VwGH 2001/01/0140

VwGH2001/01/014014.5.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerden 1.) des am 3. Mai 1958 geborenen M S, 2.) der am 5. September 1964 geborenen A S, 3.) der am 9. November 1987 geborenen A S sowie

4.) des am 14. Juni 1986 geborenen A S, alle in St. Urban und alle vertreten durch Mag. Peterpaul Suntinger, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Pfarrplatz 5/III, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. Februar 2001,

1.) Zl. 214.746/0-V/15/00 (Erstbeschwerdeführer), und je vom 26. Februar 2001, 2.) Zl. 216.992/0-V/15/00 (Zweitbeschwerdeführerin), 3.) Zl. 216.992/5-V/15/01 (Drittbeschwerdeführerin) sowie 4.) Zl. 216.992/6-V/15/01 (Viertbeschwerdeführer), betreffend Asylgewährung und Erstreckung von Asyl (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der erstangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die zweit- bis viertangefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Erstbeschwerdeführer ist der Ehegatte der Zweitbeschwerdeführerin und der Vater der Dritt- und Viertbeschwerdeführer. Der Erstbeschwerdeführer bezeichnet sich als Angehöriger der albanischen Volksgruppe aus dem Kosovo; seine Muttersprache sei serbokroatisch, er sei muslimischen Glaubens; die Zweitbeschwerdeführerin gehört der Volksgruppe der "muslimischen Slawen" im Kosovo an. Sämtliche Beschwerdeführer lebten vor ihrer Flucht im Mai 1999 in Prizren. Am 27. Mai 1999 reisten die Beschwerdeführer in das Bundesgebiet ein. Der Erstbeschwerdeführer stellte am selben Tag einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Die Zweitbeschwerdeführerin stellte anlässlich ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 8. Juli 1999 für sich und die Drittbeschwerdeführerin sowie den Viertbeschwerdeführer Anträge auf Erstreckung des vom Erstbeschwerdeführer beantragten Asyls.

Der Erstbeschwerdeführer machte anlässlich seiner Vernehmung vor dem Bundesasylamt am 28. Juni 1999 als Fluchtgrund geltend, er und seine Familie seien vertrieben worden. Am 22. Mai 1999 seien maskierte Polizisten um 5 Uhr morgens zu ihrem Haus gekommen und hätten sie aufgefordert, dieses binnen fünf Minuten zu verlassen. Nach Verlassen des Hauses mit seiner Ehegattin und den beiden Kindern habe er bemerkt, dass die Bewohner des gesamten Stadtviertels vertrieben worden seien. Seine Ehegattin sei in eine serbische Schule gegangen und spreche nur Serbisch. Im Falle einer Rückkehr in den Kosovo könnte er dort nicht leben, weil er kein Haus mehr habe.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Erstbeschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien, Provinz Kosovo, zulässig sei.

Dies wurde mit dem Rückzug der Serben aus dem Kosovo begründet, wobei die Rückkehrmöglichkeit wegen der Präsenz internationaler Truppen als sicher angesehen wurde.

In der Folge wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 5. Mai 2000 die Asylerstreckungsanträge der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer ab. Begründend wurde auf den abgewiesenen Asylantrag des Erstbeschwerdeführers verwiesen.

Die Beschwerdeführer erhoben gegen die sie betreffenden Bescheide Berufung.

Der Erstbeschwerdeführer brachte in seiner Berufung unter anderem vor, er sei auf Grund des Krieges und der Flucht traumatisiert und habe sich in psychotherapeutische Behandlung begeben müssen. Im Kosovo herrsche auch nach dem Abzug der Serben Gewalt, eine Rückkehr sei schon wegen der verminten Grenzgebiete nicht möglich.

