European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00006.20W.0424.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO
zurückgewiesen.
Begründung:
Streitgegenständlich ist ein Anspruch von Arbeitnehmern der beklagten Pensionsversicherungsanstalt auf bis zu zwei zusätzliche Urlaubstage pro Kalenderjahr, wenn ein Feiertag auf einen Samstag fällt („Samstagsfeiertagsregelung“). Die Vorinstanzen wiesen die nach § 54 Abs 1 ASGG erhobene Feststellungsklage mit der wesentlichen Begründung ab, dass ein solcher Anspruch nur unter den Voraussetzungen des § 460 Abs 1 ASVG bestehen könnte, die hier aber nicht erfüllt seien. Der klagende Zentralbetriebsrat bringt in seiner außerordentlichen Revision keine Rechtsfrage der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zur Darstellung.
Rechtliche Beurteilung
1. Seit der Einführung des § 460 ASVG am 1. 1. 1988 müssen die Formalvoraussetzungen dieser Bestimmungen eingehalten werden, wenn sich der Arbeitnehmer auf ihn begünstigende Sondervereinbarungen – sei es auch im Rahmen einer Betriebsübung – berufen will (RIS‑Justiz RS0119176). Gemäß § 460 Abs 1 Satz 2 ASVG können (nur) in begründeten Fällen im Dienstvertrag von den Dienstordnungen (§ 31 Abs 3 Z 9 aF bzw § 30b Abs 1 Z 1 nF ASVG) abweichende Vereinbarungen – ausgenommen solche über die Höhe einer Leitungszulage – getroffen werden. Gemäß § 460 Abs 1 Satz 4 ASVG sind Dienstverträge mit solchen Vereinbarungen als Sonderverträge zu bezeichnen und nur dann gültig, wenn sie schriftlich abgeschlossen werden und der Hauptverband (ab 1. 1. 2020 aufgrund des Sozialversicherungs-Organisationsgesetzes [SV‑OG], BGBl I 2018/100: der Dachverband) vor dem Abschluss schriftlich zugestimmt hat. Die Zustimmung muss ausdrücklich erfolgen (RS0029331 [zu § 36 VBG]; 8 ObA 214/98y = ZAS 2001/5 [Stelzer – zu § 25 GehaltsG 1956]). Eine solche Zustimmung des Haupt- bzw Dachverbandes liegt unstrittig nicht vor.
2. Der Kläger beruft sich darauf, dass die „Samstagsfeiertagsregelung ausdrücklich Thema von Betriebsvereinbarungen“ (vgl zur eingeschränkten Kompetenz RS0050960 [T2]) zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat gewesen sei und die Beklagte der Regelung ausdrücklich zugestimmt habe. Das Gesetz verlangt aber eindeutig (auch) eine schriftliche Zustimmung des Hauptverbandes bzw nunmehr Dachverbandes. Offenkundiger Zweck dessen ist gerade, dass ein Sozialversicherungsträger allein einen Sondervertrag nicht abschließen kann. Fehlt die erforderliche Zustimmung des Hauptverbandes (nunmehr Dachverbandes), gibt es auch keinen Vertrauensschutz (vgl RS0029314). Einer Berufung auf den Vertrauensschutz steht entgegen, dass der Gesetzgeber durch § 460 Abs 1 ASVG gerade ausschließen wollte, dass „Sozialversicherungsbedienstete unter Berufung auf die bisherige Betriebsübung, auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und auf behauptete konkludente Vereinbarungen […] eine Besserstellung gegenüber dem allgemein vorgesehenen dienstrechtlichen Niveau [erreichen]“ (ErläutRV 324 BlgNR 17. GP 43; vgl Klein in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm §§ 460a–460c ASVG Rz 7; Resch, Begründung arbeitsrechtlicher Rechte und Pflichten: Allgemeines Arbeitsrecht versus Formstrenge im Dienstrecht, JAS 2017, 340 [344, 347]).
