. September 2015 gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B‑VG beschlossen, diese Gesetzesbestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.
2. Die Bundesregierung teilte dem Verfassungsgerichtshof im Rahmen des zu G574/2015 protokollierten amtswegigen Gesetzesprüfungsverfahrens mit, dass sie von einer Stellungnahme in der Sache Abstand nehme. Die übrigen Parteien des beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Ausgangsverfahrens haben sich am Gesetzesprüfungsverfahren nicht beteiligt.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1. Art136 Abs2 B‑VG lautet:
"(2) Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Verwaltungsgerichtes des Bundes für Finanzen wird durch ein besonderes Bundesgesetz einheitlich geregelt. Der Bund hat den Ländern Gelegenheit zu geben, an der Vorbereitung solcher Gesetzesvorhaben mitzuwirken. Durch Bundes- oder Landesgesetz können Regelungen über das Verfahren der Verwaltungsgerichte getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind oder soweit das im ersten Satz genannte besondere Bundesgesetz dazu ermächtigt."
2. §7 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl I 33/2013, regelt das Beschwerderecht an die Verwaltungsgerichte gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit gemäß Art130 Abs1 B‑VG; Abs4 des §7 sieht über die Beschwerdefrist vor:
"(4) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde gemäß Art130 Abs1 Z1 B‑VG, gegen Weisungen gemäß Art130 Abs1 Z4 B‑VG oder wegen Rechtswidrigkeit des Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art130 Abs2 Z1 B‑VG beträgt vier Wochen. […]"
3. Der in Prüfung gezogene §22 Abs12 AsylG 2005 in der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung BGBl I 68/2013 sieht für zurückweisende Entscheidungen in Asylsachen eine einwöchige Beschwerdefrist vor und lautet:
"(12) Eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und einer damit verbundenen Rückkehrentscheidung oder Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG ist binnen einer Woche einzubringen."
Als "zurückweisende Entscheidung" im Sinne dieser Bestimmung kommt die Zurückweisung wegen Drittstaatsicherheit (gegenwärtig §4 AsylG 2005 idF BGBl I 87/2012), wegen Schutzes im EWR-Staat oder in der Schweiz (gegenwärtig §4a AsylG 2005 idF BGBl I 70/2015), wegen Zuständigkeit eines anderen Staates (gegenwärtig §5 AsylG 2005 idF BGBl I 87/2012) sowie wegen entschiedener Sache gemäß §68 Abs1 AVG in Betracht.
Im Einzelnen lauten diese Bestimmungen:
a) §4 AsylG 2005 idF BGBl I 87/2012:
"Drittstaatsicherheit
§4. (1) Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige in einem Staat, mit dem ein Vertrag über die Bestimmungen der Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages oder eines Antrages auf internationalen Schutz nicht besteht oder die Dublin - Verordnung nicht anwendbar ist, Schutz vor Verfolgung finden kann (Schutz im sicheren Drittstaat).
(2)-(5) [...]"
b) §4a AsylG 2005 idF BGBl I 70/2015:
"Schutz im EWR-Staat oder in der Schweiz
§4a. (1) Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat. §4 Abs5 gilt sinngemäß."
c) §5 AsylG 2005 idF BGBl I 87/2012:
"Zuständigkeit eines anderen Staates
§5. (1) Ein nicht gemäß §§4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des §9 Abs2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art8 EMRK führen würde.
(2) Gemäß Abs1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin - Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.
(3) [...]"
d) §68 Abs1 AVG idF BGBl I 33/2013:
"§68. (1) Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, sind, wenn die Behörde nicht den Anlaß zu einer Verfügung gemäß den Abs2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen."
4. Die allgemeine Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA war zu dem für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht maßgeblichen Zeitpunkt in §16 Abs1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I 78/2012 idF BGBl I 68/2013, geregelt. Diese Bestimmung lautete:
"§16. (1) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamtes beträgt, sofern nichts anderes bestimmt ist, zwei Wochen. §7 Abs4 erster Satz Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 ist, sofern es sich bei dem Fremden im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, nicht anwendbar."
Mit Erkenntnis vom 24. Juni 2015, G171/2015 ua., kundgemacht am 29. Juli 2015, BGBl I 84/2015, hob der Verfassungsgerichtshof §16 Abs1 BFA-Verfahrensgesetz idF BGBl I 68/2013 wegen Widerspruchs zu Art136 Abs2 B‑VG auf.
III. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens
Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Gesetzesprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.
