European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00063.20B.1023.000
Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf die vor dem Obersten Gerichtshof der Höhe nach unstrittige Entgeltdifferenz zwischen der tatsächlich erfolgten Einstufung und Entlohnung nach dem Kollektivvertrag für Denkmal-, Fassaden‑ und Gebäudereiniger und dem ihrem Standpunkt nach anzuwendenden Arbeitskräfteüberlassungs-Kollektivvertrag in Anspruch. Sie sei von der Beklagten der B***** AG (in der Folge auch kurz B*****) iSd § 4 Abs 2 AÜG überlassen worden.
Die Beklagte bestreitet das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung. Sie habe die Klägerin bloß zur Abarbeitung eines mit der B***** abgeschlossenen Rahmen-Werkvertrags eingesetzt. Für die Klägerin gelte der Kollektivvertrag für die Denkmal‑, Fassaden‑ und Gebäudereiniger. Die Beklagte verfüge zwar über mehrere Gewerbeberechtigungen und auch über die Gewerbeberechtigung für Arbeitskräfteüberlassung. Der vorliegende Vertrag betreffend die Bügelflaschenreparatur falle in das freie Gewerbe der Organisation und Durchführung der optischen Überprüfung von Mehrwegflaschen hinsichtlich ihrer Wiederbefüllbarkeit unter Ausschluss jeder an einen Befähigungsnachweis gebundenen Tätigkeit.
Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt, wobei sie von folgendem Sachverhalt ausgingen:
Im Jahr 2009 schloss die Beklagte unter ihrem damaligen Namen D***** GmbH mit der B***** eine als „Rahmen-Werkvertrag“ bezeichnete Vereinbarung über „Bügelflaschenreparatur“ – konkret das Sortieren von Flaschen und das Reparieren von beschädigten Verschlusskappen – ab. Als Leistungsort wurde die B***** vereinbart. Weiters vereinbart wurde, dass die Beklagte von der B***** einen Hubstapler anmietet, dass der Preis pro Flasche 0,024 EUR beträgt und dass die Arbeitnehmer in einheitlicher D*****‑Arbeitskleidung auftreten. Darüber hinaus enthält der Vertrag folgende Formulierung: „Unser Personal darf nicht in die betriebliche Organisation der B***** in welcher Form auch immer eingegliedert werden. Es steht ausschließlich unter unserer Fach- und Dienstaufsicht, die unmittelbar durch einen unserer Objektleiter bzw unsere Niederlassung in St. ***** ausgeübt wird. Weisungen von Mitarbeitern der B*****, insbesondere hinsichtlich der Art und des Ablaufs der Arbeitsverrichtung, hinsichtlich der Arbeitseinteilung, hinsichtlich allfälliger Fertigstellungstermine odgl dürfen an unsere Arbeitnehmer weder erteilt werden, noch sind unsere Arbeitnehmer verpflichtet, solchen Weisungen Folge zu leisten.“
Die Klägerin war bei der Beklagten vom 22. 5. 2017 bis 31. 3. 2019 als Kommissioniererin beschäftigt. Sie wurde von Anfang an – zusammen mit weiteren fünf bis sechs Mitarbeitern der Beklagten – bei der Bügelflaschenreparatur eingesetzt. Sie unterfertigte eine Dienstanweisung folgenden Inhalts: „Frau V***** B***** wurde unterwiesen, im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit am Standort A-3***** W*****, keine direkten Anweisungen seitens Führungskräften und Mitarbeitern von B***** AG entgegen zu nehmen. Die Tätigkeit umfasst die Sortierung von Bierflaschen mit Reparatur/Austausch der Schnellverschlüsse durch S*****, vorbereitend einer folgenden Befüllung durch B***** AG. Hinsichtlich Art/Ablauf und Arbeitsvorbereitung erfolgt die Unterweisung der S***** Mitarbeiter ausschließlich durch S***** Führungskräfte der Niederlassung 3***** St. *****. Ein eigens von der B***** AG angemieteter Stapler wird zur Paletten-Positionierung genutzt. Seitens B***** AG besteht ausnahmslos kein direktes Weisungsrecht an die S***** Mitarbeiter. Aktueller S***** Objektleiter für diesen Standort, Frau S***** R*****.“
Der Arbeitsort der Klägerin befand sich in einer Halle der B*****, wobei diese im Jahr 2018 gewechselt wurde. In beiden Hallen befanden sich einige Tische, an denen die Mitarbeiter der Beklagten Flaschen kontrollierten und reparierten. In diesen Hallen wurden die zu bearbeitenden sowie die bereits kontrollierten Flaschen auch auf Paletten gelagert. Der Transport der Flaschen in die Halle hinein und aus der Halle heraus erfolgte mittels Stapler durch Mitarbeiter der B*****. Die Hallen wurden von den Mitarbeitern der Beklagten nicht exklusiv benutzt. Es waren dort auch Dienstnehmer der B***** tätig, die teilweise ebenfalls Flaschen kontrollierten und reparierten. In der alten Halle hatte sich ein Schild mit der Aufschrift „S*****“ befunden, um den Bereich der Mitarbeiter der Beklagten abzugrenzen. Bereits nach rund zwei Wochen war diese Abgrenzung jedoch entfernt worden, um den Staplerfahrern das Durchfahren zu ermöglichen.
Die Tätigkeit der Klägerin bestand in einer Sichtkontrolle der Flaschen sowie im Bedarfsfall einem Reparieren der Bügel. Diese Arbeit war nach einer Einschulung durch M***** M***** im Wesentlichen jeden Tag gleich. Nachschulungsmaßnahmen waren nicht erforderlich. Von der bei der Beklagten für das Objekt B***** verantwortlichen R***** S***** war lediglich vorgegeben, wie viele Paletten pro Stunde die Mitarbeiter bearbeiten mussten. Es war den Mitarbeitern der Beklagten weitgehend selbst überlassen, wann sie Flaschen kontrollierten und wann sie Bügel reparierten. Für den Fall, dass von Seiten der B***** dringend zusätzliche Flaschen benötigt wurden bzw eine überwiegende Reparatur von Flaschen erforderlich war, kontaktierten die zuständigen Lagerleiter R***** S*****, welche M***** M***** anrief und die entsprechenden Weisungen erteilte.
Zwischen den bei der B***** beschäftigten Mitarbeitern der Beklagten und den Lagerleitern bestand regelmäßiger Kontakt, dahingegen, dass bei diesen Paletten mit zu bearbeitenden Flaschen angefordert wurden. Mit Ausnahme von Sicherheitsschuhen und leuchtender Oberbekleidung gab es keine Anweisung im Hinblick auf das Tragen von Arbeitskleidung. Die Sicherheitsschuhe wurden von der Beklagten zur Verfügung gestellt. T-Shirts, Westen und auch Hosen waren von der B***** und auch von der Beklagten zur Verfügung gestellt worden. Schutzbrillen und Arbeitshandschuhe kamen seit 2013/2014 ausschließlich von der B*****. Die Mitarbeiter, so auch die Klägerin, trugen lieber die T-Shirts der B*****, da diese leuchteten und somit keine zusätzlichen Warnwesten erforderlich waren.
Für die Tätigkeit der Klägerin und ihrer Kollegen war ausschließlich ein Spezialwerkzeug erforderlich, nämlich ein „Entbügler“. Dieser wurde in der Werkstatt der B***** hergestellt und befand sich in Schachteln auf den Tischen der Arbeitsplätze in den Hallen. Wenn die Mitarbeiter der Beklagten neue „Entbügler“ benötigten, gingen sie in die Werkstatt und besorgten sich diese. Die Klägerin verwendete auch einen Kopierer für Lieferzettel. Dieser Kopierer stand im Eigentum der B*****.
Der Transport der zu bearbeitenden Flaschen innerhalb der Halle erfolgte mit einem Hubstapler, welchen die Beklagte von der B***** angemietet hatte. Bei Bedarf wurde dieser Hubstapler auch von Mitarbeitern der B***** verwendet. Ein Fahrtenbuch wurde nicht geführt.
R***** S***** war nur sporadisch vor Ort, sie stand jedoch im telefonischen Kontakt mit den Mitarbeitern vor Ort. Zeitaufzeichnungen wurden ihr ebenso übergeben, wie Urlaub und Krankenstand ihr gemeldet wurden.
Den Mitarbeitern der Beklagten war anfangs von der B***** zwar ein eigener Pausenraum zur Verfügung gestellt worden, der aber lediglich sporadisch von Praktikanten mitbenützt wurde. Da in diesem Raum Rauchverbot herrschte, benützten die Klägerin und andere Raucher der Beklagten den Raucherraum der B*****.
Rechtlich vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, dass eine Arbeitskräfteüberlassung bereits vorliege, wenn nur einer der in § 4 Abs 2 AÜG genannten Fälle verwirklicht sei. Die erste Ziffer dieser Vorschrift setze als Kriterium fest, ob ein von den Produkten, Dienstleistungen oder Zwischenergebnissen des Werkbestellers/Beschäftigers abweichendes, unterscheidbares und dem Überlasser zurechenbares Werk vorliege. Dadurch solle insbesondere die Zusammenarbeit zweier Unternehmer, die trennbare Bestandteile zu einem Gesamtwerk beisteuern, von der Arbeitskräfteüberlassung abgegrenzt werden. Es müsse ein Werk sein, das sich von allen im Bestellerbetrieb gewöhnlich erbrachten Leistungen deutlich abhebt. Hier habe die Klägerin Flaschen, die für die Befüllung der von der B***** hergestellten Getränke verwendet würden und die im Betrieb der B***** von Mitarbeitern der B***** geliefert und anschließend wieder abgeholt worden seien, kontrolliert und repariert. Dabei handle es sich um einen Teil eines einheitlichen Produktionsprozesses, zumal die B***** Bier und Getränke nicht bloß herstelle, sondern diese auch in Flaschen oder sonstige Gebinde abfülle und diese in der Folge vertreibe. Nach den Feststellungen seien in der Halle, in der die Klägerin arbeitete, auch Dienstnehmer der B***** tätig gewesen und hätten teilweise ebenfalls Flaschen kontrolliert und repariert. Den Feststellungen lasse sich nicht entnehmen, dass die Beklagte im Unternehmen der B***** ein eigenständiges, unterscheidbares und ihr zurechenbares Werk iSd § 4 Abs 2 Z 1 AÜG geliefert habe. Somit liege Arbeitskräfteüberlassung vor. Auf eine „Risikoverteilung“ bzw „Risikotragung“ als Unterscheidungsmerkmal zwischen Arbeitskräfteüberlassung und Werkvertrag und damit verbunden als Abgrenzungskriterium des „zurechenbaren Werks“ komme es nicht an. Solche Elemente ließen sich auf keinem interpretativen Weg der Bestimmung des § 4 Abs 2 Z 1 AÜG entnehmen.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mangels einer Rechtsfrage von der im § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zu.
Gegen das Berufungsurteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem auf Klageabweisung gerichteten Abänderungs-, hilfsweise mit einem Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.
