OGH 7Ob51/21g

OGH7Ob51/21g23.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. L***** S*****, 2. C***** S*****, vertreten durch Reiffenstuhl & Reiffenstuhl Rechtsanwaltspartnerschaft OG in Wien, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Dr. Stefan Herdey, Dr. Roland Gsellmann, Rechtsanwälte in Graz, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 19. Februar 2021, GZ 2 R 23/21a‑24, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. November 2020, GZ 18 Cg 33/20b‑16, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00051.21G.0623.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Kläger betreiben im Rahmen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts einen landwirtschaftlichen Gartenbaubetrieb, der unter anderem auf die Aufzucht von Jungpflanzen spezialisiert ist.

[2] Sie schlossen mit der Beklagten einen Betriebshaftpflichtversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen und die Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen der G***** AG für die Haftpflichtversicherung (AHVB 2012/EHVB 2012) sowie die Besondere Bedingung AH/429/1 - mit einem erweiterten Versicherungsschutz für das Produkthaftpflichtrisiko - zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

Besondere Bedingung AH/429/1

Erweiterter Versicherungsschutz für das Produkthaftpflichtrisiko

1. Die besondere Vereinbarung gemäß Abschnitt A, Z 2, Pkt 4 EHVB ist getroffen.

...“

Allgemeine Bedingungen für die Betriebshaftpflichtversicherung (AHVB):

Artikel 1

1. Versicherungsfall

1.1 Versicherungsfall ist ein Schadenereignis, das dem versicherten Risiko entspringt und aus welchem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen (Pkt 2) erwachsen oder erwachsen könnten.

...

2. Versicherungsschutz

2.1 Im Versicherungsfall übernimmt der Versicherer

2.1.1 die Erfüllung von Schadenersatzverpflichtungen, die dem Versicherungsnehmer wegen eines Personenschadens, eines Sachschadens oder eines Vermögensschadens, der auf einen versicherten Personen‑ oder Sachschaden zurückzuführen ist, aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts erwachsen (in der Folge kurz Schadenersatzverpflichtungen genannt)

2.1.2 die Kosten der Feststellung und der Abwehr einer von einem Dritten behaupteten Schadenersatzverpflichtung im Rahmen des Art ikel 5 Pkt 5.

...

Art 7

Ausschlüsse vom Versicherungsschutz

1. Unter die Versicherung gemäß Art 1 fallen insbesondere nicht

1.1 Ansprüche aus Gewährleistung für Mängel;

1.2 Ansprüche, soweit sie aufgrund eines Vertrages oder einer besonderen Zusage über den Umfang der gesetzlichen Schadenersatzpflicht hinausgehen;

1.3 die Erfüllung von Verträgen und die an die Stelle der Erfüllung tretende Ersatzleistung.

2. Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen der Personen, die den Schaden, für den sie von einem Dritten verantwortlich gemacht werden, rechtswidrig und vorsätzlich herbeigeführt haben. Dem Vorsatz wird gleich gehalten

2.1 eine Handlung oder Unterlassung, bei welcher der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden musste, jedoch in Kauf genommen wurde (zB im Hinblick auf die Wahl einer kosten‑ oder zeitsparenden Arbeitsweise);

2.2 die Kenntnis der Mangelhaftigkeit oder Schädlichkeit von hergestellten oder gelieferten Waren oder geleisteten Arbeiten.

9. Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden, die an den vom Versicherungsnehmer (oder in seinem Auftrag oder für seine Rechnung von Dritten) hergestellten oder gelieferten Arbeiten oder Sachen infolge einer in der Herstellung oder Lieferung liegenden Ursache entstehen.

15. Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Sach- und/oder Vermögensschäden, die unter die Tatbestände des Abschnitt A, Z 2, P kt 4 EHVB (erweiterte Deckung der Produkthaftpflicht) fallen.

...“

Ergänzende Allgemeine Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (EHVB)

„Abschnitt A

...

