VfGH G201/2014

VfGHG201/201410.3.2015

Zurückweisung eines Gerichtsantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des GOG, eventualiter der ZPO, betreffend den Fristenlauf bei elektronischer bzw physischer Zustellung gerichtlicher Schriftstücke als zu eng gefasst vor dem Hintergrund der vorgebrachten Bedenken

Normen

B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
GOG 1896 §89d Abs2
ZPO §125 Abs1, Abs2, §126 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
GOG 1896 §89d Abs2
ZPO §125 Abs1, Abs2, §126 Abs1

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Anlassverfahren, Antrag und Vorverfahren

1. Gestützt auf Art89 Abs2 iVm Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG beantragt der Oberste Gerichtshof aus Anlass eines in der Pflegschaftssache einer Minderjährigen bei ihm anhängigen außerordentlichen Revisionsrekurses des Vaters der Minderjährigen, die Wortfolge "elektronisch übermittelter" und das Wort "elektronischen" in §89d Abs2 des Gesetzes vom 27. November 1896, womit Vorschriften über die Besetzung, innere Einrichtung und Geschäftsordnung der Gerichte erlassen werden (Gerichtsorganisationsgesetz – GOG), RGBl. 217/1896 idF BGBl I 26/2012, "in eventu §125 Abs1 und 2 Satz 1 und/oder §126 Abs1 ZPO" als verfassungswidrig aufzuheben.

2.1. Begründend führt der Oberste Gerichtshof, der augenscheinlich über die Rechtzeitigkeit des an ihn gerichteten außerordentlichen Revisionsrekurses zu entscheiden hat, aus, dass die Entscheidung des Rekursgerichtes vom 12. Juni 2014 dem Revisionswerber am 11. Juli 2014 – einem Freitag – physisch an seiner Wohnanschrift zugestellt worden sei, nachdem seine damaligen Rechtsvertreter am 24. April 2014 die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses bekannt gegeben hatten. Die vierzehntätige Revisionsrekursfrist des §65 Abs1 AußerstreitG (AußStrG) habe daher am Freitag, dem 25. Juli 2014, geendet, weil die Frist gemäß §125 Abs1 und 2 Satz 1, §126 Abs1 ZPO iVm §23 AußStrG mit der persönlichen Zustellung der Entscheidung am 11. Juli 2014 zu laufen begonnen habe. Der Tag der Zustellung werde nicht mitgerechnet, ein Samstag hindere den Beginn des Fristenlaufes nicht.

Am 28. Juli 2014, einem Montag, habe der Revisionswerber – nunmehr wieder durch die vormals bevollmächtigten Rechtsanwälte vertreten – beim Erstgericht einen außerordentlichen Revisionsrekurs eingebracht, der im Hinblick auf den Ablauf der Revisionsrekursfrist am 25. Juli 2014 verspätet wäre.

Bei Anwendbarkeit der Bestimmung des §89d Abs2 GOG idF BGBl I 26/2012 auf den vorliegenden Sachverhalt – etwa, wenn die rechtsfreundlichen Vertreter des Revisionswerbers das Vollmachtsverhältnis nicht (vorübergehend) aufgelöst hätten und daher die Entscheidung des Rekursgerichtes am 11. Juli 2014 nicht dem Revisionswerber an seiner Adresse, sondern seinen Rechtsvertretern im Elektronischen Rechtsverkehr (ERV) zugestellt worden wäre – würde die Entscheidung des Rekursgerichtes erst als am 14. Juli 2014, dem nachfolgenden Montag, zugestellt gelten; die Revisionsrekursfrist wäre diesfalls erst am Montag, dem 28. Juli 2014, abgelaufen und der außerordentliche Revisionsrekurs fristgerecht.

2.2. In der Sache schließt sich der Oberste Gerichtshof den in der Literatur (Frauenberger-Pfeiler/Schmon, Physische Zustellung, elektronische Zustellung und verhandlungsfreie Zeit: Einfluss auf den Lauf der Rechtsmittelfristen, JAP 2012/2013, 26, und Gitschthaler, in: Rechberger [Hrsg.], Kommentar zur ZPO4, 2014, §§124 – 126, Rz 2/1) dargestellten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §89d Abs2 GOG unter auszugsweiser Zitierung des erstgenannten Beitrages (S 27 f., Pkt. 2) an. Gerade der vorliegende Fall zeige exemplarisch die sachlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung von Zustellempfängern auf, je nachdem, ob eine elektronische Zustellung erfolge oder nicht.

