OGH 4Ob127/97y

OGH4Ob127/97y10.6.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek und Dr. Niederreiter sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** reg. Genossenschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Michael Augustin, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei Dr. Werner K*****, vertreten durch Dr. Herbert Duma, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 836.205,84 sA und Feststellung (Feststellungsinteresse S 50.000,--), infolge außerordentlicher Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 31.Jänner 1997, GZ 3 R 258/96b-33, mit dem das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 25.September 1996, GZ 12 Cg 74/95y-26, bestätigt wurde, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:

"Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin S 418.102,92 samt 4 % Zinsen seit 23.3.1995 (Tag der Klagezustellung) binnen 14 Tagen zu zahlen.

Es wird dem Beklagten gegenüber festgestellt, daß der Beklagte der Klägerin für die Hälfte des Schadens haftet, den die Klägerin in Zukunft durch den Ausfall von Karin P***** als Bürgin und Zahlerin für die Forderung der Klägerin aus dem mit Werner P***** abgeschlossenen Kreditvertrag vom 2.7.1987 erleidet.

Das Mehrbegehren, der Beklagte sei schuldig, der Klägerin S 418.102,92 samt 4 % Zinsen seit 23.3.1995 binnen 14 Tagen zu zahlen, und das Mehrbegehren, dem Beklagten gegenüber festzustellen, daß er für den der Klägerin aus dem Kreditvertrag vom 2.7.1987 durch den Ausfall von Karin P***** als Bürgin und Zahlerin künftig erwachsenden Schaden zur Gänze haftet, wird abgewiesen.

Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben. Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 6.760,- bestimmten anteiligen Barauslagen binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit S 23.195,-

bestimmten anteiligen Barauslagen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin gewährte Werner P***** mehrere Kredite, die in der Folge in einen Kredit zusammengefaßt wurden. Für die Verlängerung dieses Kredits forderte die Klägerin zusätzliche Sicherheiten. Sie verlangte insbesondere, daß die Ehegattin ihres Kreditnehmers Karin P***** für den Kredit bürgen solle. Karin P***** war dazu bereit. Dem Filialleiter der Klägerin war bekannt, daß Karin P***** zwar sehbehindert, jedoch in der Lage war, selbständig und ohne fremde Hilfe über längere Strecken zu gehen und ihren Arbeitsplatz mit öffentlichen Verkehrsmitteln ohne Begleitperson aufzusuchen.

Die Klägerin setzte sich wegen der Unterfertigung des Bürgschaftsvertrages mit dem Beklagten in Verbindung. Der Beklagte hatte auf Grund der Sehschwäche von Karin P***** bereits 1982 einen Kaufvertrag in Notariatsaktsform errichtet. 1985 und 1987 wurden in der Kanzlei des Beklagten Pfandbestellungsurkunden vorbereitet und von Karin P***** beglaubigt unterfertigt.

Im Zusammenhang mit der Unterfertigung des Bürgschaftsvertrages suchte der Beklagte Karin P***** auf und erkundigte sich nach den Grad ihrer Sehbehinderung. Er erklärte ihr, daß bei einer reinen Sehschwäche die beglaubigte Unterfertigung ausreiche, bei Blindheit jedoch ein Notariatsakt errichtet werden müsse. Es wurde auch über die Kosten eines Notariatsaktes gesprochen. Karin P***** erklärte, ihre täglichen Wege selbständig zu erledigen und allein mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren zu können. Der Beklagte wußte, daß Karin P***** bereits 1985 und 1987 allein in seiner Kanzlei erschienen war. Aus ihrem damaligen Verhalten hatte er den Eindruck gewonnen, daß Karin P***** nur an einer Sehschwäche litt. Aus diesem Grund bestand er nicht auf der Errichtung eines Notariatsaktes, sondern schlug vor, daß Karin P***** eine eidesstättige Erklärung unterschreiben solle, die wie folgt lautete:

"Ich, gefertigte Karin P*****, geboren am *****, Angestellte, ***** K***** 27, erkläre eidesstättig nicht nur Licht und Dunkel, sondern auch die Dinge der Außenwelt, insbesondere wesentliche Züge und Schriftzeichen, deutlich wahrnehmen zu können.