2. Produkthaftpflichtrisiko

Das Produkthaftpflichtrisiko ist nach Maßgabe der AHVB und EHVB sowie insbesondere der nachstehend angeführten Bedingungen wie folgt mitversichert:

1. Begriffsbestimmungen

Das Produkthaftpflichtrisiko ist die Gesamtheit der gesetzlichen Haftungstatbestände für Schäden, die durch Mängel eines Produkts nach Lieferung oder durch Mängel einer geleisteten Arbeit nach Übergabe verursacht werden.

Der Mangel kann insbesondere auf Konzeption, Planung, Herstellung, Bearbeitung, Reparatur, Lagerung, Lieferung (auch Fehllieferung), Gebrauchsanweisung, Werbung oder Beratung zurückzuführen sein.

Als Produkte gelten alle körperlichen Sachen oder Teile von solchen, die als Handelsware in Betracht kommen, samt Zubehör und Verpackung. Die Lieferung ist die tatsächliche Übergabe des Produkts durch den Versicherten an einen Dritten, ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund. Sie gilt als erfolgt, wenn der Versicherte die tatsächliche Verfügungsgewalt verliert, das heißt die Möglichkeit, einen Einfluss auf das Produkt oder seine Verwendung auszuüben.

Die Übergabe einer geleisteten Arbeit ist deren Fertigstellung und tatsächliche Übernahme durch den Auftraggeber oder einen Berechtigten.

...

4. Versicherungsschutz aufgrund besonderer Vereinbarung (erweiterte Deckung der Produkthaftpflicht)

4.1 Nur aufgrund besonderer Vereinbarung und unabhängig davon, ob ein Sach- oder Vermögensschaden im Sinne dieser Bedingungen vorliegt, erstreckt sich der Versicherungsschutz abweichend von Art 1 und Art 7, P kt 15 AHVB auch auf das Produkthaftpflichtrisiko, soweit es sich handelt um

...

4.1.2 Schäden, welche Dritten aus der Weiterbearbeitung oder Weiterverarbeitung mangelhafter durch den Versicherungsnehmer gelieferter Produkte entstehen, ohne dass eine Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung mit anderen Produkten stattfand, und zwar

4.1.2.1 wegen der für die Herstellung des Endprodukts aufgewendeten Kosten, mit Ausnahme des Entgelts für das mangelhafte Produkt des Versicherungsnehmers;

4.1.2.2 wegen eines weiteren aus der Unveräußerlichkeit des Endprodukts entstehenden Vermögensnachteils. Kann das Endprodukt nur mit einem Preisnachlass veräußert werden, so ersetzt der Versicherer anstelle der Versicherungsleistung nach Punkt 4.1.2.1 den entstehenden Mindererlös. Der Versicherer ersetzt den Schaden in dem Verhältnis nicht, in dem das Entgelt für das Produkt des Versicherungsnehmers zu dem Verkaufspreis steht, der bei mangelfreier Lieferung für das Endprodukt zu erwarten gewesen wäre;

4.1.2.3 wegen Aufwendungen, die zusätzlich wegen einer rechtlich notwendigen und wirtschaftlich angemessenen Nachbesserung des Endprodukts oder einer anderen Schadenbeseitigung entstanden sind. Der Versicherer ersetzt die entstandenen Aufwendungen in dem Verhältnis nicht, in dem das Entgelt für das Produkt des Versicherungsnehmers zum Verkaufspreis des Endprodukts steht;

...

5. Ausschlüsse vom Versicherungsschutz

5.1 Ausgeschlossen vom Versicherungsschutz sind – auch im Fall einer besonderen Vereinbarung gemäß Pkt 4

5.1.1 Ansprüche aus Gewährleistung für Mängel, soweit es sich nicht um ausdrücklich gemäß P unkt 4.1 mitversicherte Tatbestände handelt. Auf die Bestimmung des Art 7, Pkte 1.1 und 1.3 sowie Pkt 9 der AHVB wird besonders hingewiesen;

...

