VwGH 2008/18/0763

VwGH2008/18/07634.6.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie die Hofräte Dr. Enzenhofer, Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Amtsbeschwerde des Sicherheitsdirektors für das Bundesland Wien gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 4. November 2008, Zl. UVS-FRG/46/6196/2008, betreffend Ausweisung (mitbeteiligte Partei: B S Z, geboren am 19. Juli 1982, vertreten durch Dr. Thaddäus Kleisinger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Fleischmarkt 28/6), zu Recht erkannt:

Normen

11997E039 EG Art39;
12005S/TXT Beitrittsvertrag Europäische Union;
31968L0360 Aufhebungs-RL Aufenthaltsbeschränkungen Arbeitnehmer Art4;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art1 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art38 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7 Abs1 lita;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7 Abs1;
AuslBG §32a Abs10 idF 2006/I/085;
EURallg;
NAG 2005 §51 Z1;
NAG 2005 §51;
NAG 2005 §52;
NAG 2005 §54;
NAG 2005 §55 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
11997E039 EG Art39;
12005S/TXT Beitrittsvertrag Europäische Union;
31968L0360 Aufhebungs-RL Aufenthaltsbeschränkungen Arbeitnehmer Art4;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art1 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art38 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7 Abs1 lita;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7 Abs1;
AuslBG §32a Abs10 idF 2006/I/085;
EURallg;
NAG 2005 §51 Z1;
NAG 2005 §51;
NAG 2005 §52;
NAG 2005 §54;
NAG 2005 §55 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 14. Juli 2008 wurde die Mitbeteiligte, eine bulgarische Staatsangehörige, gemäß § 86 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, iVm § 55 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Z. 2 und § 51 Z. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, ausgewiesen, weil keine Unterhaltsmittel zur Finanzierung des Aufenthalts der Mitbeteiligten im Bundesgebiet vorhanden seien und davon auszugehen sei, dass diese im Krankheitsfall in Anspruch genommene Leistungen nicht bezahlen könne.

Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (der belangten Behörde) vom 4. November 2008 wurde der dagegen erhobenen Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid (ersatzlos) behoben.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung die Feststellungen zugrunde, dass die Mitbeteiligte in Österreich - beginnend mit Mai 2008 - einer unselbständigen Tätigkeit als aushilfsweise beschäftigte Bürokraft nachgehe und daher in Österreich Arbeitnehmerin sei. Sie habe am 3. November 2008 Bestätigungen ihres Arbeitgebers, der E.T. Handels GmbH, über ihre Beschäftigung und ihren Verdienst in näher angeführten Monaten des Jahres 2008 vorgelegt. Seit Oktober 2008 sei die Mitbeteiligte zwar noch immer als Aushilfe, jedoch in größerem Ausmaß beschäftigt und verdiene etwa EUR 750,--.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Wiedergabe der Bestimmungen des § 86 Abs. 2 FPG sowie der §§ 51 und 53 Abs. 2 Z. 1 NAG - im Wesentlichen aus, dass die Mitbeteiligte gemäß § 51 Z. 1 NAG als in Österreich erwerbstätige Arbeitnehmerin und EU-Bürgerin über den Zeitraum von drei Monaten hinaus zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sei. Da der Aktenlage nicht einmal ansatzweise entnommen werden könne, dass durch den Aufenthalt der Mitbeteiligten im Bundesgebiet eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit vorliege, stehe dem Niederlassungsrecht der Mitbeteiligten auch keiner der in § 55 NAG genannten Gründe entgegen, sodass der gegen die Mitbeteiligte erlassenen Ausweisung gemäß § 86 Abs. 2 FPG die gesetzliche Grundlage fehle.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Amtsbeschwerde des Sicherheitsdirektors für das Bundesland Wien mit dem Begehren, den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte ihren Verwaltungsakt vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. In ihrer Verfahrensrüge führt die Beschwerde aus, dass die im angefochtenen Bescheid erwähnten Bestätigungen des Arbeitgebers der Mitbeteiligten "nicht aktenkundig" seien.

1.2. Abgesehen davon, dass die Beschwerde die Relevanz des damit behaupteten Verfahrensmangels nicht dartut (vgl. § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG), ist dem - mit der Gegenschrift der belangten Behörde - das Folgende entgegenzuhalten:

Wie sich aus dem Akt der belangten Behörde ergibt, wurden dieser von der Mitbeteiligten am 3. November 2008 Bestätigungen der E.T. Handels GmbH betreffend die Monate Mai bis Juli und Oktober 2008 über die von der Mitbeteiligten für ihre Tätigkeit als Aushilfe bezogenen Bezüge vorgelegt. Der belangte Verfahrensmangel liegt daher nicht vor.

