OGH 1Ob37/93

OGH1Ob37/9316.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser, Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker und Dr.Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andreas F*****, vertreten durch Dr.Albert Feichtner, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 53.260,20 S (Revisionsinteresse der klagenden Partei 15.938,90 S, der beklagten Partei 31.956,74 S) sA, infolge Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 7.September 1993, GZ 12 R 46/93-18, womit infolge Berufungen beider Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 12.März 1993, GZ 15 Cg 283/92-10, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 903,04 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im hier amtshaftungsrechtlich zu beurteilenden Vorprozeß belangte der Kläger mit seiner am 1.Februar 1988 - der 30.Jänner 1988 war ein Samstag und der 31.Jänner 1988 ein Sonntag (§ 903 dritter Satz ABGB iVm § 1 Abs 1 Fristenablauf-HemmungsG BGBl 1961/37) - eingelangten Klage den Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer des am Verkehrsunfall vom 30.Jänner 1985 allein schuldigen Lenkers wegen Reparaturkosten seiner beim Unfall beschädigten Jagdflinte sowie wegen ihm abgetretener restlicher Schmerzengeldansprüche seiner Kinder. Der beklagte Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer wandte ua unter Hinweis auf das Unfallsdatum und das Datum der Klagseinbringung Verjährung ein. Dagegen replizierte der Kläger, daß der Schadensumfang erst im Sommer 1985 zu Tage getreten sei. Das Erstgericht wies das Klagebegehren wegen Verjährung ab, weil der Kläger in der Lage gewesen sei, den gesamten Schaden an der Jagdflinte unmittelbar nach dem Unfall zu erkennen. In seiner Berufung "anerkannte" der Kläger ausdrücklich die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes über die Verjährung der (ihm zedierten) Schmerzengeldansprüche und bekämpfte mit dem Argument, die Beschädigung des Doppellaufes seiner Jagdflinte sei erst 14 Tage bis drei Wochen nach dem Unfall erkennbar gewesen, die Rechtsansicht, daß sein Schadenersatzanspruch in Ansehung der Jagdflinte verjährt sei. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil aus der Erwägung, dem Kläger wäre ohne nennenswerte Mühe die Feststellung des Schadensumfanges an der Jagdflinte bereits am Unfallstag möglich gewesen. Ein weiterer Rechtszug war ausgeschlossen. Auf die oben genannte Ablaufhemmung der Verjährung gingen im Vorprozeß weder der Kläger noch die beiden Gerichte ein.

Im nunmehrigen Amtshaftungsverfahren gab das Erstgericht dem Schadenersatz-Klagebegehren des Klägers gegenüber der beklagten Republik Österreich auf Zahlung von 53.260,20 S sA (34.450 S Schaden an der Jagdflinte sowie 17.238 S und 2.572,20 S als Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz) mit 27.130,10 S sA statt und wies das Mehrbegehren von 26.130,10 S sA ab. Es ging von einer unvertretbaren Rechtsansicht des Berufungsgerichtes im Vorprozeß (zumindest fahrlässige Unkenntnis des § 903 ABGB iVm § 1 Abs 1 Fristenablauf-HemmungsG BGBl 1961/37) aus, verneinte die Verletzung der Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG, gelangte aber, ausgehend von einem Mitverschulden des Klägers wegen seines unterlassenen Hinweises auf die Hemmung der Verjährung infolge des Wochenendes 30./31.Jänner 1988 zu einer Schadensteilung von 1 : 1, wobei die Zahlung des Haftpflichtversicherers des Rechtsvertreters des Klägers (im Vorprozeß) nicht der beklagten Partei zugute komme.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil teilweise dahingehend ab, daß dem Kläger 31.956,74 S sA (somit um 4.826,84 S als vom Erstgericht) zugesprochen und 21.303,46 S sA abgewiesen wurden. Es billigte die Rechtsauffassung der ersten Instanz mit Ausnahme der Kosten des Vorprozesses erster Instanz, weil der dort Beklagte zur Verjährungsfrage behauptungs- und beweisbelastet gewesen sei. Im Berufungsverfahren des Vorprozesses sei hingegen für den Kläger nunmehr klar gewesen, daß bei der Lösung der Verjährungsfrage eine Hemmungsbestimmung übersehen worden sei. Dazu komme, daß er die Verjährungslösung der ersten Instanz in Ansehung von Teilforderungen ausdrücklich akzeptiert habe, sodaß die Gefahr auf der Hand gelegen sei, das Berufungsgericht werde sich nur mit den Einwänden des Klägers zum Verjährungsbeginn bei der Teilforderung "Jagdflinte" auseinandersetzen.

Die vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen beider Teile - der Kläger bekämpft nur eine Teilabweisung von 15.938,90 S sA - sind nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung ist im Amtshaftungsprozeß nicht wie in einem Rechtsmittelverfahren zu prüfen, ob die in Betracht kommende Entscheidung richtig war, sondern ob sie auf einer, bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung beruhte. Nur ein Abweichen von einer klaren Gesetzeslage oder ständigen Rechtsprechung, das nicht erkennen läßt, daß es auf einer sorgfältigen Überlegung beruht, wird regelmäßig als Verschulden anzusehen sein (JBl 1993, 55 = EvBl 1993/17; ÖA 1992, 90; JBl 1990, 382 uva), wobei § 1299 ABGB auch für den an Organe der nach dem AHG haftenden Rechtsträger anzulegenden Maßstab bei Prüfung des Vorliegens eines Organverschuldens gilt (ÖA 1993, 90; SZ 60/236 uva). Bei Behandlung einer gehörig ausgeführten Rechtsrüge - wie hier im Vorprozeß - ist die rechtliche Beurteilung ohne Beschränkung auf die vom Rechtsmittelwerber geltend gemachten Gründe zu prüfen (JBl 1992, 541; ENr 111 zu § 503 ZPO in Stohanzl, JN-ZPO14). Zur Verjährungsfrage ist die bloß quantitativ eingeschränkte Berufung des Klägers im Vorprozeß gesetzmäßig ausgeführt; einer allseitigen rechtlichen Prüfung stand daher nichts entgegen.

