VwGH Ro 2015/10/0050

VwGHRo 2015/10/00509.8.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision der Salzburger Landesregierung gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 22. Juli 2015, Zl. LVwG- 9/160/19-2015, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde:

Bürgermeister der Landeshauptstadt Salzburg; mitbeteiligte Partei:

B K in 5020 Salzburg), zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art14 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art24 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7 Abs1 litb;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7;
62012CJ0140 Brey VORAB;
62013CJ0333 Dano VORAB;
62014CJ0067 Alimanovic VORAB;
EURallg;
MSG Slbg 2010 §4 Abs2 Z2;
MSG Slbg 2010 §4;
NAG 2005 §10 Abs1;
NAG 2005 §51 Abs1 Z2;
NAG 2005 §51;
NAG 2005 §53 Abs1;
NAG 2005 §55 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. Juli 2015 hat das Landesverwaltungsgericht Salzburg dem Mitbeteiligten in Stattgebung seiner Beschwerde gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Salzburg vom 5. März 2015 auf Grund des Antrages vom 4. März 2015 Mindestsicherungsleistungen für die Monate April bis Juli 2015 zuerkannt.

2 Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass der Mitbeteiligte, ein im Jahr 1943 geborener rumänischer Staatsangehöriger, von 1978 bis 1980 bei seiner Schwester in Salzburg gelebt habe. Beschäftigt sei er in Österreich lediglich von 13. November 1978 bis 30. April 1979 gewesen. Dem Mitbeteiligten sei ein Fremdenpass ausgestellt worden, welcher zunächst bis 1993 verlängert und in diesem Jahr mit einem unbefristeten Sichtvermerk versehen worden sei. Mit diesem Fremdenpass habe der Mitbeteiligte seit 1980 in Deutschland gelebt. Ab 1993 habe er dann in Rumänien gelebt. Erst im Jahr 2012 sei er neuerlich nach Österreich gezogen. Davor sei er nur fallweise auf Besuch in Österreich gewesen. Er sei jedoch von 1993 bis 2012 mit Hauptwohnsitz in Salzburg gemeldet gewesen, ohne tatsächlich hier zu wohnen. Grund für die Wiedereinreise nach Österreich sei die schwierige finanzielle Situation in Rumänien gewesen, wo der Mitbeteiligte seine Wohnung verloren habe. Überdies sei die Versorgung mit notwendigen Medikamenten in Rumänien schwierig gewesen.

3 Am 18. Juni 2012 sei dem Mitbeteiligten über seinen Antrag eine Anmeldebescheinigung gemäß § 51 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, ausgestellt worden, wobei das Feld für "Arbeitnehmer/Arbeitnehmerin" angekreuzt worden sei, obwohl der Mitbeteiligte zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahren in Pension gewesen sei. Am gleichen Tag habe die Schwester des Mitbeteiligten ein Sparbuch mit einem Einlagestand von EUR 5.000,-- als "Garantie" vorgelegt. (Aus der Aussage der Schwester bei der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ergibt sich, dass diese tatsächlich nur EUR 1.000,-- zur Verfügung hatte und sich den Rest ausgeborgt hat.) Da das Sparbuch nach Ausstellung der Anmeldebescheinigung wieder aufgelöst worden sei, sei ein Ausweisungsverfahren eingeleitet worden, welches allerdings nicht weiter verfolgt worden sei. Nach der Stellungnahme der Landespolizeidirektion Salzburg vom 5. Februar 2013 seien keine Gründe für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vorgelegen. Eine von der Schwester des Mitbeteiligten abgegebene Verpflichtungserklärung vom 20. Februar 2013 sei am 2. Mai 2013 wieder zurückgezogen worden. Die Schwester, die nur über eine geringe Pension verfüge, mit der sie nur knapp auskomme, habe sich allerdings verpflichtet, EUR 100,-- im Monat für die Unterstützung ihres Bruders aufzuwenden.

4 Der Mitbeteiligte beziehe eine Rente der deutschen Rentenversicherung in der Höhe von derzeit EUR 150,38 pro Monat sowie eine rumänische Rente in der Höhe von EUR 13,54 pro Monat.

5 Der Mitbeteiligte habe bereits am 3. September 2012 die Gewährung einer Mindestsicherungsleistung beantragt und in der Folge tatsächlich fortlaufend eine solche Leistung bezogen. Erst mit April 2015 sei diese Leistung eingestellt worden.

6 Im Jahr 2013 sei der Mitbeteiligte zusätzlich zu seiner Diabeteserkrankung auch an Lungenkrebs erkrankt, wobei diese Erkrankung im Frühjahr 2015 neuerlich akut geworden sei. Nach einer ärztlichen Bestätigung sei er deshalb zu einer selbständigen Lebensführung nicht mehr in der Lage und benötige eine Pflege.