In ihrer vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin die Zurückweisung des Rechtsmittels, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die außerordentliche Revision zulässig, weil die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 4 AÜG vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C‑586/13 , Martin Meat, einer Überprüfung bedarf.
Sie ist aber nicht berechtigt.
Die Beklagte hält dem Berufungsurteil im Wesentlichen entgegen, es hätte aufgrund der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Martin Meat in richtlinienkonformer Interpretation des AÜG keine Arbeitskräfteüberlassung annehmen dürfen, dies auch aufgrund des Gebots der Einheit der Rechtssprache. Eine richtlinienkonforme Interpretation wäre zur Vermeidung einer Inländerdiskriminierung auch dann erforderlich, wenn man grundsätzlich meinen sollte, dass bei dem hier vorliegenden reinen Inlandssachverhalt eine solche an sich nicht erforderlich sei. Eine sachliche Rechtfertigung dafür, dass es bei identem Sachverhalt alleine vom Sitz der Beklagten abhänge, ob einmal eine Arbeitskräfteüberlassung (bei reinem Inlandssachverhalt) oder das andere Mal ein Werkvertrag (bei grenzüberschreitendem Sachverhalt) angenommen werde, sei nicht zu erkennen.
Rechtliche Beurteilung
1. Das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG, BGBl 1988/196) gilt nach seinem § 1 Abs 1 für die Beschäftigung von Arbeitskräften, die zur Arbeitsleistung an Dritte überlassen werden. Überlassung von Arbeitskräften ist gemäß § 3 Abs 1 AÜG die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte. Für die Beurteilung, ob eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt, ist gemäß der – ebenso der Stammfassung des AÜG entstammenden und mit „Beurteilungsmaßstab“ überschriebenen – Bestimmung des § 4 AÜG der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhalts maßgebend (Abs 1). Nach Abs 2 leg cit liegt Arbeitskräfteüberlassung „insbesondere auch vor, wenn die Arbeitskräfte ihre Arbeitsleistung im Betrieb des Werkbestellers in Erfüllung von Werkverträgen erbringen, aber
1. kein von den Produkten, Dienstleistungen und Zwischenergebnissen des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werk herstellen oder an dessen Herstellung mitwirken oder
2. die Arbeit nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers leisten oder
3. organisatorisch in den Betrieb des Werkbestellers eingegliedert sind und dessen Dienst- und Fachaufsicht unterstehen oder
4. der Werkunternehmer nicht für den Erfolg der Werkleistung haftet“.
2. Nach den ErläutRV (450 BlgNR 17. GP 17) soll § 4 AÜG „eine Orientierungshilfe zur Verhinderung von Umgehungen bieten“. Zu § 4 Abs 2 AÜG führen die Gesetzesmaterialien wie folgt aus:
„Abs 2 befaßt sich speziell mit dem Werkvertrag, der erfahrungsgemäß am häufigsten zur Umgehung der bei der Arbeitskräfteüberlassung zu beachtenden Regeln Verwendung findet. Sofern ein für den Werkvertrag typisches Merkmal nicht vorhanden ist (Z 1, 2 und 4) oder ein für den Werkvertrag völlig untypisches Merkmal (Z 3) gegeben ist, wird das Vorliegen des Tatbestandes der Arbeitskräfteüberlassung angenommen. Auch wenn für die Klassifizierung als Werkvertrag an sich bereits die Kombination einzelner für den Werkvertrag typischer Sachverhaltselemente ausreichend sein mag, muß zur Abgrenzung von der Arbeitskräfteüberlassung die Erfüllung sämtlicher im Regelfall zutreffenden Merkmale (einschließlich des Fehlens bestimmter, auf eine Arbeitskräfteüberlassung hinweisenden Sachverhaltselemente) verlangt werden, um der Erfahrung Rechnung zu tragen, daß häufig die Überlassung von Arbeitskräften den eigentlichen Zweck des Werkvertrages bildet.“
3.1. In der Rechtsprechung setzte sich bislang insbesondere der VwGH mit § 4 AÜG iVm § 2 Abs 2 AuslBG auseinander. Der VwGH betonte mehrfach, dass Arbeitskräfteüberlassung gemäß § 4 Abs 2 AÜG auch dann vorliege, „wenn Arbeitskräfte unter den in dieser Bestimmung genannten Bedingungen Arbeitsleistungen im Betrieb eines Werkherstellers in Erfüllung eines Werkvertrages erbringen“ (zB VwGH 97/09/0311; 2001/09/0236; 2007/09/0358). Für die Abgrenzung zwischen Werkverträgen, deren Erfüllung im Wege einer Arbeitskräfteüberlassung iSd § 4 Abs 2 AÜG stattfindet, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist, erachtete der VwGH in einigen Entscheidungen grundsätzlich eine Gesamtbetrachtung der Unterscheidungsmerkmale als notwendig. Das Vorliegen einzelner, auch für das Vorliegen eines Werkvertrags sprechender Sachverhaltselemente sei in diesem Sinne nicht ausreichend, wenn sich aus den Gesamtumständen unter Berücksichtigung der jeweiligen wirtschaftlichen Interessenlage Gegenteiliges ergebe (ebenso zu § 4 AÜG iVm § 2 Abs 2 AuslBG VwGH 96/09/0281; 2004/09/0059).
3.2. Andererseits hat der VwGH in seinem – oft als „Leitentscheidung“ zu § 4 AÜG iVm § 3 ASVG bezeichneten (zB Andexlinger, Arbeitskräfteüberlassung im Wege eines Werkvertrages, ecolex 1997, 111; Mazal, Arbeitskräfteüberlassung und Werkvertragserfüllung, in FS Krejci [2001] 1589 [1600]; Schopper, Zur Abgrenzung von Werkverträgen und Verträgen über die Arbeitskräfteüberlassung, ZRB 2017, 3 [7]) – Erkenntnis 94/08/0178 hervorgehoben, dass § 4 AÜG klarstelle, dass selbst für den Fall des Vorliegens eines gültigen Werkvertrags zwischen Entsender und Beschäftiger dem wahren wirtschaftlichen Gehalt nach Arbeitnehmerüberlassung vorliegen könne, und zwar dann, wenn es den Vertragspartnern nach der atypischen Gestaltung des Vertragsinhalts erkennbar gerade auf die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften ankomme, und dass § 4 Abs 2 AÜG typisierend nach der Art unwiderleglicher Vermutungen festlege, wann dies jedenfalls der Fall sei. Bei Erfüllung jedes einzelnen der vier Fälle des § 4 Abs 2 AÜG (argumento „oder“) liege jedenfalls dem wirtschaftlichen Gehalt nach Arbeitskräfteüberlassung iSd § 3 Abs 1 AÜG durch den Werkunternehmer als Überlasser (iSd § 3 Abs 2 AÜG) an den Werkbesteller als Beschäftiger (iSd § 3 Abs 3 AÜG) vor. Wenn in den im zweiten Halbsatz des § 4 Abs 2 AÜG genannten Fällen keines der Tatbestandsmerkmale der vier Ziffern des § 4 Abs 2 AÜG erfüllt sei, aber dennoch einige der in diesen vier Ziffern genannten oder ihnen gleichwertige Tatbestandsmomente gegeben seien, so schließe dies (argumento „insbesondere“) nicht das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung aus. Die Arbeitskräfteüberlassung hänge dann aber – entsprechend dem § 4 Abs 1 AÜG – von einer jeweils im Einzelfall vorzunehmenden Beurteilung ab, ob dem wirtschaftlichen Gehalt nach dennoch die Überlassung von Arbeitskräften im Vordergrund stehe. In der Leitentscheidung führte der VwGH für seine Auffassung auch ins Treffen, dass die – oben unter Punkt 2. zitierten – Gesetzesmaterialien eindeutig davon ausgingen, dass schon dann, wenn auch nur eines der Tatbestandsmerkmale der Z 1 bis 4 des § 4 Abs 2 AÜG gegeben ist, Arbeitskräfteüberlassung anzunehmen sei.
3.3. Die Rechtssätze dieser Leitentscheidung wurden vom VwGH in der Folge seiner ständigen Rechtsprechung zu § 4 AÜG sowohl iVm § 3 ASVG als auch § 2 Abs 2 AuslBG bzw § 7d AVRAG zugrundegelegt (vgl VwGH 95/08/0345; 2008/09/0094; Ro 2014/09/0026; Ra 2016/11/0090; Ra 2016/11/0110).
3.4. Dieser Rechtsprechung schloss sich auch der erkennende Senat des Obersten Gerichtshofs in 8 ObA 7/14h an: Der Gesetzgeber stelle mit der Verwendung des Wortes „oder“ in § 4 Abs 2 AÜG klar, dass der wahre wirtschaftliche Gehalt schon dann der einer Arbeitskräfteüberlassung sei, wenn auch nur eines der demonstrativ aufgezählten Tatbestandselemente zutreffe. Diese Beurteilung sei unabhängig davon, ob die Vereinbarung zwischen dem Dienstgeber und seinem Auftraggeber zivilrechtlich als Werkvertrag einzustufen sei. Der Gesamtbeurteilung des Sachverhalts iSd § 4 Abs 1 AÜG bedürfte es nur dann, wenn durch den Tatbestand nicht ohnehin bereits einer der gesetzlichen Vermutungsfälle nach § 4 Abs 2 AÜG (in Verbindung mit dem Einleitungssatz dieser Bestimmung) zur Gänze erfüllt sei, sondern nur einzelne Elemente oder nicht in der Aufzählung enthaltende Umstände auf ein Leiharbeitsverhältnis hindeuteten.
3.5. In 8 ObA 6/16i sah sich der Senat mangels Entscheidungsrelevanz nicht veranlasst, auf die kritische Rezeption der Entscheidung 8 ObA 7/14h in der Literatur einzugehen, und ließ ausdrücklich unerörtert, ob allein schon die Erfüllung einer der Ziffern des § 4 Abs 2 AÜG ausreiche, um Arbeitskräfteüberlassung zu bejahen, oder doch weitere bzw mehrere die Annahme begründende Elemente vorliegen müssten.
4. In der Literatur wurde seit Erlassung des AÜG fast ausnahmslos die Ansicht vertreten, § 4 Abs 2 AÜG müsse abweichend von seinem Wortlaut im Sinne einer Gesamtbetrachtung verstanden und danach entschieden werden, ob eine Arbeitskräfteüberlassung vorliege. Dementsprechend stieß die an den Wortlaut des § 4 Abs 2 AÜG anknüpfende Rechtsprechung zumeist auf Ablehnung, dies auch insofern, als den Höchstgerichten vorgeworfen wurde, sich mit den Argumenten der herrschenden Lehre nicht befasst zu haben. Vereinzelt wurde der Rechtsprechung aber auch zugestimmt bzw für eine Mittellösung eingetreten.
