OGH 9ObA103/02s

OGH9ObA103/02s22.5.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Gerhard Prohaska und Min. Rat. Mag. Genser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Andrea S*****, vertreten durch Dr. Berit Mayerbrucker, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei Stadt Graz, Hauptplatz 1, 8010 Graz, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt-Gesellschaft mbH in Graz, wegen EUR 6.079,45 sA, über die Revision (Revisionsinteresse EUR 6.046,37 sA) der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Dezember 2001, GZ 8 Ra 221/01h-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. Juli 2001, GZ 34 Cga 196/00g-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 499,39 (darin EUR 83,23 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 15. 4. 1994 bis 31. 8. 2000 als Vertragsbedienstete in einem Pflegeheim der beklagten Partei beschäftigt. Im Jahr 1997 besuchte sie freiwillig eine Schulung für Pflegehelfer/innen. Damals fiel sie von einem Sessel und erlitt eine Verschiebung des fünften und sechsten Lebenwirbels. Nach dieser Verletzung traten bei der Klägerin neben physischen Schmerzen verstärkt psychische Probleme auf, welche eine pflichtgemäße Erfüllung der Arbeiten beeinträchtigten. Schmerzbedingt war die Klägerin gegenüber zu pflegenden Personen unfreundlich, sie reagierte in verschiedenen Situationen mit Wut- und Zornausbrüchen, wobei sie Heimbewohner auch aus nichtigen Anlässen anschrie. Außer Streit steht, dass dieses Verhalten der Klägerin auf ihre psychische Krankheit zurückzuführen war. Ende 1997 wurde mit der Klägerin ein Mitarbeitergespräch geführt. Da für sie selbst die psychische und physische Belastung immer größer wurde, ersuchte sie am 20. 6. 1999 um eine Versetzung. Mit Schreiben der Oberschwester bzw der Pflegedirektorin vom 3. 8. 1999 wurde dem Magistrat der beklagten Partei mitgeteilt, dass auf Grund von psychischen und Verhaltensauffälligkeiten der Klägerin die Verantwortung für ihr Handeln nicht mehr übernommen werden könne.

Erst am 17. 5. 2000 erhielt die Klägerin ein Schreiben des Magistrates Graz mit dem Inhalt, dass ihr Dienstverhältnis "gemäß § 33 Abs 1 und 2 lit b und e iVm § 34 Abs 1 des Gesetzes über das Dienst- und Gehaltsrecht der Vertragsbediensteten der Landeshauptstadt Graz (Grazer Gemeindevertragsbedienstetengesetz) in der jeweils geltenden Fassung mit Ablauf des 31. 8. 2000 unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist gelöst werde".

Gemäß § 33 Abs 1 Grazer Vertragsbedienstetengesetz kann ein

Dienstverhältnis nach Ablauf der Probezeit durch den Dienstgeber nur

schriftlich und, wenn das Dienstverhältnis ununterbrochen ein Jahr

gedauert hat, nur mit Angabe des Grundes gekündigt werden. Vor der

Kündigung durch den Dienstgeber ist die Stellungnahme der

Personalvertretung einzuholen. Gemäß Abs 2 leg cit liegt ein Grund,

der den Dienstgeber zur Kündigung berechtigt, insbesondere vor ... b)

wenn der Vertragsbedienstete sich für eine entsprechende Verwendung

als geistig oder körperlich ungeeignet erweist; .... e) wenn es sich

erweist, dass das gegenwärtige oder frühere Verhalten des Vertragsbediensteten dem Ansehen oder den Interessen des Dienstes abträglich ist, sofern nicht die Entlassung in Frage kommt; .... Gemäß § 36 Abs 1 Grazer Vertragsbedienstetengesetz gebührt dem Vertragsbediensteten beim Enden des Dienstverhältnisses eine Abfertigung, wenn das Dienstverhältnis ununterbrochen drei Jahre gedauert hat. Der Anspruch auf Abfertigung besteht jedoch nicht, wenn das Dienstverhältnis vom Dienstgeber nach § 33 Abs 2 lit a, c oder e oder wenn es vom Dienstnehmer gekündigt wurde.

Die Klägerin begehrt die von der beklagten Partei verwehrte Zahlung einer Abfertigung. Sie bestreitet einerseits, dass sie den Kündigungsgrund nach § 33 Abs 2 lit e Grazer Vertragsbedienstetengesetz gesetzt habe. Andererseits sei die Kündigung, soweit sie auf diesen Kündigungsgrund gestützt werde, verfristet, weil vom Bekanntwerden des Kündigungsgrundes bis zum Ausspruch der Kündigung eine unangemessen lange Zeit vergangen sei. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Dem Verspätungseinwand hält die beklagte Partei lediglich entgegen (AS 24), "dass Formvorschriften einzuhalten sind, die auch Zeit in Anspruch nehmen (Personalvertretung, Vorberatungen Personalvertretung, Vorberatungen Personalausschuss, Beschluss im Stadtsenat), sodass keinesfalls Verfristung dieses Kündigungsgrundes vorliegen kann".

