Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das erstgerichtliche Urteil wie folgt zu lauten hat:
"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 152.134,44 S samt 4 % Zinsen seit 1. März 1996 binnen 14 Tagen zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei zur Hälfte für alle weiteren Schäden der klagenden Partei aus der Räumung des Bestandobjekts *****, haftet.
Die Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei einen weiteren Betrag von 152.134,44 S sA binnen 14 Tagen zu zahlen, und sie hafte zur Gänze für alle weiteren Schäden der klagenden Partei aus der Räumung des Bestandobjekts *****, wird abgewiesen."
Die Verfahrenskosten aller drei Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.
Text
Entscheidungsgründe:
In dem hier amtshaftungsrechtlich zu beurteilenden Anlassverfahren des Bezirksgerichts Hietzing begehrte die Vermieterin vom Kläger als dort beklagten Mieter (im folgenden nur Kläger) einer Wohnung - dessen Mietvertrag dem MRG unterfiel - die Bezahlung rückständiger Mietzinse für zwei Monate samt vereinbarten Zinsen sowie unter Auflösung des Mietvertrags gemäß § 1118 ABGB die Räumung der Wohnung. Der Kläger bezahlte die rückständigen Mietzinsbeträge, jedoch nicht die Zinsen und Kosten und erachtete die Rückstellung seiner Ladung mit dem nicht unterfertigten Vermerk "Kopie des Flugtickets kann nachgereicht werden" an das Bezirksgericht Hietzing als ausreichende Entschuldigung für die für 4. November 1994 anberaumte erste Tagsatzung. Bei dieser fällte das Bezirksgericht Hietzing ein klagestattgebendes Versäumungsurteil über das (von der Vermieterin auf Nebengebühren eingeschränkte) Zahlungs- und über das Räumungsbegehren. Der Kläger, dem das Versäumungsurteil am 2. Dezember 1994 durch Hinterlegung zugestellt wurde, nahm das Räumungsbegehren wegen der Einschränkung des Zahlungsbegehrens "nicht sehr ernst". Das Bezirksgericht Hietzing wies mit unangefochten gebliebenem Beschluss vom 16. Jänner 1995 den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist als unbegründet ab und seine Berufung als verspätet zurück.
Mit Schreiben vom 27. März 1995, auf dem sich der Postvermerk "Kenntnis genommen und entsprochen" befindet, teilte der Kläger seinem zuständigen Postamt mit, dass er sich vom 29. März bis 29. Mai 1995 berufsbedingt im Ausland aufhalten werde; er ersuche, alle während dieses Zeitraums einlangenden behördlichen Schriftstücke (RSa und RSb) zurückzusenden. Am 30. März 1995 reiste der Kläger in die U.S.A. Ihm wurde ungeachtet seiner Ortsabwesenheit die Räumungsexekutionsbewilligung samt einer Gleichschrift des Antrags der Vermieterin am 19. April 1995 durch postamtliche Hinterlegung zugestellt und sodann am 8. und 12. Mai 1995 die Wohnung des Klägers zwangsweise geräumt. Am 24. Mai 1995 kehrte der Kläger nach Wien zurück. Sein Rekurs gegen den Exekutionsbewilligungsbeschluss wurde mangels Rechtsschutzinteresses zurückgewiesen.
Wäre der Beschluss auf Bewilligung der Räumungsexekution dem Kläger erst nach dessen Rückkehr aus Amerika zugestellt worden, so hätte dieser Alles unternommen, um sich die Wohnung zu erhalten. Er hätte sich mit der Vermieterin in Verbindung gesetzt und allenfalls noch bestehende Mietzinsrückstände und die Nebengebühren laut dem Versäumungsurteil gezahlt. Die Vermieterin hatte dem Kläger mit Schreiben vom 25. April 1995 mitgeteilt, dass zu diesem Zeitpunkt 4.429,10 S zuzüglich Zinsen und Kosten ihres Rechtsbeistands aushafteten. Bei Zahlung dieses Betrags hätte die Vermieterin von der Durchführung der zwangsweisen Räumung Abstand genommen und das Mietverhältnis wäre zu den ursprünglichen Bedingungen aufrecht erhalten worden.
Das Erstgericht gab dem auf Amtshaftung gestützten Klagebegehren a) auf Zahlung von zuletzt 494.091,38 S sA mit dem Zuspruch von 329.268,88 S (erhöhter Mietaufwand samt Gebühren von 263.730 S, Exekutionskosten von 25.712,88 S, Transportkosten von Möbeln von 19.826 S, Kleidungs- und Möbelaufwand des Klägers von je 10.000 S) sowie b) auf Feststellung, dass die beklagte Partei dem Kläger für alle weiteren Schäden aus der Räumung der Wohnung hafte, statt und wies das Zahlungsmehrbegehren ab. Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil durch die Reduktion des Zuspruchs auf 304.268,88 S sA ab und bestätigte es im Übrigen.
