OGH 10ObS15/16b

OGH10ObS15/16b10.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johanna Biereder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Harald Kohlruss (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Mag. Susanne Payer, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ausgleichszulage, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 21. Oktober 2015, GZ 12 Rs 97/15v‑21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 12. Dezember 2014, GZ 18 Cgs 121/13x‑13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00015.16B.0510.000

 

Spruch:

 

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei einen mit 186,84 EUR (darin 31,14 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Teil der Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der am ***** 1943 geborene Kläger ist am 7. Mai 2012 im Alter von fast 69 Jahren aus Rumänien nach Österreich gekommen und lebt seitdem in Salzburg.

Er bezieht eine Rente aus Rumänien (im August 2012 79,06 EUR) und eine Rente aus Deutschland (im September 2012 144,52 EUR). In Österreich übte der Kläger nur von 13. November 1978 bis 30. April 1979 eine Beschäftigung aus, Pensionsanspruch besteht in Österreich keiner. 1979 zog der Kläger nach Mannheim und heiratete dort. Nach seiner Scheidung ging er 1994 zurück nach Rumänien, seine beiden Kinder blieben in Deutschland. Die Mutter des Klägers lebte zwischen 1988 und ihrem Tod 1999 in Salzburg. Die Schwester des Klägers, M*****, lebt seit 1970 in Salzburg; eine weitere Schwester, I*****, lebt seit 1978 in Wien. Ein Bruder ist seit 1985 in Mannheim wohnhaft. In Rumänien lebt nur noch der 20 jährige Sohn des Klägers aus zweiter Ehe.

2010 erlitt der Kläger einen Schlaganfall und 2011 zwei Herzinfarkte. Aufgrund der schlechten medizinischen Versorgung in Rumänien und weil er in Rumänien für alle Medikamente zusätzlich zahlen musste, was für einen Mindestrentner viel Geld ist, zog der Kläger im Mai 2012 nach Österreich. Er leidet an Diabetes und an einer Lungenkrebserkrankung und ist in Salzburg in Behandlung.

Bei der Fremdenbehörde in Salzburg beantragte der Kläger die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für EWR‑Bürger. Seine Schwester legte ein Sparbuch über 5.000 EUR vor und bezeichnete dieses als Garantie für ihren Bruder. Am 18. Juni 2012 stellte die Fremdenbehörde eine Anmeldebescheinigung für Arbeitnehmer gemäß § 51 Abs 1 Z 1 NAG aus. Ein erster Antrag des Klägers auf Gewährung der Ausgleichszulage wurde mit Bescheid der beklagten Partei vom 26. Juli 2012 rechtskräftig abgewiesen. Daraufhin beantragte der Kläger beim Land Salzburg eine bedarfsorientierte Mindestsicherung und erhielt eine solche auch bis 31. März 2013 in Höhe von 369,66 EUR monatlich. Mit Schreiben vom 7. November 2012 teilte die Schwester M***** der Pensionsversicherungsanstalt im Rahmen der Antragsprüfung mit, für die Garantie von 5.000 EUR (für die Aufenthaltsgenehmigung) ein Darlehen aufgenommen zu haben, das sie wieder zurückgezahlt habe. Nachdem die garantierten 5.000 EUR nicht mehr zur Gänze vorhanden waren und der Kläger bereits 2.222,82 EUR an Sozialhilfeleistungen bezogen hatte, beantragte die Fremdenbehörde am 17. Jänner 2013 die Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens. Das eingeleitete Ausweisungsverfahren wurde dadurch verhindert, dass die Schwester des Klägers, M*****, am 20. März 2013 erneut eine Haftungserklärung für ihren Bruder abgab und erklärte, ihn so weit zu unterstützen, dass er während seines Aufenthalts in Österreich weder Sozialhilfeleistungen noch Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müsse. Sie unterfertigte die Erklärung, um eine Ausweisung zu verhindern, wusste aber, die Erklärung nicht einhalten zu können. Am 2. April 2013 hielt die Fremdenbehörde intern fest, dass die Anmeldebescheinigung vom 18. Juni 2012 nicht widerrufen werde. M***** teilte dem Sozialamt spätestens am 2. Mai 2013 mit, sich der Auswirkungen der Erklärung nicht bewusst gewesen zu sein; sie habe selbst nicht genügend Geld und könne ihren Bruder nur mit Mittagessen im Wert von zirka 100 EUR monatlich versorgen.