4.1. Andexlinger (Werkvertrag oder Arbeitsüberlassung? RdW 1988, 391 ff) sprach unmittelbar nach Erlassung des Gesetzes von einem „Abgrenzungsversuch des § 4 Abs 2 AÜG“, der in der Praxis, nicht zuletzt auf Auftraggeberseite, Besorgnis erregt habe. Die Unmöglichkeit einer schematischen Abgrenzung „anhand des AÜG“ zeige sich etwa am Fall eines Softwarehauses, das von einem Produktionsunternehmen den Auftrag zur Entwicklung der Software für die Fertigungssteuerung eines Produktionsablaufs erhalte. In einem solchen Fall komme man mit dem von § 4 Abs 2 AÜG vorgesehenen Ausleseverfahren Punkt für Punkt nicht weiter, hier bleibe eine alle Eigenheiten der Dienstleistung berücksichtigende Gesamtbetrachtung unumgänglich. Auch zur späteren Leitentscheidung des VwGH 94/08/0178 äußerte AndexlingerKritik (ecolex 1997, 111 f). Der VwGH sehe gegen die beinahe einhellige Lehre durch § 4 AÜG den sachlichen Anwendungsbereich des AÜG wesentlich erweitert. § 4 Abs 2 AÜG gehe vorweg von Arbeit „im Betrieb“ des Auftraggebers aus, zwar nicht von Arbeit miteinander, aber von Arbeit nebeneinander ohne Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Werkbestellers. Die übertragene Teilaufgabe werde nicht selten auf Leistungen zielen, die sich mit üblichen Ergebnissen beim Auftraggeber deckten (Z 1). Die Beistellung von Arbeitsstoffen und Arbeitsmitteln (Z 2) sei nicht selten zur Standardsicherung notwendig oder zumindest bei Beschaffungsvorteilen zweckmäßig. Fachliche Aufsicht und erforderlichenfalls fachliche Anweisungen seien wohl als Regelfall anzusehen, in die laufende Arbeit des Auftragnehmerpersonals werde dagegen in der Regel nicht eingegriffen (Z 3). Haftungsregeln (Z 4) seien wohl kaum jemals ein Problem. Damit müssten die einzelnen Tatbestände des § 4 Abs 2 AÜG genau durchleuchtet werden. Die Verwirklichung eines einzelnen Tatbestandsmerkmals dürfte dann allerdings häufig vorliegen, was zu enormen Rechtsfolgeproblemen vertragsrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Art führe.
4.2. Nach Kerschner (Rohrverlegung im „Subauftrag“ – Individual- und betriebsverfassungsrechtliche Fragen der Arbeitnehmerüberlassung, DRdA 1989, 134 [136]) scheint der Gesetzgeber über das Ziel hinausgegangen zu sein, wenn bei Zutreffen bloß einer der in § 4 Abs 2 Z 1 bis 4 AÜG genannten alternativen Voraussetzungen bereits Arbeitskräfteüberlassung vorliegen soll. Kommt etwa dem Werkbesteller keinerlei Weisungsrecht zu, müsste allein deshalb Arbeitskräfteüberlassung vorliegen, wenn der Arbeitnehmer vorwiegend Material und Werkzeug des Bestellers verwendet. Schon ob das Verwenden fremden Materials oder fremder Werkzeuge völlig untypisch für den Werkvertrag sei, erscheine äußerst zweifelhaft. In manchen Fällen wäre das gar nicht vermeidbar. Die strenge Alternativität, wie sie in der Regierungsvorlage vertreten werde, sei daher kaum durchzuhalten. Vor allem müsse der Beschäftiger – zumindest faktisch – über den Arbeitnehmer verfügen, ihm Weisungen erteilen können. Wie für den Werkvertrag das Einstehen für einen bestimmten Erfolg typisch sei, sei für die Arbeitskräfteüberlassung das Direktionsrecht des Beschäftigers typisch. Es müsse jeweils generell eine Gesamtabwägung aller maßgeblichen Umstände vorgenommen werden. Die einzelnen Elemente stellten ein gesetzlich angeordnetes bewegliches System dar.
4.3. Auch Geppert (Arbeitskräfteüberlassungsgesetz [1989] 56) vertritt unter ausdrücklicher Ablehnung der aus den Gesetzesmaterialien ersichtlichen Auffassung, dass bei Zutreffen bloß eines der im § 4 Abs 2 AÜG genannten Merkmale bereits Arbeitskräfteüberlassung vorliege, die Ansicht, dass eine Gesamtabwägung aller maßgeblichen Kriterien vorgenommen werden müsse. Es müssten entweder die Elemente des Werkvertrags oder die der Arbeitskräfteüberlassung überwiegen.
4.4. Schrammel (Rechtsfragen der Ausländerbeschäftigung [1995] 89 f) meint wie Kerschner, der Gesetzgeber habe über das Ziel geschossen. Nach dem Gesetzeswortlaut würde Arbeitskräfteüberlassung schon dann vorliegen, wenn der Werkbesteller das Material für das zu errichtende Werk beistelle, was aber dem Sinn und Zweck des AÜG klar widerspreche. Dieses wolle die sozial schwächere Arbeitskraft vor Ausbeutung durch die an der Arbeitskräfteüberlassung beteiligten Unternehmer schützen. Die für Arbeitnehmer geltenden arbeitsvertraglichen, arbeitnehmerschutzrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Standards sollten durch Überlassungsverträge nicht beeinträchtigt werden. Das AÜG habe nicht den Zweck, die Abwicklung werkvertraglicher Beziehungen zu behindern. Für diese sei der Einsatz von Erfüllungsgehilfen typisch, die in aller Regel Arbeitnehmer des Werkunternehmers seien. Eine besondere Schutzbedürftigkeit dieser Erfüllungsgehilfen sei nur dann gegeben, wenn sie im Betrieb des Werkbestellers ähnlich wie dessen eigene Arbeitskräfte eingesetzt werden. Entscheidend könne im Ergebnis nur der Grad der Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb des Werkbestellers sein. Arbeitskräfteüberlassung liege dann vor, wenn der Werkbesteller über die Arbeitskraft wie ein Arbeitgeber verfügen kann. Beschränkten sich seine Weisungsbefugnisse fachlich auf das zu erstellende Werk, handle es sich um keine Arbeitskräfteüberlassung. Dies sei bei der Auslegung des § 4 AÜG zu beachten. Die im Gesetz für das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung angeführten Kriterien dürften nicht isoliert betrachtet werden. § 4 AÜG erweitere nicht den sachlichen Geltungsbereich des AÜG, sondern sei wie in den Gesetzesmaterialien vermerkt lediglich eine Orientierungshilfe für das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung.
4.5. Sacherer (in Sacherer/B. Schwarz, Arbeitskräfteüberlassungsgesetz2 [2006], 133) verweist auf die von einer erforderlichen Gesamtbetrachtung sprechenden Entscheidungen des VwGH und hält ein Abstellen auf das Überwiegen der Merkmale Werkvertrag/Überlassung im Sinne eines beweglichen Systems sowie eine Überprüfung des wahren wirtschaftlichen Gehalts des Sachverhalts für geboten. Die Verwirklichung eines einzelnen Tatbestandsmerkmals des § 4 Abs 2 AÜG lasse allein bzw für sich isoliert betrachtet in der Regel keine abschließende Beurteilung über das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung zu. In einer Glosse zu 8 ObA 7/14h (ZAS 2015/44) bezeichnet Sacherer die Begründung der Entscheidung als verfehlt. Richtigerweise hätte der Sachverhalt bereits über § 4 Abs 1 AÜG gelöst werden können, da der wahre wirtschaftliche Gehalt des Personaleinsatzes eindeutig für das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung gesprochen habe. Auch bei dieser Beurteilung spiele die Tatsache, dass die Personen ohne eigenes Werkzeug ein nicht von den Produkten und Dienstleistungen des Werkbestellers abweichendes Werk herstellten bzw an dessen Herstellung mitwirkten, eine entscheidende Rolle. Dies seien aber nur zwei von mehreren widerlegbaren Indizien für das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung, die in einer Gesamtbetrachtung gemäß § 4 Abs 1 AÜG Aufschluss über den wahren wirtschaftlichen Gehalt des Sachverhalts gäben. Es entspreche nicht dem telos des AÜG, dass bereits ein einzelnes isoliert herausgegriffenes Merkmal eines Sachverhalts, das eine Arbeitskräfteüberlassung indizieren könnte, automatisch zum Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung führe. Die vom Obersten Gerichtshof geforderte isolierte Betrachtung einzelner Merkmale des § 4 Abs 2 AÜG könne zu offensichtlich sachfremden Ergebnissen führen. Gemäß § 3 Abs 1 AÜG sei unter Arbeitskräfteüberlassung die „Zurverfügungstellung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte“ zu verstehen. Unter „Zurverfügungstellung“ werde im Schrifttum die Übertragung des Weisungsrechts an den Beschäftiger verstanden. Unterstelle man § 4 Abs 2 AÜG, dass die Erfüllung eines einzigen Tatbestands der Z 1, 2 oder 4 automatisch die Qualifikation eines Werkvertrags als Arbeitskräfteüberlassung zur Folge hätte, könnte dies zu Fällen von Arbeitskräfteüberlassung ohne Übertragung des Weisungsrechts an den Beschäftiger führen. Eine solche Änderung des Grundtatbestands der Arbeitskräfteüberlassung könne § 4 Abs 2 AÜG nicht unterstellt werden und gehe weit über den Schutzzweck des AÜG hinaus. Überdies stehe die vom Obersten Gerichtshof vorgenommene isolierte Wortinterpretation des § 4 Abs 2 AÜG in direktem Widerspruch zu § 4 Abs 1 AÜG, wonach auf den wahren wirtschaftlichen Gehalt abzustellen sei. Interpretiere man § 4 Abs 2 AÜG dahingehend, dass die Erfüllung einer einzigen Ziffer zur Qualifikation als Arbeitskräfteüberlassung führe, hätte dies zur Folge, dass der wahre wirtschaftliche Gehalt bei Werkverträgen nur dann ausschlaggebend sei, wenn keiner der Tatbestände des § 4 Abs 2 AÜG erfüllt werde. Das primäre Kriterium des „wahren wirtschaftlichen Gehalts“ bei Werkverträgen würde konterkariert und zum Auffangtatbestand degradiert. Der Oberste Gerichtshof entledige sich dieser Problematik, indem er die Tatbestände des § 4 Abs 2 AÜG als – offensichtlich „besonders eindeutige“ – Ausprägungen des wahren wirtschaftlichen Gehalts betrachte. Die Z 1, 2 und 4 könnten aber nicht alleine als taugliche Abgrenzungskriterien dienen. Die Argumentation des Obersten Gerichtshofs führe dazu, dass nach dem wahren wirtschaftlichen Gehalt richtigerweise nicht als Arbeitskräfteüberlassung zu qualifizierende Werkverträge fälschlicherweise dennoch durch die „Hintertür“ zu einer Arbeitskräfteüberlassung würden. Richtigerweise handle es sich bei den Z 1, 2 und 4 lediglich um widerlegbare Indizien für das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung. Nur hinsichtlich der Z 3 (organisatorische Eingliederung und Unterstellung unter Dienst- und Fachaufsicht) scheine es allenfalls vertretbar, dieser eine absolute Wirkung zuzubilligen. Denn eine organisatorische Eingliederung eines Erfüllungsgehilfen des Werkunternehmers beim Werkbesteller werde in der Regel eine Zurverfügungstellung von Arbeitskräften iSd § 3 AÜG darstellen und daher nach dem wahren wirtschaftlichen Gehalt eine Arbeitskräfteüberlassung sein.