7 Der Mitbeteiligte verfüge nach wie vor über eine aufrechte rumänische Krankenversicherung. Er sei im Besitz einer österreichischen E-Card; die Abrechnung erfolge über die rumänische Krankenkasse.

8 Gemäß § 4 Salzburger Mindestsicherungsgesetz, LGBl. Nr. 63/2010 idF LGBl. Nr. 57/2012 (Sbg. MSG), hätten nur zum dauernden Aufenthalt im Inland berechtigte Personen mit Hauptwohnsitz im Land Salzburg Anspruch auf Mindestsicherungsleistungen. Der Mitbeteiligte habe unstrittig seinen Hauptwohnsitz im Land Salzburg. Fallbezogen sei zu prüfen, ob ihm ein dauerndes Aufenthaltsrecht gemäß § 51 NAG zukomme. Nach dieser Bestimmung seien EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie Arbeitnehmer oder Selbständige seien oder wenn sie für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichend Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügten, sodass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssten. Für den Mitbeteiligten sei zwar eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer ausgestellt worden, obwohl er bereits als Rentner nach Österreich gekommen sei, ungeachtet dessen hätten jedoch die Voraussetzungen für eine Anmeldebescheinigung vorgelegen, weil der Mitbeteiligte über eine rumänische Krankenversicherung verfügt habe und für ihn von der Schwester ein Sparbuch mit EUR 5.000,-- zur Verfügung gestellt worden sei. Dieses unionsrechtliche Aufenthaltsrecht sei dem Mitbeteiligten für einen Zeitraum von einigen Monaten zugekommen. Davon sei "vorläufig unabhängig", dass der Mitbeteiligte bereits am 3. September 2012 Mindestsicherung beantragt habe.

9 Im Rahmen einer Überprüfung im März 2015 sei die belangte Behörde zum Schluss gekommen, dass die Voraussetzungen nach § 51 NAG nicht mehr vorlägen bzw. nie vorgelegen hätten. Dem sei insofern zuzustimmen, als der Mitbeteiligte kein Arbeitnehmer sei und derzeit auch nicht über ausreichende Existenzmittel verfüge. Der dem Revisionswerber im Jahr 1993 ausgestellte unbefristete Wiedereinreisesichtvermerk habe auf Grund der langen Abwesenheit seine Gültigkeit gemäß § 20 Abs. 4 NAG verloren. Seit dem Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union gelte für rumänische Staatsbürger überdies das Regime der §§ 51 ff NAG.

10 Das NAG setze die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (Unionsbürgerrichtlinie) um. Es sei daher die Rechtsprechung des EuGH zur Frage des Bestehens eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts zu berücksichtigen. Der EuGH habe in den letzten Jahren den Bezug von Sozialleistungen bis zu einem gewissen Grad toleriert, ohne dass das Aufenthaltsrecht beeinträchtigt werde. Einschlägig sei das Urteil des EuGH in der Rechtssache C-140/20 12, Brey. Der EuGH sei zum Ergebnis gekommen, dass die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen durch einen Unionsbürger oder einen seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat nicht automatisch zu einer Ausweisung führen dürfe. Vielmehr sei zu prüfen, ob eine unangemessene Inanspruchnahme von Sozialleistungen vorliege. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts könne nicht von einer unangemessenen Inanspruchnahme gesprochen werden, nur weil der Mitbeteiligte als Rentner auf Grund seiner Erkrankung und des damit verbundenen Bedarfs an Medikamenten nach Österreich zu seiner Schwester gekommen sei. Im Hinblick auf die persönlichen und gesundheitlichen Umstände sowie die Verbindung zur in Österreich lebenden Schwester könne die Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch den Mitbeteiligten nicht als unangemessen beurteilt werden.

11 Der Generalanwalt habe in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Brey ausgeführt, dass sich ein Unionsbürger so lange auf das Unionsrecht und den daraus erfließenden Gleichbehandlungsgrundsatz berufen könne, bis sein Aufenthalt durch eine Ausweisung beendet werde.

12 Die weiteren Entscheidungen des EuGH zur Inanspruchnahme von Sozialleistungen würden ein wesentlich strengeres Bild zeichnen. Demnach sei den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, nicht erwerbstätigen Unionsbürgern, die von ihrer Freizügigkeit mit dem Ziel Gebrauch machten, in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaates zu kommen, Sozialleistungen zu versagen (Hinweis auf das Urteil in der Rechtssache C-333/13 , Dano). Allerdings sei in dieser Angelegenheit der Sachverhalt ein völlig anderer gewesen als jener in der hier einschlägigen Rechtssache Brey.