Der Kläger hatte zu keinem Zeitpunkt ausreichende Mittel, um in Österreich ohne staatliche Zuwendungen wie Sozialhilfe oder Ausgleichszulage zu überleben. Der Kläger hat aufgrund seiner rumänischen gesetzlichen Krankenversicherung, die auch in Österreich alle Krankenhauskosten übernimmt, eine e-card.

Derzeit erhält der Kläger zusätzlich zu seiner deutschen und rumänischen Rente Mindestsicherung in Höhe von 166 oder 169 EUR monatlich; auch der Mietzins für seine seit 25. August 2012 gemietete Wohnung in Höhe von 220 EUR monatlich wird vom Sozialamt bezahlt. Zusätzlich erhält er von seiner Schwester Leistungen in Form von Mittagessen im Wert von 100 EUR monatlich. Eine Ausgleichszulage würde der Höhe nach ab 1. Mai 2012 493,52 EUR, ab 1. Juli 2012 490,43 EUR, ab 1. Jänner 2013 577,63 EUR, ab 1. Februar 2013 575,08 EUR, ab 1. Juli 2013 574,72 EUR, ab 1. Jänner 2014 594,82 EUR, ab 1. Februar 2014 594,39 EUR und ab 1. Juli 2014 591,97 EUR betragen (diese Beträge jeweils abzüglich der Zuwendungen seitens der Schwester im Wert von 100 EUR monatlich).

Mit Bescheid vom 16. Mai 2013 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt die Leistung einer Ausgleichszulage an den Kläger mit der Begründung ab, die Leistungsgewährung setze einen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt des Pensionsberechtigten im Inland voraus. Allein die Unionsbürgerschaft begründe keinen Anspruch auf Gleichstellung.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 11. November 2014, C‑333/13, Dano, könne die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 10 ObS 152/13w, wonach eine Ausgleichszulage zu gewähren sei, solange der Aufenthalt von der Fremdenbehörde nicht beendet worden sei, nicht mehr aufrecht erhalten werden. Eine Anmeldebescheinigung habe nur deklaratorische Wirkung und dokumentiere lediglich das Vorliegen der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt. Der Kläger habe nie über ausreichende Existenzmittel verfügt und schon wenige Tage nach seiner Ankunft die Ausgleichszulage beantragt. Er habe die Fremdenbehörde getäuscht, die bei Kenntnis, dass die 5.000 EUR nur kreditfinanziert seien und die Haftungserklärung der Schwester des Klägers von vornherein unrichtig und undurchführbar gewesen sei, keine Anmeldebescheinigung ausgestellt hätte. Der EuGH habe es in der Rs Dano für zulässig erachtet, Unionsbürgern Sozialleistungen zu verwehren, wenn sie von ihrem Freizügigkeitsrecht allein mit dem Ziel Gebrauch machen würden, in den Genuss von Sozialleistungen zu kommen. In diesem Sinn sei es zulässig, Sozialtourismus zu unterbinden. Der Kläger sei wegen der besseren medizinischen Versorgung nach Österreich gekommen. Dass derzeit nur wenige derartige Fälle anhängig seien und das Sozialsystem nicht belastet werde, sei kein Argument, da sich bei Bekanntwerden der einmal eingeschlagenen Rechtsprechungslinie die Zahl der Anträge vervielfachen werde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge.