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin im Wesentlichen Folge, sprach der Klägerin den Betrag von EUR 6.046,37 sA zu und bestätigte die Abweisung des Klagebegehrens im Umfang von EUR 211,48 sA.

Das Berufungsgericht hat die Frage, ob die Kündigung der Klägerin hinsichtlich des Kündigungsgrundes nach § 33 Abs 2 lit e Grazer Vertragsbedienstetengesetz unverzüglich erfolgt ist, zutreffend verneint und demzufolge den Anspruch der Klägerin auf Abfertigung bejaht. Es reicht daher insoweit aus, auf die Richtigkeit der diesbezüglichen Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin entgegenzuhalten:

Rechtliche Beurteilung

Es trifft zwar zu, dass das Berufungsgericht die ergänzende Feststellung über die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens durch die beklagte Partei und dessen Zugang nur nach Beweiswiederholung bzw -ergänzung hätte treffen dürfen (RIS-Justiz RS0043002, insb SZ 25/46; RS0043026, insb EvBl 1958, 219, JBl 1968, 368, SZ 59/6, zuletzt 2 Ob 285/01b), doch ist dieser Verstoß unerheblich, weil er für die Entscheidung nicht relevant ist. Im Falle einer Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit aus wichtigen Gründen, wie sie auch dem hier anzuwendenden Grazer Vertragsbedienstetengesetz zu entnehmen ist, gilt der Grundsatz der Unverzüglichkeit der Geltendmachung auch für die Kündigung (RIS-Justiz RS0028543). Dieser Unverzüglichkeitsgrundsatz darf zwar nicht überspannt werden: Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass es sich beim Dienstgeber um eine juristische Person handelt, deren Willensbildung regelmäßig mehr Zeit erfordert als bei physischen Personen, zumal insbesondere der Aktenlauf und die Kompetenzverteilung bei Gebietskörperschaften zu berücksichtigen sind und dass der Dienstgeber im vorliegenden Fall auch die zum Personalschutz berufenen Organe der Personalvertretung einzuschalten hatte (RIS-Justiz RS0082158; RS0028543, RS0029273), doch vermag dies der beklagten Partei auf Grund der schon vom Erstgericht getroffenen Feststellungen - unter Außerachtlassung der Ergänzung durch das Berufungsgericht - nicht zu nützen: Schon Anfang August 1999 waren der beklagten Partei nicht nur die psychischen Auffälligkeiten der Klägerin, sondern auch deren aggressives Verhalten gegenüber pflegebedürftigen Heimbewohnern bekannt. Die beklagte Partei berief sich zur Begründung des späten Zeitpunktes der Kündigung lediglich auf die Einschaltung der Personalvertretung und den internen Willensbildungsprozess durch Befassung des Personalausschusses und des Stadtsenates. Es wurde dabei nicht einmal behauptet, dass es dabei zu irgendwelchen unvorhersehbaren oder außergewöhnlichen Schwierigkeiten gekommen sei, welche eine Verzögerung bewirkt hätten.

Selbst wenn man daher der beklagten Partei, für den

Entscheidungsprozess längere Zeit einräumen muss, kann ein Zeitraum

von ca 9 Monaten nicht mehr als angemessen beurteilt werden, sodass

die Unverzüglichkeit der Kündigung, soweit diese auf § 33 Abs 2 lit e

Grazer Vertragsbedienstetengesetz gestützt wird, zu verneinen ist.

Soweit sich die beklagte Partei darauf beruft, dass bei der Klägerin das dem Kündigungsgrund zu unterstellende Verhalten ein Dauerzustand gewesen sei, so mag dies auf denjenigen - einer Abfertigung nicht entgegenstehenden - Kündigungsgrund des § 33 Abs 2 lit b zutreffen. Was jedoch das dem Ansehen oder den Interessen des Dienstes abträgliche Verhalten der Klägerin (insb das Anschreien von Heimbewohnern) anlangt, wäre es an der beklagten Partei gelegen, zu behaupten, dass auch diese, wenngleich durch ihre psychische Beeinträchtigung verursachten Verstöße über den Zeitpunkt des Bekanntwerdens hinaus angedauert hatten und daher als Dauerzustand zu der erst viel später erfolgten Kündigung berechtigt hätten. Eine solche Behauptung wurde jedoch von der beklagten Partei - unter Verstoß gegen das Neuerungsverbot und daher unbeachtlich - erst im Revisionsverfahren erhoben.

Der Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot macht ein Eingehen darauf entbehrlich, ob § 36 Abs 1 lit a Grazer Vertragsbedienstetengesetz überdies in dem von der Klägerin aufgezeigten Sinn dahin restriktiv zu interpretieren ist, dass eine auf § 33 Abs 2 lit e gestützte Kündigung nur dann abfertigungsschädlich ist, wenn der Kündigungsgrund schuldhaft gesetzt wurde.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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