Normen
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
VerbandsverantwortlichkeitsG §3
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
VerbandsverantwortlichkeitsG §3
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
1. Das Landesgericht Wels stellt aus Anlass eines in einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren vom beschuldigten Verband eingebrachten Antrages auf Einstellung gemäß §108 Abs1 Z1 StPO den (auf Art89 Abs2 B‑VG gestützten) Antrag, das Bundesgesetz über die Verantwortlichkeit von Verbänden für Straftaten (Verbandsverantwortlichkeitsgesetz – VbVG), BGBl I 151/2005 idF BGBl I 112/2007, zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
2.1. Von der Staatsanwaltschaft Wels wird ein Ermittlungsverfahren gegen den Geschäftsführer und den Prokuristen einer GmbH (Komplementärin der vor dem Landesgericht Wels antragstellenden GmbH & Co KG) wegen Verdachts der Vergehen der vorsätzlichen Beeinträchtigung der Umwelt (§180 StGB) und des vorsätzlichen umweltgefährdenden Behandelns und Verbringens von Abfällen (§181b StGB) geführt. Dieser Verdacht indiziert nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Wels auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit der GmbH & Co KG als Verband iSd §3 VbVG, weshalb gegen diese gemäß §3 VbVG ermittelt wird.
2.2. Am 20. Mai 2015 stellte die GmbH & Co KG beim Landesgericht Wels einen Antrag auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß §108 StPO. Bei der Behandlung dieses Antrages sind beim Landesgericht Wels Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes entstanden:
2.3. Zur Präjudizialität des angefochtenen Gesetzes führt das antragstellende Gericht aus, dass Ermittlungen gegen den Geschäftsführer sowie den Prokuristen der GmbH geführt würden und ihm auf Grund des Einstellungsbegehrens der als Verband beschuldigten GmbH & Co KG gemäß §108 Abs1 Z1 StPO die Prüfung obliege, ob diese überhaupt strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könne. Zur Beurteilung dieser Rechtsfrage habe es das (gesamte) Verbandsverantwortlichkeitsgesetz anzuwenden.
2.4. Zur Abgrenzung des Anfechtungsumfanges führt das Landesgericht Wels aus, dass sich die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §3 VbVG und damit "gegen die zentrale Bestimmung des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes" richten. Die Regelung normiere, unter welchen Voraussetzungen ein Verband strafrechtlich verantwortlich sei. Bei einer auf §3 VbVG beschränkten Anfechtung bzw. Aufhebung "wäre der Rest des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes eine leere Hülle ohne Inhalt". Aus diesem Grund werde der Antrag gestellt, das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz "seinem ganzen Inhalt nach als verfassungswidrig aufzuheben", wenngleich sich die Bedenken "primär" auf §3 VbVG konzentrierten.
2.5. In der Sache bringt das antragstellende Gericht im Wesentlichen vor, dass ein Verband gemäß §3 Abs2 VbVG für Straftaten eines Entscheidungsträgers verantwortlich sei, wenn der Entscheidungsträger die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen habe. Das tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Verhalten des Entscheidungsträgers löse daher die strafrechtliche Verantwortung des Verbandes aus, wodurch der Verband für die Schuld eines anderen – jener des Entscheidungsträgers – strafrechtlich einzustehen habe und sanktioniert werde. Dieser Umstand stehe im Widerspruch zum allgemeinen Sachlichkeitsgebot des im Verfassungsrang stehenden Gleichheitsgrundsatzes (Art7 B‑VG, Art2 StGG, Art20 GRC). Der Kern des den Verband treffenden Vorwurfs (und der Grund für die Verfolgung) bestehe nach den Gesetzesmaterialien (994 BlgNR 22. GP , 22) zwar nicht darin, dass ein für ihn Tätiger die Tat begangen habe, sondern darin, dass der Verband die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt vernachlässigt, insbesondere Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen habe. Die Gesetzesmaterialien verwiesen damit auf die in §6 StGB normierte Fahrlässigkeit. Die Verantwortlichkeit des Verbandes für strafrechtlich relevantes Verhalten seiner Entscheidungsträger werde demnach mit einer unwiderleglichen Vermutung seines (zumindest) fahrlässigen Verhaltens begründet. Da ein Verband per se nicht handlungsfähig sei, werde den Entscheidungsträgern des Verbandes (zumindest) fahrlässige Sorglosigkeit in Bezug auf die Nichtverhinderung solcher Straftaten unterstellt. Das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz normiere eine Schuldvermutung, ohne dem belangten Verband die Möglichkeit einzuräumen, den Schuldvorwurf zu entkräften. Darin liege ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) – insbesondere gegen das Prinzip der Unschuldsvermutung (Art6 Abs2 EMRK, Art48 Abs1 GRC) – sowie gegen das Sachlichkeitsgebot.
3. Der vom antragstellenden Gericht "primär" als verfassungswidrig erachtete §3 VbVG lautet:
"2. Abschnitt
Verbandsverantwortlichkeit – Materiellrechtliche Bestimmungen
Verantwortlichkeit
§3. (1) Ein Verband ist unter den weiteren Voraussetzungen des Abs2 oder des Abs3 für eine Straftat verantwortlich, wenn
1. die Tat zu seinen Gunsten begangen worden ist oder
2. durch die Tat Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen.
(2) Für Straftaten eines Entscheidungsträgers ist der Verband verantwortlich, wenn der Entscheidungsträger als solcher die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen hat.
