VwGH 2004/01/0576

VwGH2004/01/057624.5.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Mag. Andreas Edlinger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stadiongasse 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. Oktober 2004, Zl. 253.174/0-V/13/04, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein ägyptischer Staatsangehöriger, befindet sich seit 1986 im Bundesgebiet und beantragte mit schriftlicher Eingabe vom 20. Juli 2004 die Gewährung von Asyl. Bei seiner Ersteinvernahme begründete er diesen Antrag damit, dass er in Ägypten aus religiösen Gründen verfolgt werde, weil er der koptisch-orthodoxen Religionsgemeinschaft angehöre. Im Einzelnen führte er aus:

"Ich habe 1984 in Ägypten, in Suhag, an der Universität ein Pädagogikstudium begonnen. Von Anfang an lebte ich mit vier anderen wechselnden Studenten in einer Wohngemeinschaft. Abdulsabur, ein Moslem, wohnte bereits dort, als ich 1984 einzog. In der Zeit des Jahreswechsels 1985 auf 1986 kam ich mit Abdulsabur über Religion zu sprechen. Ich erzählte ihm von meinem Glauben. Ohne dass ich ihn bedrängt hatte, wollte er sich drei Tage nach unserem Gespräch taufen lassen. Ich ging mit ihm zu einem Priester, der ihn taufte. Wenige Tage nach der Taufe wurde Abdulsabur von unbekannten Personen umgebracht, weil er konvertiert war. Nach dem Koran steht darauf die Todesstrafe. Die Tat geschah während der Weihnachtsferien. Ich erfuhr zu Hause in El Safiha davon. Nach den Ferien kehrte ich nach Suhag zurück. Dort wurde ich dann von einem Bruder von Abdulsabur mit einem Holzprügel, in dem ein Nagel steckte, attackiert und am linken Fuß im Bereich der Wade verletzt. Ich konnte danach aufgrund der Verletzung vier Wochen lang fast nicht gehen. Als er mich angriff, rief er andere Leute zu Hilfe. Er rief nur: 'Er ist da, er ist da!' Mir gelang es aber zu flüchten. Ich ging zu meinem Priester. Er versorgte meine Wunde und stellte den Kontakt mit einem Anwalt her. Der Anwalt riet mir, nicht zur Polizei zu gehen. Er sagte zu mir, es wäre das Beste, wenn ich Ägypten verlasse und ins Ausland gehe, um mein Leben zu retten. Ich befolgte seinen Rat, ging nicht zur Polizei und verließ im September 1986, nachdem ich mich in El Esmailiye versteckt hatte, Ägypten. Ich wollte eigentlich nicht als Flüchtling leben. Daher habe ich erst jetzt einen Asylantrag gestellt. Ich fürchte, falls ich nach Ägypten zurückkehren muss, dass ich dort umgebracht werde."

Mit Bescheid vom 4. September 2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ägypten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG als zulässig und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet aus. Das Bundesasylamt traf Feststellungen zur Situation der Kopten in Ägypten, in deren Rahmen es ua. ausführte, dass Kopten von Seiten des Staates keineswegs aktiv verfolgt würden und genauso den demokratiepolitischen Unzulänglichkeiten ausgesetzt seien wie Moslems. Es stellte weiters fest, dass es seit 1992 vor allem in Mittelägypten wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Moslems und Christen gekommen sei, bei denen bisher einige hundert Christen getötet worden seien. Von Seiten des Militärs und der Justiz würden moslemische Attentäter jedenfalls verfolgt, von einer Begünstigung von Übergriffen auf Christen seitens des Staates könne nicht gesprochen werden. In Mittelägypten sehe sich auch der Staat als Opfer islamischen Terrors und unternehme daher auch im eigenen Interesse Anstrengungen zu dessen Unterbindung. Bei der überwiegenden Zahl von gewalttätigen Auseinandersetzungen in Mittelägypten stünden sich Islamisten und Polizei gegenüber. Zusammenfassend ergebe sich, dass Kopten in Ägypten im Vergleich zur Bevölkerungsmehrheit der Moslems mehr Beschränkungen ausgesetzt seien, insbesondere was die Besetzung einflussreicher Posten betreffe. Das traditionelle Desinteresse der Kopten am politischen Leben habe zur Folge, dass koptische Belange nur sehr beschränkt von der Öffentlichkeit und der Regierung wahrgenommen würden. Gewalt gegen Kopten werde nicht vom Staat initiiert. Eine besondere Förderung der Kopten bzw. die Anerkennung als Minderheit gebe es nicht.