Weiters erkläre ich, zwar in meinem Sehvermögen herabgesetzt zu sein, ohne jedoch als blind im Sinne des Gesetzes zu gelten. Ich erledige meine täglichen Gänge allein, und zwar ohne Inanspruchnahme eines Hundes oder Stockes oder sonstigen Behelfes.

Ich, Werner P*****, geboren am *****, Tankstellenpächter, ***** K***** 27, als Ehegatte schließe mich den obigen Erklärungen meiner Ehegattin vollinhaltlich an und bestätige ausdrücklich deren Richtigkeit."

Weder der Beklagte noch sein Substitut forderten Karin P***** auf, ihnen etwas vorzulesen; der Beklagte vertraute allein auf die von ihr abgegebenen Erklärungen und auf den Eindruck, den er durch ihr Verhalten gewann. Karin P***** bejahte auch gegenüber dem Substituten des Beklagten, daß sie Dinge schemenhaft erkenne, sich orientieren und auf der Straße frei bewegen könne. Karin P***** und Wernerr P***** unterfertigten am 17.2.1989 die eidesstättige Erklärung. Karin P***** unterschrieb auch den Kreditvertrag und die Bürgschaftsurkunde; die Unterfertigung des Bürgschaftsvertrages wurde notariell beglaubigt. Auch bei der Unterfertigung wurde darauf hingewiesen, daß ein Notariatsakt errichtet werden müßte, wenn Karin P***** blind wäre.

Im Bürgschaftsvertrag verpflichtete sich Karin P*****, die Haftung als Bürgin und Zahlerin im Sinne des § 1357 ABGB zur ungeteilten Hand mit dem Hauptschuldner für den Betrag von S 1,350.000,- zu übernehmen. Werner P***** unterschrieb am 17.2.1989 den Kreditverlängerungsvertrag, in dem er sich verpflichtete, ein Superädifikat zum Pfand zu bestellen und Bürgen zu stellen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Raten aus dem Abstattungskredit bezahlt.

Im April 1989 schloß Werner P***** aus wirtschaftlichen Gründen die Tankstelle. Wegen der damit verbundenen Verschlechterung der Vermögenslage stellte die Klägerin den Kredit fällig. Da der Kredit nicht zurückgezahlt wurde, brachte die Klägerin gegen Werner P***** als Kreditschuldner und gegen Karin P***** als Bürgin eine Klage auf S 1,435.156,50 ein. Ihren Anspruch gegen Karin P***** stützte die Klägerin auch auf den Titel des Schadenersatzes. Karin P***** habe durch ihre mündlich und schriftlich abgegebenen Erklärungen, nicht blind zu sein und den Bürgschaftsvertrag visuell zu erfassen, die Klägerin bewußt in Irrtum geführt und hafte für alle Schäden. Die Klägerin verkündete dem Beklagten nicht den Streit.

Im Verfahren wurde festgestellt, daß der Beklagte wegen Sehbehinderung von Karin P***** die Errichtung eines Notariatsaktes vorgeschlagen hatte. Er habe erklärt, daß bei einer reinen Sehschwäche eine beglaubigte Unterfertigung ausreiche, bei Blindheit jedoch die Errichtung eines Notariatsaktes Voraussetzung für die Gültigkeit der Bürgschaft sei. Er habe auch darauf hingewiesen, daß die Kosten eines Notariatsaktes die einer Beglaubigung wesentlich überstiegen. Beim Unterfertigungstermin habe der Substitut des Beklagten den Kreditvertrag, die Bürgschaftsurkunde und die eidesstättige Erklärung vorgelesen. Karin P***** sei bei Unterfertigung des Bürgschaftsvertrages blind im Sinne des Notariatszwangsgesetzes gewesen. Sie habe Licht und Dunkel nur schwer zu erkennen vermocht, Handbewegungen vor den Augen nur undeutlich wahrgenommen, sie habe Schriftzeichen und auch menschliche Züge nicht erkennen können. Ihre Unterschrift habe sie nur mit dem Tastgefühl aus der Motorik heraus zu leisten vermocht, weil sie diesen Vorgang seit der Kindheit eingeübt habe.