5.2 Nur in den gemäß Pkt 4 durch besondere Vereinbarung versicherbaren Tatbeständen besteht kein Versicherungsschutz für Folgeschäden, wie zB Betriebsunterbrechung oder Produktionsausfall.“

[3] Im August 2019 lieferten die Kläger Paradeiser‑(Tomaten‑)jungpflanzen zum Zweck der Gemüseproduktion an die Z***** GmbH (in der Folge Abnehmerin).

[4] Die Kläger machten am 5. 12. 2019 beim Bezirksgericht Feldbach zu AZ 17 C 375/19z ihre Kaufpreisforderung aus dieser Warenlieferung in der Höhe von 126.594,17 EUR sA gegen die Abnehmerin gerichtlich geltend.

[5] Die Abnehmerin wandte die Mangelhaftigkeit der Produkte der Versicherungsnehmer ein. Die Pflanzen hätten vereinbarungswidrig zu wenige Triebe gehabt; zudem sei zwei Wochen nach Übergabe ein Pilzbefall in Bezug auf alle von den Klägern gelieferten Pflanzen aufgetreten. Die Abnehmerin mache daher Preisminderung geltend, wobei der Wert der gelieferten Pflanzen mit 0 EUR zu beziffern sei.

[6] Weiters machte die Abnehmerin als Gegenforderungen aus dem Titel des Schadenersatzes einen Mängelbehebungsaufwand von 6.339,90 EUR und einen entgangenen Gewinn von 120.254,27 EUR geltend. Nachdem sie die vorliegenden Mängel erkannt habe, habe sie umgehend Maßnahmen zur Schadensminderung gesetzt. So habe sie im Rahmen ihrer Schadenminderungspflicht einerseits zusätzliches Personal einsetzen müssen. Die durch den höheren Personalaufwand entstandenen Personalkosten hätten 6.339,90 EUR (Spritzen der Pflanzen 2.576 EUR;  Setzen 1.862 EUR;  Binden 1.789,80 EUR;  Tauschen 112,10 EUR) betragen. Andererseits habe sie im Rahmen ihrer Schadenminderungspflicht weiters Pflanzenschutzmittel um 117,12 EUR verwenden und zur Fehlersuche eine Analyse der AGES um 242,42 EUR einholen müssen. Infolge der mangelhaften Lieferungen und der damit einher gegangenen Umsatzausfälle sei ihr darüber hinaus ein Gewinn in Höhe von 292.396,50 EUR entgangen, wovon sie eine Teilforderung von 120.254,27 EUR compensando einwende.

[7] Die Kläger begehren die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten zur Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen gegenüber der Abnehmerin in dem vor dem Bezirksgericht Feldbach zu AZ 17 C 375/19z geführten Rechtsstreits zur Abwehr der dort von der Abnehmerin compensando eingewandten Gegenforderung. Die Abnehmerin begründe ihre Schadenersatz‑(gegen‑)forderungen damit, dass die Kläger ihr vertragswidrig mangelhafte Pflanzen geliefert hätten. Bei den von der Abnehmerin behaupteten Schäden handle es sich um keine Mangel-, sondern um versicherte Mangelfolgeschäden. Die Jungpflanzen seien ein halbfertiges Produkt, die fertige Pflanze das Endprodukt. Die aus der Weiterbearbeitung oder ‑verarbeitung mangelhafter Produkte entstehenden Schäden Dritter seien nach Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1.2 EHVB im Rahmen der dort angeführten Deckungsbausteine ausdrücklich versichert. Der geltend gemachte Mindererlös, der erhöhte Kulturpflegeaufwand und der zur Nachbesserung notwendige erhöhte Personal- und Materialaufwand seien nach Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1.2.2 EHVB gedeckt. Die Fehlersuchkosten seien gemäß Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1.2.3 EHVB zu ersetzen, weil sie der Vorbereitung der Schadensminimierung/‑beseitigung dienten. Die eingewandten Risikoausschlüsse nach Art 7.2. AHVB lägen nicht vor. Die Kläger hätten die – im Übrigen bestrittene – Mangelhaftigkeit nicht gekannt und keine Schadenszufügung in Kauf genommen. Ein Organisationsverschulden treffe sie nicht, weil ihre Mitarbeiter regelmäßig kontrolliert würden. Eine allfällige Fehlhandlung der Gartenbauleiter sei ihnen nicht zurechenbar.

