OGH 10ObS11/23z

OGH10ObS11/23z16.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Deimbacher und Mag. Gerald Fuchs (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Dr. Martin Holzer, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, vertreten durch Dr. Eva-Maria Bachmann-Lang, Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ausgleichszulage, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Dezember 2022, GZ 7 Rs 53/22 a‑23, mit dem das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. Juni 2022, GZ 22 Cgs 89/21z‑17, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00011.23Z.0116.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei von 1. März 2021 bis 31. Oktober 2021 eine monatliche Ausgleichszulage in Höhe von 473,43 EUR binnen 14 Tagen zu zahlen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.047,48 EUR (darin enthalten 174,58 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 609,67 EUR (darin enthalten 101,61 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin enthalten 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Vorliegen eines nach Art 7 Abs 1 lit b der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 4. 2004 (Unionsbürger‑RL oder Freizügigkeits‑RL) bzw § 51 Abs 1 Z 2 NAG rechtmäßigen Aufenthalts der Klägerin im Zeitraum 1. 3. 2021 bis 31. 10. 2021 als Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Ausgleichszulage gemäß § 149 GSVG.

[2] Die am 16. 9. 1953 geborene Klägerin stammt aus Rumänien. Sie bezieht eine rumänische Alterspension von 260 EUR und eine rumänische staatliche Unterstützungsleistung von 200 EUR als vormalige politische Gefangene sowie seit 1. 2. 2020 eine österreichische Alterspension in Höhe von 57,47 EUR.

[3] Die Klägerin verfügte seit 2013 über das Gewerbe der Personenbetreuung und betreute im Rahmen von 24‑Stundenbetreuungen hilfsbedürftige Personen. Zuletzt betreute sie ab einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt „2017/2018“ ein Ehepaar, zunächst die Frau, danach bis zu dessen Tod am 3. 8. 2020 den Mann. Der Nachlass des Mannes wurde der Klägerin mit Einantwortungsbeschluss vom 11. 12. 2020 als Alleinerbin eingeantwortet. Er umfasste eine Liegenschaft mit Wohnhaus, ein Sparbuch mit einem Einlagestand von 22.000 EUR sowie mehrere Fahrzeuge, aus deren Verkauf die Klägerin 10.000 bis 12.000 EUR erlöste. Die Klägerin erhält von ihren in Österreich lebenden und berufstätigen Kindern keine regelmäßigen finanziellen Zuwendungen, sie unterstützen die Klägerin jedoch bei Bedarf finanziell.

[4] Die Klägerin ist seit 7. 8. 2013 „regelmäßig in Österreich nebenwohnsitzlich gemeldet“. Feststellungen zum tatsächlichen Aufenthalt der Klägerin wurden nicht getroffen. Seit 14. 1. 2021 hat sie in Österreich ihren Hauptwohnsitz angemeldet.

[5] Ab 15. 10. 2021 meldete die Klägerin wieder ein Gewerbe in Österreich an. Seit 1. 11. 2021 wird ihr die Ausgleichszulage als Vorschuss gewährt.

[6] Mit Bescheid vom 12. 10. 2021 wies die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen den Antrag der Klägerin vom 8. 2. 2021 auf Gewährung der Ausgleichszulage mit der Begründung ab, die Klägerin verfüge mangels ausreichender Existenzmittel über keinen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich.

[7] Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Gewährung der Ausgleichszulage in gesetzlicher Höhe ab dem 1. 3. 2021 und brachte vor, aufgrund der geerbten lastenfreien Liegenschaft und weiterer Mittel verfüge sie über ausreichende Existenzmittel, die ihren Aufenthalt in Österreich rechtmäßig machten.

[8] Die Beklagte hielt dem entgegen, im Fall eines Aufenthaltsrechts nach § 51 Abs 1 Z 2 NAG könne keine Ausgleichszulage gewährt werden, weil die Kosten des Aufenthalts in Österreich in den ersten fünf Jahren nicht durch die Ausgleichszulage, sondern durch eigene Mittel zu finanzieren seien.

[9] Das Erstgericht wies die Klage ab.

[10] Das Berufungsgericht gab der auf Gewährung der Ausgleichszulage für den Zeitraum 1. 3. 2021 bis 31. 12. 2021 gerichteten Berufung der Klägerin nicht Folge und ließ die Revision mangels Vorliegens von Rechtsfragen der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu.