Bei seiner Einvernahme im Rahmen der Berufungsverhandlung bei der belangten Behörde am 20. Februar 2001 antwortete der Erstbeschwerdeführer auf die Frage nach seiner Volksgruppenzugehörigkeit: "Ich werde als Albaner geführt und möge das so auch beibehalten werden." Erklärend fügte er zusammengefasst hinzu, die serbokroatisch sprechende moslemische Volksgruppe im Kosovo werde seit dem zweiten Weltkrieg von der albanischen Mehrheit unter Druck gesetzt; obwohl seine Muttersprache serbokroatisch sei, habe er sich "damals als Albaner bekannt". Der Erstbeschwerdeführer habe keine Probleme mit der Polizei gehabt, seit sich diese ab dem Jahre 1990 ausschließlich aus Serben zusammengesetzt habe. Im Jahre 1990 oder 1991 habe die jugoslawische Regierung verlangt, dass sich alle Albaner verpflichten müssten, die serbischen Gesetze anzuerkennen. Der Erstbeschwerdeführer habe eine in dem serbischen Unternehmen, für das er tätig gewesen sei, öffentlich aufgelegte Erklärung unterschrieben, wonach er die serbischen Gesetze anerkannt habe. 95% bis 98% der kosovo-albanischen Beschäftigten dieses Unternehmens hätten diese Erklärung nicht unterzeichnet. Letztere seien sofort entlassen worden, während die Unterzeichner dieser Erklärung zwar weiter beschäftigt, aber von den Entlassenen als Verräter behandelt worden seien. Er sei wegen dieser Verpflichtungserklärung sogar bis zum Beginn des NATO-Bombardements beschäftigt worden, während fast alle Albaner bereits vorher gekündigt worden seien. Sein Leben im Kosovo sei nicht sicher (gewesen); eine mit seiner Familie verwandte Familie gleichen Namens sei ausgerottet worden; die Kinder seines Bruders könnten den Schulweg nicht alleine zurücklegen, weil sie nicht Albanisch sprächen. Die Kinder des Erstbeschwerdeführers hätten im Kosovo die selben Probleme.

Im Anschluss an die Einvernahme des Erstbeschwerdeführers legte sein Vertreter Berichte über die Situation slawischer Muslime im Kosovo vor und führte dazu aus, dass Angehörige dieser Minderheit nach wie vor einer Gefahr ausgesetzt wären. Sie seien auch in Prizren auf Grund des Gebrauches der serbokroatischen Sprache gewaltsamen Angriffen, Einschüchterungen und unverhältnismäßig oft gewaltsamen Verbrechen durch die albanische Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt. Die nicht einer Minderheit angehörenden Ehepartner von Minderheitsangehörigen seien im gleichen Ausmaß gefährdet wie die Minderheitsangehörigen selbst. Erschwerend käme beim Erstbeschwerdeführer hinzu, dass ihm wegen seiner Bereitschaft, für eine serbische Firma bis zum Beginn des Kosovo-Krieges zu arbeiten, aber auch wegen seiner slawischen Vorfahren, der Vorwurf der Kollaboration mit dem serbischen Regime gemacht würde.

Die im Rahmen der Berufungsverhandlung ebenfalls vernommene Zweitbeschwerdeführerin - die Ehegattin des Erstbeschwerdeführers -

gab unter anderem an, auch ihre beiden Kinder - die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer - sprächen Serbokroatisch; im Kosovo seien sie wegen der Verwendung dieser Sprache als "Serben beschimpft" worden.

Mit dem erstangefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Erstbeschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Kosovo für zulässig erklärt. Nach zusammengefasster Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens stellte die belangte Behörde "zur Person des Berufungswerbers" fest, er stamme aus der Stadt Prizren im Kosovo und sei der albanischen Volksgruppe zuzuzählen. Seine Ehegattin gehöre der Volksgruppe der muslimischen Slawen an. Der Erstbeschwerdeführer habe sich nicht politisch betätigt und vor dem Krieg keine individuelle Bedrohung zu erleiden gehabt. Er sei mit seiner Familie wegen der Kriegsgeschehnisse im Kosovo geflohen; seine Mutter, seine zwei Brüder, seine Schwiegermutter und sein Schwager seien in Prizren verblieben. Zur "Heimatregion Prizren" stellte die belangte Behörde fest, dass die Gemeinde Prizren ca. 236.000 Einwohner mit ungefähr 40.000 intern Vertriebenen habe. In diesem Bereich des Kosovo lebten weiterhin Bosniaken, Roma, Serben und diverse Minderheiten, wobei die verbliebenen Serben mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen hätten. Im Gegensatz zu anderen Teilen des Kosovo dürfe dort weiterhin öffentlich serbokroatisch gesprochen werden. Drei Viertel der Einwohner gehörten der albanischen Volksgruppe an, danach kämen - gereiht nach ihrer Größe - slawische Muslime, Kosovo-Türken, Roma und andere. In und um Prizren seien lokale und internationale "NGO's" tätig, denen auch Repräsentanten der genannten Minderheiten angehörten. Im Bezirk gebe es einen Gerichtshof, in den neben Kosovo-Albanern auch ein Angehöriger der türkischen Minderheit sowie ein Roma als Richter bzw. Staatsanwalt ernannt worden seien. Für den "Bereich der Sicherheit" sei festzuhalten, dass es in Prizren eine internationale Schutztruppe (2500 Mann) und rund 100 internationale Polizisten gäbe. In der Region Prizren lebten 23.000 bis 25.000 muslimische Slawen. Die befürchtete Unterdrückung dieser Volksgruppe, ohne dass dies von den internationalen Schutztruppen bzw. von UNMIK verhindert werden könnte, könne nicht gesehen werden. Zudem traf die belangte Behörde umfangreiche Feststellungen zur "allgemeinen Situation" im Kosovo.