[8] Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Gewährleistungsansprüche und Erfüllungssurrogate seien vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Die Abnehmerin mache geltend, die gelieferten Jungpflanzen seien zu klein und nach einem Hagelschaden im Betrieb der Kläger pilzbefallen gewesen, wovon die Kläger die Abnehmerin nicht informiert hätten. Die Produkthaftpflichtversicherung decke nicht den Mangel des Produkts selbst. Bei den Jungpflanzen handle es sich auch nicht um ein Endprodukt. Das verminderte natürliche Wachstum falle bereits unter keinen der Tatbestände nach Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1 EHVB. Gemäß Abschnitt A, Z 2, Pkt 5.1.1 EHVB seien ausdrücklich auch Gewährleistungsansprüche für Mängel, soweit es sich nicht um gemäß Abschnitt A, Z 2, Pkt 4 EHVB mitversicherte Tatbestände handle, ausgeschlossen. Selbst bei den gemäß Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1 EHVB besonders versicherten Tatbeständen bestehe nach Abschnitt A, Z 2, Pkt 5.2 EHVB kein Versicherungsschutz für Folgeschäden, wie zB Betriebsunterbrechung und Produktionsausfall. Darüber hinaus bestehe Leistungsfreiheit nach Art 7.2.1 und 7.2.2 AHVB. Obwohl die Kläger vom Pilzbefall der Jungpflanzen wegen eines Hagelschadens in ihrem Betrieb gewusst hätten, hätten sie mit einem Pilz befallene Pflanzen an die Abnehmerin ohne entsprechenden Hinweis geliefert. Sie hätten vielmehr den Schadenseintritt in Kauf genommen, um Kosten und Zeit zu sparen.

[9] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Jungpflanze stelle ein von der Abnehmerin durch Pflege und Weiterzucht zur Ernte weiterverarbeitetes Produkt dar. Die gegenständliche Produkthaftpflichtversicherung erweitere den Versicherungsschutz zwar um reine Vermögensschäden, decke aber nicht alle Schäden aus der Mangelhaftigkeit des Produkts, sondern nur die in Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1.2 EHVB ausdrücklich und abschließend angeführten. Hier mache die Abnehmerin Schäden aus Mehraufwendungen für die Bearbeitung der Pflanzen geltend, die auf Mängel der gelieferten Sache beruhten und deren Behebung bzw Minderung (somit Nachbesserung) dienten. Diese Mehraufwendungen seien nur aufgrund der mangelhaften Lieferung notwendig geworden, um die Zahl der Triebe nachzubessern sowie die Pilzinfektion zu beseitigen. Sie stellten weder frustrierte Herstellungskosten gemäß Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1.2.1 EHVB noch Aufwendungen zur Nachbesserung des Endprodukts nach Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1.2.3 EHVB dar. Der behauptete Mindererlös beziehe sich nicht auf das mangelhafte Endprodukt, sondern auf die zu kleinen, pilzbefallenen Pflanzen, die zu geringeren Erntemengen geführt hätten, was einen (teilweisen) Produktionsausfall darstelle, der nach Abschnitt A, Z 2, Pkt 5.2 EHVB ausdrücklich nicht gedeckt sei. Die hier relevanten Gegenforderungen im Vorprozess lägen somit (gänzlich) außerhalb des versicherten Risikos und seien nicht gedeckt.

[10] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und schloss sich der Rechtsmeinung des Erstgerichts an.

[11] Dagegen wendet sich die Revision der Kläger mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[12] Die Beklagte begehrt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision ist zulässig, sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[14] 1.1 Für die Haftpflichtversicherung gilt allgemein, dass der Versicherer verpflichtet ist, dem Versicherungsnehmer die Leistung zu ersetzen, die dieser auf Grund seiner Verantwortlichkeit für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache an einen Dritten zu bewirken hat (§ 149 VersVG).