§ 903 dritter Satz ABGB findet nach herrschender Auffassung (JBl 1993, 583 mwN; JBl 1988, 389; ZVR 1974/14, SZ 38/54 ua; Reischauer in Rummel2, Rz 1 zu §§ 902 f ABGB; Binder in Schwimann, Rz 1 zu § 902 ABGB, Rz 8 zu § 903 ABGB) auf alle materiellrechtlichen Fristen des Privatrechts, also auch auf Verjährungsfristen Anwendung. Unter Heranziehung des Fristenablauf-HemmungsG BGBl 1961/37 tritt vorbehaltlich gegenteiliger Vereinbarung der nachfolgende Werktag an die Stelle eines Samtstags, Sonntags oder anerkannten Feiertags, der als letzter Tag für die Abgabe einer Erklärung ... bestimmt ist. Daß dabei ein Samstag anders zu werten wäre als ein Sonntag, wie die beklagte Partei unter Hinweis auf Wirtschafts- (ÖffnungszeitenG 1991) und Schulgesetze mit ganz anderen Regelungsinhalten vorträgt, ist nicht zutreffend, geht es doch in diesen anderen Gesetzen nicht um die Ablaufhemmung von Fristen. Auf welchen Wochentag ein gewisser Tag des Vorjahres fällt, ist eine keines Beweises bedürftige, offenkundige Tatsache (§ 269 ZPO). Die Überprüfung des angenommenen Ablaufs der Verjährungsfrist an Hand eines Kalenders, auch eines vergangenen Jahres, ist zumutbar, besonders wenn wie im vorliegenden Fall der Ablauf der die Verjährungsfrist nur von wenigen Tagen abhängig ist. Die Beurteilung der Vorinstanzen, die berufungsgerichtliche Rechtsansicht im Vorprozeß wäre unvertretbar, ist daher zutreffend.

§ 2 Abs 2 AHG ist, entgegen der Auffassung der beklagten Partei, hier unanwendbar, weil unter den weiten Rechtsmittelbegriff dieser Bestimmung (ZVR 1992/57 uva) nur prozessuale Rechtsbehelfe zu verstehen sind (SZ 52/119 = JBl 1980, 485), nicht aber unterlassene materiellrechtliche Einwendungen oder Repliken auf solche Einwendungen oder unterlassenes tatsächliches und rechtliches Vorbringen im Berufungsverfahren. Für den Bereich des Zivilprozesses steht einer unterlassenen Berufung nur eine nicht gesetzmäßig ausgeführte Berufung gleich, nicht aber wie hier eine gesetzmäßig ausgeführte Berufung, die einen relevanten Aspekt der rechtlichen Beurteilung nicht behandelt.

Da die Grundsätze des bürgerlichen Rechts aber im Amtshaftungsrecht zu gelten haben, stehen dem haftungspflichtigen Rechtsträger auch alle Einwendungen zu, die nach bürgerlichem Recht dem Anspruch des Klägers entgegen gehalten werden können. Insbesondere kann ein Mitverschulden des Geschädigten geltend gemacht werden (SZ 64/126 = JBl 1992, 327 = EvBl 1992/14; ZVR 1992/57 mwN; SZ 51/7 ua; Schragel AHG2 Rz 155). Nach herrschender Auffassung hat das Mitverschulden iS des § 1304 ABGB kein Verschulden im technischen Sinn zur Voraussetzung; nicht einmal Rechtswidrigkeit des Verhaltens ist nötig, sondern nur Sorglosigkeit gegenüber eigenen Gütern (ZVR 1992/57; SZ 54/85, SZ 51/188; Schragel aaO). Ausgehend von diesen Grundsätzen muß ungeachtet des Grundsatzes "iura novit curia" und des Umstandes, daß die Parteien des Zivilprozesses keine Pflicht zur Beibringung von Rechtssätzen haben, die "Anerkennung" der Richtigkeit der erstrichterlichen Rechtsansicht. Über die Verjährung der Schmerzengeldansprüche in Verbindung mit dem unterlassenen Hinweis auf die oben genannte Hemmung der Verjährung in der Berufung als amtshaftungsrechtlich relevantes Mitverschulden des Klägers beurteilt werden, weil jedenfalls mit der Zustellung des Ersturteils dem Kläger bzw seinen Rechtsvertreter bei gehöriger Aufmerksamkeit klar sein mußte, daß der Erstrichter auf die maßgebliche Ablaufhemmung nicht eingegangen war. Die von den Vorinstanzen angenommene Verschuldensteilung bei der Beurteilung des Mitverschuldens des durch einen Rechtsanwalt vertretenen Klägers gegenüber der Unterlassung des Berufungsgerichtes im Vorprozeß wird auch unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit vom erkennenden Senat gebilligt.

Zur Höhe der zugesprochenen und abgewiesenen Beträge enthalten die beiden Revisionen keine Ausführungen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Beide Parteien haben Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen; durch Subtraktion ergibt sich ein Kostenzuspruch an den Kläger.

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