Rechtlich folgerte die belangte Behörde, dass dem Erstbeschwerdeführer auf Grund der Zugehörigkeit seiner Ehegattin zur Volksgruppe der muslimischen Slawen eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht drohe, weshalb der Asylantrag abzuweisen gewesen sei. Zum nicht gewährten Abschiebeschutz verwies die belangte Behörde auf die beendete serbische Behördentätigkeit und die nunmehr internationale Verwaltung des gesamten Kosovo.

Die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer verwiesen in ihren Berufungen auf die Berufung des Erstbeschwerdeführers.

Mit den zweit- bis viertangefochtenen Bescheiden wurden die Berufungen der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer jeweils gemäß § 10 iVm § 11 AsylG unter Hinweis auf die den Erstbeschwerdeführer betreffende abweisende Berufungsentscheidung ebenfalls abgewiesen.

Über die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden, die wegen ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden wurden, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Vorweg ist aus der von der belangten Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde gelegten UNHCR-Stellungnahme vom Juli 2000 Folgendes festzuhalten: "Der Begriff 'muslimische Slawen' soll im folgenden für serbo-kroatisch sprechende Anhänger der islamischen Religion verstanden werden. Seit dem Beginn des Bürgerkrieges in Bosnien und Herzegowina bezeichnet sich ein Teil der muslimischen Slawen zunehmend als 'Bosniaken'. Innerhalb der Gemeinschaft der muslimischen Slawen gibt es noch weitere Untergruppen, die sich nach ihrem Herkunftsgebiet im Kosovo als 'Goranci' (aus der Region um Gora) bzw. 'Torbesh' (aus der Region um Prizren) definieren."

Die Beschwerdeführer rügen in ihren Beschwerden übereinstimmend den Umstand, dass sich die belangte Behörde mit den in der Berufungsverhandlung vorgelegten Berichten nicht auseinander gesetzt habe; daraus hätte sich ergeben, dass muslimische Slawen auch in Prizren gewaltsamen Angriffen, Einschüchterungen und unverhältnismäßig häufig gewaltsamen Verbrechen durch die albanische Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt wären, sowie dass die nicht dieser Minderheit angehörenden Ehegatten von Minderheitsangehörigen in gleichem Ausmaß gefährdet wären. Beim Erstbeschwerdeführer komme der Vorwurf der Kollaboration mit dem serbischen Regime dazu, weil er bis zum Beginn des Kosovo-Krieges für ein serbisches Unternehmen tätig gewesen sei.

Mit diesem Argument zeigen die Beschwerdeführer einen Begründungsmangel des - wegen ihrer Erstreckungsanträge auch für die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer maßgeblichen - erstangefochtenen Bescheides auf, weil sich aus dessen Begründung nicht ergibt, mit welchen der in der Berufungsverhandlung vorgelegten Berichten und in welchem Ausmaß sich die belangte Behörde mit diesen Berichten auseinander gesetzt hat. Lässt es die belangte Behörde beim Zitat eines kurzen Ausschnittes aus einem der insgesamt sieben vorgelegten Berichte bewenden und zieht sie ausschließlich aus den von Amts wegen beigeschafften Dokumentationen den Schluss, die "umfangreiche(n) Materialien zum Thema 'Ethnische Minderheiten im Kosovo' "hätten die "Feststellungen des unabhängigen Bundesasylsenates" nicht zu widerlegen vermocht, entspricht diese Argumentation - ohne Auseinandersetzung mit dem Inhalt der vorgelegten Urkunden - nicht den Anforderungen an eine schlüssige Beweiswürdigung.

