AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2015:W188.1414962.1.00
Spruch:
W188 1414962-1/21E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Hermann RENNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Mag. XXXX , Rechtsanwaltskanzlei XXXX (Sachwalter), XXXX gegen den Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle XXXX , vom 30.07.2010, Zahl: XXXX , wegen § 3AsylG 2005 nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 12.10.2015 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF (AsylG 2005), der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 idgF (B- VG), nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 26.08.2009 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Am folgenden Tag fand vor einem Organ der Bundespolizei die Erstbefragung statt, wobei der BF angab, er sei am 01.01.1993 in XXXX , Provinz Nangarhar, Afghanistan, geboren, ledig, afghanischer Staatsbürger, beherrsche die Sprache Pashtu gut, gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an und bekenne sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er habe keine Schule besucht und auch keine Berufsausbildung absolviert. Sein Vater sei verstorben, seine Mutter und sein Bruder lebten in XXXX , Afghanistan. Seine Fluchtroute habe über den Iran, die Türkei und weitere ihm unbekannte Länder bis zum österreichischen Bundesgebiet geführt, in das er illegal eingereist sei. Angesprochen auf einen Eurodac-Treffer zu Griechenland erklärte er, er habe dieses Land nicht gekannt und sich dort 15 Tage aufgehalten. Als Fluchtgrund gab er an, er habe seine Heimat verlassen, weil sein Onkel XXXX ein Taleb gewesen sei und ihn zwangsrekrutieren habe wollen. Da er dies nicht gewollt habe, sei er geflohen. Im Falle seiner Rückkehr in seine Heimat habe er Angst um sein Leben.
2. Mit Gutachten des XXXX Institutes für klinisch-forensische Bildgebung vom 20.10.2009 wurde festgestellt, dass sich beim BF zum Untersuchungszeitpunkt ein Mindestalter von 20 Jahre ergebe.
3. Am 09.12.2009 wurde der BF im Beisein eines Rechtsberaters und einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu vor dem Bundesasylamt (folgend: BAA), Erstaufnahmestelle Ost, niederschriftlich einvernommen, wobei er psychische Probleme vorbrachte, seine bisherigen Angaben zum Fluchtweg berichtigte und über seinen Aufenthalt in Griechenland berichtete. Schließlich wurden ihm die Ergebnisse der medizinischen Untersuchungen zur Altersfeststellung zur Kenntnis gebracht und mitgeteilt, dass er als volljährig gelte. Dazu erklärte er, er könne dem Gutachten nicht folgen und sei nicht volljährig.
4. Am 02.02.2010 wurde eine weitere Einvernahme vor dem BAA, Erstaufnahmestelle Ost, durchgeführt, wobei dem BF im Wesentlichen mitgeteilt wurde, dass zufolge der näher bezeichneten gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren seiner Überstellung nach Griechenland keine derart schweren psychischen Störungen entgegenstehen würden, die aus ärztlicher Sicht eine unzumutbare Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bewirken würden. Daraufhin teilte er mit, dass es ihm seit seiner Ankunft immer schlechter gehen und er Medikamente bekommen würde. Daraufhin wurde der BF neuerlich einer zu einer psychologischen Untersuchung geladen.
5. Im weiteren Verfahren wurden vom BF mehrere medizinische Befunde und Gutachten vorgelegt, nach denen bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung F 43.1 diagnostiziert wurde.
6. Am 27.05.2010 wurde der BF erneut vor dem BAA einvernommen und ihm nach Erörterung seiner gesundheitlichen Situation mitgeteilt, dass er zum Asylverfahren zugelassen und einer Betreuungseinrichtung zugewiesen werde. Mit 27.05.2010 wurde das eingeleitete Ausweisungsverfahren eingestellt.
7. Am 21.06.2010 wurde der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu neuerlich vor dem BAA, Außenstelle XXXX , niederschriftlich einvernommen, anlässlich derer er mehrere medizinische Befunde vorlegte und zu seinem Fluchtgrund - auszugsweise - folgendes vorbrachte (LA: Leiter der Amtshandlung; AW: nunmehriger BF; Auszug aus dem Protokoll; Schreibfehler korrigiert):
"[...]
LA: Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie circa 2 Jahre vor Ihrer Ausreise aus Afghanistan zu Ihrem Onkel väterlicherseits, XXXX , ins Dorf XXXX gezogen sind?
AW: Als wir in unserem Dorf XXXX in der Provinz XXXX Probleme bekommen haben, sind wir in die Stadt XXXX gezogen, damit meine ich mich und meine Mutter und meinen jüngeren Bruder. In XXXX war unser Onkel mütterlicherseits namens XXXX . Dann ist mein Onkel väterlicherseits, XXXX , gekommen und hat mich mitgenommen.
LA: Ihre Mutter, Ihr jüngerer Bruder und Ihr Onkel mütterlicherseits, XXXX , wo wohnen die im Moment?
AW: Mein Onkel mütterlicherseits noch immer in XXXX , meine Mutter weiß ich nicht.
LA: Bitte nennen Sie Namen und Geburtsdatum Ihrer beiden Elternteile?
AW: XXXX circa 34 Jahr alt, ist meine Mutter. Mein Vater XXXX , er ist getötet worden. Befragt: vor circa 4 Jahren. Mein jüngerer Bruder heißt XXXX , circa 10 Jahre, der ist bei meiner Mutter geblieben.
LA: Was war da los, als Ihr Vater vor circa 4 Jahren getötet worden ist?
AW: Er wurde von seinen Cousins getötet. Sie hatten Grundstücksstreitigkeiten.
LA: Um welche Grundstücke ging es bei diesen Streitigkeiten zwischen Ihrem Vater und seinen Cousins?
AW: Mein Großvater väterlicherseits hat vor seinem Tod schon sein Grundstück aufgeteilt und es hat jeder seinen Anteil bekommen. In der Talibanzeit haben die Cousins meines Vaters dann gefälschte Grundstückspapiere besorgt und kamen damit zu uns und haben behauptet, dass mein Großvater väterlicherseits ihnen das Grundstück verkauft hat.
LA: Wie ging es dann weiter?
AW: Wir haben dann eine Jirga einberufen und sie haben die Jirga nicht akzeptiert. Befragt: die Jirga fand im Dorf XXXX , unserem Nachbardorf, statt.
LA: Wer war denn aller beteiligt, bei dieser Jirga?
AW: Die Dorfältesten, unsere Familie und die Gegenfamilie, also diese Cousins meines Vaters. Das sind auch entfernte Verwandte von mir.
LA: Bitte nennen Sie die Namen dieser Cousins Ihres Vaters?
AW: XXXX .
LA: Nach dieser Jirga im Dorf XXXX , wo diese Cousins Ihres Vaters XXXX den Beschluss nicht akzeptiert haben, was passierte dann weiter?
AW: Sie standen auf und sagten zu meinem Vater "Wir sehen uns dann nachher noch.".
LA: Wie ging es dann nach dieser Jirga weiter?
AW: Also zwei Monate danach, nach dieser Jirga, eines Tages, als mein Vater nach XXXX zum Einkaufen ging, kam er nicht zurück. Er wurde auf dem Weg getötet und in einen Sack gepackt. In so einem großen Jwal (laut Dolmetscherin: großer Sack). Er wurde in einem Maisfeld weggeschmissen.
LA: Wurde Ihr Vater nach seinem Tod vor etwa 4 Jahren beerdigt?
AW: Ich war da nicht dabei, ich war zu Hause. Aber beerdigt wurde er.
LA: Nach dem Tod Ihres Vaters vor etwa 4 Jahren, wie ging es danach mit Ihnen und Ihrer Mutter weiter?
AW: Der Bruder meines Vaters, XXXX , war bei der Beerdigung meines Vaters dabei. Nach der Beerdigung hat er dann zwei Personen aus der Familie unseres Feindes getötet. Befragt: mein Vater hatte außer XXXX keine weiteren Brüder.
LA: Wen hat denn XXXX aus der Familie der Cousins meines Vaters getötet?
AW: Das weiß ich nicht, er hat nur gesagt, dass er aus Rache zwei Personen aus der Feindesfamilie getötet hat. Er sagte auch, ich und meine Mutter sollen nach XXXX .
LA: Sind Sie, Ihre Mutter oder Ihr jüngerer Bruder XXXX dann nochmals mit der "Feindesfamilie", wie Sie sagen, in Berührung gekommen?
AW: Mein Onkel XXXX ist vor uns nach XXXX gegangen und wir nachher mit einem Taxi. Auf das Taxi wurde geschossen. Ich bin da am Bein getroffen worden und meine Mutter seitlich im Bauchbereich. Wir sind dann nach XXXX und mussten uns immer zu Hause aufhalten und verstecken. Wir haben aber gehört, dass sie uns suchen, sie sind aber nicht zu uns ins Haus gekommen in XXXX .
Anm.: AW zeigt sein linkes Bein, dort befindet sich eine alte, schlecht sichtbare Narbe im Bereich des Knies.
[...]
LA: Bitte nennen Sie die Gründe für Ihre Flucht aus Afghanistan? Nehmen Sie sich dazu Zeit und erzählen Sie ausführlich.
AW: Als ich bei meinem Onkel XXXX , war musste ich für ihn die Fahrzeuge, die er und seine Freunde gestohlen haben, zerlegen und die Reifen abnehmen. Dann hat er diese Teile der Autos am Bazar weiterverkauft. Ich hatte dieses Leben satt und bin dann zu meinem Onkel mütterlicherseits, XXXX , nach XXXX gegangen, und der erlaubte mir auch nicht, bei ihm zu wohnen. XXXX sagte mir, dass unsere Feinde zu uns kommen und mich töten könnten. Deshalb musste ich bei meinem Onkel väterlicherseits in XXXX leben. Da ich dem nicht mehr standhalten konnte, bin ich dann geflüchtet.
LA: Was war denn das, dem Sie nicht mehr standhalten konnten?
AW: Ich konnte nicht mehr bei meinem Onkel väterlicherseits XXXX leben. Ich musste so viel für ihn arbeiten und das konnte ich nicht mehr aushalten.
LA: Waren eigentlich schon einmal Angehörige der Feindesfamilie aus Ihrem Heimatdorf XXXX , Bezirk XXXX , bei Ihrem Onkel mütterlicherseits, XXXX , in Jalalabad, um nach Ihnen, Ihrem jüngeren Bruder und Ihrer Mutter zu fragen?
AW: Ja, aber mein Onkel hat mit mir nicht darüber gesprochen.
LA: Woher wissen Sie dann davon?
AW: Meine Mutter erzählte mir davon.
LA: Die "Diebesbande", zu der ja Ihr Onkel väterlicherseits, XXXX gehört, hat die einen eigenen Namen?
AW: Die gehören zu den Taliban und auch zur afghanischen Regierung.
LA: Woher wissen Sie, dass diese Gruppe, zu der Ihr Onkel väterlicherseits, XXXX , gehört, zu den Taliban und zur Regierung gehört?
AW: Man sieht das, alle wussten das.
LA: Aber die afghanische Regierung ist doch in keiner Weise mit den Taliban verbunden, sondern bekämpft die Taliban?
AW: Das ist jetzt alles so gemischt, die Taliban arbeiten für die Regierung und umgekehrt.
[...]
LA: Was konkret hat Sie denn nunmehr dazu bewogen, nicht mehr bei Ihrem Onkel väterlicherseits, XXXX , im Dorf XXXX wohnen zu wollen?
AW: Mein Onkel XXXX erlaubte mir nicht, bei ihm zu wohnen und mein Onkel väterlicherseits XXXX ließ ich nur arbeiten und ich durfte nicht in die Schule gehen.
LA: Haben Sie jemals darüber mit Ihrem Onkel väterlicherseits, XXXX , darüber gesprochen, dass Sie nicht immer für ihn arbeiten wollten und auch zur Schule gehen wollten?
AW: Er hat mir einfach nicht zugehört und mich auch geschlagen. Ich sollte nur arbeiten.
LA: Wann haben Sie dann Ihren Onkel mütterlicherseits, XXXX , konkret gefragt, ob Sie wieder bei ihm wohnen wollen, in der Stadt XXXX ?
AW: Ich war bei meinem Onkel mütterlicherseits und er hat mich dann mit zwei Personen Richtung Kabul und weiter ins Ausland geschickt. Erneut befragt, das war direkt vor meiner Ausreise. Ich bin von meinem Onkel väterlicherseits weggegangen zu meinem Onkel mütterlicherseits nach XXXX , aber da durfte ich nicht bleiben.
LA: Was sagte Ihre Mutter eigentlich dazu, dass Sie nicht weiter bei Ihrem Onkel väterlicherseits, XXXX , im Dorf XXXX wohnen wollten?
AW: Sie weinte. Was konnte sie noch sagen?
LA: Was war nunmehr der ausschlaggebende Grund für Ihre Flucht aus Afghanistan?
AW: Mein Onkel väterlicherseits.
LA: Haben Sie somit alle Gründe genannt, die zu Ihrer Flucht aus Afghanistan geführt haben?
AW: Sonst habe ich keine Gründe gehabt. Das ist alles.
LA: Theoretisch, was befürchten Sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan?
AW: Ich habe Angst vor den Feinden meines Vaters aus Kama und vor meinem Onkel väterlicherseits XXXX .
Vorhalt: In der Erstbefragung am 27.08.2009 führten Sie aus, Ihr Onkel XXXX wäre ein Taleb und wollte Sie zwangsrekrutieren. Heute führen Sie aus, Ihr Onkel väterlicherseits, XXXX , wäre ein Dieb und hätte Sie nur für sich arbeiten lassen. Erklären Sie mir das bitte?
AW: Er hat die Leute, die für die Regierung gearbeitet haben, bestochen und deshalb hat man nichts über ihn gesagt wegen seiner Diebstähle.
Vorhalt: Weshalb haben Sie im bisherigen Verfahren mit keinem Wort den Erbschaftsstreit, wegen dem Ihr Vater vor circa 4 Jahren im Dorf XXXX Bezirk XXXX getötet wurde erwähnt, sondern erst heute, zehn Monate nach Ihrer Antragstellung?
AW: Ich wurde danach nicht gefragt.
[...]"
8. Das BAA wies mit dem im Spruch angeführten Bescheid, zugestellt durch Hinterlegung am 03.08.2010, den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in der damals geltenden Fassung ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II.) und erteilte dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, seine Ausführung, wonach er Afghanistan wegen seines Onkels väterlicherseits verlassen habe, der Mitglied einer kriminellen Bande gewesen sei und für welchen er arbeiten bzw. gestohlene Autos zerlegen habe müssen, würde durchaus glaubhaft erscheinen. Seinen weiteren Ausführungen anlässlich der Einvernahme vom 21.06.2010 sei jedoch aufgrund zahlreicher Widersprüche die Glaubwürdigkeit zu versagen. Den behaupteten Grundstücksstreitigkeiten seiner Familie sowie dem daraus angeblich resultierenden Blutrachekonflikt mit der Familie der Cousins seines Vaters sei ebenso keine Glaubhaftigkeit beizumessen wie dessen ins Treffen geführter Ermordung durch diese.