Das Klagebegehren wurde vom Erstgericht (im ersten und zweiten Rechtsgang) abgewiesen; das Berufungsgericht verwies darauf, daß der nicht in Notariatsaktsform geschlossene Bürgschaftsvertrag ungültig sei. Für die Annahme einer listigen Irreführung nach § 874 ABGB fehle ein Substrat. Der von Werner P***** aufgenommene Kredit sei am 17.2.1989 bereits notleidend gewesen; durch die Bürgschaftserklärung der Karin P***** hätte nur eine zusätzliche Besicherung und eine Verlängerung erreicht werden sollen. Nicht die unrichtige Erklärung, nicht blind zu sein, sondern nur der Umstand, daß Karin P***** in der Folge von der Erklärung abgegangen und im Verfahren die Nichtigkeit mangels eines Notariatsaktes geltend gemacht habe, könnte einen Kausalzusammenhang für irgendeinen Schaden herstellen. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision wegen Fehlens erheblicher Rechtsfragen nicht zulässig sei. Eine außerordentliche Revision wurde nicht erhoben.

In diesem Verfahren entstanden der Klägerin Kosten von insgesamt S 836.205,84. Der Kredit haftet noch in voller Höhe aus. Werner P***** und Karin P***** sind je zur Hälfte Eigentümer eines Einfamilienhauses. Die Liegenschaft ist mit einem Bauspardarlehen belastet, das Karin P***** in Monatsraten von S 10.150,- zurückzahlt. Ihr Nettoeinkommen betrug bei Abschluß des Bürgschaftsvertrages S 15.000,- monatlich. Zusätzlich erhielt sie die Blindenbeihilfe von S 8.000,- monatlich.

Die Klägerin begehrt S 836.205,84 samt 4 % Zinsen (offenbar gemeint seit dem Tag der Klagezustellung) und die Feststellung, daß der Beklagte der Klägerin gegenüber auf Grund des durch ihn verschuldeten Ausfalls der Karin P***** als Bürgin und Zahlerin für den Kreditvertrag vom 2.7.1987 für alle daraus entstehenden künftigen Folgen hafte.

Der Beklagte und der für ihn tätige Substitut hätten die Handlungsfähigkeit von Karin P***** nicht ordnungsgemäß überprüft. Der Beklagte habe gemäß §§ 1299, 1313a ABGB für den daraus entstandenen Schaden einzustehen. Die Klägerin habe den Vorprozeß im Vertrauen auf die Rechtswirksamkeit der Bürgschaftserklärung geführt.

Der Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen.

Karin P***** habe nach entsprechender Belehrung glaubwürdig versichert, nicht blind zu sein. Sie habe den Beklagten arglistig irregeführt. Die Klägerin hätte im Vorprozeß das Erfüllungsinteresse geltend machen können. Sie habe dem Beklagten nicht den Streit verkündet und auch keine außerordentliche Revision eingebracht. Der Anspruch sei auch verjährt. Schaden und Schädiger seien der Klägerin mit der Zustellung des Ersturteils am 30.1.1991 bekannt gewesen. Der Bürgschaftsvertrag wäre sittenwidrig gewesen, weil Karin P***** als mittellose Angehörige eine Haftung übernommen habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Der Beklagte und sein Substitut hätten bei gehöriger Sorgfalt erkennen können, daß Karin P***** blind war. Der Beklagte hafte für den Schaden, der der Klägerin durch den Vorprozeß entstanden sei und der noch entstehen werde. Eine außerordentliche Revision wäre erfolglos geblieben. Karin P***** sei nicht arglistig vorgegangen. Die Klage sei fristgerecht eingebracht worden. Der Bürgschaftsvertrag wäre auch nicht sittenwidrig gewesen, weil Karin P***** Hälfteeigentümerin einer Liegenschaft gewesen sei und über ein ausreichendes Einkommen verfügt habe.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Ein Notar habe nach § 1299 ABGB ein besonders hohes Maß an Sorgfalt zu vertreten. Das gleiche gelte für den Notarssubstituten, für den der Notar nach § 1313a ABGB einzustehen habe. Der Beklagte und sein Substitut hätten sich vom Ausmaß der Sehschwäche von Karin P***** durch eine schlichte Leseprobe überzeugen müssen. § 866 ABGB sei auf Personen unter 18 Jahren nicht anwendbar, wohl aber auf Personen, die aus anderen Gründen in ihrer Geschäftsfähigkeit eingeschränkt seien. Zweck dieser Norm sei es, die Schadenersatzhaftung des beschränkt Geschäftsfähigen zu regeln. Davon ausgenommen sei nur der, der bei der Täuschungshandlung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet habe. Karin P***** sei zwar als Blinde nicht beschränkt geschäftsfähig; § 866 ABGB sei aber analog anzuwenden. Dieser Norm sei der Grundsatz zu entnehmen, daß eine vertragschließende Partei dem Partner gegenüber Sorgfaltspflichten habe und ihn insbesondere über solche Umstände aufklären müsse, die dem gültigen Zustandekommen des Geschäftes entgegenstehen. Wer diese Verpflichtung schuldhaft verletze, hafte, sofern sein Vertragspartner nicht leicht Erkundigungen einholen konnte. War eine Erkundigung leicht möglich, habe der Vertragspartner keinen Schadenersatzanspruch. Dies sei hier der Fall, weil sich der Beklagte durch eine Leseprobe leicht Gewißheit hätte verschaffen können. Die Leseprobe wäre für Karin P***** nicht entwürdigend gewesen.