[15] 1.2 Der Anspruch des Versicherungsnehmers aus der Haftpflichtversicherung ist auf die Befreiung von begründeten und die Abwehr von unbegründeten Haftpflichtansprüchen gerichtet. Unbeschadet dieser beiden Komponenten (Befreiungs‑ und Rechtsschutzanspruch) handelt es sich um einen einheitlichen Anspruch des Versicherungsnehmers. Er entsteht und wird in dem Zeitpunkt fällig, in dem der Versicherungsnehmer von einem Dritten auf Schadenersatz wegen eines unter das versicherte Risiko fallenden Ereignisses oder einer solchen Eigenschaft in Anspruch genommen wird (vgl RS0080086, RS0081228, RS0080013).

[16] 2. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung gemäß §§ 914 f ABGB auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insbesondere T5, T7, T87]).

[17] Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert. Den Beweis für das Vorliegen eines Risikoausschlusses als Ausnahmetatbestand hat der Versicherer zu führen (RS0107031).

[18] 3. Zutreffend gehen die Parteien davon aus, dass es sich bei den von der Abnehmerin geltend gemachten Schadenersatzansprüchen um reine Vermögensschäden handelt, für die die Beklagte nur dann Versicherungsschutz zu leisten hat, wenn sie nach Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1 EHVB versichert sind.

[19] 3.1 Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1 EHVB erweitert den Versicherungsschutz für die Gesamtheit der gesetzlichen Haftungstatbestände für Schäden die durch Mängel eines Produkts nach Lieferung oder durch Mängel einer geleisteten Arbeit nach Übergabe verursacht werden. Nach der hier interessierenden Bestimmung Abschnitt A, Z 2 Punkt 4.1.2 EHVB sind zum einen bestimmte Produktionsvorgänge (Weiterver‑ und ‑bearbeitung) und zum anderen bestimmte Schadenspositionen (Herstellungsausfall, Nachbesserungs‑/ Schadenbeseitigungskosten, aus der Unveräußerlichkeit des Endprodukts entstehende Vermögensnachteile) versichert, deren Ersatz der Versicherungsnehmer als Lieferant des mangelhaften Produkts seinem Abnehmer schuldet.

[20] 3.2 Abschnitt A, Z 2 Pkt 4.1.2 EHVB umfasst Schäden, welche Dritten aus der Weiterbearbeitung oder Weiterverarbeitung mangelhafter durch den Versicherungsnehmer gelieferter Produkte entstehen, ohne dass eine Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung mit anderen Produkten stattfand.

[21] 3.3 Unter dem Begriff Weiterverarbeitung werden Vorgänge verstanden, bei denen ein Dritter das vom Versicherungsnehmer gelieferte Produkt zu einem anderen Produkt umwandelt. Unter den Terminus der Weiterbearbeitung fallen Tätigkeiten, bei denen das gelieferte Produkt als solches bestehen bleibt und einer Veredelung, Oberflächen‑ oder Wärmebehandlung unterzogen wird. Während bei der Weiterverarbeitung dem Produkt eine neue Form oder ein neues Aussehen verliehen wird, kommt es bei der Weiterbearbeitung nur zu einer die Form erhaltenden Bearbeitung (7 Ob 81/19s = RS0132845, 7 Ob 146/08h; vgl auch Ziegler , Die erweiterte Produkthaftpflichtdeckung nach den AHVB/EHVB 2005, 116 f; Maitz , AHVB/EHVB Allgemeine und Ergänzende Allgemeine Bedingungen für die Haftpflichtversicherung [2018] 295 f; zur insoweit vergleichbaren deutschen Bedingungslage: Schimikowski in Späte/Schimkowski , Haftpflichtversicherung 2 ProdHM Rn 79; Voit in Prölls/Martin , Versicherungsvertragsgesetz 31 ProdHM Abs 4_3 Ziff. 4.3 Rn 1).