Eine Anmeldebescheinigung für EWR‑Bürger habe rein deklaratorische Wirkung, weshalb das Gericht im Rahmen der Beurteilung des Anspruchs eines EWR‑Bürgers auf Ausgleichszulage grundsätzlich selbständig zu prüfen habe, ob die für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts notwendigen Voraussetzungen vorlägen. Der beklagten Partei sei der Beweis der Unrichtigkeit der öffentlichen Beurkundungen gelungen: Der Kläger sei nicht als Arbeitnehmer nach Österreich gekommen. Er habe auch keine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer beantragt; vielmehr sei er im Antragszeitpunkt Pensionist im Alter von 69 Jahren gewesen. Die Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer sei daher verfehlt. Aufgrund dieser verfehlten Anmeldebescheinigung sei das Gericht zur selbständigen Prüfung befugt, ob ein rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt des Klägers im Sinne des § 292 ASVG vorliege. Da eine Ausgleichszulage einen Pensionsbezug voraussetze und ein Pensionist nur dann gemäß § 51 Abs 1 Z 2 NAG aufenthaltsberechtigt sei, wenn er (neben einem umfassenden Krankenversicherungsschutz) über ausreichende Existenzmittel verfüge, um weder Sozialleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen zu müssen, sei das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel ‑ entsprechend der Entscheidung des EuGH vom 11. November 2014, C‑333/13, Dano ‑ als Vorfrage zu klären. Nach dieser Entscheidung habe ein Mitgliedstaat die Möglichkeit, nicht erwerbstätigen Unionsbürgern, die von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machten, in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaats zu kommen, obwohl sie nicht über ausreichende Existenzmittel für die Beanspruchung eines Aufenthaltsrechts verfügten, Sozialleistungen zu versagen. Dies sei eine klare Absage an die vom EuGH in der Entscheidung vom 19. September 2013, C‑140/12, Brey, vertretene Auffassung, dass wirtschaftlich nicht aktive Unionsbürger die Möglichkeit haben müssten, einen Anspruch auf Sozialhilfe geltend zu machen, der ihnen auch zustehe, wenn sie diese Leistung nicht unangemessen in Anspruch nehmen, selbst wenn sie über keine ausreichenden Existenzmittel und damit auch über keinen rechtmäßigen Aufenthalt verfügten. Grundsätzlich sei die vom EuGH in der Rs Dano ausgeführte Begründung auch auf den vorliegenden Fall übertragbar.

Eine Prüfung des Vorhandenseins ausreichender Existenzmittel ergebe, dass der Kläger in Österreich nie über genügend Mittel verfügt habe, um für seinen Lebensunterhalt aufkommen zu können. Seine Pensionsleistungen würden monatlich rund 200 EUR betragen. Das von der Schwester zur Verfügung gestellte Sparbuch über 5.000 EUR sei wieder aufgelöst worden. Die von der Schwester erklärte Haftungsübernahme für die Aufenthaltskosten sei kurz danach widerrufen worden bzw sei von Anfang an nicht erfüllbar gewesen. Der Kläger habe sofort nach seiner Einreise die Ausgleichszulage beantragt und lebe derzeit von der Mindestsicherung des Sozialamts. Er nehme daher das System der sozialen Sicherheit in Österreich in Anspruch, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Dazu komme noch das Motiv des Klägers für seine Zuwanderung. Es gehe ihm um die bessere medizinische Versorgung und darum, für die Medikamente selbst nichts zahlen zu müssen. Obwohl die Schwester des Klägers in Salzburg lebe, seien die letzten 18 Jahre kein Grund gewesen, nach Österreich zu kommen. Vielmehr sei der Kläger 1994 von Deutschland nach Rumänien zurückgekehrt und habe dort ein zweites Mal geheiratet. Familiäre Bande könne der Kläger daher nicht ernsthaft ins Treffen führen.

In einem solchen Fall fehlender Existenzmittel und einer Mobilität zum Zweck des Leistungsbezugs sei es im Sinne der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Dano zulässig, dem Kläger die Ausgleichszulage zu versagen.