Der Sorgfaltsverstoß des Beklagten sei für den eingetretenen Schaden kausal; bei auftragsgemäß formgültiger Errichtung des Bürgschaftsvertrages wäre der Schaden nicht eingetreten. Der Eintritt eines künftigen Schadens könne nicht ausgeschlossen werden. Karin P***** habe im Vorprozeß nicht eingewandt, daß die Bürgschaftsverpflichtung sittenwidrig wäre. Dem Beklagten sei daher dieser Einwand verwehrt. Die Sittenwidrigkeit sei im übrigen zu verneinen, weil Karin P***** vom Kreditnehmer nicht wirtschaftlich abhängig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision des Beklagten ist zulässig; sie ist auch teilweise berechtigt.

Der Beklagte ist der Auffassung, daß die Klägerin den Vorprozeß gewonnen hätte, hätte sie eine außerordentliche Revision eingebracht. Karin P***** hafte wegen ihres arglistigen Verhaltens aus culpa in contrahendo für das Erfüllungsinteresse. Der Beklagte habe entgegenkommender Weise keinen Notariatsakt errichtet, um Kosten sparen zu helfen. Eine Leseprobe hätte nichts gebracht, weil aus der Unfähigkeit, einen Text zu lesen, noch nicht auf Blindheit im Sinne des Notariatszwangsgesetzes zu schließen sei. § 866 ABGB sei nicht analog anzuwenden. Bei leichter Fahrlässigkeit werde für den entgangenen Gewinn und damit für die Kreditzinsen nicht gehaftet. Die Forderung der Klägerin wäre auch dann nicht einbringlich gewesen, wenn der Bürgschaftsvertrag gültig zustande gekommen wäre. Die Bürgschaftsverpflichtung sei aber ohnedies sittenwidrig, weil Karin P***** mittellos sei.

Der Beklagte haftet als Notar nach § 1299 ABGB (ecolex 1993, 238; s auch SZ 58/176; NZ 1988, 200). Danach hat er den Mangel der erforderlichen, nicht gewöhnlichen Kenntnisse zu vertreten. Für seinen Substituten hat er nach § 1313a ABGB einzustehen.

Bei gehöriger Sorgfalt hätte sich der Beklagte durch eine Leseprobe davon überzeugen müssen, ob Karin P***** nur an einer Sehschwäche litt oder blind war. Daß er erhebliche Bedenken hatte, ob das Sehvermögen von Karin P***** ausreichend war, zeigen der Inhalt der eidesstättigen Erklärung und die Tatsache, daß der Beklagte eine solche Erklärung für notwendig erachtet hat. Nach dem Inhalt der eidesstättigen Erklärung sollte Karin P***** "nicht nur Licht und Dunkel, sondern auch die Dinge der Außenwelt, insbesondere wesentliche Züge und Schriftzeichen deutlich wahrnehmen" können. Daß dies nicht zutraf, hätte sich bei einer Leseprobe sofort herausgestellt.

