OGH 15Os30/24m

OGH15Os30/24m15.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Mai 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin FI Jäger in der Strafsache gegen M* V* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 9. Oktober 2023, GZ 40 Hv 6/23z‑72, sowie über seine Beschwerde gegen einen gleichzeitig gefassten Beschluss gemäß § 494a StPO nach Anhörungder Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00030.24M.0515.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde M* V* der Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB (I.2.), der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (I.4.) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I.6.) sowie der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (I.1.) und nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (I.3), der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (I.5.) und der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (II.) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in der Nacht von 21. auf 22. April 2023 in H*

I. J* I*

1. gefährlich mit einer Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bekanntgeben bzw Veröffentlichen von Bildaufnahmen bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ihr via SMS mitteilte, er werde ihre Nacktfotos und -videos veröffentlichen, damit jeder sehe, was sie für eine Hure sei;

2. vorsätzlich schwer am Körper zu verletzen versucht, indem er ihr wiederholt Ohrfeigen, Faustschläge und Tritte versetzte, sie kratzte, an den Haaren riss, biss und wiederholt würgte, sodass sie teilweise keine Luft mehr bekam, wodurch sie die im Urteil näher bezeichneten (US 2, 12) Verletzungen erlitt;

3. gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ihr gegenüber jeweils unter Vorhalt eines Messers äußerte: „Denkst du echt, das Kissen bringt dir was, wenn ich dich abstechen will?“ und „Ich steche dich ab.“;

4. durch gefährliche Drohung mit dem Tod, nämlich die wiederholte Äußerung: „Bewege dich einen Millimeter und ich töte dich.“ dazu genötigt, sich nicht zu bewegen;

5. mehrere Stunden widerrechtlich in seiner Wohnung im zweiten Stock gefangen gehalten, indem er (zusammengefasst) die Wohnungstür versperrte, den Schlüssel versteckte, sie zurückhielt und ihr sinngemäß androhte, dass er ihr Leben zerstören und ihre Familienmitglieder töten werde, falls sie die Wohnung verlasse (vgl US 2, 15 f);

6. gegen ihren erkennbaren Willen mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie, während sie in seiner Wohnung eingesperrt war, ins Schlafzimmer zog, ihr einen Faustschlag ins Gesicht versetzte, ihre Beine auseinander riss und zumindest dreimal ruckartig einen Finger in ihre Vagina einführte;

II. D* R* durch gefährliche Drohung mit der Zufügung einer Körperverletzung sowie einer Freiheitsentziehung zum Nachteil von Sympathiepersonen zur Unterlassung der Verständigung der Polizei genötigt, indem er ihm gegenüber äußerte, sollte er die Polizei rufen, werde er mit dessen Familie das Gleiche machen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

[4] Unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) versucht die „zu sämtlichen Urteilsfakten“ erhobene Mängelrüge die von den Tatrichtern bejahte (US 18) Glaubhaftigkeit der Zeugin J* I* zu erschüttern.

[5] Dazu führt der Nichtigkeitswerber Passagen der Aussage der Zeugin M* H* ins Treffen, die sich nicht auf Wahrnehmungen zum in Rede stehenden Tatgeschehen, sondern auf ihre Einschätzungen (vgl aber RIS‑Justiz RS0097540) betreffend die Persönlichkeit der Zeugin I* sowie auf Kommunikationen zwischen dem Beschwerdeführer und den beiden Zeuginnen anlässlich früherer – vom Schöffengericht berücksichtigter (US 17) – Konflikte bezogen. Ferner behauptet er Widersprüche innerhalb der Angaben der Zeugin I* zu Begleitumständen.

[6] Indem der Beschwerdeführer sich pauschal gegen die gesamte Feststellungsbasis richtet (vgl RIS‑Justiz RS0130729) und auch keine unerörtert gebliebenen, die Aufrichtigkeit der Zeugin I* bei ihrer Aussage ernsthaft infrage stellenden Umstände in Bezug auf eine Feststellung zu einer entscheidenden Tatsache aufzeigt (vgl RIS-Justiz RS0119422 [insb T4], RS0104976 [T2]), bringt er keinen Begründungsmangel zur Darstellung. Vielmehr bekämpft er mit diesem Vorbringen die freie Beweiswürdigung des Schöffengerichts (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung.

[7] Überdies vermisst die Mängelrüge eine Auseinandersetzung mit der molekulargenetischen Untersuchung des Intimbereichs der Zeugin I*, die zu keinen verwertbaren Resultaten führte, weshalb ein Vergleich mit dem Erbgut des Beschwerdeführers nicht möglich war. Dieses Untersuchungsergebnis stand den Feststellungen zu I.6. zur gewaltsam erzwungenen Digitalpenetration (US 13 f) jedoch nicht erörterungsbedürftig entgegen (vgl RIS‑Justiz RS0098646 [T8]).