13 Der vorliegende Fall sei davon gekennzeichnet, dass der Mitbeteiligte zwar nicht über ausreichende Existenzmittel verfüge, jedoch nicht ausgewiesen worden sei und sich daher rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Es wäre sehr fraglich, ob auf Grund des Gesundheitszustandes des Mitbeteiligten und des Umstandes, dass er auf die Pflege durch seine Schwester in Österreich angewiesen sei, eine Ausweisung überhaupt möglich sei. Der Mitbeteiligte halte sich auf Grund dieser Umstände somit rechtmäßig im Bundesgebiet auf, weshalb er auch einen Anspruch auf Mindestsicherung habe.

14 Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die vorliegende Entscheidung von der grundsätzlich bedeutsamen Rechtsfrage abhänge, ob das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht und der damit verbundene Rechtsanspruch auf Sozialleistungen bis zu einer rechtskräftigen und durchsetzbaren Ausweisungsentscheidung gegen einen Unionsbürger erhalten bleibe, der die Voraussetzungen gemäß § 51 NAG nicht mehr erfülle.

 

15 Über die dagegen gerichtete Amtsrevision der Salzburger Landesregierung hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

16 Die Revision ist aus den von Verwaltungsgericht angeführten Gründen zulässig. Sie ist auch berechtigt:

17 Die für die Entscheidung maßgeblichen Normen haben folgenden Wortlaut:

18 Salzburger Mindestsicherungsgesetz, LGBl. Nr. 63/2010 idF

LGBl. Nr. 57/2012 (Sbg. MSG):

"§ 4

(1) Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetz haben vorbehaltlich Abs 3 nur Personen, die ihren Hauptwohnsitz oder mangels eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Land Salzburg haben und zu einem dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt sind.

(2) Zum Personenkreis, die zu einem dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt sind, gehören:

  1. 1. österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger;
  2. 2. Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht gemäß den §§ 65 und 65a FPG 2005 oder gemäß den §§ 51 bis 54a und 57 NAG verfügen;

    3. Personen, mit einem Aufenthaltstitel

  1. a) ‚Daueraufenthalt-EG' gemäß § 45 NAG,
  2. b) ‚Familienangehöriger' gemäß § 47 Abs 2 NAG,
  3. c) ‚Daueraufenthalt-Familienangehöriger' gemäß § 48 NAG,
  4. d) ‚Daueraufenthalt-EG' eines anderen Mitgliedsstaates und einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 49 NAG;

    4. Personen, denen der Status des Asylberechtigten nach asylrechtlichen Bestimmungen zuerkannt worden ist

    ..."

    19 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 70/2015:

"§ 10. (1) Aufenthaltstitel und Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts werden ungültig, wenn gegen Fremde eine Rückkehrentscheidung, ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung durchsetzbar oder rechtskräftig wird. Solche Fremde verlieren ihr Recht auf Aufenthalt. Ein Aufenthaltstitel oder eine Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts lebt von Gesetzes wegen wieder auf, sofern innerhalb ihrer ursprünglichen Geltungsdauer die Rückkehrentscheidung, das Aufenthaltsverbot oder die Ausweisung im Rechtsweg nachträglich behoben wird.

...

§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

  1. 1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
  2. 2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

    3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

    ...

§ 53. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

...

§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

..."

Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Unionsbürgerrichtlinie):

"Artikel 7

Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate

(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder

...

Artikel 14

Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts

...

(2) Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen steht das Aufenthaltsrecht nach den Artikeln 7, 12 und 13 zu, solange sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllen.

In bestimmten Fällen, in denen begründete Zweifel bestehen, ob der Unionsbürger oder seine Familienangehörigen die Voraussetzungen der Artikel 7, 12 und 13 erfüllen, können die Mitgliedstaaten prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Prüfung wird nicht systematisch durchgeführt.

(3) Die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen durch einen Unionsbürger oder einen seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat darf nicht automatisch zu einer Ausweisung führen.

...

Artikel 24

Gleichbehandlung

(1) Vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. ..."

20 Der Mitbeteiligte hat seinen Hauptwohnsitz unstrittig seit 2012 im Land Salzburg. Für die Frage, ob ihm ein Anspruch auf Mindestsicherungsleistungen zukommt, ist daher gemäß § 4 Sbg. MSG zu prüfen, ob er zu einem dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt ist, wobei sachverhaltsbezogen gemäß § 4 Abs. 2 Z. 2 leg. cit. zu beurteilen ist, ob ihm ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht gemäß § 51 NAG zukommt. Diese Bestimmung setzt Art. 7 der Unionsbürgerrichtlinie um, wonach Unionsbürgern unter bestimmten Voraussetzungen ein unmittelbar aus dem Unionsrecht erfließendes Aufenthaltsrecht zukommt, das innerstaatlich nicht verliehen, sondern nur - durch eine Anmeldebescheinigung gemäß § 53 Abs. 1 NAG - dokumentiert wird (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. Juni 2009, Zl. 2008/18/0763). Dieses Recht kommt - unabhängig von der behördlichen Dokumentation - Unionsbürgern gemäß Art. 14 Abs. 2 der zitierten Richtlinie und § 55 Abs. 1 NAG so lange zu, als sie die Voraussetzungen dafür erfüllen.