3. Der Kläger führt ins Treffen, dass im Bereich der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter die Samstagsfeiertagsregelung als Betriebsübung bereits vor dem 1. 1. 1988 bestanden habe und § 460 Abs 1 ASVG daher zeitlich nicht anwendbar sei. Das Berufungsgericht verwies bereits eingangs seiner rechtlichen Ausführungen darauf, dass der Kläger mit Schriftsatz vom 12. 10. 2018 ausdrücklich erklärt habe, das Klagebegehren hinsichtlich der betrieblichen Übung „vor der Novelle mit 1. 1. 1988“ sowohl in Bezug auf die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter als auch die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten (welche zum 1. 1. 2003 zur Beklagten fusionierten) zurückzuziehen. Das Berufungsgericht schloss daraus, dass nur mehr auf eine behauptete betriebliche Übung seit dieser Novelle gestützte Ansprüche verfahrensgegenständlich seien. Sowohl die Auslegung des Parteienvorbringens als auch die des Klagebegehrens im Einzelfall ist – abgesehen von Verstößen gegen Denkgesetze oder Unvereinbarkeit mit dem Wortlaut – jeweils keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0042828 [T31]; RS0037440 [T6]). Wenn das Berufungsgericht aufgrund der mit dem Schriftsatz vom 12. 10. 2018 vorgenommenen Klagsänderung und der hierzu vom Kläger gegebenen Begründung den Schluss zog, der Kläger stütze sich nicht mehr auf eine Betriebsübung im Bereich der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter bereits vor dem 1. 1. 1988, ist dies vertretbar. Jedenfalls stellt die außerordentliche Revision nicht dar, warum die Auslegung des Berufungsgerichts korrekturbedürftig sein sollte.
4. Der Kläger äußert die Ansicht, § 460 Abs 1 ASVG sei verfassungswidrig. Die Bestimmung verhindere nicht nur betriebliche Übungen, sondern auch Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Belegschaftsvertretern, die als Vertragsschablonen auf die Einzelverträge einwirkten. Damit würden Arbeitnehmer der Beklagten nicht gleich wie Arbeitnehmer sonstiger Arbeitgeber behandelt und unsachlich benachteiligt. Es liege weder im öffentlichen Interesse noch sei es verhältnismäßig und sachlich begründbar, dass § 460 Abs 1 ASVG für einen Rechtsträger, auf welchen sonst das „normale“ private Arbeitsrecht zur Anwendung gelangt, Regelungen vorsieht, wonach eine Bindung an die Dienstordnung – mit Ausnahme der Zustimmung des Dachverbandes – zwingend vorgesehen ist, die also eines der Grundprinzipien des privaten Arbeitsrechts, nämlich das Günstigkeitsprinzip, de facto in diesem Bereich abschaffe.
4.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können Sozialversicherungsträger – und damit auch die beklagte Pensionsversicherungsanstalt – als Körperschaften des öffentlichen Rechts mit hoheitlichen Befugnissen nicht schlechthin einem privaten Dienstgeber gleichgesetzt werden, auch wenn die von ihnen abgeschlossenen Dienstverträge privater Natur sind (9 ObA 206/93; 8 ObA 302/94; 9 ObA 324/00p). Zweck einer Vorschrift wie sie hier mit § 460 Abs 1 ASVG vorliegt ist auch der Schutz des gerade nicht privaten Dienstgebers und damit der öffentlichen Hand im weiteren Sinne vor den Kosten sachlich nicht gerechtfertigter Privilegierungen (vgl 8 ObA 214/98y [zu § 25 GehaltsG 1956];
8 ObA 36/13x [zu § 54 Wr‑VBO 1979]; 9 ObA 122/14b = DRdA 2016/12 [Berka] und 8 ObA 51/19m [jeweils zu § 36 VBG]). Dies zeigt sich auch darin, dass § 460 Abs 1 ASVG auf eine Anregung des Rechnungshofs zurückgeht (ErläutRV 324 BlgNR 17. GP 43). Die Sozialversicherungsträger sind in ihrer gesamten Gebarung an die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit gebunden; der Rechnungshof ist berufen, ihre Gebarung unter den erwähnten Kriterien zu überprüfen (Korinek/Leitl‑Staudinger in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts [27. ErgLfg] Kap 4.2.4. [S 528]). Die strengen Voraussetzungen, an die der Gesetzgeber günstigere Einzelvereinbarungen geknüpft hat (§ 460 Abs 1 ASVG) wurzeln im die Verwaltung der Sozialversicherung prägenden Wirtschaftlichkeitsgebot (Klein in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm §§ 460a–460c ASVG Rz 2).