9. Gegen diesen Bescheid richtet sich die beim BAA fristgerecht eingelangte Beschwerde, mit welcher dieser hinsichtlich des Spruchpunktes I. wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten wurde. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Vater des BF sei wegen Grundstücksstreitigkeiten von dessen Cousins getötet worden und dessen Bruder habe durch die Tötung zweier Personen aus deren Familie eine Blutfeindschaft ausgelöst. Deshalb habe er mit seiner Mutter und seinem Bruder zum Onkel mütterlicherseits flüchten müssen. Sein Onkel väterlicherseits, ein überzeugter Taliban, der in seinem Haus auch Taliban-Kämpfer beherbergen würde, habe ihn nach rund einem Jahr von dort mitgenommen, in kriminelle Machenschaften verwickelt und ihn auch rekrutieren wollen. Da der BF an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, seine psychische Verfassung sehr schlecht sei und er zahlreiche, näher genannte Medikamente nehmen müsse, sei es ihm im Gespräch mit der Rechtsberaterin nicht möglich gewesen, seine Fluchtgründe umfassend zu erzählen. Daher werde er, sobald er dazu in der Lage sei, seine Beschwerde diesbezüglich ergänzen. Der BF habe als ältester Sohn seines Vaters bei einer Rückkehr nach Afghanistan sowohl die Blutrache der mit seinem Vater verfeindeten Familie, als auch eine Verfolgung durch seinen Onkel bzw. durch die Taliban zu fürchten. Da er sich der geplanten Rekrutierung durch seinen Onkel entzogen habe, würde ihm nämlich eine gegnerische, politische Gesinnung unterstellt werden. Bei entsprechenden Ermittlungen und der Gewährung von Parteiengehör wäre die Behörde zu einer anderen Entscheidung gelangt und hätte dem BF Asyl gewähren müssen. Während das BAA die vorgebrachte Zwangsarbeit für seinen kriminellen Onkel für glaubwürdig erachten würde, sei diese dem Vorbringen, wonach der Onkel ein Taliban gewesen sei und ihn rekrutieren habe wollen, nicht gefolgt, weil er dies in der Einvernahme am 21.06.2010 nicht erwähnt habe. Er habe jedoch damals von bewaffneten Freunden in dessen Haushalt berichtet, die den Taliban angehört hätten. Außerdem sei er damals in einer schlechten psychischen Verfassung gewesen, welche er auch angegeben und mit ärztlichen Befunden belegt hätte. Abgesehen von der medikamentös eingeschränkten Konzentrationsfähigkeit würde es ihm zudem schwer fallen, über seine traumatisierende Zeit bei seinem Onkel zu sprechen. Auch den durch Grundstücksstreitigkeiten ausgelösten Blutrachekonflikt habe die Behörde für nicht glaubwürdig gehalten, weil er dazu ihm Rahmen der Erstbefragung keine Angaben gemacht habe. Damals sei er jedoch aufgefordert worden, seine Fluchtgründe nur kurz zu schildern. Darüber hinaus sei er schon damals psychisch schwer traumatisiert und nicht in der Lage gewesen, ausführlich über alle Details seiner traumatischen Erlebnisse zu berichten. Außerdem sei es danach bis zum 21.06.2010 zu keiner inhaltlichen Einvernahme mehr gekommen. Bei Zweifel an der Richtigkeit seiner Angaben hätte ihm die Behörde jedenfalls Gelegenheit zu einer Stellungnahme einzuräumen gehabt. Da ihm die vermeintlichen Widersprüche nicht vorgehalten worden seien, sei auch sein Recht auf Parteiengehör verletzt worden. Insoweit die Behörde seinem Vorbringen die asylrechtliche Relevanz absprechen würde, würde sie dabei einem Rechtsirrtum unterliegen. Bei der ihm drohenden Verfolgung würde es sich um eine Verfolgungshandlung im Sinne der GFK handeln. Es werde daher beantragt, eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen, den angefochtenen Bescheid hinsichtlich seines Spruchpunkts I zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die Behörde I. Instanz zurückzuverweisen, in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass ihm Asyl gewährt werde.
10. Mit an den Asylgerichtshof gerichtetem Schreiben vom 18.08.2010, Aktenzahl: 09 10.271-BAT, legte das BAA die Beschwerde und die Verfahrensakten vor.
11. Mit Stellungnahme vom 19.01.2012 teilte die XXXX namens des BF mit, dass seine Mutter Afghanistan, XXXX , in Richtung Pakistan,
XXXX , verlassen habe müssen, weil die Feinde seiner Familie erfahren hätten, dass er gemeinsam mit seiner Mutter bei seinem Onkel mütterlicherseits in XXXX Zuflucht gefunden habe. Sie seien in dessen Wohnhaus eingedrungen, hätten ihn durch Schüsse an den Beinen und seine Mutter durch Schläge mit einem Holzstock ebenfalls an den Beinen verletzt. Seine Mutter, deren gebrochene Beine eingegipst worden seien, würde mittlerweile bei einem Bäcker in Pakistan, XXXX , leben, der ihr Schutz gewährt habe. Sein rund dreizehn Jahre alter Bruder würde durch die Verwertung von gesammeltem Müll zum Lebensunterhalt beitragen. Über das weitere Schicksal seines Onkels sei ihm jedoch nichts bekannt. Der BF habe durch einen Freund, den er mit Nachforschungen bezüglich seiner Familie beauftragt habe, von diesem Vorfall erfahren. Dieser habe die Adresse seines Onkels und den Aufenthaltsort seiner Mutter in Erfahrung gebracht. Die Verfolger würden aus dem Distrikt XXXX , Provinz Nangarhar, stammen und dem Clan der XXXX angehören. Die Namen der vier Clanmitglieder, die ihn und seine Mutter verfolgen würden, habe er bereits in seinen Einvernahmen genannt, es würden aber noch weitere männliche Angehörige dazukommen. Der genannte Clan würde über gute Verbindungen zu den Taliban und auch zu Regierungsstellen verfügen, wodurch der BF, seine Mutter und sein Bruder deren Übergriffen schutzlos ausgeliefert seien.
12. Mit Email des Rechtsanwaltes Mag. XXXX vom 17.05.2013 wurde dem Asylgerichtshof mitgeteilt, dass dieser vom Bezirksgericht XXXX zum einstweiligen Sachwalter bestellt wurde. Unter einem wurde der Bezug habende Beschluss dieses Gerichtes vom 17.05.2013 vom 29.04.2013, Zahl: XXXX , übermittelt.
13. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 12.10.2015 eine öffentliche mündliche Verhandlung (folgend: VH) durch, an der der BF teilnahm. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) als belangte Behörde nahm von einer Teilnahme Abstand. Der BF brachte zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates und zu seiner Furcht vor Verfolgung in diesem aus asylrelevanten Gründen (Fluchtgründe) - auszugsweise - Folgendes vor (ER: Einzelrichter;
SWV: Vertreterin des Sachwalters):
"
[...]
ER: Nennen Sie jetzt abschließend und möglichst umfassend alle Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe). Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.
BF: Es gab einen Streit wegen eines Grundstückes mit den Cousins meines Vaters. Sie haben gefälschte Urkunden erstellt, mit denen sie das Grundstück für sich beansprucht haben. Daraufhin haben wir eine Jirga einberufen. Nach einiger Zeit ist mein Vater verschwunden, wir wussten nichts über sein Leben und seinen Tod. Erst nach einer Woche wurde die Leiche meines Vaters durch die Bauern gefunden. Er wurde getötet und in einem großen Sack in einem Maisfeld versteckt. Als die Leiche meines Vaters gefunden wurde, wurde er sofort beerdigt. Nach dem Tod meines Vaters kam mein Onkel väterlicherseits zu uns und erkundigte sich nach dem Mörder meines Vaters. Wir kannten diesen nicht. Es hatte aber jemand meinem Onkel erzählt, dass seine Cousins meinen Vater getötet haben und er nicht fähig wäre, den Tod seines Bruders zu rächen. Daraufhin hat mein Onkel zwei Personen getötet und ist geflüchtet. Diese Familie hat uns gesucht, deshalb bin ich gemeinsam mit meiner Mutter und meinem Bruder zu meinem Onkel mütterlicherseits gefahren. Auf dem Weg wurde auf uns geschossen, dabei wurden sowohl ich als auch meine Mutter an den Beinen verletzt. Wir haben es aber zu meinem Onkel mütterlicherseits geschafft. Während ich bei meinem Onkel mütterlicherseits gewesen bin, kam mein Onkel väterlicherseits und nahm mich mit nach XXXX . Mein Onkel hat mich misshandelt, er hat mich sehr viel geschlagen, er hat mich so viel geschlagen, dass ich krank wurde. Ich bin vor ihm geflüchtet und ging zu meinem Onkel mütterlicherseits. Mein Onkel mütterlicherseits schickte mich dann weg.
ER: Wann war der Vorfall (der Tod des Vaters)?
BF: Ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Durch die Erkrankung und die Einnahme von Medikamenten kann ich mich an viele Sachen nicht mehr erinnern. Teilweise sehe ich, dass Leute den Mund bewegen und mit mir sprechen, aber die Stimmen kann ich nicht aufnehmen. Ich vergesse auch z.B. meine Termine.
SWV: Der BF ist auf Grund seines beeinträchtigten Gesundheitszustandes nicht in der Lage, bestimmte Ereignisse bestimmten Zeitpunkten zuzuordnen.
ER: Was haben Sie von den Grundstücksstreitigkeiten mitbekommen?
BF: Ich weiß nur, dass der Streit zwischen meinem Vater und seinen Cousins wegen eines Grundstückes war, welches eigentlich meinem Vater gehörte. Seine Cousins wollten das Grundstück an sich nehmen und dort einen Bazar bauen. Mein Vater hat ihnen aber gesagt, dass das Grundstück seinem ältesten Sohn, nämlich mir, gehören würde. Danach war eine Zeit Ruhe, bis sich während der Herrschaft der Taliban gefälschte Urkunden erstellen ließen, aus denen hervorging, dass mein Großvater das Grundstück an sie verkauft und meinem Vater ein anderes Grundstück gegeben hätte.
ER: Wie heißen die Cousins Ihres Vaters?
BF: XXXX . Weitere Namen habe ich vergessen.
ER: Wo haben diese Cousins gewohnt?
BF: Sie lebten in der Umgebung, etwa eine halbe Stunde zu Fuß entfernt von unseren Häusern, im XXXX .
ER: Kannten Sie diese Cousins persönlich?
BF: Ich habe sie gesehen, aber ich kenne sie nicht besonders gut.
ER: Wie alt waren Sie ungefähr, als Ihr Vater gestorben ist?
BF: An mein Alter kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich habe aber als Automechaniker gearbeitet, als mein Vater gestorben ist.
ER: Wo haben Sie als Automechaniker gearbeitet?
BF: In der Stadt XXXX .
ER: Wie groß ist die Entfernung zwischen XXXX und Ihrem ehemaligen Wohnort?
BF: Eine dreiviertel Stunde mit dem Auto.
ER: Wie haben Sie vom Tod Ihres Vaters erfahren?
BF: Am Tag, als die Leiche meines Vaters gefunden und nach Hause gebracht wurde, war ich zu Hause. Es war Freitag, somit ein Feiertag.
ER: Waren die Cousins Ihres Vaters vor dessen Tod bei ihm zu Hause?
BF: Die Familien hatten keine besonders gute Beziehung zueinander. Man hat nur an Feierlichkeiten, wie Trauerfeier oder Hochzeiten, teilgenommen.
ER: Wo haben die Cousins Ihres Vaters diesen mit der gefälschten Urkunde konfrontiert?
BF: Ich selbst war nicht dabei. Als mein Vater nach Hause gekommen ist, erzählte er, dass sie gefälschte Urkunden dabei hatten.
ER: Welche Entscheidung hat die Jirga getroffen?
BF: Die Jirga hat für uns und gegen sie entschieden. Sie waren aber mit dieser Entscheidung nicht einverstanden.
ER: Von wem haben Sie von der Entscheidung der Jirga erfahren?
BF: Mein Vater hat meiner Mutter zu Hause immer alles erzählt. Er erzählte davon meist, wenn sich alle versammelt hatten, oft war es während des Essens.
ER: Von wem hat Ihr Onkel XXXX erfahren, dass Ihr Vater von der Familie Ihrer Cousins ermordet worden sei?
BF: Nach dem Tod meines Vaters wurde die ersten drei Tage getrauert. Jeden Tag haben wir sehr viel Besuch empfangen. Diese Leute haben meinem Onkel erzählt, wer meinen Vater getötet hat. Eine genaue Person kann ich nicht nennen.
ER: Wie haben Sie darüber Kenntnis erlangt?
BF: Nachdem mein Onkel XXXX den Tod meines Vaters gerächt hat, haben mir die Leute im Dorf gesagt, dass er erfahren hatte, dass die Cousins hinter dem Tod meines Vaters standen und mein Onkel XXXX sich deshalb an ihnen gerächt hat.
ER: Wie viele Brüder hatte Ihr Vater?
BF: Einen.
ER: Wer von der Feindesfamilie wurde von Ihrem Onkel XXXX getötet?
BF: Ich weiß nicht genau, wen mein Onkel XXXX getötet hat. Wir haben plötzlich davon erfahren. Ich kann mich an diese Sachen so genau nicht mehr erinnern.
SWV: Ich ergänze dahingehend, dass XXXX jedenfalls zwei Cousins seines Vaters tötete, an deren Namen kann sich der BF allerdings nicht erinnern.
ER: Wissen Sie, auf welche Weise die beiden Cousins von XXXX getötet wurden?
BF: Das weiß ich nicht, ich war nicht dabei.
ER: Haben Sie mit Ihrem Onkel XXXX über diese Rachetat gesprochen?
BF: Nein, ich konnte in Anwesenheit meines Onkels XXXX nicht sprechen, er war sehr aggressiv. Über so etwas hätte er sich nie mit mir unterhalten.
ER: Wo hat Ihr Onkel XXXX gewohnt?
BF: In XXXX , in einem Ort, genannt XXXX .
ER: Wie hat Ihr Onkel vom Tod Ihres Vaters erfahren?
BF: Das weiß ich nicht.
ER: Wie weit ist die Entfernung des Heimatdorfes XXXX und Ihrem Heimatdorf?
BF: Circa fünf bis sechs Stunden mit dem Auto.
ER: Was tat Ihr Onkel XXXX nach Ausführung der Rachetat?
BF: Er ist nach XXXX zurückgegangen, er ist geflüchtet.
ER: Hat Ihr Onkel XXXX Söhne?
BF: Nein, er ist ledig.
ER: Was haben Sie daraufhin unternommen?
SWV: Der BF ist dann mit seiner Mutter und seinem Bruder zu seinem Onkel mütterlicherseits namens XXXX nach XXXX geflüchtet, um einem Racheakt von Seiten der Familie der Feinde seines Vaters zu entgehen. Nachdem XXXX der einzige Bruder seines Vaters ist und dieser keine Söhne hat, war auch der BF als mögliches Ziel eines Retorsionsaktes nach den Regeln des Pashtunwali gefährdet.
