European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1999:E56481
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Den Revisionen wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien an Kosten des Revisionsverfahrens den Betrag von S 893,38 binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger kam 6. 7. 1997 als Lenker und Halter eines PKW im Zuge eines beabsichtigten Überholmanövers von der Fahrbahn und stieß gegen das Eisengestänge eines außerhalb des (aus seiner Sicht gesehen) linken Fahrbahnrandes befindlichen Ortsschildes. Dadurch entstand ihm ein Schaden in der Höhe von S 108.756.
Der Kläger begehrt den Ersatz dieses Betrages mit der Begründung, der Erstbeklagte habe - ohne den von hinten kommenden Verkehr zu beachten - ein vor ihm fahrendes Fahrzeug überholt, weshalb dem Kläger keine andere Möglichkeit geblieben sei, als sein Fahrzeug über den linken Fahrbahnrand hinauszulenken.
Die Beklagten wendeten ein, den Kläger treffe das Alleinverschulden, weil er im Bereich eines verfügten Überholverbotes ein Überholmanöver eingeleitet und zudem falsch reagiert habe.
Das Erstgericht verurteilte die beklagten Parteien zur Zahlung eines Betrages von S 36.252 und wies das Mehrbegehren in der Höhe von S 72.504 jeweils samt Zinsen ab.
Dabei wurden im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Erstbeklagte fuhr am 6. 7. 1997 mit dem bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten Klein‑LKW in die selbe Fahrtrichtung wie der Kläger. Der Unfall ereignete sich gegen ca 17.20 Uhr bei regennasser Fahrbahn. Die Straße, auf der sich der Unfall ereignete, stellt im Unfallsbereich eine übersichtliche Gerade mit einer Breite von 7,6 m dar. Im Hinblick auf die Abbiegemöglichkeit nach links (in Fahrtrichtung des Klägers und des Erstbeklagten gesehen) besteht ein Überholverbot, das 38,60 m vor dem Gestänge mit dem Ortshinweisschild, gegen das der Kläger prallte, durch das Verkehrszeichen "Überholen verboten ‑ Ende" aufgehoben wird. Der Kläger schloss mit einer Geschwindigkeit von 80 bis 90 km/h auf das vor ihm mit etwas geringerer Geschwindigkeit fahrende Fahrzeug des Erstbeklagten auf. Zirka 85 bis 93 m vor dem Ende des Überholverbotes setzte er zum Überholen des vor ihm fahrenden Fahrzeuges an, indem er den linken Blinker betätigte und sein Fahrzeug nach links lenkte. Zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger das Ausscheren noch nicht abgeschlossen hatte und sich erst mit einem Teil seines Fahrzeuges links der Mittellinie befand, lenkte auch der Erstbeklagte den Klein‑LKW ohne Blinkzeichen in der Absicht nach links, seinerseits ein vor ihm fahrendes Fahrzeug zu überholen. Der Erstbeklagte hätte zum Zeitpunkte der Einleitung dieses Manövers im linken Außenspiegel sehen können, dass der Kläger sein Überholmanöver bereits eingeleitet hatte, er unterließ jedoch eine derartige Beobachtung.
In welchem Tiefenabstand sich die beiden Fahrzeuge zum Zeitpunkte des Auslenkens des Erstbeklagten nach links zueinander befanden, konnte nicht festgestellt werden, desgleichen auch nicht, wo in Bezug auf das Ende des Überholverbotes der Erstbeklagte sein Manöver einleitete. Der Kläger reagierte auf das Verhalten des Erstbeklagten zunächst mit einem Hupzeichen und einem weiteren Auslenken seines Fahrzeuges nach links, möglicherweise führte er eine normale Betriebsbremsung durch. Erst als er bemerkte, dass der Klein‑LKW weiter nach links gelenkt wurde, lenkte er sein Fahrzeug noch weiter nach links und bremste voll. Dadurch geriet der PKW auf das links an den Fahrbahnrand angrenzende Bankett und letztlich mit einer Aufprallgeschwindigkeit von 37 bis 45 km/h gegen das Eisengestänge mit Wegweiser.