[11] Es führte rechtlich aus, in den ersten fünf Jahren seien die Kosten des Aufenthalts in Österreich durch die eigenen Mittel des aufenthaltsberechtigten EWR‑Bürgers und nicht von staatlicher Seite zu tragen. Es treffe auch nicht zu, dass die Klägerin in dem von der Klage erfassten Zeitraum über ausreichende Existenzmittel verfügt habe. Die Auslegung des § 149 GSVG im Lichte des § 51 Abs 1 Z 2 NAG führe zum Ergebnis, dass ihr geerbtes Vermögen und die Zuwendungen ihrer Kinder außer Betracht zu bleiben hätten; betrachte man allein ihr laufendes Einkommen, reiche es zur Deckung ihrer Lebenserhaltungskosten nicht aus.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision der Klägerin ist zur Klarstellung des Ausgleichszulagenanspruchs eines EWR‑Bürgers, der aufgrund seines Vermögens nach Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger‑RL aufenthaltsberechtigt ist, zulässig. Sie ist auch berechtigt.

[13] 1. Gemäß § 149 Abs 1 GSVG (der § 292 Abs 1 ASVG entspricht) hat der Pensionsberechtigte Anspruch auf Ausgleichszulage, solange er seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat.

[14] 2.1. Nach ständiger Rechtsprechung hat das Gericht im Rahmen der Beurteilung des Anspruchs eines EWR‑Bürgers auf Ausgleichszulage selbständig zu prüfen, ob die für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts in Österreich notwendigen Voraussetzungen vorliegen (10 ObS 110/20d [Rz 33] DRdA 2021/50, 496 [Peyrl]; 10 ObS 106/18p [ErwGr 1.3.] SSV‑NF 32/64; 10 ObS 160/17b [Rz 3.4.] SSV‑NF 32/12; vgl RS0129251 [T2]).

[15] Dabei ist grundsätzlich zu beachten, dass das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zwischen der Erteilung und Versagung bzw Entziehung konstitutiver Aufenthaltstitel für Fremde, die sich länger als sechs Monate im Bundesgebiet aufhalten oder aufhalten wollen, und der deklaratorischen Dokumentation bestehender gemeinschaftsrechtlicher Aufenthalts- und Niederlassungsrechte (sogenannter Freizügigkeitssachverhalte) unterscheidet (ErläutRV 952 BlgNR 22. GP  114).

[16] 2.2. Nach § 55 Abs 1 NAG kommt EWR‑Bürgern und ihren Angehörigen das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 NAG zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

[17] Der – im vorliegenden Fall einschlägige – § 51 NAG dient der Umsetzung von Art 7 Abs 1 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 4. 2004 (Unionsbürger‑RL oder Freizügigkeits‑RL) und regelt Fälle der Freizügigkeit von EWR‑Bürgern aus anderen EWR‑Staaten, die ihr Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Grenzen des EWR in Anspruch nehmen und sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten (ErläutRV 952 BlgNR 22. GP  141). Dabei sind das Recht auf Freizügigkeit und das Recht auf Aufenthalt in einem anderen EWR‑Staat (im vorliegenden Fall: in Österreich) in den entsprechenden Bestimmungen des primären und sekundären Unionsrechts begründet (ErläutRV 952 BlgNR 22. GP  141). Das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht nach § 51 NAG (ebenso nach §§ 52, 53 und 54 NAG) ergibt sich also nicht aus einer nationalen gesetzlichen Berechtigung, sondern kraft unmittelbar anwendbaren Unionsrechts (10 ObS 53/21y [Rz 30] SSV‑NF 35/51 = DRdA 2022/23, 341 [Peyrl]; vgl VwGH Ro 2020/09/0011 [Rz 19]; VwGH Ra 2020/22/0252 [Rz 19]).

[18] 2.3. Nach Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger‑RL hat jeder (wirtschaftlich nicht aktive: das Aufenthaltsrecht der wirtschaftlich aktiven Unionsbürger ist in Art 7 Abs 1 lit a leg cit geregelt) Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für mehr als drei Monate, wenn er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, sodass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats (nach § 51 Abs 1 Z 2 NAG: weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage [zu deren Qualifikation als Sozialhilfeleistung iSd Unionsbürger‑RL vgl 10 ObS 12/20t Rz 3.1. SSV‑NF 34/11]) in Anspruch nehmen müssen und er für sich und seine Familienangehörigen über einen – im Fall der Klägerin unstrittig gegebenen – Krankenversicherungsschutz verfügt.

[19] 2.4. Nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger‑RL steht dem Unionsbürger hinsichtlich des Zugangs zur Ausgleichszulage nach Art 24 Abs 1 Unionsbürger‑RL eine Gleichbehandlung mit Inländern zu (10 ObS 86/23d [Rz 6]; 10 ObS 53/21y [Rz 17] SSV‑NF 35/51 = DRdA 2022/23, 341 [Peyrl]; 10 ObS 12/20t SSV‑NF 34/11 = DRdA 2020/55, 579 [Peyrl]).

