VfGH G444/2015

VfGHG444/20157.10.2015

Zurückweisung eines Parteiantrags betreffend Bestimmungen des Allgemeinen Pensionsgesetzes infolge unzulässiger Abgrenzung des Aufhebungsumfanges

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
Allgemeines PensionsG §1 Abs3
VfGG §14a Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2015:G444.2015

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1.1. Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Steiermark, vom 1. Juli 2013 wurde der Antrag der nunmehrigen Antragstellerin auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab 1. Juni 2013 anerkannt und die monatliche Pension ab 1. Juni 2013 mit € 1.464,45 festgesetzt. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin fristgerecht Klage an das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht, da ihrer Ansicht nach die Pensionshöhe unrichtig berechnet worden sei. In der mündlichen Verhandlung wurde von der Antragstellerin zwar außer Streit gestellt, dass die Berechnung der Pensionshöhe durch Parallelrechnung durch die beklagte Partei in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen erfolgt sei. Eingewendet hat die Antragstellerin jedoch, dass die Pensionsberechnung durch Parallelrechnung gemäß §5 und 15 Allgemeines Pensionsgesetz, BGBl I 142/2004 idgF (im Folgenden: APG), in Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen erfolgt sei, wodurch die Antragstellerin in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden sei.

1.2. Mit Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. Juni 2015, Z43 Cgs 120/13m, wurde das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei (Pensionsversicherungsanstalt) sei schuldig, der klagenden Partei die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer über den im Bescheid vom 1. Juli 2013 festgesetzten Betrag von € 1.464,45 hinaus im gesetzlichen Ausmaß ab dem Stichtag 1. Juni 2013 zu bezahlen, abgewiesen und der Antrag auf Befassung des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art89 Abs2 B‑VG zur Prüfung der Verfassungskonformität der Bestimmungen des §1 Abs3 iVm §§5 und 15 APG zurückgewiesen.

1.3. Gegen dieses Urteil erhob die nunmehrige Antragstellerin am 25. September 2015 das Rechtsmittel der Berufung an das Oberlandesgericht Graz.

2. Mit Schriftsatz vom selben Tag stellte die Antragstellerin beim Verfassungsgerichtshof unter Anschluss einer Ausfertigung der Berufung den vorliegenden (entgegen §14a Abs4 VfGG iVm der GeO-VfGH über die elektronische Durchführung von Verfahren, BGBl II 218/2013, und der VO BGBl II 82/2013 nicht elektronisch eingebrachten), auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag,

"der Verfassungsgerichtshof wolle die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen des §1 Abs3 iVm §5 und §15 APG prüfen und

 

[…] die Wortfolge in §1 Absatz 3 APG: 'Auf Personen, die vor dem 01.01.1955 geboren sind (...)' als dem in Art7 BVG und Art2 StGG gewährleisteten Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz widersprechend aufheben und dem Gesetzgeber die Sanierung der Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung durch Einfügung der Wortfolge: 'Auf männliche Versicherte, die vor dem 1. Jänner 1954 geboren sind, und auf weibliche Versicherte, die vor dem 1. Jänner 1959 geboren sind (...)' auftragen"

 

sowie den im Spruch genannten Eventualantrag.

 

2.1. Die Antragstellerin werde durch die Entscheidung des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Die Abweisung des Klagebegehrens der Antragstellerin beruhe auf der Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen. Angesichts der bestehenden Rechtslage und der noch nicht erfolgten gänzlichen Angleichung des Pensionsantrittsalters komme es zu einer unsachlichen Differenzierung bei der Berechnung der Pensionshöhe zwischen Männern und Frauen. Obwohl das Pensionsantrittsalter von Männern und Frauen noch immer unterschiedlich sei, würden Frauen gegenüber Männern bei der Anwendung der Parallelrechnung zur Ermittlung der Pensionshöhe unsachlich benachteiligt. Das unterschiedliche Pensionsantrittsalter hätte bei der Ausnahmebestimmung des §1 Abs3 APG jedenfalls berücksichtigt werden müssen und es hätte, so wie in §607 Abs12 ASVG, ebenfalls eine Differenzierung um fünf  Jahre zwischen männlichen und weiblichen Versicherten dahingehend geben müssen, dass richtigerweise die Ausnahmebestimmung des §1 Abs3 APG für männliche Versicherte, die vor dem 1. Jänner 1955 und für weibliche Versicherte, die vor dem 1. Jänner 1960 geboren worden seien, zum Tragen zu kommen hätte.

3. Gemäß dem mit BGBl I 114/2013 in das B‑VG eingefügten, mit 1. Jänner 2015 in Kraft getretenen Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen "auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels".

3.1. §62a Abs1 VfGG idF BGBl I 92/2014 ordnet an, dass "eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, […] gleichzeitig einen Antrag stellen [kann], das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben".

3.2. Der Antrag ist unzulässig:

3.3. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesvorschrift sind – wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren (s. VfSlg 8155/1977, 8461/1978 und 12.464/1990) schon wiederholt darlegte – notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass anderseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen (mit)erfasst werden.

Ein Antrag iSd Art140 B‑VG, der diese Grundsätze missachtet, ist unzulässig. Dies gilt insbesondere dann, wenn der laut Auffassung der antragstellenden Partei (nach der angestrebten Aufhebung) verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre, er also mit den aufzuhebenden Normenteilen untrennbar verbunden ist (vgl. etwa VfSlg 12.859/1991, 16.279/2001).

3.4. §1 Abs3 des Allgemeinen Pensionsgesetzes (APG), BGBl I 142/2004 idF BGBl I 132/2015, lautet wie folgt (der angefochtene Teil ist hervorgehoben):

"(3) Auf Personen, die vor dem 1. Jänner 1955 geboren sind, ist dieses Bundesgesetz – mit Ausnahme des §4 Abs2 und 3, des §7 Z3 und des §9 – nicht anzuwenden."

 

3.5. Soweit der vorliegende Antrag die Aufhebung eines Satzteils des §1 Abs3 APG begehrt, verbliebe ein Torso, der offen ließe, für wen "dieses Bundesgesetz […] nicht anzuwenden" wäre. Der Rest dieses Satzes bildete für sich genommen keinen Sinn. Dieses Manko des Aufhebungsantrages wird auch durch den zweiten Teil des Antrages nicht saniert, weil keine Verfassungs- oder Gesetzesbestimmung den Verfassungsgerichtshof dazu ermächtigt, derartige Aufträge an den Gesetzgeber zu erlassen. Eine Abänderung des §1 Abs3 APG, wie dies die Antragstellerin ersichtlich mit ihren Anträgen im Ergebnis anstrebt, ist im Verfahren nach Art140 B‑VG unzulässig.

3.6. Es erweist sich aber auch der Eventualantrag, das ganze APG aufzuheben, als unzulässig, weil weder die Fassung des Gesetzes bezeichnet wird, in der das Gesetz angefochten wird noch Bedenken vorgetragen werden, die dem ganzen Gesetz zugeordnet werden oder dem Gesetz als Ganzem auch nur zuordenbar wären.

4. Der – wegen seiner Inhaltsmängel nicht auf das Vorliegen sämtlicher Formerfordernisse (Verstoß gegen die Verpflichtung zur elektronischen Einbringung gemäß §14a Abs4 VfGG) hin geprüfte – Antrag ist daher schon aus diesen Gründen als unzulässig zurückzuweisen.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita und lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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