Bei Reaktionsbeginn (Hupen, Auslenken nach links, möglicherweise Betriebsbremsung) war das Fahrzeug des Klägers noch ca 72 bis 78 m von der Anstoßstelle an das Verkehrszeichen und 33,5 bis 39,5 m von dem Ende des Überholverbotes entfernt. Hätte der Kläger anstatt zunächst nur zu hupen, nach links zu lenken und (allenfalls) eine Betriebsbremsung durchzuführen, sofort voll gebremst, wäre es ihm möglich gewesen, jedenfalls dann sein Fahrzeug vor dem Eisengestänge zum Stillstand zu bringen und den Unfall zu vemeiden, wenn das Bremsmanöver zur Gänze oder zumindest überwiegend auf der Asphaltfahrbahn durchgeführt worden und der PKW erst in der letzten Phase mit den linken Rädern auf das Bankett geraten wäre.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, es sei dem Kläger vorzuwerfen, dass er gegen § 16 StVO verstoßen und auch falsch auf die Gefahrensituation reagiert hat. Demgegenüber sei dem Erstbeklagten anzulasten, dass er sich vor Durchführung des Fahrstreifenwechsels nicht davon überzeugt habe, ob die Durchführung des Fahrmanövers ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer möglich sei (§ 11 StVO). Insbesondere hätte er sein Manöver auch durch Blinkzeichen erkennbar machen müssen. In Abwägung der wechselseitigen Verschuldenskomponenten sei eine Teilung im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten des Klägers angemessen.
Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.
Zur Rechtsfrage führte es aus, es sei dem Kläger jedenfalls die Verletzung eines Überholverbotes vorzuwerfen, weil bereits der Fahrstreifenwechsel einen strafbaren Überholversuch darstelle. Es komme nicht darauf an, ob der Überholvorgang entsprechend § 2 Abs 1 Z 29 StVO im Sinne eines Vorbeibewegens bereits vollendet worden sei oder nicht. Der Schutzzweck des Überholverbotes bestehe nicht nur darin, den Gegenverkehr gefahrlos zu ermöglichen, sondern auch darin, alle jene Schäden zu verhindern, die beim Überholvorgang während des Vorbeibewegens an dem überholten Fahrzeug und beim Wiedereinordnen nach dem Überholen entstehen könnten. Es komme aber im gegenständlichen Fall nicht darauf an, ob und welche Schäden das Überholverbot beim Überholen verhindern wolle, weil lediglich im Vermögen des - rechtswidrig überholenden - Klägers ein Schaden eingetreten sei. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Verletzung des Überholverbotes und der Fahrweise des Erstbeklagten wäre nur dann einer Prüfung zu unterziehen, wenn auch am Fahrzeug des Erstbeklagten ein Schaden eingetreten wäre, dessen Ersatz vom Kläger begehrt werde.
Da nur beim Kläger ein Schaden eingetreten sei, reiche es hin, dass diesem eine objektive Sorgfaltsverletzung, nämlich der Verstoß gegen ein Überholverbot vorzuwerfen sei, welche auch kausal für den eingetretenen Schaden gewesen sei. Unabhängig vom Schutzzweck dieses Überholverbotes habe daher der Kläger entsprechend seinem Verschulden seinen Schaden selbst zu tragen.
Das Erstgericht sei daher zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger nicht nur eine Fehlreaktion zur Last falle, sondern sein rechtswidriges Überholmanöver bei der Verschuldensteilung ebenfalls zu seinen Lasten ausschlage. Demgegenüber habe der Erstbeklagte einen Verstoß gegen § 11 StVO zu verantworten, weshalb die vom Erstgericht vorgenommene Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten des Klägers angemessen sei.
Da der Erstbeklagte die Bestimmung des § 11 StVO verletzt habe, könne er sich nicht mehr auf den Vertrauensgrundsatz berufen.
Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht in Bezug auf zwei Rechtsfragen für zulässig: Einerseits inwieweit dem Schutzzweck der Norm überhaupt Relevanz zukomme, wenn der Schaden nur im Vermögen des die Schutznorm Übetretenden eingetreten sei; andererseits liege zum Schutzzweck des § 16 Abs 1 lit a StVO keine einheitliche Judikatur zur Frage vor, ob dieses Verbot auch dem Schutz jener Verkehrsteilnehmer diene, welche ihrerseits rechtswidrig ein Überholmanöver einleiteten.
Gegen den klagsabweisenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Gegen den klagsstattgebenden Teil richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise wird ebenfalls ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Parteien haben auch Revisionsbeantwortungen erstattet und beantragt, das gegnerische Rechtsmittel zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionen sind zulässig, aber nicht berechtigt.
Der Kläger vertritt in seinem Rechtsmittel die Ansicht, der Schutzzweck des § 16 Abs 2 lit a StVO bestehe darin, alle Schäden zu verhindern, die beim Überholen und Wiedereinordnung entstehen könnten. Unbestritten stehe fest, dass das gegenständliche Überholverbot im Unfallsbereich deshalb normiert sei, weil eine Abbiegemöglichkeit in Fahrtrichtung der Beteiligten nach links bestehe. Die Schutzfunktion des Überholverbotes bestehe sohin darin, anderen Verkehrsteilnehmern ein gefahrloses Abbiegen nach links zu ermöglichen. Der Kläger habe durch sein Überholmanöver gegen den Schutzzweck der Norm nicht verstoßen, weil er erst nach Passieren der Abbiegemöglichkeit mit seinem Überholmanöver begonnen habe. Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung JBl 1993, 389 ausgeführt habe, führe ein sorgloses Verhalten, das sich nicht kausal auf den Eintritt oder die Höhe des Schadens ausgewirkt habe, nicht zur Entlastung des Schädigers. Sei das Verhalten des Geschädigten für den Schadenseintritt nicht kausal, dann entfalle jeder Grund, den Schädiger zu entlasten. Das Verhalten des Klägers sei hinsichtlich des Schadenseintrittes nicht adäquat gewesen. Er hätte nicht damit rechnen müssen, dass der Erstbeklagte ein Überholmanöver durchführen werde, ohne auf den Nachfolgeverkehr zu achten.
Die beklagten Parteien vertreten in ihrem Rechtsmittel die Ansicht, es sei unrichtig, dem Erstbeklagten einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Bestimmungen der StVO anzulasten. Er hätte auf keinen Fall damit rechnen müssen, überholt zu werden. Ein Fehlverhalten des Erstbeklagten trete im Vergleich zu jenem des Klägers so weit in den Hintergrund, dass es nicht mehr zu berücksichtigen und daher auch aus diesem Grunde von einem Alleinverschulden des Klägers auszugehen sei.
Hiezu wurde erwogen:
Zur Revision des Klägers:
Dieser hat gegen das Überholverbot des § 16 Abs 2 lit a StVO verstoßen. Die Übertretung einer Schutznorm macht aber nur insofern für den durch die Übertretung verursachten Schaden haftbar, als durch die Schutznorm gerade dieser Schaden verhindert werden sollte. Um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den im konkreten Fall eingetretenen Schaden verhindern wollte, ist das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren. Maßgeblich ist dabei der Inhalt der Norm. Es genügt dabei, dass die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist; die Norm muss aber die Verhinderung eines Schadens wie den später eingetretenen intendiert haben (SZ 61/189; ecolex 1994, 534; ZVR 1997/45; 2 Ob 143/99i). Zweifelsohne verfolgt das Überholverbot des § 16 Abs 2 lit a StVO nicht den Zweck, Schäden dessen, der rechtswidrig überholt, hintanzuhalten. Das Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB setzt aber kein Verschulden im technischen Sinn voraus, auch eine Rechtswidrigkeit des Verhaltens ist nicht erforderlich. Es genügt vielmehr eine Sorglosigkeit gegenüber eigenen Gütern (RIS‑Justiz RS0022681; SZ 70/95). Es bedarf daher für die Annahme eines Mitverschuldens im Sinne der zitierten Bestimmung auch keines Rechtswidrigkeitszusammenhanges zwischen der verletzten Norm und dem eingetretenen Schaden. Eine Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern ist aber - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - gegeben, wenn auf einer Straßenstrecke, die durch das Vorschriftszeichen "Überholen verboten" gekennzeichnet ist, überholt wird. Diese Sorglosigkeit war für den Schaden des Klägers auch kausal, weshalb aus der in der Revision zitierten Entscheidung JBl 1993, 389 für den Kläger nichts zu gewinnen ist.