Den §§124 ff. ZPO liege die Überlegung zugrunde, dass dem Zustellempfänger (insbesondere bei Notfristen) die vierzehntägige oder die vierwöchige (Rechtsmittel-)Frist ungeschmälert zur Verfügung stehen und nicht durch Zufälligkeiten der tatsächlichen Zustellung verkürzt werden solle:

"Aus diesem Grund werden etwa auch die tatsächliche Zustellung an der Abgabestelle (§2 Z4 ZustG) und die Zustellung durch Hinterlegung (§17 ZustG) gleich behandelt; in letzterem Fall beginnt die Frist nicht schon mit dem Zustellversuch zu laufen, sondern erst mit dem Abholtag. Wäre deshalb im vorliegenden Fall die Entscheidung des Rekursgerichts für den Vater am 11. 7. 2014 hinterlegt worden, wäre zwar der erste Abholtag der 14. 7. 2014 (Montag) gewesen; für den Vater wäre im Hinblick auf die Dauer der ihm zur Verfügung stehenden Frist nichts gewonnen gewesen, hätte er doch auf die Entscheidung zuvor nicht zugreifen können.

Auch nach dem früheren System, bei dem Zustellungen im ERV gebündelt und meist kurz nach Mitternacht erfolgten (vgl die ErläutRV 1676 BlgNR 24. GP 3), stand dem Empfänger die Frist ungeschmälert zur Verfügung; er war jenem Empfänger vergleichbar, dem das Dokument (§2 Z2 ZustG) in Papierform etwa am Vormittag postalisch zugestellt wurde. In beiden Fällen begann die Frist mit 00.00 Uhr des nächsten Tages zu laufen, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um einen Samstag oder Feiertag handelte (§126 Abs1 ZPO)."

Fristverlängerungen durch Zufälligkeiten der tatsächlichen Zustellung seien durch das alte System kaum denkbar gewesen, sie hätten allenfalls in der Dauer von wenigen Stunden (am Zustelltag selbst) gegeben sein können.

Diesen Grundsatz, dass es sowohl bei postalischer als auch bei Zustellung im ERV auf die tatsächliche Verfügbarkeit der Sendung für den Empfänger ankomme und so die von den Verfahrensgesetzen vorgesehenen Fristen allen Empfängern in annährend gleichem Ausmaß zur Verfügung stünden, habe §89d Abs2 GOG zu Lasten jener Empfänger, denen nicht im ERV zugestellt werde, aufgegeben. Ungeachtet dessen, dass der Empfänger, dem am Freitag im ERV zugestellt werde, jedenfalls ab Samstag auf das Dokument zugreifen könne, beginne für ihn die verfahrensrechtliche Frist erst um 00.00 Uhr des darauffolgenden Dienstags zu laufen. Bei einer vierzehntägigen Frist – die in Verfahren außer Streitsachen ebenso die Regel sei wie in Exekutions- und Insolvenzverfahren – bedeuteten die drei "gewonnenen" Tage (Samstag, Sonntag, Montag) eine Fristverlängerung um 20 %.

Die dem §89d Abs2 GOG möglicherweise zugrunde liegende Überlegung des Gesetzgebers, der Empfänger könnte bei einer Zustellung im ERV nach Ende der üblichen Geschäftszeiten am Freitag nicht (mehr) auf das Dokument zugreifen, gehe an den Lebensrealitäten vorbei und sei verfehlt. Der Zugriff auf elektronische Zustellungen sei quasi von überall aus möglich (praktisch jeder Rechtsanwalt oder Notar sei über Smartphone oder Tablet mit dem Server seiner Kanzlei online verbunden, sodass Zustellungen im ERV praktisch zeitgleich nicht nur in den Verfügungsbereich der Kanzlei, sondern auch – wie bei der postalischen Zustellung an den Empfänger – in seinen persönlichen Verfügungsbereich gelangten).

Durch die Nichtberücksichtigung des Umstands, dass §89d Abs2 GOG für den Zustellzeitpunkt nicht darauf abstelle, ob der ERV-Teilnehmer vom Inhalt des Dokuments Kenntnis hat oder nicht, und die dadurch bei Zustellungen an Freitagen bewirkte dreitägige Verlängerung von Fristen gegenüber einem Empfänger, dem postalisch zugestellt wird, liege eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Empfängern gerichtlicher Erledigungen vor, was sowohl gegen Art7 B‑VG als auch gegen Art6 EMRK verstoße.

2.3. Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes ließe sich diese sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Empfängern gerichtlicher Erledigungen entweder durch Aufhebung der Änderungen des §89d Abs2 GOG durch BGBl I 26/2012 (und damit Wiederherstellung der ursprünglichen Rechtslage) oder – zumindest für den vorliegenden Fall der persönlichen Zustellung an einem Freitag – durch Aufhebung der Wortfolge "wobei Samstage nicht als Werktage gelten" in §89d Abs2 GOG beseitigen. Allerdings wäre daraus im konkreten Fall für den Revisionswerber nichts zu gewinnen, weil sein außerordentlicher Revisionsrekurs – angesichts der persönlichen Zustellung – (weiterhin) verspätet bliebe.