Gemäß § 1 Abs 1 lit e) NZwG ist die Gültigkeit aller Rechtsgeschäfte unter Lebenden, welche von Blinden ... errichtet werden, durch die Aufnahme eines Notariatsaktes bedingt. Der Beklagte hat keinen Notariatsakt errichtet, obwohl er bei gehöriger Sorgfalt erkennen hätte können, daß Karin P***** blind war. Er hat damit schuldhaft gegen seine Pflichten aus dem ihm von der Klägerin erteilten Auftrag verstoßen. Sein Fehlverhalten hat dazu geführt, daß der Bürgschaftsvertrag zwischen der Klägerin und Karin P***** nicht wirksam zustande gekommen ist. Für die daraus entstehenden nachteiligen Folgen hat der Beklagte der Klägerin einzustehen.

Die Klägerin fordert einerseits den Ersatz der ihr im Verfahren gegen Karin P***** erwachsenen Kosten, andrerseits begehrt sie die Feststellung, daß ihr der Beklagte für alle künftigen Schäden haftet. Der Beklagte haftet für jene Schäden, die durch seine Sorgfaltsverletzung adäquat verursacht wurden.

Hätte sich der Beklagte durch eine Leseprobe von der Blindheit der Karin P***** überzeugt und einen Notariatsakt errichtet, so wäre der Bürgschaftsvertrag wirksam zustandegekommen. Auch in diesem Fall wäre, wie das Verfahren gegen den Hauptschuldner Werner P***** zeigt, aller Voraussicht nach eine Klage gegen Karin P***** notwendig gewesen; die Klägerin hätte aber obsiegt und nicht nur keine Kosten ersetzen müssen, sondern auch ihrerseits einen Kostenersatzanspruch erworben.

Der Ersatzanspruch der Klägerin für die Prozeßkosten kann nicht schon mit der Begründung verneint werden, daß der Regreßpflichtige nur dann für die Prozeßkosten haftet, wenn er über die Schlechterfüllung der Hauptleistung hinaus weitere Vertragspflichten verletzt hat und wenn diese Pflichtverletzung für den Prozeß kausal ist (4 Ob 513, 514/95; 6 Ob 538/95; 4 Ob 26/97w). Im vorliegenden Fall geht es nicht um einen Rückgriff unter Gesamtschuldnern (§ 896 ABGB; s Gamerith in Rummel, ABGB**2 § 896 Rz 10 mwN), sondern die Klägerin fordert den Ersatz von Prozeßkosten, die ihr in einem Verfahren entstanden sind, das sie im Vertrauen darauf angestrengt hat, daß der Beklagte zu Recht davon abgesehen hat, den Bürgschaftsvertrag in Notariatsaktsform zu errichten. Daß in diesem Verfahren ein Anspruch aus dem Bürgschaftsvertrag verneint wurde, ist darauf zurückzuführen, daß der Beklagte keinen Notariatsakt errichtet hat, obwohl Karin P***** im Zeitpunkt der Vertragserrichtung blind war.

Im vorangegangenen Verfahren wurde jedoch auch der von der Klägerin ebenfalls geltend gemachte Schadenersatzanspruch verneint. Das Erstgericht hat zwar eine Haftung aus culpa in contrahendo grundsätzlich bejaht, es ist jedoch zum Schluß gekommen, daß die Klägerin keinen Vertrauensschaden erlitten habe, weil der Schade, den sie durch die Uneinbringlichkeit der Kreditforderung gegen Werner P***** möglicherweise erleide, jedenfalls eingetreten wäre. Das Berufungsgericht hat im vorangegangenen Verfahren gemeint, "für die Annahme einer listigen Irreführung bei Vertragsabschluß durch Karin P***** und eine Schadenersatzgrundlage nach § 874 ABGB fehlt ein Substrat". Im vorliegenden Verfahren hat das Berufungsgericht hingegen den Schadenersatzanspruch mit der Begründung verneint, daß analog § 866 ABGB eine Schadenersatzhaftung der Blinden ausgeschlossen sei, weil ihre Behinderung für den Beklagten leicht feststellbar gewesen wäre.