Allerdings ist auch dem Erstbeklagten ein Verstoß gegen das Überholverbot des § 16 Abs 2 lit a StVO anzulasten. Nach den Feststellungen war bei Reaktionsbeginn des Klägers sein Fahrzeug noch 33,5 bis 39,5 m von dem Ende des Überholverbotes entfernt. Der Erstbeklagte muss daher die Überholbewegung zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen haben. Der Begriff des Überholens im Sinne des § 2 Abs 1 Z 29 StVO umfasst die gesamte Überholbewegung von der Ausgangsstellung bis zum Wiedereinordnen (RIS‑Justiz RS0073682). Zu prüfen ist nun, ob ein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Verstoß des Erstbeklagten gegen die Bestimmung des § 16 Abs 2 lit a StVO und dem Schaden des Klägers besteht. Der Schutzzweck des § 16 Abs 2 lit a StVO besteht zwar nicht nur darin, den Gegenverkehr gefahrlos zu ermöglichen, sondern auch darin alle jene Schäden zu verhindern, die beim Überholvorgang während des Vorbeibewegens des Überholenden an dem überholten Fahrzeug und beim Wiedereinordnung des überholenden Fahrzeuges nach dem Überholvorgang entstehen können (RIS‑Justiz RS0027626; ZVR 1984/162). Im vorliegenden Fall ist aber durch das rechtswidrige Verhalten des Erstbeklagten kein Schaden an den von ihm überholten Fahrzeug entstanden, weshalb ein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen seinem Verstoß gegen § 16 Abs 2 lit a StVO und dem Schaden des Klägers zu verneinen ist.
Es ist sohin dem Beklagten ein Verstoß gegen § 11 StVO anzulasten, dem Kläger hingegen eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten und zwar in doppelter Hinsicht: Einerseits durch den Überholvorgang trotz des Überholverbotes und anderseits indem er nicht richtig reagierte. Im Hinblick darauf bestehen keine Bedenken, den Schaden im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten des Klägers zu teilen.
Insoweit der Kläger meint, er hätte mit einem rechtswidrigen Verhalten des Beklagten nicht rechnen müssen, ist ihm zu entgegnen, dass der Vertrauensgrundsatz nur demjenigen zugute kommt, der selbst jene Vorsicht angewendet hat, die von ihm im Interesse der Sicherheit des Verkehrs verlangt wird (RIS‑Justiz RS0073214; zuletzt 2 Ob 65/94).
Zur Revision der Beklagten:
Wie schon zur Revision des Klägers ausgeführt, können sich auch die Beklagten auf den Vertrauensgrundsatz nicht berufen. Entgegen der von ihnen vertretenen Ansicht ist der vom Erstbeklagten gesetzte Verstoß gegen § 11 StVO keinesfalls so gering, dass er bei der Verschuldensteilung nicht zu berücksichtigen wäre.
Es war daher beiden Revisionen kein Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat den beklagten Parteien die mit S 5.358,14 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 893,02) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen, die Beklagten dem Kläger die mit S 4.464,76 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 744,12) bestimmten Kosten seiner Revisionsbeantwortung. Daraus resultiert eine Kostenersatzpflicht des Klägers in der Höhe von S 893,38.
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