4.6. Rebhahn/Schörghofer (Werkvertrag und Arbeitskräfteüberlassung im Lichte des Urteils Vicoplus, wbl 2012, 372 [377 f]) halten die Meinungen im Schrifttum für überzeugend, die darauf abstellen wollen, ob der Werkbesteller über den Arbeitnehmer des Werkunternehmers wie über einen eigenen Arbeitnehmer verfügen kann. Bei einer systematischen Auslegung sei zu beachten, dass § 4 AÜG nur der Konkretisierung des Grundtatbestands des § 1 AÜG und der Legaldefinitionen in § 3 AÜG diene. Die Überlassung werde in § 3 Abs 1 AÜG als „Zurverfügungstellung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte“ beschrieben. Darunter werde die Übertragung der Verfügungsmacht über den Arbeitnehmer verstanden, insbesondere die Übertragung des Weisungsrechts, auch die Eingliederung in den Betrieb des Beschäftigers werde genannt. Bei einer teleologischen Auslegung sei der Zweck des gesamten AÜG zu berücksichtigen, weil es bei der Auslegung des § 4 Abs 2 AÜG um die Abgrenzung des Anwendungsbereichs des AÜG gehe. § 2 Abs 1 Z 1 AÜG nenne als Zweck des AÜG den Schutz der überlassenen Arbeitskraft. Abzustellen sei daher auf die Eingliederung im Betrieb des Werkbestellers. Dieses Ergebnis rücke die Bestimmung des § 4 Abs 2 Z 3 AÜG in den Vordergrund, die auf die wesentlichen Elemente der Arbeitnehmereigenschaft abstelle, nämlich die organisatorische Eingliederung und die Dienst- und Fachaufsicht, worunter nach Lehre und Materialien das Weisungsrecht zu verstehen sei. § 4 Abs 2 Z 3 AÜG wiederhole die wesentlichen Merkmale der Arbeitskräfteüberlassung, zu deren Konkretisierung sie eigentlich dienen solle. Unter diesem Aspekt scheine es verfehlt, von einer Gleichrangigkeit der Ziffern 1 bis 4 auszugehen. Z 3 sei gegenüber den anderen Ziffern vorrangig, weil sie jenen Tatbestand beschreibe, der durch die anderen Ziffern nur indiziert werden solle.
4.7. Schörghofer (Arbeitskräfteüberlassung und Werkvertragserfüllung durch Gehilfen, ecolex 2015, 588 [589 f]) meint, das wesentliche Argument gegen die Auslegung des Obersten Gerichtshofs in 8 ObA 7/14h sei der Hinweis auf die in § 2 AÜG festgelegten Schutzzwecke des AÜG, insbesondere den Schutz der überlassenen Arbeitnehmer (§ 2 Abs 1 Z 1 AÜG). Eine besondere Schutzbedürftigkeit, die die Anwendung des AÜG notwendig mache, entstehe bei Arbeitnehmern nur dann, wenn dem Einsatzunternehmen eine Verfügungsbefugnis über sie zukomme, eben weil die Weisungsbefugnis übertragen worden sei. Die Erfüllung anderer Ziffern als der Z 3 des § 4 Abs 2 AÜG könne diese Schutzwürdigkeit nur indizieren. Diese Überlegungen sprächen dafür, auch bei Erfüllung einer der Ziffern des § 4 Abs 2 AÜG zusätzlich zu prüfen, ob der Tatbestand der Arbeitskräfteüberlassung gemäß § 3 Abs 1 AÜG erfüllt sei. Der vermeintliche Überlasser könnte dann darlegen, dass der vermeintliche Beschäftiger den eingesetzten Arbeitnehmern keine Weisungen erteilt habe. Werde das festgestellt, könne trotz der Erfüllung der Z 1, 2 und 4 keine Arbeitskräfteüberlassung vorliegen. Die Z 1 bis 4 wären damit nicht mehr gleichrangig. Die Z 1, 2 und 4 indizierten nur die wesentliche, in Z 3 beschriebene Voraussetzung für das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung: die Übertragung der Weisungsbefugnis. Rechtsfolge der Z 1, 2 und 4 wäre damit im Ergebnis bloß eine widerlegbare Vermutung der Arbeitskräfteüberlassung. Dieses Ergebnis stellte eine Mittellösung zwischen der isolierten Prüfung der Ziffern und der Vornahme einer Gesamtabwägung dar. Schörghofer hält es jedoch für zweifelhaft, ob dieses Ergebnis mit dem Wortlaut des AÜG vereinbar sei, schränke doch § 4 Abs 2 AÜG seine Rechtsfolge nicht ein („Arbeitskräfteüberlassung liegt [...] vor, wenn [...]“). Verneine man die Vereinbarkeit mit dem Wortlaut, stelle sich die Frage, ob die angeführten Argumente auch ausreichten, um eine entsprechende Rechtsfortbildung bezüglich des § 4 Abs 2 AÜG zu begründen, was nach Schörghofer zu bejahen wäre. In die Überlegung miteinzubeziehen seien die fragwürdigen Ergebnisse, die eine unbedingte Qualifikation als Arbeitskräfteüberlassung wegen der Erfüllung der Z 1, 2 und 4 des § 4 Abs 2 AÜG produzieren könne.
4.8. Rauch (Zur Abgrenzung der Arbeitskräfteüberlassung von der Erfüllung eines Werkvertrages, ASoK 2016, 130 [132 f]) hält der Judikatur entgegen, dass nach ihr bereits die bloße vorwiegende Verwendung von Material und Werkzeug des Werkbestellers zur Arbeitskräfteüberlassung führe. Überdies stehe die reine Wortauslegung des § 4 Abs 2 AÜG in Widerspruch zu § 4 Abs 1 AÜG, welcher ausdrücklich vorgebe, dass der wahre wirtschaftliche Gehalt maßgeblich sei. Stelle man lediglich auf das Vorliegen eines einzigen Tatbestandselements nach § 4 Abs 2 AÜG ab, so sei die Prüfung des wahren wirtschaftlichen Gehalts nicht mehr erforderlich. Der wahre wirtschaftliche Gehalt sei jedoch von entscheidender Bedeutung, was sich auch aus § 21 BAO ergebe, dem § 4 Abs 1 AÜG nachgebildet sei und der ausschließlich auf dieses Kriterium abstelle. Dementsprechend müsse eine Gesamtabwägung aller maßgeblichen Kriterien vorgenommen werden. Gegen die Judikatur, dass bereits ein einziger der Fälle des § 4 Abs 2 AÜG genüge, um eine Arbeitskräfteüberlassung anzunehmen, spreche auch § 9 Abs 1 ASchG. Aus dieser Bestimmung ergebe sich, dass der Gesetzgeber für eine Arbeitskräfteüberlassung das Entscheidende darin sieht, dass die Arbeitsleistung für Dritte unter deren Kontrolle erfolgt. Somit reiche die fehlende vorwiegende Verwendung von Material und Werkzeug des Arbeitgebers gerade nicht aus.
4.9. Schopper (ZRB 2017, 3 ff) bezeichnet die Auslegung der Rechtsprechung als extensiv. Er schließt sich der Ansicht Mazals (Pkt 4.13) an, dass der Auftraggeber den fremden Arbeitnehmer nur iSv § 3 Abs 2 AÜG „einsetzen“ kann, wenn er über seine Arbeitskraft wie ein Arbeitgeber verfügen darf. Die Legaldefinition des § 3 Abs 2 AÜG passe nicht mit der strengen Rechtsprechung zusammen, die eine Arbeitskräfteüberlassung bereits bei Vorliegen nur eines Tatbestandsmerkmals des § 4 Abs 2 AÜG unwiderleglich annehme, beispielsweise wenn die zur Werkvertragserfüllung eingesetzten Arbeitnehmer überwiegend das Material und Werkzeug des Auftraggebers verwendeten. § 4 AÜG stelle nach seiner Überschrift nur einen „Beurteilungsmaßstab“ und nach den Gesetzesmaterialien bloß eine „Orientierungshilfe“ dar. Systematisch interpretiert solle § 4 AÜG den Grundtatbestand für bestimmte Grenzfälle konkretisieren, aber keineswegs erweitern. Was keine Arbeitskräfteüberlassung nach § 1 Abs 1 iVm § 3 Abs 1 AÜG – dem Grundtatbestand – sei, könne auch keine nach § 4 AÜG sein. Für die Abgrenzung der Arbeitskräfteüberlassung sei eine Gesamtabwägung geboten. Das werde auch durch eine teleologische Auslegung bestätigt. Wesentlicher Zweck des AÜG sei der Schutz der überlassenen Arbeitskräfte. Besonders schutzbedürftig sei ein überlassener Arbeitnehmer, weil ihm mit dem Beschäftiger ein zweiter Arbeitgeber gegenüberstehe. Dies setze voraus, dass der überlassene Arbeitnehmer im Betrieb des Beschäftigers wie eine eigene Arbeitskraft eingesetzt werde. Nur unter dieser Voraussetzung habe der überlassene Arbeitnehmer ein legitimes Interesse an der Gleichbehandlung mit jenen Arbeitnehmern, die wie er selbst Weisungen vom Beschäftiger erhalten. Darüber hinaus bezwecke das AÜG den Schutz der im Betrieb des Beschäftigers angestellten Stammarbeitnehmer (§ 2 Abs 3 AÜG). Durch den Einsatz überlassener Arbeitskräfte sollten für sie keine Beeinträchtigung der Lohn- und Arbeitsbedingungen und keine Gefährdung der Arbeitsplätze entstehen. Der Gesetzgeber wolle die Stammarbeitnehmer des Beschäftigers vor einer Konkurrenzsituation mit den überlassenen Arbeitnehmern schützen. Nur wenn der Beschäftiger über die überlassenen Arbeitnehmer im Wesentlichen so verfügen könne, wie über die eigenen Stammarbeitnehmer, entstehe für die Stammarbeitnehmer die vom Gesetzgeber unerwünschte Konkurrenzsituation. Die Frage, ob ein Werkbesteller über fremde Arbeitnehmer derart verfügen könne, lasse sich nur durch eine Gesamtabwägung der Umstände im Einzelfall ermitteln. Der bloße Umstand, dass die fremden Arbeitskräfte die Arbeit nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers leisten (§ 4 Abs 2 Z 2 AÜG), lasse per se sicher noch keinen Rückschluss darauf zu.