Die von der zweiten Instanz zugelassene Revision der beklagten Partei ist zulässig und teilweise berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
a) Der beklagte Rechtsträger führt ins Treffen, die Aufrechterhaltung bzw die Fortsetzung des Bestandvertrags über die geräumte Wohnung mit dem Kläger sei (rechtlich) unmöglich gewesen. Dem kann aus folgenden Erwägungen nicht beigetreten werden:
Die Bestimmungen des Zustellgesetzes, namentlich dessen § 17, sind Schutzgesetze, in dessen Schutzbereich jedenfalls der Empfänger einer Sendung - hier der Kläger -, aber selbst derjenige, auf dessen Betreiben eine Zustellung stattzufinden hat, einbezogen ist. Selbst dieser soll durch die Einhaltung und richtige Anwendung der Zustellvorschriften vor Vermögensschäden bewahrt werden, die ihm deshalb erwachsen, weil er auf die dem ZustG entsprechende Durchführung der Zustellungen vertraute (1 Ob 353/99i unter Hinweis auf 1 Ob 362/98m = EvBl 1999/138 = RZ 1999/54; RIS-Justiz RS0112951). Nach Rspr (SZ 60/33, SZ 66/87, SZ 69/147 uva) und Lehre (Schragel, AHG2 Rz 168) muss der Kläger, der seinen Ersatzanspruch auf die Verletzung eines Schutzgesetzes gründet, bloß den Eintritt des Schadens und die Übertretung der Norm durch den Beklagten beweisen. Es bedarf aber keines strikten Nachweises des Kausalzusammenhangs, weil die Kausalität der in der Missachtung der Norm liegenden Pflichtwidrigkeit für die Schadensfolgen, deren Eintritt das Schutzgesetz gerade (auch) zu verhindern bestimmt ist, vermutet wird. Steht wie hier die Übertretung des Schutzgesetzes fest, kann sich der Beklagte der vom Kläger geltend gemachten Haftung nur dadurch entledigen, dass er sein mangelndes Verschulden an der Übertretung der Norm beweist - welchen Beweis er hier nicht angetreten hat - oder die Kausalität der Pflichtwidrigkeit durch Außerkraftsetzung des ihn belastenden Anscheinsbeweises ernsthaft zweifelhaft macht (1 Ob 39/95 = ZfRV 1996, 33; SZ 69/147).
Nach § 575 Abs 2 ZPO tritt eine gerichtliche Kündigung oder ein Auftrag zur Übergabe oder Übernahme des Bestandgegenstands, gegen die nicht rechtzeitig Einwendungen erhoben wurden, außer Kraft, wenn nicht binnen sechs Monaten nach dem Eintritt der in diesen Aufträgen oder im Urteil für die Räumung oder Übergabe des Bestandgegenstands bestimmten Zeit wegen dieser Räumung oder Übergabe beantragt wird. Über den Wortlaut des § 575 Abs 2 ZPO hinaus wendet die Rspr diese Bestimmung auch auf Räumungsklagen gemäß § 1118 ABGB an (Frauenberger in Rechberger 2 § 575 ZPO Rz 3 mwN). Durch die Unterlassung alsbaldiger Exekutionsführung iSd § 575 Abs 2 ZPO tritt an sich keine Änderung der materiellrechtlichen Beziehungen ein; ein beendetes Bestandverhältnis bleibt daher beendet, der frühere Bestandnehmer ist weiterhin zur Zurückstellung der Bestandsache iSd § 1109 ABGB verpflichtet (SZ 27/54; MietSlg 16.687; EvBl 1974/208 = MietSlg 25.142; MietSlg 34.793; Fasching IV 676, 697). Die Frage, ob eine Erneuerung des Bestandvertrags zustande gekommen ist, kann demnach nur aus dem über die bloße Unterlassung des rechtzeitigen Exekutionsantrags hinausgehenden Verhalten und aus den Erklärungen der Partei nach Eintritt der Vollstreckbarkeit beurteilt werden (MietSlg 34.793; Fasching IV 698). Ausgehend von diesen rechtlichen Erwägungen reicht die von der zweiten Instanz gebilligte Feststellung des Erstrichters, bei Zahlung eines näher genannten Betrags hätte die Vermieterin nicht nur von der Durchführung der zwangsweisen Räumung Abstand genommen, sondern es wäre das Mietverhältnis zu den ursprünglichen Bedingungen fortgesetzt worden, nicht aus, um zu Gunsten der beklagten Partei den sie belastenden Kausal-Anscheinsbeweis ernsthaft in Zweifel zu ziehen.
b) Dass das gegen den Beklagten erlassene Versäumungsurteil den Amtshaftungsanspruch des Klägers nicht rechtfertigen kann, ist nicht mehr strittig. Gegenstand des Rechtsmittels ist auch nicht mehr die Frage, ob die dem beklagten Rechtsträger zuzurechnende Zustellung des Beschlusses auf Bewilligung der Räumungsexekution an den ortsabwesenden Kläger rechtswidrig (§ 17 Abs 3 ZustG) und schuldhaft war, sondern nur mehr, ob den Kläger ein relevantes Mitverschulden iSd § 1304 ABGB treffe.
