OGH 8ObA6/03w

OGH8ObA6/03w13.2.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und Dr. Lovrek sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Dr. Elmar Peterlunger und Robert Hauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. F*****, vertreten durch Dr. Herwig Ernst, Rechtsanwalt in Korneuburg, wider die beklagte Partei S*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Heufler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert EUR 7.267,28), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. Oktober 2002, GZ 8 Ra 313/02m-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 16. Juli 2002, GZ 7 Cga 163/01f-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 499,39 (darin enthalten EUR 83,23 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Berufungsgericht hat die Berechtigung der Kündigung des Klägers nach § 42 Abs 2 Z 1 und 5 der Wiener Vertragsbedienstetenordnung 1995 zutreffend verneint, weshalb es gemäß § 510 Abs 3 ZPO ausreicht, auf diese Begründung zu verweisen.

Rechtliche Beurteilung

Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin entgegenzuhalten:

Gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VBO Wien 1995 kann das Dienstverhältnis gekündigt werden, wenn der Vertragsbedienstete seine Dienstpflichten gröblich verletzt, sofern nicht die Entlassung in Frage kommt. Der Kündigungsgrund des § 42 Abs 2 Z 5 VBO Wien 1995 liegt vor, wenn sich erweist, dass das gegenwärtige oder frühere Verhalten des Vertragsbediensteten mit dem Ansehen oder den Interessen des Dienstes unvereinbar ist, soferne nicht die Entlassung in Frage kommt.

Während im Fall der Entlassung ein Sachverhalt verwirklicht sein muss, der seinem Gewicht nach die Weiterbeschäftigung des Vertragsbediensteten schlechthin unzumutbar erscheinen lässt, ist dies bei der Kündigung nicht erforderlich. Das beanstandete Verhalten des Dienstnehmers muss jedoch, um den Tatbestand des § 42 Abs 2 Z 1 VBO zu verwirklichen, "gröblich" die Dienstpflichten verletzen und somit über bloße Ordnungswidrigkeiten hinausgehen (vgl 8 ObA 2152/96w; 9 ObA 238/98k jeweils zur vergleichbaren Bestimmung des § 32 Abs 2 Z 1 VBG).

Die festgestellten Verletzungen der Dienstzeiten durch den Kläger, der in einer Gesundenuntersuchungsstelle tätig und für HNO-Untersuchungen zuständig war, wobei er gemeinsam mit einem Kollegen arbeitete, der die internen Untersuchungen an den in der Regel vorangemeldeten Patienten durchführte, geht über eine bloße Ordnungswidrigkeit hinaus, ist also objektiv als Dienstpflichtverletzung zu beurteilen. Nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls sind die dem Kläger vorgeworfenen Verstöße gegen die Dienstzeit jedoch noch nicht als "gröblich" einzustufen: Dabei ist zu berücksichtigen, dass die vom Kläger im Verfahren unter Beweis gestellten Gründe (Besuch der schwer erkrankten Mutter im Krankenhaus; Tod der Mutter; Begräbnisvorbereitungen; Besuch des Zahnarztes mit dem Sohn) als höherrangige familiäre Verpflichtungen anzusehen sind, die nach allgemeinen Grundsätzen ein Fernbleiben vom Arbeitsplatz rechtfertigen (RIS-Justiz RS0029398). Darin unterscheidet sich der hier zu beurteilende Fall wesentlich von dem der Entscheidung 9 ObA 264/00i zugrunde liegenden Sachverhalt: Dort verließ die als Pflegehelferin in einer Intensivstation tätige Dienstnehmerin während ihres Nachtdienstes zweimal eigenmächtig die Station gegen den ausdrücklich erklärten Willen der diplomierten Krankenschwester, um private Dolmetscherdienste für eine Angehörige auf anderen Stationen zu verrichten, wofür es ohnehin organisatorische Vorkehrungen im Spital gegeben hätte.

Der Verstoß des Klägers gegen die ihn treffende Pflicht, seine Verhinderung dem Arbeitgeber rechtzeitig bekanntzugeben (vgl RIS-Justiz RS0101990) ist ebenfalls nicht als grobe Dienstpflichtverletzung zu werten: Dabei ist hervorzuheben, dass der Kläger die Gesundenuntersuchungsstelle der Beklagten nicht allein, sondern mit einem Kollegen, der die internen Untersuchungen durchführte, betreute und dass in der Regel nur angemeldete Patienten zur Gesundenuntersuchung erschienen, wobei der Kläger zumindest am 3. 1. und am 10. 1. 2001 die Dienststelle erst verließ, nachdem er die Patienten untersucht hatte. Dem Kläger kann daher nach den hier vorliegenden Umständen des Einzelfalls nicht vorgeworfen werden, er habe damit rechnen müssen, dass durch die Unterlassung einer Meldung seiner Dienstverhinderung an den Dienstgeber und die damit verbundene Unmöglichkeit, für eine Vertretung des Klägers zu sorgen, die Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes gefährdet sein könnte.

Damit ist aber auch der Einwand in der Revision, das Verhalten des Klägers sei im Sinne des § 42 Abs 2 Z 5 VBO Wien 1995 mit dem Ansehen oder den Interessen des Dienstes unvereinbar, widerlegt: Das Verhalten des Arbeitnehmers ist danach zu beurteilen, ob es in seiner Gesamtheit unter Anlegung eines objektiven Maßstabes nach der Verkehrsauffassung mit dem Ansehen und den Interessen des Dienstes unvereinbar war (RIS-Justiz RS0081891). Auf ein Verschulden kommt es nicht an (vgl 9 ObA 57/94 zu § 37 Abs 2 Z 5 VBO 1979). Das festgestellte einmalige Verspäten um 60 Minuten bzw das dreimalige vorzeitige Verlassen des Dienstes um insgesamt eine Stunde 50 Minuten in den ersten fünf Monaten des Jahres 2001 rechtfertigt trotz des vom Berufungsgericht zutreffend betonten Umstandes, dass das Vertrauen der Bevölkerung in ärztliche Versorgung und in medizinische Serviceangebote einer freien Wahl der Dienstzeit durch Mitarbeiter entgegensteht, die Kündigung noch nicht. Dabei ist erneut hervorzuheben, dass der Betrieb der Gesundenuntersuchungsstelle im konkreten Fall nicht beeinträchtigt wurde und das Verhalten des Klägers keine Publizität erlangt hat.

Auf die Einhaltung des Grundsatzes der Unverzüglichkeit der Geltendmachung einer auf wichtige Gründe beschränkten Kündigungsmöglichkeit kommt es daher hier nicht an.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 2 ASGG iVm 41, 50 ZPO.

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