Es sei jedoch zu beachten, dass

"gemäß §126 Abs1 ZPO der Beginn und Lauf von gesetzlichen und richterlichen Fristen durch Sonn- und Feiertage nicht behindert wird, ebenso wenig durch Samstage. Dem gegenüber entfaltet die Zustellung im ERV erst am darauffolgenden Werktag (Montag) ihre Wirkung, spricht doch §89d Abs2 GOG von Werktagen und nimmt davon ausdrücklich Samstage aus. Durch die Neufassung des §89d Abs2 GOG wurde für den Anwendungsbereich des ERV dem §126 ZPO materiell derogiert (Frauenberger-Pfeiler/Schmon, aaO). Gerade durch diese Derogation trat aber die [...] Ungleichbehandlung zwischen elektronischen und postalischen Empfängern ein, weshalb letztlich die Wortfolge 'elektronisch übermittelter' (Eingaben) und das Wort 'elektronischen' (Verfügungsbereich) aufzuheben wären. Dies würde zwar – jedenfalls bei Zustellungen, die an Freitagen erfolgen – zu einer grundsätzlichen Verlängerung der Fristen um drei Tage führen, diese Verlängerung käme jedoch allen Empfängern und nicht nur jenen, denen im ERV zugestellt wurde, zugute und würde im vorliegenden Fall zur Rechtzeitigkeit des außerordentlichen Revisionsrekurses des Vaters führen."

Erachte man §89d Abs2 GOG – so der Oberste Gerichtshof abschließend – als für den vorliegenden Fall nicht präjudiziell, liege die Schlechterstellung des Revisionswerbers als postalischer Empfänger in den allgemeinen Normen des §125 Abs1 und 2 sowie des §126 Abs1 ZPO, die hier gemäß §23 Abs1 AußStrG anzuwenden seien. §126 Abs1 ZPO ordne nämlich an, dass der Beginn und der Lauf von Fristen weder durch Samstage noch durch Sonn- und Feiertage behindert werde. Auf Grund der nunmehrigen Sonderregelung des §89d Abs2 GOG für elektronische Zustellungen gelte dies aber nur mehr bei postalischer Zustellung.

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie primär die Zurückweisung des Antrages als unzulässig, in eventu dessen Abweisung beantragt; im Fall einer Aufhebung wird für deren Inkrafttreten die Festlegung einer Frist von 18 Monaten begehrt.

3.1. Im Anschluss an die Darstellung der Rechtslage hält die Bundesregierung zunächst ihr Verständnis der angefochtenen Regelungen fest (Zitat ohne Hervorhebungen im Original):

"Das GOG enthält nur besondere Regelungen über den Zustellungszeitpunkt elektronisch übermittelter gerichtlicher Erledigungen. Hingegen richten sich Beginn, Lauf und Ende von Fristen auch bei Zustellungen im ERV nach der ZPO. Auch bei dieser Form der Zustellung wird bei einer nach Tagen bestimmten Frist der Tag nicht mitgerechnet, an dem das fristauslösende Ereignis stattfindet; fristauslösendes Ereignis ist der gemäß §89d Abs2 GOG bestimmte Zustellungszeitpunkt. Die Frist beginnt also erst am Tag, der auf diesen Zustellungszeitpunkt folgt, zu laufen [...]. Zwar gilt auch für Zustellungen gerichtlicher Entscheidungen im ERV, dass der Beginn des Fristenlaufes durch Samstage, Sonntage und Feiertage nicht behindert wird (§126 Abs1 ZPO). Der Fall, dass das fristauslösende Ereignis auf einen Samstag, einen Sonntag oder einen Feiertag fällt, kann auf Grund des §89d Abs2 GOG allerdings nicht eintreten; in so einem Fall gilt als Zustellungszeitpunkt nämlich der folgende Werktag. Ist der auf das fristauslösende Ereignis folgende Tag ein Samstag, Sonntag oder Feiertag, zählt er auch bei einer Zustellung im ERV als erster Tag der Frist.

Für einen Sachverhalt, wie er dem Anlassfall zu Grunde liegt, ergibt sich somit Folgendes: Gelangt eine im elektronischen Rechtsverkehr übermittelte gerichtliche Erledigung an einem Freitag in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers (etwa einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwaltes), beginnt eine nach Tagen bestimmte Frist erst am nächsten Dienstag um 0.00 Uhr zu laufen, da als Zustellungszeitpunkt (fristauslösendes Ereignis) der nächste Montag gilt. Wird eine gerichtliche Erledigung hingegen einem – nicht anwaltlich vertretenen – Empfänger an einem Freitag postalisch zugestellt, beginnt die Frist am nächsten Samstag um 0.00 Uhr zu laufen.

Gelangt eine im elektronischen Rechtsverkehr übermittelte gerichtliche Erledigung etwa an einem Donnerstag in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers (etwa einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwaltes), beginnt eine nach Tagen bestimmte Frist am nächsten Samstag um 0.00 Uhr zu laufen, da als Zustellungszeitpunkt (fristauslösendes Ereignis) der nächste Freitag gilt, der Beginn des Fristenlaufes aber durch einen Samstag nicht gehindert wird. Wird eine gerichtliche Erledigung hingegen einem – nicht anwaltlich vertretenen – Empfänger an einem Donnerstag postalisch zugestellt, beginnt die Frist am nächsten Freitag um 0.00 Uhr zu laufen."