[20] 2.5. Für die Beurteilung des Anspruchs der Klägerin auf Ausgleichszulage ist daher im ersten Schritt zu prüfen, ob die Voraussetzungen eines rechtmäßigen Aufenthalts nach Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger‑RL (bzw § 51 Abs 1 Z 2 NAG) vorliegen.

[21] 2.6. Bei der Beurteilung, ob ein Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügt, um ein Aufenthaltsrecht nach Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger‑RL in Anspruch nehmen zu können, ist eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation des Betroffenen vorzunehmen, ohne die beantragten Sozialleistungen – derentwegen die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts geprüft wird – zu berücksichtigen (C‑333/13 , Dano, ECLI:EU:C:2014:2358 [Rz 80]; vgl VwGH Ro 2015/10/0050 [Rz 24]; Ra 2016/10/0031 [Rz 26]).

[22] 2.7. Im vorliegenden Verfahren über den Anspruch der Klägerin auf Ausgleichszulage ist daher die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts unter Außerachtlassung der beantragten Ausgleichszulagenleistung zu prüfen.

[23] 3.1. Für die Beurteilung des Vorliegens ausreichender Existenzmittel darf nach Art 8 Abs 4 Unionsbürger‑RL kein fester Betrag angesetzt werden. Als Anhaltspunkt kann allerdings davon ausgegangen werden, dass solche Mittel jedenfalls ausreichend sind, wenn sie über der im Aufnahmemitgliedstaat geltenden Sozialhilfegrenze – in Österreich: der bedarfsorientierten Mindestsicherung – liegen (vgl 10 ObS 110/20d [Rz 45] DRdA 2021/50, 496 [Peyrl]; Abermann in Abermann/Czech/Kind/Peyerl, NAG² § 51 Rz 13). In diesem Sinn stellte das Berufungsgericht als Bezugsgröße auf den Höchstsatz gemäß § 8 Steiermärkisches Sozialunterstützungsgesetz (StSUG) und die in § 8 Abs 5 StSUG vorgesehene Aufteilung dieses Höchstsatzes im Verhältnis 60 zu 40 auf die Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts und der Befriedigung des Wohnbedarfs ab.

[24] 3.2. Der Höchstsatz gemäß § 8 Abs 3 Z 1 StSUG betrug ab dem 1. 7. 2021 (das ist auch der Zeitpunkt des Inkrafttretens des StSUG, vgl dessen § 32) 949,46 EUR (Steiermärkische Sozialunterstützungsgesetz-Durchführungsverordnung, StSUG‑DVO, LGBl 2021/66). Davon sind nach der in § 8 Abs 5 StSUG vorgesehenen Aufteilung 60 Prozent, das sind rund 570 EUR, als für den allgemeinen Lebensunterhalt mit Ausnahme des Wohnens erforderliche monatliche Existenzmittel anzusetzen. Diese Bezugsgröße kann im vorliegenden Fall als Orientierung der für die Deckung des allgemeinen Lebensunterhalts mit Ausnahme des Wohnens erforderlichen Mittel herangezogen werden. Hinsichtlich der Wohnkosten ist im vorliegenden Fall eine Orientierung an den im StSUG und der dazu ergangenen Durchführungsverordnung vorgesehenen Anteil des Höchstsatzes nicht sachgerecht, weil der konkrete Bedarf der Klägerin für ihre Wohnversorgung bekannt ist. Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft mit Wohnhaus, für dessen Nutzung ihr monatliche Betriebskosten von rund 226 EUR anfallen.

[25] 3.3. Bei der konkreten aufenthaltsrechtlichen Beurteilung, ob die Klägerin über ausreichende Existenzmittel verfügt, kann daher als Orientierungswert davon ausgegangen werden, dass sie über ausreichende Existenzmittel verfügt, um nicht auf Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats, somit auch nicht auf die Ausgleichszulage, angewiesen zu sein, wenn sie monatlich über rund 796 EUR (226 EUR für die Wohnversorgung und 570 EUR für die übrigen Lebenshaltungskosten) verfügt. Hingegen kommt es nicht darauf an, ob ein Antrag auf Ausgleichszulage gestellt wurde; aus einem derartigen Antrag kann die Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht abgeleitet werden (VwGH Ra 2017/21/0222 [Rz 14]; EuGH C‑140/12 , Brey, ECLI:EU:C:2013:565, Rz 75).