[22] 3.4 Die Kläger lieferten der Abnehmerin Jungpflanzen zum Zwecke der Gemüseproduktion. Ihre Aufzucht durch Behandlung und Pflege (zB Gießen, Düngen, Ausschneiden usw) ist vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen als Weiterbearbeitung der Produkte der Kläger (Jungpflanzen) anzusehen, um das Endprodukt, nämlich die erntereife, fruchttragende Pflanze hervorzubringen. Das Endprodukt besteht somit in der ausgewachsenen Pflanze samt den Früchten.

[23] 4. Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1.2.1 bis Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1.2.4 EHVB beinhaltet die versicherten Schadenspositionen, insbesondere Herstellungskosten (4.1.2.1), Veräußerlichkeit (4.1.2.2), Nachbesserung/andere Schadensbeseitigung (4.1.2.3).

[24] 5.1.1 Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1.2.1 EHVB nennt Schäden wegen der für die Herstellung des Endprodukts aufgewendeten Kosten mit Ausnahme des Entgelts für das mangelhafte Produkt des Versicherungsnehmers.

[25] 5.1.2 Unter Herstellungskosten versteht man grundsätzlich sämtliche Kosten der Herstellung des Endprodukts, wie zB Löhne und Gehälter, Energie, Verbrauchs‑ und Betriebsstoffe, Abschreibungen auf Maschinen und Gebäude, Gemeinkosten für Verwaltung und Verkauf usw. Nach der Bestimmung gedeckt sind jedoch nur die nutzlos aufgewendeten Herstellungskosten, wenn das weiterverarbeitete oder weiterbearbeitete Produkt aufgrund eines Mangels unveräußerlich ist ( Ziegler , aaO 120 f, Maitz , aaO 297; vgl auch Schimikowski aaO Rn 83, Thürmann in Langheid/Wandt , Münchener Kommentar zum VVG 2 310, Produkthaftpflichtversicherung Rn 131).

[26] 5.2.1 Nach Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1.2.3 EHVB werden Aufwendungen, die zusätzlich wegen einer rechtlich notwendigen und wirtschaftlich angemessenen Nachbesserung des Endprodukts oder einer anderen Schadensbeseitigung entstanden sind, ersetzt. Der Versicherer übernimmt den Ersatz der entstandenen Aufwendungen in dem Verhältnis nicht, in dem das Entgelt für das Produkt des Versicherungsnehmers zum Verkaufspreis des Endprodukts steht.

[27] 5.2.2 Bei der Nachbesserung geht es um Maßnahmen, die der Behebung des Mangels am Endprodukt dienen und das Endprodukt noch retten, sodass es nicht verworfen oder mit Preisnachlass verkauft werden muss. Bei den „anderen Schadensbeseitigungen“ geht es um jene Fälle, in denen das Endprodukt nicht mehr ordnungsgemäß hergestellt werden kann, aber eine Ausweichlösung zur Weiterverwertung des Gesamtprodukts möglich ist (7 Ob 81/19s mwN = RS0132847).

[28] 5.2.3 In Betracht kämen hier nur Nachbesserungsarbeiten. Versichert sind die Nachbesserungskosten von Hersteller und Lieferanten, die in der Produktionskette dem Versicherungsnehmer nachfolgen, um ihr fehlerhaftes Endprodukt wieder verkaufsfähig zu machen, nicht gemeint ist die Nacherfüllung der vom Versicherungsnehmer mangelhaft gelieferten Produkte, weil diese Kosten als Erfüllungssurrogat nicht versichert sind ( Maitz aaO 298 iVm 292 f). Die Nachbesserung hat nicht an dem vom Versicherungsnehmer gelieferten Produkt, sondern an der durch Weiterbe‑ oder Weiterverarbeitung entstandenen Sache zu erfolgen ( Ziegler , aaO 124; vgl 7 Ob 81/19s zu Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1.1.4 EHVB 1993 mwN).