3.2.1. Sub titulo "Prozessvoraussetzungen" bestreitet die Bundesregierung zunächst die Präjudizialität der mit dem Hauptantrag angefochtenen Teile des §89d Abs2 GOG für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit des beim Obersten Gerichtshofes anhängigen außerordentlichen Revisionsrekurses gegen die dem Rechtsmittelwerber des Ausgangsverfahrens postalisch zugestellte Rekursentscheidung. Sie wendet aber auch ein, dass dieser Antrag jedenfalls zu eng gefasst sei, weil sich ohne (Mit-)Aufhebung auch des Klammerzitates "(§89a Abs2)" die Rechtslage nicht ändern würde.

3.2.2. Gegen die Zulässigkeit des Eventualantrages bringt die Bundesregierung zum einen vor, dass er den Formerfordernissen des §62 Abs1 erster Satz VfGG nicht genüge, weil durch seine Formulierung (arg. "und/oder") offen bliebe, die Aufhebung welcher Bestimmung(en) beantragt werde.

Zum anderen habe der Oberste Gerichtshof mit seinem Eventualantrag auch den Sitz der behaupteten Verfassungswidrigkeit nicht richtig erfasst, weil für den ERV nur eine Sonderregelung über den Zustellungszeitpunkt, nicht aber über Beginn, Lauf und Ende von Fristen, die sich auch bei Zustellungen im ERV nach der ZPO richten, bestehe. Die vom Obersten Gerichtshof geltend gemachte Verfassungswidrigkeit könne daher nicht durch die Aufhebung des §125 Abs1 bzw. 2 ZPO beseitigt werden, sondern nur durch eine Aufhebung des (im Ausgangsverfahren aber nicht präjudiziellen) §89d Abs2 GOG.

3.3. Den vorgetragenen Bedenken tritt die Bundesregierung mit folgenden Argumenten entgegen:

Die vom antragstellenden Obersten Gerichtshof dargelegten Unterschiede in der Länge der tatsächlich zur Verfügung stehenden Fristen ergäben sich nicht aus den Fristenregelungen der ZPO, sondern aus den unterschiedlichen Regelungen über den Zustellungszeitpunkt bei physischer Zustellung und bei Zustellung im ERV. Die Fristenregelungen der ZPO seien uniform, sie unterschieden nicht danach, ob ein Dokument physisch oder elektronisch zugestellt wird. Für den Beginn des Fristenlaufes bleibe der Tag des fristauslösenden Ereignisses stets unberücksichtigt, womit darauf Bedacht genommen werde, dass das fristauslösende Ereignis zu unterschiedlichen Tageszeiten stattfinden könne. Der Fristenlauf beginne einheitlich mit dem Tag, der auf das fristauslösende Ereignis folgt, gleich ob dieses eine physische Zustellung oder eine Zustellung im ERV sei.

Nach Auffassung der Bundesregierung steht dem Gesetzgeber bei der Festlegung des fristauslösenden Ereignisses ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Das zeige sich schon an den Regelungen des ZustellG über den Zustellungszeitpunkt bei physischer Zustellung:

"Bei einer Zustellung ohne Zustellnachweis gilt die Zustellung als am dritten Werktag nach der Übergabe an das Zustellorgan bewirkt (§26 Abs2 ZustG). Wird also ein gerichtliches Dokument am Freitag an das Zustellorgan (etwa die Post) übergeben, gilt die Zustellung als am Dienstag bewirkt, sodass eine Frist nach der ZPO am Mittwoch um 0.00 Uhr zu laufen beginnt. Bei einer Zustellung durch Hinterlegung wegen Abwesenheit des Empfängers gilt das hinterlegte Dokument mit dem ersten Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird, als zugestellt (§17 Abs3 ZustG). Das ist bei einer Zustellung durch die Post regelmäßig der Tag, der auf den erfolglosen Zustellversuch folgt. Kann ein Dokument also an einem Freitag wegen Abwesenheit des Empfängers von der Abgabestelle – etwa wegen Berufstätigkeit – von der Post nicht zugestellt werden, ist es zu hinterlegen. Hat das Postamt, bei dem das Dokument hinterlegt wird, am Samstag geöffnet, gilt das Dokument als an diesem Tag zugestellt; die Frist beginnt also am Sonntag um 0.00 Uhr zu laufen. Hat das Postamt hingegen am Samstag geschlossen, gilt das Dokument als am Montag (bzw. dem ersten Tag, an dem das Postamt wieder geöffnet hat) zugestellt; die Frist beginnt also am Dienstag um 0.00 Uhr zu laufen. Verallgemeinernd kann gesagt werden, dass das ZustG für physische Zustellungen jenen Tag als Zustellungszeitpunkt festlegt, an dem davon ausgegangen werden kann, dass der Empfänger von dem zuzustellenden Dokument tatsächlich Kenntnis erlangt hat oder Kenntnis erlangen könnte. Dass den entsprechenden Regelungen des ZustG – verfassungsrechtlich zulässige – typisierende Annahmen zu Grunde liegen, zeigt sich auch an der Rechtstechnik der Festlegung des Zustellungszeitpunktes in Form einer Fiktion (§17 Abs3: 'gelten … als zugestellt'; §26 Abs2: 'Die Zustellung gilt … als bewirkt').