Aus culpa in contrahendo haftet, wer vorvertragliche Pflichten schuldhaft verletzt. Schon vor Vertragsabschluß bestehen Aufklärungs-, Schutz- und Sorgfaltspflichten, wie sie (zB) in den §§ 874, 878 und 866 ABGB anerkannt werden. Ein Teil hat den anderen vor dem Abschluß des Geschäftes vor allem über die Beschaffenheit des in Aussicht genommenen Leistungsgegenstandes oder über eine Gefährdung der Erfüllung aufzuklären und ihm rechtliche Hindernisse mitzuteilen, die einem Vertragsabschluß entgegenstehen. Die durch irreführendes Verhalten herbeigeführten reinen Vermögensschäden sind auch bei Fahrlässigkeit zu ersetzen (SZ 56/135). Soweit anläßlich Vertragsverhandlungen das reine Vermögen betroffen ist, hat der schuldhaft handelnde Teil grundsätzlich nicht das positive, sondern bloß das negative Vertragsinteresse, den Vertrauensschaden, zu ersetzen. Das positive Interesse ist nur dann zu ersetzen, wenn ohne die Pflichtverletzung der Vertrag zustande gekommen wäre (Koziol-Welser10 I 204 ff mwN; SZ 61/90; MietSlg 42.148/21).

Karin P***** hat in ihrer eidesstättigen Erklärung angegeben, "die Dinge der Außenwelt, insbesondere wesentliche Züge und Schriftzeichen deutlich wahrnehmen zu können", obwohl sie dazu nicht in der Lage war. Sie hat damit gegen ihre vorvertraglichen Aufklärungspflichten verstoßen. Ihre - bewußt - wahrheitswidrige Erklärung hat den Beklagten veranlaßt, auf die Errichtung eines Notariatsaktes zu verzichten, um Kosten sparen zu helfen. Hätte Karin P***** wahrheitsgemäß erklärt, daß sie Schriftzeichen nicht erkennen kann, so wäre ein Notariatsakt errichtet worden und der Bürgschaftsvertrag wäre rechtswirksam.

Karin P***** hat demnach rechtswidrig und schuldhaft gehandelt; sie haftet für das Erfüllungsinteresse, weil der Vertrag rechtswirksam errichtet worden und damit zustande gekommen wäre, hätte sie sich rechtmäßig verhalten. Zu prüfen bleibt, ob ihre Haftung mit der Begründung verneint werden kann, daß es dem Beklagten leicht möglich gewesen wäre, ihre Blindheit festzustellen.

Das Berufungsgericht hat § 866 ABGB analog angewandt. Diese Bestimmung läßt den beschränkt Geschäftsfähigen, der seinem Vertragspartner arglistig seine Geschäftsfähigkeit vorspiegelt, nicht haften, wenn dieser leicht Erkundigungen einholen hätte können. Mitverschulden, und zwar schon leichte Fahrlässigkeit des Geschädigten, schließt jede Haftung aus; § 866 ABGB normiert einen Fall echter Kulpakompensation (Rummel in Rummel, ABGB2 § 866 Rz 4). Auch § 878 Satz 3 ABGB regelt einen Fall der Kulpakompensation. Danach hat, wer bei Abschließung des Vertrages die Unmöglichkeit kannte oder kennen mußte, dem anderen Teile, falls von diesem nicht dasselbe gilt, den Schaden zu ersetzen, den er durch das Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrages erlitten hat. Diese Bestimmung wird auf verbotene Verträge analog angewandt, wenn das Verschulden beider

Teile gleich wiegt (SZ 50/132 = EvBl 1978/87 = DRdA 1978, 346

[Holzer/Posch] = ZAS 1979/7 [Schuhmacher]; s auch Krejci in Rummel,

ABGB2 § 878 Rz 6 mwN, der die Analogiefähigkeit für jene Fälle bejaht, in denen beide Partner das gleiche Risiko an der Vertragsgültigkeit trifft). Schiebt der Vertragspartner die Bedenken gegen die Geschäftsfähigkeit oder gegen die Möglichkeit der Leistung beiseite, um im eigenen Interesse zu einem Vertrag zu kommen, so ist er nicht schutzwürdig.