[29] 5.3.1 Als Endprodukt ist jenes Produkt zu verstehen, das – soweit hier interessierend – durch Weiterbearbeitung oder Weiterverarbeitung der vom Versicherungsnehmer gelieferten Produkte entsteht ( Maitz, aaO 286).

[30] 5.3.2 Das Endprodukt, auf dessen Hervorbringen (Produktion) die Weiterbearbeitung der gelieferten Jungpflanzen abzielt, sind hier – wie bereits erwähnt – die erntereifen Pflanzen samt Früchten.

[31] 5.4.1 Ausgeschlossen vom Versicherungsschutz sind Ansprüche aus Gewährleistung für Mängel, soweit es sich nicht um ausdrücklich gemäß Pkt 4.1 mitversicherte Tatbestände handelt. Auf die Bestimmung des Art 7.1.1 und 7.1.3 sowie Art 9 AHVB wird besonders hingewiesen (Abschnitt A, Z 2, Pkt 5.1.1 EHVB).

[32] 5.4.2 Nach Art 7.1 AHVB fallen unter die Versicherung gemäß Abs 1 nicht: Ansprüche aus Gewährleistung für Mängel (Art 7.1.1) sowie die Erfüllung von Verträgen und die an die Stelle der Erfüllung tretende Ersatzleistung (Art 7.1.3).

[33] Dieser Ausschluss entspricht ganz allgemein dem Grundsatz der Haftpflichtversicherung, das Unternehmerrisiko nicht auf den Versicherer zu übertragen (RS0081518 [T4, T7, T8]; RS0081898 [T1]), woraus klar hervorgeht, dass unter die Versicherung grundsätzlich weder die Erfüllung noch Erfüllungssurrogate fallen. Als Erfüllungssurrogat werden dabei diejenigen Schadenersatzansprüche bezeichnet, durch die ein unmittelbares Interesse am eigentlichen Leistungsgegenstand eines abgeschlossenen Vertrags geltend gemacht wird. Ausgeschlossen sind diejenigen Schadenersatzansprüche, die auf das Vertragsinteresse gerichtet sind, den Gläubiger also in den Genuss der ordnungsgemäßen Leistung bringen sollen (7 Ob 30/18i mwN). Der Versicherungsschutz umfasst demnach bei der Betriebshaftpflichtversicherung nur jenen Schaden, der über das Erfüllungsinteresse des Dritten an der Leistung des Versicherungsnehmers hinausgeht (RS0081898). Die Kosten für die von einem Dritten vorgenommene Verbesserung der mangelhaften Leistung des Versicherten fallen daher ebenfalls nicht in die Betriebshaftpflichtversicherung (RS0081685). Unter „Ansprüche aus der Gewährleistung für Mängel“ fallen nicht nur die Kosten der Behebung des Mangels an sich, sondern auch jene der vorbereitenden Maßnahmen, die zur Mängelbehebung erforderlich sind (RS0021974).

[34] 5.4.3 Hinsichtlich der von der Abnehmerin eingewendeten Gegenforderung von 6.339,90 EUR für ihre im Rahmen der Schadensminderung geltend gemachten Kosten folgt daher:

[35] 5.4.3.1 Das Spritzen der Pflanzen mit dem Pflanzenschutzmittel diente offenkundig dem Versuch der Behebung des Mangels durch Beseitigung des Pilzes, zumal die Abnehmerin keine anderen besonderen Gründe behauptete, die ein derartiges Vorgehen im konkreten Fall notwendig gemacht hätte. Dabei handelt es sich somit um Aufwendungen zur Verbesserung der Produkte der Kläger; der dafür von der Abnehmerin geltend gemachte Personal- und Materialaufwand ist daher nicht gedeckt.

[36] 5.4.3.2 Die von der Abnehmerin zur Minimierung allfälliger Umsatzeinbußen gesetzten Schadensminderungsmaßnahmen (Setzen, Binden und Tauschen) stehen im Zusammenhang mit den neuen – die mangelhaften Produkte der Kläger – ersetzenden Pflanzen. Bei den dafür aufgewendeten Kosten handelt es sich somit weder um nutzlose Herstellungskosten nach Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1.2.1 EHVB noch um Nachbesserungskosten iSd Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1.2.3 EHVB, weil keine Nachbesserungsarbeiten am Endprodukt (ausgewachsene Pflanze samt Früchte) gesetzt wurden, sondern um Erfüllungssurrogate.