4.10. Nach Tinhofer (Entsendung und anwendbares Recht – Sonderprobleme bei Konzernüberlassung ins Ausland, ZAS 2017, 127 [129]) mag die Rechtsauffassung der Judikatur rechtsdogmatisch vertretbar sein, sie liefere aber angewendet auf die im heutigen Wirtschaftsleben anzutreffenden vielfältigen Formen der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen häufig kein überzeugendes Ergebnis. So sei es etwa schwer nachzuvollziehen, dass der Auftrag an eine Reinigungsfirma nur deshalb eine Arbeitskräfteüberlassung an den Auftraggeber darstellen solle, weil die hierfür benötigten Reinigungsutensilien von diesem zur Verfügung gestellt werden. Ähnliches gelte für jene Fälle, in denen für die Erbringung der Dienstleistung keine eigenen Betriebsmittel erforderlich sind, zB für den IT-Support. Beide Tätigkeiten würden in der modernen Wirtschaft häufig nicht mehr von den Unternehmen selbst erbracht, sondern auf spezialisierte Dienstleister ausgelagert (Outsourcing).
4.11. NachTomandl (Arbeitskräfteüberlassung3 [2017] 19 ff) liegt die Annahme, dass schon bei Vorliegen eines einzigen der vier Tatbestände des § 4 Abs 2 AÜG Arbeitskräfteüberlassung vorliege, zwar den Gesetzesmaterialien zugrunde, sie ergebe sich jedoch nicht zwingend aus dem Gesetzestext. Die vorgenommene „oder-Verknüpfung“ der einzelnen Tatbestände lasse sich als eine Aufzählung der bei einer Gesamtbewertung zu beachtenden Merkmale verstehen. Tomandl stimmt den Literaturstimmen zu, die eine Gesamtbetrachtung der tatsächlichen Verhältnisse unter einer Schwerpunktsetzung auf die Z 3 (Eingliederung in den Betrieb) des Beschäftigers unter dessen Dienst- und Fachaufsicht) und die Z 4 (keine Haftung des Arbeitenden für den Erfolg seiner Tätigkeit) vornehmen.
4.12. Nach Schrank (in Schrank/Schrank/Lindmayr, Lohn‑ und Sozialdumping‑Bekämpfungsgestz [2017] § 2 LSD‑BG Rz 13) ist der Wortlaut des § 4 Abs 2 AÜG „eine weitgehende Absage an jede Gesamtbeurteilung, wie sie für die Ermittlung des wahren wirtschaftlichen Gehalts zu erwarten wäre, weil er bereits Einzelelemente, konkret die in seinen vier Ziffern beispielsweise aufgezählten, für sich allein (arg jeweils „oder“) zur Erfüllung des Überlassungsbegriffs genügen lasse. Würde man darin wie Tomandl nur „Ansatzpunkte, unter welchen Umständen Vertragsgestaltungen verschiedener Art dem Begriff der Arbeitskräfteüberlassung zuzuordnen sind“, sehen, wäre dagegen nichts einzuwenden. Allerdings scheine die bisherige Judikatur diese „Einzelelement‑Systematik“ leider ohne zusätzliche Gesamtbeurteilung und damit ohne teleologische Korrektur des Gesetzeswortlauts mitzumachen, womit sie über die Grundregel der Ermittlung des wahren wirtschaftlichen Werts hinausgehe.
4.13. Nach Mazal (in FS Krejci 1597 f, 1604 ff) zeigt die Formulierung in § 3 Abs 3 AÜG, wonach Beschäftiger ist, wer überlassene Arbeitskräfte für betriebseigene Aufgaben einsetzt, dass nicht jedes Tätigwerden innerhalb einer fremden Betriebsorganisation als Überlassung zu qualifizieren sei. Es komme darauf an, dass der Dritte die Arbeitskraft innerhalb seiner Betriebsorganisation einsetzen könne. Das Wort „einsetzen“ zeige, wo der wirkliche Unterschied zwischen Arbeitskräfteüberlassung einerseits und nicht dem AÜG unterliegenden Formen der Dienstleistungserbringung andererseits sei. „Einsetzen“ könne nämlich nur der Verfügungsberechtigte. Von einer Überlassung könne nur gesprochen werden, wenn der Beschäftiger die Rechtsmacht hat, über den Arbeitnehmer oder die arbeitnehmerähnliche Person, die Vertragspartner eines anderen (nämlich des Überlassers) ist, in eigenem Namen zu verfügen. Nicht allein das Tätigwerden innerhalb der Betriebsorganisation eines Dritten (nämlich des Beschäftigers), sondern die Übertragung der Verfügungsmacht über die Dienste, die ein Arbeitnehmer oder eine arbeitnehmerähnliche Person einem anderen (nämlich dem Überlasser) schuldet, begründe so gesehen die Überlassung. Die Auffassung des VwGH in seiner Leitentscheidung sei streng, weil formal auf den positiven Gesetzestext reduziert. Dem VwGH sei es aber nicht darum gegangen, Formaljuristik zu betreiben, sondern zu verhindern, dass Unternehmen durch formaljuristische Tricks den Tatbestand der Arbeitskräfteüberlassung umgehen. Aus dieser Sicht der Dinge sei es überzeugend, wenn der VwGH in Situationen, in denen zwischen Unternehmen zwar formal ein Werkvertrag geschlossen wurde, in denen jedoch der wahre wirtschaftliche Sachverhalt auch nur eines der in § 4 Abs 2 AÜG genannten Elemente aufweist, Arbeitskräfteüberlassung annimmt. Es wäre jedoch falsch, in jeder Situation, in der auch nur ein Indiz für eines der genannten Elemente vorliegt, die Vertragslage und den wahren wirtschaftlichen Gehalt eines Sachverhalts für irrelevant zu erklären und auf Basis der Indizienlage eine Arbeitskräfteüberlassung anzunehmen. Die rechtliche Struktur des Tatbestands zwinge vielmehr dazu, auch bei Vorliegen von Indizien für zumindest eines der in § 4 Abs 2 AÜG genannten Elemente eine Prüfung dahingehend vorzunehmen, ob in diesen Indizien das vom Gesetz jeweils geforderte Element tatsächlich vorliegt, und ob aufgrund dessen in weiterer Folge der Tatbestand der Arbeitskräfteüberlassung verwirklicht wird. Anderenfalls liefe die Rechtsanwendung Gefahr, sich in einer formalen Betrachtung zu verlieren und der Kooperation zwischen Unternehmungen unnötige Fesseln aufzuerlegen. Es wäre auch absurd, wollte man bei jeder auch noch so untergeordneten Verwendung von Material des Kunden von Arbeitskräfteüberlassung sprechen und in eine Gesamtbetrachtung nicht mehr eintreten, wenn ein Kunde dem bei ihm arbeitenden Elektriker mit Isolierband aushilft. Gleiches gelte mutatis mutandis für die anderen in § 4 Abs 2 AÜG genannten Tatbestandselemente. Auch sie seien nicht schon dann verwirklicht, wenn jemand einen rein äußerlichen Tatbestand setzt, sondern erst dann, wenn auch eine entsprechende rechtliche Würdigung ergebe, dass das Tatbestandselement „im Sinne von § 4 Abs 2 AÜG“ vorliegt. So gesehen habe bei der Beurteilung der einzelnen Tatbestandselemente von § 4 Abs 2 AÜG eine gesamtbildhafte Beurteilung stattzufinden.
4.14. Schindler (Umgehungsfallen und -verlockungen im AÜG, in Brodil, Diener fremder Herren [2016] 81 [83 f]; ders in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 [2018] § 4 AÜG Rz 5 f) hält die Rechtsprechung für zutreffend. Der in der Literatur angenommenen überwiegenden Bedeutung der organisatorischen Eingliederung der Arbeitskräfte (§ 4 Abs 2 Z 3 AÜG) stehe entgegen, dass auch arbeitnehmerähnliche Beschäftigte vom AÜG erfasst seien und bei diesen Beschäftigungsformen eine „Eingliederung“ in betriebliche Abläufe nicht bestehen könne. Es könne auch nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber vier Tatbestände gleichrangig festlege, wenn er eigentlich anordnen wolle, dass es schwerpunktmäßig auf einen einzigen davon ankommen solle. Bei einer „Fabrik in der Fabrik“ müssten bestimmte Schritte in der Fertigung eines Produkts technisch zwingend aufeinander folgen und aufeinander abgestimmt werden. Dies werde bloß nicht im formalen Wege einer rechtlichen Verpflichtung dazu gesichert, sondern im Wege der Definition eines „Werkes“, das aber anders nicht erbracht werden könne. Faktisch seien daher die Arbeitnehmer der „Fabrik in der Fabrik“ eben doch eingegliedert und unterlägen faktischer Aufsicht, was nur rechtlich verschleiert werde. Der Wortlaut des § 4 Abs 2 AÜG sei klar, er verbinde alle vier Ziffern jeweils durch ein „oder“. Klarer könne der Gesetzgeber das Vorliegen alternativer Tatbestände nicht ausdrücken. Folglich genüge das Vorliegen auch nur einer der vier Alternativen, um die Rechtsfolge (Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung) eintreten zu lassen. Auch in systematischer und teleologischer Auslegung bestehe kein Anlass, den klaren Wortlaut einzuschränken. § 4 AÜG diene gewiss auch, aber keineswegs „nur“ der Konkretisierung des Grundtatbestands der Arbeitskräfteüberlassung (§ 1 AÜG) und der Legaldefinitionen des § 3 AÜG. Denn er tue beides hinsichtlich des Spezialfalls der Abgrenzung zwischen Arbeitskräfteüberlassung und Werkvertrag, weil befürchtet worden sei, auf diesem Weg würde die häufigste Umgehung des Gesetzes erfolgen. Daher könne aus § 3 Abs 3 AÜG für das Verständnis des § 4 AÜG nichts Einschränkendes gewonnen werden. Grenzfragen hätten in den allgemeinen Formulierungen des § 3 AÜG zwangsläufig offen bleiben müssen. Sie würden durch § 4 AÜG gelöst, der die heikle Grenze zum Werkvertrag klar und scharf (Umgehungsgefahr) definieren solle. Gerade die Ziffern 1, 2 und 4 des § 4 Abs 2 AÜG verwirklichten die Absicherung gegen Umgehungen. Eigentlich seien sie daher für den normativen Gehalt des § 4 AÜG viel wesentlicher als die Z 3, die (tatsächlich) nur die allgemeinen Begriffsbestimmungen des AÜG wiederhole.
4.15. NachSchneller (Eingemietete Dienstleister als Umgehung iS von § 4 AÜG, DRdA 2013, 436 [437 f]) schützt die österreichische Rechtsordnung durch die Regelungen vor allem der §§ 2, 4 und 10 AÜG sowohl die Stammbelegschaft als auch die überlassenen Arbeitskräfte vor Lohndumping. ÖGB und AK hätten schon in den 1980er-Jahren erkannt, dass es zu Umgehungsversuchen von Unternehmen kommen könnte. Deshalb hätten die Sozialpartner im Gesetzgebungsverfahren im Rahmen der Begutachtung des AÜG-Gesetzesentwurfs darauf gedrängt, „Zweifelsregelungen“, sogenannte Legalvermutungen, in das Gesetz aufzunehmen. Das Parlament habe diese Bedenken geteilt und im 1988 in Kraft getretenen AÜG die Bestimmung des § 4 AÜG verankert. Damit sollte den Gerichten ermöglicht werden, Gesetzesumgehungen und Scheinverträge aufzudecken. § 4 Abs 2 AÜG enthalte in vier Ziffern gegliedert eine beispielhafte Aufzählung typischer und gesetzlich vermuteter Merkmale von Arbeitskräfteüberlassung.