[26] 3.4. Das Einkommen der Klägerin aus ihren zwei Pensionen – der rumänischen und der 14mal jährlich anfallenden österreichischen – und der rumänischen Leistung für ehemalige politische Gefangene beträgt insgesamt (unter Berücksichtigungen der Sonderzahlungen zur österreichischen Pension) 527,05 EUR monatlich (siehe unten ErwGr 4.5.). Ihre Einkünfte bleiben daher um rund 270 EUR (268,95 EUR) monatlich hinter jenem Betrag zurück, der als Orientierungsgröße für die in der Situation der Klägerin erforderlichen Existenzmittel dienen kann. Da die Klägerin nach den Feststellungen zusätzlich zu ihren laufenden Einkünften ein Sparguthaben von 22.000 EUR geerbt hat und aus dem Verkauf geerbter Fahrzeuge 10.000 bis 12.000 EUR lukrierte, war sie in der Lage, den erforderlichen Differenzbetrag – nicht nur für den strittigen Zeitraum 1. 3. 2021 bis 31. 10. 2021, also für acht Monate, sondern sogar für einen weit darüber hinausgehenden Zeitraum – aus ihrem eigenen Barvermögen zu decken, ohne Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats (vgl Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger‑RL) oder die Ausgleichszulage (§ 51 Abs 1 Z 2 NAG) in Anspruch nehmen zu müssen.

[27] 3.5. Das Berufungsgericht kam nur deshalb zum abweichenden Ergebnis, dass die Klägerin bei konkreter Betrachtung nicht über ausreichende Existenzmittel verfüge, weil es der Ansicht war, dass die geerbten Vermögenswerte der Klägerin (ebenso wie die unregelmäßigen Zuwendungen ihrer Kinder, auf die es aber rechtlich ohnehin nicht ankommt, weil die Klägerin über ausreichendes Barvermögen verfügt) bei der Beurteilung ihres Aufenthaltsrechts außer Betracht zu bleiben hätten. Dafür ist allerdings keine Rechtsgrundlage erkennbar. Die Existenzmittel müssen für die aufenthaltsrechtliche Beurteilung nicht in Form einer regelmäßigen Zahlung vorliegen, sondern es kann sich auch um beispielsweise angesparte Mittel handeln (Abermann in Abermann/Czech/Kind/Peyerl, NAG² [2019] § 51 Rz 13). Auch die Erwerbungsart durch Erbschaft spricht nicht gegen die Einbeziehung der Mittel in die Beurteilung. Für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts der Klägerin sind daher sowohl ihr Liegenschaftsvermögen als auch das geerbte bzw durch den Verkauf geerbter Fahrzeuge erworbene Barvermögen zu berücksichtigen.

[28] 3.6. Daraus ergibt sich zusammengefasst, dass die Klägerin über ausreichende Existenzmittel iSd Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger‑RL (§ 51 Abs 1 Z 2 NAG) verfügt, um nicht auf Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats und die Ausgleichszulage angewiesen zu sein. Ihr rechtmäßiger Aufenthalt im Zeitraum 1. 3. 2021 bis 31. 10. 2021 ist daher zu bejahen.

[29] 3.7. Damit erfüllt die Klägerin die Voraussetzung eines rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts im Inland gemäß § 149 Abs 1 GSVG. Das Vorliegen der weiteren Anspruchsvoraussetzung des § 149 Abs 1 GSVG, dass die Pension der Klägerin zuzüglich eines aus ihren übrigen Einkünften erwachsenden Nettoeinkommens und der gemäß § 151 GSVG zu berücksichtigenden Beträge (solche liegen nicht vor) im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht die Höhe des für sie geltenden Richtsatzes erreicht, ist im Verfahren nicht strittig. Die in § 149 GSVG normierten Voraussetzungen für den Anspruch auf Ausgleichszulage sind daher im vorliegenden Fall erfüllt.

[30] 4.1. Das in den Materialien zum Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz geäußerte Regelungsziel, dass bei Bezug einer Ausgleichszulage ein rechtmäßiger Aufenthalt eines Unionsbürgers schlechthin nicht vorliegen solle (vgl ErläutRV 981 BlgNR 24. GP  160), widerspricht der dargestellten Rechtslage nach Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger‑RL und § 51 Abs 1 Z 2 NAG. Beide Normen stellen auf das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel ab, eine Voraussetzung, die – wie dargestellt – auch durch das Vorhandensein von Vermögen erfüllt werden kann und die im Fall der Klägerin auch erfüllt ist.