[37] 5.4.3.3 Die Fehlersuchkosten (AGES-Analyse) stellten bereits nach dem Vorbringen der Kläger – nicht versicherte – Kosten der vorbereitenden Maßnahmen, die zur Mängelbehebung erforderlich sind, dar. Auch können sie unter keinem der genannten Tatbestände des Abschnitts A, Z 2, Pkt 4.1.2 EHVB subsumiert werden.

[38] 6.1 Anders verhält es sich mit dem ebenfalls compensando eingewandten entgangenen Gewinn.

[39] 6.2 Nach Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1.2.2 EHVB ersetzt der Versicherer den weiters aus der Unveräußerlichkeit des Endprodukts entstehenden Vermögensnachteil.

[40] 6.3.1 Führt die Mangelhaftigkeit des gelieferten Produkts zur Unveräußerlichkeit des Endprodukts so ersetzt der Versicherer den weiteren Vermögensnachteil durch entgangenen Gewinn ( Maitz aaO 291; Ziegler , aaO 122; zur grundsätzlich vergleichbaren deutschen Bedingung Ziff 4.3.2.3 ProdHM, die entgangenen Gewinn zwar ausdrücklich, aber bloß beispielhaft als im Begriff „Vermögensnachteile“ enthalten anführt: Schimikowski aaO Rn 87, Thürmann aaO Rn 134 iVm Rn 118).

[41] 6.3.2 Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer, der für die Gemüseproduktion bestimmte Jungpflanzen veräußert, wird die gegenständliche Bestimmung nicht dahin verstehen, dass nur ein auch tatsächlich zustande gekommenes Endprodukt unveräußerlich ist. Vielmehr wird er der Klausel schon wegen der vergleichbaren Zielrichtung das Verständnis unterstellen, dass auch bei einer aufgrund der Mangelhaftigkeit der gelieferten Jungpflanzen gar nicht entstandenen fruchttragenden Pflanze Unveräußerlichkeit des Endprodukts gegeben ist. Einen ihm gegenüber dafür geltend gemachten entgangenen Gewinn wird er daher der hier geregelten Schadensposition unterstellen. Daran ändert auch der folgende Risikoausschluss nichts.

[42] 6.4.1 Kein Versicherungsschutz besteht in der gemäß Punkt 4. durch besondere Vereinbarung vereinbarten Tatbestände für Folgeschäden, wie zB Betriebsunterbrechung oder Produktionsausfall (Abschnitt A, Z 2, Pkt 5.2 EHVB).

[43] 6.4.2 Unter Betriebsunterbrechung versteht der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer Stillstand des Betriebs, unter Produktionsausfall den Stopp der Produktion. Als ausgeschlossen nach dieser Klausel erachtet er daher Schäden, die aus einem Stillstand des Betriebs oder dem Stopp der Produktion – verursacht durch das mangelhafte Produkt des Versicherungsnehmers – folgen.

[44] 6.4.3 Hier führten die Mängel der Jungpflanzen weder zum Stillstand des Betriebs der Abnehmerin, noch wurde die Produktion gestoppt.

[45] 6.4.4 Die Deckungspflicht der Beklagten hinsichtlich des der Kaufpreisforderung der Kläger entgegengehaltenen Anspruchs auf entgangenen Gewinn, ist daher grundsätzlich zu bejahen.

[46] 7. Da die Vorinstanzen aufgrund ihrer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht keine Feststellungen zu den von der Beklagten weiters eingewandten Ausschlüssen – wie Art 7.2.1 und 7.2.2 AHVB – trafen, waren ihre Urteile aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

[47] 8. Der Kostenvorbehalt gründet auf §§ 41, 50 ZPO.

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