Die Revision sei wegen des Fehlens höchstgerichtlicher Judikatur zur Auswirkung einer offenkundig verfehlten Anmeldebescheinigung auf ein Verfahren auf Gewährung der Ausgleichszulage zulässig. Die Entscheidung 10 ObS 152/13w habe insofern einen anders gelagerten Sachverhalt betroffen, als eine Anmeldebescheinigung gemäß § 51 Abs 1 Z 2 NAG vorgelegen sei. Schon diese Entscheidung sei in der Lehre zum Teil insofern auf Kritik gestoßen, als damit die faktische Entscheidung über die Ausgleichszulage an die Verwaltungsbehörden ausgelagert werde. Gerade in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Kläger die Voraussetzung der ausreichenden Existenzmittel für einen rechtmäßigen Aufenthalt gemäß § 51 Abs 1 Z 2 NAG nie erfüllt habe bzw ihm aufgrund eines Behördenfehlers eine Anmeldebescheinigung gemäß § 51 Abs 1 Z 1 NAG erteilt worden sei und die zuständige Fremdenbehörde die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht in Zweifel ziehe (aus welchen Gründen immer), könnte durch eine eigenständige Prüfung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts durch die Gerichte eine Belastung des Sozialhilfesystems vermieden werden. Insofern bestehe ein Bedürfnis nach Präzisierung der Entscheidung 10 ObS 152/13w.

Rechtliche Beurteilung

Die von der beklagten Partei beantwortete Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

In seiner auf Abänderung im klagestattgebenden Sinn gerichteten Revision macht der Kläger geltend, dass das Berufungsgericht seinem Urteil zu Unrecht die Ausführungen des EuGH in der Rechtssache Dano (anstatt der Ausführungen in der Rechtssache Brey) zugrunde gelegt habe. So wie in der Rechtssache Brey (und insofern anders als in der Rechtssache Dano) handle es sich bei ihm um einen wirtschaftlich nicht aktiven Pensionisten und nicht um einen wirtschaftlich nicht aktiven Arbeitnehmer. Seine offensichtlich irrtümliche Bezeichnung als „Arbeitnehmer“ in der Anmeldebescheinigung sei von ihm nicht verschuldet worden und könne nicht zu seinen Lasten gehen.

Die vom EuGH in der Rs Brey geforderte Überprüfung, ob eine unverhältnismäßige Inanspruchnahme der Sozialleistungen vorliege, sei vom Berufungsgericht nicht vorgenommen worden; eine Inanspruchnahme dieses Ausmaßes liege im Fall des Klägers, der Sozialleistungen in einer monatlichen Höhe von ca 350 EUR beanspruche, nicht vor. Außerdem sei die Inanspruchnahme im Hinblick auf die persönlichen Verhältnisse nicht unangemessen. Insgesamt sei eine Verweigerung der Gewährung der Ausgleichszulage unberechtigt.

Die beklagte Partei wiederum verweist in ihrer Revisionsbeantwortung auf die das Unionsrecht weiterentwickelnde Entscheidung in der Rechtssache Dano, die ebenfalls eine wirtschaftlich nicht aktive Person betroffen habe. Der Oberste Gerichtshof habe bereits in der Entscheidung 10 ObS 152/13w (Folgeentscheidung der Rechtssache Brey) ausführlich dargestellt, dass eine von der Verwaltungsbehörde im Sinn des § 53 NAG ausgestellte Anmeldebescheinigung keine die Gerichte bei der Prüfung des Erfordernisses des „rechtmäßigen Aufenthalts“ gemäß § 292 ASVG bindende Wirkung entfalte. Das Bestehen eines unionsrechtlichen Aufenthalts‑ und Niederlassungsrechts richte sich im Speziellen nach der Richtlinie 2004/38/EG . Da sich hier das Aufenthaltsrecht direkt aus dem Unionsrecht ergebe, würden keine Aufenthaltstitel rechtsbegründend erteilt, sondern vielmehr Dokumentationen ausgestellt. Bei der „Anmeldebescheinigung“ nach § 9 NAG handle es sich ‑ im Gegensatz zu den in § 8 NAG genannten konstitutiven Aufenthaltstiteln ‑ um eine rein deklaratorische Bestätigung bereits bestehender unionsrechtlicher Aufenthalts‑ und Niederlassungsrechte. Aus diesen Gründen sei das Gericht zur selbständigen Prüfung befugt, ob ein rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt des Klägers im Sinne des § 292 ASVG vorliege. Die konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation des Klägers habe ergeben, dass er nicht über ausreichende Existenzmittel verfüge, um ein Aufenthaltsrecht nach Art 7 Abs 1 lit b der Richtlinie 2004/38/EG in Anspruch nehmen zu können.