ER: Wie sind Sie mit Ihrem Onkel XXXX wieder in Kontakt gekommen?
BF: XXXX ist nach etwa 4 Monaten XXXX gekommen und hat mich nach XXXX mitgenommen. Er selbst hatte Kontakte zu den Taliban. Er nahm defekte Fahrzeuge von den Taliban und gab ihnen Ersatzautos. Oft sind die Taliban auch zu ihm gekommen und haben sich mit ihm zusammengesetzt und unterhalten.
ER: Welche Arbeiten mussten Sie bei Ihrem Onkel XXXX verrichten?
BF: Ich musste die Haushaltsarbeit erledigen und Autoreperaturen vornehmen.
ER: Hat Sie Ihr Onkel XXXX gezwungen, mit den Taliban zu kämpfen?
BF: Mein Onkel XXXX hat mich gezwungen für die Taliban zu arbeiten, z. B. schickte er mich manchmal an Orte, wo zuvor die Taliban gekämpft hatten und ihre Fahrzeuge dadurch reperaturbedürftig waren. Er hat mir gesagt, dass ich die Taliban unterstützen soll, weil sie für einen guten Zweck, den Jihad gekämpft haben.
ER: Sind Sie dabei mit den Taliban in Kontakt gekommen?
BF: Ja, wenn ich einmal mitgegangen bin, dann wollten die Taliban, dass ich z.B. Munitionskartons auf meinem Rücken auf den Berg trage.
ER: Warum wurden Sie von Ihrem Onkel XXXX geschlagen?
BF: Er hat mir z.B. gesagt, dass ich draußen mit niemandem sprechen darf. Wenn ich in der Früh zum Morgengebet nicht rechtzeitig aufgestanden bin, hat er mich geschlagen und aufgeweckt. Wenn ich beim Lesen einen kleinen Fehler gemacht habe, hat er mich mit dem Schuh auf den Hinterkopf geschlagen.
ER: Was hielten Sie von den Taliban?
BF: Ich mochte die Taliban nicht. Sie sind wild und üben sehr viel Gewalt auf die Menschen aus.
ER: Haben Sie Ihrem Onkel gesagt, dass Sie nicht für die Taliban arbeiten wollen?
BF: Ich konnte ihm das nicht sagen, weil er mich getötet hätte. Ich habe sehr viel Angst vor ihm gehabt und hatte nicht den Mut, vor ihm zu sprechen.
ER: Sind Sie unmittelbar vom Haus Ihres Onkels XXXX geflohen?
BF: Ja, ich bin aus seinem Haus geflüchtet.
ER: Können Sie diese Situation schildern?
BF: Mein Onkel XXXX war nicht zu Hause. Ich habe das Haus verlassen und ging zum Bazar, dort setzte ich mich in ein Auto und sagte dem Fahrer, dass ich nach XXXX fahren möchte. Ich sagte ihm auch, dass ich kein Geld dabei hätte, um für die Fahrt zu bezahlen, versprach ihm aber, wenn ich zurückkehre, würde mein Onkel XXXX ihm das Geld geben. Er fragte mich nach dem Namen meines Onkels. Ich nannte ihm den Namen XXXX , in diesem Moment rief ein anderer Herr vom Vordersitz, dass er die Kosten für die Fahrt nach XXXX für mich übernehmen würde.
ER: Wie lange hielten Sie sich insgesamt bei Ihrem Onkel XXXX auf?
BF: Ich kann hierzu keine genauen Angaben machen, glaube aber, dass ich etwa sieben bis acht Monate bei ihm geblieben bin.
ER: Warum haben Sie Ihre Fluchtgründe nicht bereits detailliert und konkret anlässlich Ihrer ersten Befragungen geschildert?
BF: Damals ging es mir sehr schlecht. Ich hatte gerade einen stationären Aufenthalt im Krankenhaus hinter mir und war sehr durcheinander. Ich habe damals nichts verstanden.
SWV: Bei der Erstbefragung wurde der BF nicht detailliert zu seinen Fluchtgründen befragt. Es wurde ihm gesagt, er solle in zwei bis drei Sätzen seinen Fluchtgrund darlegen. Daher war es ihm nicht möglich, detaillierte Angaben zu machen. Bei den weiteren Einvernahmen hat der BF vor der Einvernahme klar gestellt, dass es ihm psychisch nicht gut gehe, dass er sich in Therapie befinde und Medikamente einnehme.
ER: Sie haben vor dem BAA angegeben, Ihr Onkel XXXX hätte einer Diebesbande angehört, die zu den Taliban und afghanischen Regierung gehört hätte. War das tatsächlich so?
BF: Mein Onkel XXXX hat mit den Taliban zusammengearbeitet, hat aber dem Sicherheitskommandanten Bestechungsgeld gezahlt, damit er in Ruhe gelassen wird.
ER: Wurden Sie, Ihre Mutter oder Ihr Bruder von Angehörigen der Feindesfamilie konkret bedroht oder verfolgt, bzw. haben diese nach Ihnen gesucht?
BF: Ja, wir wurden angegriffen, als wir vom Heimatdorf geflüchtet sind und zu meinem Onkel mütterlicherseits, XXXX , gehen wollten. Bei diesem Angriff wurde ich am Bein verletzt. Auch meine Mutter wurde an beiden Beinen verletzt.
ER: Wie wurden Sie angegriffen?
BF: Wir sind im Auto gesessen und sind Richtung XXXX gefahren. Die Straße war nicht asphaltiert, daher sind wir langsam gefahren. Plötzlich wurde aus den Feldern auf das Auto geschossen. Im Auto war sehr viel Rauch, man konnte nichts sehen, auch der Fahrer wurde durch einen Schuss verletzt. Es sind dann andere Personen zu uns gekommen und haben uns geholfen. Sie brachten uns nach XXXX ins Krankenhaus.
ER: Welche Verletzungen erlitten Sie konkret?
BF: Eine Streifschussverletzung am rechten Unterschenkel.
ER: Welche Verletzungen erlitt Ihre Mutter?
BF: Sie hat Verbrennungen an beiden Beinen erlitten.
ER: Hat das Auto gebrannt?
BF: Ja, die Sitze hatten Feuer gefangen.
ER: Wo saß Ihr Bruder?
BF: Er saß zwischen meiner Mutter und mir. Er wurde nicht verletzt. Wir saßen auf der hinteren Sitzbank.
ER: Um welches Fahrzeug handelte es sich und wem gehörte dieses Fahrzeug?
BF: Den Fahrer kannte ich nicht. Bei dem Auto handelte es sich um ein Taxi, um einen sogenannten Combi.
ER: Wusste Ihr Onkel XXXX , dass Sie gegen die Taliban eingestellt waren?
BF: Ich glaube schon, dass er gespürt hat, dass ich nicht gerne für die Taliban arbeite, er hat mich aber dazu gezwungen.
ER: Woher wissen Sie, dass die auf Sie, Ihre Mutter und Ihren Bruder abgegebenen Schüsse von den Feinden Ihres Onkels XXXX ausgeführt wurden?
BF: Ich erfuhr es von meinem Onkel mütterlicherseits, XXXX .
ER: Woher wusste dieser davon?
BF: Ich weiß nicht genau, von wem mein Onkel XXXX erfahren hatte, dass unsere Feinde uns angegriffen haben. Wir gehören aber zur selben Familie und haben die gleichen Verwandten. Die Informationen verbreiten sich meist über die Verwandten. Mein Onkel mütterlicherseits, XXXX , wurde mehrmals von unseren Feinden bedroht bzw. gewarnt. Sie sind einmal in das Haus meines Onkels mütterlicherseits, XXXX , gekommen und haben meine Mutter geschlagen. Zu dieser Zeit befand ich mich bereits in Österreich.
ER: Wie lange waren Sie zu diesem Zeitpunkt in Österreich und von wem haben Sie das erfahren?
SWV: Dieser Vorfall fand angeblich im Jänner 2012 statt. Der BF hatte erfahren, dass die Feinde seines Onkels XXXX beim Onkel XXXX zu Hause waren, diesen angeschossen hätten und die Mutter des BF mit einem Holzstock an den Beinen geschlagen hätten. Im Weiteren verweise ich auf die im Akt erliegende Stellungnahme der XXXX vom 19. Jänner 2012.
ER: Gab es sonst noch Drohungen gegen Sie auf Ihre Familie seitens der Feindesfamilie?
BF: Ich glaube nicht, ich war ja eine Zeitlang bei meinem Onkel väterlicherseits, XXXX . Danach bin ich geflüchtet.
ER: Wurden Sie während der Zeit Ihres Aufenthaltes beim Onkel XXXX von Mitgliedern der Feindesfamilie aufgesucht, bedroht oder attackiert?
BF: Nein.
ER: Was wissen Sie über das Schicksal Ihres Onkels XXXX ?
BF: Ich weiß nichts über meinen Onkel XXXX .
ER: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?
BF: Nein, das ist meine Fluchtgeschichte.
ER: Haben Sie nun dazu alles vorgebracht?
BF: Zu den Fluchtgründen habe ich nichts hinzuzufügen.
ER: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?
BF: Wenn ich nach Afghanistan zurückkehre, würde ich weiterhin von den Feinden der Familie verfolgt werden. Auch mein Onkel väterlicherseits, XXXX , würde mich verfolgen.
ER gibt SWV die Möglichkeit, zu den bisherigen Angaben des BF eine Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.
SWV: Es ist festzuhalten, dass der BF auf Grund der Erlebnisse in seiner Heimat nach wie vor traumatisiert ist und verweise ich diesbezüglich auf das bereits vorliegende neurologisch-psychiatrisches Gutachten. In der heutigen Einvernahme hat der BF seine Fluchtgründe konkret und glaubwürdig vorgebracht, er hat klar gestellt, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan der Gefahr ausgesetzt sein wird, von der verfeindeten Familie - genau so wie sein Vater - getötet zu werden, dies auf Grund des Racheaktes im Zuge des Pashtunwali. Die afghanischen Sicherheitsbehörden sind keinesfalls willens oder in der Lage, dem BF ausreichenden Schutz vor privater Verfolgung auf Grund dieser Blutfehde zu gewähren, insbesondere nicht in der Heimatregion des BF. Vielmehr läuft der BF Gefahr, bei einer Rückkehr von der gegnerischen Familie sowie seinem Onkel XXXX , angegriffen und in weiterer Folge getötet zu werden. Auf Grund der konkreten Verfolgungslage des BF sind die Voraussetzungen hinsichtlich einer Asylgewährung jedenfalls gegeben. Der BF hat heute glaubhaft gemacht, dass ihm Verfolgung droht bzw. er im Visir der gegnerischen Familie steht. Seine Angst, getötet zu werden, ist glaubwürdig und nachvollziehbar und liegt im konkreten Fall des BF eine "wohl begründete Furcht vor Verfolgung" iSd GFK vor. Abschließend ist festzuhalten, dass der BF keine Verwandten in XXXX hat, er wäre dort völlig auf sich alleine gestellt und muss auch der psychische Gesundheitszustand des BF berücksichtigt werden. Ich verweise auf das Erkenntnis des BVwG vom 05.11.2014, Zahl: W169 1425270, wo in ähnlicher Konstellation dem BF der Asylstatus gewährt wurde und so ersuche ich das Gericht, auch im Fall des BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.
[...]
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Beweisaufnahme:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BAA, beinhaltend die Niederschrift der Erstbefragung (nun folgend: EB) vom 27.08.2009, die niederschriftlichen Einvernahmen vor dem BAA am 09.12.2009, am 02.02.2010, am 27.05.2010 und am 21.06.2010 (folgend: EV), die Beschwerde, die Stellungnahme der XXXX vom 19.01.2012 sowie die aktenkundigen Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF. Weiters wurde am 12.10.2015 eine VH durchgeführt, anlässlich derer der BF keine weiteren Beweismittel oder sonstigen Belege betreffend seine Identität vorlegte.
2. Feststellungen (Sachverhalt):
Zur Person und zum Vorbringen des BF:
Der BF wurde am XXXX im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Nangarhar, Afghanistan geboren, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Pashtu, er besuchte in seinem Herkunftsstaat die Grundschule bis zur vierten Klasse, erlernte keinen Beruf, arbeitete aber als Automechaniker. Er flüchtete im Jahr 2009 aus Afghanistan und gelangte schlepperunterstützt über den Iran, die Türkei, Griechenland und weitere ihm unbekannte Länder bis nach Österreich, wo er am 26.08.2009 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Seine Mutter ist vor rund einem Jahr gestorben, sein Vater wurde im Jahr 2007 im Zuge von Grundstücksstreitigkeiten von den Söhnen seines Onkels getötet. Der BF wurde bereits in seiner Kindheit mit seiner Cousine XXXX , die sich in XXXX aufhält, vermählt. Die Identität des BF steht nicht fest.
Mit dem Gesamtgutachten des XXXX Institutes für klinisch-forensische Bildgebung vom 20.10.2009 wurde auf Basis der körperlichen, zahnärztlichen und radiologischen Untersuchung unter Berücksichtigung der Schwankungsbreiten beim BF ein Mindestalter von 20 Jahren oder älter zum Untersuchungszeitpunkt festgestellt.
Nach dem Ermittlungsverfahren ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sein Vater im Zuge eines Grundstücksstreits von dessen Cousins getötet wurde, nachdem diese dessen Grundstück zunächst mit gefälschten Urkunden beanspruchten und in der Folge den zugunsten seines Vaters gefällten Schiedsspruch der einberufenen Jirga nicht anerkannten. Daraufhin nahm der Bruder seines Vaters durch die Ermordung von zwei Mitgliedern der verfeindeten Familie Rache und legte damit die Grundlage für eine neuerliche Vergeltung. Da sein Onkel väterlicherseits weder Kinder hat noch verheiratet ist, wurden der BF als Angehöriger der Familie seines Vaters und auch sein jüngerer Bruder zum Ziel dieser Rache. Der BF wurde vor seiner Ausreise von Angehörigen der verfeindeten Familie gesucht und verfolgt. Seine Mutter und sein Bruder mussten Afghanistan verlassen, weil auch diese bedroht wurden.
Im Falle der Rückkehr in sein Heimatland befürchtet der BF aufgrund der jahrelang bestehenden Feindschaft zwischen seiner und der Familie der Cousins seines Vaters, insbesondere wegen der durch seinen Onkel väterlicherseits fortgeführten Vergeltung des Mordes an seinem Vater, durch Angehörige dieser auf Rache sinnenden Familie ebenfalls getötet zu werden. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass der BF in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine für eine Asylgewährung hinreichend intensive Verfolgung zu befürchten hätte.
Dem BF steht keine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative zur Verfügung. Die Möglichkeit, sich dieser Bedrohung durch Ausweichen in eine andere Region Afghanistans zu entziehen, besteht für den BF im konkreten Fall ebenfalls nicht, zumal er sein Leben bis zu seiner Flucht in der Provinz Nangarhar verbrachte und über kein ausreichendes soziales oder familiäres Netzwerk in anderen Teilen seiner Heimat verfügt.