Die zunächst interessierende Frage einer Verfolgung der Ehegattin sowie die daran anschließende und entscheidende Frage einer solchen des Erstbeschwerdeführers wegen seiner Ehe mit einer Angehörigen der Volksgruppe der muslimischen Slawen hätte von der belangten Behörde nur dann abschließend beantwortet werden können, wenn sie das gesamte zur Verfügung stehende Beweismaterial auf relevante Sachverhaltselemente geprüft hätte. Zum entsprechenden Vorbringen des Erstbeschwerdeführers in der Berufungsverhandlung heißt es etwa in den vorgelegten und offenkundig von der belangten Behörde zum großen Teil unbeachtet gebliebenen Berichten:

" ... Diejenigen, die eine Rückkehr versuchten, wurden vielfach Opfer der Vertreibungsmaßnahmen extremistischer Albaner und mussten meist noch am selben Tag den Kosovo wieder verlassen. Mehrere hundert bosniakische und einunddreißig türkische Rückkehrer-Familien wurden vertrieben, wobei ... die KFOR nur in einem einzigen dokumentierten Fall am 10. 8. 1999 einschritt. Zahlreiche Wohnungen und Häuser von Bosniaken wurden geplündert und verwüstet. Von Juni bis Ende August 1999 seien fünfzehn Bosniaken im Kosovo getötet und vierzehn entführt worden. Hunderte seien misshandelt worden. Auf die Betroffenen sei Druck ausgeübt worden, über die an ihnen verübten Verbrechen nicht zu sprechen, sie insbesondere nicht der KFOR zu melden. ....

Nach der Ankunft der KFOR sind ... etwa 40.000 - 45.000

Bosniaken aus dem Kosovo geflohen. ... somit insgesamt etwa 70%

der Kosovo-Bosniaken seit 1998 ins Ausland geflüchtet sind. ...

In zahlreichen Fällen wurden die Opfer ... starkem Druck

ausgesetzt, Übergriffe nicht an die internationalen Truppen

weiterzumelden. So wurde z. B. ... dem Opfer eines Übergriffs von

offizieller albanischer Stelle dringend abgeraten, sich an die

KFOR zu wenden, mit dem Argument, damit würde er gegen die Albaner

arbeiten ... Außerdem gebe es eine albanische Behörde im

Ministerium für innere Angelegenheiten, die Übergriffen nachgehe.

... Der Betroffene sei diesem Rat gefolgt - allerdings ohne Erfolg. Es seien keinerlei Maßnahmen zu seinem Schutz von albanischen Stellen ergriffen worden. In vielen Fällen würde den Betroffenen nicht nur einfach abgeraten, zur KFRO zu gehen, sondern sie würden gewarnt, dass sie dann möglicherweise Probleme mit Gruppen oder Banden bekämen, die unkontrollierbar seien.

Insgesamt ergibt sich aus diesen Ausführungen, dass Bosniaken im Kosovo offenbar einer kollektiven Verfolgung und Vertreibung ausgesetzt sind, deren sie sich nirgendwo im Kosovo entziehen können. Eine Rückkehr von Bosniaken in den Kosovo ist daher nach unserem Dafürhalten vorläufig ausgeschlossen." (Bericht der Gesellschaft für bedrohte Völker vom 31. Mai 2000 über die Lage der (Kosovo-) Bosniaken / slawischen Muslime; Beilage B im Berufungsverfahren).

"Unter den sonstigen Minderheitsethnien sind vor allem die slawischen Muslime sowie die ebenfalls slawische Gruppe der Gorani gefährdet. Spannungen, Angriffe und Einschüchterungen werden aus Pristina, Mitrovica, Prizren und Pec gemeldet." (Bericht des auswärtigen Amtes in Berlin vom 21. November 2000; Beilage C).

In dem weiter vorgelegten Dokument des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 6. Juni 2000 (Beilage G) ist unter anderem davon die Rede, dass trotz großer Bemühungen von KFOR und UNMIK Angehörige von Minderheiten im Kosovo - während sich die Kriminalitätsrate sonst stabilisiere - mit einer unverhältnismäßig hohen Zahl von Morden und Mordversuchen konfrontiert seien.