4.2. Gegen die Verfassungsgemäßheit von Bestimmungen wie den hier statuierten Zustimmungserfordernissen zum Abschluss von Sonderverträgen bestehen aus Sicht des Obersten Gerichtshofs keine Bedenken (RS0081722 [zu § 36 Abs 1 VBG]). Nur wenn der Oberste Gerichtshof Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer Gesetzesbestimmung hat, ist er zur Einleitung eines Normprüfungsverfahrens verpflichtet (RS0053977). Ob Bedenken gegen die Anwendung eines Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit bestehen, ist nach objektiven Gerichtspunkten zu prüfen. Eine Pflicht des Gerichts zur Anrufung des VfGH besteht nicht bereits deshalb, weil eine Partei Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes äußert (RS0108286; RS0053638). Letzteres gilt umso mehr seit Einführung des Parteiantrags auf Normenkontrolle zum 1. 1. 2015 (Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG § 528b ZPO), hat doch nunmehr jede Partei abseits von engen, hier nicht vorliegenden Ausnahmen stets die Möglichkeit, anlässlich der Anfechtung der erstinstanzlichen Entscheidung ihre Bedenken gegen die Gültigkeit einer präjudiziellen Norm selbst an den VfGH heranzutragen. Dies unterließ hier der Kläger.
5. Die Berechnung des Urlaubsmaßes nach dem UrlG erfolgt nach Werktagen. Darunter sind die Wochentage von Montag bis einschließlich Samstag mit Ausnahme der in diesen Zeitraum fallenden gesetzlichen Feiertage zu verstehen. Sonntage und gesetzliche Feiertage, die in den Zeitraum des Urlaubsverbrauchs fallen, sind daher nicht als Werktage zu berechnen. Werktage, an denen im Betrieb nicht gearbeitet wird (zB ein Samstag bei einer fünf-Tage-Woche), werden hingegen auf den Urlaub angerechnet. Fällt ein gesetzlicher Feiertag auf einen ansonsten arbeitsfreien Werktag, ist dieser Feiertag auf den Urlaub nicht anzurechnen; es ist für diesen Feiertag vielmehr ein zusätzlicher Urlaubstag zu gewähren (RS0058884).
Wird der Urlaub – so wie es bei der Beklagten, bei der von Montag bis Freitag gearbeitet wird, der Fall ist – in Arbeitstagen berechnet, so ist er nur für Arbeitstage zu gewähren. In Fällen, in denen der Samstag arbeitsfrei ist, bleibt ein auf einen Samstag fallender Feiertag auf den Urlaubsverbrauch ohne Einfluss. Ebenso wie bei der Werktagsregelung ein auf einen Sonntag fallender Feiertag keine Auswirkung auf die Dauer des Urlaubs hat, hat bei der Arbeitstagsregelung ein Samstagfeiertag, wenn der Samstag allgemein arbeitsfrei ist, außer Betracht zu bleiben (9 ObA 350/93 = DRdA 1994/31 [zust Klein]; 9 ObA 606/93; RS0077276). Die Samstagsfeiertagsregelung, wonach ein Arbeitnehmer für jeden Samstag, der auf einen Feiertag entfällt, einen zusätzlichen Urlaubstag erhält (höchstens aber zwei), stellt daher eine Begünstigung der Arbeitnehmer gegenüber der Gesetzeslage sowie der Dienstordnung dar. Eine solche Begünstigung wäre aber nur unter den Bedingungen des § 460 Abs 1 ASVG zulässig.
6. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
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