[31] 4.2. Da die Voraussetzungen des Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger‑RL im vorliegenden Fall vorliegen, kommt das Gleichbehandlungsgebot des Art 24 Unionsbürger‑RL zum Tragen. Auf den vorliegenden Fall anwendbare Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots iSd Art 24 Abs 1 Unionsbürger‑RL, die im AEUV oder in der Unionsbürger‑RL vorgesehen sein müssen, werden in der Revisionsbeantwortung nicht aufgezeigt und sind auch nicht ersichtlich.

[32] Auch die – eng auszulegende (EuGH C‑181/19 , JD, ECLI:EU:C:2020:794, Rz 60) – Ausnahme des Art 24 Abs 2 Unionsbürger‑RL vom Gleichbehandlungsgebot des Art 24 Abs 1 Unionsbürger‑RL liegt nicht vor, weil keiner der in Abs 2 leg cit vorausgesetzten Fälle vorliegt: Dass es sich beim verfahrensgegenständlichen Zeitraum (teilweise) um die ersten drei Monate des Aufenthalts der Klägerin iSd Art 24 Abs 2 Unionsbürger‑RL handelte, behauptet die Beklagte nicht. Dies ergibt sich auch aus den Feststellungen, die nur die Hauptwohnsitz-Meldung betreffen, nicht. Das Aufenthaltsrecht der Klägerin resultiert auch nicht aus Art 14 Abs 4 lit b Unionsbürger‑RL – also zum Zweck der Arbeitssuche –, sondern beruht auf Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger‑RL.

[33] Die Klägerin ist daher vom Gleichbehandlungsgebot des Art 24 Abs 1 Unionsbürger‑RL erfasst.

[34] Der Anspruch auf Ausgleichszulage könnte ihr daher nur verwehrt werden, wenn er auch für österreichische Staatsbürger in der Situation der Klägerin nicht bestünde.

[35] 4.3. Anders als für die Prüfung des Vorliegens ausreichender Existenzmittel für die Beurteilung des rechtmäßigen Aufenthalts nach Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger‑RL und § 51 Abs 1 Z 2 NAG ist bei der Ausgleichszulage ein Sparguthaben oder anderes Vermögen nicht zu berücksichtigen (RS0085101):

[36] 4.4. Nach ständiger Rechtsprechung fällt Vermögen nicht unter den Begriff der Einkünfte iSd § 292 Abs 1 ASVG bzw § 149 Abs 1 GSVG (RS0085101). Vermögen ist vielmehr „ausgleichszulagenneutral“ (RS0085284 [T4]). Vermögenswerte – auch Bargeld (RS0085101; 10 Ob 8/92) –, die keinen Ertrag abwerfen, werden für den Anspruch auf Ausgleichszulage nicht berücksichtigt. Der Rentner oder Pensionist ist auch nicht gehalten, sie so einzusetzen, dass daraus Einkünfte erzielt werden (RS0085284; RS0085101; 10 ObS 148/22w [Rz 13]). Setzt der Rentner Teile seines Kapitals zur Bestreitung seiner Lebenshaltungskosten ein, schmälert dies nicht seinen Anspruch auf Ausgleichszulage (10 ObS 129/92), solange das Vermögen nicht „aktiviert“ und daraus ein Einkommen bezogen wird (10 ObS 148/22w [Rz 13]; RS0085406).

[37] 4.5. Nach den Feststellungen bezog die Klägerin im hier zu betrachtenden Zeitraum (1. 3. 2021 bis 31. 10. 2021) eine rumänische Pension von 260 EUR monatlich (dass es sich dabei um Bruttoleistungen handelte, von denen noch ein Krankenversicherungsbeitrag abzuziehen wäre [vgl 10 ObS 41/22k Rz 14], wurde von der Klägerin nicht behauptet), eine rumänische Unterstützungsleistung als vormalige politische Gefangene von 200 EUR monatlich sowie eine österreichische Bruttopension (vgl RS0085216) von 57,47 EUR 14mal jährlich (somit von 67,05 EUR monatlich), insgesamt somit 527,05 EUR pro Monat.

[38] Die Differenz zum im Jahr 2021 geltenden Ausgleichszulagenrichtsatz nach § 150 Abs 1 lit a sublit bb GSVG von 1.000,48 EUR beträgt 473,43 EUR. In dieser Höhe besteht der Anspruch der Klägerin auf Ausgleichszulage für den Zeitraum 1. 3. 2021 bis 31. 10. 2021 zu Recht.

[39] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a iVm Abs 2 ASGG. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz berücksichtigt die berechtigten Einwendungen der Beklagten gemäß § 54 Abs 1a ZPO unter Korrektur eines Additionsfehlers.

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