Nach Auffassung der Bundesregierung weicht auch die angefochtene Regelung über den Zustellungszeitpunkt im ERV nicht von diesem Grundsatz ab:

"Der ERV weist gegenüber der physischen Zustellung gewisse Besonderheiten auf. So kann bei einer Durchschnittsbetrachtung davon ausgegangen werden, dass postalische Zustellungen kaum jemals später als 11.00 oder 12.00 Uhr erfolgen, während Erledigungen im ERV seit dem Jahr 2012 nicht mehr gebündelt zu einem bestimmten Zeitpunkt übermittelt werden, sondern zu jeder Tageszeit in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangen können und – abhängig von technischen und elektronischen Maßgaben – auch tatsächlich gelangen. Es liegt aber im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum der Gesetzgebung, auf solche Besonderheiten des ERV bei der Festlegung des Zustellungszeitpunktes Bedacht zu nehmen (vgl. – für den Anwendungsbereich des ZustG – §35 Abs5 bis 7 iVm. §36 ZustG über den Zustellungszeitpunkt bei elektronischer Zustellung).

§89d Abs2 GOG soll verhindern, dass Teilnehmer am ERV in zeitlicher Hinsicht einen Nachteil dadurch erleiden, dass das Einlagen des zuzustellenden Dokumentes in ihren elektronischen Verfügungsbereich zu einer Tageszeit erfolgt, zu der bei einer Durchschnittsbetrachtung nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass der Empfänger davon unmittelbar Kenntnis erlangt. Entgegen den Ausführungen des OGH entspricht es nach Auffassung der Bundesregierung keineswegs der 'Lebensrealität', dass berufsmäßige Parteienvertreter jederzeit so elektronisch mit ihrem Arbeitsplatz verbunden sind, dass elektronische Zustellungen zu jeder denkbaren Tageszeit unmittelbar in ihren 'persönlichen Verfügungsbereich' gelangen, sie also tatsächlich davon Kenntnis erlangen. Ebenso wenig kann dies bei den anderen in §89c Abs5 GOG genannten Stellen und Einrichtungen, die ebenfalls zur Teilnahme am ERV verpflichtet sind, angenommen werden. Im Übrigen könnte es auch bei berufsmäßigen Parteienvertretern nicht auf ihren 'persönlichen', sondern allenfalls auf ihren beruflichen Verfügungsbereich ankommen. Es entspricht aber auch nicht der Lebensrealität und kann wirtschaftlich auch nicht erwartet werden, dass Kanzleien von beruflichen Parteienvertretern 'rund um die Uhr' personell besetzt sind.

So kann etwa bei einer elektronischen Übermittlung an einem Freitag abends, wie sie bei Zustellungen im ERV möglich und nicht unrealistisch ist, auch bei berufsmäßigen Parteienvertretern in einer Durchschnittsbetrachtung nicht davon ausgegangen werden, dass sie vor dem nächsten Werktag davon Kenntnis erlangen. Hingegen wird eine physische Zustellung an einem Freitag nur dann wirksam, wenn dem – unvertretenen – Empfänger rechtmäßig zugestellt werden konnte, sodass auch davon ausgegangen werden kann, dass er von dem zugestellten Dokument tatsächlich Kenntnis erlangt hat. Um aber in so einem Fall eine Ungleichbehandlung zwischen Teilnehmern am ERV und anderen Empfängern von gerichtlichen Dokumenten zu verhindern, legt §89d Abs2 GOG als Zustellungszeitpunkt nicht jenen Tag fest, an dem die Daten in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sind. Als Zustellungszeitpunkt fingiert wird der nächste Werktag, der dem auf den Eingang in den elektronischen Verfügungsbereich folgenden Tag entspricht, sofern es sich nicht um einen Samstag handelt. An einem Samstag kann bzw. muss nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass ein berufsmäßiger Parteienvertreter von dem zuzustellenden Dokument tatsächlich Kenntnis erlangt hat oder Kenntnis erlangen könnte.