Dazu ist auszuführen:

1. § 292 Abs 1 ASVG macht den Anspruch auf Ausgleichszulage davon abhängig, dass der Pensionsberechtigte „seinen rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat“.

2. Der EuGH hat die österreichische Ausgleichszulage in seiner Entscheidung vom 29. April 2004, C‑160/02, Skalka, als „beitragsunabhängige Sonderleistung" (und nicht als Sozialhilfeleistung im Sinn von „sozialer und medizinischer Fürsorge“) qualifiziert. Dementsprechend wurde die Ausgleichszulage ‑ so wie die deutschen Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II („Hartz IV“) ‑ gemäß Art 70 Abs 2 lit c der Verordnung (EG) 883/2004 in den Katalog in Anhang X der genannten Verordnung eingetragen (siehe Marhold, Notwendigkeiten und Grenzen einer europäischen Koordinierung der Sozialhilfe, in FS Eichenhofer [2015] 425 [432 f]).

3. In den Entscheidungen des EuGH vom 19. September 2013, C‑140/12, Brey (ECLI:EU:C:2013:565), vom 11. November 2014, C-333/13 , Dano (ECLI:EU:C:2014:2358), vom 15. September 2015, C‑67/14, Alimanovic (ECLI:EU:C:2015:597), und vom 25. Februar 2016, C‑299/14, García-Nieto ua (ECLI:EU:C:2016:114), ging es jeweils um die Frage, ob EU‑Ausländern existenzsichernde Sozialleistungen unter gleichen Voraussetzungen wie Inländern zu gewähren sind. Der EuGH hat in diesen Entscheidungen ausgesprochen, dass die Einstufung einer Leistung als „beitragsunabhängige Sonderleistung“ im Sinne des Art 70 Abs 2 lit c der VO (EG) 883/2004 angesichts des unterschiedlichen Regelungszwecks der Rechtsakte nicht ausschließt, dass die Leistung gleichzeitig auch unter den Begriff der Sozialleistungen im Sinn der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG fallen kann und deshalb auch Art 24 der Unionsbürger‑RL zur Anwendung kommt (anstatt vieler etwa Peyrl, Die Auswirkungen der Urteile des EuGH in den Rs Brey und Dano auf die österreichische Rechtslage, DRdA 2015, 308 und Raschka, Anspruch von Unionsbürgern auf Zugang zu Sozialleistungen nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH, ZAR 2015, 331). Die Unionsbürger‑RL erlaubt es dem Aufnahmemitgliedstaat, wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern Beschränkungen in Bezug auf die Gewährung von Sozialleistungen aufzuerlegen, damit diese die Sozialhilfeleistungen dieses Staats nicht unangemessen in Anspruch nehmen.

Diese Möglichkeit zur Einschränkung gilt auch für die österreichische Ausgleichszulage (EuGH C‑140/12, Brey [Rz 62]).