(3) Für Straftaten von Mitarbeitern ist der Verband verantwortlich, wenn
1. Mitarbeiter den Sachverhalt, der dem gesetzlichen Tatbild entspricht, rechtswidrig verwirklicht haben; der Verband ist für eine Straftat, die vorsätzliches Handeln voraussetzt, nur verantwortlich, wenn ein Mitarbeiter vorsätzlich gehandelt hat; für eine Straftat, die fahrlässiges Handeln voraussetzt, nur, wenn Mitarbeiter die nach den Umständen gebotene Sorgfalt außer acht gelassen haben; und
2. die Begehung der Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde, dass Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben, insbesondere indem sie wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen haben.
(4) Die Verantwortlichkeit eines Verbandes für eine Tat und die Strafbarkeit von Entscheidungsträgern oder Mitarbeitern wegen derselben Tat schließen einander nicht aus."
4. Der Antrag ist unzulässig.
4.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
4.2. Gemäß §62 Abs1 erster Satz VfGG muss ein Gesetzesprüfungsantrag das Begehren enthalten, das – nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes verfassungswidrige – Gesetz seinem gesamten Inhalt nach oder bestimmte Stellen des Gesetzes aufzuheben. Um das strenge Formerfordernis des ersten Satzes des §62 Abs1 VfGG zu erfüllen, müssen nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 11.888/1988, 12.062/1989, 12.263/1990, 14.040/1995, 14.634/1996) die bekämpften Gesetzesstellen genau und eindeutig bezeichnet werden. Es darf nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes tatsächlich aufgehoben werden soll (VfSlg 12.062/1989, 12.487/1990, 14.040/1995, 16.340/2001).
4.3. Was den erforderlichen Anfechtungsumfang anlangt, ist dieser durch folgende Überlegungen zu bestimmen: Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003) notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt erhält und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden. Aus dieser Grundposition folgt zunächst, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Antrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. VfSlg 16.212/2001, 18.142/2007, 19.496/2011).
Demgegenüber macht eine zu weite Fassung den Antrag nicht in jedem Fall unzulässig. Soweit der Antrag nur Normen erfasst, die iSd Punktes 4.1. präjudiziell sind oder mit solchen untrennbar zusammenhängen, führt dies, ist der Antrag in der Sache begründet, im Fall der Aufhebung nur eines Teils der angefochtenen Bestimmungen zur partiellen Abweisung des Antrages (VfSlg 19.746/2013, VfGH 5.3.2014, G79/2013, V68/2013 ua.; 8.10.2014, G83/2014 ua.); umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die für das antragstellende Gericht offenkundig nicht präjudiziell sind, hat dies – wenn die angefochtenen Bestimmungen insoweit offensichtlich trennbar sind – im Hinblick auf diese Bestimmungen die teilweise Zurückweisung des Antrags zur Konsequenz (siehe VfSlg 16.246/2001, 16.816/2003, 16.819/2003, 17.572/2005, 18.766/2009); soweit diese Voraussetzungen vorliegen, haben zu weit gefasste Anträge also nicht die Zurückweisung des gesamten Antrages zur Folge (VfSlg 19.746/2013, VfGH 5.3.2014, G79/2013, V68/2013 ua.; 8.10.2014, G83/2014 ua.).
4.4. Der vorliegende Antrag erfüllt die soeben dargestellten Anforderungen indes nicht:
Das Landesgericht Wels geht – ohne nähere Begründung – davon aus, dass es bei der Entscheidung über den Antrag auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß §108 StPO das (gesamte) Verbandsverantwortlichkeitsgesetz anzuwenden habe.
Das antragstellende Gericht begehrt sodann, das angefochtene – seiner Auffassung nach eine untrennbare Einheit bildende – Gesetz "seinem ganzen Inhalt nach als verfassungswidrig aufzuheben", hegt allerdings "primär" Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Verbandes regelnden – "die zentrale Bestimmung des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes" bildenden – §3 VbVG.
Dem im Anlassverfahren beschuldigten Verband liegt nach dem maßgeblichen Antragsvorbringen die Verantwortlichkeit für allfällige Straftaten von Entscheidungsträgern gemäß §2 Abs1 iVm 3 Abs2 VbVG – Prokurist und Geschäftsführer (vgl. Hilf/Zeder, WK² VbVG §3 Rz 5 und 7) –zur Last, sodass diese Vorschriften, nicht aber das (gesamte) Verbandsverantwortlichkeitsgesetz denkmöglich anzuwenden sind.
Eine Aufhebung des gesamten Gesetzes käme daher nur bei Vorliegen eines untrennbaren Zusammenhanges sämtlicher Bestimmungen des Gesetzes in Betracht, der dazu führt, dass auch Bestimmungen aufgehoben werden können, die im Verfahren vor dem antragstellenden Gericht nicht präjudiziell sind. Dass §3 VbVG für sich genommen (sowie in weiterer Folge zu sämtlichen anderen Bestimmungen des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes) in einem untrennbaren Zusammenhang stünde, wurde im Rahmen der Ausführungen zur Präjudizialität (wonach gegen den Geschäftsführer und den Prokuristen der Gesellschaft – nicht indes gegen Mitarbeiter iSd §3 Abs3 VbVG – Ermittlungen geführt werden) nicht dargetan.
Ein untrennbarer Zusammenhang liegt nach der – in Punkt 4.3. dargestellten – Judikatur des Verfassungsgerichtshofes auch nicht schon deshalb vor, weil – wie hier – im Falle einer Aufhebung (von Teilen) des §3 VbVG einzelne Bestimmungen des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes unanwendbar würden (vgl. etwa VfSlg 11.591/1987, 15.129/1998, VfGH 16.6.2014, G82/2013).
4.5. Der Antrag ist daher zurückzuweisen.
5. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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