Beim BF liegt eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung vor, weshalb für diesen vom Bezirksgericht XXXX ein Verfahrenssachwalter bestellt wurde.
Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten und nimmt Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch.
Ein Endigungs- bzw. Asylausschlussgrund im Sinne des Art. 1 Abschnitt C bzw. F der GFK konnte nicht festgestellt werden.
Dahingestellt bleiben kann, ob der Bruder seines Vaters tatsächlich ein Taliban ist und der BF gefährdet war, von diesem Onkel rekrutiert bzw. von diesem oder den Taliban getötet zu werden, weil ihm durch seine Flucht allenfalls eine andere politische Gesinnung unterstellt werden könnte.
b) Zur Lage im Herkunftsstaat:
Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Afghanistan:
Allgemeine Sicherheitslage
Nach mehr als 30 Jahren Konflikt und 13 Jahre nach dem Ende der Taliban-Herrschaft befindet sich Afghanistan in einem langwierigen Wiederaufbauprozess. Anstrengungen, die zur Sicherung bisheriger Stabilisierungserfolge und zur Verbesserung der Zukunftsperspektiven der Bevölkerung beitragen, werden noch lange Zeit notwendig sein. Die Sicherheitsverantwortung für Afghanistan wurde 2013 vollständig durch die afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) übernommen. Die Bewertung der Sicherheitslage stützt sich auf eine Reihe von quantitativen und qualitativen Indikatoren, darunter die Anzahl der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle (SRZ). Dieser Indikator sank 2013 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum leicht. Die Erfassung der SRZ erfolgt mittlerweile jedoch im Wesentlichen durch die ANSF und kann kaum auf Verlässlichkeit überprüft werden. In den Wintermonaten 2013 und dem Beginn 2014 war keine wetterbedingte Abschwächung der Kampfhandlungen zu beobachten. Die Insurgenz hat auch 2013 gezeigt, dass sie in der Lage ist, hochwertige zivile und militärische Ziele anzugreifen. Dabei erzielt sie jedoch keine taktischen oder strategischen Erfolge, sondern erreicht über hohe Opferzahlen Medienaufmerksamkeit. Der UNAMA Halbjahresbericht 2013 über den Schutz von Zivilisten verzeichnet einen Anstieg von zivilen Opfern um 23 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Grund dafür sind der verstärkte Einsatz von improvisierten Sprengsätzen (IEDs) durch die Insurgenz und zivile Opfer bei Kampfhandlungen zwischen Insurgenz und ANSF.
Auf die Transition soll ein Jahrzehnt der Transformation (2015 - 2024) folgen, in dem Afghanistan sich zu einem voll funktionsfähigen und fiskalisch lebensfähigen Staat im Dienst seiner Bürger entwickelt. Dafür hat Afghanistan verstärkte eigene Anstrengungen zugesagt und im Gegenzug die Zusage langfristiger internationaler Unterstützung erhalten. Solange jedoch das Sicherheitsabkommen zwischen den USA und der afghanischen Regierung nicht zustande kommt, kann auch die Planung der ISAF-Folgemission (Resolute Support Mission, RSM) nicht abgeschlossen werden und bleiben regionaler und finanzieller Umfang der künftigen internationalen Unterstützung ungewiss. Zukunftsängste und Unsicherheit hinsichtlich der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Entwicklung des Landes sind in der Bevölkerung weit verbreitet. Die Innenpolitik war in der zweiten Hälfte des Jahres 2013 von Wahlvorbereitungen geprägt.
Im Hinblick auf die Qualität und Transparenz von Regierungsführung und Demokratie bleibt in Afghanistan noch viel zu tun. Das staatliche Gewaltmonopol wird weiterhin von Aufständischen und lokalen Milizen erodiert. Korruption und Patronagewirtschaft schränken die Verlässlichkeit politischer, sicherheitspolitischer und rechtsstaatlicher Institutionen ein und hemmen dadurch die zivile Entwicklung Afghanistans. Unzureichende personelle und administrative Kapazitäten der Regierung beeinträchtigen weiterhin vor allem die strategische Planung und Umsetzung von Politikvorhaben und Regierungsbudgets. Einzelne Fortschritte sind aber erkennbar. So wurde 2013 das Wahlgesetz reformiert.
Die Menschenrechtssituation in Afghanistan verbessert sich weiter, allerdings langsam. Die universellen Menschenrechte sind in der afghanischen Verfassung verankert, aber bei weitem noch nicht vollständig verwirklicht. Insbesondere die Situation von Frauen bleibt in der konservativ-islamischen Gesellschaft schwierig.
Das Justizsystem funktioniert nur sehr eingeschränkt. Eine einheitliche Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht) ist nicht gegeben. Auch rechtsstaatliche (Verfahrens)prinzipien werden längst noch nicht überall eingehalten. Einflussnahme und Zahlung von Bestechungsgeldern durch mächtige Akteure verhindern Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen des Justizsystems. Nachdem die Justizbehörden Afghanistans seit 2004 mit einer vorläufigen Strafprozessordnung operierten, liegt dem Parlament nun zumindest eine neue Strafprozessordnung zum Beschluss vor. Auch das Strafrecht selbst wird zurzeit überarbeitet. Die humanitäre Situation bleibt schwierig. Neben der Versorgung der vielen Rückkehrer und Binnenvertriebenen stellt vor allem die chronische Unterversorgung in Konfliktgebieten im Süden und Osten das Land vor große Herausforderungen.
(Deutsches Auswärtiges Amt, "Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan" vom 31.03.2014, Zusammenfassung)
Die Zahl der im Afghanistan-Konflikt getöteten oder verletzten Zivilisten ist nach Angaben der Vereinten Nationen im ersten Halbjahr 2013 deutlich gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind 23 Prozent mehr Opfer gezählt worden. Nach einem zwischenzeitlichen Rückgang im Jahr 2012 gibt es nun eine Rückkehr zu den hohen Zahlen von getöteten und verletzten Zivilisten des Jahres 2011. Von Jänner bis Oktober 2013 wurden insgesamt 2.568 Zivilisten getötet und 4.826 Zivilisten verletzt. Das entspricht einer Erhöhung um 13 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2012. Laut UNAMA sind 75 Prozent der Opfer durch Angriffe von Aufständischen getötet oder verletzt worden. In 10 Prozent der Fälle seien Regierungstruppen verantwortlich, weitere 13 Prozent seien bei Kämpfen zwischen beiden Seiten getötet oder verletzt worden. Die verbleibenden 4 Prozent der Fälle waren demnach keiner Konfliktpartei zuzuordnen und wurden in erster Linie durch Blindgänger verursacht.
(General Assembly/Security Council United Nations, "The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security" Rn. 24 vom 6. Dezember 2013; Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 6. August 2013, S. 15)
Die Zahlen unterstreichen die schwierige Sicherheitslage in Afghanistan vor dem Ende des internationalen Kampfeinsatzes. Die USA und ihre NATO-Verbündeten wollen bis zum Ende 2014 alle Kampftruppen aus dem Land abziehen. Die Internationale Sicherheits-Unterstützungstruppe (ISAF) wird wie bisher bis zum Ende der Übergangsphase (31. Dezember 2014) die Afghan National Security Forces (ANSF) ausbilden, beraten und unterstützen, jedoch wenn erforderlich auch Kampfunterstützung liefern. Auf die Abzugspläne der deutschen Bundeswehr haben die veränderten Daten zur Sicherheitslage keine Auswirkungen. Es bleibt bislang auch bei den Absichten, von Ende 2014 an für eine Ausbildungs- und Trainingsmission der NATO zwischen 600 und 800 Bundeswehrsoldaten zur Verfügung zu stellen.
(ORF-online: "Afghanistan: 2013 bereits über 1.300 zivile Opfer" vom 31. Juli 2013; NATO "International Security Assistance Force" vom 1. August 2013; Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Bundeswehr korrigiert Statistik über Sicherheit in Afghanistan" vom 31. Mai 2013)
Die Zahl der zivilen Toten stieg an, laut UN wurden ungefähr 5000 Zivilisten in Afghanistan getötet. Dies bedeutet einen Anstieg um ein Viertel verglichen zur selben Periode im Vorjahr.
(BBC News, "Afghan conflict: 15 killed in Taliban attack on buses" 25. Juli 2014, Zugriff 28. Juli 2014)
Der Konflikt in Afghanistan beeinflusst nun auch Provinzen, die bisher als die stabilsten im Land betrachtet wurden, wie etwa die Provinz Panjshir. Die Gewalt ist nicht auf Kabul oder allgemein auf städtische Zentren beschränkt. Die Aufständischen in ländlichen Gebieten gehen oft extrem gewalttätig vor. Die Verbreitung von lokalen Milizen und bewaffneten Gruppen - sowohl pro- und anti-Regierung - im Norden, Nordosten und in zentralen Hochland-Regionen haben eine weitere negative Auswirkung auf die Sicherheitslage für Zivilisten.
(Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 6. August 2013, S. 14)
Die Opfer unter den ISAF-Angehörigen gingen insbesondere aufgrund der Verringerung der Kräfte als auch des gewandelten militärischen Auftrages in den ersten fünf Monaten des Jahres 2013 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 121 auf 60 zurück. Infolge des nahezu abgeschlossenen Aufbaus der ANSF, der hohen Operationslast als Folge der Übernahme der aktiven Sicherheitsverantwortung und der damit einhergehenden Zielauswahl durch die regierungsfeindlichen Kräfte stiegen die personellen Verluste der ANSF von 499 auf 1.070 in den ersten vier Monaten 2013 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum deutlich an. Auch in Zukunft ist infolge der weiter fortschreitenden Transition mit hohen Verlustzahlen unter ANSF-Angehörigen zu rechnen. Die Hauptursachen für den Anstieg der zivilen Opfer in der ersten Jahreshälfte 2013 waren die vermehrte willkürliche Verwendung von Spreng- und Brandvor-richtungen durch regierungsfeindliche Elemente sowie Selbstmordanschläge und komplexe Angriffe an Orten, an denen sich Zivilisten aufhalten, darunter auch zivile Regierungsgebäude. Wie UNAMA weiter ausführt, hat eine sich verändernde politische und sicherheitsrelevante Dynamik in der ersten Jahreshälfte 2013 den Schutz von Zivilisten behindert und den Zugang zu Menschenrechten beschränkt. Auf die Übertragung der Sicherheitsverantwortung von den internationalen Truppen an die afghanischen Sicherheitskräfte und die Schließung von internationalen Militärbasen haben regierungsfeindliche Elemente mit zunehmenden Angriffen auf die afghanischen Sicherheitskräfte, hauptsächlich an Checkpoints, auf strategisch wichtigen Highways, in einigen Gebieten, die an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben wurden, und in Distrikten, die an Afghanistans Nachbarländer grenzen, reagiert.
(UNAMA, Mid-Year Report 2013, vom Juli 2013, S. 1f)
Der afghanische Innenminister Umer Daudzai hat laut einem Anfang September 2013 veröffentlichten Artikel bekannt gegeben, dass seit März 2013 insgesamt 1.792 Polizisten getötet wurden - die meisten durch am Straßenrand platzierte Bomben.
(AlertNet: "Afghan police deaths double as foreign troops withdraw" vom 2. September 2013)
Der UNO-Generalsekretär erwähnt in einem Bericht vom März 2013, dass im Zeitraum vom 16. November 2012 bis 15. Februar 2013 insgesamt
3.783 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet wurden. Dies stellt einen 4-prozentigen Rückgang gegenüber dem gleichen Zeitraum ein Jahr zuvor dar. Die Zahl der zwischen 1. Jänner und 15. Februar 2013 verzeichneten Sicherheitsvorfälle lag allerdings um 6 Prozent höher als im Vorjahr. Wie der UNO-Generalsekretär berichtet, ereigneten sich die meisten der zwischen 16. November 2012 und 15. Februar 2013 verzeichneten Vorfälle auch weiterhin in den Provinzen im Süden, Südosten und Osten des Landes. Die größte Zahl wurde in der Provinz Nangarhar verzeichnet.
(UN-General Assembly Security Council: "The Situation in Afghanistan and its implications for international peace and security" vom 5. März 2013)
In einem Bericht vom Juni 2013 erwähnt der UNO-Generalsekretär, dass im Zeitraum vom 16. Februar bis 15. Mai 2013 insgesamt 4.267 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet wurden. Dies stellt einen 10-prozentigen Anstieg gegenüber dem Vorjahreszeitraum dar. 70 Prozent der Vorfälle ereigneten sich im Süden, Südosten und Osten des Landes. Im Osten des Landes ist es zu einem Zustrom von Aufständischen in die Provinzen Nuristan und Badachschan und einem 18-prozentigen Anstieg der Anzahl der Vorfälle gekommen. Bewaffnete Auseinandersetzungen und Spreng- und Brandvorrichtungen machten weiterhin die Mehrzahl der Vorfälle aus.
(UN-General Assembly Security Council: "The Situation in Afghanistan and its implications for international peace and security" vom 13. Juni 2013)
In einem im September 2013 erschienenen Bericht des UNO-Generalsekretärs wird erwähnt, dass die afghanischen Sicherheitskräfte die meisten Operationen durchführen und ihre Opferzahl deutlich angestiegen ist. Berichten zufolge wurden im zweiten Quartal des Jahres 2013 mehr als 3.500 Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte bei Kampfhandlungen verletzt oder getötet. Am 1. Juli 2013 hat der afghanische Innenminister bekannt gegeben, dass zwischen Mitte Mai und Mitte Juni 2013 insgesamt 299 Polizisten getötet wurden. Dabei handelt es sich um einen 22-prozentigen Anstieg im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Im selben Bericht wird angeführt, dass im Zeitraum vom 16. Mai bis 15. August 2013 insgesamt 5.922 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet wurden. Dies stellt einen 11-prozentigen Anstieg im Vergleich zum Vorjahreszeitraum und einen 21-prozentigen Rückgang im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Jahr 2011 dar. Laut Bericht haben die Aufständischen ihren Schwerpunkt unter anderem auf Angriffe auf Sicherheitskontrollpunkte und Stützpunkte gelegt, die von den internationalen Truppen an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben wurden. Generell wirkungsvoller Widerstand durch die afghanischen Sicherheitskräfte hat sich auf den Schutz von wichtigen städtischen Zentren, Verwaltungszentren von Distrikten und strategisch wichtigen Transportrouten fokussiert. Die Mehrheit der sicherheitsrelevanten Vorfälle (69 Prozent) ereignete sich weiterhin in den Provinzen im Süden, Südosten und Osten des Landes.