Anschaulich lässt sich dies an einer nicht unüblichen dreitägigen Äußerungsfrist zu einer einstweiligen Verfügung darlegen. Gelangt ein solcher Beschluss am Freitagabend in den elektronischen Verfügungsbereich des ERV-Teilnehmers, würde ohne die Sonderregelung des §89d Abs2 GOG die Äußerungsfrist am Montag um 24.00 Uhr enden. Die 'Reaktionszeit' beträgt also bei lebensnaher Betrachtungsweise einen einzigen Werktag, weil der berufsmäßige Parteienvertreter mangels tatsächlicher Kenntnis vor Montag keine entsprechenden Dispositionen treffen kann. Wird ein solcher Beschluss hingegen am Freitagnachmittag an einen Zustelldienst zur physischen Zustellung übergeben, würde er erst am Montagvormittag zugestellt, sodass die Äußerungsfrist erst Donnerstag um 24.00 Uhr enden würde. Selbst wenn die physische Zustellung noch am Freitag rechtmäßig erfolgen sollte, sodass die Äußerungsfrist am Montag um 24.00 Uhr endet, kann davon ausgegangen werden, dass der Empfänger von dem zuzustellenden Dokument tatsächlich noch an diesem Tag (wenn auch erst [a]bends) Kenntnis erlangt, seine 'Reaktionszeit' also schon zu diesem Zeitpunkt beginnt.

Zwar mag das Einlagen von gerichtlichen Erledigungen in den elektronischen Verfügungsbereich eines ERV-Teilnehmers zu einer Tageszeit, zu der nicht mehr angenommen werden kann, dass er von der übermittelten Erledigung tatsächlich Kenntnis erlangt, nicht den Regelfall von Zustellungen im ERV darstellen. Wie schon die bis zum 1. Mai 2012 geltenden Regelungen über die Unzulässigkeit von elektronischen Zustellungen in den Abendstunden zeigen [...], handelt sich aber nicht um eine vernachlässigbare Fallgruppe. Nach Auffassung der Bundesregierung kann der Gesetzgebung daher nicht entgegen getreten werden, wenn sie für die Festlegung des Zustellungszeitpunktes nicht auf das tatsächliche Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich abstellt oder etwa danach differenziert, zu welcher Tageszeit ein elektronisch übermitteltes Dokument einlangt (also die Regelung des §89d Abs2 GOG etwa auf 'Randzeiten' beschränkt). Vielmehr liegt es im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum der Bundesgesetzgebung, eine einheitliche Regelung dahingehend zu treffen, dass die elektronische Zustellung erst mit dem auf das Einlagen in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers folgenden Werktag als bewirkt gilt."

Damit entspreche §89d Abs2 GOG aber – unter Berücksichtigung der Besonderheiten des elektronischen Rechtsverkehrs – dem Grundsatz des ZustellG über den Zustellungszeitpunkt bei physischer Zustellung: Die Zustellung gelte als an jenem Tag bewirkt, an dem davon ausgegangen werden könne, dass der Empfänger von dem zuzustellenden Dokument tatsächlich Kenntnis erlangt habe oder Kenntnis erlangen hätte können.

Insoweit der Oberste Gerichtshof eventualiter die §§125 Abs1 und 2 (erster Satz) und 126 Abs1 ZPO anficht, weist die Bundesregierung darauf hin, dass die Fristenregelungen der ZPO nicht danach unterschieden, ob ein Dokument physisch oder elektronisch zugestellt werde. Im Antrag werde aber nicht dargelegt und sei der Bundesregierung auch nicht erkennbar, warum unterschiedslos geltende Fristenregelungen verfassungswidrig sein sollten. Die vom Obersten Gerichtshof dargelegten Unterschiede in der Länge der tatsächlich zur Verfügung stehenden Fristen ergäben sich auch nicht aus den Fristenregelungen der ZPO, sondern aus den unterschiedlichen Regelungen über den Zustellungszeitpunkt bei physischer Zustellung und bei Zustellung im ERV.

Soweit der Oberste Gerichtshof auch einen Verstoß gegen Art6 EMRK behauptet, geht die Bundesregierung mit der Begründung, dass der Antrag dazu überhaupt keine Ausführungen enthalte, nicht näher darauf ein.

4. Auch der Rechtsmittelwerber erstattete eine Äußerung, in der er sich den Bedenken des Obersten Gerichtshofes anschließt und die kostenpflichtige Aufhebung des §89d Abs2 GOG idF BGBl I 26/2012 begehrt.

II. Rechtslage

1. Nach §65 Abs1 Außerstreitgesetz (AußStrG), BGBl I 111/2003, beträgt die Frist für den Revisionsrekurs "vierzehn Tage" und beginnt mit der Zustellung der Entscheidung des Rekursgerichtes.

Nach §23 AußStrG sind im Verfahren außer Streit die Bestimmungen der Zivilprozessordnung (ZPO) über die Fristen, ausgenommen §222 ZPO, sinngemäß anzuwenden (Abs1 idF BGBl I 111/2010). Fristen für die Einbringung u.a. eines Rechtsmittels sind Notfristen (Abs2). Weiters sind, soweit nichts anderes angeordnet ist, die Bestimmungen der ZPO über Zustellungen sowie das Zustellgesetz anzuwenden (§24 Abs1 AußStrG).