21 Nach der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) können die Mitgliedstaaten daher im Rahmen der Prüfung eines Sozialleistungsanspruches die Erfüllung der Voraussetzungen der Unionsbürgerrichtlinie prüfen und auf ihrer Grundlage den Sozialleistungsanspruch versagen, ohne dass es einer vorherigen Beendigung des Aufenthalts - durch eine der in § 10 Abs. 1 NAG angeführten Maßnahmen - bedürfte (siehe insbesondere das Urteil von 11. November 2014 in der Rechtssache C- 333/13 , Dano, Rz 76 ff, ebenso das Urteil vom 15. September 2015 in der Rechtssache C-67/14 , Alimanovic, Rz 48 ff). Insofern steht das Diskriminierungsverbot gemäß Art. 24 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie einer Ungleichbehandlung von österreichischen Staatsangehörigen und EU-Bürgern, die ihr Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommen haben, nicht entgegen (Urteil Dano, Rz 77).

22 Dazu hat der EuGH ausgesprochen, dass ein Mitgliedstaat gemäß Art. 7 der Richtlinie 2004/38 die Möglichkeit haben müsse, nicht erwerbstätigen Unionsbürgern, die von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machten, in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaats zu kommen, obwohl sie nicht über ausreichende Existenzmittel für die Beanspruchung eines Aufenthaltsrechts verfügten, Sozialleistungen zu versagen. Würde einem betroffenen Mitgliedstaat diese Möglichkeit genommen, hätte dies zur Folge, dass Personen, die bei ihrer Ankunft im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats nicht über ausreichende Existenzmittel verfügten, um für ihren Lebensunterhalt aufzukommen, automatisch in den Genuss solcher Mittel kämen, und zwar durch die Gewährung einer besonderen beitragsunabhängigen Geldleistung, deren Ziel darin bestehe, den Lebensunterhalt des Empfängers zu sichern (Urteil Dano, Rz 78f).

23 Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes sind diese allgemeinen Aussagen - mit denen der EuGH seine u.a. im vom Verwaltungsgericht herangezogenen Urteil vom 19. September 2013 in der Rechtssache C-140/12 , Brey, vertretene Judikaturlinie weiterentwickelt hat - auch im vorliegenden Fall maßgeblich (siehe zum Ganzen das zum Anspruch des Mitbeteiligten auf Ausgleichszulage ergangene Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 10. Mai 2016, Zl. 10ObS15/16b, ).

24 Der EuGH führte im Urteil Dano (Rz 80 f) aus, dass bei der Beurteilung, ob ein Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfüge, um ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 lit. b der Unionsbürgerrichtlinie in Anspruch nehmen zu können, eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation jedes Betroffenen vorzunehmen sei, wobei die beantragten Sozialleistungen nicht zu berücksichtigen seien. Er verwies darauf, dass die Kläger im Ausgangsverfahren nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts nicht über ausreichende Existenzmittel verfügten. Diese könnten daher kein Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat nach der Unionsbürgerrichtlinie geltend machen und sich daher auch nicht auf das Diskriminierungsverbot des Art. 24 Abs. 1 der zitierten Richtlinie berufen.

25 Im vorliegenden Fall ist die wirtschaftliche Situation des Mitbeteiligten dadurch gekennzeichnet, dass er lediglich über zwei Pensionen im Gesamtausmaß von EUR 164,-- im Monat verfügt und zusätzlich mit EUR 100,-- pro Monat von seiner Schwester unterstützt wird. Das zur Erlangung der Anmeldebescheinigung vorgelegte Sparbuch der Schwester mit einem Einlagestand von EUR 5.000,-- wurde nach der Erlangung dieser Bescheinigung wieder aufgelöst. Die im Februar 2013 abgegebene Verpflichtungserklärung der Schwester, die selber mit ihrer Pension nur knapp auskommen kann, wurde im Mai 2013 wieder zurückgezogen. Der Mitbeteiligte hat bereits zweieinhalb Monate nach der Ausstellung der Anmeldebescheinigung die Gewährung von Mindestsicherungsleistungen beantragt.

26 Bei dieser wirtschaftlichen Situation kann keine Rede davon sein, dass der Mitbeteiligte über ausreichende Existenzmittel verfügt und daher die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 lit. b der Unionsbürgerrichtlinie (§ 51 Abs. 1 Z. 2 NAG) erfüllt.

27 Dem Mitbeteiligten kommt daher entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts kein Anspruch auf Mindestsicherungsleistungen gemäß § 4 Sbg. MSG zu.

28 Aus diesem Grund war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Wien, am 9. August 2016

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