Organe der Rechtsträger sind ausnahmslos verpflichtet, sich rechtmäßig zu verhalten, sodass die Behauptungs- und Beweislast für das mangelnde Verschulden an der Nichterfüllung dieser Rechtspflicht stets den Rechtsträger trifft (stRspr: SZ 60/217, SZ 65/2, SZ 71/79 uva, zuletzt 1 Ob 191/99s; RIS-Justiz RS0049794). Im Geltungsbereich des AHG ist nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts zu haften, weshalb die Haftungsverpflichtung des Rechtsträgers grundsätzlich nicht nur grobes, sondern auch leichtes, am Maßstab des § 1299 ABGB zu messendes Verschulden des Organs umfasst (stRspr: SZ 53/83, SZ 68/191, SZ 69/147, je mwN uva, zuletzt 1 Ob 191/99s; RIS-Justiz RS0026381; Schragel aaO Rz 147). Da die Grundsätze des bürgerlichen Rechts auch im Amtshaftungsrecht zu gelten haben, stehen dem haftungspflichtigen Rechtsträger auch alle Einwendungen zu, die nach bürgerlichem Recht dem Anspruch des Klägers entgegengehalten werden können. Insbesondere kann ein Mitverschulden des Geschädigten geltend gemacht werden (stRspr: SZ 64/126; ZVR 1992/57, je mwN; 1 Ob 37/93 ua; Schragel aaO Rz 155; Mader in Schwimann 2, § 1 AHG Rz 69 mwN).
Nach herrschender Auffassung hat das Mitverschulden iSd § 1304 ABGB kein Verschulden im technischen Sinn zur Voraussetzung; nicht einmal Rechtswidrigkeit des Verhaltens ist nötig, sondern nur eine, für den Schadenseintritt kausale Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern (stRspr: SZ 54/85, SZ 64/126, 1 Ob 6/97g = SZ 70/95 uva, zuletzt 2 Ob 351/99b; RIS-Justiz RS0022681; Reischauer in Rummel 2, § 1304 ABGB Rz 1 mwN, Mayrhofer in Ehrenzweig, Schuldrecht AT3 304 f; Mader aaO Rz 69). Das Mitverschulden iSd § 1304 ABGB wird durch die für den Schadenseintritt kausale Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern begründet und kann auch in vorwerfbarer Untätigkeit liegen (stRspr: SZ 64/126, SZ 67/126, zuletzt SZ 70/95). Der Geschädigte verletzt seine Schadensminderungspflicht, wenn er schuldhaft Handlungen unterlässt, die von einem verständigen Durchschnittsmenschen gesetzt worden und geeignet wären, den Schaden abzuwehren oder zu verringern. Was zugemutet werden kann, bestimmt sich nach den Interessen beider Teile im Einzelfall und nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs (SZ 62/185; JBl 1994, 331; 4 Ob 127/97y = SZ 70/108, jeweils mwN). Maßgebend ist, ob der Geschädigte jene Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein verständiger Teilnehmer in seiner Lage angewandt hätte, um eine Schädigung nach Möglichkeit abzuwenden (Harrer in Schwimann 2, § 1304 ABGB Rz 27 mwN). Bei der Aufteilung entscheiden vor allem die Größe und Wahrscheinlichkeit der schuldhaft herbeigeführten Gefahr, die Bedeutung der verletzten Vorschrift und der Grad der Fahrlässigkeit (SZ 70/108 ua; Harrer aaO § 1304 Rz 40 mwN).
Im vorliegenden Fall steht einer Verletzung des § 17 Abs 3 ZustG durch Organe des beklagten Rechtsträgers die Tatsache gegenüber, dass sich der Beklagte nach Abweisung seiner Rechtsmittel gegen das ihn belastende und nun rechtskräftige Versäumungsurteil mit einer Räumungsverplichtung nicht bereits vor seiner Amerika-Reise um eine Klärung und Regelung dessen Folgen bei der Vermieterin bemühte. Nach den Feststellungen hätte die Vermieterin bei Zahlung von 4.429,10 S sA von der Durchführung der zwangsweisen Räumung Abstand genommen und das Mietverhältnis zu den ursprünglichen Bedingungen fortgesetzt. Schlüssige Gründe dafür, dass er solche erfolgversprechende Schritte unterließ, hat der Beklagte im Verfahren nicht dargetan. Diese Unterlassung erachtete die zweite Instanz im Vergleich zu dem klaren Gesetzesverstoß durch die Organe des Rechtsträgers als nicht ins Gewicht fallend. Der erkennende Senat sieht darin freilich eine schwerwiegende schuldhafte Untätigkeit, die auch unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (1 Ob 37/93) zu einer Schadensteilung im Verhältnis 1 : 1 führen muss, weil der Kläger bei Aufwendung eines verhältnismäßig geringfügigen, zudem auch geschuldeten Betrags die Nachteile von sich hätte abwenden können.
Daher sind die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass dem Kläger nur ein Betrag von 152.134,44 S zuzusprechen und seinem Feststellungsbegehren nur mit der Hälfte stattzugeben ist.
Die Kostenentscheidung fußt auf den § 43 Abs 1 und 2 iVm § 50 ZPO.
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