Gemäß §13 Zustellgesetz (ZustG), BGBl 200/1982 idF BGBl I 5/2008, erfolgt die Durchführung der Zustellung bei (hier aktueller) postalischer Zustellung in der Weise, dass der Zusteller dem von der Behörde bezeichneten Empfänger das Dokument (Schriftstück) an der von der Behörde bezeichneten Zustelladresse (Abgabestelle; gemäß §2 Z4 leg.cit. u.a. Wohnung, Betriebsstätte, Geschäftsraum, Kanzlei oder Arbeitsplatz) übergibt oder die Verfügungsbefugnis einräumt. Mit der Übergabe wird die Zustellung wirksam (vgl. N. Raschauer, in: Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely [Hrsg.], Österreichisches Zustellrecht2, 2012, §2, Rz 3b).

Der im Abschnitt über die physische Zustellung stehende §13 ZustG lautet:

"Zustellung an den Empfänger

§13. (1) Das Dokument ist dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. Ist aber auf Grund einer Anordnung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichtes an eine andere Person als den Empfänger zuzustellen, so tritt diese an die Stelle des Empfängers.

(2) Bei Zustellungen durch Organe eines Zustelldienstes oder der Gemeinde darf auch an eine gegenüber dem Zustelldienst oder der Gemeinde zur Empfangnahme solcher Dokumente bevollmächtigte Person zugestellt werden, soweit dies nicht durch einen Vermerk auf dem Dokument ausgeschlossen ist.

(3) Ist der Empfänger keine natürliche Person, so ist das Dokument einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen.

(4) Ist der Empfänger eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person, so ist das Dokument in deren Kanzlei zuzustellen und darf an jeden dort anwesenden Angestellten des Parteienvertreters zugestellt werden; durch Organe eines Zustelldienstes darf an bestimmte Angestellte nicht oder nur an bestimmte Angestellte zugestellt werden, wenn der Parteienvertreter dies schriftlich beim Zustelldienst verlangt hat. Die Behörde hat Angestellte des Parteienvertreters wegen ihres Interesses an der Sache oder auf Grund einer zuvor der Behörde schriftlich abgegebenen Erklärung des Parteienvertreters durch einen Vermerk auf dem Dokument und dem Zustellnachweis von der Zustellung auszuschließen; an sie darf nicht zugestellt werden."

2. Die – eventualiter teilweise angefochtenen – §§125 und 126 ZPO bestimmen Folgendes, wobei die erstgenannte Bestimmung in der Stammfassung (RGBl. 113/1895), die zweitgenannte idF BGBl I 30/2012 in Geltung steht (die angefochtenen Gesetzesstellen sind hervorgehoben):

"§. 125.

(1) Bei Berechnung einer Frist, welche nach Tagen bestimmt ist, wird der Tag nicht mitgerechnet, in welchen der Zeitpunkt oder die Ereignung fällt, nach der sich der Anfang der Frist richten soll.

(2) Nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Fristen enden mit dem Ablaufe desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monates, welcher durch seine Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, an welchem die Frist begonnen hat. Fehlt dieser Tag in dem letzten Monate, so endet die Frist mit Ablauf des letzten Tages dieses Monates.

(3) Das Ende einer Frist kann auch durch Angabe eines bestimmten Kalendertages bezeichnet werden.

§126. (1) Der Beginn und Lauf von gesetzlichen und richterlichen Fristen werden durch Samstage, Sonntage, Feiertage oder den Karfreitag nicht behindert.

(2) Fällt das Ende einer Frist auf einen Samstag, Sonntag, Feiertag oder Karfreitag, so ist der nächste Tag, der nicht einer der vorgenannten Tage ist, als letzter Tag der Frist anzusehen."

Hinsichtlich der Zustellungen bestimmt §87 Abs1 ZPO idF BGBl I 111/2010, dass, soweit die ZPO nichts anderes vorsieht,

"[...] von Amts wegen nach den §§89a ff des Gerichtsorganisationsgesetzes, RGBl. Nr 217/1896, in der jeweils geltenden Fassung, sonst nach dem Zustellgesetz, BGBl Nr 200/1982, in der jeweils geltenden Fassung zuzustellen [ist]".

3. Die unter dem Titel "Elektronische Eingaben und Erledigungen (elektronischer Rechtsverkehr) stehenden §§89a und 89d Gerichtsorganisationsgesetz idF BGBl I 26/2012 haben folgenden Wortlaut (die primär zur Aufhebung beantragten Gesetzesstellen sind hervorgehoben):

"§89a. (1) Eingaben können, soweit dies durch eine Regelung nach §89b vorgesehen ist, statt mittels eines Schriftstücks elektronisch angebracht werden.