(UN-General Assembly Security Council: "The Situation in Afghanistan and its implications for international peace and security" vom 6. September 2013)
Laut ANSO gelingt es den afghanischen Sicherheitskräften nicht, die sich aus dem Abzug der internationalen Truppen ergebenden Lücken zu füllen. Dies zeigt sich insbesondere in den nordwestlichen Provinzen Faryab und Badghis, im gesamten Nordosten und in der südlichen Provinz Paktika. In einigen Gebieten, in welchen die Übergabe in Phase drei erfolgt ist, sind zunehmende Aktivitäten regierungsfeindlicher Gruppierungen zu verzeichnen, während die Aktivitäten der afghanischen Sicherheitskräfte in diesen Gebieten zeitgleich zurückgegangen sind. Mit dem voranschreitenden Abzug der internationalen Truppen haben die regierungsfeindlichen Gruppierungen ihre Angriffe kontinuierlich von den internationalen Zielen weg auf afghanische Ziele fokussiert, d.h. auf die afghanischen Sicherheitskräfte sowie auf afghanische Regierungsangehörige. Dies widerspricht der erwarteten Logik, dass die sinkende internationale Präsenz zu einem Rückgang der militärischen Aktivitäten der regierungsfeindlichen Gruppierungen führen würde. Die Führung der Taliban ist weiterhin in der Lage, die militärischen Operationen der Bewegung von Pakistan aus strategisch zu lenken sowie die notwendigen Ressourcen zur Unterstützung der operationellen Prioritäten zu beschaffen. Seit 2009 lassen sich drei Entwicklungen erkennen: Erstens wurden auf der strategischen Ebene beträchtliche Anstrengungen hin zu einer stärkeren Zentralisierung der Kommando- und Kontrollstrukturen unternommen, um einer Fragmentierung der Bewegung entgegenzuwirken. Zweitens zeichnet sich eine Militarisierung der Administration ab. Der militärische Druck seitens der ISAF zwang zahlreiche Schattengouverneure in den Untergrund oder zur Flucht nach Pakistan und führte dadurch zu einem verminderten Einfluss dieser. In der Konsequenz ist die Macht der Militärkommissionen gestiegen, die vor Ort präsent sind. Drittens lässt sich auf der taktischen Ebene eine Professionalisierung der Bewegung feststellen.
(Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 30. September 2013, S. 5 f; ANSO, Quarterly Data Report Q1 2013, S. 12 und 17; ANSO, Quarterly Data Report Q1 2013, S. 11)
Drei Selbstmordattentäter der Taliban haben in Afghanistan Anschläge auf Nato-Lastwagen verübt. An der Grenze zu Pakistan im Osten des Landes hätten sich Polizisten und Taliban-Kämpfer daraufhin einen Schusswechsel geliefert, meldeten afghanische Offizielle. Alle drei Angreifer seien getötet worden, hieß es aus der Provinzregierung. Einer habe sich selbst in die Luft gesprengt, die beiden anderen seien von Polizisten erschossen worden. Die Taliban bekannten sich zu den Anschlägen. Die Attentäter hätten die Wagen auf dem Parkplatz des Nato-Quartiers in der Provinz Nangarhar attackiert, sagte ein Sprecher der Grenzpolizei. Der Gebäudekomplex am Torkham-Checkpoint liegt an einer wichtigen Route für Lieferungen der Nato in Afghanistan - die meisten Transporte der Truppe laufen über diesen Grenzposten. Der durch die Anschläge ausgelöste Schaden ist offenbar verheerend. Der Provinzregierung zufolge wurden durch Explosionen, die bei dem Schusswechsel ausgelöst wurden, 37 Nato-Benzinlaster beschädigt oder gänzlich zerstört.
(Spiegel-Online,
http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-taliban-anschlag-auf-nato - lastwagen-a-976069.html, vom 19. Juni 2014)
Anschläge in ganz Afghanistan, unter anderem wurden auch Kontrollposten der Polizei von Taliban gestürmt. Zahlreiche Personen wurden getötet, darunter auch sechs Polizeioffiziere in der Provinz Kandahar. In der Provinz Helmad, hat eine in einem Motorrad versteckte Bombe vier Zivilisten getötet und zahlreiche weitere verletzt. In Kabul wurde ein Armeeoffizier durch einen Sprengsatz getötet, seinen Fahrer verletzt. In der Stadt Herat hat ein Angreifer von seinem Motorrad aus zwei Armeeoffiziere getötet.
(The Washington Post, "Afghan gunmen kill 14 Shiite travelers on road from Kabul" 25. Juli 2014, Zugriff 28. Juli 2014)
Die Taliban greifen immer mehr die staatlichen Institutionen an und töten hunderte Menschen, dabei kommen auch hunderte Zivilisten ums Leben. Auch die ausländischen Einrichtungen und Truppen werden verstärkt von den Taliban angegriffen. Auch hier kommen hunderte Zivilisten ums Leben. Das ist derzeit an der Tagesordnung, wobei sich das auf ganz Afghanistan bezieht und kein Teil ausgenommen werden kann. Die Leidtragenden sind dabei die Zivilisten. Die Taliban machen dem Staat das Territorium streitig, es ist davon auszugehen, dass sie in den nächsten Monaten auch verschiedene Regionen angreifen werden, um diese unter ihre Kontrolle zu bringen. Auch in relativ sicheren Gegenden wie Mazar-e Sharif, Provinz Panjsher und Samangan hat sich die Sicherheitslage weiter verschlechtert. Die Taliban verunsichern diese Gebiete, in dem sie verstärkt Selbstmord- und Bombenanschläge verüben. Dabei kommen auch dutzende Zivilisten ums Leben kommen. Diese schlechte Sicherheitslage hat in Afghanistan dazu geführt, dass sich auch die ohnehin schlechte Wirtschaftslage verschlechtert hat, die Arbeitslosigkeitsrate beträgt fast 70% (die UN schätzt dies auf 50 %). Das führte verstärkt zu Abwanderung von jungen Menschen. Auch die Eltern der Kinder und Jugendlichen versuchen ihre Kinder aus den genannten Gründen in sichere Länder zu bringen.
(Sachverständiger für Afghanistan, XXXX , vom 19.09.2014)
Sicherheitslage in Kabul
Kabul zählt zu jenen Gebieten, in denen infolge militärischer, überwiegend afghanisch geführter Operationen, starker Präsenz sowie politischer und wirtschaftlicher Maßnahmen eine partielle Stabilisierung erzielt werden konnte und die Sicherheitslage überwiegend unter Kontrolle ist. Kabul bleibt unter der Führung der ANSF die sicherste Gegend Afghanistans.
(Auswärtiges Amt: Fortschrittsbericht Afghanistan, vom Juni 2013; Afghan Analyst Network: "After the 'operational pause': ‚How big is the insurgents' 2013 spring offensive?" vom 2. Juni 2013; Department of Defense: "Report on Progress Toward Security and Stability in Afghanistan" vom Dezember 2012)
Laut internationalen NGOs ist Kabul trotz Vorfällen und Angriffen einer der wenigen Orte Afghanistans, wo die Sicherheitssituation relativ gut und stabil ist. Dem Internationalen Polizei-Koordinierungsausschuss zufolge gehören Kabul und andere große Städten in Afghanistan zu den Orten, wo die Afghanische Nationalpolizei (ANP) bei der Gewährleistung von Sicherheit gut funktioniert. Laut IOM ist Kabul trotz einiger Selbstmordanschläge, die das Leben der Bevölkerung beeinträchtigen, sicherer und stärker unter Kontrolle als andere Orte in Afghanistan. Die unabhängige Afghanistan Independent Human Rights Commission teilt diese Meinung.
(Danish Immigration Service: "Afghanistan Country of Origin Information for Use in the Asy-lum Determination Process" vom Mai 2012)
Der Fokus des Terrors liegt nicht auf Kabul oder allgemein auf städtischen Zentren, sondern der Großteil der Gewalt passiert in ländlichen Gegenden. Die Taliban, einschließlich des Haqqani-Netzwerks, führen jedoch weiterhin öffentlichkeitswirksame Angriffe in der afghanischen Hauptstadt durch und zeigen, dass sie überall im Land zuschlagen können und selbst den sog. "Stahlring" der afghanischen Sicherheitskräfte um die Zentren großer Städte über-winden. Dies zielt darauf ab, die Aufmerksamkeit internationaler Medien und damit möglicher "Financiers" zu erregen und Unsicherheit in der afghanischen Bevölkerung, der afghanischen Regierung und den afghanischen Streitkräften zu schüren.
(Afghanistan Analyst Network: After the 'operational pause': "How big is the insurgents' 2013 spring offensive?" vom 2. Juni 2013; ACCORD [Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation]: "Ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan:
Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul vom 10. Jänner 2013, vergleiche auch Afghan Analyst Network: After the 'operational pause': How big is the insurgents' 2013 spring offensive?" vom 2. Juni 2013)
Im April 2013 kündigten die Taliban ihre Frühlingsoffensive "Khalid ibn al-Walid" [auch "Kha-led ben Walid"] an. Größere Zwischenfälle in Kabul involvierten u.a. eine Explosion nahe des Verteidigungsministeriums in Kabul im März 2013, bei der neun Zivilisten ums Leben kamen. Ein Beispiel für erfolgreiche Vereitelung war die Entdeckung eines größeren Waffenversteckes und die Festnahme von 5 Personen am 13. März 2013.
(UN General Assembly und Security Council: "The situation in Afghanistan and its implica-tions for international peace and security", vom 13. Juni 2014)
Weitere größere, sicherheitsrelevante Vorfälle in Kabul:
Im Mai 2013 bekannte sich die Hezb-e Islami Gulbuddin zu einem Attentat in Kabul, bei dem 9 Zivilisten, 2 ISAF Mitarbeiter und 4 Mitarbeiter eines ausländischen Unter-nehmens getötet wurden und im Juni tötete ein Selbstmordanschlag auf den Supreme Court mindestens 17 Zivilisten.
(UN General Assembly und Security Council: "The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security", vom 13. Juni 2014)
Im Juni 2013 gab es einige Anschläge der Taliban in schwerbewachten Gebieten Kabuls, in denen sich viele wichtige Gebäude befinden, wie zum Beispiel die NATO-Zentrale und der Präsidentenpalast.
(BBC News: "Afghan Taliban assault in Kabul secure zone" vom 25. Juni 2013)
Am 2. Juli 2013 kam es zu einem Anschlag nahe einer UN Einrichtung, bei dem 6 Personen getötet wurden. Insgesamt kam es im Berichtszeitraum zwischen 16. Mai und 15 August zu 7 Selbstmordanschlägen in Kabul.
(UN General Assembly und Security Council: "The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security" vom 6. September 2013)
Die Taliban attackierten mit Schüssen und einer Autobombe im Oktober 2013 einen Konvoi ausländischer Fahrzeuge in Kabul. Es war der erste größere Vorfall seit Juli. (Reuters: "Taliban attack breaks months of quiet in Kabul", vom 18. Oktober 2013). Agence France-Presse [AFP] berichtet, dass in den Monaten vor diesem Anschlag die afghanische Hauptstadt relativ friedlich gewesen ist, nachdem zuvor einige Selbstmordanschläge und bewaffnete Angriffe stattgefunden hatten.
(AFP: "Suicide bomb attack in Kabul outside foreign compound", vom 18. Oktober 2013)
Am 16. November 2013 wurden bei einem Anschlag nahe einer Einrichtung, die für die Loya Jirga vorbereitet wurde, 8 Zivilisten getötet.
(UN General Assembly und Security Council: "The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security", vom 6. Dezember 2013)
Am 18. Jänner 2014 starben mindestens 24 Menschen bei dem Anschlag der Taliban auf ein unter Ausländern beliebtes und stark gesichertes Restaurant in Kabul.
(Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Entsetzen nach Taliban-Anschlag", vom 18. Jänner 2014)
Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Bus der afghanischen Armee sind am 26. Jänner 2014 in Kabul vier Menschen getötet worden, am 25. Jänner 2014 wurden bei einer Explosion zwei Personen verletzt.
(Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Selbstmordanschlag auf Regierungsbus in Afghanistan" vom 26. Jänner 2014)
In der afghanischen Hauptstadt Kabul sind bei einem Selbstmordanschlag acht Menschen getötet worden. Ziel des Attentäters sei ein Bus mit Militärangehörigen im stark abgesicherten Gebiet in der Nähe der Universität gewesen, teilte die Polizei heute mit. Mindestens fünf der Toten gehörten zur Luftwaffe. Bei der Explosion seien zudem 13 weitere Menschen verletzt worden.
(ORF-online; http://www.orf.at/#/stories/2236311/ , "Acht Tote bei Selbstmordanschlag in Kabul" vom 02. Juli 2014)
In der Nacht zum 05.07.14 explodierten in der Nähe von Kabul nach Raketenbeschuss zahlreiche geparkte, mit Benzin gefüllte Tanklastzüge. Je nach Quelle ist von mehreren Dutzend bis 400 Fahrzeugen die Rede. Personen scheinen nicht zu Schaden gekommen zu sein. Ein Sprecher der Taliban erklärte, die Fahrzeuge der ausländischen Einsatzkräfte seien aus taktischen Gründen zerstört worden.
(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Deutschland, Briefing Notes vom 7. Juli 2014)
Anschläge in ganz Afghanistan, unter anderem wurden auch Kontrollposten der Polizei von Taliban gestürmt. Zahlreiche Personen wurden getötet, darunter auch sechs Polizeioffiziere in der Provinz Kandahar. In der Provinz Helmad, hat eine in einem Motorrad versteckte Bombe vier Zivilisten getötet und zahlreiche weitere verletzt. In Kabul wurde ein Armeeoffizier durch einen Sprengsatz getötet, seinen Fahrer verletzt. In der Stadt Herat hat ein Angreifer von seinem Motorrad aus zwei Armeeoffiziere getötet.
(The Washington Post, "Afghan gunmen kill 14 Shiite travelers on road from Kabul" 25. Juli 2014, Zugriff 28. Juli 2014)
Aufständische haben den internationalen Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul an-gegriffen. Wie das afghanische Innenministerium mitteilte, griffen die Kämpfer den Flughafen am frühen Morgen mit automatischen Waffen und Panzerfäusten an und eroberten ein im Bau befindliches Gebäude auf dem Gelände. Medienberichten nach feuerten sie von dort aus Raketen ab. Sicherheitskräfte haben das Gebiet nach Behördenangaben umstellt. Die afghanische Armee meldete, zwei der Angreifer seien getötet worden. Wie ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP berichtete, waren auf dem streng gesicherten Flughafen, auf dem sich auch ein großer Nato-Stützpunkt befindet, Explosionen und Schüsse zu hören. Nach Angaben eines Behördenvertreters wurde der zivile Flugverkehr unterbrochen. Über dem Gelände kreisten Militärhubschrauber. Für den Angriff verantwortlich erklärten sich die radikalislamischen Taliban. Ihre Kämpfer hätten den Flughafen mit leichten und schweren Waffen angegriffen, teilte ein "Sprecher" mit.