2.1. In ihrer Rechtsrüge führt die Beschwerde aus, dass die Mitbeteiligte als bulgarische Staatsangehörige auch nach dem Beitritt Bulgariens zur Europäischen Union infolge einer nach wie vor in Geltung stehenden Übergangsbestimmung für die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit in Österreich einer Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) bedürfe. Da sie über eine solche nicht verfüge, sei ihre derzeitige Beschäftigung als Arbeitnehmerin unrechtmäßig, sodass ihr das "Aufenthaltsrecht nach § 51 Z. 1 NAG" nicht zustehe.

2.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Gemäß § 86 Abs. 2 FPG sind (u.a.) EWR-Bürger dann auszuweisen, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 1 NAG das Niederlassungsrecht fehlt.

Gemäß § 51 Z. 1 NAG sind EWR-Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen und sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, (u.a.) dann zur Niederlassung berechtigt, wenn sie in Österreich "Arbeitnehmer oder Selbständige sind".

Die Bestimmung dient nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers der Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, insbesondere der Umsetzung des Art. 7 Abs. 1 der angeführten Richtlinie (so die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, zitiert etwa bei Bichl/Schmid/Szymanski, Das neue Recht der Arbeitsmigration 512f).

Nach Art. 7 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG hat jeder Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er "Arbeitnehmer oder Selbständiger" im Aufnahmemitgliedstaat ist. Das in § 51 NAG genannte Niederlassungsrecht ist somit unmittelbar im Gemeinschaftsrecht begründet und wird daher innerstaatlich nicht verliehen, sondern nur dokumentiert (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2007, Zl. 2006/21/0330, sowie den hg. Beschluss vom 25. September 2007, Zl. 2004/18/0241).

Das in Art. 7 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG verbürgte Aufenthaltsrecht von Arbeitnehmern in einem anderen Mitgliedstaat steht - wie früher das Aufenthaltsrecht nach Art. 4 der (durch Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG aufgehobenen) Richtlinie 68/360/EWG - in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Grundfreiheit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach Art. 39 EGV. Diese gibt Arbeitnehmern u.a. das Recht, sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben (Art. 39 Abs. 3 lit. c EGV; vgl. dazu auch Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft).

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit von (u.a.) bulgarischen Staatsangehörigen in Österreich erfuhr allerdings durch die "Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht" (BGBl. III Nr. 185/2006), die einen integralen Bestandteil des Beitrittsvertrages zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Bulgarien und Rumänien bilden, für eine Übergangsfrist von maximal sieben Jahren ab dem Zeitpunkt des Beitritts am 1. Jänner 2007 eine maßgebliche Beschränkung (vgl. insbes. Punkte 1.2. und 1.5. der Bulgarien betreffenden Übergangsbestimmungen, Anhang VI der Akte), die innerstaatliche Vorschriften ermöglicht, welche die Einreise und den Zugang zur Beschäftigung von einer vorherigen Genehmigung abhängig machen (vgl. Scheuer in Lenz/Borchardt, EUund EG-Vertrag4 Rz 13 zu Art. 39 EGV).

Der österreichische Gesetzgeber hat von dieser Möglichkeit mit dem 2. EU-Erweiterungs-Anpassungsgesetz, BGBl. I Nr. 85/2006, Gebrauch gemacht, indem er die "Übergangsbestimmungen zur EU-Erweiterung" gemäß § 32a Abs. 1 bis 9 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) auch auf Staatsangehörige der Republik Bulgarien und Rumäniens erstreckt hat (§ 32a Abs. 10 AuslBG).

2.3. Vor diesem rechtlichen Hintergrund jedoch kann sich die Mitbeteiligte - wie die Beschwerde zutreffend ausführt - nur dann auf ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin gemäß § 51 Z. 1 NAG berufen, wenn ihre unselbständige Erwerbstätigkeit bei der E.T. Handels GmbH im Einklang mit den aufgrund § 32a Abs. 10 AuslBG heranzuziehenden Bestimmungen des AuslBG steht.

3. Da der angefochtene Bescheid die Beschäftigung der Mitbeteiligten nicht unter diesem Aspekt geprüft hat, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 4. Juni 2009

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