2. Bedenken
Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:
"2.1. Gemäß Art136 Abs2 B‑VG wird das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Verwaltungsgerichtes des Bundes für Finanzen durch ein besonderes Bundesgesetz einheitlich geregelt. Durch Bundes- oder Landesgesetz können Regelungen über das Verfahren der Verwaltungsgerichte getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind oder soweit das im ersten Satz genannte besondere Bundesgesetz dazu ermächtigt.
Das von Art136 Abs2 B‑VG bezogene besondere Bundesgesetz, nämlich das VwGVG, ermächtigt im vorliegenden Zusammenhang zu keiner abweichenden Bestimmung. Es ist daher zu prüfen, ob §22 Abs12 AsylG 2005, der eine gegenüber §7 Abs4 VwGVG abweichende Beschwerdefrist von einer Woche vorsieht, zur Regelung des Gegenstandes im Sinne des Art136 Abs2 B‑VG erforderlich ist.
2.2. Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 2. Dezember 2014, G148/2014, ausgesprochen hat, entspricht das Kriterium der Erforderlichkeit einer Regelung in Art136 Abs2 B‑VG – folgend dem in den Erläuterungen deutlich werdenden Willen des Verfassungsgesetzgebers, bewusst den Wortlaut des Art11 Abs2 B‑VG nachzubilden – jenem des Art11 Abs2 letzter Halbsatz B‑VG in der Ausprägung, wie sie die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (beginnend mit VfSlg 8945/1980) zu Art11 Abs2 B‑VG entwickelt hat. Vom VwGVG abweichende Regelungen dürfen demnach nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes unerlässlich sind (siehe auch VfGH 12.3.2015, E58/2015).
In seiner Rechtsprechung zu Art11 Abs2 B‑VG hat der Verfassungsgerichtshof weiters den Grundsatz entwickelt, dass abweichende Regelungen dann keinesfalls als unerlässlich angesehen werden können, wenn sie anderen Verfassungsbestimmungen, insbesondere dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes, widersprechen (vgl. VfSlg 15.218/1998, 17.340/2004).
2.3. Mit Erkenntnis vom 24. Juni 2015, G171/2015 ua., hat der Verfassungsgerichtshof §16 Abs1 BFA-VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 68/2013, wegen Widerspruchs zu Art136 Abs2 B‑VG als verfassungswidrig aufgehoben. Diese Bestimmung verkürzte die vierwöchige Frist gemäß §7 Abs4 VwGVG zur Einbringung einer Beschwerde an das Verwaltungsgericht für alle Bescheide des Bundesamtes für Fremden- und Asylsachen mit wenigen Ausnahmen auf zwei Wochen, somit für fast alle Asylwerber oder Fremde betreffende Rechtssachen. Der Verfassungsgerichtshof konnte keine Gründe für eine Unerlässlichkeit dieser Bestimmung erkennen, auch aus den Gesetzesmaterialien ergaben sich keine und die Bundesregierung vermochte im Gesetzesprüfungsverfahren keine anzuführen.
Während des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht, das zu der nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpften Entscheidung führte, stand diese Bestimmung des §16 Abs1 BFA-VG noch in Geltung, sodass zum damaligen Zeitpunkt der hier in Prüfung zu nehmende §22 Abs12 AsylG 2005 eine weitere Verkürzung der Beschwerdefrist auf eine Woche für alle Fälle einer zurückweisenden Entscheidung in Asylsachen gegenüber einer sonst zweiwöchigen Frist brachte.
Die generelle Vorschrift für die Frist zur Erhebung einer Beschwerde an das Verwaltungsgericht ist aber §7 Abs4 VwGVG, der eine vierwöchige Frist vorsieht. Es ist daher in der Folge zu prüfen, ob die konkrete Ausnahme der einwöchigen Frist des §22 Abs12 AsylG 2005 gegenüber der vierwöchigen Frist des §7 Abs4 VwGVG unerlässlich im Sinne der Judikatur zu Art136 Abs2 B‑VG ist.