(FAZ.net, "Taliban-Kämpfer greifen Flughafen von Kabul an" vom 17. Juli 2014)
Bedingt durch die Vorhaben der ISAF-Truppen, aus dem Lande abzuziehen, den Kandidatenstreit und der Intensivierung der Talibanaktivitäten, finden derzeit in Kabul Bomben- und Selbstmordanschläge gegen die Regierungsinstitutionen und ausländische Einrichtungen statt. Diese Angriffe sind nicht nur auf die Aktivitäten der Taliban zurückzuführen, sondern auch auf Grund von Intrigen von Anhänger von bestimmten Kandidaten, die durch die Unsicherheit in Kabul und anderen Großstädten, ihre Forderung durchsetzen wollen. Nach meiner Information ist die Bevölkerung von Kabul sehr verunsichert und die Wirtschaftstreibenden ziehen teilweise ihr Kapital aus Kabul ab. Die Anschläge in Kabul fordern hunderte Tote. Die Taliban sind schon soweit in Kabul eingedrungen, dass sie im August 2014 in der Militärakademie unter anderem einen amerikanischen General getötet haben. Dabei handelt es sich um eine sehr sichere Einrichtung. Es ist auf Grund dieser Aktivitäten nicht ausgeschlossen, dass eine Zivilperson solchen Anschlägen zum Opfer fällt. Anlässlich der Tötung von 3 ISAF-Soldaten wurden auch 13 Zivilisten getötet.
(Gutachten des Sachverständigen für Afghanistan, XXXX , vom 19.09.2014)
Im Jänner 2015 wurden drei US-Unternehmer am Flughafen in Kabul getötet. Unklar ist ob noch eine vierte Person zu Schaden kam - es gibt unterschiedliche Berichte über einen weiteren verletzten Amerikaner und einen getöteten Afghanen. Die Hintergründe sind noch unklar. Die Nachrichtenagentur Reuters schreibt unter Berufung auf die afghanische Luftwaffe, der Täter sei afghanischer Soldat. Die Nachrichtenagentur AP schreibt hingegen, die Identität des Schützen sei unklar. Demnach hätten offizielle US-Quellen die Toten bestätigt.
(SPIEGEL ONLINE, 29.01.2015)
Taliban-Kämpfer haben in Kabul das afghanische Parlament angegriffen, wobei 18 Zivilisten verletzt wurden. Nach Angaben der Polizei habe sich ein Selbstmordattentäter in einem Auto am Westtor des Parlaments in die Luft gesprengt, dann hätten andere Angreifer versucht, ins Parlament einzudringen. Polizisten eröffneten demnach das Feuer auf die Attentäter, die Angreifer flohen in ein nahe gelegenes Gebäude und lieferten sich von dort aus Gefechte mit den Sicherheitskräften. Soldaten und Polizisten seien zur Verstärkung entsandt worden. Der Sprecher des Innenministeriums sagte, alle sieben Angreifer seien von der Polizei getötet worden. Kein Mitglied des Parlaments sei verwundet worden. Der Sprecher des Gesundheitsministeriums sagte, 18 Zivilisten seien verletzt worden, darunter zwei Frauen und zwei Kinder. Die Polizei in der Hauptstadt macht die radikalislamischen Taliban für den Anschlag verantwortlich. Talibansprecher Zabihullah Mujahid sagte SPIEGEL ONLINE: "Unser Ziel war das afghanische Parlament, unerschrockene Mudschahidin haben das Gebäude getreten." Auch auf Twitter hatte Mujahid verkündet, dass "schwere Gefechte im Gange" gewesen sei-en. Demnach griffen die Taliban das Parlament an, als gerade der Verteidigungsminister ins Amt eingeführt wurde. Die Terrorgruppe hatte zuletzt immer wieder Regierungsziele angegriffen. Seit dem Ende des Nato- und US-Einsatzes sind die Taliban in dem Land wieder auf dem Vormarsch: Am Montagmorgen wurde bekannt, dass die Islamisten einen zweiten Distrikt im Norden Afghanistans eingenommen haben. Laut dem Chef der lokalen Verwaltung der Provinz Kunduz hätten die Taliban den Distrikt Dashti Archi aus vier Richtungen heftig angegriffen. Einheiten vor Ort würden viele Opfer beklagen, eine genaue Anzahl wurde je-doch nicht genannt. Am Sonntag hatten die Islamisten den Chardara-Distrikt in Kunduz ein-genommen.
(SPIEGEL ONLINE, Juni 2015)
Anfang August 2015 sprengte sich ein Attentäter in Uniform in der afghanischen Hauptstadt Kabul in einer Gruppe von Rekruten in die Luft. Dabei starben mindestens 20 Menschen, Dutzende wurden verletzt. Der Anschlag erfolgte weniger als 24 Stunden nach einem Bombenattentat in der Stadt: Bei einem Lkw-Bombenanschlag im Zentrum waren mindestens 15 Menschen ums Leben gekommen, weitere 250 wurden verletzt. Bisher hat sich niemand zu den Taten bekannt. Die Gewalt in Afghanistan hat in diesem Jahr noch einmal deutlich zugenommen. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind allein in den ersten sechs Monaten 2015 fast 5000 Zivilisten getötet oder verwundet worden. Die UNO machte die Taliban und andere Aufständische für 70 Prozent der zivilen Opfer verantwortlich.
(SPIEGEL ONLINE, Reuters, August 2015)
Sicherheitslage in den Provinzen Provinzen Ghazni, Helmand, Kandahar, Khost, Kunar und Nangarhar
Im Süden Afghanistans waren auch 2012 die meisten zivilen Opfer zu beklagen (46 Prozent). Der Fokus der regierungsfeindlichen Gruppierungen richtete sich jedoch zunehmend auf den Osten, wo die gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Folge rasant angestiegen sind. Insbesondere in Nangarhar haben die regierungsfeindlichen Gruppierungen eine signifikante Eskalation zur Verstärkung ihrer Hochburg im Osten unternommen. ANSO geht davon aus, dass es sich um eine strategische Positionierung im Hinblick auf 2014 handelt. Im Frühjahr 2013 konnten die regierungsfeindlichen Gruppierungen ihre Position im Osten weiter konsolidieren und auch im Süden sind die Angriffe erneut in die Höhe geschnellt. Die meist umkämpften Provinzen waren 2012/13 Kandahar, Nangarhar, Helmand, Khost, Kunar und Ghazni.
(Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 30. September 2013, S. 10f)
Bei einem Anschlag der Taliban auf Militärfahrzeuge der Nato auf einem Parkplatz eines Stützpunktes am Torkham-Checkpoint in der Provinz Nangarhar am 19. Juli 2014 kamen bei einem Feuergefecht alle drei Angreifer ums Leben. Die Gebäude liegen an einer wichtigen Nachschubroute der NATO.
Bei einem Anschlag der Taliban wurden am 20. Juni 14 in der Provinz Helmand im Bezirk Nad Ali drei US-Soldaten getötet, als ein Sprengsatz auf einem Motorrad detonierte.
(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Deutschland, Briefing Notes vom 23. Juni 2014)
Am 06. Juli 2014 wurden bei der Explosion einer Bombe auf einem Markt im Distrikt Maiwand in der Provinz Kandahar vier Zivilisten, ein Soldat und ein Polizist verwundet. Der Polizist erlag später seinen Verletzungen.
(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Deutschland, Briefing Notes vom 7. Juli 2014)
Bei einem Selbstmordanschlag in Afghanistan ist heute ein Cousin des scheidenden Präsidenten Hamid Karzai getötet worden. Nach Angaben der Behörden kam der als Gast verkleidete Attentäter zum Haus von Hashmat Karzai nahe der unruhigen südlichen Stadt Kandahar, um ihn zum religiösen Fest des Fastenbrechens zu grüßen. Als die beiden einander umarmten, zündete der Mann demnach einen Sprengsatz, den er unter seinem Turban versteckt hatte. Außer Karzai wurde niemand sonst verletzt oder getötet. Im Präsidentschaftswahlkampf hatte Hashmat Karzai zunächst für den Bruder von Hamid Karzai, Kayum Karzai, gearbeitet. Nachdem dieser seine Kandidatur zurückgezogen hatte, unterstützte er den Wahlkampf von Aschraf Ghani, der bei der Stichwahl um das Amt Mitte Juni gegen Abdullah Abdullah angetreten war.
(ORF Online, Turbanbombe tötet Cousin von Karzai vom 29. Juli 2014, Zugriff 29. Juli 2014)
Anschläge in ganz Afghanistan, unter anderem wurden auch Kontrollposten der Polizei von Taliban gestürmt. Zahlreiche Personen wurden getötet, darunter auch sechs Polizeioffiziere in der Provinz Kandarhar. In der Provinz Helmad, hat eine in einem Motorrad versteckte Bombe vier Zivilisten getötet und zahlreiche weitere verletzt. In Kabul wurde ein Armeeoffizier durch einen Sprengsatz getötet, seinen Fahrer verletzt. In der Stadt Herat hat ein Angreifer von seinem Motorrad aus zwei Armeeoffiziere getötet.
(The Washington Post, "Afghan gunmen kill 14 Shiite travelers on road from Kabul" 25. Juli 2014, Zugriff 28. Juli 2014)
Provinz Nangarhar
(siehe auch "Provinzen Ghazni, Helmand, Kandahar, Khost, Kunar und Nangarhar", Seite 14).
Bei einem Anschlag der Taliban auf Militärfahrzeuge der Nato auf einem Parkplatz eines Stützpunktes am Torkham-Checkpoint in der Provinz Nangarhar am 19.06.14 kamen bei einem Feuergefecht alle drei Angreifer ums Leben. Die Gebäude liegen an einer wichtigen Nachschubroute der NATO.
(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Deutschland, Briefing Notes vom 23. Juni 2014)
Eineinhalb Jahre vor Ende des Nato-Kampfeinsatzes haben die afghanischen Sicherheitskräfte offiziell im ganzen Land die Verantwortung übernommen. Dies sagte Präsident Hamid Karzai am 18. Juni 2013 in der Militärakademie bei Kabul. Zuvor hatte ein Selbstmordatten¬täter in Kabul drei Zivilisten getötet. Karzai sprach von einer verbesserten Sicherheitslage, doch hat sich diese laut Experten verschlechtert.
(TAZ: "Afghanen tragen jetzt die volle Verantwortung" vom 19. Juni 2013)
Unter anderem sind Hekmatyars Hezb-e Islami, Taliban, das Haqqani-Netzwerk und die Al Qaida in Nangarhar als regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv.
(Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 30. September 2013, S. 4f)
Der UNO-Generalsekretär erwähnt in einem Bericht vom März 2013, dass im Zeitraum vom 16. November 2012 bis 15. Februar 2013 insgesamt
3.783 sicherheitsrelevante Vorfälle ver-zeichnet wurden. Dies stellt einen 4-prozentigen Rückgang gegenüber dem gleichen Zeitraum ein Jahr zuvor dar. Die Zahl der zwischen 1. Jänner und 15. Februar 2013 verzeich-neten Sicherheitsvorfälle lag allerdings um 6 Prozent höher als im Vorjahr. Wie der UNO-Generalsekretär berichtet, ereigneten sich die meisten der zwischen 16. November 2012 und 15. Februar 2013 verzeichneten Vorfälle auch weiterhin in den Provinzen im Süden, Südosten und Osten des Landes. Die größte Zahl wurde in der Provinz Nangarhar verzeichnet.
(UN-General Assembly Security Council, The Situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, vom 5. März 2013)
Versorgungslage
Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung. Das World Food Programme reagiert das ganze Jahr hindurch in verschiedenen Landesteilen auf Krisen bzw. Notsituationen wie Dürre, Überschwemmungen oder extremen Kälteeinbruch. Auch der Norden - eigentlich die "Kornkammer" - des Landes ist extremen Natureinflüssen wie Trockenheit, Überschwemmungen und Erdverschiebungen ausgesetzt. Die aus Konflikt und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten haben zur Folge, dass ca. eine Million oder 29,5 % aller Kinder als akut unterernährt gelten.
(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, vom 4. Juni 2013)
Innerstaatliche Fluchtalternative
Die Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab. Die größeren Städte bieten aufgrund ihrer Anonymität eher Schutz als kleine Städte oder Dorfgemeinschaften. Für eine Unterstützung seitens der Familie kommt es auch darauf an welche politische und religiöse Überzeugung das jeweilige Heimatdorf dominiert. Für Frauen ist es kaum möglich, ohne familiäre Einbindung in andere Regionen auszuweichen.
Nach Ansicht von UNHCR besteht in umkämpften Gebieten keine interne Fluchtmöglichkeit. Da regierungsfeindliche Gruppierungen wie die Taliban, das Haqqani-Netzwerk oder Hekmatyars Hezb-e Islami über operationelle Kapazitäten verfügen, Personen im ganzen Land zu verfolgen, existiert für von diesen Gruppierungen bedrohte Personen auch in Gebieten, welche von der Regierung kontrolliert werden, keine Fluchtalternative. Die afghanische Regierung hat in zahlreichen Gebieten des Landes die effektive Kontrolle an regierungsfeindliche Gruppierungen verloren und ist dort daher nicht mehr schutzfähig. Betreffend die Verletzung sozialer Normen muss in Betracht gezogen werden, dass konservative Akteure auf allen Regierungsstufen Machtpositionen innehaben und dass weite Segmente der afghanischen Gesellschaft konservative Wertvorstellungen vertreten. UNHCR schließt für alleinerziehende Frauen ohne nahe männliche Angehörige eine innerstaatliche Fluchtalternative aus.
Risikogruppen:
In seinen "Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom August 2013" geht UNHCR (HCR/EG/AFG/13/01) von folgenden "möglicherweise gefährdeten Personenkreisen in Afghanistan" aus:
* Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen
* Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen
* Männer und Burschen im wehrfähigen Alter
* Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden
* Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen die Scharia verstoßen haben
* Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch die Taliban verstoßen
* Frauen
* Kinder
* Opfer von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind
* lesbische, schwule, bisexuelle, transgender und intersexuelle Personen (LGBTI)
* Angehörige ethnischer (Minderheiten‑)Gruppen
* an Blutfehden beteiligte Personen
* Familienangehörige von Geschäftsleuten und anderen wohlhabende Personen
Die Aufzählung ist nicht notwendigerweise abschließend. Je nach den spezifischen Umständen des Falls können auch Familienangehörige oder andere Mitglieder des Haushalts von Personen mit diesen Profilen aufgrund ihrer Verbindung mit der gefährdeten Person inter-nationalen Schutzes bedürfen.