(2) Anstelle schriftlicher Ausfertigungen gerichtlicher Erledigungen sowie anstelle von Gleichschriften von Eingaben, die elektronisch angebracht worden sind, kann das Gericht die darin enthaltenen Daten an Einschreiter, die Eingaben elektronisch anbringen (Abs1), auch elektronisch übermitteln. Die Übermittlung von Rubriken an den Einbringer kann bei elektronischen Anbringen unterbleiben.

(3) Ist die Zustellung im elektronischen Rechtsverkehr nach den folgenden Bestimmungen nicht möglich, kann sie auch über elektronische Zustelldienste nach den Bestimmungen des 3. Abschnitts des Zustellgesetzes, BGBl Nr 200/1982, in der jeweils geltenden Fassung erfolgen."

"§89d. (1) Elektronische Eingaben (§89a Abs1) gelten als bei Gericht angebracht, wenn ihre Daten zur Gänze bei der Bundesrechenzentrum GmbH eingelangt sind. Ist vorgesehen, daß die Eingaben über eine Übermittlungsstelle zu leiten sind (§89b Abs2), und sind sie auf diesem Weg bei der Bundesrechenzentrum GmbH tatsächlich zur Gänze eingelangt, so gelten sie als bei Gericht mit demjenigen Zeitpunkt angebracht, an dem die Übermittlungsstelle dem Einbringer rückgemeldet hatte, daß sie die Daten der Eingabe zur Weiterleitung an die Bundesrechenzentrum GmbH übernommen hat.

(2) Als Zustellungszeitpunkt elektronisch übermittelter gerichtlicher Erledigungen und Eingaben (§89a Abs2) gilt jeweils der auf das Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers folgende Werktag, wobei Samstage nicht als Werktage gelten."

III. Erwägungen

1. Der Antrag erweist sich aus folgenden Gründen als unzulässig:

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw. des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängende Bestimmungen auch erfasst werden (vgl. VfSlg 16.756/2002, 17.594/2005 mwN).

Anträge, in denen der Aufhebungsumfang der zur Prüfung gestellten Norm zu eng gewählt ist, sind als unzulässig zurückzuweisen (vgl. VfSlg 14.498/1996, 17.594/2005, 17.655/2005).

2.1. Der Oberste Gerichtshof erblickt einen Verstoß gegen Art7 B‑VG und Art6 EMRK darin, dass Teilnehmer am ERV in unsachlicher Weise gegenüber nicht am ERV teilnehmenden Personen in Ansehung der ihnen für die Vornahme von (Prozess-)Handlungen zur Verfügung stehenden Frist begünstigt würden. Während für per ERV übermittelte gerichtliche Erledigungen die Zustellfiktion des §89d Abs2 GOG greift und ein Schriftstück erst an dem dem Einlangen im elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers folgenden Werktag (wobei Samstage nicht als Werktage gelten) als zugestellt gilt, gilt bei physischer (postalischer) Zustellung diese bereits mit Aushändigung an den Empfänger als bewirkt, was im Anlassfall vor dem Obersten Gerichtshof (Zustellung der Entscheidung an einem Freitag) zur Konsequenz hat, dass im erstgenannten Fall (ERV) die Frist erst am Dienstag, im anderen Fall aber bereits am Samstag zu laufen begonnen und dementsprechend erst am Montag bzw. bereits am Freitag geendet hätte.

Dem Obersten Gerichtshof geht es also darum, die seinem Dafürhalten nach durch die Bestimmungen des §89d Abs2 GOG und der §§125 Abs1 und 126 Abs1 ZPO bewirkte Ungleichbehandlung von Empfängern gerichtlicher Schriftstücke, deren Zustellung fristauslösend wirkt, beseitigen zu lassen.

2.2. Vor dem Hintergrund seiner Bedenken hätte der Oberste Gerichtshof daher beide (als Teil eines gesamten Systems anzusehende) Regelungskomplexe kumulativ – also §89d Abs2 GOG gemeinsam mit den §§125 Abs1 und 126 Abs1 ZPO – und nicht nur Teile des §89d Abs2 GOG sowie die §§125 Abs1 und 126 Abs1 ZPO (letztere Bestimmung idF BGBl I 30/2012) bloß eventualiter anzufechten gehabt, um den Verfassungsgerichtshof im Falle des Zutreffens der Bedenken in die Lage zu versetzen, darüber zu befinden, auf welche Weise die Verfassungswidrigkeit beseitigt werden kann.

Damit erweisen sich sowohl das Hauptbegehren als auch die Eventualbegehren als zu eng gefasst.

3.1. Der Antrag des Obersten Gerichtshofes ist daher zurückzuweisen.

Für Normenprüfungsverfahren, die auf Antrag eines Gerichtes eingeleitet worden sind, sieht das VfGG keinen Kostenersatz vor. Es obliegt daher dem antragstellenden Gericht, – nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften – über einen allfälligen Kostenersatzanspruch der Partei(en) des Ausgangsverfahrens zu befinden (zB VfSlg 7380/1974, 18.320/2007, 19.019/2010).

3.2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Ver-handlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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