OGH 8ObA2/19f

OGH8ObA2/19f26.2.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martina Rosenmayr‑Khoshideh und Wolfgang Jelinek in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei P***** S*****, vertreten durch Dr. Johannes Kirschner, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei Stadt *****, vertreten durch Mag. Gerhard Eigner, Rechtsanwalt in Wels, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. November 2018, GZ 11 Ra 61/18x‑26, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBA00002.19F.0226.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Beurteilung, ob das Verhalten eines Dienstnehmers eine vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses rechtfertigt, ist regelmäßig eine Frage des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0106298; RS0103201 [T2] ua). Auch der

Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit kann nur nach den konkreten Umständen des

Einzelfalls beurteilt werden (RIS‑Justiz RS0105955 [T3]; RS0105940 [T8]). Eine Einzelfallentscheidung ist für den Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm korrigiert werden müsste. Bewegt sich das Berufungsgericht im Rahmen der Grundsätze einer ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und trifft es seine Entscheidung ohne krasse Fehlbeurteilung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls, so liegt eine erhebliche Rechtsfrage nicht vor (RIS‑Justiz RS0044088 [T8, T9]).

Die Revision zeigt hinsichtlich der Verneinung des Entlassungstatbestands der Vertrauensunwürdigkeit nach § 40 Abs 2 lit b der vereinbarten (vgl RIS‑Justiz RS0059222) Vertragsbedienstetenordnung (VBO; vgl zur Ausnahme vom Gemeindebedienstetengesetz § 1 Abs 1) der Beklagten keine solche Fehlbeurteilung auf, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte. Ein Vorbringen zum konkreten Inhalt der Tätigkeit des Klägers und der sich daraus ergebenden Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung hat die Beklagte in den Verfahren erster und zweiter Instanz nicht erstattet.

2. Ob im Hinblick auf den Inhalt der prozessualen Erklärungen eine bestimmte Tatsache vorgebracht ist, ist eine Frage des Einzelfalls, der nur dann erhebliche Bedeutung gemäß § 502 Abs 1 ZPO zukommen könnte, wenn dem Berufungsgericht dabei eine erhebliche Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (vgl RIS‑Justiz

RS0042828; 9 ObA 130/18k). Dies ist hier in Bezug auf die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe alternativ heranzuziehende Kündigungstatbestände nicht behauptet, nicht der Fall:

2.1. Der in der außerordentlichen Revision (einzig) angeführte Kündigungstatbestand des § 37 Abs 2 lit f der VBO der Beklagten setzt voraus, „dass das gegenwärtige oder frühere Verhalten des Vertragsbediensteten dem Ansehen oder den Interessen des Dienstes abträglich ist, sofern nicht die Entlassung in Frage kommt“. Nach ständiger Rechtsprechung zu diesem sich in vielen Vertragsbedienstetenordnungen findenden Kündigungs-tatbestand ist das Verhalten des Vertragsbediensteten danach zu beurteilen, ob es in seiner Gesamtheit unter Anlegung eines objektiven Maßstabs – auf ein Verschulden kommt es nicht an – nach der Verkehrsauffassung mit dem Ansehen und den Interessen des Dienstes unvereinbar ist (RIS‑Justiz RS0081891;

RS0082263 [T2]; 8 ObA 6/03w; 9 ObA 76/06a). Bei Handlungen, die mit dem Dienstverhältnis in keinem Zusammenhang stehen, ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob die genannten dienstlichen Belange so weit berührt sind, dass dem Dienstgeber die Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses unzumutbar ist (RIS‑Justiz RS0082400). Für das Vorliegen des Kündigungsgrundes ist aber nicht erforderlich – zumal diesfalls der Entlassungsgrund verwirklicht ist –, dass die Aufrechterhaltung schlechthin unzumutbar ist (RIS‑Justiz RS0105940; 9 ObA 75/12p). Dabei ist einerseits Art und Inhalt der strafbaren Handlung, insbesonders das verletzte Rechtsgut, und andererseits die dienstliche Stellung und der dem Vertragsbediensteten in diesem Rahmen zugewiesene Aufgabenkreis zu berücksichtigen (9 ObA 45/89). Es ist mit anderen Worten auf die Stellung des Vertragsbediensteten Bedacht zu nehmen (9 ObA 225/88). Es obliegt dem Dienstgeber, ein dem angeführten Kündigungstatbestand entsprechendes Vorbringen zu erstatten, insbesondere dazu, was nach der Verkehrsauffassung von einem Vertragsbediensteten mit dem dem klagenden Dienstnehmer zugewiesenen Aufgabenkreis erwartet wird (vgl 8 ObA 148/97s; 9 ObA 232/00h; 9 ObA 103/02s).

2.2. Ein konkretes Vorbringen dazu erstattete die Beklagte erst in der außerordentlichen Revision und damit aufgrund des Neuerungsverbots verspätet. Mangels eines solchen Vorbringens in erster und zweiter Instanz –  die Beklagte war vor dem Erstgericht nicht durch eine qualifizierte Person iSd § 40 Abs 1 ASGG vertreten und hätte daher nach § 63 ASGG noch im Berufungsverfahren Neuerungen vorbringen dürfen – ist die Ansicht des Berufungsgerichts, dass (auch) der genannte Kündigungstatbestand nicht geltend gemacht wurde, vertretbar.

3. Offenkundige Tatsachen müssen nicht einmal behauptet werden (RIS‑Justiz RS0040240). Die Frage der Offenkundigkeit einer Tatsache ist von den Tatsacheninstanzen zu beurteilen (vgl RIS‑Justiz RS0040158 [T2]; Rechberger in Rechberger/Fasching, Zivilprozessgesetze3 § 269 ZPO Rz 14). Die vom Erstgericht eingangs seiner rechtlichen Beurteilung getätigten sehr allgemeinen Ausführungen zur Stellung des Klägers wurden weder von ihm noch vom Erst- noch vom Berufungsgericht konkret als offenkundige Tatsachen gewertet. Die Beklagte war nicht enthoben, zur Geltendmachung des Kündigungstatbestands des § 37 Abs 2 lit f VBO selbst ein diesbezügliches konkretes Vorbringen zu erstatten.

4. Im Übrigen wäre es an der Beklagten gelegen gewesen, nicht nur – was sie tat – die Existenz der Entlassungsvorschrift des § 40 ihrer VBO, sondern auch jene der Kündigungsvorschrift des § 37 ihrer VBO zu behaupten und zu beweisen. Der Grundsatz, dass das in einem anderen Staatsgebiet geltende Recht und Sonderrecht („Gewohnheitsrechte, Privilegien und Statuten“) des Beweises insofern bedürfen, als sie dem Gericht unbekannt sind (§ 271 Abs 1 ZPO), gilt auch für inländisches Sonderrecht, wie Gewohnheitsrechte, Privilegien und Statuten, weil diese meistens nicht allgemein zugänglich und nicht in amtlichen Publikationsorganen veröffentlicht sind (Fasching, Zivilprozessrecht2 Rz 836; Rechberger in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 § 271 ZPO Rz 12; ders in Rechberger, ZPO4 § 271 Rz 6). Dies gilt jedenfalls auch für Vertragsschablonen als „lex contractus“ (RIS‑Justiz RS0081830; RS0109458). Die VBO der Beklagten wurde offenbar auch nicht in deren Amtsblatt oder einem sonstigen Publikationsorgan kundgemacht, sondern nur den Verträgen zugrunde gelegt.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

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