Überdies können nach den genannten UNHCR-Richtlinien "Menschenrechtsverletzungen einzeln oder zusammen eine Verfolgung darstellen, wie etwa:
* die Kontrolle über die Zivilbevölkerung durch regierungsfeindliche Kräfte einschließlich der Einführung paralleler Justizstrukturen und der Verhängung ungesetzlicher Strafen sowie der Bedrohung und Einschüchterung der Zivilbevölkerung, der Einschränkung der Bewegungsfreiheit und der Einsatz von Erpressungen und illegalen Steuern
* Zwangsrekrutierung
* die Auswirkung von Gewalt und Unsicherheit auf die humanitäre Situation in Form von Ernährungsunsicherheit, Armut und Vernichtung von Lebensgrundlagen
* steigende organisierte Kriminalität und die Möglichkeit von lokalen Machthabern ("Warlords") und korrupten Beamten, in von der Regierung kontrollierten Gebieten straflos zu agieren
* die systematische Beschränkung des Zugangs zu Bildung und zu grundlegender Gesundheitsversorgung
* die systematische Beschränkung der Teilnahme am öffentlichen Leben, insbesondere für Frauen
Blutrache und Ehrenmord:
Der Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen, der Paschtunwali zählt zu den sogenannten Stammesgesetzen. Es handelt sich um Normen und Werte, zur Anleitung der sozialen Interaktion in der paschtunischen Gesellschaft. Von großer Bedeutung ist das auf die "Verteidigung der eigenen Interessen" gerichtete Tura-Konzept. Danach lebt das männliche Individuum in einer ihm feindlich gesonnen Umwelt, die ihm jederzeit seine Lebensressourcen (Frauen, Land etc.) und seine Position innerhalb der Gesellschaft streitig machen will. Diese Umstände fordern ein aggressives und kriegerisches Verhalten vom Paschtunen, mit dem er alles verteidigt, "worauf er einen Anspruch zu machen glauben kann." Manifestiert wird dieses Weltbild insbesondere in der Forderung nach Badal. Badal bedeutet "Ausgleich" in der Form von "Vergeltung nach dem Prinzip, Aug um Aug, Zahn um Zahn, Leben um Leben". Bei Verlust eines verteidigungsfähigen Mannes einer Gruppe, muss "dem Aggressor ebenfalls eine Verminderung seiner Verteidigungsfähigkeit zugefügt werden, um das vorher bestehende Ausgangsstadium und Gleichgewicht der Kräfte wiederherzustellen."
Zwar beinhaltet das Tura-Konzept auch die Forderung nach Nanawate, das als befriedendes Mittel eingesetzt wird. Doch fördert dieses nur nach erfolgtem Badal das Prestige des Paschtunen und Angebot und Annahme von Nanawate vor der Vergeltung gelten als Zeichen für Feigheit und Verteidigungsunfähigkeit und haben einen Ehrverlust zur Folge. Zu den schweren Normverstößen (Terai) zählen insbesondere 1. Tötung oder versuchte Tötung eines Menschen, ob unverschuldet oder verschuldet, 2. Körperverletzung oder versuchte Körperverletzung, d.
h. "jede dauerhafte und nicht dauerhafte Einschränkung eines Individuums in seiner körperlichen Funktionsfähigkeit" und 3. Ehrverletzung oder versuchte Ehrverletzung, d. h. "der durch Aktionen oder verbale Äußerungen dokumentierte Zweifel an der moralischen und ethischen Integrität des Individuums oder Gemeinwesens". Kommt es zu einem Normbruch, so wird dieser vom betroffenen Individuum festgestellt und die weitere Sanktionierung der Tat liegt in seiner Hand. Die Öffentlichkeit schreitet nicht in den Konflikt ein. Befriedungsversuche scheitern meist. Um ihre Ehre wiederherzustellen und sich nicht der Feigheit verdächtig zu machen, bevorzugen meist beide Parteien die Konfliktlösung durch Badal. Das Badal stellt eine legitime Reaktion dar, wenn es in seinem Ausmaß der Tat gleichgestellt ist. Das erreichte Badal bedeutet jedoch nicht immer das Ende des Konflikts. Eine Reaktion der Gegenpartei bricht zwar erneut mit der Norm, jedoch ist sie im Sinne des Rechts auf Blutrache legitim und wird auch vom Gemeinwesen anerkannt. Aus diesem Grund ist eine Eskalation der Konflikte nicht selten. Das Paschtunwali führte zu einer Ordnung und bot die Existenzgarantie für die Paschtunen. Ein Teil dieses Kodex, mit modernen Rechtsnormen verwoben, könnte eine zukünftige afghanische Rechtsnorm bilden, die auch einfacher von der afghanischen Gesellschaft akzeptiert werden würde. Viele Elemente des Paschtunwali, z. B. die Jirgas, wurden vom afghanischen Staat übernommen. Als die Amerikaner nach dem 11. September 2001 auf der Suche nach einer Neustrukturierung Afghanistans waren, war es die Loya Jirga, die der Regierung Karzai ihre Legitimität gab. Im Laufe der Zeit wurde das Paschtunwali überwiegend mündlich, teilweise auch schriftlich fixiert. Die zunächst für die Zusammenarbeit der Stämme und Sippen konzipierten Direktiven des Paschtunwali avancierten nicht nur zu Werten der Gemeinschaft, sondern nahmen auch regulative Funktionen ein. Gesetze wie Gastrecht, Asadi (Freiheit), Esteqlal oder Khpolwaki (Unabhängigkeit) sind in allen afghanischen Volksgruppen und Ethnien vorhanden, allerdings nicht unter dem Begriff Paschtunwali. Über ein straffes Stammesrecht verfügen jedoch nur Turkmenen und Paschtunen. Die Blutrache ist ein Prinzip zur Sühnung von Verbrechen, indem Tötungen durch Tötungen gerächt werden. Innerhalb der Fehde, stellt die Blutrache die Ultima Ratio der Konfliktbewältigung dar. Der Ehrenmord bezeichnet die vorsätzliche Tötung bzw. Ermordung eines Menschen, durch die, aus der Sicht des Täters, die Ehre einer bestimmten Person oder einer Personengruppe oder des Getöteten vermeintlich wiederhergestellt werden soll. In der Praxis ist eine klare Unterscheidung oftmals nur schwer möglich, da in vielen Fällen ein Ehrenmord die Ursache für eine Blutrache sein kann. Bei der Blutrache straft die Familie des Opfers den Täter und seine Familie aus der Absicht heraus, die vermeintlich verlorene Familienehre wiederherzustellen. Motive und die Praxis der Blutrache sind eins zu eins auch in Afghanistan zu finden. Auch dort üben die Familie und Angehörigen bzw. der Stamm des Opfers - je nach der Schwere der Tat - Rache an dem Täter, seiner Familie bzw. seinen biologischen männlichen Verwandten oder - im Falle der Ausbreitung des Konfliktes auf die Stammesebene - an den Stammesangehörigen, was eine hohe Anzahl an Opfern fordern kann. Die Tat wird durch den Paschtunwali gerechtfertigt. Der Staat und die Regierung in Afghanistan waren noch nie in der Lage, im ganzen Land die Selbstjustiz zu verhindern und die Täter zur Verantwortung zu ziehen, besonders nicht in den letzten drei Jahrzehnten, in denen im ganzen Land Kriegszustand herrschte. Durch die kriegerischen Auseinandersetzungen wurden zudem zahlreiche Schulen und Ausbildungszentren zerstört, dementsprechend ist das Bildungsniveau zurückgegangen.
Häufigste Auslöser von Konflikten, die in weiterer Folge Blutrache verursachen sind bei den Afghanen Sar (Kopf), Zan (Frau) und Zamin (Land). Sar (Kopf) umfasst Tötungsdelikte, Körperverletzungen und Verstöße gegen die Ehre des Individuums oder Gemeinwesens. Nach Tötungen beginnt die Blutrache. Der Täter wird von der Gegner-Familie getötet oder er flieht und verlässt die Ortschaft. Das trifft meist zu, wenn der Täter behördlich nicht festgenommen und gerichtlich verfolgt wird. Die Gründe und Umstände unter denen es zu Blutrache kommt, unterscheiden sich im gesamten Land kaum voneinander. In den paschtunischen Gebieten steht das Gewohnheitsrecht, bedingt durch die Stammesstruktur und deren Gepflogenheiten, meist an erster Stelle. Die Menschen wenden sich dort für gewöhnlich nur dann an den Staat, wenn alle gewohnheitsrechtlichen Bemühungen aussichtslos geblieben sind und ein Konflikt bereits jahrelang andauert. Unterschiede sind allerdings in der Frage nach dem Betroffenenkreis zu beobachten. In den paschtunischen Gebieten breitet sich der Kreis auf die männlichen Verwandten ersten Grades der auf- und absteigende Linie der männlichen Geschwister und deren männlicher Abkömmlinge, weiters auf Onkel und deren Söhne, Cousins und deren Söhne und sogar auf diejenigen, die dem Feind Schutz gewährt haben, aus. Dieselbe Verwandtschaftslinie ist auch bei der verfeindeten Partei betroffen. Das ist der Grund, warum sich Konflikte, die länger dauern, zunächst auf die Ebene des Dorfes und in weiterer Folge auf die Stammesebene ausbreiten. In Norden, Nordosten sowie dem Zentrum des Landes, die von anderen afghanischen Volksgruppen besiedelt sind, ist der Betroffenenkreis auf den Vater, den Bruder und dessen Söhne sowie den Onkel und dessen Söhne beschränkt. In Nord- und Zentralafghanistan fühlen sich die Menschen zur Selbstjustiz verpflichtet, wenn die Zentralregierung zu schwach ist, um den Menschen den notwendigen Schutz zu gewähren und ihre Rechte zu sichern. Somit kann eine Verpflichtung zur Blutrache entstehen. Der Gesellschaftsdruck ist ähnlich groß wie in den paschtunischen Gebieten. Die Pflicht zur Blutrache wird de facto von der Gemeinschaft vorgeschrieben. Gleiches gilt für den Nordosten. Um den Namen und die Ehre der Familie zu schützen, wird die Blutrache verübt und zwar als Pflicht. Es ist in dieser Provinz, die auch teilweise von Paschtunen besiedelt ist, und unter den Paschtunen zum großen Teil üblich, dass, wenn es dem Betroffenen in seinem Leben nicht gelingt, Rache zu nehmen, diese Verpflichtung an seine Kinder übertragen wird. Diese sind dann verpflichtet, die Rache, die der Vater zu Lebzeiten nicht nehmen konnte, auszuführen.
Zur Annahme einer Kompensationszahlung ist die Opfer-Familie im Falle einer Tötung meist nur bereit, wenn sie zu schwach ist, um eine legitime Rache mit den daraus folgenden Reaktionen der gegnerischen Gruppe durchzufechten, denn nur dann wäre die Annahme der Zahlung ohne Prestigeverlust möglich. Auch die Täter-Familie wird in der Regel das Zahlen einer Kompensationszahlung weit von sich weisen, um nicht in den Verdacht der Feigheit zu kommen und mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, Angst vor der Badal-Reaktion der Gegner zu haben. Nur im Falle eines offensichtlichen und eindeutigen Unglücksfalles kann Zahlung und Annahme einer Kompensationszahlung auf eine Ersttötung ohne Prestigeverlust für beiden Seiten erfolgen. Zwischen der letzten Aktion innerhalb der Auseinandersetzung und Konfliktbeilegung vergehen in der Regel mehrere Jahre, denn die Parteien warten auf den richtigen Moment und zeigen meist keine Eile. Nach der Ausübung des Racheaktes, durch den die Ehre wiederhergestellt wird, ist es möglich, dass die Familie wieder an den Geburtsort bzw. Hauptwohnsitz zurückkehrt. Wenn sie aber weiterhin nicht in der Lage ist, neben dem mächtigen Feind zu leben, wird sie die Gegend für immer verlassen. In den Städten wenden sich die Familien auch an die staatlichen Behörden. Wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden, kommt zum Schutz der Familienehre wieder Selbstjustiz in Betracht. Vor dem Krieg war es dem Staat möglich, sich in diese Konflikte einzumischen und somit die Kämpfe einzudämmen. Nachdem die jeweiligen Zentralregierungen in den letzten drei Jahrzehnten jedoch nicht in der Lage waren, das ganze Land unter ihre Kontrolle zu bringen, sowie aufgrund des andauernden Kriegszustandes und einer nicht funktionierenden Staatsgewalt, kommt es immer öfter zu Fällen von Selbstjustiz und die regionalen Machthaber bzw. Kommandanten haben das Sagen.
Auf das Phänomen der Blutrache geht auch der UNHCR in seinem Update zu den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom Dezember 2007 (Eligibility Guidelines) allgemein ein. Diese bestehe aus einem langfristigen Zyklus von Racheakten. Die Familie eines getöteten oder anderweitig geschädigten oder entehrten Opfers würde versuchen, die Täter beziehungsweise deren Familien oder Stammesangehörigen zu töten, zu verletzen oder öffentlich zu demütigen. Die Tradition der Blutrache habe sich im Zuge jahrzehntelangen Krieges und Konfliktes ausgebreitet und sei jetzt auch unter bewaffneten Gruppen üblich, inklusive solche nicht-paschtunischer Herkunft wie Tadschiken, Usbeken und Hazaras. Personen, die als Täter einer Handlung betrachtet würden, sind das Hauptziel von Blutrache. Weitere Personengruppen, die von Blutrache betroffen werden könnten, sind unter anderem nahe Verwandte solcher Personen, darunter auch Kinder, sobald sie die Volljährigkeit erreicht haben.
In einem Positionspapier vom Februar 2009 vermerkt die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) bezüglich Personen, denen Blutrache angedroht worden ist: "Die Sicherheit von Personen, denen Blutrache angedroht wurde, ist nicht gewährleistet. Das Recht der Blutrache gilt heute noch vor allem in den ländlichen Stammesgebieten. Es kann über mehrere Generationen vererbt werden und alle männlichen Mitglieder eines Klans betreffen."
Situation von Angehörigen der Glaubensrichtung der schiitischen Ismaeliten in BAGHLAN und Afghanistan allgemein: In einer Übersicht aus dem Jahr 2001 beschreibt BBC die schiitischen Ismailiten als eine regionalbezogene religiöse Minderheit. Ethnisch würden sich die Ismailiten vor allem aus Hazara, Tadschiken und Paschtunen zusammensetzen.
Wie das US Department of State (USDOS) in seinem Länderbericht zur Religionsfreiheit vom Juli 2012 (Berichtszeitraum: 2011) bemerkt, leben die Ismailiten vor allem konzentriert im nordöstlichen Landesteil Afghanistans. In der nordafghanischen Stadt Mazar-e Sharif würden sowohl Sunniten als auch Schiiten, darunter auch Ismailiten, leben. In Kabul und anderen Gebieten würde die Bevölkerung unter anderem Sunniten, Schiiten, Sikhs, Hindus und Bahai umfassen.
3. Beweiswürdigung:
Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:
Zur Person und zum Vorbringen des BF:
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BAA und des vorliegenden Gerichtsakts des Bundesverwaltungsgerichts.
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Name, Geburtsdatum und Geburtsort) getroffen wurden, beruhen diese auf dem Gesamtgutachten des XXXX Institutes für klinisch-forensische Bildgebung vom 20.10.2009, den vom BAA im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde, sowie auf den diesbezüglichen Angaben des BF in der VH am 12.10.2015.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und zur Religionszugehörigkeit, zur Herkunft und zu den Lebensumständen des BF im Herkunftsstaat und in Österreich stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben im Verfahren vor dem BAA und in der VH, auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Paschtu sowie auf die Kenntnis der geografischen Gegebenheiten Afghanistans.