5. Der EuGH führte in seinem Urteil vom 18. 6. 2015, C‑586/13 , Rs Martin Meat, das die Folgen einer Verletzung des AuslBG betraf, wie folgt aus: „Für die Feststellung, ob ein Vertragsverhältnis wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende als Arbeitskräfteüberlassung im Sinne von Art 1 Abs 3 Buchst c der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 12. 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen einzustufen ist, ist jeder Anhaltspunkt dafür zu berücksichtigen, ob der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat den eigentlichen Gegenstand der Dienstleistung, auf den sich dieses Vertragsverhältnis bezieht, darstellt oder nicht. Einen Hinweis darauf, dass ein solcher Wechsel nicht der eigentliche Gegenstand der betreffenden Dienstleistung ist, stellen grundsätzlich ua der Umstand dar, dass der Dienstleistungserbringer die Folgen der nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich vereinbarten Leistung trägt, sowie der Umstand, dass es dem Dienstleistungserbringer freisteht, die Zahl der Arbeitnehmer zu bestimmen, deren Entsendung in den Aufnahmemitgliedstaat er für sachgerecht hält. Hingegen erlaubt der Umstand, dass das Unternehmen, dem die betreffende Leistung zugutekommt, kontrolliert, ob diese vertragsgemäß ist, oder allgemeine Anweisungen an die Arbeitnehmer des Dienstleistungserbringers erteilen kann, als solcher nicht die Schlussfolgerung, dass eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt.“
6. Aufgrund dieses Urteils des EuGH änderte der VwGH mit seinem Erkenntnis vom 22. 8. 2017, Ra 2017/11/0068, in grenzüberschreitenden – und damit von der Entsende-RL erfassten – Fällen seine Rechtsprechung (statt vieler weiterer Entscheidungen vgl nur jüngst VwGH Ra 2018/11/0111 und Ra 2020/11/0099). Aus dem Urteil des EuGH ergebe sich, dass für die Beurteilung, ob ein Sachverhalt als grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung zu beurteilen ist, aus unionsrechtlicher Sicht „jeder Anhaltspunkt“ zu berücksichtigen sei und somit unter mehreren Gesichtspunkten (nach dem „wahren wirtschaftlichen Gehalt“) zu prüfen sei. Im Speziellen seien dabei entsprechend dem Urteil des EuGH die Fragen, ob die Vergütung/das Entgelt auch von der Qualität der erbrachten Leistung abhängt bzw wer die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trägt, ob also der für einen Werkvertrag essenzielle „gewährleistungstaugliche“ Erfolg vereinbart wurde, wer die Zahl der für die Herstellung des Werks jeweils konkret eingesetzten Arbeitnehmer bestimmt und von wem die Arbeitnehmer die genauen und individuellen Weisungen für die Ausführung ihrer Tätigkeiten erhalten, von entscheidender Bedeutung.
7. In der Literatur ist strittig, ob das Urteil des EuGH in der Rs Martin Meat, C‑586/13 ,auch zu einer Änderung der Rechtsprechung zu Inlandsfällen zwingt. Dabei wird als Ausgangspunkt der Diskussion allgemein anerkannt, dass in reinen Inlandssachverhalten weder die europäischen Grundfreiheiten noch die Beitrittsverträge oder die Entsende‑RL unmittelbar relevant sind und die Leiharbeits-RL einer weiteren nationalen Definition von Arbeitskräfteüberlassung nicht entgegensteht (zB Th. Dullinger/Schörghofer, Dienstleistung versus Arbeitskräfteüberlassung, GRAU 2020/7 [22 f]).
7.1. Nach überwiegender Ansicht käme es bei Beibehaltung der bisherigen nationalen Rechtsprechung bei Inlandssachverhalten und damit – abhängig davon, ob ein Auslands- oder ein Inlandssachverhalt vorliegt – einer gespaltenen Auslegung im Fall, dass nach dem Wortlaut des § 4 AÜG eine Arbeitskräfteüberlassung vorläge, nach den Kriterien des EuGH hingegen nicht, zu einer sachlich ungerechtfertigten Inländerdiskriminierung, weil österreichische Unternehmer strenger behandelt würden als im Ausland ansässige. Eine sachliche Rechtfertigung der Diskriminierung sei nicht ersichtlich und könne insbesondere nicht in einem höheren Arbeitnehmerschutz erblickt werden, der durch eine grenzüberschreitende Tätigkeit auch unterlaufen werden könnte. Um die Inländerdiskriminierung hintanzuhalten dürfe eine Arbeitskräfteüberlassung auch bei Inlandssachverhalten nur dann angenommen werden, wenn eine Arbeitskräfteüberlassung aufgrund einer Gesamtbetrachtung im Sinne des Urteils des EuGH in der Rechtssache Martin Meat vorliege, somit nicht bloß deshalb, weil einer der Fälle des § 4 Abs 2 AÜG erfüllt sei (vgl Schörghofer, Grenzfälle der Arbeitskräfteüberlassung – Langfristige Überlassung, Payrolling und die Abgrenzung zum Werkvertrag [2015] 208 ff; ders, Glosse zuVwGH Ra 2017/11/0068 in DRdA 2018/28 [316 f]; Gleißner, Arbeitskräfteüberlassung: Umgehungsmöglichkeiten und deren [überschießende] Verhinderung, in Brodil, Diener fremder Herren [2016] 99 [101 f]; Brodil/Th. Dullinger, Arbeitskräfteüberlassung im Lichte des LSD-BG – Eine Annäherung an § 4 Abs 2 AÜG, in Brodil, Gestaltungsräume und neue Grenzen im Arbeitsrecht [2017] 78 ff; dies, Zur Abgrenzung von Werkvertrag und Arbeitskräfteüberlassung – Eine Annäherung an § 4 Abs 2 AÜG aus unionsrechtlicher Sicht, ZAS 2017/2 [11 f]; Krömer, Arbeitskräfteüberlassung reloaded, ecolex 2017, 1187 [1189 f]; Laback in Schrattbauer, AÜG [2020] § 4 Rz 31; Niksova, Glosse zu VwGH Ra 2017/11/0068 in ZAS 2018/15 [92 f]; dies, Abgrenzung Werkvertrag – Arbeitskräfteüberlassung: Zeit für eine Reform von § 4 AÜG, in Liber Amicorum Mazal [2019] 79 ff; dies in Schrattbauer aaO §§ 16, 16a Rz 60; Schrank, Leitentscheidungen der Höchstgerichte zum Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht, 28.1.1.Nr.5 [Anmerkung zu VwGH Ra 2017/11/0068]; Th. Dullinger/Schörghofer, GRAU 2020/7).
7.2. NachSchindler (in Brodil aaO [2016] 83 f; ders in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 4 AÜG Rz 3/1 und §§ 16, 16a AÜG Rz 14) hat das Urteil des EuGH hingegen für innerösterreichische Sachverhalte keine Auswirkung. Dass § 4 AÜG gegebenenfalls unterschiedlich auszulegen sei, ergebe sich schon aus der historischen Interpretation. Da die Fassung des § 4 AÜG aus dem Jahr 1988 nie geändert worden sei, könne die Entsende-RL aus dem Jahr 1996 für ihre innerösterreichische Auslegung nicht ergiebig sein. Eine gespaltene Auslegung sei auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Dienstleistungsfreiheit führe in unionsrechtlich nicht harmonisierten Bereichen zwangsläufig zur Ungleichbehandlung ausländischer und inländischer Gewerbetreibender durch national unterschiedliche gewerberechtliche Regeln. Zudem sei es sachlich gerechtfertigt, in den zwangsläufig ungleich häufigeren Fällen inländischer Überlassungen ein einfaches, rechtssicheres Abgrenzungsverfahren zu normieren, auch wenn dieses bei grenzüberschreitenden Überlassungen nicht angewendet werden dürfe. Die allfälligen Vorteile ausländischer Überlasser seien auch gering und die umfassenden Ziele des AÜG könnten anders nicht erreicht werden. Vorschriften des nationalen Rechts dürften für diese Abgrenzung andere, insbesondere strengere Kriterien aufstellen. Für die Zulässigkeit spreche schon Erwägung 19 der Entsende-RL. Danach stehe die Richtlinie strikteren Bestimmungen betreffend (nur) die Arbeitskräfteüberlassung (seinerzeit bis hin zu deren Verbot) nicht entgegen, zumal der materielle Inhalt solcher Regelungen im Kern die Abgrenzung verschiedener Dienstleistungen voneinander sei.
Mit Blick auf das (in § 2 Abs 2 auf § 4 Abs 2 AÜG verweisende) LSD-BG trittGagawczuk (Die Auswirkungen der EuGH-Judikatur zum Begriff der Arbeitskräfteüberlassung auf das LSD-BG, DRdA 2018, 394 ff) für eine Differenzierung ein. Nur dort, wo die Entsende‑RL eine Sperrwirkung entfalte, sei die Definition des EuGH zur Arbeitskräfteüberlassung von Relevanz. Dies sei bei Art 3 Abs 9 und Art 3 Abs 1 lit d der Fall. Für den Anwendungsbereich der Arbeitsbedingungen gemäß Art 3 Abs 1 lit a bis c und e bis g Entsende-RL bedeute eine Verschiebung bei der Abgrenzung zwischen Werkvertrag und Arbeitskräfteüberlassung nicht, dass der Anwendungsbereich der Entsende-RL verlassen werde. Dies gelte insbesondere auch für die Mindestlöhne und insbesondere auch dann, wenn diese Lohnvorschriften innerstaatlich als Mindestlöhne bei Arbeitskräfteüberlassung etikettiert würden, europarechtlich aber als Mindestlöhne für Entsendungen im engeren Sinn einzuordnen wären.
Der Senat hat erwogen:
8. Es besteht grundsätzlich keine Veranlassung, von der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 4 Abs 2 AÜG abzugehen. Der Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig. Aus dem Wort „oder“ in Verbindung mit der Wendung, dass Arbeitskräfteüberlassung „insbesondere auch vor[liegt], wenn …“, ergibt sich zwingend, dass jeder der vier im Folgenden vom Gesetzgeber aufgezählten Tatbestände (Fälle) zur Annahme von Arbeitskräfteüberlassung führt. Dieses Verständnis war – wie aus den Gesetzesmaterialien ersichtlich – auch jenes des historischen Gesetzgebers (siehe Pkt 1). § 4 Abs 2 AÜG konkretisiert zu Verhinderung von Umgehungskonstruktionen die wirtschaftliche Betrachtungsweise.