Karin P***** ist als Blinde nicht beschränkt geschäftsfähig. Es ist ihr auch nicht unmöglich, eine Bürgschaftsverpflichtung zu übernehmen; sie kann sich dazu aber nur in einem Notariatsakt verpflichten. Die mangelnde Sorgfalt des Beklagten war hier der Grund dafür, daß ein wirksamer Vertragsabschluß unterblieben ist. Dem Beklagten kann anders als nach § 866 ABGB und § 878 ABGB, aber nicht vorgeworfen werden, Bedenken gegen die Geschäftsfähigkeit des Vertragspartners oder gegen die Möglichkeit der Leistung beiseitegeschoben zu haben, um zu einem Vertragsabschluß zu kommen. Daß der Beklagte die Behinderung von Karin P***** nicht in ihrem vollen Ausmaß wahrgenommen hat, führte vielmehr dazu, daß der Beklagte nicht die - für ihn attraktivere - Form des Notariatsakts wählte, sondern sich mit einer notariellen Beurkundung begnügte. Damit fehlt aber auch jede Grundlage für eine analoge Anwendung der Bestimmungen über die Kulpakompensation.

Der Schadenersatzanspruch gegen Karin P***** wurde demnach im vorangegangenen Verfahren zu Unrecht verneint. Der Beklagte wirft der Klägerin eine Verletzung der Schadensminderungspflicht vor, weil sie keine außerordentliche Revision eingebracht hat.

Aus § 1304 ABGB folgt, daß der Geschädigte verpflichtet ist, den Schaden möglichst gering zu halten. Er verletzt die Schadensminderungspflicht, wenn er schuldhaft Handlungen unterläßt, die von einem verständigen Durch- schnittsmenschen gesetzt worden und geeignet wären, den Schaden abzuwehren oder zu verringern. Was zugemutet werden kann, bestimmt sich nach den Interessen beider Teile im Einzelfall und nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs (SZ 62/185; JBl 1994, 331 [Karollus], jeweils mwN). Maßgebend ist, ob der Geschädigte jene Sorgfalt außer acht gelassen hat, die ein verständiger Teilnehmer in seiner Lage angewandt hätte, um eine Schädigung nach Möglichkeit abzuwenden (Schwimann/Harrer, ABGB2 VII § 1304 Rz 27 mwN).

Das Nichtergreifen eines Rechtsmittels kann Verletzung der Schadensminderungspflicht sein. Der Geschädigte ist aber nicht zu gerichtlichen Schritten verpflichtet, die mit einem bedeutenden Kostenrisiko verbunden sind oder geringe Aussicht auf Erfolg haben (Reischauer in Rummel, ABGB2 § 1304 Rz 43 mwN; Schwimann/Harrer aaO § 1304 Rz 20 mwN; SZ 62/185; JBl 1994, 331 [Karollus]; ecolex 1995, 172 = EFSlg 76.117 mwN). Nach dem Amtshaftungsrecht besteht kein Ersatzanspruch, wenn der Geschädigte den Schaden durch Rechtsmittel oder durch Beschwerde an den VwGH abwenden hätte können (§ 2 Abs 2 AHG; ua SZ 68/133; SZ 68/155). Diese Bestimmung verschärft die allgemein geltende Schadensminderungspflicht (SZ 62/176); die zu § 2 Abs 2 AHG entwickelten Grundsätze können daher nicht allgemein angewandt werden (ecolex 1995, 172 = EFSlg 76.117).

Während im Anwendungsbereich des § 2 Abs 2 AHG bei Verschulden des Geschädigten keine Verschuldensteilung im Sinn des § 1304 ABGB eintritt, sondern der Anspruch gegen dne Rechtsträger insoweit erlischt, als das Rechtsmittel hätte Abhilfe schaffen können (SZ 58/156 mwN), führt das Nichtergreifen eines Rechtsmittels außerhalb dieses Bereiches nicht in jedem Fall dazu, daß der Geschädigte den nicht verhinderten Schaden allein zu tragen hat. Ergreift der Geschädigte kein Rechtsmittel, obwohl es geeignet gewesen wäre, den Schaden ganz oder teilweise abzuwenden, so handelt er sorglos in eigenen Angelegenheiten und verletzt die ihm obliegende Rettungspflicht. Trifft ihn ein Verschulden, so ist der Schaden nach § 1304 ABGB zu teilen (Koziol, Haftpflichtrecht2 I 261, 268; s auch ders., Die Schadensminderungspflicht, JBl 1972, 225 [233]). Bei der Aufteilung entscheiden vor allem die Größe und Wahrscheinlichkeit der schuldhaft herbeigeführten Gefahr, die Bedeutung der verletzten Vorschrift und der Grad der Fahrlässigkeit (Harrer/Schwimann aaO § 1304 Rz 40 mwN).