4. Eine Gleichbehandlung mit Inländern steht nur jenen wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern zu, deren Aufenthalt die Voraussetzungen der Unionsbürger‑RL erfüllt. Für wirtschaftlich nicht aktive Personen, die sich ‑ wie der Kläger ‑ länger als drei Monate, aber weniger als fünf Jahre im Aufenthaltsmitgliedstaat aufhalten, hat dies zur Folge, dass sie die Voraussetzungen des Art 7 Abs 1 lit b der Unionsbürger‑RL erfüllen müssen. Diese Bestimmung verlangt das Vorliegen ausreichender Existenzmittel und eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes im Aufnahmemitgliedstaat; sie hindert also Unionsbürger daran, das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaats zur Bestreitung ihres Unterhalts in Anspruch zu nehmen. Diese in der Unionsbürger‑RL angelegten Ausnahmen schlagen auch auf die Gleichbehandlungspflicht des Art 4 der VO (EG) 883/2004 durch (Karl, Neues vom EuGH zum Recht auf Zugang zu den nationalen Sozialsystemen, in Jahrbuch Sozialversicherungsrecht 2015, 75 [82]): Die Ungleichbehandlung ist eine unvermeidbare Konsequenz der vom Unionsgesetzgeber in der Unionsbürger‑RL vorgenommenen Abstufungen (anstatt vieler Berger, Der Zugang zu Sozialleistungen, DRdA 2015, 450 [451] und Rebhahn/Stella, Auswirkungen des Unionsrechts auf das nationale Sozialrecht, in Griller/Kahl/Kneihs/Obwexer [Hrsg], 20 Jahre EU‑Mitgliedschaft Österreichs [2015] 859 [868 ff]).

5. Zur Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH zum Verhältnis zwischen Aufenthaltsrecht und dem Zugang zu Sozialleistungen ist allein im deutschsprachigen Raum eine Fülle von Stellungnahmen in der Literatur abgegeben worden. Die Aussage im Urteil vom 7. September 2004 in der Rs C‑456/02, Trojani, wonach ein legaler Aufenthalt auch zu einem Anspruch auf Gleichbehandlung mit Inländern in Bezug auf Sozialleistungen führt, hat der EuGH in der Folge stark relativiert bzw verändert. Klingen in der Entscheidung in der Rs Brey ‑ mit der Bezugnahme auf die Bedeutung der Aufenthaltsbescheinigung ‑ noch Elemente der Trojani‑Rechtsprechung an, räumt der EuGH mit der Entscheidung in der Rs Dano dem Aufnahmemitgliedstaat die Möglichkeit ein, im Rahmen der Prüfung des Sozialleistungsanspruchs die Erfüllung der Voraussetzungen der Unionsbürger‑RL zu prüfen und auf ihrer Grundlage den Sozialleistungsanspruch zu versagen, ohne dass es einer vorherigen Beendigung des Aufenthalts bedürfte (EuGH C‑333/13, Dano [Rz 76 ff]; siehe bereits Thym, Sozialleistungen für und Aufenthalt von nichterwerbstätigen Unionsbürgern, NZS 2014, 81 [85]). Fraglich blieb, ob ein pauschaler Ausschluss von bestimmten Sozialleistungen möglich ist oder ob eine Einzelfallprüfung stattzufinden hat (dafür Windisch-Graetz, Zugang zu Sozialleistungen unter Berücksichtigung des Aufenthaltsstatus, DRdA 2015, 444).

Dabei ist bemerkenswert, dass der EuGH in der Dano‑Entscheidung von der Pflicht der Mitgliedstaaten, eine mögliche Belastung ihrer Sozialsysteme insgesamt zu prüfen (kritisch dazu etwa Rebhahn, Der Einfluss der Unionsbürgerschaft auf den Zugang zu Sozialleistungen ‑ insb zur Ausgleichszulage [EuGH-Urteil Brey], wbl 2013, 605 [609 ff], Felten, Zugang zu Sozialleistungen für Unionsbürger und Auswirkungen auf ihren aufenthaltsrechtlichen Status, FABL 1/2014-II, 1 [6 f] und Fuchs, Freizügiger Sozialtourismus? ZESAR 2014, 103 [110]), abgegangen ist und unter Bezugnahme auf Erwägungsgrund 10 der Unionsbürger‑RL vom wandernden Unionsbürger fordert, die Sozialsysteme des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen zu belasten (EuGH C‑333/13, Dano [Rz 71]). Damit schwenkte der EuGH zu einer konkreten Prüfung der wirtschaftlichen Situation des einzelnen Betroffenen um (Karl in Jahrbuch Sozialversicherungsrecht 2015, 89; Thym, Die Rückkehr des „Marktbürgers“ ‑ Zum Ausschluss nichterwerbsfähiger EU‑Bürger von Hartz IV-Leistungen, NJW 2015, 130 [132]).