Die Kritik an der Rechtsprechung und dem Gesetzgeber ist, wenn man § 3 AÜG als Darstellung von Rechtsgeschäften (Abs 1: „… Zurverfügungstellung von Arbeitskräften…“; Abs 2: „… wer Arbeitskräfte zur Arbeitsleistung an Dritte vertraglich verpflichtet …“) versteht und einen „Beschäftiger“ nur dort annimmt, wo jemandem die typischen Arbeitgeberbefugnisse übertragen werden, verständlich. Dieser Ansatz kommt aber schon bei § 3 Abs 4 AÜG an seine Grenzen, bei dem der Begriff der Arbeitskräfte auf arbeitnehmerähnliche Personen, die in keinem Arbeitsverhältnis stehen, erweitert wird (unerörtert bleiben können hier die Tatbestandsvoraussetzungen einzelner Bestimmungen des AÜG). § 4 Abs 1 AÜG ordnet dann ja auch deutlich an, dass es um den „wahren wirtschaftlichen Gehalt“ – also nicht die Vertragskonstruktion und auch nicht die „äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes“ – geht. Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise rechtfertigt sich auch aus dem Ziel des AÜG, nicht nur die überlassenen Arbeitskräfte, sondern auch die Stammarbeitnehmer zu schützen und arbeitsmarktpolitisch nachteilige Entwicklungen zu vermeiden. Dem Ansatz einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise kommt insoweit gerade bei der zentralen Anordnung des AÜG zur Sicherung des Niveaus der kollektivvertraglichen Ansprüche in den Beschäftigerbetrieben (§ 10 AÜG; vgl im Übrigen § 9 Abs 3 ArbVG) Bedeutung zu.
Insoweit ist es auch schlüssig, wenn nach § 4 Abs 2 AÜG, „insbesondere auch“ dann Arbeitskräfteüberlassung vorliegt, wenn die Erbringung von Arbeitsleistungen „im Betrieb des Werkbestellers“ in Erfüllung von Werkverträgen erfolgt, aber kein „von den Produkten … des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werk“ erstellt wird oder die Arbeiten nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers geleistet werden. Dass in jedem dieser Fälle dieser Faktor „wirtschaftlich“ (§ 4 Abs 1 AÜG) so relevant sein muss, dass dies die Gleichstellung rechtfertigt, erfordert noch nicht eine Gesamtbetrachtung, schließt diese aber auch nicht aus, vermeidet aber die in der Kritik genannten Befürchtungen, dass schon das Zurverfügungstellen eines Isolierbandes an einen beauftragten Elektriker zur Annahme einer Arbeitskräfteüberlassung nach § 4 Abs 2 Z 2 AÜG führen könnte. Weder zu 8 ObA 7/14h (Prüfung von Werkteilen im Betrieb) noch 8 ObA 6/16i (Sachbearbeiter im Betrieb) lag ein abweichendes unterscheidbares „Produkt“ vor. Dieses setzt wohl voraus, dass – auch außerhalb der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen – wirtschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet werden, die es sinnhaft erscheinen lassen, die Leistungen als eigenes Werk allgemein am Markt anzubieten oder zu beziehen. Dies kann wohl bei den in der Kritik genannten im Betrieb eines Auftraggebers erbrachten Leistungen eines Softwareunternehmens oder eines Reinigungsunternehmens nicht ausgeschlossen werden.
Anhand der Vorschrift des § 4 Abs 2 AÜG kann der Arbeitnehmer zudem leicht ermitteln, ob sein Arbeitsverhältnis den Vorschriften über die Arbeitskräfteüberlassung unterliegt. Käme es insofern primär auf den Vertrag zwischen seinem Arbeitgeber und dem Unternehmen, in dessen Betrieb er seine Arbeit erbringt an, so wäre dies für ihn mit beträchtlicher Rechtsunsicherheit verbunden, zumal er in die diesbezügliche Vereinbarung gerade nicht eingebunden ist und sie für ihn daher in der Regel auch im Dunkeln liegt.
Eine richtlinienkonforme Auslegung darf einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung keinen durch die nationalen Auslegungsregeln nicht erzielbaren abweichenden oder gar entgegengesetzten Sinn geben (RS0114158 [T7]; Kerschner/Kehrer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 §§ 6, 7 ABGB Rz 139; P. Bydlinski, Richtlinienkonforme „gesetzesübersteigende“ Rechtsfindung und ihre Grenzen – eine methodische Vergewisserung anlässlich 20 Jahre EU-Mitgliedschaft, JBl 2015, 2 [4 ff]). Das Verbot des Judizierens contra legem gilt gleichermaßen für die verfassungskonforme Interpretation (1 Ob 9/03k [Pkt 3.2]; Canaris, Die verfassungskonforme Auslegung und Rechtsfortbildung im System der juristischen Methodenlehre, in FS Kramer [2004] 141 [158]; Posch in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 6 Rz 27; Schoditsch, Grundrechte und Privatrecht [2019] 187). Gleichgültig, ob die in der Literatur verbreitete Forderung, eine Arbeitskräfteüberlassung nicht bereits dann anzunehmen, wenn einer der vier Fälle des § 4 Abs 2 AÜG erfüllt ist, sondern nur dann, wenn sie nach einer Gesamtbetrachtung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH vorliege, methodisch auf einer richtlinienkonformen oder – zur Vermeidung einer allenfalls unzulässigen Inländerdiskriminierung – verfassungskonformen Interpretation beruhen sollte, vermag der Oberste Gerichtshof aufgrund des strikten Wortlauts von § 4 Abs 2 AÜG dieser Forderung de lege lata nicht näherzutreten. Dies ist, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, auch bei Beachtung der EuGH‑Entscheidungen nicht erforderlich.
Nach dem vom Obersten Gerichtshof weiterhin vertretenen Verständnis liegt im vorliegenden Fall eine Arbeitskräfteüberlassung vor. Dies ergibt sich ansatzweise schon daraus, dass die Klägerin die Arbeit im Betrieb der Brauerei nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug der Beklagten leistete (§ 4 Abs 2 Z 2 AÜG), vor allem aber daraus, dass kein abweichendes unterscheidbares, der Beklagten zurechenbares Produkt vorliegt (§ 4 Abs 2 Z 1 AÜG). Für die Qualifizierung als Arbeitskräfteüberlassung spricht auch, dass die B***** entscheidet, ob sie gerade mehr oder weniger Flaschen braucht, und sie das der Teamvorgesetzten S***** mitteilt, die den Wunsch umsetzt, indem sie die Arbeitnehmer entsprechend anweist. Es macht bei wirtschaftlicher Betrachtung keinen Unterschied, ob die einzelnen Arbeitnehmer direkt von einem B*****‑Vertreter Anweisungen erhalten, oder ob dazwischen noch eine Hierarchieebene auf Beklagtenseite eingezogen wird, die ihrerseits Weisungen der B***** entgegennimmt und formal als von der Beklagten stammend einfach weitergibt. In beiden Fällen verfügt die B***** über den Einsatz der Arbeitskräfte so, wie wenn es ihre eigenen wären.
9. Selbst wenn das Beibehalten der bisherigen Rechtsprechung zu einer Inländerdiskriminierung führen sollte, wäre zu prüfen, ob diese nicht sachlich gerechtfertigt wäre. Ob es dazu ausreicht, dass schon aufgrund der Entfernungen rein inländische Arbeitskräfteüberlassungen ungleich häufiger als grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassungen vorkommen, und es dem Gesetzgeber wohl darum ging, einfache Kriterien aufzustellen, bei denen aufgrund ihrer Typizität unwiderlegbar das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung vermutet wird, wäre näher zu prüfen.
Nur wenn der Oberste Gerichtshof konkrete Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer Gesetzesbestimmung hätte, ist er zur Einleitung eines Normprüfungsverfahrens verpflichtet (RS0053977). Ob Bedenken gegen die Anwendung eines Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit bestehen, ist nach objektiven Gerichtspunkten zu prüfen. Eine Pflicht des Gerichts zur Anrufung des VfGH besteht nicht bereits deshalb, weil eine Partei Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes äußert (RS0108286; RS0053638). Letzteres gilt umso mehr seit Einführung des Parteiantrags auf Normenkontrolle zum 1. 1. 2015 (Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG, § 528b ZPO), hat doch nunmehr jede Partei abseits von engen, hier nicht vorliegenden Ausnahmen stets die Möglichkeit, anlässlich der Anfechtung der erstinstanzlichen Entscheidung ihre Bedenken gegen die Gültigkeit einer präjudiziellen Norm selbst an den VfGH heranzutragen (8 ObA 6/20w). Es wäre der Beklagten also freigestanden, nach ihrer Ansicht allenfalls vorliegende Zweifel an der sachlichen Rechtfertigung einer ihrer Beurteilung nach vorliegenden Inländerdiskriminierung zum Anlass zu nehmen, einen Parteiantrag auf Normenkontrolle zwecks Aufhebung des § 4 Abs 2 Z 1, 2, 3 und/oder 4 AÜG an den Verfassungsgerichtshof zu stellen, was sie aber unterließ.
10. Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt keine Inländerdiskriminierung vor:
10.1. Die Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsende-RL) wäre – hätte die Beklagte zB in der Slowakei ihren Sitz – aufgrund von Art 3 Abs 1 Unterabs 1 Satz 2 der (Änderungs-)Richtlinie (EU) 2018/957 im vorliegenden Fall noch in ihrer Stammfassung anzuwenden.
10.2. Die Entsende-RL 96/71/EG enthält in ihrem Art 3 Abs 1 die Verpflichtung der Mitgliedstaaten für alle in Art 1 Abs 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern die Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen des Ortes der Arbeitsleistungen ua hinsichtlich der Mindestlöhne (lit c) und der Bedingungen für Leiharbeitsunternehmen (lit d) zu garantieren. § 6 Abs 2 LSD‑BG legt fest, dass die für gewerblich überlassene Arbeitskräfte geltenden Kollektivverträge auch für aus dem Ausland überlassene Arbeitskräfte gelten. Art 3 Abs 9 der RL 96/17/EG legt noch „zusätzlich“ (vgl etwa Rebhahn in Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht2 [2018] Art 3 RL 96/71/EG Rz 30) fest, dass die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass alle für Leiharbeitsunternehmen geltenden Bedingungen anzuwenden sind. § 6 Abs 3 LSD‑BG ordnet an, dass das AÜG und vergleichbare österreichische Rechtsvorschriften auch für grenzüberschreitend überlassene Arbeitskräfte gelten.
Die Entsende‑RL 96/71/EG gilt gemäß ihrem Art 1 für Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat, die im Rahmen der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer gemäß Abs 3 in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden. Nach Abs 3 findet die Entsenderichtlinie Anwendung, „soweit die in Abs 1 genannten Unternehmen eine der folgenden länderübergreifenden Maßnahmen treffen:
a) einen Arbeitnehmer in ihrem Namen und unter ihrer Leitung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats im Rahmen eines Vertrags entsenden, der zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem in diesem Mitgliedstaat tätigen Dienstleistungsempfänger geschlossen wurde, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht, oder
b) einen Arbeitnehmer in eine Niederlassung oder ein der Unternehmensgruppe angehörendes Unternehmen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht, oder
c) als Leiharbeitsunternehmen oder als einen Arbeitnehmer zur Verfügung stellendes Unternehmen einen Arbeitnehmer in ein verwendendes Unternehmen entsenden, das seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat oder dort seine Tätigkeit ausübt, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitsunternehmen oder dem einen Arbeitnehmer zur Verfügung stellenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht.“
10.3. Nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Martin Meat, C‑586/13 , liegt eine Arbeitskräfteüberlassung iSv Art 1 Abs 3 lit c der Entsende‑RL vor, wenn drei Voraussetzungen (kumulativ) erfüllt sind (Rz 33):
„Erstens muss es sich bei der Überlassung von Arbeitskräften um eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung handeln, bei der der entsandte Arbeitnehmer im Dienst des die Dienstleistung erbringenden Unternehmens bleibt, ohne dass ein Arbeitsvertrag mit dem verwendenden Unternehmen geschlossen wird.