Die Feststellungen zur Ausreise des BF aus Afghanistan, zur weiteren Reiseroute sowie zur unrechtmäßigen und schlepperunterstützten Einreise nach Österreich stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF.
Die Feststellungen zu den Gründen des BF für das Verlassen seines Herkunftsstaates basieren auf seinen Angaben anlässlich seiner EB am 27.08.2009 und seiner Einvernahmen vor dem BAA, auf den oben unter Punkt I. (Verfahrensgang) näher bezeichneten Eingaben samt Beilagen und seinen Aussagen in der VH am 12.10.2015.
Zu den Darlegungen des BF hinsichtlich der Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates ist vorab darauf hinzuweisen, dass das Vorbringen eines Asylwerbers im Allgemeinen dann glaubhaft ist, wenn es vier Grunderfordernisse erfüllt (diesbezüglich ist auf die Materialien zum Asylgesetz 1991 [RV270 Blg. NR. 18. GP; AB 328 Blg NR 18. GP] zu verweisen, die wiederum der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entnommen wurden):
Das Vorbringen des Asylwerbers ist genügend substantiiert. Dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen.
Das Vorbringen muss, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.
Das Vorbringen muss plausibel sein, d.h. mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Diese Voraussetzung ist ua. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen.
Der Asylwerber muss persönlich glaubwürdig sein. Das wird dann nicht der Fall sein, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt ist, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet einsilbig und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert.
Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck ist, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt (siehe etwa VwGH 24.06.1999, Zahl: 98/20/0435 bzw. VwGH 20.5.1999, Zahl:
Der BF machte zur geltend gemachten Verfolgung aus Blutrache hinsichtlich der grundlegenden Eckpunkte im Verlauf des gesamten Verfahrens im Wesentlichen gleichbleibende Angaben und konnte seine Furcht vor einer Bedrohung und Verfolgung durch Angehörige einer bereits mit seinem Vater verfeindeten Familie letztlich glaubhaft darlegen.
Der BF gab bereits im Rahmen der EB an, dass sein Vater im Jahr 2007 ums Leben gekommen sei, und führte vor dem BAA die näheren Umstände dazu näher aus. So berichtete er von Streitigkeiten seines Vaters wegen eines vom Großvater des BF geerbten Grundstücks und von den Vorkommnissen mit der Familie der Cousins seines Vaters, die schließlich zu dessen Tod führten. Dabei sprach er sowohl vom Versuch der Cousins, das Grundstück mit gefälschten Grundstückspapieren zu erlangen, sowie auch von der diesbezüglich einberufenen Jirga, deren Entscheidung zugunsten seines Vaters ausgegangen sei. Ferner gab er auch an, wie sein Vater gefunden wurde, und dass der Bruder seines Vaters von den mutmaßlichen Tätern erfuhr und in der Folge zwei Mitglieder deren Familie tötete. Damit schilderte er die Hintergründe für seine behauptete Verfolgung, soweit es ihm mangels Anwesenheit bei den einzelnen Ereignissen (Ermordung seines Vaters bzw. dessen Cousins) möglich war, bereits vor der belangten Behörde einigermaßen konkret und nachvollziehbar.
Es ist zwar einzuräumen, dass der BF im Rahmen der EB von einem durch Grundstücksstreitigkeiten hervorgerufenen Blutrachekonflikt keine Erwähnung machte, jedoch ist sein diesbezügliches Vorbringen in der Beschwerde, wonach er vom Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes angehalten worden sei, seine Fluchtgründe lediglich kurz zu schildern, und er schon damals psychisch schwer traumatisiert und daher nicht in der Lage gewesen sei, ausführlich über alle Details seiner traumatischen Erlebnisse zu berichten, vor dem Hintergrund der in weiterer Folge bei ihm festgestellten posttraumatischen Belastungsstörung plausibel und glaubhaft. Es darf nämlich nicht übersehen werden, dass für den BF in weiterer Folge ein Sachwalter bestellt werden musste und sich aus den vorgelegten medizinischen Befunden und Gutachten eindeutig ergibt, dass es ihm aufgrund dieser Erkrankung äußerst schwer fällt, über die vergangenen Ereignisse in der Heimat zu sprechen. Auch ist es verständlich, dass er im Rahmen der eingeschränkten EB zunächst lediglich eine mögliche Verfolgung seitens der Taliban erwähnte, wobei zu berücksichtigen ist, dass sich die EB gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 grundsätzlich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu bezieht. Auch der Einwand der belangten Behörde, dass der BF das diesbezügliche Vorbringen erst im Zuge der Einvernahme am 21.06.2010 geltend gemacht und dieses davor (seit August 2009) mit keinem Wort erwähnt habe, ist nicht geeignet, seine Glaubhaftigkeit grundlegend in Zweifel zu ziehen.
Auch die anschaulichen und schlüssigen Schilderungen des BF in der VH lassen sich im Wesentlichen mit seinem bisherigen Vorbringen und mit den Beschwerdeausführungen in Übereinstimmung bringen können insofern als plausibel, widerspruchsfrei und ausreichend detailliert angesehen werden. Auch der persönliche Eindruck, den der BF in der VH hinterließ, lässt die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass er das Geschilderte auch tatsächlich erlebt hat.
Das Vorbringen des BF findet auch Deckung in den einschlägigen Länderberichten, insoweit diesen zu entnehmen ist, dass Blutfehden durch Morde ausgelöst werden und [...] zu lang anhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen können. Nach dem sog. Pashtunwali muss sich die Rache grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. [...] (siehe UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 6. August 2013).
Zusammengefasst erweisen sich daher die Aussagen des BF insgesamt als ausreichend umfangreich, in den wesentlichen Bereichen frei von Widersprüchen und vor dem Hintergrund der einschlägigen Länderfeststellungen als durchaus plausibel. Es kann daher auch als ausreichend wahrscheinlich angenommen werden, dass der BF im Falle der Rückkehr in seine Heimatprovinz von Angehörigen der verfeindeten Familie wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich jener der Familienangehörigen seines Vaters bzw. seines Onkels väterlicherseits, verfolgt und unter Umständen sogar getötet werden würde. Da der BF bis zu seiner Ausreise in der Provinz Nangarhar lebte und nunmehr in anderen Landesteilen seiner Heimat keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte hat, ist auch nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit vom Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auszugehen.
In einer Gesamtbetrachtung kommt das Bundesverwaltungsgericht daher zum Schluss, dass das Vorbringen des BF zu seinen Fluchtgründen nachvollziehbar erscheint und damit nicht als unglaubhaft qualifiziert werden kann. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat durch Angehörige der verfeindeten und auf Blutrache sinnenden Familie massiv verfolgt oder gar getötet wird.
Bei dieser Schlussfassung konnte eine Auseinandersetzung mit seinem weiteren Fluchtvorbringen (Rekrutierung durch seinen Onkel väterlicherseits bzw. Verfolgung durch diesen oder durch die Taliban wegen einer allenfalls unterstellten anderen politischen Gesinnung) unterbleiben.
Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die oben getroffenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage in Afghanistan. Hierbei wurden Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des deutschen Auswärtigen Amtes und des US Department of State, eben-so herangezogen, wie Informationen internationaler Organisationen, wie z.B. des UNHCR, sowie Berichte allgemein anerkannter und unabhängiger Nichtregierungsorganisationen, wie etwa Amnesty International, ANSO, Human Rights Watch oder der Schweizerische Flüchtlingshilfe. Zudem wurden den Feststellungen Gutachten der oben bezeichneten Sachverständigen für Afghanistan zugrunde gelegt.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Um-standes, dass diese Berichte und Gutachten auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben und Gutachten zu zweifeln.
Die in der VH erörterten Feststellungen und Erkenntnisquellen zur Lage im Herkunftsstaat wurden für den BF übersetzt und ihm zur Einsicht angeboten. Die Vertreterin seines Sachwalters gab dazu an, aus den Länderfeststellungen sei klar ersichtlich, dass die Sicherheitslage in Afghanistan, insbesondere in der Heimatregion des BF äußerst instabil und das gesamte afghanische Staatsgebiet, inklusive der Hauptstadt, von Anschlägen betroffen sei. Von der Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme wurde kein Gebrauch gemacht. Ansonsten wurden im Verfahren keinerlei Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Zweifel aufkommen ließen.
4. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005 sind alle mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren ab 01.01.2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Abs. 20 leg. cit. zu Ende zu führen. Die gegenständliche - noch an den Asylgerichtshof gerichtete - Beschwerde wurde am 13.08.2010 beim BAA eingebracht und ist nach Vorlage durch dieses am 24.08.2010 beim Asylgerichtshof eingelangt. Seit 01.01.2014 ist das Bundesverwaltungsgericht für die Behandlung der Beschwerde zuständig.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes - AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 15 AsylG 2005 hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.
Gemäß § 18 AsylG 2005 hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
Gemäß § 3 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in der Folge GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes [Statusrichtlinie] verweist).
Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 leg. cit.) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 leg. cit.) gesetzt hat.
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, Zahl: 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, Zahl: 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, Zahl: 2001/20/0011; VwGH 28.05.2009, Zahl:
2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, Zahl: 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, Zahl: 2001/20/011; VwGH 28.05.2009, Zahl: 2008/19/1031). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, Zahl: 95/01/0454; VwGH 09.04.1997,
Zahl: 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, Zahl: 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.02.2000,
Zahl: 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.
Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 09.03.1999, Zahl: 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, Zahl: 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, Zahl: 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, Zahl: 94/19/0183; VwGH 18.02.1999, Zahl: 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, Zahl: 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, Zahl: 98/20/0233).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zahl: 99/01/0256).
Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zahl: 98/01/0370; VwGH 22.10.2002, Zahl: 2000/01/0322).
Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zahl: 98/01/0503 und Zahl: 98/01/0648).
Die Glaubwürdigkeit des Vorbringens nimmt die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung ein (VwGH vom 20.06.1990, Zahl: 90/01/0041).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben entsprechende Empfehlungen internationaler Organisationen Indizwirkung (vgl. zum Kosovo die Erkenntnisse vom 16. Juli 2003, Zahl: 2003/01/0059, mwN, sowie vom 17. September 2008, Zahl:
2008/23/0588, mwN). Diese Indizwirkung bedeutet nicht, dass die Asylbehörden in Bindung an entsprechende Empfehlungen des UNHCR Asyl oder Abschiebeschutz zu gewähren haben. Vielmehr hat die Asylbehörde, wenn sie in ihren Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Einschätzung des UNHCR nicht folgt, beweiswürdigend darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat kommt (siehe VwGH 19.03.2009, Zahl: 2006/01/0930).
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
Wie oben bereits ausgeführt, konnte im konkreten Fall der BF den von ihm erlebten Sachverhalt glaubhaft machen.
Eine Gefährdung des BF erscheint auf Basis seines Vorbringens und der Quellenlage maßgeblich wahrscheinlich. Bei der Beurteilung des Vorliegens einer (ausreichend wahrscheinlichen) Verfolgungsgefahr ist bei der zu treffenden Prognoseentscheidung darauf abzustellen, ob sich eine Verfolgungsgefahr aufgrund äußerer Umstände und allenfalls aufgrund bereits geschehener Ereignisse ergibt, wobei auch die politische Situation des Heimatlandes zu berücksichtigen ist. Es ist durchaus möglich, dass aus dem, was Freunden, Verwandten und anderen Angehörigen seiner Rasse oder sozialen Gruppe geschehen ist, der Schluss gezogen werden kann, auch der Asylwerber selbst werde früher oder später ein Opfer der Verfolgung (vgl. VwGH vom 12.09.1996, Zl. 95/20/0288 sowie VwGH vom 11.11.1998, Zl. 98/01/0274).
Im vorliegenden Fall liegt der Anknüpfungspunkt zu einem Konventionsgrund in der Zugehörigkeit des BF zu einer sozialen Gruppe, nämlich zur sozialen Gruppe der Familie. Die Asylrelevanz einer Verfolgung wegen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe "Familie" wurde in der Rechtsprechung schon wiederholt klargestellt (vgl. etwa VwGH 11.11.2009, Zl. 2008/23/0366, auch VwGH 26.02.2002, Zl. 2000/20/0517). Ein Kausalzusammenhang zwischen der Verfolgung durch die Gegner seines Vaters und der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie (seines Vaters) ist beim BF gegeben.
Die asylrechtliche Relevanz des Vorbringens des BF ist auch nicht etwa deshalb zu verneinen, weil es sich um Übergriffe von Privatpersonen handelt. Für die Asylgewährung ist nicht von entscheidender Bedeutung, dass die mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Eingriffe nicht direkt von staatlicher, sondern von dritter Seite drohen oder dass diese von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet werden. Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er aufgrund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm dieser Nachteil aufgrund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 22.03.2000, Zahl: 99/01/0256, VwGH 14.05.2002, Zahl: 2001/01/0140; siehe weiters VwGH 24.05.2005, Zahl:
2004/01/0576, VwGH 26.02.2002, Zahl: 99/20/0509).
Fallbezogen ist ferner grundlegend zu berücksichtigen, dass der BF vor dieser Bedrohung angesichts der ineffizienten Schutzmechanismen (kein funktionierender Polizei- oder Justizapparat) sowie der instabilen Sicherheitslage durch den afghanischen Staat aktuell nicht effektiv und ausreichend geschützt werden kann. Zudem hat die afghanische Regierung in zahlreichen Gebieten des Landes die effektive Kontrolle an regierungsfeindliche Gruppierungen verloren und ist daher dort nicht mehr schutzfähig. Es ist daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der BF angesichts des ihn betreffenden Verfolgungsrisikos keinen ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden würde.
Im vorliegenden Fall kann daher mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der BF wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich jener der Familienangehörigen seines Vaters bzw. seines Onkel väterlicherseits, insbesondere durch die Vergeltungsmaßnahmen seines Onkels Gefahr läuft, von schweren Vergeltungsmaßnahmen betroffen zu sein. Einer solchen Verfolgung könnte der BF lediglich dadurch entgehen, dass er sich in einer sicheren Region Afghanistans niederlassen könnte. Allerdings ist im Verfahren nicht hervorgekommen, dass er außerhalb seiner Heimatregion eine tragfähige verwandtschaftliche Beziehung vorfinden würde.
Aufgrund des hinreichend glaubhaften Vorbringens des BF kann insgesamt nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass er wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein werde, bzw. dass ihm im Falle seiner Rückkehr wegen der Vergeltungsmaßnahmen seines Onkels gegen die Familie der mutmaßlichen Mörder seines Vaters mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung durch deren Angehörige in Form einer Gefährdung an Leib und Leben drohe, er also aus dieser befürchteten Verfolgung einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil zu gewärtigen hat.
Zusammenfassend ist sohin objektiv nachvollziehbar, dass sich der BF aus wohlbegründeter Furcht, aufgrund seiner Zugehörigkeit zur genannten sozialen Gruppe verfolgt zu werden, außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.
Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde des BF stattzugeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Zum Spruchteil B):
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war.
Die oben dargelegte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich weitgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
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