[8] Der Nichtigkeitswerber behauptet weiters, dass die Feststellungen zu I.1. unbegründet geblieben seien (Z 5 vierter Fall). Diese Kritik trifft nicht zu. Denn die Tatrichter stützten die Konstatierungen zum Wortlaut der Drohnachrichten auf die Angaben der Zeugin I* (US 18 f). Die Feststellungen zum Sinngehalt leiteten sie wiederum aus dem Wortlaut und den Begleitumständen, jene zur subjektiven Tatseite aus dem äußeren Tatgeschehen ab (US 23 f; RIS‑Justiz RS0116882, RS0098671).

[9] Zu I.2. stützten die Tatrichter die Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen auf die Aussage der Zeugin I* und – im Übrigen vom Beschwerdeführer nicht berücksichtigt (RIS-Justiz RS0119370 [insb T1]) – auf die Dokumentation der Verletzungen durch Fotos und Ambulanzblätter (US 18, 21, 23). Dabei erwog das Schöffengericht, dass die Aussage des Zeugen R*, er habe keine Verletzungen und kein Blut wahrgenommen, nicht bedeute, dass die Schilderungen der Zeugin I* zu den ihr vom Beschwerdeführer zugefügten Schlägen und Verletzungen falsch seien (US 20). Entgegen dem Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) widerspricht diese Beweiswürdigung weder Gesetzen der Logik noch grundlegenden Erfahrungssätzen. Dass aus einzelnen Beweisergebnissen auch für den Nichtigkeitswerber günstigere Schlussfolgerungen hätten gezogen werden können, stellt keinen Begründungsmangel her (RIS‑Justiz RS0099413 [T4], RS0098400).

[10] Auch die Feststellungen zu I.6. blieben der weiteren Mängelrüge zuwider nicht unbegründet. Die Konstatierungen zum objektiven Tatgeschehen wurden vom Schöffengericht nämlich auf die Angaben der Zeugin I* zu ihren Wahrnehmungen gestützt (US 18 f), jene zur subjektiven Tatseite abermals aus dem äußeren Tatgeschehen erschlossen (US 23 f). Soweit die Rüge diese Feststellungen als „abwegig“ und „lebensfremd“ bezeichnet, spricht sie erneut keinen Begründungsmangel an (RIS‑Justiz RS0099419), sondern übt im kollegialgerichtlichen Verfahren in dieser Form unzulässige Kritik an der freien Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) der Tatrichter (RIS‑Justiz RS0098471).

[11] Die von der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu I.1., I.3., I.4. und II. jeweils als fehlend reklamierten Feststellungen zur Ernstlichkeit der als Tatmittel eingesetzten gefährlichen Drohungen finden sich auf US 10, 12, 13 und 14 (RIS‑Justiz RS0099775).

[12] Zu I.3. behauptet die Rechtsrüge das Fehlen von Feststellungen zur Androhung eines konkreten Übels. Indem sie nur den Wortlaut der Äußerungen in den Blick nimmt und die Konstatierung zum Sinngehalt der Drohung (US 13; RIS‑Justiz RS0092088 [T1], RS0092588 [T14]) übergeht, wird sie allerdings nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt (RIS‑Justiz RS0099810, RS0099775).

[13] Nach den Feststellungen zur jeweiligen Bedeutung kündigte der Beschwerdeführer der Zeugin I* zu I.1. die Bekanntgabe ihres Sexuallebens und ihrer Sexualpraktiken durch Veröffentlichung von Nacktfotos und Videos (US 10) sowie zu I.3. und I.4. den Tod (US 12 f) an, ferner dem Zeugen R* zu II. die „Zufügung einer Körperverletzung und einer Freiheitsentziehung“ zum Nachteil seiner Sympathiepersonen (Familie; US 14 f).

[14] Warum diese festgestellten Ankündigungen nach einem objektiv-individuellen Maßstab nicht geeignet gewesen sein sollten, den Opfern begründete Besorgnis betreffend die Verwirklichung der angedrohten Übel einzuflößen, macht die Rüge nicht klar (vgl RIS-Justiz RS0095939, RS0099620).

[15] Die Subsumtionsrüge (Z 10) wendet sich zu I.4. gegen die Annahme der Qualifikation nach § 106 Abs 1 Z 1 StGB. Sie richtet sich jedoch nicht an den Feststellungen zur Bedeutung und zur Ernstlichkeit (US 12) aus, sondern versucht, diese tatsächlichen Grundlagen der Drohung anhand eigener Beweisüberlegungen zu verändern. Damit gelangt auch diese Rüge nicht prozessförmig zur Ausführung (RIS‑Justiz RS0099810 [T25]).

[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO). Die Entscheidung über die Berufung und die (implizite) Beschwerde kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

[17] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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