Was die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers anlange, so müsse darauf - so das Bundesasylamt weiter - mangels Asylrelevanz dieses Vorbringens nicht eingegangen werden. Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte bzw. befürchtete Übergriff durch einzelne Dritte stelle auch in seinem Heimatstaat eine strafbare Handlung dar, die von den zuständigen Strafverfolgungsbehörden bei Kenntnis verfolgt und geahndet werde. Eine Billigung "dieses Übergriffs" durch die ägyptischen Behörden könne nicht erkannt werden. Der Beschwerdeführer habe auch nicht dargetan, dass "dieser Übergriff" von den Behörden seines Heimatlandes geduldet worden sei oder dass er, hätte er sich an sie gewendet, keinen Schutz erhalten hätte. Es liege außerhalb der Möglichkeit eines Staates, jeden denkbaren Übergriff Dritter präventiv zu verhindern. Dass der ägyptische Staat den vom Beschwerdeführer genannten Übergriff weder dulde noch fördere, sei als gegeben anzunehmen, weshalb der Asylantrag abzuweisen gewesen sei. Auch die Gewährung von Refoulement-Schutz komme nicht in Betracht, der verfügten Ausweisung stehe Art. 8 EMRK nicht entgegen.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 4. Oktober 2004 gemäß §§ 7, 8 AsylG ab. Es werde der Entscheidung des Bundesasylamtes "vollinhaltlich beigetreten" und es würden die begründenden Passagen des erstinstanzlichen Bescheides zum Inhalt des Berufungsbescheides erklärt werden.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat sich die Überlegungen des Bundesasylamtes zu Eigen gemacht. Diese Überlegungen sind jedoch nicht geeignet, die Abweisung des gegenständlichen Asylantrages zu tragen.

Zunächst ist klarzustellen, dass die vom Beschwerdeführer behauptete außerstaatliche Verfolgung auch dann maßgeblich wäre, wenn ungeachtet staatlichen Schutzes - dem es dann freilich an der erforderlichen Effektivität fehlte - der Eintritt eines asylrelevante Intensität erreichenden Nachteils aus der von privater Seite ausgehenden Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0256, und - mit umfangreicher Darlegung der Judikatur - das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509). Die oben wiedergegebenen Erwägungen des Bundesasylamtes lassen sich zwar insgesamt in diesem Sinn deuten. Die Annahme, es bestehe für den Beschwerdeführer ausreichender staatlicher Schutz, entbehrt jedoch einer näheren Begründung. Zutreffend weist die Beschwerde in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Feststellungen zur Situation der Kopten in Ägypten allgemeiner Natur sind und sich nicht mit dem konkreten Problem des Beschwerdeführers (Bedrohung, weil er dafür verantwortlich sei, dass ein - unmittelbar darauf aus diesem Grund ermordeter - Moslem zum Christentum konvertiert sei) auseinander setzen. Völlig übergangen wird insbesondere die Darstellung des Beschwerdeführers, es sei ihm von einem Rechtsanwalt abgeraten worden, zur Polizei zu gehen, und er (Beschwerdeführer) habe sich bis zum Verlassen Ägyptens im September 1986 (somit rund acht Monate) versteckt gehalten. Jedenfalls vor dem Hintergrund dieses Vorbringens wäre es Aufgabe der Asylbehörden gewesen, die Frage der Schutzfähigkeit der ägyptischen Behörden in Fällen, in denen wie vorliegend ein koptischer Christ wegen Verstoßes gegen Regeln des Koran ins Blickfeld gewalttätiger islamistischer Kreise geraten ist, auszuleuchten.

Die Erwägungen des Bundesasylamtes für seine Entscheidung nach § 7 AsylG haben sich auf den eben behandelten Komplex "staatlicher Schutz" beschränkt. Der Vollständigkeit halber sei allerdings angemerkt, dass auch die vom Bundesasylamt zur Begründung des Ausspruchs nach § 8 Abs. 1 AsylG angestellten Überlegungen eine negative Asylentscheidung nicht rechtfertigen könnten: Wenn dort ausgeführt wird, die vorgebrachten Ereignisse lägen zu lange zurück, um eine aktuelle Bedrohung befürchten zu lassen, so mangelt es auch hier an ausreichenden Ermittlungsergebnissen; dass es seit 1986 zu keinen Verfolgungshandlungen gekommen ist, hat angesichts des seitherigen Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich naturgemäß nichts zu sagen. Der allfällige Wegfall einer Verfolgungsgefahr wäre im Übrigen asylrechtlich unter dem Blickpunkt des Art. 1 Abschnitt C Z 5 FlKonv zu beurteilen. Das weitere Argument schließlich, dem Beschwerdeführer stehe eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung, ist mangels konkreter Feststellungen zu einem sicheren Landesteil nicht geeignet, die Versagung von Asyl zu begründen. Auch unter Miteinbeziehung der Begründungselemente zum Abspruch nach § 8 Abs. 1 AsylG erweist sich mithin die Versagung von Asyl durch das Bundesasylamt als nicht gerechtfertigt. Das muss auf den lediglich verweisenden bekämpften Bescheid durchschlagen, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 24. Mai 2005

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