Zweitens muss das wesentliche Merkmal dieser Überlassung darin bestehen, dass der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung des erbringenden Unternehmens ist.
Drittens muss der Arbeitnehmer im Rahmen einer solchen Überlassung seine Aufgaben unter der Aufsicht und Leitung des verwendenden Unternehmens wahrnehmen.“
10.4. Die erste Voraussetzung ist im vorliegenden Fall offenkundig erfüllt.
10.5.1. Die zweite Voraussetzung erfordert nach dem EuGH eine Analyse des eigentlichen Gegenstands der Dienstleistung des erbringenden Unternehmens. Dabei ist jeder Anhaltspunkt dafür zu berücksichtigen, dass der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat den Gegenstand der betreffenden Dienstleistung darstellt oder nicht darstellt (Martin Meat, Rz 34). Insbesondere ist jeder Anhaltspunkt dafür zu berücksichtigen, dass der Dienstleistungserbringer nicht die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trägt (Martin Meat, Rz 35).
10.5.2. Nach dem VwGH soll es deshalb darauf ankommen, ob der für einen Werkvertrag essenzielle
„gewährleistungstaugliche“ Erfolg vereinbart wurde (VwGH Ra 2017/11/0068; Ra 2018/11/0061 ua), „nach welchen die für den Werkvertrag typischen Gewährleistungsansprüche bei Nichtherstellung oder mangelhafter Herstellung des Werkes beurteilt werden können“ (VwGH 2013/09/0097). Dem ist insofern beizupflichten, als der EuGH erkennbar aus dem Umstand, dass ein Unternehmen dem anderen für eine Schlechtleistung einzustehen hat, ableitet, dass es diesfalls eben nicht nur dem anderen Unternehmen die Arbeitskräfteüberlassung schuldet, sondern vielmehr die Abarbeitung eines Auftrags.
10.5.3. Im zu beurteilenden Fall war zwischen der Beklagten und der B***** vereinbart, dass die Beklagte der B***** die „palettenweise Lieferung von sortierten Bierflaschen mit funktionstüchtigen Schnellverschlüssen“ schuldet (Punkt 1 des – seinem Inhalt nach zwischen den Parteien unstrittigen – Vertrags Beilage ./2). Zu diesem Zweck muss sie nach dem Vertrag die ihr von der B***** zur Verfügung gestellten (gebrauchten) Flaschen sortieren (Punkt 1.2 des Vertrags: „Sortieren und öffnen der Flaschen sowie kontrollieren der Verschlusskappen und bei Beschädigungen aussortieren“) und (gegebenenfalls) reparieren (Punkt 1.1 des Vertrags: „Austauschen von beschädigten Gummidichtungen und Reparieren von defekten Metallverschlüssen“). Als Preis je (sortierter und gegebenenfalls reparierter) Flasche wurde bei Bestellungen einer Mindestmenge von 2,5 Millionen Flaschen pro Jahr 0,024 EUR vereinbart (Punkt 6 des Vertrags). Die Beklagte als „Dienstleistungserbringer“ hatte damit iSd Rz 35 des Urteils des EuGH in der Rechtssache Martin Meat die „Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung“ zu tragen, weil sie nur pro (ordnungsgemäß) sortierter und gegebenenfalls (ordnungsgemäß) reparierter Flasche das vereinbarte Entgelt erhielt.
Eine Subsumtion des Sachverhalts (hätte sich dieser grenzübergreifend ereignet) unter die lit c des Art 1 Abs 3 Entsende-RL wäre daher wohl nicht möglich.
10.6. Damit wäre die Anwendbarkeit der Entsende-RL nach ihrem Art 1 Abs 3 lit a und b zu prüfen.
Die lit a erfasst alle Fälle, in denen Unternehmer in ihrem Namen und unter ihrer Leitung Arbeitnehmer in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen eines Vertrags mit einem in diesem Mitgliedstaat tätigen Dienstleistungsempfängers entsenden. Weder die Rechtsnatur noch die Natur der Dienstleistung ist entscheidend (Krebber in Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht3 [2020] RL 96/71/EG Art 1 Rz 33 mwN). Soweit also eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit releviert würde, könnte die Anwendung von §§ 3, 4 und 10 AÜG auch auf diese Bestimmung gestützt werden.
Näher liegt hier aber noch die Prüfung nach der lit b des Art 1 Abs 3 der RL 96/71/EG .
Dieser Fall nennt folgende länderübergreifende Maßnahme, bei deren Vorliegen die Richtlinie Anwendung findet, soweit sie von einem in Art 1 Abs 1 genannten Unternehmen gesetzt wird: „b) einen Arbeitnehmer in eine Niederlassung oder ein der Unternehmensgruppe angehörendes Unternehmen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht“.
10.6.1. Nach dem Vorschlag der Kommission für die Entsende-RL könnte ein Verzicht auf Art 1 Abs 3 lit b die ganze Richtlinie zur Bedeutungslosigkeit verurteilen. Ein Unternehmen bräuchte nur eine Niederlassung oder Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat zu eröffnen und einige seiner Arbeitnehmer zur Erbringung einer zeitlich befristeten Arbeitsleistung dieser Niederlassung oder Tochtergesellschaft zuzuweisen, um nicht mehr an die Richtlinie gebunden zu sein (KOM [91] 230 endg 15). Somit soll lit b (auch) Umgehungstatbestände erfassen (Görres, Grenzüberschreitende Arbeitnehmerentsendung in der EU [2003] 108 mwH). Lit b erfasst jedenfalls Fälle, in denen dem Muster von lit a folgend der Arbeitgeber der entsandten Arbeitnehmer einen Auftrag annimmt, den er mit seinen Arbeitnehmern in der Zweigniederlassung oder dem anderen zur Unternehmensgruppe gehörenden Unternehmen erledigt (Krebber in Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht3 [2020] RL 96/71/EG Art 1 Rz 35 mwH).
10.6.2. Weil eine Niederlassung reicht, ist nicht zwingend erforderlich, dass der Dienstleistungsempfänger eine bestimmte Rechtsform annimmt (Krebber aaO Rz 34). Nach der Judikatur des EuGH zu Art 49 AEUV ist der Begriff der Niederlassung ein sehr weiter, der die Möglichkeit für einen Gemeinschaftsangehörigen impliziert, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats als seines Herkunftsstaats teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen, wodurch die wirtschaftliche und soziale Verflechtung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der selbständigen Tätigkeiten gefördert wird. Die Aufrechterhaltung einer ständigen Präsenz in einem Mitgliedstaat durch ein in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenes Unternehmen kann daher den Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit unterliegen, auch wenn diese Präsenz nicht die Form einer Zweigniederlassung oder einer Agentur angenommen hat, sondern lediglich durch ein Büro wahrgenommen wird, das gegebenenfalls von einer Person geführt wird, die zwar unabhängig, aber beauftragt ist, auf Dauer für dieses Unternehmen wie eine Agentur zu handeln (EuGH C‑316/07 , C‑58-360/07, C‑409 und 410/07 – Rs Stoß Rz 59 mwN). Die Niederlassungsfreiheit findet damit Anwendung, wenn Dritte als verlängerter Arm des Unternehmens und damit „wie eine Agentur“ fungieren (Korte in Calliess/Ruffert 5 [2016] Art 49 AEUV Rz 17).
10.6.3. Diesen Maßstab zu Grunde gelegt wäre hier – hätte sich der Sachverhalt grenzüberschreitend ereignet – ein Fall der lit b des Art 1 Abs 3 Entsende-RL zu bejahen: Nimmt man die Weisungsfreiheit der Klägerin ernst, handelte diese gegenüber der B***** unabhängig, aber auf Dauer als verlängerter Arm der Beklagten. Ferner hatte sich nach den Feststellungen in der alten Halle ein Schild mit der Aufschrift „S*****“ befunden, um den Bereich der Mitarbeiter der Beklagten abzugrenzen. Es wurde zwar nach rund zwei Wochen entfernt, um den Staplerfahrern das Durchfahren zu ermöglichen. Durch seine Anbringung zielte die Beklagte aber erkennbar darauf ab, einen Betriebsteil und damit eine Niederlassung zu errichten. Es lag eine „Fabrik in der Fabrik“ vor.
10.6.4. Damit wäre auch unter Annahme eines grenzüberschreitenden Sachverhalts die Entsende-RL anzuwenden.
10.7. Die Entsende-RL sieht in ihrem Art 3 Abs 1 vor, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen, „dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Art 1 Abs 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird,
- durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder
- durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche im Sinne des Abs 8, sofern sie die im Anhang genannten Tätigkeiten betreffen, festgelegt sind:
[…]
c) Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze […]
d) Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen;
[…]“
Nach Abs 10 des Art 3 der RL 96/71/EG können die Mitgliedstaaten die Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen, die in Tarifverträgen festgelegt sind, auch auf andere als die im Anhang genannten (Bau‑)Tätigkeiten ausdehnen. Es ist nun nicht ersichtlich, warum die Anordnung der Geltung der für das Gewerbe der Leiharbeitsunternehmen geltenden kollektivvertraglichen Mindestlöhne in § 6 Abs 3 LSD‑BG bei dauerhaften Beschäftigungen wie den vorliegenden nicht schon aufgrund der lit c des Art 3 Abs 1 der RL 96/71/EG mit der Dienstleistungsfreiheit in Übereinstimmung stehen sollte (vgl auch Art 3 Abs 1 und Abs 1a der ÄRL 2018/957 ). Welche Art der Entsendung im Sinne des Art 1 Abs 3 der RL 96/71/EG vorliegt ist bei dauerhaften Entsendungen insoweit irrelevant (vgl zu den zeitlichen und inhaltlichen Untergrenzen etwa die Abs 2 bis 6 des Art 3 der RL 96/71/EG ). Dass im Ergebnis für „Entsendungen“ im Rahmen von Leiharbeitsunternehmen vom EuGH und dem nun folgend auch vom VwGH der Begriff des Leiharbeitsunternehmens nach Art 1 Abs 3 lit c der RL 96/71/EG offenbar enger als in § 4 Abs 2 AÜG verstanden wird, ist insoweit ohne Bedeutung, weil sich die Anwendung gar nicht auf die lit c des Art 1 Abs 3 der RL 96/71/EG stützen muss.
Eine Inländerdiskriminierung liegt damit nicht vor.
11. Dass ausgehend von der Anwendung des § 4 Abs 2 AÜG in der bisherigen höchstgerichtlichen Auslegung sich die Klagsforderung als berechtigt erweist, ist vor dem Obersten Gerichtshof nicht strittig. Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO.
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