2.4. Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Judikatur zu Art11 Abs2 B‑VG wiederholt eingeräumt, dass das Verfahren zur Gewährung von Asyl Besonderheiten aufweist, die Abweichungen von den Bestimmungen des AVG erforderlich machen können (vgl. VfSlg 13.831/1994, 13.834/1994 und 13.838/1994), dies allerdings nur, wenn sie unerlässlich sind. In VfSlg 17.340/2004 fasste er sie folgendermaßen zusammen:
'Der Verfassungsgerichtshof geht in diesem Sinne davon aus, dass gesetzliche Maßnahmen, die von den Bestimmungen des AVG abweichen, aber die Vielzahl von Asylverfahren (30.135 im Jahr 2001, 39.354 im Jahr 2002 und 32.359 im Jahr 2003) berücksichtigen, dazu geeignet sind, der Beschleunigung der Verfahren zu dienen, 'erforderlich' iSd Art11 Abs2 B‑VG sind; dies jedoch nur insofern, als sie nicht anderen Verfassungsbestimmungen, etwa dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes, widersprechen. Ob die in den gegenständlichen Verfahren angefochtenen Bestimmungen, die insgesamt der Verfahrensbeschleunigung dienen sollen, gegen Art11 Abs2 B‑VG verstoßen, hängt also mit der Frage zusammen, ob sie den rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechen.'
Speziell zur Frage der erforderlichen Dauer von Rechtsmittelfristen ganz allgemein und im Asylverfahren im Besonderen hat der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 15.218/1998 – damals ging es um eine von der allgemeinen 14‑tägigen Berufungsfrist gemäß §63 Abs5 AVG abweichende zweitägige Frist für eine Berufung an den Unabhängigen Bundesasylsenat im Falle der Zurückweisung von Asylanträgen wegen Drittstaatsicherheit – Folgendes ausgeführt:
'Der Verfassungsgerichtshof hält also an seiner [...] Rechtsprechung fest, daß Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen (VfSlg 11.196/1986, 12.409/1990, 12.683/1991, 13.003/1992, 13.182/1992, 13.305/1992, 13.493/1993, 14.374/1995, 14.548/1996, VfGH 26.2.1997 V116/96). So hat der Gerichtshof im Zusammenhang mit den Voraussetzungen der sachgerechten Einbringung eines Rechtsmittels bereits in seinem Erkenntnis VfSlg 12.409/1990 ausgesprochen, daß die – nur einem eingeschränkten Personenkreis vorbehaltene – Möglichkeit der Kenntnisnahme von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes dem Erfordernis der faktischen Effizienz des Rechtsschutzes nicht genügt, da ohne Bedachtnahme auch auf diese Entscheidungen bestimmte Rechtsmittel nicht sachgerecht ausgeführt werden können. In diesem Sinn sind die Voraussetzungen bei einer für den Rechtsschutz maßgeblichen Regelung wie der über die Dauer einer Rechtsmittelfrist nur dann gegeben, wenn sie dem negativ beschiedenen potentiellen Rechtsschutzsuchenden gewährleistet, sein Rechtsmittel in einer Weise auszuführen, die sowohl dem Inhalt der anzufechtenden Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht adäquat ist als auch dem zu dieser Entscheidung führenden, allenfalls mit Mängeln belasteten Verfahren.
[...] Es ist davon auszugehen, daß der Asylwerber im Regelfall der deutschen Sprache nicht mächtig ist und daher schon zum rein sprachlichen Verständnis des ihm zugestellten Bescheides fremder Hilfe bedarf, zumal – wie auch in den Schriftsätzen dargetan ist – im hier in Betracht kommenden Fall einer negativen Erledigung auf dem Boden des §4 AsylG dem Asylwerber zwar der Spruch, die Rechtsmittelbelehrung, der Hinweis nach §61a AVG sowie eine Übersetzung des §4 AsylG als der maßgeblichen Gesetzesbestimmung, nicht jedoch die Begründung in einer ihm verständlichen Sprache zukommen muß (§29 AsylG). Hinzu tritt der Umstand, daß das rein sprachliche Verständnis des Bescheides (insbesondere der Begründung) – soweit ein solches unter Bedachtnahme auf die Fähigkeit des Bescheidadressaten zur vollständigen Erfassung einer u.U. knapp gehaltenen und notwendigerweise mit gewissen Fachausdrücken versehenen behördlichen Enuntiation überhaupt erzielt werden kann – zur sachgerechten Aktualisierung eines notwendigen Rechtsschutzes nicht ausreicht. Dem Rechtsschutzsuchenden muß vielmehr grundsätzlich auch das rechtliche Verständnis des Bescheides – einschließlich der rechtlichen Wertung des zur Bescheiderlassung führenden Verfahrens – möglich gemacht werden; demnach muß ihm die Möglichkeit geboten werden, sich der Hilfe einer fachkundigen (wenngleich nicht notwendigerweise rechtskundigen) Person als Beistand zu bedienen, was wohl häufig die Beiziehung einer weiteren, der Sprache des Asylwerbers mächtigen Person erfordert. Schließlich ist das Erfordernis gegeben, anzunehmende Mängel des Bescheides in materieller und formeller Hinsicht in die Form eines den Standpunkt des Asylwerbers deutlich zum Ausdruck bringenden Schriftsatzes zu kleiden und die damit verbundenen manipulativen Umstände zu bewältigen.'
3. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass – gemessen an den aus diesen Erkenntnissen hervorleuchtenden Gesichtspunkten – die einwöchige Frist zur Erhebung einer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen zurückweisende Entscheidungen gemäß §22 Abs12 AsylG 2005 gegen Art136 Abs2 B‑VG verstößt.
3.1. Der Verfassungsgerichtshof übersieht dabei nicht, dass er im erwähnten Erkenntnis VfSlg 15.218/1998 – die Begründung der Entscheidung zur Verdeutlichung ergänzend – eine Frist von einer Woche für das damals zu beurteilende Rechtsmittel gegen eine wegen Drittstaatsicherheit erfolgende Zurückweisung des Asylantrages eines Asylwerbers als Mindestmaß unter besonderen Umständen für ausreichend hielt.
3.2. Die nunmehr zu beurteilende abweichende Frist ist allerdings wegen Einrichtung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit unter gleichzeitiger Beseitigung des administrativen Instanzenzugs – die angeführten Erkenntnisse bezogen sich jeweils auf Berufungsfristen in einem solchen – im Rahmen eines anderen Rechtsschutzsystems zu betrachten.
Bereits im Erkenntnis vom 24. Juni 2015, G171/2015 ua., mit dem §16 Abs1 BFA-VG als verfassungswidrig aufgehoben wurde, der die allgemeine Beschwerdefrist des §7 Abs4 VwGVG von vier auf zwei Wochen bei Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl verkürzte, hat der Verfassungsgerichtshof die höhere Bedeutung der Verfahren vor den Verwaltungsgerichten im Vergleich zu jenen vor den Berufungsinstanzen des früheren Rechtsschutzsystems hervorgehoben. Im Erkenntnis vom 25. Juni 2015, G7/2015, hat er ausdrücklich die rechtsstaatliche Filterungsfunktion der Verwaltungsgerichte festgestellt.
3.3. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass §7 Abs4 VwGVG für eine Beschwerde an ein Verwaltungsgericht eine vierwöchige Frist vorsieht, anders als früher das AVG mit seiner zweiwöchigen Frist für Berufungen im administrativen Instanzenzug. Diese längere Frist dürfte nur mit den Besonderheiten eines gerichtlichen Verfahrens zu erklären sein. Im Gesetzesprüfungsverfahren wird zu klären sein, ob in diesem Sinne die einwöchige Frist des §22 Abs12 AsylG 2005 dem dem neuen System der Verwaltungsgerichtsbarkeit angemessenen Niveau an Rechtsstaatlichkeit entspricht. Insofern dürfte auch das Verfahren vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat, auf das sich das Erkenntnis VfSlg 15.218/1998 bezog, mit dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht vergleichbar sein.
3.4. Im Übrigen bestand im damaligen System noch die generelle Möglichkeit einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen Entscheidungen des Unabhängigen Bundesasylsenats (mit einer sechswöchigen Beschwerdefrist). Nach der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51, ist gegen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts gemäß Art133 Abs4 B‑VG nur noch das Rechtsmittel der Revision 'zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt'.
Wie der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 (RV 1618 BlgNR 24. GP , 16) in mehreren (zurückweisenden) Entscheidungen festgestellt hat, solle sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§500 ff. ZPO orientieren. Ausgehend davon sei der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung sei er im Allgemeinen nicht berufen. Auch könne einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitze. Der Verwaltungsgerichtshof sei nach dem Revisionsmodell nicht dazu berufen, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern – diese Aufgabe obliege den Verwaltungsgerichten (VwGH 20.01.2015, Ra 2015/02/0003; 26.2.2014, Ro 2014/04/0022; 24.3.2014, Ro 2014/01/0011; 23.9.2014, Ro 2014/01/0033).
3.5. Das Bundesverwaltungsgericht scheint also in Asylsachen die entscheidende Instanz der gerichtlichen Beurteilung zu sein. Damit dürfte die bloß einwöchige Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen die zurückweisende, also negative Erledigung eines Asylantrages nicht vereinbar sein. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass ungeachtet der Bezeichnung dieser Erledigungen als Zurückweisungen es sich dabei in vieler Hinsicht um Sachentscheidungen handelt, die mitunter die Klärung schwieriger Sachverhaltsfragen, die Durchführung einer Beweiswürdigung durch das Gericht und die Erörterung von teils schwierigen Rechtsfragen erfordern, dies unter den bereits von der Judikatur hervorgehobenen schwierigen Bedingungen, vor denen ein in der Regel der Verfahrenssprache nicht mächtiger Asylwerber im Asylverfahren steht.