In der darauffolgenden Entscheidung in der Rs C‑67/14, Alimanovic, ging der EuGH noch einen weiteren Schritt weiter: In Fallgestaltungen wie in der zu entscheidenden sei eine individuelle Prüfung gar nicht erforderlich, weil das in der Unionsbürger‑RL vorgesehene abgestufte System selbst verschiedene Faktoren berücksichtigt, die ihrerseits die persönlichen Umstände der antragstellenden Person widerspiegeln (EuGH C‑67/14, Alimanovic [Rz 59 ff], ÖJZ 2015, 1124 [Berger/Pelzl] = NJW 2016, 555 [Lenze]; siehe auch Kingreen, In love with the single market? Die EuGH‑Entscheidung Alimanovic zum Ausschluss von Unionsbürgern von sozialen Grundsicherungsleistungen, NVwZ 2015, 1503).

Diese Linie wird im Urteil in der Rs C‑299/14, García-Nieto ua, das die Frage der Rechtsmäßigkeit des Ausschlusses von Unionsbürgern von Leistungen nach SBG II für die ersten drei Monate nach ihrem Zuzug betrifft, explizit bestätigt. Sowohl in der Alimanovic‑Entscheidung als auch in der Garcia‑Nieto‑Entscheidung wird die in der Brey‑Entscheidung geforderte Rücksichtnahme auf die Belastung der Sozialsysteme ausdrücklich abgelehnt.

6. Im Ergebnis können EU‑Bürger, die nicht erwerbstätig sind und nur zum Zweck eines Leistungsbezugs mobil sind, auf der Grundlage von Unionsrecht keine Ansprüche auf Sozialleistungen wie die Ausgleichszulage geltend machen (Weber, Ausschluss nicht erwerbstätiger Unionsbürgerinnen und -bürger vom Bezug von Hartz IV unionsrechtskonform, FABL 1/2015‑II, 1 [4]; Peyrl, DRdA 2015, 310; mit anderer Begründung auch Wollenschläger, Keine Sozialleistungen für nichterwerbstätige Unionsbürger? NVwZ 2014, 1628 [1630 f]).

7. Selbst eine Prüfung der besonderen Situation des Klägers würde zu keinem anderen Schluss führen: Anders als etwa der Kläger Brey, der immerhin über mehr als 800 EUR monatlich an Eigenmitteln verfügte, fällt der Kläger eindeutig in die Kategorie der Armutszuwanderung; ein Aufenthalt in Österreich ist nur denkbar, wenn er aus öffentlichen Kassen unterstützt wird. Ein Bezug zu einer Erwerbstätigkeit in Österreich fehlt.

8. Da sich eine Anmeldebescheinigung nur auf das Aufenthaltsrecht bezieht, hat ihre (im Übrigen nur deklarativ wirkende) Ausstellung keine Auswirkung auf den Sozialleistungsanspruch (siehe auch Krisper, Bindung der Ausgleichszulage an das Vorliegen eines Aufenthaltstitels, ASoK 2014, 138 [142] und Windisch-Graetz, Ausgleichszulage für Unionsbürger? in Liber Amicorum für Robert Rebhahn [2014] 185 [192 f]).

9. Der Oberste Gerichtshof teilt somit die Rechtsansicht des Berufungsgerichts. Aus diesem Grund muss die Revision des Klägers erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Kläger die Hälfte der Kosten seiner Rechtsvertreterin zuzusprechen (RIS‑Justiz RS0085871). Die Gewährung der Verfahrenshilfe ändert an der Kostenersatzpflicht nach Billigkeit nichts (RIS‑Justiz RS0126140).

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