Das Berufungsgericht hat im vorangegangenen Verfahren die ordentliche Revision nicht zugelassen und dies mit dem Fehlen erheblicher Rechtsfragen begründet. Nach § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.

Das Berufungsgericht hat im vorangegangenen Verfahren eine listige Irreführung durch Karin P***** und auch einen Vertrauensschaden der Klägerin verneint. Es hat sich aber nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob Karin P***** jedenfalls fahrlässig gehandelt hat und aus culpa in contrahendo für das Erfüllungsinteresse haftet. Hätte es den festgestellten Sachverhalt rechtlich richtig beurteilt, so hätte es der Klage gegen Karin P***** aus dem Titel des Schadenersatzes stattgeben müssen. Mit seiner Entscheidung ist das Berufungsgericht von der Rechtsprechung (insbesondere SZ 56/135; SZ 61/90) abgewichen; eine gegen seine Entscheidung eingebrachte außerordentliche Revision wäre daher zulässig gewesen.

Die anwaltlich vertretene Klägerin hätte erkennen müssen, daß die Entscheidung des Berufungsgerichtes der Rechtsprechung widersprach und daß der Ausspruch, die ordentliche Revision sei nicht zulässig, demnach nicht zutraf. Da jedoch das Klagebegehren in erster und zweiter Instanz abgewiesen worden war und das Berufungsgericht das Vorliegen erheblicher Rechtsfragen verneint hatte, ist das Verschulden der Klägerin als leicht zu werten.

Dem als fahrlässig zu wertenden Sorgfaltsverstoß des Beklagten, sich nicht ausreichend vom Sehvermögen der Karin P***** überzeugt zu haben, steht demnach das fahrlässige Verhalten der Klägerin gegenüber, das auch einen Schadenersatzanspruch verneinende Urteil im vorangegangenen Verfahren nicht mit außerordentlicher Revision bekämpft zu haben. Unter den hier gegebenen Umständen erscheint es angemessen, den Schaden zu teilen.

Demnach hat der Beklagte der Klägerin die Hälfte der Kosten zu ersetzen, die der Klägerin im vorangegangenen Verfahren erwachsen sind. Er haftet auch für die Hälfte des Ausfalles, den die Klägerin erleidet, weil die Bürgschaftsverpflichtung nicht rechtswirksam zustandegekommen ist. Es war daher auszusprechen, daß der Beklagte der Klägerin für den halben Schaden haftet, den sie in Zukunft durch den Ausfall von Karin P***** als Bürgin erleidet. Der Schadenersatzanspruch der Klägerin umfaßt auch die uneinbringlichen Kreditzinsen, weil sie nicht entgangener Gewinn, sondern positiver Schaden sind (stRsp ua JBl 1993, 399; EvBl 1993/15 = JBl 1993, 394 = AnwBl 1993, 197).

Der Einwand des Beklagten, daß Karin P***** die Sittenwidrigkeit der Bürgschaftsverpflichtung einwenden hätte können, ist nicht berechtigt. Auf die Unwirksamkeit einer Vereinbarung wegen Sittenwidrigkeit ist Bedacht zu nehmen, wenn im Prozeß auf Grund einer sittenwidrigen Vereinbarung ein Anspruch geltend gemacht und dieser von der Gegenseite bestritten wird (SZ 51/83). Die Geltendmachung der Sittenwidrigkeit bleibt daher grundsätzlich dem Vertragspartner überlassen (Koziol/Welser10 I 147 mwN). Ein Dritter, wie in diesem Fall der Beklagte, kann sich nicht darauf berufen.

Der Revision war teilweise Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 43, 50 ZPO. Die Klägerin hat zur Hälfte obsiegt, zur Hälfte ist sie unterlegen. Die Kosten waren gegeneinander aufzuheben; jeder Partei war der Ersatz der halben Barauslagen aufzuerlegen, die ihr Gegner aufgewendet hat.

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