4. Die Gesetzesmaterialien zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 (RV 330 BlgNR 24. GP , AB 387 BlgNR 24. GP ), mit dem die einwöchige Frist für Rechtsmittel gegen derartige Entscheidungen erstmals eingeführt wurde, begründen dies mit der Praxis bei Folgeanträgen in der Vergangenheit. Diese habe gezeigt, dass Fremde, deren Asylantrag ab- oder zurückgewiesen wurde, oftmals einen oder auch mehrere weitere Asylanträge gestellt hätten (diese Feststellung wird in den Materialien mit entsprechendem Datenmaterial untermauert). Diese Anträge würden oft nicht dem berechtigten Vorbringen neuer Asylgründe dienen, sondern allein auf die Verhinderung aufenthaltsbeendender Maßnahmen und damit auf die ungerechtfertigte Verlängerung des faktischen Aufenthalts in Österreich abzielen. Diese Vorgehensweise stelle für das Asylsystem eine enorme Belastung dar und gefährde den geordneten Vollzug des Fremdenwesens.
Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht die wirtschaftlichen und organisatorischen Belastungen, die auch aus nicht gerechtfertigtem Hinauszögern aufenthaltsbeendender Maßnahmen resultieren. Er hat in VfSlg 19.215/2010 Regelungen, die dem Missbrauch von Folgeanträgen zur Verhinderung von faktischen Maßnahmen der Abschiebung durch Aufhebung des Abschiebeschutzes entgegenwirken, vor dem Hintergrund der in den Gesetzesmaterialien wiedergegebenen Problemstellung als 'erforderlich' im Sinne des Art11 Abs2 B‑VG qualifiziert.
Im Gesetzesprüfungsverfahren wird zu prüfen sein, ob dieses Argument des Missbrauchs auch zur Rechtfertigung des §22 Abs12 AsylG 2005 ins Treffen geführt werden kann, wobei zu berücksichtigen sein wird, dass diese Bestimmung die Beschwerdefrist keineswegs nur bei Folgeanträgen, die gemäß §68 AVG zurückgewiesen werden, sondern auch bei Sachentscheidungen gemäß den §§4, 4a und 5 AsylG 2005 (die lediglich der Gesetzgeber ausdrücklich als 'Zurückweisungen' bezeichnet) auf eine Woche verkürzt.
Andererseits und vor allem dürfte aber vor dem Hintergrund des nun geschaffenen Rechtsschutzsystems, dessen Kern wie dargestellt in der gerichtlichen Überprüfung im Zuge des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht liegt, und der für die Abwicklung eines rechtsstaatlichen Standards genügenden Asylverfahrens – wozu die verwaltungsgerichtliche Überprüfung zählt – insgesamt erforderlichen Zeit die Verkürzung der Frist auf eine Woche für alle davon betroffenen Verfahren nicht von so ausschlaggebender Bedeutung sein, dass sie vor dem Hintergrund dieser rechtsstaatlichen Erfordernisse und der Möglichkeit, Missbrauch auch auf andere Weise entgegenzuwirken, als 'unerlässlich' qualifiziert werden kann."
3. In der Sache
Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich als zutreffend erwiesen; die Bundesregierung hat von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand genommen. Der Verfassungsgerichtshof hält daher an seiner im Prüfungsbeschluss vertretenen Auffassung fest: Die für den Fall einer Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung des BFA und einer damit verbundenen Rückkehrentscheidung oder Anordnung zur Außerlandesbringung in §22 Abs12 AsylG 2005 vorgesehene Verkürzung der allgemeinen Beschwerdefrist des §7 Abs4 VwGVG auf eine Woche ist nicht zur Regelung der vom AsylG 2005 erfassten Gegenstände erforderlich iSd Art136 Abs2 B‑VG (vgl. VfSlg 19.922/2014 mit Verweis auf die Rechtsprechung zu Art11 Abs2 B‑VG, beginnend mit VfSlg 8945/1980).
IV. Ergebnis
1. §22 Abs12 AsylG 2005 idF BGBl I 68/2013 ist daher wegen Verstoßes gegen Art136 Abs2 B‑VG als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B‑VG.
3. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich veranlasst, von der ihm durch Art140 Abs7 zweiter Satz B‑VG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch zu machen und auszusprechen, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.
4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlerszur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B‑VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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