Amnesty International berichtet im Juli 2000, dass Ehegatten von muslimischen Slawen ebenso gefährdet seien wie der der Minderheit angehörende Partner (Beilage D). Aus einem der Beschwerde des Erstbeschwerdeführers beigelegten Bericht der Gesellschaft für bedrohte Völker vom 21. Dezember 2000 ergibt sich, dass gemischt-ethnische Familien im Kosovo einer ähnlichen Verfolgung ausgesetzt sein sollen wie die Angehörigen der serbischen Volksgruppe.

Verneint die belangte Behörde aber ohne Auseinandersetzung mit dem Inhalt dieser auszugsweise wiedergegebenen Berichte "eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung des Berufungswerbers auf Grund der Zugehörigkeit seiner Ehegattin zur Volksgruppe der muslimischen Slawen ... trotz diesbezüglicher Ermittlungen" und stützt sie diese Beurteilung nur auf die amtswegig von ihr beigebrachte OSZE-Studie vom 10. Juli 2000 und auf die einleitend genannte UNHCR-Stellungnahme vom Juli 2000, ist dieser Argumentation die Schlüssigkeit abzusprechen, weil selbst in dem zuletzt genannten Bericht von der "schwierigen Sicherheitslage dieser Volksgruppe" und vom Mord an einer vierköpfigen Torbesh-Familie in deren Haus in Prizren als "gewalttätigste(r) Vorfall" die Rede ist.

Vor dem Hintergrund dieser Berichtslage kann nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei Berücksichtigung aller ihr zur Verfügung stehenden Berichte zur Auffassung gelangt wäre, den Angehörigen der in Rede stehenden Minderheit und deren Ehegatten - unter Beachtung auch der slawischen Herkunft des Erstbeschwerdeführers und seiner (behaupteten) Beschäftigung in einem serbischen Unternehmen - drohe eine von der albanischen Mehrheitsbevölkerung ausgehende Verfolgung. Bei einer solchen Situation der Minderheiten hätte jedes einzelne Mitglied der Gruppe schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch eine individuelle Verfolgung zu befürchten.

Bejaht man eine solche Verfolgung von nichtstaatlicher Seite, stellt sich die Frage nach der Möglichkeit, davor staatlichen Schutz zu erlangen. Die Beschwerdeführer bezweifeln die Schutzwilligkeit der internationalen Verwaltung im Kosovo nicht. Für die Frage jedoch, ob die Verfolgung seitens des Staates verhinderbar ist, also eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, kommt es darauf an, ob für einen von dritter Seite aus den in der Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm dieser Nachteil aufgrund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohl begründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. das Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0256). In diesem Sinne ist die belangte Behörde bei Beurteilung der Frage, ob die Gruppe der slawischen Muslime bzw. deren Ehegatten von der derzeitigen Verwaltung des Kosovo ausreichend Schutz erhält, auf deren spezifische Situation nicht eingegangen, sondern hat ihre Einschätzung der Sicherheitslage lediglich darauf gestützt, dass "keine Gefahr der Verfolgung durch Behörden der BR-Jugoslawien mehr besteht", und dass der Kosovo "ausschließlich von der KFOR und den internationalen Behörden der UNMIK kontrolliert wird". Ohne Auseinandersetzung mit den in der genannten Entscheidung zum Ausdruck gebrachten Aspekten sowie mit der zitierten Berichtslage, etwa über "unkontrollierbare Gruppen", kann auch die Frage der Effektivität des staatlichen Schutzes nicht beantwortet werden.

Der erstangefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b) und c) VwGG aufzuheben.

Auf Grund der Aufhebung des den Asylantrag des Erstbeschwerdeführers abweisenden Bescheides mit dem vorliegenden Erkenntnis ist das Verfahren über die Erstreckungsanträge wieder offen. Die Bescheide, mit denen die Erstreckungsanträge der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer abgewiesen wurden, sind insofern vor rechtskräftiger Entscheidung über den Hauptantrag ergangen, weshalb sie bereits aus diesem Grund inhaltlich rechtswidrig sind. Sie waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 14. Mai 2002

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte