BVwG L526 2137608-1

BVwGL526 2137608-128.5.2019

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:L526.2137608.1.00

 

Spruch:

L526 2137606-1/40E

L526 2137611-1/26E

L526 2137608-1/25E

L526 2137607-1/25E

L526 2137610-1/25E

L526 2137609-1/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M. über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. am XXXX , 3. XXXX , geb. am XXXX , 4. XXXX , geb. am XXXX , 5. XXXX , geb. XXXX und 6. XXXX , geb. am XXXX , StA: 1.-6. Irak, 1. und 2. vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich 3.-6. vertreten durch die Mutter und diese vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.09.2016, Zl. 1. XXXX , 2. XXXX , 3. XXXX , 4. XXXX , 5. XXXX , und 6. XXXX nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 21.03.2019 und am 17.05.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer (in weiterer Folge auch kurz "BF" oder gemäß ihrer Reihung im Spruch "BF1" bis "BF6" genannt) stellten im Gefolge ihrer schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 29.09.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der männliche BF1 und die weibliche BF2 sind Ehegatten. BF3 bis BF6 sind ihre gemeinsamen, minderjährigen Kinder.

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Wien am 20.10.2015 gaben die BF an, die im Spruch ersichtlichen Namen zu führen, Staatsangehörige des Irak zu sein und an den ebenfalls im Spruch ersichtlichen Daten geboren zu sein.

Sie hätten in XXXX gelebt und seien von dort am 20.8.2015 mit dem Auto in Richtung Türkei gefahren, von dort hätten sie die Grenze zu Fuß überquert. Nach einem zehntägigen Aufenthalt in der Türkei seien sie dann weiter nach Griechenland gefahren und nach Durchquerung mehrere ihnen unbekannter Länder seien sie mit dem Flüchtlingsstrom nach Österreich gekommen.

Der IS habe ihre Reisepässe konfisziert.

BF1 gab im Hinblick auf seine Fluchtgründe an, dass er im Jahr 2007 von der AL-KAIDA entführt worden und, nachdem man ihn gefoltert und seine Zähne "zerstört" habe, wieder frei gelassen worden sei. Er sei beim irakischen Staat angestellt gewesen und die Terrormiliz "Islamischer Staat" (im Weiteren auch kurz: "IS" genannt) habe alle Fachkräfte aufgefordert, den Treueeid (BAIAA) zu leisten. Er habe sich geweigert und werde seitdem vom IS gesucht. Er habe Angst um seine Töchter, welche er nicht mehr aus dem Haus gelassen hätte, da er Angst gehabt hätte, diese würden vom IS gefasst und zwangsbeschnitten werden. Es sei ihm gesagt worden, dass sein Name auf einer Todesliste stehe und sei er auch in Gefahr, wenn der IS die Kontrolle über die Stadt verliere.

BF2 gab an, sie habe bei einer staatlichen Bank gearbeitet. Ihre Aufgabe sei es gewesen, alle Transaktionen auf eine CD zu speichern. Dadurch habe sie sehr viele Informationen über die Kunden der Bank gehabt. Die vom IS hätten sie aufgefordert, die Informationen, besonders betreffend christliche Kunden, herauszugeben. Sie habe sich geweigert das zu tun und habe sich dann eine Zeitlang, etwa vier Monate, aus Angst versteckt und dann seien sie geflüchtet. Ihr Ehemann werde ebenfalls vom IS gesucht.

Im Herkunftsstaat würden noch ein Bruder und eine Schwester des BF1 sowie die Eltern, vier Brüder und eine Schwester der BF2 leben.

2. Nach Zulassung des Verfahrens wurden die BF am 14.6.2016 und am 18.8.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, der nunmehr belangten Behörde (in weitere Folge auch kurz "bB" genannt) im Beisein eines geeigneten Dolmetschers sowie einer Vertrauensperson der BF in arabischer Sprache niederschriftlich einvernommen.

Eingangs bestätigten die BF bei beiden Einvernahme-Terminen, bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht zu haben.

Zur Person befragt führten die BF insbesondere aus, den im Spruch angegebenen Namen zu führen und sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung zu bekennen. Sie könnten sich mit den vorgewiesenen Personalausweisen sowie seinem Staatsbürgerschaftsnachweisen ausweisen. Ferner wurden eine Reihe weiterer Urkunden, wie etwa eine Essensrationskarte des irakischen Handelsministeriums; einen Dienstausweis und eine Zutrittskarte des Ministeriums für allgemeine Arbeit und Landesangelegenheiten, ausgestellt auf BF1; Wahlkarten der BF1 und BF2; ein irakischer Führerschein lautende auf BF1; eine Mitgliedskarte der Gewerkschaft für irakische Ingenieure, ausgestellt auf BF1; einen Dienstausweis und eine Zutrittskarte ausgestellt für BF2; ein Ehevertrag, abgeschlossen zwischen BF1 und BF2; eine Anerkennungsurkunde des irakischen Staates für den Einsatz für die irakische Gesellschaft für BF1; ein Schreiben des IS an alle öffentlichen Bediensteten in der Stadt XXXX ; ein Mietvertrag für eine Wohnung in Syrien aus dem Jahr 2007 und ein Zertifikat über einen Universitätsabschluss in Informatik an der Universität XXXX betreffend BF1.

Anlässlich ihrer Einvernahme am 14.6.2016 brachten die BF zu ihrer Reiseroute befragt vor, sie hätten den Irak am 20.8.2015 nach bzw. über Syrien verlassen und seien am 21.9.2015 in Österreich eingereist.

Zu seinen Verwandten im Irak gab BF1 an, seine Eltern seien eines natürlichen Todes gestorben. Seine Geschwister würden noch im Irak leben. Sein Bruder sei Hilfsarbeiter und lebe in XXXX ; seine Schwester sei Ingenieurin und lebe in der autonomen Kurdenzone. Er habe auch noch einen Onkel und eine Tante in der Stadt XXXX . Zu seinen Geschwistern habe er regelmäßig Kontakt und sie hätten ein gutes Verhältnis untereinander. BF2 gab an, ihre Eltern sowie zwei ihrer Brüder lebten noch im Irak. Die Brüder lebten in XXXX . Zwei ihrer Brüder seien Asylwerber in Österreich und ihre Schwester sei amerikanische Staatsbürgerin. Ihr Vater sei Universitätsprofessor für Sportwissenschaften gewesen und habe ein Schwimmbad betrieben, welches aber jetzt zugsperrt sei. Die Eltern und Geschwister lebten von den Ersparnissen ihres Vaters und dieser beziehe auch eine Pension. Sie habe Kontakt zu ihrer Familie und sie hätten ein gutes Verhältnis untereinander. Auch lebten noch weitere Verwandte der BF2 im Irak, zu welchen sie aber keinen Kontakt pflege.

In Bezug auf die Fluchtgründen des BF1 wurde am 14.6.2016 Folgendes zu Protokoll genommen (Auszugsweise Wiedergabe):

" [...] F: Warum stellen Sie einen Asylantrag? Nennen Sie alle Ihre Fluchtgründe?

A: Im Jahre 2007 wurde ich von Mitglieder der AL KAIDA entführt. Sie wollten von mir eine Lösegeldzahlung haben, des weiteren wollten sie auch, dass ich mich ihnen anschließe. Sie wollten von mir Informationen haben, Zugang zu einer Software, namens GIS, mit der man die genauen Entfernungen der Stadt berechnen kann. Sie haben mich geschlagen, sie wollten von mir den Zugang zu der Software haben, weil nur staatliche Organisationen hatten den Zugang. Sie wollten, dass ich mich ihnen anschließe. Nachdem sie mich entlassen haben, bin ich sofort nach Syrien gereist. Ich verbrachte mit meiner Familie in Syrien zwei Jahre bis sich die Sicherheitslage verbessert hat und kehrte Ende 2008 nach XXXX zurück.

In den letzten zwei Jahren war ich bei verschiedenen Projekten beteiligt, die sich über die Kanalisation der Stadt XXXX befasst haben. Ich war für die Arbeitspläne zuständig. Ich war auch für die Finanzierung mancher Projekte zuständig. Ab dem 06.2014 war der IS in der Stadt XXXX aktiv und sie wollten mehrmals Informationen über die Finanzierung der Projekte haben. Ich wollte ihnen die Informationen nicht geben, weil es geheim ist.

In einer meiner Büros wurde einer Bombe gelegt. Die IS hat es auf mich abgesehen, weil ich mich weigerte Infos über meine Arbeit weiterzugeben. Nachdem der IS einmarschiert ist habe ich meinen Wohnsitz verlegt. Nur wenige wussten wo ich gewohnt habe. Wir haben einmal versucht mit einem PKW die Stadt XXXX zu verlassen, wurden aber aufgehalten. Mein Auto wurde konfisziert und auch unsere Reisepässe. Ich blieb dann bis zu 20.08.2015 in XXXX .

F: Nennen Sie mir die genauen Adressen Ihrer Büros und an welchen Tagen Sie welche Drohungen bekommen haben?

A: Ich hatte vier Arbeitsplätze, die Baustellen wo ich tätig war, es waren Container.

- Im Bezirk XXXX ; hier war der Bombenanschlag, in einem Container, in dem mein Büro war.

- Im Bezirk XXXX

- IBezirk XXXX

- Im Bezirk XXXX

F: Wann war der Anschlag mit der Bombe? An den Tag können Sie sich nicht mehr erinnern?

A: Ende April, es ist mehr als zwei Jahre her.

F: Wo sind Sie konkret wo bedroht worden?

A: Der Anschlag war auf der Baustelle XXXX , sonst bin ich immer angerufen worden. Es reichte aus, dass sie bei mir angerufen haben.

F: Wann fand die erste Bedrohung des IS, wann die letzte Bedrohung statt? Grenzen Sie bitte die Vorfälle zeitlich ein!

A: Dir erste Bedrohung fand Jänner 2014 statt, die letzte August 2015. Ich bekam die Information von einem Freund, wenn ich die Stadt XXXX verlasse, werde ich dann von der IS gesucht. Sie betrachten jeden, der sich nicht anschließt als Feind.

Vorhalt : Sie sagten selbst der IS ist erst im Juni 2014 einmarschiert. Was sagen Sie dazu?

A: Ich wurde schon vor dem Einmarsch des IS vom IS bedroht und bin untergetaucht als der IS in die Stadt einmarschiert ist.

F: Bitte konkretisieren Sie mir die Bedrohung durch den IS.

A: Ich wurde telefonisch bedroht. Man sagte mir der Anrufer sei beim IS. Er brauche Infos über die Projekte meiner Arbeit. Meine Reaktion war so, dass ich mich entschuldigt habe und gesagt habe, dass ich keine Infos habe und aufgelegt. Sie riefen nocheinmal an und bedrohten mich mit dem Tod. Dies passierte mehrmals, bis man eine Bombe bei mir in der Arbeit gelegt wurde. Ich hatte mehre Büros, je nachdem um welches Projekt es ging hatte ich ein anderes Büro.

F: Wann war das mit der Bombe?

A: Ende April oder Anfang Mai.

F: Ist die Bombe detoniert?

A: Ja, nachdem ich weggefahren bin.

F: Wie hat Ihr Vorgesetzter geheißen im Magistrat?

A: XXXX .

F: Sie haben in der Erstbefragung von einem Treueeid gesprochen? Was war das?

A: Die Aufforderung den Treueid zu leisten habe ich über einen Freund erhalten und es gab auch einen Aushang.

F: Wie hat der Freund geheißen? Wieso weiß er dann vom Eid.

A: XXXX . Sie wussten, dass er mit mir befreundet ist

F: Wie hat die Frau Ihres Freundes geheißen?

A: XXXX .

F: Wie wurden Sie konkret vom IS bedroht?

A: Sie riefen bei mir Ende Jänner 2014 an, sie sagten mir, dass der Projektleiter vom Projekt XXXX . Sie haben mir gesagt, sie wüssten, dass der Leiter die Finanzierung vom Staat bekommen wird. Sie wollten genau wissen, wie viel man als Finanzierung bekommt. Sie sagten mir sie würden mich umbringen, wenn ich diese Infos nicht weitergebe. Ich habe mich geweigert diese Infos weiterzugeben, weil die Infos geheim sind und weil ich Angst vor staatlicher Verfolgung hatte.

F: Wurden Sie dann nochmals vom IS bedroht?

A: Nachdem ich die Räumlichkeiten meines Büros verlassen hatte, ist eine Bombe explodiert. Sie riefen mich an und sagten sie hätten die Bombe explodieren lassen können, wenn ich mich im Raum befunden hätte. Es ist eine Drohung.

F: Wann war dieser Anruf und wo waren Sie genau?

A: Es war April 2014 und ich bin mit dem Auto gefahren.

F: Vorhalt: Bitte schildern Sie mir diesen Augenblick, als Sie den Anruf bekommen haben genauer.

A: Ich war mit dem Auto unterwegs, ich bin selbst gefahren. Bei uns im Irak war es üblich, wenn man einen Anruf von einer unbekannten Nummer erhält, dann war das meistens von der IS. Ich habe einen Anruf von einer mir unbekannten Nummer bekommen. Ich bin rangegangen. Sie sagten mir, dies sei eine Mahnung und ich kann das so verstehen als ob man ein Kind am Ohr ziehen würde. Es wäre auch möglich die Bombe explodieren zu lassen, als ich im Raum war. Beim nächsten mal werden sie dafür Sorgen, dass die Bombe explodiert wenn ich im Raum bin oder es wird eine Haftbombe an meinem Auto kleben.

F: Was haben Sie dann gemacht?

A: Ich bin zu meinem Vorgesetzten gegangen und ihm erzählt was passiert ist. Ich habe Ihn angefleht, dass er mich woanders zuteilen soll und nicht mehr mit der Finanzierung der Projekte. Das war Ende April. Es kam zu Verhandlungen zwischen dem IS und dem Projektnehmer, ca. ein Monat. Dann ist der IS einmarschiert. Nachdem Sie einmarschiert sind habe ich meinen Wohnsitz verlegt. Ich bin untergetaucht, bis ich die Information von einem Freund erhalten habe. Sie erwarten von mir die islamische Reue (TAUBA)und dass ich mich ihnen anschließe(BAIA). Weil sich alle Ingenieure dem IS anschließen sollen. Sie haben mir gesagt, wenn ich das nicht mache, werden sie alle töten auch wenn die irakische Armee einmarschiert und mich als Zielscheibe erachten.

Befragt gebe ich an, dass es 15.08.2015 war.

F: Was haben Sie dann gemacht?

A: Binnen fünf Tagen habe ich die Stadt XXXX mit meiner Familie mit Hilfe eines Schleppers verlassen.

F: Wie ist die Flucht verlaufen, wie konnten Sie aus XXXX entkommen?

A: Am Donnerstag 20.08.2015 bin ich mit meiner im Morgengrauen zum Haus des Schleppers. Wir wurden dann von zwei Autos abgeholt. In einem Auto war meine Frau und meine Kinder, im anderen war ich. Ich fuhr mit dem Schlepper und er sagte mir, dass ich vor der Straßensperre austeigen muss und einen bestimmten Weg nehmen muss. Wir treffen uns dann danach. Meine Frau fuhr mit den Kindern mit dem Taxi durch die Sperre. Sie wurde gefragt, wo sie hinwill. Sie sagte, dass sie ihre Familie besuchen möchte. Sie konnte dann weiterfahren.

F: Wie konnten Sie sich ein Jahr vor dem IS in XXXX verstecken?

A: Meine Kinder blieben 15 Monate versteckt im Haus. Das Haus war wie ein Gefängnis für mich. Sie fanden mich dann über meinen Freund.

F: Wie hat der IS Ihren Freund aufgesucht?

A: Sie wussten, dass er ein guter Freund von mir ist und er wusste wo ich wohne.

F: Warum ist der IS dann nicht zu Ihnen?

A: Mein Freund hat Ihnen die Adresse nicht gesagt, er hat mir nur sagen sollen ,dass ich Reue zeigen soll. Ich muss auch noch dazu sagen, dass ich vieles meiner Familie verheimlicht habe, damit sie sich nicht fürchten.

F: Wo sind Sie dann hingezogen nach der Bombenattacke.

A: Ich hatte das Haus schon gekauft, bevor der IS einmarschiert ist, nicht auf meinem Namen, ich konnte es nicht auf meinem Namen eintragen, weil dann der IS einmarschiert ist. XXXX . Davor habe ich im Bezirk im Bezirk XXXX gewohnt.

F: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?

A: Nein.

F: Wie sind von der AL KAIDA gefoltert worden und wie lange waren Sie bei Ihnen?

A: Das hat vier Stunden gedauert, sie haben mich geschlagen und dann habe ich die Software installiert. Sie wollten, dass ich weiter bei Ihnen bleibe um die Software zu bedienen. Sie haben mich laufen gelassen und mir gesagt, dass wir weiterhin in Kontakt bleiben.

F: Vorhalt: Schildern Sie die Situation der Folter durch AL KAIDA genauer! Nennen Sie mir bitte Details!

A: Sie haben mich auf der Ladefläche eines Autos mitgenommen, sie brachten mich in eine Halle, meine Augen waren verbunden und mich auf einen Sessel gesetzt. Sie fragten ob ich XXXX bin und wollen dass ich mit ihnen kooperiere. Ich sagten, dass ich ihnen nicht helfen kann. Sie entfernten mir die Augenbinde. Vor mir war ein Laptop, dort soll ich die Software installieren. Ich sagte, dass ich das nicht kann und ich keinen Zugang habe. Sofort haben vier fünf Vermummte mich mit einem Stock geschlagen. Sie trafen mich am Gesicht, mir wurden vier Zähne gebrochen. Nachdem Sie mich geschlagen haben, habe ich nachgegeben und die Software installiert.

F: Was befürchten Sie im Falle Ihrer Rückkehr in den Irak? Was würde passieren, wenn Sie morgen zurück in den Irak geschickt werden würden?

A: Zuerst stehe ich auf der Todesliste des IS und darüberhinaus gibt es auch die schiitischen Milizen, die ihr Unwesen in sunnitischen Regionen betreiben. Ich habe Angst vor der IS, ich habe auch Angst von den schiitischen Milizen.

[...]

F: Welche konkreten Projekte haben Sie beim Magistrat in der Stadt XXXX betreut?

A: Zuletzt war ich in Projekte, die sich mit der Kanalisation beschäftigt haben involviert. Auch war ich für die Arbeitsabläufe im allgemeinen zuständig. Die Projekte sind an Unternehmen vergeben worden und ich habe für den Staat die Projekte überprüft.

F: Nennen Sie mir einige Unternehmen, die die Projekte ausgeführt haben.

A: Das Unternehmen hieß XXXX . Es war eine private Firma. Ich hatte Kontakt mit einer Person namens XXXX , er war Projektleiter. Die zweite Firma hieß XXXX . Die beiden Unternehmen haben sich zusammengschlossen

Das Projekt war die Verlegung der Kanalisation in der Stadt XXXX und zwar westlich des Flusses Tigirs.

F: Wie lange durfte das Projekt dauern?

A: 800 Tage.

F: Was genau wollte der IS von Ihnen und dem Magistrat?

A: Sie wollten von mir wissen wie viel Geld die Projektnehmer vom Staat bekommen.

F: Warum ist der IS nicht zum Projektnehmer gegangen?

A: Wären Sie zum Projektnehmer gegangen, dann hätte der Projektnehmer irgendeinen Betrag genannt. Sie wollten aus erster Hand erfahren wie viel der Staat und wollten die Belege haben.

F: Was hätte der IS dann mit der Information angefangen.

A: Der IS nimmt sich 10 Prozent vom Staat überwiesenen Zahlungen.

F: Warum ist der IS nicht zu Ihrem Vorgesetzten gegangen?

A: Es ist üblich, dass der IS sich an kleineren Angestellten wenden, da sie dort die Infos leichter bekommen."

Am 18.8.2016 wurde von der bB Folgendes zu Protokoll genommen:

"[...] F: Geben Sie mir bitte einen kurzen Überblick über die Geschehnisse, die Sie in XXXX erlebten und warum Sie letztlich den Irak verließen!

A: Im Jahr 2007 wurde ich von der Gruppe AL KAIDA entführt. Sie wollten, dass ich mit ihnen arbeite. Sie haben mich geschlagen, sie haben meine vorderen Zähne gebrochen.

Anm.: Partei zeigt auf ihre nicht vorhandenen vorderen Zähne.

Dann haben wir XXXX nach Aleppo verlassen. Von 2007 bis 2008 waren wir in XXXX . Danach hatte sich die Situation verbessert und wir konnten dann nach XXXX zurück. Ich bin wieder zurück in meine Arbeit. Im Jahr 2013 war ich bei einem Abflussprojekt tätig. Anfang 2014 (Februar oder März) wurde ich von einer unbekannten Person angerufen. Der Anrufer sagte, dass wir der IS sind und, dass sie von mir Informationen brauchen. Wann bekommt der Baumeister das Geld und wie viel.

F: Wie hat der Baumeister geheißen?

Partei überlegt.

A: Er hat XXXX .

F: Fahren Sie bitte fort!

A: Diese Informationen sollten geheim bleiben und sie wollten 10 Prozent haben. Im April oder Mai 2014 musste ich Berichte über das Projekt schreiben. Ich bin mit einem kleinen Lastwagen gefahren. Ich bin kurz gefahren. Dann hörte ich eine Explosion an meinem Arbeitsplatz. Es hat mich dann jemand angerufen und gesagt, dass es eine Warnung ist. Wenn wir dich töten möchten, wäre die Bombe in meiner Anwesenheit explodiert. Ich habe mit meinem Vorgesetzten gesprochen. Im Falle, dass ich die Daten an den IS weitergeleitet hätte, wäre ich ins Gefängnis gekommen. Und wenn ich die Daten nicht an den IS weiterleite, werden sie mich töten. Ich suchte um eine Versetzung an. Meinem Chef war das egal, er sagte er habe keinen Ersatz.

F: Wie hat Ihr Chef geheißen?

A: XXXX .

F: Bitte fahren sie fort!

A: Das war im April oder Mai 2014. Im Juni 2014 ist der IS in XXXX einmarschiert. Ich bin dann in eine andere Wohnung gezogen. Es wussten nur wenige Leute, wo ich bin. Ich habe mit Angehörigen und nahen Freunden übers Internet Kontakt aufgenommen. Man konnte sich nicht mit dem Handy verständigen.

F: Wie genau haben Sie mit dem Internet kommuniziert?

A: Über Viber, Facebook.

F: Schreiben Sie mir bitte Ihre Facebookdaten und Viberdaten auf.

A: Auf Facebook heiße ich XXXX .

F: Können Sie sich auf Facebook einloggen und mir diese Unterhaltungen zeigen?

A: Möglich, dass ich das gelöscht habe.

F: Bitte erzählen Sie weiter!

A: Mein Freund hat mir empfohlen die Stadt XXXX zu verlassen, weil die IS wollen, dass alle Techniker und Ingenieure mit ihnen arbeiten. Der Freund sagte mir, er habe Angst dass der IS mich in der Wohnung erwischt. Dann habe ich XXXX verlassen.

F: Wie hat der Freund geheißen?

A: XXXX .

F: Wann war das genau?

A: Am 20.08.2015

F: Wie viel Mitarbeiter hat Ihre Abteilung, bei der Sie gearbeitet haben?

A: Wir waren fünf Diplomingenieure, ein Techniker und eine Schreibkraft.

F: Welchem Ministerium ist die Behörde zugeteilt?

A: Das kommunale Ministerium.

F: In welchem Zeitraum haben Sie für die Behörde in XXXX gearbeitet?

A: Ich begann den Job im Jahr 2004. Als ich nach Syrien gegangen bin habe ich den Job verlassen, danach wurde ich erneut angestellt. Befragt gebe ich an, dass ich bis ins Jahr 2014 gearbeitet habe.

F: Geben Sie mir die Namen der Unternehmen an, welche die Projekte ausgeführt haben!

A: XXXX und XXXX . Ich glaube es sind zwei Firmen.

F: Wie hieß die Kontaktperson dieser Firmen?

A: Er hat XXXX geheißen.

F: Wer war dieser Baumeister, den Sie vorhin erwähnt haben?

A: Das war der Chef dieser beiden Firmen. Mit dem Chef hatten wir keinen Kontakt.

F: Nennen Sie mir bitte die Adressen der Baustellen auf denen sie tätig waren!

A: Im Bezirk XXXX .

F: Wo war der Anschlag?

A: Der Anschlag war im Bezirk XXXX .

F: Wo und in welchem Zeitraum war Ihre Frau berufstätig?

A: Meine Frau arbeitete in einer Bank, namens XXXX . Sie hat dort seit dem Jahr 2000 bis zum Jahr 2014 gearbeitet.

F: Wurden Sie jemals persönlich bedroht?

A: Ich wurde vor dem Einmarsch des IS bedroht und als der IS einmarschiert ist musste man für den IS sein. Wer nicht mit Ihnen kooperiert wird getötet werden.

F: Wurde Ihre Frau jemals persönlich bedroht, wenn ja wann und warum?

A: Meine Frau hätte dem IS Daten über Kunde liefern müssen. Sie hatte die Daten auf einer Cd. Sie wollte die Daten nicht geben und kooperierte somit nicht mit dem IS und darum ist sie bedroht.

F: Nennen Sie mir die genaue Adresse der Wohnung in Syrien und beschreiben Sie mir die Küche! Zeichnen Sie mir bitte eine Skizze der Wohnung!

Anm.: Die Partei fertigt eine Skizze der Wohnung in Syrien an, wird dem Akt beigelegt.

A: Die Wohnung war in XXXX . In der Küche ist rechts die Abwasch und geradeaus ist der Ofen.

F: Wie haben Sie sich den Lebensunterhalt in Syrien finanziert?

A: Ich hatte ein Internetcafe. Meine Frau hat weiterhin ihren Gehalt erhalten. Ich bekam keine Genehmigung mehr von der Behörde in Syrien. Wir haben gerade gelebt.

F: Wann kehrten Sie nach XXXX zurück?

A: Es war Ende 2008.

F: Warum konnten Sie nach einer so langen Zeit wieder bei der Behörde arbeiten?

A: Wovon sollte ich sonst leben.

F: Hatten Sie Kontakt mit Islamisten?

A: Nein.

F: Sie haben ein Schreiben von der IS vorgelegt, was steht in diesem Schreiben?

A: Jeder der unsere Stadt verlässt wird sein Eigentum verlieren. Und jeder der nicht den IS unterstützt ist ein Ungläubiger.

F: Nennen Sie mir die genaue Adresse von der zweiten Wohnung in XXXX , in der Sie sich versteckt hielten!

A: Die Wohnung war im Bezirk XXXX .

F: Machen Sie mir bitte eine Skizze dieser Wohnung!

Partei fertigt eine Skizze an, wird dem Akt beigelegt.

F: Beschreiben Sie mir die Küche dieser Wohnung!

A: Wenn man in der Küche steht ist gegenüber der Herd und die Abwasch.

F: Wieviel haben Sie verdient pro Monat?

A: Ich habe bis zu 800 Dollar verdient.

F: Können Sie Nachweise bringen?

A: Wir bekommen das persönlich. Da sitzt ein Buchhalter und der gibt uns das Geld.

F: Sie gaben bei der EV an, dass Sie als Sunnit Probleme mit den Behörden hatten, trotzdem konnte Sie für die Stadt XXXX der Behörde arbeiten? Was sagen Sie dazu?

A: Das ist ein staatlicher Job, das hat damit niochts zu tun.

F: Woher kennt der IS Ihre Telefonnummer?

A: Das weiß ich nicht.

F: Sie sind ausgebildeter Informatiker, was hat ein Informatiker mit der Finanzierung in der Behörde zu tun?

A: Es ist im Irak üblich, bei großen Projekten, dass Personen mehrere Funktionen haben. Meine Arbeit bezieht sich auf das geographische Informationssystem - GIS.

F: Wie viel hat Ihre Frau verdient?

A: So ca. 600 bis 700 Dollar.

F: Woher wusste der IS in welchem Büro Sie sein werden, als diese die Bombe zündete?

A: Die Gruppe IS hat Ihre Augen überall. Ich glaube die hatten ihre Männer in XXXX schon seit längerer Zeit.

F: Wann konkret fand die erste Bedrohung durch den IS statt, wann die Letzte?

A: Die erste Bedrohung war Februar/März 2014. Befragt gebe ich an, dass die erste Bedrohung mittels Telefonanruf stattgefunden hat. Die letzte war April/Mai 2014. Befragt gebe ich an, dass die letzte Bedrohung der Anruf nach der Explosion war.

F: Was war in der Zwischenzeit mit Ihrer Familie?

A: Bevor der IS einmarschiert ist waren meine Kinder normal in der Schule, danach blieben sie zu Hause.

F: Wann war das genau, als der IS einmarschiert ist?

A: Der IS ist am 10.06.2014 einmarschiert und am 20.08.2015 sind wir geflohen. Ab diesem Zeitpunkt ging meine Frau nicht in die Arbeit und meine Kinder nicht in die Schule.

F: Wie war es möglich, dass Ihre Frau weiterhin Gehalt bekommen hat?

A: Sie hat eine Karte, auf der das Gehalt überwiesen wurde. Als der IS einmarschierte hat die Regierung kein Geld mehr bezahlt.

F: Warum sind Sie erst im August 2015 geflohen und nicht gleich nach dem letzten Drohanruf und der Bombenexplosion?

A: Ich hatte gehofft, dass sich die Situation verbessert, deshalb bin ich nicht ausgereist.

F: Sie gaben an, sie wollten aus XXXX flüchten und wurden von der IS erwischt, wann war das?

A: Das war im Mai/Juni 2015.

F: Nennen Sie mir genaue Daten!

A: Es war im Juni 2015.

Wiederholung der Frage!

A: Das genaue Datum kann ich nicht nennen.

F: Wann genau war die Bombenexplosion?

A: Das war Ende April 2014. Befragt gebe ich an, dass ich das genaue Datum nicht nennen kann.

Vorhalt: Sie sind gebildet, können sich an alle Ereignisse erinnern, können beide Wohnungen genau skizzieren, wissen das genaue Datum des Einmarsch des IS. Aber Sie wissen das genaue Datum der Bombenexplosion nicht! Was sagen Sie dazu!

A: Die Iraker haben ein schweres leben und sie müssen solche Ereignisse vergessen, deshalb weiß ich das genaue Datum nicht.

F: Beschreiben Sie mir das Ereignis, als Sie vom IS erwischt wurden, als Sie aus XXXX fliehen wollten.

A: Ich hatte ein Auto, mit der Marke KIA Sorento. Ich habe mein Frau und meine Kinder mitgenommen und wir versuchten auszureisen. Es gab einen Checkpoint. Sie fragten nach meiner Genehmigung für die Ausreise. Ich hatte keine. Sie fragten nach meinen Dokumenten, ich hatte eine Tasche, in der ich unsere Reisepässe aufbewahrte. Diese Tasche und das Auto haben sie mir entzogen. Wir mussten alle das Auto verlassen, die haben die Türe aufgemacht. Sie hatten einen Laptop und schauten immer nach. Nachgefragt gebe ich an, dass es vier Personen waren. Die Personen standen auf der Straße. Sie hatten Waffen. Befragt gebe ich an, dass alle Waffen hatten und zum IS gehörten. Sie dachten wir wollten fliehen.

Anm.: Die Partei redet über allgemeine Sachen und wird darauf hingewiesen, dass sie sich konkretisieren soll.

Ich wurde geschlagen und gedemütigt, also geohrfeigt vor den Kindern. Befragt gebe ich an, dass meine Frau nicht geschlagen wurde.

F: Wo war Ihre Frau?

A: Bei mir in der Nähe.

Anm.: Es wird eine Skizze angefertigt, diese wird dem Akt beigelegt. Kreuze sind die Familie und die Kreise sind der IS.

A: Wir stehen auf der Skizze links zusammen, drei IS-Mitglieder blieben beim Auto stehen und ein IS Mann ging mit uns mit. Nachgefragt wo sich der Laptop befand gebe ich an, dass es keinen Laptop gab. Ich hatte Glück, dass es bei diesem Checkpoint keinen Laptop gegeben hat, sonst hätten sie mich da drinnen gefunden.

F: Warum hätte man Sie im Laptop gefunden?

A: Ich wurde gesucht.

F: Woher wissen Sie das, dass Sie gesucht wurden?

A: Weil ich ihnen keine Daten gegeben habe bin ich ein Feind von ihnen.

Wiederholung der Frage!

A: Man braucht es nicht wissen, es ist einfach so.

F: Wie ging es bei der Checkpoint - Kontrolle weiter?

A: Mir wurde das Auto weggenommen und wir mussten mit dem Taxi zurückfahren.

F: Wer hat das Taxi gerufen?

A: Dort ist eine Hauptstraße und es fahren ständig Taxis vorbei.

F: Wieso können bei einem Checkpoint Taxis vorbeifahren?

A: Die können von beiden Seiten vorbeifahren. Befragt wie es möglich ist, dass ein Checkpoint die Straße blockiert und trotzdem Taxis ohne Probleme durchfahren können gebe ich an, dass der Checkpoint auch nur aus Personen bestand und dort auch stehen bleibt.

F: Müssen die Taxis auch stehen bleiben?

A: Ja.

F: Wo genau war dieser Checkpoint?

A: Es war ein paar Kilometern außerhalb XXXX .

F: Auf welcher Straße war der Checkpoint?

A: Auf der Hauptstraße am Weg nach Bagdad.

F: Woher wissen Sie, dass die Personen beim Checkpoint der IS war?

A: Wie der IS aussieht ist jedem bekannt. Lange Haare, Bart und kurzes Gewand. Wer derzeit keinen Bart hat darf nicht nach XXXX und wer einen Bart hat darf nicht Bagdad fahren.

F: Hatten Sie zu dieser Zeit einen Bart?

A: Da waren sie noch nicht so streng. Ich hatte auch einen Bart.

F: Was haben die Personen am Checkpoint getragen?

A: Die Hose elastisch bis zur Wade und ein langes Hemd. Befragt gebe ich an, dass sie Pistolen und Kalaschnikows und M 16 hatten.

F: Wurden Sie sonst nach den Ereignissen im Jahr 2008 körperlich misshandelt?

A: Nein.

F: Wurde Ihre Frau oder Ihre Kinder misshandelt?

A: Nein.

[...]"

BF2 brachte zu ihren Fluchtgründen am 14.6.2016 unter anderem Folgendes vor (Auszugsweise Wiedergabe):

" [...]

F: Warum stellen Sie einen Asylantrag? Nennen Sie alle Ihre Fluchtgründe?

A: Nein, ich selbst und meine Kinder haben keine Fluchtgründe.

F: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?

A: Nein. Dies gilt auch für meine Kinder.

F: Wann genau sind in XXXX umgezogen und warum?

A: Nachdem der IS einmarschiert ist sind wir umgezogen. Ca. Juni 2014. Befragt gebe ich an, dass meine Ehemann Probleme in der Arbeit hatte und ich hatte auch Probleme. Der IS wollte von meinem Mann, dass er sich Ihnen anschließt.

F: Ist Ihr Mann nach dem Umzug noch arbeiten gegangen?

A: Ja er ist noch arbeiten gegangen.

Vorhalt: Ihr Mann gibt an, dass er nach dem Einmarsch des IS nicht mehr arbeiten gegangen ist? Was sagen Sie dazu?

A: Nachdem wir umgezogen sind ist mein Mann nicht mehr arbeiten gegangen. Ich war ein bißchen durcheinander und kann mich nicht genau erinnern.

F: Was hat Ihr Mann in dieser Zeit gemacht? Wie lange ungefähr?

A: Er blieb zu Hause bis wir ausgereist sind, eine längere Zeit.

F: Grenzen Sie bitte den Zeitraum genau ein, wie lange war Ihr Mann zu Hause?

A: sicher länger als vier Monate. Ich weiß es nicht.

Anmerkung: AW überlegt sagt mehrmals, dass Sie es nicht mehr genau weiß

F: Wann sind Sie umgezogen?

A: Ich weiß es nicht.

F: Wann haben Sie das letzte mal gearbeitet?

A: Ich weiß es nicht. Nachdem mein Mann die Probleme bekommen hatte und ich haben wir uns entschlossen die Stadt zu verlassen.

F: Wann hat Ihr Mann Probleme mit dem IS bekommen?

A: Im Jahr 2015 wollten wir die Stadt verlassen. Wir wurden vom IS aufgehalten und unsere Reisepässe wurden uns abgenommen.

F: Vorhalt: Ihr Mann und Sie wurden vom IS bedroht und Ihnen ist nach dieser Kontrolle durch den IS nichts passiert?

A: Es war eine einfache Straßensperre und der IS kannte uns nicht. Sie hatten keinen Computer, wo sie überprüfen konnten, ob gegen uns was vorliegt.

F: Was befürchten Sie im Falle Ihrer Rückkehr in den Irak? Was würde passieren, wenn Sie morgen zurück in den Irak geschickt werden würden?

A: Ich habe vor dem IS Angst.

F: Wissen Sie wie konkret Ihr Mann vom IS bedroht wurde?

A: Er wurde mit dem Tod bedroht. Er wollte Ihnen nicht die Treue schwören. Mehr weiß ich nicht.

Vorhalt: Sie waren laut Ihren Angaben über vier Monate in einem Haus und haben nie über die Bedrohungen des IS mit Ihren Mann gesprochen? Er wurde mit dem Tod bedroht!

A: Nein uns ging es schlecht und es war üblich, dass wir nicht über die Arbeit sprechen. Er sagte mir nur, dass er vom IS bedroht wurde und der muss IS die Treue schwören, ansonsten wird er vom IS als abtrünnig betrachtet und mit der Todesstrafe bedroht.

Am 18.8.2016 wurde zu den Fluchtgründen der BF2 Folgendes zu Protokoll genommen:

" [...] F: Bitte geben Sie mir einen kurzen Überblick über die Geschehnisse, die Sie in XXXX erlebten!

A: Der IS ist in unsere Gegend einmarschiert. Wir wussten nicht, dass es der IS ist. Wir dachten, es seien bewaffnete Gruppierungen, die unsere Gegend befreien. Ich merkte erst, dass es der IS ist, als der IS das Schild der Provinz Nainawa demontierte. Wir haben dort weitergelebt. Der IS verlangte von den Männern einen Bart wachsen zu lassen und eigene Kleidung zu tragen. Wer das nicht befolgt ist bestraft worden. Der IS ist im Juni 2014 einmarschiert. Im August 2014 hat mein Chef von mir verlangt in die Arbeit zu kommen. Es war schwierig für uns Frauen, wir durften nicht mit den Männern sprechen. Es wurde von mir verlangt (IS) Unterlagen zu kopieren und dem IS Daten (Adressen, Konten) über christliche Kunden zu geben. Es wäre leichter über mich an die Daten zu kommen. Ich habe die Daten an meinen Chef gegeben und bin nach Hause gegangen und das meinem Mann erzählt. Ich sagte ihm, dass ich nicht mehr weiterarbeiten kann, sonst müsste ich mit dem IS kooperieren. Darum bin ich mit meiner Familie in eine andere Wohnung in XXXX gezogen und wir sind nicht mehr arbeiten gegangen. Ich war zu Hause.

F: Was wissen Sie über die Bedrohungen über Ihren Mann, geben Sie mir darüber auch einen Überblick!

A: Mein Mann wurde vor 2007 in XXXX entführt. Nach seiner Freilassung sind wir nach Syrien gezogen, von 2007 bis 2008. Es gab auch Unruhen in XXXX . Nach dem Jahr 2008 hat sich die Lage in XXXX beruhigt und wir sind wieder zurückgekehrt. Mein Mann hatte genug Probleme, er hat mir aber nichts erzählt. Mein Mann wollte mich nicht belasten. Er sagte mir immer wir wollen weg von hier.

F: Sind Sie persönlich vom IS bedroht worden?

A: Sie haben mir gesagt, wer nicht mit uns kooperiert ist ein Ungläubiger. Der IS hat mit mir in der Arbeit gesprochen.

F: Wiederholgung der Frage: Sind Sie konkret vom IS bedroht worden?

A: Der IS hat mich nicht persönlich angesprochen, wir saßen in einer Gruppe und dort teilte der IS mit, wenn wir nicht kooperieren sind wir Ungläubige.

F: Das war eine allgemeine Äußerung des IS, wurden Sie persönlich bedroht?

A: Ich war bei dieser Gruppe in der Arbeit und habe die Äußerungen des IS persönlich genommen.

F: Sie haben also die Daten Ihrem Chef gegeben? Was hat Ihr Chef damit gemacht?

A: Er hat das nach Bagdad geschickt. Befragt gebe ich an, dass mein Chef (es war eine Frau) dem IS die Daten nicht gegeben hat.

F: Ist Ihre Chefin noch in XXXX ? Wie geht es Ihr?

A: Sie ist noch in XXXX , ich habe aber den Kontakt mit Ihr verloren.

F: Wie können Sie sich das erklären, wenn Ihre Chefin die Daten nicht dem IS gibt, warum wird Sie nicht vom IS verfolgt und kann weiter in XXXX leben?

A: Der IS weiß nicht wie unsere Arbeit läuft.

F: Wiederholung der Frage:

A: Es kann sein, dass sie jetzt mit dem IS kooperiert.

F: Wie hat die Bank geheißen und in welchem Zeitraum haben Sie gearbeitet?

A: Die Bank hieß XXXX und ich habe von 2000 bis 2014 gearbeitet.

Vorhalt: Vorhin sagten Sie Sie seien von 2007 bis 2008 in Syrien gewesen.

A: Ich habe mir freigenommen und es ging mir nicht gut. Meine Chefin erlaubte mir es und mir wurde der Gehalt weitergezahlt. Ich legte Ihnen einen medizinischen Befund vor.

F: Was stand in dem medizinischen Befund?

A: Dass es mir psychisch nicht gut geht, weil mein Mann entführt wurde.

F: Wie lange war Ihr Mann entführt?

A: Es war weniger als zwei Tage. Wir wussten nicht, dass er entführt war. Erst danach erfuhren wir davon. Es waren seine Zähne gebrochen und er hatte überall Blut und auf seinen Händen konnte man Folterspuren sehen. Er hat mir aber nichts darüber erzählt.

F: Wann war die Entführung genau?

A: Es war im Jahr 2006/2007.

F: Was hat Ihr Mann in Syrien gearbeitet?

A: Er war dort selbständig, er hatte ein Internetcafé. Danach bekam er keine Genehmigung mehr und musste schließen. Wir konnten von meinem Lohn leben. Befragt gebe ich an, dass meine Tochter dort in den Kindergarten ging. Die anderen Kinder sind erst nach 2005 geboren.

F: Nennen Sie mir die genaue Adresse der Wohnung in Syrien!

A: Ich habe einen Mietvertrag. Wir wohnten in XXXX .

F: Wie hat die Küche in dieser Wohnung in Syrien ausgesehen, beschreiben sie Sie mir konkret? Machen Sie mir bitte eine Skizze von der Wohnung in Syrien.

Anm.: Partei macht ein Skizze der Wohnung, diese wird dem Akt beigelegt.

A: Rechts beim Eingang der Wohnung war die Küche. Wenn man in die Küche reingeht war auf der rechten Seite die Abwasch und gegenüber vom Eingang der Küche ist ein Fenster, wo man nicht durchsieht. Der Ofen war genau unterhalb.

F: Wann haben Sie XXXX das erste mal verlassen, bezüglich Ihrer ersten Flucht?

A:Es war im Jahr 2007.

F: Wann haben Sie XXXX das zweite man verlassen, bezüglich Ihrer zweiten Flucht?

A: Das war am 20.08.2015.

F: Was hat Ihr Mann vor 2007 in XXXX gearbeitet?

A: Er war ein Angestellter bei der Behörde, die für die Wasserleitungen und Kanäle in XXXX zuständig war.. Den Namen der Behörde kenne ich nicht beim Namen.

F: Was hat Ihr Mann nach 2008 in XXXX gearbeitet?

A: Er war wieder bei der gleichen Behörde. Befragt gebe ich an, dass mein Mann ca. bis Juni 2014 gearbeitet hat.

F: Übte Ihr Mann vor der Behörde andere Tätigkeiten aus?

A: Ja, im Bereich der IT- Branche. Befragt gebe ich an, dass als mein Mann entführt wurde schon bei der Behörde war.

F: Wurde Ihr Mann vom IS konkret bedroht?

A: Ja, er wurde persönlich bedroht. Jeder Angestellte seiner Behörde musste den IS unterstützen.

F: Wann wurde Ihr Mann vom IS genau bedroht?

A: Es war im August 2015.

F: Wo haben Sie nach der Rückkehr aus Syrien in XXXX gewohnt.

A: Zuerst haben wir wieder bei meinen Schwiegereltern im Bezirk ALBAKER gelebt und danach sind wir in einen anderen Bezirk umgezogen, namens XXXX .

F: Wie lange haben Sie dann in XXXX gewohnt?

A: Von ca. 2010 bis Juni 2014.

F: Wo haben Sie nach dem Juni 2014 gewohnt?

A: Wir sind dann in eine neue Wohnung gezogen im Bezirk XXXX . Vor dem Umzug haben wir uns eine kurze Zeit bei einer Schwester meines Mannes gewohnt.

F: Wie lange haben Sie in der Wohnung im Bezirk XXXX gewohnt?

A: Ca. ein halbes Jahr bis zu zehn Monaten.

F: Warum sind Sie noch einmal umgezogen in den Bezirk XXXX ?

A: Die Wohnung haben wir vor dem Einmarsch des IS gekauft. Wir sind wegen mir und meinem Mann bezüglich der Probleme mit dem IS umgezogen.

F: War Ihr Mann, als Sie in dieser Wohnung waren noch arbeiten?

A: Nein, aber ich wusste es nicht warum er nicht arbeiten gegangen ist. Er war immer zu Hause. Manchmal hat er gesagt musste er auf die Arbeit, aber ich habe erfahren, dass er nicht arbeiten war sondern er war dann einkaufen oder beim Friseur.

F: Wie hat die Küche dieser Wohnung ausgesehen, machen Sie mir bitte eine Skizze von der zweiten Wohnung in Mossul im Bezirk XXXX .

Anm.: Partei macht eine Skizze der Wohnung, wird dem Akt beigelegt.

A: Wenn man in die Küche reinkommt ist direkt gegenüber die Abwasch, der Herd ist gleich auf der rechten Seite der Abwasch.

F: Wie hat Ihre Chefin von der Bank geheißen?

A: Sie hieß XXXX .

F: Wie viel Angestellte arbeiteten in Ihrer Filiale?

A: In unserer Abteilung waren wir elf Personen. Befragt gebe ich an, dass es noch weitere Abteilungen gab.

F: Wie viel christlichen Kunden hatte die Bank genau?

A: Es sind sehr viele.

F: Wie hat Sie der IS konkret bedroht und was haben Sie danach gemacht?

A: Meine Tätigkeit in der Bank war Unterlagen von Kunden zu kopieren und zu archivieren. Wir haben mehrere Tätigkeiten gemacht. Der IS hat Namen vorgelegt, von denen er die Adressen und die Geldbeträge wissen wollte. Es waren Christen, Kurden und Militärangehörige. Der IS verlangte die Herausgabe der Daten von weiteren christlichen Kunden, die nicht auf der Liste stehen.

Der IS sagte wir müssen mit ihm kooperieren, sonst gibt es eine Strafe. Die Strafe ist Folter oder Kopfabhacken. Aus Angst bin ich dann nicht mehr in die Arbeit.

F: Der IS hat Sie dort in der Arbeit aufgesucht?

A: Ja, es war in der Arbeit, bei mir zu Hause waren sie nicht.

F: Wie oft wurden Sie bedroht?

A: Ja, zwei oder dreimal.

Bitte antworten Sie auf die gestellte Frage!

F: Sie haben angegeben Sie wurden in der Gruppe bedroht?

A: Ja, wir sind elf Personen und wir wurden als Gruppe bedroht.

Bitte antworten Sie auf die gestellte Frage!

F: Sind Sie persönlich bedroht worden oder in der Gruppe?

A: Sie sind nicht zu mir nach Hause gekommen sondern in der Arbeit.

F: Sind Sie persönlich bedroht worden?

A: Ja, wir wurden gemeinsam bedroht.

F: Geben Sie mir den genauen Ablauf der Bedrohung bekannt!

A: Der IS ist zu uns in die Arbeit gekommen. Sie haben uns gesagt sie sind hier um uns zu verteidigen. Wir sollen mit ihnen kooperieren. Das war das erste Mal. Befragt gebe ich an, dass dies allgemein in die Gruppe gesagt wurde.

F: Woher wissen Sie, dass es der IS war?

A: Als der IS das Schild von unserer Provinz heruntergenommen haben.

Wiederholung der Frage!

A: Der IS hat auf das Schild der Provinz XXXX geschrieben. Das heißt der islamischer Staat. Ich habe Fotos.

Anm: Partei sieht am Handy nach und kann aber keine Fotos nachweisen.

F: Wie viel haben Sie als Bankangestellte genau verdient?

A: Ca. 750.000 irakische Dinar.

F: Wie viel sind das in Euro?

A: Ich kann es nicht genau sagen.

F: Sie haben in der Bank gearbeitet und können den Eurokurs nicht genau nennen?

Anm: Partei denkt nach und rechnet.

A: CA. 500 Euro.

F: Wie konnten Sie sich so lange in der zweiten Wohnung in XXXX so lange vor dem IS verstecken?

A: Wir bekamen den Gehalt 15 mal ausbezahlt.

Wiederholung der Frage!

A: Ich bin in eine andere Wohnung gezogen. Diese Gruppe hat die Macht die Informationen von jemand anderen zu holen.

Vorhalt: Sie geben an bedroht worden zu sein. Wieso lebten sie weitere zehn Monate in XXXX obwohl Sie bedroht wurden. Das ist nicht nachvollziehbar!

A: Alle Iraker sind bedroht, auch meine Familie ist auch in Gefahr.

Wiederholung der Frage! Sie gaben selbst an, dass diese Gruppe Macht habe, Informationen über jemanden einzuholen, warum bleiben Sie weiter in der Stadt XXXX ?

A: Wir haben einmal versucht auszureisen, wir haben es aber nicht geschafft.

F: Warum haben Sie die Ausreise nicht geschafft?

A: Es ist eine Gruppe gestanden. Wir wollten nach Bagdad, sie haben unsere Pässe und unser Auto entzogen und uns nicht vorbei gelassen. Sie glaubten, dass wir fliehen wollten und uns daher nicht weitergelassen.

F: Wie viel Männer waren es genau?

A: Es waren mehr als zwei oder drei.

F: Wann war dieses Ereignis genau?

A: Im Juni oder Juli 2015.

F: Bitte geben Sie das Monat genauer an.

A: Ich kann es nicht genau sagen.

F: Wie waren die Männer maskiert?

A: Sie waren angezogen wie vom IS. Nachgefragt gebe ich an, wie sollen Sie angezogen sein? Sie waren bewaffnet und ich habe mich auf meine Kinder konzentriert und nicht genau gesehen.

F: Ihre Aussage ist unglaubwürdig. Einerseits sagen Sie es waren zwei oder drei andereseits sagen Sie Sie haben nicht hingesehen! Was sagen Sie dazu?

A: Ich habe die Wahrheit gesagt. Es ist ein Auto gestanden. Befragt gebe ich an, dass ich nicht weiß ob die Gruppe im Auto größer war oder jemand darin war.

F: Woher wissen Sie, wenn sie im Auto gesessen sind, wie sie angezogen waren. Wie konnten Sie die Waffe erkennen, wenn die Menschen im Auto saßen?

A: Wie halt eine Waffe aussieht.

Anm: Partei zeigt, dass die Waffe über die Schulter hängt. Ein Gewehr.

F: Wissen Sie wie eine Waffe aussieht?

A: Partei zeigt auf Ihre Hüfte und sagt eine Pistole.

F: Sie gaben an, dass Sie mit den Kindern beschäftigt waren und nicht wissen wie viele Menschen im Auto waren?

A: Ja.

F: Wie konnten Sie die Pistole an der Hüfte eines im Auto sitzenden Menschen erkennen. Es war nicht in Ihrem Blickfeld.

A: Ich habe die Personen, welche draußen standen. Ich weiß nicht wer darin sitzt.

Anm: Partei wird darauf hingewiesen, auf die Fragen die Ihnen gestellt werden zu antworten.

F: Was hatten Sie für ein Auto?

A: Die Marke heißt Sorento, es war ein weißes Auto.

F: Können Sie das Auto beschreiben?

A: Im Kofferraum kann man zusätzlich Sitzplätze aufklappen. Ich bin selber gefahren.

F: Wo war Ihr Mann, als Sie mit dem Auto gefahren sind?

A: Nein, ich meine, dass ich im Irak auch mit dem Auto gefahren bin. Beim IS darf man als Frau nicht mit dem Auto fahren.

F: Woher wissen Sie dann wo Sie mit dem Auto fahren konnten, wenn der IS es nicht erlaubte?

A: Nach dem Einmarsch des IS bin ich nicht mehr mit dem Auto gefahren. Man darf nur mit Begleitung fahren.

Anm: Die Partei wird darauf hingewiesen auf die Fragen genau zu antworten und nicht von selbst Neuigkeiten berichten.

F: Welches Gewand hatten die IS - Anhänger genau an.

A: Sie hatten eine schwarze Fahne. Sie sagen selber wir sind das islamische Land.

Wiederholung der Frage!

A: Sie haben einen Oberteil, wie ein Kleid. Seitlich ist geschnitten wie ein Buchstabe U (beidseitig). Und die Hose geht bis zu dem Knöchel und Knie. Sie ist elastisch und man kann sie dehnen. Sie hatten Sandalen an.

F: Gab es sonst noch Kleidungsstücke, welche die Personen bedeckt haben?

A: Manche hatten seitlich einen U - Schnitt und manche einen Schnitt.

Anm: Die Partei wird mehrmals darauf hingewiesen präzise auf die Fragen zu antworten.

F: Hatten die Personen sonst noch auffällige Kleidungsstücke?

A: Nein.

F: Nach Ihrem letzten Arbeitstag bei der Bank, wurden Sie danach noch einmal vom IS persönlich bedroht?

A: Nein.

F: Wie oft und wie wurden Sie in der Arbeit vom IS bedroht?

A: Mehr als dreimal.

F: War die Bedrohung des IS an Ihre komplette Abteilung oder an Sie persönlich gerichtet.

A: Ja, an alles elf.

F: Wurden Sie vom IS verletzt oder gefoltert?

A: Nein. Ich bin nicht mehr in die Arbeit gegangen und das wars.

F: Hatten Sie nach dem letzten Arbeitstag noch Probleme mit dem IS?

A: Nein, hatte ich nicht. Nur die normalen Zwänge (Kleidung,...) des IS, die alle Frauen dort betroffen haben.

F: In den zehn Monaten als Sie sich versteckt hielten, hatten Sie da Probleme mit dem IS?

A: Nein.

F: Möchten Sie sich noch etwas angeben?

A: Wir sind friedliche Menschen und wir wollen hier in Ruhe leben. Ich arbeite und meine Kinder gehen hier zur Schule."

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.09.2016 wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde den BF der Status der Subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Die befristete Aufenthaltsgenehmigung wurde ihnen gemäß Abs. 4 AsylG bis zum 24.9.2017 erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Beschwerdeführers und den Feststellungen zur Person der BF aus, es könne nicht festgestellt werden, dass diese im Irak einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen seien oder einer solchen noch ausgesetzt wären.

Beweiswürdigend legte die bB nach allgemeinen Ausführungen über die Glaubhaftmachung und Anführung entsprechender Judikatur-Zitate dar, BF1 hätte glaubhaft machen können, dass er im Jahr 2007 entführt worden sei, er jedoch nicht deshalb den Irak verlassen habe. Glaubwürdig sei ebenfalls gewesen, dass BF1 mehrmals telefonisch von Angehörigen des IS bedroht worden sei, doch könne diese Bedrohung mangels Intensität nicht zu einer Asylgewährung führen. Den Bombenanschlag des IS habe er in keiner Weise schlüssig ausführen können, zumal diese Situation höchst vage und unkonkret geschildert worden sei. Im Übrigen mangele es der Geschichte aus an Plausibilität. Unglaubwürdig sei ferner, dass BF1 - nach erfolgter Drohung und einem Bombenanschlag auf ihn - bei einem Ausreiseversuch an einem Checkpoint aufgehalten worden sei und ohne Konsequenzen in die Stadt XXXX habe zurückkehren können.

In Bezug auf BF2 wurde lediglich dargelegt, dass das Vorbringen nicht den von der Judikatur aufgestellten Erfordernissen für die Glaubhaftmachung eines Vorbringens entspreche.

Die Zuerkennung des Subsidiären Schutzes wurde mit keinerlei Begründung versehen, sondern erschöpft sich in der Zusammenfassung der in § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG normierten Voraussetzungen.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, die BF hätten aufgrund der Ergebnisse des Beweisverfahrens keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. In Bezug auf die behauptete Entführung durch die Al-Kaida wurde ausgeführt, dass es diesem Ereignis an Aktualität mangle.

4. Mit Verfahrensanordnung vom 26.09.2016 wurde den BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

5. Gegen die den BF am 29.9.2016 zugestellten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der bevollmächtigten rechtsfreundlichen Vertretung fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird im Wesentlichen die Fluchtgeschichte der BF wiederholt und dargelegt, dass gemäß § 3 AsylG nicht der volle Beweis über die Richtigkeit der Ausführungen gefordert sei, sondern die Glaubhaftmachung genüge. Die Darstellungen der BF seien auch vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen plausibel und sei auch darauf Bedacht zu nehmen, dass der irakische Staat nicht schutzfähig bzw. -willig sei. Diesem Schreiben wurde ein Schreiben in arabischer Schrift angeschlossen. Einer von der bB beauftragten Übersetzung zufolge wurden darin nochmals die Gründe der BF für ihre Ausreise dargelegt.

6. Die Beschwerdevorlage langte am 19.10.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde am 3.12.2018 der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

7. Am 28.2.2019 langte die vom Bundesverwaltungsgericht beauftragten Übersetzung sämtlicher im Akt erliegender Dokumente in arabischer Sprache ein.

8. Am 12.3.2019 langte die Vollmachtsbekanntgabe der im Spruch genannten Rechtsvertretung für alle BF ein.

9. Am 21.3.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein der BF sowie einer Dolmetscherin für die arabische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde den BF einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich ihre Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen erörtert, welche den BF zusammen mit der Einladung zur mündlichen Verhandlung vorab ausgefolgt und eine Stellungnahme hiezu freigestellt wurde. In dieser Verhandlung legte BF1 eine Mitteilung seines ehemaligen Dienstgebers betreffend ein vermisstes Dienstfahrzeug an das "Korrektheitsgremium/ Ermittlungsdirektion Ninewa" vor. Ferner wurden Berichte und Presseartikel, insbesndere zur Situation in XXXX übergeben.

10. Seitens der BF wurden mit Note vom 15.3. 2019 sowie in der mündlichen Verhandlung weritere Unterlagen in Vorlage gebracht. Neben bereits vorgelegten Dokumenten wurden zwei Schreiben des Ministeriums für Kommunen und Arbeit, Generaldirektion für Kanalisation betreffend die "Bildung des Amtes des Baustellenleiters" und "Fristverlängerung" vorgelegt, deren Übersetzung ebenfalls vom Bundesverwaltungsgericht veranlasst wurde. Diese Dokumente wurden ein weiteres Mal am 9.5.2019 vorgelegt.

10. In einer Stellungnahme vom 3.4.2019 zitierten die BF aus verschiedenen Berichten über die Sicherheitslage und die Zustände in der Stadt XXXX , etwa der UN Assistance Mission for Iraq - UNAMI, der Jamestown Foundation oder Musigs on Iraq, einem Blog des US-amerikanischen Irakexperten Joel Wing und legten sicherheitsrelevante Daten, vor allem betreffend die Herkunftsprovinz der BF dar. Ferner legten die BF dar, habe BF1, wie in der mündlichen Verhandlung geschildert, eine Bestrafung zu erwarten, da er seinen Dienstwagen nicht ordnungsgemäß zurückgestellt habe. Laut irakischem Strafgesetzbuch, aus welchem in der Folge zitiert wurde, könne derartiges Verhalten mit gravierenden Freiheitsstrafen sanktioniert werden.

11. Mit E-Mail vom 9.5.2019 übermittelten die BF neuerlich bereits vorgelegten Dokumente.

12. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.4.2019 wurden die BF von der an sie ergangenen Ladung zur fortgesetzten Verhandlung am 17.5.2019 informiert und aufgefordert, bis spätestens 20.5.2019 weitere Beweismittel, insbesondere einen allenfalls vorliegenden Haftbefehl gegen BF1, falls vorhanden, bis spätestens eine Woche vor der fortgesetzten mündlichen Verhandlung, vorzulegen.

13. Mit Schreiben vom 9. Mai 2019 wurden bereits einmal vorgelegte Dokumente vorgelegt und dargelegt, dass weitere Beweismittel möglicherweise am Tag der Verhandlung vorgelegt werden können.

14. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.5.2019 wurden die BF aufgefordert, alle bereits verfügbaren Beweismittel dem Gericht umgehend vorzulegen.

15. Am 15.5.2019 wurde ein Konvolut von Dokumenten in arabischer Sprache vorgelegt, die im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichtes übersetzt wurden. Diesen Übersetzungen zufolge handelt es sich um verschiedene Schreiben des Ministeriums für Kommunale - und öffentliche Arbeiten, in welchen eine Verzögerung eines Projektes aufgrund einer am 8.3.2014 erfolgten Explosion thematisiert wird sowie eine Mitteilung einer Polizeidienstelle an die Direktion für Kanalisation in Ninewa, in welcher dargelegt wird, dass sich am 8.3.2014 auf einer Liegenschaft im Viertel XXXX eine Sprengstoffexplosion ereignet habe.

16. Am 17.5.2019 wurde die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein der BF, ihrer Rechtsvertretung sowie einer Dolmetscherin für die arabische Sprache fortgesetzt. Eingangs dieser Verhandlung wurde mitgeteilt, dass eine Verfolgung der Töchter des BF1 und der BF2 betreffend eine befürchtete Zwangsbeschneidung durch den IS für nicht mehr als relevant erachtet würde. Im weiteren Verlauf dieser Verhandlung wurde BF1 einerseits neuerlich ausführlich zu seinen Gründen für die Ausreise und seinen Rückkehrbefürchtungen befragt, die vorgelegten Unterlagen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen erörtert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF führen die im Spruch ersichtlichen Namen, sind Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Sie lebten vor ihrer Ausreise in XXXX , zuletzt im Bezirk XXXX in einem Haus, das im Eigentum der Familie steht. Bis zu ihrem Ableben lebte auch eine Tante des BF1 dort. Die BF sind Angehörige der arabischen Volksgruppe und bekennten sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung. BF1 und BF2 sind Ehegatten. BF3 bis BF6 sind ihrer gemeinsamen, minderjährigen Kinder.

BF1 besuchte die Schule zwölf Jahre lang und studierte anschließend Informatik. Das Studium schloss er im Jahr 2002 ab. BF1 arbeitete danach bis zu seiner Ausreise - unterbrochen durch einen Aufenthalt in Syrien - für das Ministerium für Kommunen und öffentliche Arbeiten, XXXX . BF2 schloss die Grundschule ab und arbeitete - ebenfalls unterbrochen durch einen Aufenthalt in Syrien - in einer staatlichen Bank.

Die Eltern des BF1 sind verstorben. Ein Bruder des BF1 lebt noch im Irak und arbeitet als Hilfsarbeiter in XXXX . Ferner leben noch ein Onkel und eine Tante des BF1 in der Stadt XXXX . BF1 hat regelmäßigen Kontakt zu seinen Geschwistern. Auch die Eltern sowie zwei Brüder der BF2 leben noch in XXXX . Andere Geschwister leben in Österreich. Auch BF2 hat regelmäßigen Kontakt zu ihrer Familie.

Die BF2 verließen am 20.8.2015 den Irak und reisten über eine nicht mehr nachvollziehbare Route schlepperunterstützt bis nach Österreich, wo sie am 29.09.2015 die verfahrensgegenständlichen Asylanträge stellten.

1.2. Die BF gehören keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatten in ihrem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder ihres Religionsbekenntnisses zu gewärtigen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF vor ihrer Ausreise Drohungen oder Übergriffen seitens der Milizen des Islamischen Staates ausgesetzt waren.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF vor ihrer Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat einer sonstigen individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in ihrem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt waren oder sie im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären. Insbesondere sind die BF im Fall einer Rückkehr in ihre Herkunftsregion nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit psychischer und/oder physischer Gewalt seitens verbliebener Anhänger des Islamischen Staates und/oder schiitischer Milizen ausgesetzt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass BF1 in seinem Herkunftsstaat von Strafverfolgungsbehörden mit Haftbefehl gesucht wird bzw. ihm im Fall einer Rückkehr in den Irak Strafverfolgung drohen würde.

Ferner wird den BF im Fall einer Rückkehr in ihre Herkunftsregion nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Anhängerschaft bzw. Unterstützung des Islamischen Staates oder ein sonstiges Naheverhältnis zum Islamischen Staat vor der Ausreise unterstellt werden.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass BF1 oder den übrigen BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung der BF festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

1.3. BF1 und BF2 sind gesunde, arbeitsfähige Menschen; BF1 verfügt über einen Universitätsabschluss in Informatik und hat für das Ministerium für Arbeit und Kommunen, XXXX , gearbeitet. BF2 hat ebenfalls eine Schulbildung genossen und in einer Bank gearbeitet.

Die zweitälteste Tochter der BF ist verschlossen und leidet an Angstzuständen. Die erwachsenen BF konsultierten die Schulpsychologin und haben im Juni einen Termin bei mit einem weiteren Psychologen vereinbart. Ein ärztliches Attest liegt nicht vor.

Die BF verfügen über irakische Ausweisdokumente im Original (Personalausweise).

1.4. Die BF verfügen über eine befristete Aufenthaltsberechtigung für Subsidiär Schutzberechtige und beziehen seit 14.10.2016 keine Leistungen aus der Grundversorgung mehr.

1.5. Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

1. Politische Lage

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.2.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazät) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).

Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).

Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack

27.9.2018) .Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018).Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018; vgl. IRIS).

Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).

In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).

Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.2.2018).

Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 9.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).

Parteienlandschaft

Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da'wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (OIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander - eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS

2.5.2018) .

Die meisten politischen Parteien verfügen über einen bewaffneten Flügel oder werden einer Miliz zugeordnet (Niqash 7.7.2016; vgl. BP 17.12.2017) obwohl dies gemäß dem Parteiengesetz von 2015 verboten ist (Niqash 7.7.2016; vgl. WI 12.10.2015). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018) und haben sich zu einer einflussreichen politischen Kraft entwickelt (Niqash 5.4.2018; vgl. Guardian 12.5.2018).

Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikt gekennzeichnet, zwischen Kräften, die auf Provinz-Ebene agieren, und solchen, die auf

Bundesebene agieren. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018)

Die politische Landschaft der Autonomen Region Kurdistan ist historisch von zwei großen Parteien geprägt: der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Dazu kommen Gorran ("Wandel"), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert, sowie eine Reihe kleinere islamistische Parteien (KAS 2.5.2018).

Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).

Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon, unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fath-Bewegung des Milizenführers Hadi al-Amiri und Haider al-Abadi's Nasr ("Victory")-Allianz (LSE 7.2018).

Bild kann nicht dargestellt werden

Protestbewegung

Die Protestbewegung, die es schon seit 2014 gibt, gewinnt derzeit an Bedeutung. Zumeist junge Leute gehen in Scharen auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus (WZ 9.10.2018). Im Juli 2018 brachen im Süden des Landes, in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr Proteste aus. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Reich an Ölvorkommen, liefert die Provinz Basra 80 Prozent der Staatseinnahmen des Irak. Unter den Einwohnern der Provinz wächst jedoch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem enormem Reichtum und ihrer eigenen täglichen Realität von Armut, Vernachlässigung, einer maroden Infrastruktur, Strom- und Trinkwasserknappheit (Carnegie 19.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

Die Proteste im Juli weiteten sich schnell auf andere Städte und Provinzen im Süd- und Zentralirak aus (DW 15.7.2018; vgl. Presse 15.7.2018, CNN 17.7.2018, Daily Star 19.7.2018). So gingen tausende Menschen in Dhi Qar, Maysan, Najaf und Karbala auf die Straße, um gegen steigende Arbeitslosigkeit, Korruption und eine schlechte Regierungsführung, sowie die iranische Einmischung in die irakische Politik zu protestieren (Al Jazeera 22.7.2018). Die Proteste erreichten auch die Hauptstadt Bagdad (Joel Wing 25.7.2018; vgl. Joel Wing 17.7.2018). Am 20.7. wurden Proteste in 10 Provinzen verzeichnet (Joel Wing 21.7.2018). Demonstranten setzten die Bürogebäude der Da'wa-Partei, der Badr-Organisation und des Obersten Islamischen Rats in Brand; praktisch jede politische Partei wurde angegriffen (Al Jazeera 22.7.2018). Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, sowie zu Todesfällen (Kurier 15.7.2018; vgl. CNN 17.7.2018, HRW 24.7.2018). Ende August war ein Nachlassen der Demonstrationen zu verzeichnen (Al Jazeera 3.8.2018). Im September flammten die Demonstrationen wieder auf. Dabei wurden in Basra Regierungsgebäude, die staatliche Fernsehstation, das iranische Konsulat, sowie die Hauptquartiere fast aller Milizen, die vom Iran unterstützt werden, angegriffen. Mindestens 12 Demonstranten wurden getötet (Vox 8.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

2. Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich. seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde. verbessert (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv. die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich. das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen. aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten. zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten. Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018)

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.2.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen. die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).

Islamischer Staat (IS)

Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor. hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 3.7.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 6.10.2018).

Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 4.10.2018; vgl. ISW 2.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS

4.10.2018) . Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. Ortschaften werden angegriffen und Steuern vom IS erhoben. Es gibt Gebiete, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und IS-Kämpfer, die sich tagsüber offen zeigen. Dies geschieht trotz ständiger Razzien durch die Sicherheitskräfte, die jedoch weitgehend wirkungslos sind (Joel Wing 6.10.2018)

Die Extremisten richten auch falsche Checkpoints ein, an denen sie sich als Soldaten ausgeben, Autos anhalten und deren Insassen entführen, töten oder berauben (Niqash 12.7.2018; vgl. WP 17.7.2018)

Das Hauptproblem besteht darin, dass es in vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 6.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.8.2018).

Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Der Irak verzeichnet derzeit die niedrigste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 (Joel Wing 5.4.2018). Die Sicherheitslage ist in verschiedenen Teilen des Landes sehr unterschiedlich, insgesamt hat sich die Lage jedoch verbessert (MIGRI 6.2.2018)

So wurden beispielsweise im September 2018 vom Irak-Experten Joel Wing 210 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 195 Todesopfern im Irak verzeichnet. Dem standen im September des Jahres 2017 noch 306 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 728 Todesopfern gegenüber. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im September 2018 waren Bagdad mit 65 Vorfällen, Diyala mit 36, Kirkuk mit 31, Salah al-Din mit 21, Ninewa mit 18 und Anbar mit 17 Vorfällen (Joel Wing 6.10.2018).

Die folgende Grafik von ACCORD zeigt, im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im zweiten Quartal 2018, nach Provinzen aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im zweiten Quartal 2018, nach Provinzen aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 5.9.2018).

Bild kann nicht dargestellt werden

Quelle: ACCORD (5.9.2018): Irak, 2. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus ACLED, https:// www.ecoi.net/en/file/local/1442566/1930 1536217374 2018a2iraa-de.pdf. Zugriff 29.10.2018

Laut Angaben von UNAMI. der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak. wurden im September 2018 im Irak insgesamt 75 irakische Zivilisten durch Terroranschläge. Gewalt und bewaffnete Konflikte getötet und weitere 179 verletzt (UNAMI 1.10.2018). Insgesamt verzeichnete UNAMI im Jahr 2017 3.298 getötete und 4.781 verwundete Zivilisten. Nicht mit einbezogen in diesen Zahlen waren zivile Opfer aus der Provinz Anbar im November und Dezember 2017. für die keine Angaben verfügbar sind. Laut UNAMI handelt es sich bei den Zahlen um absolute Mindestangaben. da die Unterstützungsmission bei der Überprüfung von Opferzahlen in bestimmten Gebieten eingeschränkt ist (UNAMI 2.1.2018). Im Jahr 2016 betrug die Zahl getöteter Zivilisten laut UNAMI noch 6.878 bzw. die verwundeter Zivilisten 12.388. Auch diese Zahlen beinhalten keine zivilen Opfer aus Anbar für die Monate Mai. Juli. August und Dezember (UNAMI 3.1.2017)

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle. dokumentierte IBC im September 2018 241 zivile Todesopfer im Irak. Im September 2017 betrug die Zahl von IBC dokumentierter ziviler Todesopfer im Irak 490; im September 2016 935. Insgesamt dokumentierte IBC von Januar bis September 2018 2.699 getötete Zivilisten im Irak. Im Jahr 2017 dokumentierte IBC 13.178 zivile Todesopfer im Irak; im Jahr 2016 betrug diese Zahl 16.393 (IBC 9.2018).

Bild kann nicht dargestellt werden

Quelle: IBC - Iraq Body Count (9.2018): Database - Documented civilian deaths from violence, https://www.iraqbodycount.org/database/ Zugriff 31.10.2018

Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards

 

Jan

Feb

Mar

Apr

May

Jun

Jul

Aug

Sep

Oct

Nov

Dec

 

2003

3

2

3977

3438

545

597

646

833

566

515

487

524

12,133

2004

610

663

1004

1303

655

909

834

878

1042

1033

1676

1129

11,736

2005

1222

1297

905

1145

1396

1347

1536

2352

1444

1311

1487

1141

16,583

2006

1546

1579

1957

1804

2278

2593

3298

2865

2565

3037

3095

2900

29,517

2007

3032

2679

2726

2566

2851

2216

2696

2481

1387

1324

1124

996

26,078

2008

858

1092

1667

1315

914

753

639

704

612

594

540

586

10,274

2009

372

407

438

589

428

563

431

653

350

441

226

478

5,376

2010

267

305

336

385

387

385

488

520

254

315

307

218

4,167

2011

389

254

311

289

381

386

308

401

397

366

288

392

4,162

2012

531

356

377

392

304

529

469

422

400

290

253

299

4,622

2013

357

360

403

545

888

659

1145

1013

1306

1180

870

1126

9.852

2014

1097

972

1029

1037

1100

4088

1580

3340

1474

1738

1436

1327

20,218

2015

1490

1625

1105

2013

1295

1355

1845

1991

1445

1297

1021

1096

17,578

2016

1374

1258

1459

1192

1276

1405

1280

1375

935

1970

1738

1131

16,393

2017

1119

982

1920

1816

1871

1858

1498

597

490

397

346

 

13,187

2018

474

410

402

303

229

209

230

201

241

 

 

 

2,699

              

Quelle: IBC - Iraq Body Count (9.2018): Database - Documented civilian deaths from violence. https://www.iraqbodycount.org/database/ Zugriff 31.10.2018

Sicherheitslage Bagdad

Die Provinz Bagdad ist die kleinste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Irak, mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit der Provinz wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Im Jahr 2016 verzeichnete die Provinz Bagdad noch immer die höchste Zahl an Opfern im gesamten Land. Die Sicherheitslage verbesserte sich jedoch in Bagdad als die Schlacht um Mosul begann. Während Joel Wing im Januar 2016 in Bagdad noch durchschnittlich 11,6 Angriffe pro Tag verzeichnete, sank diese Zahl zwischen April und September 2017 auf durchschnittlich 3 Angriffe pro Tag (OFPRA 10.11.2017; vgl. Joel Wing 8.7.2017, Joel Wing 4.10.2017). Seit 2016 ist das Ausmaß der Gewalt in Bagdad allmählich zurückgegangen. Es gab einen Rückgang an IS- Aktivität, nach den Vorstößen der irakischen Truppen im Nordirak, obwohl der IS weiterhin regelmäßig Angriffe gegen militärische und zivile Ziele durchführt, insbesondere, aber nicht ausschließlich, in schiitischen Stadtvierteln. Darüber hinaus sind sunnitische Bewohner der Gefahr von Übergriffen durch schiitische Milizen ausgesetzt, einschließlich Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen (OFPRA 10.11.2017).

Terroristische und politisch motivierte Gewalt setzte sich das ganze Jahr 2017 über fort. Bagdad war besonders betroffen. UNAMI berichtete, dass es von Januar bis Oktober 2017 in Bagdad fast täglich zu Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern kam. Laut UNAMI zielten einige Angriffe auf Regierungsgebäude oder Checkpoints ab, die von Sicherheitskräften besetzt waren, während viele andere Angriffe auf Zivilisten gerichtet waren. Der IS führte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung durch, einschließlich Autobomben- und Selbstmordattentate (USDOS 20.4.2018).

Laut Joel Wing kam es im Januar 2018 noch zu durchschnittlich 3,3 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bagdad pro Tag, eine Zahl die bis Juni 2018 auf durchschnittlich 1,1 Vorfälle pro Tag sank (Joel Wing 3.7.2018). Seit Juni 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Bagdad langsam wieder auf 1,5 Vorfälle pro Tag im Juli, 1,8 Vorfälle pro Tag im August und 2,1 Vorfälle pro Tag im September gestiegen. Diese Angriffe bleiben Routine, wie Schießereien und improvisierte Sprengkörper und konzentrieren sich hauptsächlich auf die äußeren südlichen und nördlichen Gebiete der Provinz (Joel Wing 6.10.2018).

Insgesamt kam es im September 2018 in der Provinz Bagdad zu 65 sicherheitsrelevanten Vorfällen. Damit verzeichnete Bagdad die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im ganzen Land (Joel Wing 6.10.2018). Auch in der ersten und dritten Oktoberwoche 2018 führte Bagdad das Land in Bezug auf die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle an. Wenn man jedoch die Größe der Stadt bedenkt, sind Angriffe immer noch selten (Joel Wing 9.10.2018 und Joel Wing 30.10.2018)

In Bezug auf die Opferzahlen war Bagdad von Januar bis März 2018, im Mai 2018, sowie von Juli bis September 2018 die am schwersten betroffene Provinz im Land (UNAMI 1.2.2018; UNAMI 2.3.2018; UNAMI 4.4.2018; UNAMI 31.5.2018; UNAMI 1.8.2018; UNAMI 3.9.2018; UNAMI 1.10.2018).Im September 2018 verzeichnete UNAMI beispielsweise 101 zivile Opfer in Bagdad (31 Tote, 70 Verletzte) (UNAMI 1.10.2018).

Sicherheitslage Nord- und Zentralirak

In den Provinzen Ninewa und Salah al-Din muss weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem IS und irakischen Sicherheitskräften gerechnet werden. Diese Gefährdungslage gilt ebenfalls für die Provinz Anbar und die Provinz Ta'mim (Kirkuk), sowie auch für die Provinz Diyala. Hinzu kommen aktuelle Spannungen zwischen irakischen Streitkräften und kurdischen Peshmerga (AA 1.11.2018).

Mit dem Zuwachs und Gewinn an Stärke von lokalen und sub-staatlichen Kräften, haben diese auch zunehmend Verantwortung für die Sicherheit, politische Steuerung und kritische

Dienstleistungen übernommen. Infolgedessen ist der Nord- und Zentralirak, obgleich nicht mehr unter der Kontrolle des IS, auch nicht unter fester staatlicher Kontrolle. Die Fragmentierung der Macht und die große Anzahl an mobilisierten Kräften mit widersprüchlichen Loyalitäten und Programmen stellt eine erhebliche Herausforderung für die allgemeinen Stabilität dar (GPPI 3.2018)

Der Zentralirak ist derzeit der wichtigste Stützpunkt für den IS. Die Gewalt dort nahm im Sommer 2018 zu, ist aber inzwischen wieder gesunken. In der Provinz Diyala beispielsweise fiel die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle von durchschnittlich 1,7 Vorfällen pro Tag im Juni 2018 auf 1,1 Vorfälle im Oktober 2018. Auch in der Provinz Salah al-Din kam es im Juni 2018 zu durchschnittlich 1,4 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Tag, im Oktober jedoch nur noch zu 0,5. Die Provinz Kirkuk verzeichnete im Oktober 2018 einen Anstieg an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit durchschnittlich 1,5 Vorfällen pro Tag, die höchste Zahl seit Juni 2018. Die Anzahl der Vorfälle selbst ist jedoch nicht so maßgeblich wie die Art der Vorfälle und die Schauplätze an denen sie ausgeübt werden. Der IS ist in allen ländlichen Gebieten der Provinz Diyala, in Süd-Kirkuk, Nord- und Zentral-Salah-al-Din tätig. Es gibt regelmäßige Angriffe auf Städte; Zivilisten und Beamte werden entführt; Steuern werden erhoben und Vergeltungsmaßnahmen gegen diejenigen ausgeübt, die sich weigern zu zahlen; es kommt auch regelmäßige zu Schießereien. Es gibt immer mehr Berichte über IS-Mitglieder, die sich tagsüber im Freien bewegen und das Ausmaß ihrer Kontrolle zeigen. Die Regierung hat in vielen dieser Gegenden wenig Präsenz und die anhaltenden Sicherheitseinsätze sind ineffektiv, da die Kämpfer ausweichen, wenn die Einsätze im Gang sind, und zurückkehren, wenn sie wieder beendet sind. Der IS verfügt derzeit über eine nach außen hin expandierende Kontrolle in diesen Gebieten (Joel Wing 2.11.2018).

3. Rechtsschutz / Justizwesen

Die Bundesjustiz besteht aus dem Obersten Justizrat (Higher Judicial Council, HJC), dem Bundesgerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission und anderen Bundesgerichten, die durch das Gesetz geregelt werden. Das reguläre

Strafjustizsystem besteht aus Ermittlungsgerichten, Gerichten der ersten Instanz, Berufungsgerichten, dem Kassationsgerichtshof und der Staatsanwaltschaft (LIFOS 8.5.2014). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 12.2.2018).

Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vgl. AA 12.2.2018). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein. Darüber hinaus schwächen die Sicherheitslage und die politische Geschichte des Landes die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 20.4.2018). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 12.2.2018).

Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 16.1.2018).

Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 12.2.2018). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft (FH 16.1.2018). Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über "schiitische Siegerjustiz" und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 12.2.2018).

Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Die Integritätskommission untersucht routinemäßig Richter wegen Korruptionsvorwürfen, aber einige Untersuchungen sind Berichten zufolge politisch motiviert. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente sowie der Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 20.4.2018). Nicht nur Polizei Richter, sondern auch Anwälte, können dem Druck einflussreicher Personen, z.B. der Stämme, ausgesetzt sein. Dazu kommt noch Überlastung. Ein Untersuchungsrichter kann beispielsweise die Verantwortung über ein Gebiet von einer Million Menschen haben, was sich negativ auf die Rechtsstaatlichkeit auswirkt (LIFOS 8.5.2014).

Die Verfassung gibt allen Bürgern das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess. Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen. Obwohl Ermittlungs-, Prozess- und Berufungsrichter im Allgemeinen versuchen, das Recht auf ein faires Verfahren durchzusetzen, ist der unzureichende Zugang der Angeklagten zu Verteidigern ein schwerwiegender Mangel im Verfahren. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 20.4.2018).

2017 endeten viele Schnellverfahren gegen Terrorverdächtige mit Todesurteilen. Zwischen Juli und August 2017 erließen die irakischen Behörden auch Haftbefehle gegen mindestens 15 Rechtsanwälte, die mutmaßliche IS-Mitglieder verteidigt hatten. Den Anwälten wurde vorgeworfen, sie stünden mit dem IS in Verbindung (AI 22.2.2018).

Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen sind demnach entweder strafrechtlich verurteilt oder angeklagt oder befinden sich in Untersuchungshaft. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht (USDOS 20.4.2018).

4. Sicherheitskräfte und Milizen

Im ganzen Land sind zahlreiche innerstaatliche Sicherheitskräfte tätig. Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle ausgeübt (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html Zugriff 31.10.2018

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, Sicherheitskräften, die vom Verteidigungsministerien verwaltet werden, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF, Popular Mobilization Forces), und dem Counter-Terrorism Service (CTS). Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig; es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur in diesem Bereich verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der Counter-Terrorism Service (CTS) ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS

20.4.2018) .

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 ArmeeAngehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Sie sind noch nicht befähigt, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.2.2018).

Straffreiheit ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums. Nach Angaben internationaler Menschenrechtsorganisationen findet Missbrauch vor allem während der Verhöre inhaftierter Personen im Rahmen der Untersuchungshaft statt. Probleme innerhalb der Provinzpolizei des Landes, einschließlich Korruption, bleiben weiterhin bestehen. Armee und Bundespolizei rekrutieren und entsenden bundesweit Soldaten und Polizisten. Dies führt zu Beschwerden lokaler Gemeinden bezüglich Diskriminierung aufgrund ethno-konfessioneller Unterschiede durch Mitglieder von Armee und Polizei. Die Sicherheitskräfte unternehmen nur begrenzte Anstrengungen, um gesellschaftliche Gewalt zu verhindern oder darauf zu reagieren (USDOS 20.4.2018)

Volksmobilisierungseinheiten (PMF)

Der Name "Volksmobilisierungseinheiten" (al-hashd al-sha'bi, engl.: popular mobilization units, PMU oder popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 20.4.2018). Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mosul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der

Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.2.2018).

Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.2.2018). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten das Assad-Regime in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind. Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und der iranischen Revolutionsgarde. Ende 2017 war keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch Premierminister und ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Die Bemühungen der Regierung, die PMF als staatliche Sicherheitsbehörde zu formalisieren, werden fortgesetzt, aber Teile der PMF bleiben "iranisch" ausgerichtet. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderungen in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 20.4.2018).

Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa'ib Ahl al-Haqq und den Kata'ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen von Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF. Diese Meldungen haben sich mit dem Konflikt um die umstrittenen Gebiete zum Teil verschärft (AA 12.2.2018).

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des "Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak" gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war [Anm. der "Oberste Rat für die Islamische Revolution im Irak" wurde später zum "Obersten Islamischen Rat im Irak" (OIRI), siehe Abschnitt "Politische Lage"]. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft der PMF. Sie ist besonders mächtig, weil sie Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen. Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und ist Miliz und politische Partei in einem (Süß 21.8.2017).

Die Kata'ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und werden auch von diesem angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist. Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von bis zu 30.000 Mann. Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der PMF. Kata'ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

Die Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US- amerikanischen Truppen im Irak. Asa'ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata'ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz'ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017).

Die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa von Großayatollah Ali al-Sistani, in der alle junge Männer dazu aufgerufen wurden, sich im Kampf gegen den IS den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten im Irak anzuschließen, von Muqtada as-Sadr gegründet. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden. Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann, ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017).

Auch die Kata'ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden. Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im

Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl al-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr- Bewegung. Zaidi steht in engem Kontakt zu Muhandis und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, den Kata'ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feldkommandeur Abu Azrael erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017).

Rechtsstellung und Aktivitäten der PMF

Obwohl das Milizenbündnis der PMF unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).

Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht (Süß 21.8.2017). In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, klagen Einheimische, dass sich die PMF gesetzwidrig und unverhohlen parteiisch verhalten. In Mosul beispielsweise behaupteten mehrere Einwohner, dass die PMF weit davon entfernt seien, Schutz zu bieten, und durch Erpressung oder Plünderungen illegale Gewinne erzielten. PMF-Kämpfer haben im gesamten Nordirak Kontrollpunkte errichtet, um Zölle von Händlern einzuheben. Auch in Bagdad wird von solchen Praktiken berichtet. Darüber hinaus haben die PMF auch die Armee in einigen Gebieten verstimmt. Zusammenstöße zwischen den PMF und den regulären Sicherheitskräften sind häufig. Auch sind Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der PMF weitverbreitet. Die Rivalität unter den verschiedenen Milizen ist groß (ICG 30.7.2018).

Neben der Finanzierung durch den irakischen, sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf - mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen - oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sindwaren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind waren (Posch 8.2017).

Kurdische Sicherheitskräfte (Peshmerga)

Die kurdischen Sicherheitskräfte (Peshmerga) unterstehen formal der kurdischen Regionalregierung und sind bislang nicht in den Sicherheitsapparat der Zentralregierung eingegliedert. Sie bilden allerdings keine homogene Einheit, sondern unterstehen faktisch voneinander getrennt den beiden großen Parteien, der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), in ihren jeweiligen Einflussgebieten (AA 12.2.2018). Die Peshmerga sind eine komplexe und vielschichtige Kraft, ihre Loyalität geteilt zwischen dem irakischen Staat, der autonomen Region Kurdistan, verschiedenen politischen Parteien und mächtigen Persönlichkeiten. Zu verschiedenen Zeitpunkten, manchmal auch gleichzeitig, können die Peshmerga als nationale Sicherheitskräfte, regionale Sicherheitskräfte, Partei-Kräfte und persönliche Sicherheitskräfte bezeichnet werden (Clingendael 3.2018). Im Kampf gegen den IS hatten die Peshmerga Gebiete über die ursprünglichen Grenzen von 2003 der Region Kurdistan-Irak hinaus befreit. Aus diesen zwischen Bagdad und Erbil seit jeher umstrittenen Gebieten hat die irakische Armee die Peshmerga nach Abhaltung des Unabhängigkeitsreferendums im September 2017 größtenteils zurückgedrängt. In weiten Teilen haben die Peshmerga sich kampflos zurückgezogen, es gab jedoch auch teils schwere bewaffnete Auseinandersetzungen mit Opfern auf beiden Seiten (AA 12.2.2018).

Nach der irakischen Verfassung hat die kurdische Autonomieregion das Recht, ihre eigenen Sicherheitskräfte zu unterhalten, finanziell unterstützt von der irakischen Bundesregierung, aber unter der operativen Kontrolle der kurdischen Autonomieregierung. Dementsprechend beaufsichtigt das Ministerium für Peshmerga-Angelegenheiten der kurdischen Autonomieregion 14 Infanteriebrigaden und zwei Unterstützungsbrigaden. Die PUK und die KDP kontrollieren zehntausende Mann zusätzliches Militärpersonal, einschließlich Milizen, die allgemein als die 70er und 80er Peshmerga-Brigaden bezeichnet werden (USDOS 20.4.2018).

KDP und PUK unterhalten getrennte Sicherheits- und Nachrichtendienste, einerseits Asayish und Parastin (KDP), und andererseits Asayish und Zanyari (PUK) (USDOS 20.4.2018; vgl. Chapman 2009). Die Unabhängige Menschenrechtskommission der kurdischen Autonomieregion informiert das kurdische Innenministerium regelmäßig, wenn ihr glaubwürdige Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch Polizeikräfte zukommen (USDOS 20.4.2018).

Die Sicherheitsdienste der kurdischen Autonomieregion halten in den von ihnen kontrollierten Gebieten bisweilen Verdächtige fest. Die schlecht definierten administrativen Grenzen zwischen Gebieten und dem Rest des Landes führen zu anhaltender Verwirrung über die Zuständigkeit der Sicherheitskräfte und der Gerichte. Erschwerend kommt hinzu, dass Teile dieser Gebiete sich noch unter IS-Kontrolle befinden (USDOS 20.4.2018).

5. Folter und unmenschliche Behandlung

Folter und unmenschliche Behandlung sind lautder irakischen Verfassung ausdrücklich verboten. Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren angewandt, etwa bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte. Laut Informationen von UNAMI sollen u. a. Bedrohung mit dem Tod, Fixierung mit Handschellen in schmerzhaften

Positionen und Elektroschocks an allen Körperteilen zu den Praktiken gehören. Das im August 2015 abgeschaffte Menschenrechtsministerium hat nach eigenen Angaben 500 Fälle unerlaubter Gewaltanwendung an die Justiz übergeben, allerdings wurden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (AA 12.2.2018).

Es gibt Berichte, dass die Polizei mit Gewalt Geständnisse erzwingt und Gerichte diese als Beweismittel akzeptieren. Weiterhin misshandeln und foltern die Sicherheitskräfte der Regierung, einschließlich der mit den PMF verbundenen Milizen, Personen während Verhaftungen, Untersuchungshaft und nach Verurteilungen. Internationale Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Fälle von Folter und Misshandlung in Einrichtungen des Innenministeriums und in geringerem Umfang in Haftanstalten des Verteidigungsministeriums sowie in Einrichtungen unter KRG-Kontrolle. Ehemalige Gefangene, Häftlinge und Menschenrechtsgruppen berichteten von einer Vielzahl von Folterungen und Misshandlungen (USDOS 20.4.2018).

Gegen Ende der Kämpfe um Mossul zwischen Mai und Juli 2017 häuften sich Berichte, wonach irakische Einheiten, darunter Spezialkräfte des Innenministeriums, Bundespolizei und irakische Sicherheitskräfte, Männer und Jungen, die vor den Kämpfen flohen, festnahmen, folterten und außergerichtlich hinrichteten (AI 22.2.2018).

In ihrem Kampf gegen den IS haben irakische Streitkräfte Hunderte von IS-Verdächtigen gefoltert, hingerichtet oder gewaltsam verschwinden lassen. Zahlreiche gefangene IS-Verdächtige haben behauptet, die Behörden hätten sie durch Folter zu Geständnissen gezwungen. Während der Militäreinsätze zur Befreiung von Mosul, haben irakische Streitkräfte mutmaßliche IS-Kämpfer, die auf dem Schlachtfeld oder in dessen Umfeld gefangen genommen worden waren, ungestraft gefoltert und hingerichtet, manchmal sogar nachdem sie Fotos und Videos der Misshandlungen auf Social Media Seiten veröffentlicht hatten (HRW 18.1.2018).

6. Korruption

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Staatsdiener vor, aber die Regierung setzt das Gesetz nicht immer wirksam um. Im Laufe des Jahres 2017 gab es zahlreiche Berichte über staatliche Korruption. Auf allen Ebenen des Staates sind einzelne Amtsträger in korrupte Praktiken verstrickt. Die Untersuchung von Korruption ist nicht frei von politischer Einflussnahme. Erwägungen hinsichtlich Familienzugehörigkeit, Stammeszugehörigkeit und Religionszugehörigkeit beeinflussen Regierungsentscheidungen auf allen Ebenen maßgeblich. Bestechung, Geldwäsche, Vetternwirtschaft und Veruntreuung öffentlicher Gelder sind üblich. Medien und NGOs versuchen Korruption unabhängig aufzudecken, obwohl ihre Möglichkeiten begrenzt sind. Antikorruptions-, Strafverfolgungs- und Justizbeamte sowie Mitglieder der Zivilgesellschaft und der Medien werden wegen ihrer Bemühungen zur Bekämpfung korrupter Praktiken bedroht und eingeschüchtert (USDOS 20.4.2018).

Die im ganzen Land grassierende Korruption ist bei fast allen Reformvorhaben ein wesentliches Hindernis, ihre Bekämpfung wurde nach dem militärischen Sieg gegen den IS von Ministerpräsident Abadi als dringlichste politische Aufgabe ausgerufen. Positiv zu vermerken ist die (demokratische) Absetzung einiger besonders korrupter Gouverneure, insbesondere in Ninewa. Abzuwarten bleibt, ob eine konsequentere Strafverfolgung auch unabhängig von der jeweiligen Zugehörigkeit zu bestimmten politischen Lagern erfolgen wird (AA 12.2.2018).

Es kommt wiederholt zu Demonstrationen gegen Korruption, sowohl im Süden des Landes, als auch in Bagdad, sowie in den kurdischen Autonomiegebieten (Rudaw 19.12.2017; vgl. Rudaw 9.2.2018, Qantara 16.7.2018).

Auf dem Corruption Perceptions Index 2017 von Transparency International wird der Irak mit 18 (von 100) Punkten bewertet (0=highly corrupt, 100=very clean) (TI 21.2.2018).

7. NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Mit Stand August 2018 waren laut irakischer Bundesdirektion für Nichtregierungsorganisationen 3.550 NGOs registriert. In der Autonomen Region Kurdistan betrug die Zahl registrierter NGOs 4.300 Seit 2010 gibt es ein Gesetz zu NGOs, das die Beschränkungen der Auslandsfinanzierung von NGOs erleichtert, die Ablehnung von Registrierungsanträgen einschränkt, strafrechtliche Sanktionen beseitigte, unbegründete Überprüfungen und Inspektionen untersagt, sowie gerichtliche Kontrollen über die Suspendierung von NGOs schuf (ICNL 14.9.2018).

Trotz positiver rechtlicher Rahmenbedingungen hat sich im Zuge der seit 2014 anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen das Arbeitsumfeld für Menschenrechtsorganisationen deutlich verschlechtert. Im gesamten Irak existierten allein im Bereich Menschenrechte zuletzt etwa 350 registrierte NGOs. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, unterliegen in ihrer Registrierung keinen besonderen Einschränkungen. Die schwierige Sicherheitslage und weiter bestehende regulatorische Hindernisse erschweren dennoch die Arbeit vieler NGOs. Sie unterliegen der Kontrolle durch die Behörde für Angelegenheiten der Zivilgesellschaft. Zahlreiche NGOs berichten von bürokratischen und intransparenten Registrierungsverfahren, willkürlichem Einfrieren von Bankkonten sowie unangekündigten und einschüchternden "Besuchen" durch Vertreter des Ministeriums. Die Präsenz von ausländischen NGOs im Zentral- und Südirak ist nach wie vor gering. Dies gilt nicht für die Region Kurdistan-Irak, wo viele ausländische NGOs tätig sind, die derzeit aber unter verschärften Kontrollen durch die Zentralregierung in ihrer Arbeit beeinträchtigt sind (AA 12.2.2018).

Nationale und internationale NGOs operieren in den meisten Fällen unter geringer staatlicher Einflussnahme, jedoch gibt es Berichte über staatliche Einmischung, wenn NGOs der Regierung oder bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppen Menschenrechtsverletzungen vorwerfen. Im Südirak berichten einige NGOs von Regierungsbeamten, die ihre Arbeit behindert bzw. sie belästigt haben, insbesondere was die Finanzen betrifft. Die kurdische Autonomieregion verfügt über eine aktive Gemeinschaft von meist kurdischen NGOs, viele mit engen Beziehungen zu den politischen Parteien PUK und KDP (USDOS 20.4.2018).

8. Wehrdienst, Rekrutierungen und Wehrdienstverweigerung

Im Irak besteht keine Wehrpflicht. Männer zwischen 18 und 40 Jahren können sich freiwillig zum Militärdienst melden (AA 12.2.2018; vgl. CIA 12.7.2018). Nach dem Sturz Saddam Husseins wurde die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft und ein Freiwilligen-Berufsheer eingeführt. Finanzielle Anreize machen die Arbeit beim Militär zu einer attraktiven Karriere (Niqash 24.3.2016; vgl. Rudaw 15.12.2015).

Laut Kapitel 5 des irakischen Militärstrafgesetzes von 2007 ist Desertion in Gefechtssituationen mit bis zu 7 Jahren Haft strafbar. Das Überlaufen zum Feind ist mit dem Tode strafbar (MoD 10.2007). Die Frage, inwieweit die irakischen Behörden in der Praxis im Falle von Desertion Strafverfolgung betreiben, kann nicht eindeutig beantwortet werden (MIGRI 6.2.2018).

Im Zuge des Zusammenbruchs der irakischen Streitkräfte im Jahr 2014 und des dreijährigen Kampfes gegen den IS schlossen sich viele Freiwillige den paramilitärischen Volksmobilisierungseinheiten (PMF) an, was zu einem Rekrutierungswettkampf zwischen dem irakischen Verteidigungsministerium und den Volksmobilisierungseinheiten führte (CEIP 22.7.2015; vgl. ACCORD 22.8.2016).

Auch in der Autonomen Region Kurdistan herrscht keine Wehrpflicht. Kurdische Männer und Frauen können sich freiwillig zu den Peshmerga melden (DIS 12.4.2016; vgl. NL 1.4.2018, Clingendael 3.2018).

9. Allgemeine Menschenrechtslage

Die Verfassung garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung. Der Irak hat wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch

Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren. Internationale Beobachter kritisieren, dass Mitglieder der Kommission sich kaum mit der Verletzung individueller Menschenrechte beschäftigen, sondern insbesondere mit den Partikularinteressen ihrer jeweils eigenen ethnisch-konfessionellen Gruppe. Ähnliches gilt für den Menschenrechtsausschuss im irakischen Parlament. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft (AA 12.2.2018).

Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen durch Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte, insbesondere durch einige Elemente der PMF; Verschwindenlassen und Erpressung durch PMF-Elemente; Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit; Gewalt gegen Journalisten; weit verbreitete Korruption; stark reduzierte Strafen für so genannte "Ehrenmorde"; gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen; Menschenhandel. Militante Gruppen töteten bisweilen LGBTI-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 20.4.2018).

Im Zuge des internen bewaffneten Konflikts begingen Regierungstruppen, kurdische Streitkräfte, paramilitärische Milizen, die US-geführte Militärallianz und der IS auch 2017 Kriegsverbrechen, Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und schwere Menschenrechtsverstöße. Der IS vertrieb Tausende Zivilpersonen, zwang sie in Kampfgebiete und missbrauchte sie massenhaft als menschliche Schutzschilde. Er tötete vorsätzlich Zivilpersonen, die vor den Kämpfen fliehen wollten, und setzte Kindersoldaten ein. Regierungstruppen und kurdische Streitkräfte sowie paramilitärische Milizen waren für außergerichtliche Hinrichtungen von gefangen genommenen Kämpfern und Zivilpersonen, die dem Konflikt entkommen wollten, verantwortlich. Außerdem zerstörten sie Wohnhäuser und anderes Privateigentum. Sowohl irakische und kurdische Streitkräfte als auch Regierungsbehörden hielten Zivilpersonen, denen Verbindungen zum IS nachgesagt wurden, willkürlich fest, folterten sie und ließen sie verschwinden. Prozesse gegen mutmaßliche IS-Mitglieder und andere Personen, denen terroristische Straftaten vorgeworfen wurden, waren unfair und endeten häufig mit Todesurteilen, die auf "Geständnissen" basierten, welche unter Folter erpresst worden waren. Die Zahl der Hinrichtungen war weiterhin besorgniserregend hoch (AI 22.2.2018).

Es gibt zahlreiche Berichte, dass der IS und andere terroristische Gruppen, sowie einige Regierungskräfte, einschließlich der PMF, willkürliche oder rechtswidrige Tötungen begangen haben. Es gibt keine öffentlich zugängliche umfassende Darstellung des Umfangs des Problems verschwundener Personen. Obwohl die PMF offiziell unter dem Kommando des Premierministers stehen, operieren einige PMF-Einheiten nur unter begrenzter staatlicher Aufsicht oder Rechenschaftspflicht (USDOS 20.4.2018).

10. Meinungs- und Pressefreiheit

Die Verfassung garantiert die Freiheit der Meinungsäußerung (AA 12.2.2018), solange diese nicht die öffentliche Ordnung und Moral verletzt, Unterstützung für die verbotene Ba'ath-Partei ausdrückt oder die gewaltsame Änderung der Grenzen des Landes befürwortet. Einzelpersonen und Medien betreiben jedoch Selbstzensur, aufgrund der glaubwürdigen Angst vor Repressalien durch die Regierung, politische Parteien, ethnische und konfessionellen Kräfte, terroristische und extremistische Gruppen oder kriminelle Banden. Kontrolle und Zensur der Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung behindern manchmal den Medienbetrieb, was mitunter die Schließung von Medien, Einschränkungen der Berichterstattung und Behinderung von

Internetdiensten zur Folge hat. Einzelpersonen können die Regierung öffentlich oder privat kritisieren, jedoch nicht ohne Angst vor Vergeltung (USDOS 20.4.2018).

Im Irak existiert eine lebendige, aber wenig professionelle, zumeist die ethnisch-religiösen Lagerbildungen nachzeichnende Medienlandschaft, die sich zudem weitgehend in ökonomischer Abhängigkeit von Personen oder Parteien befindet, die regelmäßig direkten Einfluss auf die Berichterstattung nehmen (AA 12.2.2018). Die meisten der mehrere hundert Printmedien, die im Irak täglich oder wöchentlich erscheinen, sowie dutzende Radio- und Fernsehsender, werden von politischen Parteien stark beeinflusst oder vollständig kontrolliert (USDOS 20.4.2018). Es gibt nur wenige politisch unabhängige Nachrichtenquellen. Journalisten, die sich nicht selbst zensieren, können mit rechtlichen Konsequenzen oder gewaltsamen Vergeltungsmaßnahmen rechnen (FH 1.2018).

Einige Medienorganisationen berichteten über Verhaftungen und Schikane von Journalisten sowie darüber, dass die Regierung sie davon abhielt, politisch heikle Themen, wie Sicherheitsfragen, Korruption und schwache Regierungskapazitäten, zu behandeln (USDOS 20.4.2018). Das "Gesetz zum Schutz von Journalisten" von 2011 hält unter anderem mehrere Kategorien des Straftatbestands der Verleumdung aufrecht, die in ihrem Strafmaß zum Teil unverhältnismäßig hoch sind. Klagen gegen das Gesetz sind anhängig (AA 12.2.2018).

Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen ist der Irak für Journalisten eines der gefährlichsten Länder der Welt. Auf ihrem Index für Pressefreiheit kommt der Irak im Jahr 2017 auf Platz 158 von 180. Das Land nimmt im Straflosigkeitsindex (Zeitraum 2007-2016) des Committee to Protect Journalists zudem den weltweit vorletzten Platz in Bezug auf die Aufklärung von Morden an Journalisten ein. Demnach wurden in den letzten zehn Jahren 32 Morde an Journalisten nicht aufgeklärt (AA 12.2.2018).

Auch Lehrer sind im Irak seit langem mit der Gefahr von Gewalt oder anderen Auswirkungen konfrontiert, wenn sie Themen unterrichten oder besprechen, die mächtige staatliche oder nicht staatliche Akteure für verwerflich halten. Politischer Aktivismus von Universitätsstudenten kann zu Schikane oder Einschüchterung führen (FH 1.2018). Sozialer, religiöser und politischer Druck schränken die Entscheidungsfreiheit in akademischen und kulturellen Angelegenheiten ein. In allen Regionen des Landes versuchen verschiedene Gruppen die Ausübung der formalen Bildung und die Vergabe von akademischen Positionen zu kontrollieren (USDOS 20.4.2018).

Internet und soziale Medien

Es gibt offene staatliche Einschränkungen beim Zugang zum Internet und Berichte (jedoch kein offizielles Eingeständnis), dass die Regierung E-Mail- und Internetkommunikationen ohne entsprechende rechtliche Befugnisse überwacht (USDOS 20.4.2018).

Es gibt Fälle von Vergeltungsmaßnahmen aufgrund von Aussagen bzw. Beiträgen in sozialen Medien (FH 1.2018). Trotz Einschränkungen nutzten politische Persönlichkeiten und Aktivisten das Internet, um korrupte und ineffektive Politiker zu kritisieren, Demonstranten zu mobilisieren und sich über soziale Medien für Kandidaten zu engagieren bzw. Wahlkampf zu betreiben (USDOS20.4.2018)

Es gibt keine Berichte, dass das Ministerium für Kommunikation sozialen Medien Sperren auferlegt hätte (USDOS 20.4.2018). Während Großereignissen wird regelmäßig das Internet für einige Stunden gesperrt (AA 12.2.2018).

11. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

a. Versammlungsfreiheit

Die Verfassung sieht das Recht auf Versammlung und friedliche Demonstration. "nach den Regeln des Gesetzes" vor (USDOS 20.4.2018). Diese einfach gesetzlichen Bestimmungen fehlen jedoch. Im Alltag wird die Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch das seit dem 7.11.2004 geltende "Gesetz zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit" eingeschränkt. das u. a. die Verhängung eines bis zu 60-tägigen Ausnahmezustands ermöglicht (AA 12.2.2018).

Das Recht auf Versammlungsfreiheit wird in der Praxis zunehmend respektiert. obwohl es immer noch zu tödlicher Gewalt kommt (FH 1.2018). Die gesetzlichen Regelungen schreiben vor. dass die Veranstalter sieben Tage vor einer Demonstration um Genehmigung ansuchen und detaillierte Informationen über Veranstalter. Grund des Protests und Teilnehmer einreichen müssen. Die Vorschriften verbieten jegliche Slogans. Schilder. Druckschriften oder Zeichnungen. die Konfessionalismus. Rassismus oder die Segregation der Bürger zum Inhalt haben. Die Vorschriften verbieten auch alles. was gegen die Verfassung oder gegen das Gesetz verstößt; alles. was zu Gewalt. Hass oder Mord ermutigt; und alles. was eine Beleidigung des Islam. der Ehre. Moral. Religion. heiliger Gruppen oder irakischer Einrichtungen im Allgemeinen darstellt. Die Behörden erteilen Genehmigungen in der Regel in Übereinstimmung mit diesen Vorschriften (USDOS 20.4.2018).

Bei den Demonstrationen im Süd- und Zentralirak im Juli 2018 feuerten irakische Sicherheitskräfte mit scharfer Munition auf Demonstranten (AI 19.7.2018). Die größtenteils vom Innenministerium eingesetzten Kräfte verwendeten scheinbar unverhältnismäßige Gewalt. die in Basra zum Tod von drei Menschen führte (HRW 24.7.2018). Auch in Najaf. Simawa und Karbala starben Menschen (CNN 17.7.2018). Auch im September kam es zu Gewalt und Todesopfern. als Sicherheitskräfte auf Demonstranten schossen (AI 7.9.2018). Berichten zufolge werden Demonstranten und Aktivisten von schiitischen Milizen willkürlich festgenommen. eingeschüchtert und bedroht (ToI 23.9.2018)

b. Vereinigungsfreiheit / Opposition

Die Verfassung garantiert. mit einigen Ausnahmen. das Recht auf Gründung von und Mitgliedschaft in Vereinen und politischen Parteien. Die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen. Ausnahmen betreffen das gesetzliche Verbot von Gruppen. die Unterstützung für die Ba'ath-Partei oder für zionistische Prinzipien bekunden (USDOS 20.4.2018). Belastbare Erkenntnisse über die gezielte Unterdrückung der politischen Opposition durch staatliche Organe liegen nicht vor. Politische Aktivisten berichten jedoch von Einschüchterungen und Gewalt durch staatliche. nichtstaatliche oder paramilitärische Akteure. die abschrecken sollen. neue politische Bewegungen zu etablieren und die freie Meinungsäußerung teils massiv einschränken.

Im Laufe des Jahres 2017 sahen sich Demonstranten mit Verhaftungen und tödlicher Gewalt konfrontiert, insbesondere bei Demonstrationen gegen die Regierung, die infolge der Krise nach dem Unabhängigkeitsreferendum stattfanden und bei denen Angriffe auf staatliche und parteipolitische Einrichtungen verübt wurden. In Sulaymaniya und Halabja wurden im Dezember 2017 mindestens fünf regierungsfeindliche Demonstranten von Sicherheitskräften getötet (FH 1.2018)

Auch im März 2018 kam es zu Gewalt gegen Demonstranten und Journalisten bei ausgedehnten Anti-Austeritäts-Protesten in der Autonomen Region Kurdistan (AI 28.3.2018).

12. Haftbedingungen

Die Haftbedingungen entsprechen nicht dem Mindeststandard, wobei die Situation in den Haftanstalten erheblich variiert (AA 12.2.2018). In einigen Gefängnissen und Haftanstalten bleiben die Bedingungen aufgrund von Überbelegung, Misshandlung und unzureichendem Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung hart und lebensbedrohlich. In staatlichen Haftanstalten und Gefängnissen fehlt es zuweilen an ausreichender Nahrung und Wasser. Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist uneinheitlich. Einige Haftanstalten verfügten über keine eigene Apotheke oder Krankenstation. Existierende Apotheken sind oft unterversorgt. Die Überbelegung der staatlichen Gefängnisse stellt ein systemisches Problem dar, das durch die Zunahme der Zahl der mutmaßlichen IS-Mitglieder, die im Berichtszeitraum festgenommen wurden, noch verschärft wird. Es gibt keine Unterkünfte für Häftlinge mit Behinderungen. Häftlinge, die des Terrorismus beschuldigt werden, werden vom Rest der Gefangenen isoliert und bleiben häufiger in Gewahrsam des Innen- bzw. Verteidigungsministeriums. (USDOS 20.4.2018)

Es fehlt an Jugendstrafanstalten; laut dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz werden jugendliche Häftlinge mittlerweile meist getrennt von erwachsenen Straftätern inhaftiert, ihnen wird aber oft der regelmäßige Kontakt zu ihren Familien verwehrt (AA 12.2.2018)

Die UN-Mission für den Irak (UNAMI) konnte ihr Mandat zum Besuch irakischer Haftanstaltennicht umfassend wahrnehmen. Die irakischen Behörden verweigerten in mehreren Fällen den Zugang zu Haftanstalten. Das Internationale Rote Kreuz (IKRK) hat hingegen regelmäßigen und flächendeckenden Zugang (AA 12.2.2018).

Die Behörden halten IS-Verdächtige unter überfüllten und in einigen Fällen unmenschlichen Bedingungen fest. Inhaftierte Minderjährige werden in manchen Fällen nicht von Erwachsenen getrennt (HRW 18.1.2018).

Berichten zufolge unterhält der nationale Sicherheitsdienst (National Security Service, NSS), ein dem Premierminister unterstellter Geheimdienst, auch inoffizielle Gefangenenlager (BAMF 23.7.2018; vgl. HRW 22.7.2018).

13. Todesstrafe

Im irakischen Strafrecht ist die Todesstrafe vorgesehen, sie wird auch verhängt und vollstreckt. Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen (AA 12.2.2018; vgl. HRW 18.1.2018, AI 12.4.2018).

Aktuelle Daten liegen nicht vor, da die irakische Regierung die Zahlen nicht mehr regelmäßig an die Vereinten Nationen berichtet und, auch auf Nachfrage, keine verlässlichen Angaben macht. Laut Berichten von NGOs sind 1.816 Personen aktuell zum Tode verurteilt (AA 12.2.2018), gemäß einer anderen Quelle sind es sogar über 3.000 (AI 21.3.2018). Human Rights Watch berichtet von mindestens 78 Hinrichtungen von verurteilten IS-Mitgliedern im Jahr 2017. Es gibt jedoch seit Kurzem Berichte über wöchentlich 3-4 Vollstreckungen der Todesstrafe, was die jährliche Zahl verdoppeln würde (AA 12.2.2018). Hintergrund könnte sein, dass aktuell insbesondere ehemalige IS-Kämpfer - oder Personen die dessen beschuldigt werden - massenhaft in unzulänglichen Prozessen zu Tode verurteilt werden (AA 12.2.2018; vgl. AI 21.3.2018).

Problematisch sind bereits seit Jahren die Bandbreite und die mitunter fehlende rechtliche Klarheit der Straftatbestände, für die die Todesstrafe verhängt werden kann: neben Mord und Totschlag unter Anderem auch wegen des Verdachts auf staatsfeindliche Aktivitäten, Vergewaltigung, Einsatz von chemischen Waffen und insbesondere wegen terroristischer Aktivitäten unterschiedlicher Art. Die Todesstrafe stößt in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz (AA 12.2.2018).

14. Religionsfreiheit

Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an. Gemäß Art. 2 Abs. 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 12.2.2018). Es darf kein Gesetz erlassen werden das den "erwiesenen Bestimmungen des Islams" widerspricht (USDOS 29.5.2018; vgl. RoI 15.10.2005). In Abs. 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen (RoI 15.10.2005; vgl. USDOS 29.5.2018).

Art. 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 12.2.2018; vgl. UNHCR 15.1.2018). Art. 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten. Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie z. B. den Abfall vom Islam; auch spezielle, in anderen islamischen Ländern existierende Straftatbestände, wie z.B. die Beleidigung des Propheten, existieren nicht (AA 12.2.2018

)

Das Zivilgesetz sieht einen einfachen Prozess für die Konversion eines Nicht-Muslims zum Islam vor. Die Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion ist jedoch gesetzlich verboten (USDOS 29.5.2018).

Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Sabäer-Mandäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der jesidischen NGO Yazda gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 29.5.2018).

Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 29.5.2018; vgl. UNHCR 15.1.2018).

Die alten irakischen Personalausweise enthielten Informationen zur Religionszugehörigkeit einer Person, was von Menschenrechtsorganisationen als Sicherheitsrisiko im aktuell herrschenden Klima religiös-konfessioneller Gewalt kritisiert wurde. Mit Einführung des neuen Personalausweises wurde dieser Eintrag zeitweise abgeschafft. Mit Verabschiedung eines Gesetzes zum neuen Personalausweis im November 2015 wurde allerdings auch wieder ein religiöse Minderheiten diskriminierender Passus aufgenommen: Art. 26 besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 12.2.2018). Es wird berichtet, dass das Gesetz faktisch zu Zwangskonvertierungen führt, indem Kinder mit nur einem muslimischen Elternteil (selbst Kinder, die infolge von Vergewaltigung geboren wurden) als Muslime angeführt werden müssen. Christliche Konvertiten berichten auch, dass sie gezwungen sind, ihr Kind als Muslim zu registrieren oder das Kind undokumentiert zu lassen, was die Berechtigung auf staatliche Leistungen beeinträchtigt (USDOS 29.5.2018).

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Jesiden, Sabäer, Mandäer und Schabak). Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 12.2.2018).

Es gibt weiterhin Berichte, dass die irakischen Sicherheitskräfte (ISF), einschließlich der Peshmerga und schiitischer Milizen, sunnitische Gefangene töten. Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten. Internationale Menschenrechtsorganisationen erklären, dass die Regierung es immer noch verabsäumt ethnischkonfessionelle Verbrechen zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen, einschließlich Verbrechen, die von bewaffneten Gruppen in den vom IS befreiten Gebieten ausgeübt wurden. Sunnitische Araber berichten weiterhin, dass manche Regierungsbeamte bei Festnahmen und Inhaftierungen konfessionelles Profiling vornehmen, sowie Religion als bestimmenden Faktor bei der Vergabe von Arbeitsplätzen benützen (USDOS 29.5.2018).

Minderheiten sind auch weiterhin mit Belästigungen, einschließlich sexueller Übergriffe, und Einschränkungen durch lokale Behörden in einigen Regionen konfrontiert. Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, viele Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren. Einige Jesiden und christliche Führer berichten von Belästigungen und Misshandlungen durch kurdische Sicherheitskräfte, einschließlich Anforderungen für Sicherheitsgenehmigungen, die von den Asayish auferlegt werden und die die Bewegungsfreiheit von Jesiden zwischen der Provinz Dohuk und dem Sinjar-Gebiet einschränken. Christen berichten von Belästigungen und Misshandlungen an zahlreichen Checkpoints, die von Einheiten der Volksmobilisierungseinheiten (PMF) betriebenen werden. Dadurch wird die Bewegungsfreiheit im Gebiet der Ninewa-Ebene behindert (USDOS 29.5.2018).

Christen und Jesiden geben an, dass die Zentralregierung in Bagdad eine gezielte demografische Veränderung fördert, indem sie Schiiten mit Land und Häusern ausstattet, damit diese in traditionell christliche Gebiete ziehen (USDOS 29.5.2018).

Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in religiöse Handlungen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt (USDOS 29.5.2018).

Atheismus, Agnostizismus, Kritik an konfessioneller Politik

Das irakische Strafgesetzbuch enthält keine Artikel, die eine direkte Bestrafung für Atheismus vorsehen. Es gibt auch keine speziellen Gesetze, die Strafen für Atheisten vorsehen. (Al-Monitor 1.4.2018; vgl. EASO 7.2017, EASO 11.4.2018, Landinfo 29.8.2018). Die irakische Verfassung garantiert Atheisten nicht die freie Glaubensausübung (USDOS 29.5.2018). Im März 2018 wurden in Dhi Qar Haftbefehle gegen vier Iraker aufgrund von Atheismus-Vorwürfen erlassen (Al-Monitor 1.4.2018)

Der Irak ist ein zutiefst religiöses Land, in dem Atheismus selten ist (PRI 17.1.2018; vgl. RDC 31.1.2018). Trotzdem berichten Universitätsstudenten landesweit, dass es noch nie so viele Atheisten im Irak gegeben habe wie heute (WZ 9.10.2018).

Obwohl in der Bevölkerung verschiedene Grade der Religiosität vertreten sind und ein Segment der Iraker eine säkulare Weltanschauung vertritt, ist es dennoch selten, dass sich jemand öffentlich zum Atheismus bekennt. Die meisten Atheisten verstecken ihre Identität. Manchmal sagen sie, dass sie Muslime seien, insgeheim sind sie jedoch Atheisten (EASO 7.2017).

Viele Geistliche, die islamischen politischen Parteien nahe stehen, haben missverständliche Vorstellungen zu dem Thema und bezeichnen z.B. oft den Säkularismus als Atheismus (Al-Monitor 1.4.2018)

Einige Politiker führender konfessioneller Parteien verurteilten Säkularismus und Atheismus und reagierten damit offenbar auf einen Wandel in der öffentlichen Meinung nach dem IS-Konflikt, gegen religiösen Extremismus und den politischen Islam (FH 1.2018).

Berichten zufolge gibt es auch eine wachsende Bewegung von Agnostikern. Dazu kommen viele Menschen, die zwar bestimmte religiöse Erscheinungen oder Überzeugungen kritisieren, den generellen Rahmen der Religiösität jedoch nicht aufgeben (Al-Monitor 6.3.2014). Eine wachsende Gruppe junger Iraker spricht frei über Säkularismus, Atheismus und den Bedarf ihres Landes an nicht-konfessionellen Institutionen. Während ihr Einfluss begrenzt ist, spiegelt ihre Frustration über die konfessionelle Politik einen breiteren Trend im Land wider. Die Welle des "Facebook- Säkularismus" muss die irakische Politik jedoch erst erreichen (Defense One 5.7.2018).

Anm.: Weiterführende Informationen zur Situation einzelner religiöser Minderheiten können dem Kapitel Minderheiten entnommen werden.

15. Minderheiten

In der irakischen Verfassung vom 15.10.2005 ist der Schutz von Minderheiten verankert (AA 12.2.2018)Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten unter weitreichender faktischer Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 12.2.2018).

Offiziell anerkannte Minderheiten. wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden. genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte. sind jedoch im täglichen Leben. insbesondere außerhalb der Autonomen Region Kurdistan. oft benachteiligt (AA 12.2.2018).

Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60 bis 65 Prozent der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17 bis 22 Prozent) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15 bis 20 Prozent) (AA 12.2.2018)

Genaue demografische Aufschlüsselungen sind jedoch mangels aktueller Bevölkerungsstatistiken sowie aufgrund der politisch heiklen Natur des Themas nicht verfügbar (MRG 5.2018). Zahlenangaben zu einzelnen Gruppen variieren oft massiv (siehe unten).

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Allerdings ist nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins die irakische Gesellschaft teilweise in ihre (konkurrierenden) religiösen und ethnischen Segmente zerfallen - eine Tendenz, die sich durch die IS-Gräuel gegen Schiiten und Angehörige religiöser Minderheiten weiterhin verstärkt hat. Gepaart mit der extremen Korruption im Lande führt diese Spaltung der Gesellschaft dazu, dass im Parlament, in den Ministerien und zu einem großen Teil auch in der nachgeordneten Verwaltung, nicht nach tragfähigen, allgemein akzeptablen und gewaltfrei durchsetzbaren Kompromissen gesucht wird, sondern die zahlreichen ethnischkonfessionell orientierten Gruppen oder Einzelakteure ausschließlich ihren individuellen Vorteil suchen oder ihre religiös geprägten Vorstellungen durchsetzen. Ein berechenbares Verwaltungshandeln oder gar Rechtssicherheit existieren nicht (AA 12.2.2018).

Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäern, Kakai, Schabak und Christen. Es liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 12.2.2018).

In der Autonomen Region Kurdistan sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 12.2.2018; vgl. KAS 8.2017). Mit der Verabschiedung des Gesetzes zum Schutze der Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan durch das kurdische Regionalparlament im Jahr 2015 wurden die ethnischen und religiösen Minderheiten zumindest rechtlich mit der kurdisch-muslimischen Mehrheitsgesellschaft gleichgestellt. Dennoch ist nicht immer gewährleistet, dass die bestehenden Minderheitsrechte auch tatsächlich umgesetzt werden (KAS 8.2017).

Es gab auch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Shabak und Christen) durch Behörden der Kurdischen Autonomieregierung in den sogenannten umstrittenen Gebieten (USDOS 20.4.2018). Darüber hinaus empfinden Angehörige von

Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit in den sog. umstrittenen Gebieten aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte und v.a. der schiitischen Milizen (AA 12.2.2018).

Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden problematische Versuche einer ethnisch-konfessionellen Neuordnung unternommen, besonders in der ethnischkonfessionell sehr heterogenen Provinz Diyala (AA 12.2.2018)

Sunnitische Araber

Die arabisch-sunnitische Minderheit. die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete. wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003. insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014). aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer. ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richteten sich 2017 vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.2.2018). Es gab zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte. die PMF und die Peshmerga (USDOS 20.4.2018)

20.4.2018) .

16. Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen

In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25 Prozent im Parlament (Region Kurdistan: 30 Prozent) verankert (AA 12.2.2018). Frauen sind jedoch auf Gemeinde- und Bundesebene. in Verwaltung und Regierung. weiterhin unterrepräsentiert. Dabei stellt die Quote zwar sicher. dass Frauen zahlenmäßig vertreten sind.

führt aber nicht dazu, dass Frauen einen wirklichen Einfluss auf Entscheidungsfindungsprozesse haben bzw. dass das Interesse von Frauen auf der Tagesordnung der Politik steht (K4D 24.11.2017).

Laut Art. 14 und 20 der Verfassung ist jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Art. 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragrafen als Grundlage für eine Re- Islamisierung des Personenstandsrechts und damit eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung. Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsangehörigkeitsrecht (AA 12.2.2018).

Frauen sind weit verbreiteter gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt und werden unter mehreren Aspekten der Gesetzgebung ungleich behandelt (FH 16.1.2018). Die Stellung der Frau hat sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert (AA 12.2.2018; vgl. UNIraq 13.3.2013, MIGRI 22.5.2018). Die prekäre Sicherheitslage in Teilen der irakischen Gesellschaft hat negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen (AA 12.2.2018). In der Praxis ist die Bewegungsfreiheit für Frauen auch stärker eingeschränkt als für Männer (FH 16.1.2018).

Die geschätzte Erwerbsquote von Frauen lag 2014 bei nur 14 Prozent, der Anteil an der arbeitenden Bevölkerung bei 17 Prozent (AA 12.2.2018; vgl. ILO 1.2016). Die genauen Zahlen unterscheiden sich je nach Statistik und Erhebungsmethode (MIGRI 22.5.2018).

Schätzungen zufolge liegt die Analphabetenrate bei Frauen im Irak bei 26,4 Prozent (UNESCO 18.3.2014). Mehr als ein Viertel von Frauen im Alter von über 15 Jahren können nicht lesen und schreiben (CIA 20.8.2018). In ländlichen Gebieten ist die Rate noch höher (UNESCO 18.3.2014).

Häusliche Gewalt, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, Vergewaltigung

Häusliche Gewalt ist weiterhin ein allgegenwärtiges Problem (USDOS 20.4.2018). vor dem Frauen nur wenig rechtlichen Schutz haben (HRW 18.1.2018). Das irakische Strafgesetz enthält zwar Bestimmungen zur Kriminalisierung von Körperverletzung. es fehlt jedoch eine ausdrückliche Erwähnung von häuslicher Gewalt (HRW 18.1.2018; vgl. MIGRI 22.5.2018).

Nach Artikel 41. Absatz 1 des Strafgesetzbuches hat der Ehemann das Recht. seine Frau "innerhalb gewisser Grenzen" zu bestrafen. Diese Grenzen sind recht vage definiert. sodass verschiedene Arten von Gewalt als "rechtmäßig" interpretiert werden können (MIGRI 22.5.2018; vgl. MRG 11.2015). Nach Artikel 128 Absatz 1 des Strafgesetzbuches können Straftaten. die aufgrund der "Ehre" oder "vom Opfer provoziert" begangen wurden. ungestraft bleiben bzw. kann in solchen Fällen die Strafe gemildert werden (MIGRI 22.5.2018).

Während sexuelle Übergriffe. wie z.B. Vergewaltigung. sowohl gegen Frauen als auch gegen Männer strafbar sind. sieht Artikel 398 des irakischen Strafgesetzbuches vor. dass Anklagen aufgrund von Vergewaltigung fallen gelassen werden können. wenn der Angreifer das Opfer heiratet (HRW 18.1.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Dies trifft auch zu wenn das Opfer minderjährig ist (MIGRI 22.5.2018). Vergewaltigung innerhalb der Ehe stellt keine Straftat dar (MIGRI 22.5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Laut Studien handelt es sich bei denjenigen. die häusliche Gewalt gegen Frauen ausüben. am häufigsten um den Ehemann bzw. den Vater der Frau. gefolgt von Schwiegereltern. Brüdern und anderen Familienmitgliedern (UNFPA 2016; vgl. CSO 6.2012. MIGRI 22.5.2018). Täter. die Gemeinschaft. aber auch Opfer selbst sehen häusliche Gewalt oft als "normal" und rechtfertigen sie aus kulturellen und religiösen Gründen (UNFPA 2016; vgl. MRG 11.2015. MIGRI 22.5.2018). Frauen tendieren dazu häusliche Gewalt aus Scham oder Angst vor Konsequenzen nicht zu melden. manchmal auch um den Täter zu schützen (UNFPA 2016; vgl. MIGRI 22.5.2018). Der Großteil befragter Frauen hatte kein Vertrauen in die Polizei und hielt den von ihr gebotenen Schutz für nicht angemessen (MIGRI 22.5.2018).

Im Zuge des IS-Vormarschs auf Sinjar sollen über 5.000 jesidische Frauen und Mädchen verschleppt worden sein. von denen Hunderte später als "Trophäen" an IS-Kämpfer gegeben oder nach Syrien "verkauft" sowie später von ihren Familien "zurückgekauft" wurden (AA 12.2.2018).

Schutzmaßnahmen, Schutzeinrichtungen, Frauenhäuser

Der Irak verfügt zurzeit über keinen adäquaten rechtlichen Rahmen. um Frauen und Kinder vor häuslicher. sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen bzw. Opfern solcher Gewalt sichere Zufluchtsorte zur Verfügung zu stellen (UNAMI 14.12.2017; vgl. MIGRI 22.5.2018). Die derzeitige Version eines Gesetzesentwurfs zum Familienschutz. der vom Parlament verzögert wird. räumt der Familienaussöhnung eine höhere Priorität als dem Opferschutz ein (UNAMI 14.12.2017).

Das Innenministerium unterhält 16 Familienschutzeinheiten im ganzen Land. die dafür bestimmt sind. häusliche Streitigkeiten zu lösen und sichere Zufluchtsorte für Opfer sexueller oder geschlechtsspezifischer Gewalt zu schaffen. Diese Einheiten tendieren jedoch dazu. der Familienversöhnung Vorrang vor dem Opferschutz einzuräumen und verfügen nicht über die Fähigkeit. Opfer zu unterstützen. Opfer häuslicher Gewalt in Basra berichteten beispielsweise. dass sie Angst hatten sich an Familienschutzeinheiten zu wenden. Sie befürchteten. dass die Polizei ihre Familien unverzüglich informieren würde. Die meisten Familienschutzeinheiten betreiben selbst keine Unterkünfte. "Safe Houses". die von der Regierung und NGOs betrieben werden. sind oft Ziel von Gewalt (USDOS 20.4.2018). Offizielle Schutzeinrichtungen für Frauen. die vor ihren sie misshandelnden Ehemännern fliehen. gibt es keine. In Bagdad wurden Unterkünfte. wo es sie gab. aktiv angegriffen (Lattimer EASO 26.4.2017).

Die kurdische Regionalregierung hat ihre Anstrengungen zum Schutz der Frauen verstärkt. So wurden im Innenministerium vier Abteilungen zum Schutz von weiblichen Opfern von (familiärer)

Gewalt sowie drei staatliche Frauenhäuser eingerichtet. Zwei weitere werden von NGOs betrieben (AA 12.2.2018). Die Angaben zu Frauenhäusern variieren jedoch in den Quellen. USDOS berichtet von einem privat betriebenen und vier staatlichen Frauenhäusern in der Autonomen Region Kurdistan. Letztere werden vom Arbeits- und Sozialministerium betrieben (USDOS 20.4.2018). Mark Lattimer spricht von drei Frauenhäusern in der Autonomen Region Kurdistan. Um dort aufgenommen zu werden, benötigen Frauen einen Gerichtsbeschluss (Lattimer EASO 26.4.2017). Es gibt nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen, die Serviceleistungen sind schlecht (USDOS 20.4.2018; vgl. UNAMI 8.7.2018).

Vereinzelt werden Frauen "zum eigenen Schutz" inhaftiert (AA 12.2.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Einige Frauen werden mangels Notunterkünften obdachlos (USDOS 20.4.2018). Frauen, die in Frauenhäusern oder Notunterkünften untergebracht sind, verfügen nur über wenige Alternativen, abgesehen von einer Eheschließung oder der Rückkehr zu ihren Familien, was oft zu weiterer Bestrafung oder Diskriminierung durch die Familie oder die Gemeinschaft führt (USDOS 20.4.2018; vgl. Lattimer EASO 26.4.2017).

Zwangsehen, Kinderehen, temporäre Ehen, Blutgeld-Ehe (Fasliya)

Frauen werden noch immer in Ehen gezwungen. Rund 20 Prozent der Frauen werden vor ihrem

17. Lebensjahr (religiös) verheiratet, viele davon im Alter von 10 - 14 Jahren (AA 12.2.2018). Ein Gesetzesentwurf der u.a. die Möglichkeit der Verheiratung von Mädchen im Alter von ab acht Jahren beinhaltet hätte, wurde im Dezember 2017 vom Parlament abgelehnt (HRW 17.12.2017).

Das gesetzliche Mindestalter für eine Eheschließung beträgt mit elterlicher Erlaubnis 15 Jahre, ohne Erlaubnis 18 Jahre. Berichten zufolge unternimmt die Regierung jedoch wenig Anstrengungen, um dieses Gesetz durchzusetzen. Traditionelle Zwangsverheiratungen von

Mädchen, Kinderehen und sogenannte "Ehen auf Zeit" (zawaj al-mut'a) finden im ganzen Land statt. Laut UNICEF waren 2016 rund 975.000 Frauen und Mädchen vor dem 15. Lebensjahr verheiratet, doppelt so viele wie 1990 (USDOS 20.4.2018).

Nach Angaben des Hohen Rates für Frauenangelegenheiten der kurdischen Regionalregierung tragen Flüchtlinge und IDPs in der Autonomen Region Kurdistan zu einer zunehmenden Zahl an Kinderehen und Polygamie bei (USDOS 20.4.2018). Viele Frauen und Mädchen sind durch Flucht und Verfolgung besonders gefährdet. Es gibt vermehrt Berichte, dass minderjährige Frauen in Flüchtlingslagern zur Heirat gezwungen werden. Dies geschieht entweder, um ihnen ein vermeintlich besseres Leben zu ermöglichen oder um ihre Familien finanziell zu unterstützen. Häufig werden die Ehen nach kurzer Zeit wieder annulliert, mit verheerenden Folgen für die betroffenen Frauen (AA 12.2.2018).

Fasliya bezeichnet eine traditionelle Stammespraxis zur Schlichtung von Konflikten, bei der Frauen bzw. Mädchen eines Stammes mit Männern eines verfeindeten Stammes als Entschädigung für Mord bzw. für die Verletzung von Mitgliedern des anderen Stammes verheiratet werden (UNHCR 15.1.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Obwohl die "Blutgeld-Ehe" seit den 1950er Jahren gesetzlich verboten ist, hat sie in den letzten Jahrzehnten vor allem im Südirak einen Wiederaufschwung erlebt (UNHCR 15.1.2018; vgl. Al-Monitor 18.6.2015). Die Praxis existiert auch in anderen Teilen des Landes (z.B. im Zentralirak) (Al-Monitor 18.6.2015) und wird auf kurdisch als badal khueen oder jin be xwen bezeichnet (FO 29.12.2015). Frauen, die im Zuge solcher Arrangements "als Kompensation" bzw. "als Ersatz" für den Toten bzw. für das vergossene Blut verheiratet werden, können sich nicht scheiden lassen und sind häufig Missbrauch ausgesetzt (Raseef22 17.8.2016; vgl. FO 29.12.2015, Niqash 29.7.2010).

Ehrenverbrechen an Frauen

Sogenannte "Ehrenverbrechen" sind Gewalttaten. die von Familienmitgliedern gegen Verwandte ausgeübt werden. weil diese "Schande" über die Familie oder den Stamm gebracht haben. Ehrenverbrechen werden oft in Form von Mord begangen. obwohl sie auch andere Arten der Gewalt umfassen können wie z.B. körperliche Misshandlung. Einsperren. Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Entzug von Bildung. Zwangsverheiratung. erzwungener Selbstmord und öffentliche Schändung bzw. "Entehrung". Ehrendelikte werden überwiegend von männlichen Familienmitgliedern gegen weibliche Familienmitglieder verübt. obwohl gelegentlich auch Männer Opfer solcher Gewalt werden können (MRG 11.2015). Ehrenmorde bleiben ein ernstes Problem im ganzen Land (USDOS 20.4.2018).

Ehrenverbrechen werden meist begangen. nachdem eine Frau eines der folgenden Dinge getan hat bzw. dessen verdächtigt wird: Freundschaft oder voreheliche Beziehung mit einem Mann; Weigerung. einen von der Familie ausgewählten Mann zu heiraten; Heirat gegen den Willen der Familie; Ehebruch; Opfer einer Vergewaltigung oder Entführung geworden zu sein. Solche "Verletzungen der Ehre" werden als unverzeihlich angesehen. In den meisten Fällen wird die Tötung der Frau. manchmal auch die des Mannes. als der einzige Weg gesehen. die Ehrübertretung zu sühnen (MRG 11.2015).

Ehrenverbrechen finden in allen Gegenden des Irak statt und beschränken sich nicht auf bestimmte ethnische oder religiöse Gruppen. Sie werden gleichermaßen von Arabern und Kurden ausgeübt. von Sunniten und Schiiten. wie auch von einigen ethnischen und religiösen Minderheiten. Es ist schwer. das wahre Ausmaß von Ehrenverbrechen und Ehrenmorden im Irak zu erfassen. da viele Fälle nicht angezeigt werden bzw. oft als Selbstmord oder Unfall angeführt werden (MRG 11.2015).

In Fällen von Gewalt gegen Frauen erlaubt das irakische Recht den Grund der "Ehre" als rechtmäßige Verteidigung. Wenn ein Mann des Mordes an einer Frau angeklagt wird. die er getötet haben soll. weil sie des Ehebruchs verdächtigt worden war. begrenzt das Gesetz seine mögliche Strafe auf maximal drei Jahre Gefängnis (USDOS 20.4.2018). In der Regel werden Ehrenverbrechen nicht angezeigt und auch nicht strafrechtlich verfolgt. Von der Polizei und den zuständigen Behörden werden die Fälle in der Regel als "Familiensache" gesehen. die dem Ermessen männlicher Familienmitglieder obliegt. Nur sehr wenige Fälle kommen vor Gericht und. wenn dies der Fall ist. werden die Täter oft freigesprochen oder zu sehr leichten Strafen verurteilt. selbst wenn eindeutige. belastende Beweisen vorliegen (MRG 11.2017).

Genitalverstümmelung (FGM - Female Genital Mutilation)

Das Thema der Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen im Irak war bis vor kurzem ein Tabu. über das kaum gesprochen wurde. Erst als durch Studien die alarmierend hohe Raten der Praxis im kurdischen Norden aufgezeigt wurden. hat sich dies geändert (MRG 11.2015).

Seit 2011 stellt ein Gesetz in der Autonomen Region Kurdistan die Genitalverstümmelung unter Strafe (AA 12.2.2018). NGOs berichten jedoch. dass die Praxis weiter betrieben wird. vor allem in ländlichen Gebieten (USDOS 20.4.2018). Außerhalb der Autonomen Region Kurdistan gibt es bisher keine staatlichen Anstrengungen zur Bekämpfung dieser Praktiken (AA 12.2.2018). Viele Politiker bestreiten. dass Genitalverstümmelung außerhalb der Kurdenregion praktiziert wird (MRG 11.2015). Dabei ist Genitalverstümmelung kein ausschließlich kurdisches Problem. Eine Studie in Kirkuk fand auch Betroffene in der arabischen und turkmenischen Bevölkerung. wenn auch in geringerem Ausmaß (AA 12.2.2018). Eine weitere Studie in den Provinzen Wasit und Qadisiyya (Zentral- bzw. Südirak) belegte auch dort die Praxis. Während es sich bei den Opfern von Genitalverstümmelung im Norden des Landes vorwiegend um junge bis sehr junge Mädchen handelt. gaben in Wasit und Qadisiyya eine überraschende Anzahl von Frauen an. erst in späteren Jahren. nach der Eheschließung und aufgrund einer Entscheidung des Mannes bzw. der Familie des Mannes. verstümmelt worden zu sein (MRG 11.2015; vgl. UKHO 8.2016).

Weibliche Familienoberhäupter, Witwen, Geschiedene, alleinstehende Frauen

Jahre der Instabilität und des Krieges haben im Irak zu einer großen Zahl an Haushalten geführt. deren Haushaltsvorstände Frauen sind ("female-headed-households"). Laut einer Schätzung betrug die Zahl solcher Haushalte im Jahr 2011 zwischen einer und zwei Millionen (IOM 12.10.2011). Präzise Angaben existieren nicht. Die Zahlen variieren, je nach Art der Erhebung (MIGRI 22.5.2018; vgl. z.B. ICRC 8.2011). Als Witwen, Geschiedene oder von ihren Ehemännern Getrennte, versorgen diese Frauen ihre Familien alleine. Manchmal ist der Ehemann krank oder pflegebedürftig. Viele von Frauen geführte Haushalte stellen einen besonders vulnerablen Teil der irakischen Bevölkerung dar, vor allem in ländlichen Gebieten bzw. als IDPs (IOM 12.10.2011).

Zehn Prozent der irakischen Frauen sind Witwen, viele davon Alleinversorgerinnen ihrer Familien. Ohne männliche Angehörige erhöht sich das Risiko für diese Familien, Opfer von Kinderheirat und sexueller Ausbeutung zu werden (AA 12.2.2018). Alleinstehende Frauen und Witwen haben oft Schwierigkeiten, ihre Kinder registrieren zu lassen, was dazu führt, dass den Kindern staatliche Leistungen, wie Bildung, Lebensmittelbeihilfen und Zugang zum Gesundheitswesen verweigert werden (USDOS 20.4.2018).

Scheidung bleibt im Irak weiterhin mit starkem sozialen Stigma verbunden (MRG 11.2015; vgl. MIGRI 22.5.2018). Das gesellschaftliche Klima gegenüber Geschiedenen ist nicht offen repressiv. Üblicherweise werden geschiedene Frauen in die eigene Familie reintegriert. Sie müssen jedoch damit rechnen, schlechter bezahlte Arbeitsstellen annehmen zu müssen oder als Zweit- oder Drittfrau in Mehrehen erneut verheiratet zu werden. Im Rahmen einer Ehescheidung wird das Sorgerecht für Kinder ganz überwiegend den Vätern (und ihren Familien) zugesprochen (AA

12.2.2018) . Laut einer Studie führt das mit einer Scheidung assoziierte gesellschaftliche Stigma dazu, dass viele Frauen in Beziehungen bleiben, in denen sie Missbrauch ausgesetzt sind, um Ablehnung bzw. die Androhung von noch größerer Gewalt durch Familienmitglieder und Mitglieder der Community zu vermeiden. In manchen Fällen ist das Stigma so groß, dass Frauen von ihren Familien gezwungen werden, zu ihren sie misshandelnden Ehemännern zurückzukehren. Geschiedene Frauen, die zu ihren Familien zurückkehren, sind aufgrund ihres Status als geschiedene Frauen oft weiteren Formen des Missbrauchs und der Stigmatisierung ausgesetzt (MRG 11.2015).

Opfern von Zwangsscheidungen wird die Rückkehr ins Elternhaus durch einen Ehrenkodex verwehrt. Bei Zwangsscheidungen handelt es sich um eine Praxis, die vor allem im Süden des Landes vorkommt. Dabei droht der Mann seiner Frau mit der Scheidung, falls ihre Familie ihm oder seiner Familie nicht mehr Geld zukommen lässt. Wenn dies nicht geschieht, muss die Frau ihren Mann und ihre Familie verlassen und bleibt als Verstoßene zurück. Die Rückkehr ins Elternhaus wird aus Ehrengründen verwehrt (USDOS 20.4.2018).

Ohne Zustimmung eines männlichen Verwandten können Frauen keine Ausweisdokumente erhalten (MIGRI 22.5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Die Gesetzgebung hindert Frauen daran, ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass zu beantragen (USDOS 20.4.2018; vgl. FH 16.1.2018). Frauen können ohne Zustimmung eines männlichen Verwandten auch keinen Personalausweis bekommen, der etwa für den Zugang zu

Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung, Bildung und Wohnen benötigt wird (USDOS 20.4.2018). Zusätzlich wird generell erwartet, dass eine Frau immer mit einem Mann reist, der als ihr Vormund agiert (Lattimer EASO 26.4.2017).

Verwestlichung, westlicher bzw. nicht-konservativer Lebensstil

Sowohl Männer als auch Frauen stehen unter Druck, sich an konservative Normen zu halten was das persönliche Erscheinungsbild betrifft (FH 16.1.2018). Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln, z.B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken (AA 12.2.2018). Einige Muslime bedrohen weiterhin Frauen und Mädchen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, wenn sich diese weigern, den Hijab zu tragen bzw. wenn sie sich in westlicher Kleidung kleiden oder sich nicht an strenge Interpretationen islamischer Normen für das Verhalten in der Öffentlichkeit halten (USDOS

29.5.2018) . Es gab mehrere Fälle, in denen Frauen in Basra schriftliche Mitteilungen erhielten, wonach sie in falscher Kleidung oder in kompromittierenden Situationen gesehen worden sind (Lattimer EASO 26.4.2017).

Zahlreiche Frauen sind aufgrund ihrer politischen Aktivitäten oder weil sie "moralische Verbrechen" begangen haben zum Ziel von Tötungen geworden (Lattimer EASO 26.4.2017). Auch wurden Cafes angegriffen, weil dort Frauen arbeiteten (ICSSI 19.10.2016; vgl. ACCORD 30.4.2018). 2018 wurden mehrere weibliche Instagram-Stars sowie eine plastische Chirurgin und eine Kosmetikerin gezielt ermordet. Das Motiv hinter den Morden soll stets die progressive und weltoffene Lebensart sowie die Eigenständigkeit der Entscheidungen der Frauen gewesen sein (Standard 23.10.2018).

Im Allgemeinen wird im Irak, auch in der kurdischen Autonomieregion, von Frauen erwartet, Männern gegenüber unterwürfig zu sein (Lattimer EASO 26.4.2017). Mädchen und Frauen haben immer noch einen schlechteren Zugang zu Bildung. Je höher die Bildungsstufe, desto weniger Mädchen sind vertreten. Häufig lehnen die Familien eine weiterführende Schule für die Mädchen ab oder ziehen eine "frühe Ehe" für sie vor (GIZ 11.2018).

Kinder [Kinderehen siehe 17.1.3]

Die Hälfte der irakischen Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt. Kinder waren und sind Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Sie sind nach Angaben der Vereinten Nationen in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage betroffen. Sehr viele Kinder und Jugendliche sind durch Gewaltakte gegen sie selbst oder gegen Familienmitglieder stark betroffen (AA 12.2.2018). Laut UNICEF machten Kinder im August 2017 fast die Hälfte der damals drei Millionen durch den Konflikt vertriebenen Iraker aus (USDOS 20.4.2018).

Art. 29 und 30 der irakischen Verfassung enthalten Kinderschutzrechte. Irak ist dem Zusatzprotokoll zur VN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten (AA 12.2.2018). Das Gesetz verbietet die kommerzielle Ausbeutung von Kindern, sowie Pornografie jeglicher Art, einschließlich Kinderpornografie (USDOS 20.4.2018).

Im Falle einer Nichtregistrierung der Geburt eines Kindes werden diesem staatliche Leistungen wie Bildung, Lebensmittelbeihilfe und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Alleinstehende Frauen und Witwen hatten oft Probleme bei der Registrierung ihrer Kinder. Kinder, die nicht die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, haben ebenfalls keinen Anspruch auf staatliche Leistungen. Humanitäre Organisationen berichten von einem weit verbreiteten Problem bezüglich Kindern, die im IS-Gebiet geboren worden sind und keine von der Regierung ausgestellte Geburtsurkunden erhalten (USDOS 20.4.2018).

Die Grundschulbildung ist für Kinder, die die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, in den ersten sechs Schuljahren verpflichtend und wird für diese kostenfrei angeboten. In der kurdischen Autonomieregion besteht die Schulpflicht bis zum Alter von 15 Jahren; auch dort kostenfrei. Der gleichberechtigte Zugang von Mädchen zu Bildung bleibt eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten. Der Zugang zu Bildung von Kindern, die aufgrund des Konfliktes intern vertrieben wurden, ist stark einschränkt (USDOS 20.4.2018). Die Sicherheitslage und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren drastisch gefallen ist (aktuell bei 79,7 Prozent), besonders in ländlichen Gebieten. Im Unterschied dazu sind in der Autonomen Region Kurdistan fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig. In den vom IS beherrschten Gebieten fand kein regulärer Schulunterricht statt (AA 12.2.2018).

Über ein Viertel aller Kinder im Irak lebt in Armut. Dabei waren, über die letzten Jahrzehnte, Kinder im Süden des Landes und in ländlichen Gebieten am stärksten betroffen (UN News 19.1.2018; vgl. UNICEF 31.1.2017). Armut wirkt sich nicht nur negativ auf die Bildung, sondern auch auf die Gesundheit von Kindern aus (UNICEF 31.1.2017). 22,6 Prozent der Kinder im Irak sind unterernährt (AA 12.2.2018). Ein Viertel aller Kinder unter fünf Jahren sind physisch unterentwickelt bzw. im Wachstum zurückgeblieben (UNICEF 31.1.2017).

Gewalt gegen Kinder bleibt ein großes Problem. Im Jahr 2011 waren 46 Prozent der Mädchen im Alter von 10 bis 14 Jahren familiärer Gewalt ausgesetzt (USDOS 20.4.2018). Die Zahl der Fälle von Kindesmissbrauch nimmt zu. Soziale Medien helfen verstärkt bei der Aufdeckung von Missbrauch und Folter (Al Monitor 2.5.2017). Berichten zufolge verkaufen Menschenhandelsnetze irakische Kinder zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung. Letztere erfolgt im In- und Ausland. Verbrecherbanden sollen Kinder zwingen, im Irak zu betteln und Drogen zu verkaufen (USDOS 28.6.2018).

Auch Kinderprostitution ist ein Problem. Da die Strafmündigkeit im Irak in den Gebieten unter der Verwaltung der Zentralregierung neun Jahre beträgt und in der Autonomen Region Kurdistan elf, behandeln die Behörden sexuell ausgebeutete Kinder oft wie Kriminelle und nicht wie Opfer. Strafen für die kommerzielle Ausbeutung von Kindern reichen von Bußgeldern und

Freiheitsstrafen bis hin zur Todesstrafe. Es lagen jedoch keine Informationen darüber vor, mit welcher Wirksamkeit der Staat diese Strafen durchsetzt (USDOS 20.4.2018).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten Kinderarbeit. In den Gebieten, die unter die Zuständigkeit der Zentralregierung fallen, beträgt das Mindestbeschäftigungsalter 15 Jahre. Das Gesetz begrenzt die Arbeitszeit für Personen unter 18 Jahren auf sieben Stunden pro Tag und verbietet Beschäftigungen, die der Gesundheit, Sicherheit oder Moral von Personen unter 18 Jahren schaden. Trotzdem gibt es im ganzen Land Fälle von Kinderarbeit, auch in ihren schlimmsten Formen. Es gibt dokumentierte Fälle von durch den Konflikt intern vertriebenen Kindern, die gezwungen wurden Kinderarbeit zu leisten. Versuche der Regierung Kinderarbeit z.B. durch Inspektionen zu überwachen, blieben erfolglos (USDOS 20.4.2018).

Kindersoldaten, Rekrutierung von Kindern

Es gibt keine Berichte, wonach von staatlicher Seite Kinder zum Dienst in den Sicherheitskräften einberufen oder rekrutiert werden (USDOS 20.4.2018). Kinder sind jedoch weiterhin in hohem Maße von gewaltsamer Rekrutierung und Verwendung durch mehrere im Irak operierende bewaffnete Gruppen gefährdet, einschließlich (aber nicht nur) durch den IS, die PMF, Stammesgruppierungen, die Kurdische Arbeiterpartei PKK, und vom Iran unterstützte Milizen (USDOS 28.6.2018; vgl. USDOS 20.4.2018, UNGASC 16.5.2018). Es gibt Berichte, wonach eine Vielzahl an Kindern vom IS als Kindersoldaten eingesetzt wurde und von

Umerziehungskampagnen traumatisiert ist. Zahlreiche Jugendliche sind nach Angaben der Vereinten Nationen wegen Terrorvorwürfen angeklagt oder verurteilt worden. PMF-Einheiten rekrutieren weiterhin Kinder, bilden diese militärisch aus und setzen sie ein. Im Südirak und in den schiitischen Gegenden von Bagdad erinnern Plakate an gefallene minderjährige Kämpfer, die vornehmlich für die Brigaden der Asa'ib Ahl al-Haqq (AAH) und der Kata'ib Hizbollah (KH) gekämpft hatten. Die PMF bot nach eigenen Angaben im Jahr 2017 militärische Ausbildungskurse für Kinder und Jugendliche im Alter von 15-25 Jahren an (USDOS 28.6.2018).

Berufsgruppen & Menschen, die einer bestimmten Beschäftigung nachgehen

Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats sind besonders gefährdet. Auch Mitarbeiter der Ministerien sowie Mitglieder von Provinzregierungen werden regelmäßig Opfer von gezielten Attentaten (AA 12.2.2018).

Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird (fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen (AA 12.2.2018).

Künstler, Dichter, Schriftsteller und Musiker werden gezielt vom IS ins Visier genommen (USDOS

20.4.2018) , aber auch von anderen bewaffneten radikalen bzw. streng-religiösen Gruppen angegriffen (USDOS 3.3.2017; vgl. IWPR 25.11.2009).

(Mutmaßliche) IS-Mitglieder, IS-Sympatisanten und "IS-Familien" (Dawa'esh)

Tausende von IS-Verdächtigen werden sowohl von den irakischen Bundesbehörden als auch von den Behörden der kurdischen Autonomieregion im Rahmen der jeweiligen Anti-Terror-Gesetze rechtlich verfolgt. primär wegen Mitgliedschaft in bzw. Unterstützung von einer terroristischen Organisation. aber auch wegen Mord und anderen Handlungen. die unter die Anti-TerrorGesetzgebung fallen. Die Behörden halten IS-Verdächtige in überfüllten Haftanstalten und in einigen Fällen unter unmenschlichen Bedingungen und verletzen laut Menschenrechtsorganisationen systematisch die Rechte auf ein ordnungsgemäßes Verfahren. wie z.B. Garantien im irakischen Recht. dass Häftlinge innerhalb von 24 Stunden einen Richter sehen müssen. während der Verhöre Zugang zu einem Anwalt haben müssen. dass Familien über Inhaftierungen informiert werden bzw. dass Inhaftierte mit ihren Familien kommunizieren können. Zahlreiche Häftlinge behaupten auch. unter Folter zu Geständnissen gezwungen worden zu sein (HRW 18.1.2018; vgl. AA 12.2.2018. HRW 19.8.2018). Darüber hinaus bedrohen und verhaften irakische Sicherheitskräfte Anwälte. die IS-Verdächtigen und deren Familien Rechtsbeistand leisten (HRW 12.9.2018).

Aufgrund von IS-Mitgliedschaft Inhaftierte können nach dem im August 2016 verabschiedeten Allgemeinen Amnestiegesetz (Nr. 27/2016) Anspruch auf Haftentlassung haben (Ausnahme: Autonome Region Kurdistan). Das Gesetz bietet jenen Personen Amnestie. die nachweisen können. dass sie gegen ihren Willen dem IS oder einer anderen extremistischen Gruppe beigetreten sind und vor August 2016 keine schwere Straftat begangen haben. Nach Angaben des Justizministeriums hatten die Behörden bis Februar 2017 756 Verurteilte nach dem Amnestiegesetz freigelassen. Es ist allerdings unklar. ob die Richter dieses Gesetz konsequent anwenden. Die kurdische Autonomieregierung hat kein Amnestiegesetz verabschiedet (HRW 18.1.2018).

Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richteten sich 2017 vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.2.2018). So wurden Familien von mutmaßlichen IS-Mitgliedern und mutmaßlichen IS-Sympathisanten Opfer von Kollektivbestrafung, Misshandlungen und Angriffen (HRW 18.1.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Teilweise betrifft dies auch Familien, die aus Gebieten unter IS-Kontrolle geflohen waren und denen Sympathie für den IS unterstellt wird (HRW 24.6.2018). Menschenrechtsorganisationen dokumentierten im Zuge der Befreiung vom IS Diskriminierungen, Folterungen und Vergeltungsmorde an sunnitischen Muslimen, von denen viele verdächtigt wurden, IS- Sympathisanten zu sein. An einigen Orten wurden "IS-Familien-Lager" eingerichtet, nachdem vielen Sunniten das Recht auf Rückkehr in ihre Heimatorte verweigert worden war (USCIRF 4.2018; vgl. HRW 24.6.2018). Nach der Rückeroberung der vormals unter IS-Kontrolle stehenden Gebiete wurden Familien mutmaßlicher IS-Mitglieder in den Provinzen Anbar, Babil, Diyala, Salah al-Din und Ninewa durch örtliche Beamte vertrieben. Sicherheitskräfte unternahmen kaum etwas, um diese Übergriffe zu stoppen, und nahmen in einigen Fällen auch daran teil (HRW 18.1.2018; vgl. CIVIC 9.5.2018).

Als Familien aus dem Gebiet in und um Mosul flohen, wurden Tausende von Männern und Buben von ihren Familien getrennt und willkürlich verhaftet. Während es sich bei einigen davon um IS- Kämpfer handelte, waren vielen davon Personen, die z.B. als Köche oder Fahrer für den IS gearbeitet hatten; deren Namen in Datenbanken aufscheinenden Namen ähnlich waren; oder sie wurden verhaftet, weil sie aus bestimmten Gebieten oder Nachbarschaften kamen bzw. mit IS- Kämpfern verwandt waren. Viele wurden außergerichtlich hingerichtet. Fast alle dieser Männer sind gewaltsam verschwunden (AI 17.4.2018).

Volksmobilisierungseinheiten (PMF) nahmen in Ninewa routinemäßig sunnitische Männer, die aus der Gegend stammen, unter dem Verdacht fest, dass diese den IS unterstützt hätten bzw. unterstützten. Sicherheitskräfte der Zentralregierung informierten in vielen Fällen die Häftlinge nicht über den Grund ihrer Inhaftierung oder die gegen sie erhobenen Anklagen. In mehreren Provinzen vertrieben Regierungskräfte und Milizen angebliche IS-Sympathisanten aus ihren Häusern. In Diyala und Babil hat die Kata'ib Hizbollah örtlich ansässige sunnitische Araber entführt und eingeschüchtert und arabisch-sunnitische IDPs daran gehindert, in ihre Herkunftsorte zurückzukehren. Es gibt glaubwürdige Berichte, wonach örtliche Behörden Familienmitglieder mutmaßlicher IS-Mitglieder bestraften. In einigen Fällen haben örtliche Gemeindeleiter gegen Familienmitglieder von IS-Verdächtigten Gewalt- und Todesdrohungen ausgesprochen (USDOS 20.4.2018).

Frauen und Kinder mit vermeintlichen Verbindungen zum IS sind in IDP-Lagern einer Reihe von Übergriffen, Misshandlungen und Risiken ausgesetzt. Diese Verstöße werden von bewaffneten Akteuren, die in den Lagern aktiv sind, von Lagerbehörden und anderen Personen begangen.

Vielen wird der Zugang zu Nahrung, Wasser und Gesundheitsversorgung verwehrt. Sie erleiden schwere Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit, sei es, weil sie über keine ordnungsgemäßen Dokumente verfügen oder weil die Lagerbehörden sie daran hindern, das Lager zu verlassen und sie de facto in Haft halten (AI 17.4.2018).

Frauen mit vermeintlichen Verbindungen zum IS sind sexuellen Belästigungen ausgesetzt. Viele von ihnen werden auch zu Opfern sexueller Gewalt und Ausbeutung. Die Täter sind in erster Linie bewaffnete Akteure, die in den Lagern präsent sind. Letztere nutzen ihre Machtpositionen aus, um Frauen in sexuelle Beziehungen zu zwingen, im Austausch gegen Bargeld, Hilfsgüter oder Schutz vor anderen bewaffneten Akteuren oder Männern im Lager (AI 17.4.2018).

Verwandten von IS-Verdächtigen wird routinemäßig die notwendige Sicherheitsfreigabe zur Ausstellung von Personalausweisen und Dokumenten verweigert. Ohne vollständige Personenstanddokumente können sich Iraker im Land jedoch nicht frei bewegen, um Arbeitsplätze bewerben oder Sozialleistungen beantragen. Frauen, die keine Sterbeurkunden für ihre Ehemänner haben oder erhalten, können nicht erben und nicht wieder heiraten (HRW 25.2.2018; vgl. CIVIC 9.5.2018).

Der IS konfiszierte regelmäßig offizielle Dokumente, die von staatlichen irakischen Stellen ausgestellt worden waren. IS Behörden erstellten ihre eigenen Dokumente, wie z.B. Heirats- und Geburtsurkunden. Diese werden von den irakischen Behörden jedoch nicht anerkannt. Ohne Geburtsurkunde kann ein Kind, das unter IS-Kontrolle geboren wurde, keine anderen Dokumente erhalten, was ihm z.B. den Zugang zu staatliche Leistungen, wie den Zugang zur Schule, Gesundheitsversorgung, etc., verwehrt (HRW 25.2.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Tausende von Kindern, die unter der IS-Herrschaft geboren oder von Kämpfern gezeugt wurden, fallen so durch den Raster des irakischen Rechtssystems und sind faktisch staatenlos (Independent 18.5.2017). Es handelt sich dabei um mindestens 30.000 Kinder (ISI 6.2017).

18. Bewegungsfreiheit

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit. Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an (USDOS 20.4.2018). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas. nachdem die vom IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 1.2018).

Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von Vertriebenen und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern. ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften. die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken. Ausgangssperren zu verhängen. Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen. Es gab zahlreiche Berichte. dass Sicherheitskräfte (ISF. Peshmerga. PMF) Bestimmungen. die Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben. um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken. selektiv umgesetzt haben (USDOS 20.4.2018).

Die kurdische Autonomieregierung schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten ein (USDOS 20.4.2018). Innerirakische Migration aus dem Zentralirak in die Autonome Region Kurdistan ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug jedoch kontrolliert. Wer dauerhaft bleiben möchte. muss sich bei der Asayish-Behörde des jeweiligen Bezirks anmelden. Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 12.2.2018). Die Behörden verlangen von Nicht-Ortsansässigen. Genehmigungen einzuholen. die einen befristeten Aufenthalt in der Autonomieregion erlauben. Diese Genehmigungen waren in der Regel erneuerbar. Bürger. die eine Aufenthaltserlaubnis für die Autonome Region Kurdistan bzw. die von ihr kontrollierten Gebiete einholen wollen. benötigen einen in der Region ansässigen Bürgen. Bürger. die aus dem Zentral- oder Südirak in die Autonome Region Kurdistan einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehörten. auch Kurden) müssen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen über sich ergehenlassen (USDOS 20.4.2018).

Die Behörden der Autonomen Region Kurdistan wenden Beschränkungen unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt. Beamte hindern Personen. die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten. an der Einreise in die Region. Die Einreise ist für Männer oft schwieriger. insbesondere für arabische Männer. die ohne Familie reisen (USDOS 20.4.2018).

Aufgrund militärischer Operationen gegen den IS erhöhten die irakischen Streitkräfte, PMF und Peshmerga die Zahl der Checkpoints und errichteten in vielen Teilen des Landes provisorische Straßensperren (USDOS 20.4.2018). Diese Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der IS richtet falsche Checkpoints ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (albawaba 12.3.2018; vgl. GardaWorld 29.3.2018, Kurdistan24 29.3.2018, Iraqi News 28.6.2018).

In Bagdad selbst sollen seit Dezember 2017 hingegen 305 Checkpoints und Straßensperren entfernt worden sein. Über tausend Straßen sind in Bagdad seit dem offiziellen Sieg über den IS wieder geöffnet worden (AAA 8.8.2018; vgl. AAA 29.1.2018, Iraqi News 29.1.2018).

Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht routinemäßig durchgesetzt (USDOS 20.4.2018). An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen - auch kurzfristig - gerechnet werden (AA 12.2.2018).

Die Bewegungsfreiheit von Frauen wird im Allgemeinen durch Recht und Brauchtum nicht respektiert. So hindert das Gesetz Frauen beispielsweise daran, ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass zu beantragen. In den vom IS kontrollierten Gebieten war es Frauen angeblich verboten, ihr Zuhause ohne männlichen Verwandten zu verlassen (USDOS 20.4.2018).

IDPs und Flüchtlinge

Seit Jänner 2014 hat der Krieg gegen den IS im Irak die Vertreibung von ca. sechs Millionen Irakern verursacht, rund 15 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes (IOM 4.9.2018). Ende September 2018 betrug die Zahl der weiterhin intern Vertriebenen noch 1,89 Millionen (IOM

30.9.2018) . Dabei handelt es sich um die niedrigste Zahl an IDPs seit Ende 2014 (IOM 4.9.2018). Die Zahl der Vertriebenen sinkt seit der zweiten Hälfte des Jahres 2017 sukzessive (UNHCR 31.8.2018; vgl. UNHCR 31.7.2018, IOM 30.9.2018); die Zahl der Rückkehrer ist mittlerweile auf 4 Millionen gestiegen (IOM 30.9.2018). Bis zu einer Million Menschen bleiben weiterhin aus dem konfessionellen Konflikt von 2006-08 vertrieben (USDOS 20.4.2018).

Die Regierung und internationale Organisationen, einschließlich UN-Einrichtungen und NGOs, versuchen, IDPs Schutz und andere Hilfe zu gewähren. Eine hohe Anzahl von IDPs außerhalb der Lager belastet die Ressourcen der Gastgebergemeinden (USDOS 20.4.2018).

Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Zahlen an IDPs im Irak von März 2014 bis September 2018. Das Diagramm mit den blauen Balken links unten veranschaulicht die Verteilung der IDPs auf die jeweiligen Provinzen.

Bild kann nicht dargestellt werden

Quelle: IOM - International Organization for Migration - Iraq Mission (30.9.2018): DTM (Displacement Tracking Matrix): IDPs, http://iraqdtm.iom.int/IDPsML.aspx , Zugriff 5.10.2018

Wie den folgenden Grafiken zu entnehmen ist, sind die Provinzen mit den höchsten Zahlen an IDPs Ninewa, gefolgt von Dohuk, Erbil, Salah al-Din, Sulaymaniya, Kirkuk, Bagdad, Anbar und Diyala (IOM 30.9.2018; vgl. UNOCHA 31.8.2018, IOM 4.9.2018).

Bild kann nicht dargestellt werden

Quelle: IOM - International Organization for Migration - Iraq Mission (30.9.2018): DTM (DisplacementTracking Matrix): Displacement OverView,

http://iraqdtm.iom.int/DTMDisplacementDashboards.aspx Zugriff 11.10.2018

Bild kann nicht dargestellt werden

Quelle: UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.8.2018): Iraq:Internally displaced people by governorate,

https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/iraq_idps_and_returnees_by_governorate_dt

m-iom_round_102_aug31_2018.pdf. Zugriff 5.10.2018

Anfang 2018 lag die Rückkehrrate noch bei ca. 200.000 Menschen pro Monat. Diese Zahl hat sich seither drastisch verringert. So kehrten im März 2018 beispielsweise 112.446 Menschen in ihre Heimat zurück, von April bis Mai 2018 durchschnittlich 79.000 pro Monat, von Juni bis Juli 45.871. Im August 2018 lag die Zahl der Rückkehrer bei 33.528 Menschen (Joel Wing 19.9.2018).

Verschiedene Hilfsorganisationen berichten über eine Änderung der Einstellung von IDPs. Ursprünglich erklärte eine Mehrheit, sie würden zurückkehren, sobald der Krieg gegen den IS vorbei sei. Jetzt sind sie besorgt aufgrund der Sicherheit, dem Mangel an Dienstleistungen, zerstörten Häusern, wenig Arbeitsplätzen und wenig Geld. Es gibt auch eine beträchtliche Anzahl an IDPs, denen die Rückkehr verweigert wird, weil ihnen vorgeworfen wird, mit dem IS in Verbindung zu stehen. Darüber hinaus gibt es Menschen, die in ihre ursprünglichen Gebiete zurückgereist sind, die Situation dort jedoch als mangelhaft wahrgenommen haben und wieder in die Binnenvertreibung zurückgekehrt sind (Joel Wing 19.9.2018). Der Großteil der verbliebenen IDPs hat keine unmittelbaren Pläne zur Rückkehr (IOM 26.6.2018; vgl. REACH 29.8.2018, Joel Wing 11.10.2018).

Schwierige Rückkehrbedingungen finden sich unter anderem in Sinjar Zentrum, Telafar Zentrum, West Mosul, al-Ba'aj, im Wüsten-Streifen von al-Tal, Hatra (Hadr) und Muhallabiyya (Provinz Ninewa); in Baiji, Tuz Khurmatu/Sulayman Beg und Balad/Duloeiya (Provinz Salah al-Din); in Taza Khurmatu, Hawija Zentrum und al-'Abassi (Provinz Kirkuk); in al-Adheim und Sa'adiya/Jalawla (Provinz Diyala); und im Falludscha-Ramadi Streifen sowie in Ana Zentrum (Provinz Anbar) (IOM 9.2018)

In einigen Gebieten behindern Gewalt und Unsicherheit sowie langjährige politische, stammesund konfessionelle Spannungen die Fortschritte bei der nationalen Aussöhnung und erschweren den Schutz von IDPs. Tausende von Familien haben mehr als eine Vertreibung erlebt, und viele waren gezwungen, auf der Suche nach Schutz über die Grenzen der jeweiligen Provinz hinaus zu ziehen. Zwangsvertreibungen, kombiniert mit dem langwierigen und weitgehend ungelösten Problem von Millionen von Menschen, die in den letzten Jahrzehnten entwurzelt wurden, haben eine destabilisierende Wirkung auf die ohnehin schon komplexe soziale und politische Dynamik des Landes. Dies belastet die Kapazitäten der lokalen Behörden und offenbart die Grenzen der rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen (USDOS 20.4.2018).

Sowohl Vertriebene als auch Rückkehrer sind vulnerabel und auf humanitäre Hilfe angewiesen, um ihren Lebensunterhalt wiederzuerlangen und ihre Familien ernähren zu können (IOM 4.9.2018).

Die Regierung stellt vielen - aber nicht allen - IDPs, auch in der kurdischen Autonomieregion, Nahrungsmittel, Wasser und finanzielle Hilfe zur Verfügung. Viele IDPs leben in informellen Siedlungen, wo sie keine ausreichende Versorgung mit Wasser, sanitären Einrichtungen oder anderen wichtigen Dienstleistungen erhalten (USDOS 20.4.2018). Alle Bürger sind berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des Public Distribution System (PDS) zu erhalten. Die Behörden verteilen aber nicht jeden Monat alle Waren, und nicht alle IDPs können in jeder Provinz auf Lebensmittel aus dem Public Distribution System (PDS) zugreifen. Die Bürger können die PDS-Rationen nur an ihrem Wohnort und in ihrer eingetragenen Provinz einlösen, was zu einem Verlust des Zugangs und der Ansprüche aufgrund von Vertreibungen führt (USDOS 20.4.2018).

Personen, die sich nicht als IDPs an ihrem Wohnort registriert haben, verfügen manchmal nur über einen begrenzten Zugang zu staatlichen Leistungen. Die lokalen Behörden entscheiden oft darüber, ob IDPs Zugang zu örtlichen Leistungen erhalten. Humanitäre Organisationen berichten, dass einige IDPs mangels erforderlicher Unterlagen Schwierigkeiten bei der Registrierung haben. Viele Bürger, die zuvor in den vom IS kontrollierten Gebieten gelebt haben, besitzen keine Personenstandsdokumente, was die Schwierigkeit, einen Ausweis und andere persönliche Dokumente zu erhalten, noch vergrößerte. Durch die Bereitstellung von Rechtshilfe unterstützen die Vereinten Nationen und humanitäre Organisationen IDPs bei der Beschaffung von Dokumenten und der Registrierung bei Behörden, um den Zugang zu staatlichen Leistungen zu verbessern (USDOS 20.4.2018).

Ausländische Flüchtlinge

Das Gesetz sieht die Gewährung von Asyl vor, und die Regierung hat ein System zum Schutz von Flüchtlingen eingerichtet (USDOS 20.4.2018). Unter den etwa 335.000 ausländischen Flüchtlingen sind etwa 245.000 Syrer und ca. 40.000 Flüchtlinge aus anderen Gebieten. Ihren Status regelt das "Gesetz über politische Flüchtlinge", Nr. 51 (1971). Der Entwurf einer Novellierung des Gesetzes wurde bislang nicht verabschiedet. Die Flüchtlinge befinden sich überwiegend in und um Bagdad sowie unmittelbar im Grenzbereich zu Syrien und Jordanien (AA 12.2.2018). Die Regierung arbeitete im Allgemeinen mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen im Land Schutz und Unterstützung zu bieten (USDOS 20.4.2018).

UN-Organisationen, NGOs und die Presse berichten, dass konfessionelle Gruppen, Extremisten, Kriminelle und in einigen Fällen Regierungskräfte Flüchtlinge angegriffen und verhaftet haben, darunter Palästinenser, Ahwazis und syrische Araber. Lokale NGOs berichten, dass Misshandlungen syrischer Flüchtlinge, oft begangen durch andere Flüchtlinge, weit verbreitet waren, einschließlich Gewalt gegen Frauen und Kinder, Kinderheirat, Zwangsprostitution und sexuelle Belästigung (USDOS 20.4.2018).

19. Grundversorgung und Wirtschaft

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.2.2018). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom. Wasser. Abwasser- und Abfallentsorgung. Gesundheitsversorgung. Bildung. Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten. sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018).

Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die genannten Defizite werden durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt. Nach Angaben des UN-Programms "Habitat" leben 70 Prozent der Iraker in Städten. die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.2.2018).

In vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.2.2018).

Wirtschaftslage

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des sogenannten Islamischen Staat und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mosul zerstört worden. Dies trifft das Land. nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg. Bürgerkrieg. Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits. vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im Oktober 2018 für das Jahr 2019. Ob der Wiederaufbau zu einem nachhaltigen positiven Aufschwung beiträgt. hängt aus Sicht der Weltbank davon ab. ob das Land die Korruption in den Griff bekommt (GIZ 11.2018).

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 11.2018). Rund 90 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor (AA 12.2.2018).

Noch im Jahr 2016 wuchs die irakische Wirtschaft laut Economist Intelligence Unit (EIU) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) um 11 Prozent. Im Folgejahr schrumpfte sie allerdings um 0,8 Prozent. Auch 2018 wird das Wachstum um die 1 Prozent betragen, während für 2019 wieder ein Aufschwung von 5 Prozent zu erwarten ist (WKO 2.10.2018). Laut Weltbank wird erwartet, dass das gesamte BIP-Wachstum bis 2018 wieder auf positive 2,5 Prozent ansteigt. Die Wachstumsaussichten des Irak dürften sich dank der günstigeren Sicherheitslage und der allmählichen Belebung der Investitionen für den Wiederaufbau verbessern (WB 16.4.2018). Die positive Entwicklung des Ölpreises ist dafür auch ausschlaggebend. Somit scheint sich das Land nach langen Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen wieder in Richtung einer gewissen Normalität zubewegen. Dieser positiven Entwicklung stehen gleichwohl weiterhin Herausforderungen gegenüber (WKO 2.10.2018).

So haben der Krieg gegen den IS und der langwierige Rückgang der Ölpreise seit 2014 zu einem Rückgang der Nicht-Öl-Wirtschaft um 21,6 Prozent geführt, sowie zu einer starken Verschlechterung der Finanz- und Leistungsbilanz des Landes. Der Krieg und die weit verbreitete Unsicherheit haben auch die Zerstörung von Infrastruktur und Anlageobjekten in den vom IS kontrollierten Gebieten verursacht, Ressourcen von produktiven Investitionen abgezweigt, den privaten Konsum und das Investitionsvertrauen stark beeinträchtigt und Armut, Vulnerabilität und Arbeitslosigkeit erhöht. Dabei stieg die Armutsquote [schon vor dem IS, Anm.] von 18,9 Prozent im Jahr 2012 auf geschätzte 22,5 Prozent im Jahr 2014 (WB 18.4.2018).

Jüngste Arbeitsmarktstatistiken deuten auf eine weitere Verschlechterung der Armutssituation hin. Die Erwerbsquote von Jugendlichen (15-24 Jahre) ist seit Beginn der Krise im Jahr 2014 deutlich gesunken, von 32,5 Prozent auf 27,4 Prozent. Die Arbeitslosigkeit nahm vor allem bei Personen aus den ärmsten Haushalten und Jugendlichen und Personen im erwerbsfähigen Alter (25-49 Jahre) zu. Die Arbeitslosenquote ist in den von IS-bezogener Gewalt und Vertreibung am stärksten betroffenen Provinzen etwa doppelt so hoch wie im übrigen Land (21,1 Prozent gegenüber 11,2 Prozent), insbesondere bei Jugendlichen und Ungebildeten (WB 16.4.2018).

Der Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.2.2018). Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Jobangebote sind mit dem Schließen mehrerer Unternehmen zurückgegangen. Im öffentlichen Sektor sind ebenfalls viele Stellen gestrichen worden. Gute Berufschancen bietet jedoch derzeit das Militär. Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit 350-1.500 USD, je nach Position und Ausbildung (IOM 13.6.2018).

Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, zu unterstützen.

Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten (IOM 13.6.2018).

Stromversorgung

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 12.2.2018). Sie deckt nur etwa 60 Prozent der Nachfrage ab, wobei etwa 20 Prozent der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 22.12.2017). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Autonomen Region Kurdistan erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste (AA 12.2.2018).

Wasserversorgung

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen (AA 12.2.2018).

Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist (Clingendael 10.7.2018). Die Wasserknappheit dürfte sich kurz- bis mittelfristig noch verschärfen. Besonders betroffen sind die südlichen Provinzen, insbesondere Basra. Der Klimawandel ist dabei ein Faktor, aber auch große Staudammprojekte in der Türkei und im Iran, die sich auf den Wasserstand von Euphrat und Tigris auswirken und zur Verknappung des Wassers beitragen. Niedrige Wasserstände führen zu einem Anstieg des Salzgehalts, wodurch das bereits begrenzte Wasser für die landwirtschaftliche Nutzung ungeeignet wird (UNOCHA 31.8.2018).

Parallel zur Wasserknappheit tragen veraltete Leitungen und eine veraltete Infrastruktur zur Kontaminierung der Wasserversorgung bei (UNOCHA 31.8.2018). Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 12.2.2018). Im August meldete Iraks südliche Provinz Basra 17.000 Fälle von Infektionen aufgrund der Kontaminierung von Wasser. Der Direktor der Gesundheitsbehörde Basra warnte vor einem Choleraausbruch (Iraqi News 28.8.2018).

Nahrungsversorgung

Laut Welternährungsorganisation sind im Irak zwei Millionen Menschen vonNahrungsmittel- unsicherheit betroffen (FAO 8.2.2018). 22,6 Prozent der Kinder sind unterernährt (AA 12.2.2018). Schätzungen des Welternährungsprogramms zufolge benötigen mindestens 700.000 Iraker Nahrungsmittelhilfe (USAID 23.2.2018).

Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Schätzungen zufolge hat der Irak in den letzten vier Jahren jedoch 40 Prozent seiner landwirtschaftlichen Produktion verloren. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurde unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen (FAO 8.2.2018). Das Land ist stark von Nahrungsmittelimporten abhängig (AW 11.2.2018; vgl. USAID 1.8.2017).

Das Sozialsystem wird vom sogenannten "Public Distribution System" (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen. Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schweren Ineffizienzen gekennzeichnet ist (K4D 18.5.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 20.4.2018).

20. Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt (AA 12.2.2018). Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 13.6.2018).

Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung. Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore (GIZ 11.2018).

Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD. Für spezielle

Untersuchungen und Laboranalysen sind dann noch zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 11.2018).

In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.2.2018)

Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.2.2018).

21. Rückkehr

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome Region Kurdistan finden regelmäßig statt (AA 12.2.2018).

Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017). In der Autonomen Region Kurdistan gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Autonomen Region Kurdistan kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.2.2018).

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250m2 in Bagdad liegt bei ca. 320 USD. In den Städten der kurdischen Autonomieregion liegt die Miete bei 300-600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 11 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 7-18 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 22-29 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000 IQD für private oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom (IOM 13.6.2018).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser im Land. Jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote (GIZ 11.2018). Wohnen ist zu einem der größten Probleme im Irak geworden, insbesondere nach den Geschehnissen von 2003 (IOM

13.6.2018) . Die Immobilienpreise in irakischen Städten sind in den letzten zehn Jahren stark angestiegen (IEC 24.1.2018). Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem IS stellt der Wohnungsbau eine besonders dringende Priorität dar (Reuters 12.2.2018). Im November 2017 bestätigte der irakische Ministerrat ein neues Programm zur Wohnbaupolitik, das mit der Unterstützung von UNHabitat ausgearbeitet wurde, um angemessenen Wohnraum für irakische Staatsbürger zu gewährleisten (UNHSP 6.11.2017). Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrer nicht (IOM 13.6.2018).

22. Dokumente und Staatsbürgerschaft

Die neuen irakischen Pässe enthalten einen maschinenlesbaren Abschnitt sowie einen 3D- Barcode und gelten als fälschungssicherer im Vergleich zu den Vorgängermodellen. v. a. können diese nur noch persönlich und nicht mehr durch Dritte beantragt werden. Die irakischen Botschaften haben erst vereinzelt begonnen. diese Pässe auszustellen (AA 12.2.2018).

Der irakische Personalausweis (Civil Status ID bzw. CSID oder National Identity Card) heißt auf Arabisch Bitaqa shakhsiya bzw. Bitaqa hawwiya (UKHO 9.2018; vgl. IRBC 25.11.2013). Die CSID- Karte ist gesetzlich vorgeschrieben und wird jedem irakischen Staatsbürger. sowohl innerhalb als auch außerhalb des Irak. gegen Vorlage einer Geburtsurkunde ausgestellt. Sie gilt als das wichtigste persönliche Dokument und wird für alle Kontakte mit Behörden. dem Gesundheits- und Sozialwesen. Schulen. sowie für den Kauf und Verkauf von Wohnungen und Autos verwendet. Die CSID-Karte wird auch für die Beantragung anderer amtlicher Dokumente. wie z.B. Reisepässe. benötigt (UKHO 9.2018).

Jedes Dokument. ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt. ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Zur Jahresmitte 2014 tauchten vermehrt gefälschte Visaetiketten auf. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 12.2.2018).

Laut Verfassung kann jede Person, die über zumindest einen irakischen Elternteil verfügt, irakischer Staatsbürger werden (USDOS 20.4.2018). Das irakische Staatsbürgerschaftsrecht ist jedoch widersprüchlich bezüglich der Möglichkeit der Weitergabe der Staatsbürgerschaft durch die Mutter. Einerseits bestehen Widersprüche zwischen der Verfassung und Teilen des Staatsbürgerschaftsgesetzes; außerdem ist das Staatsbürgerschaftsgesetz in sich selbst widersprüchlich. Wie auch die irakische Verfassung, besagt Artikel 3 des Nationalitätsgesetzes, dass sowohl Väter als auch Mütter die irakische Staatsbürgerschaft an ihre Kinder weitergeben können. Laut Artikel 4 des Nationalitätsgesetzes ist dies jedoch im Falle der Mutter, wenn das Kind im Ausland geboren ist, nur unter bestimmten Umständen (Vater unbekannt oder staatenlos) möglich. In der Praxis ist den Quellen zufolge die Weitergabe der irakischen Staatsbürgerschaft durch die Mutter an ihre im Ausland geboren Kinder, deren Väter nicht Iraker und auch nicht staatenlos oder unbekannt sind, nicht gewährleistet (BFA 8.8.2017).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die von der bB vorgelegten Verfahrensakten unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben der BF sowie des Inhaltes der gegen die angefochtenen Bescheide erhobenen Beschwerde einschließlich der Beilagen, ferner durch Vernehmung der BF1 und BF2 als Partei in den vor dem erkennenden Gericht am 21.3.2019 und am 17.5.2019 durchgeführten mündlichen Verhandlungen sowie durch Einsichtnahme in die von den BF im Laufe des Verfahrens vor der bB vorgelegten Unterlagen, wie etwa Ausweise, Lebensmittel-, Zulassungs- und Wahlarten etc., und die im Zuge des Rechtsmittelverfahrens in Vorlage gebrachten Ablichtungen von arabischsprachigen Unterlagen, insbesondere betreffend ein Abwasserprojekt der Stadt XXXX , eine Sprengstoffexplosion im Bezirk XXXX und die Mitteilung des ehemaligen Dienstgebers des BF1 über ein vermisstes Dienstfahrzeug.

Darüber hinaus wurde Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat der BF, die von den BF in Vorlage gebrachten länderkundliche Berichte und Presseartikel, beispielsweise über die Situation in XXXX und die noch andauernden Gefährdungen durch die Terrormiliz Islamischer Staat.

2.2. Der eingangs angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verfahrensakts der bB, die ein mängelfreies und ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt hat.

Identität und Staatsangehörigkeit der BF sowie deren persönliche und familiäre Lebensumstände im Herkunftsstaat sowie in Österreich seit der Einreise ergeben sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht als glaubwürdig erachteten widerspruchsfreien Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung sowie vor der belangten Behörde.

Die Identität der BF steht in Anbetracht der in Vorlage gebrachten irakischen Dokumente, vor allem Personalausweise, zweifelsfrei fest.

2.3. Die getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen, welche den BF zusammen mit der Einladung zur mündlichen Verhandlung übermittelt und in der Verhandlung erörtert wurden. Zur Sicherstellung der notwendigen Ausgewogenheit in der Darstellung wurden Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. In Anbetracht der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild zeichnen, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die BF sind den zuletzt in der mündlichen Verhandlung am 17.5.2019 erörterten und herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage im Irak nicht substantiiert entgegengetreten.

In ihrer Stellungnahme vom 3.4.2019 sowie mit den in der Verhandlung am 21.3.2019 übergebenen Artikeln legen die BF unter anderem dar, dass der IS auch nach der Rückeroberung XXXX und weitreichenden Gebietsverlusten keinesfalls besiegt sei und gehe nach wie vor eine große Gefahr von dieser Miliz aus. Dazu wurden verschiedene Berichte über die Sicherheitslage und die Zustände in der Stadt XXXX sowie sicherheitsrelevante Daten in Bezug auf die Herkunftsprovinz der BF, etwa der UN Assistance Mission for Iraq - UNAMI, der Jamestown Foundation oder Musigs on Iraq, einem Blog des US-amerikanischen Irakexperten Joel Wing, zitiert. Einer nicht genau genannten Quelle zufolge würde geschätzt, dass es allein in XXXX mindestens 300 in Schläfer-Zellen organisierte Kämpfer gebe, einige davon in Vertriebenenlagern. Unter Einsatz dieser Schläfer-Zellen führe der IS in der Provinz Ninewa und den umliegenden Gebieten weiterhin Anschläge, Hinterhalte und Entführungen durch, was die Stabilität der Region beeinträchtige.

Ferner wurde dargelegt, dass bei Bombenanschlägen am 28.2.2019 in XXXX mindestens zwei Personen getötet und 28 verletzt wurden. Am 1.3.2019 seien in der Provinz Anbar die Leichen von fünf Zivilisten, die zuvor von IS Kämpfern entführt worden seien, gefunden worden. Am 2.3.2019 sei ein Polizist südwestlich von Kirkuk bei einer Bombenexplosion getötet worden. Am 3.3.2019 sei ein Peschmerga-Kämpfer von Unbekannten in Erbil getötet worden. Am selben Tag seien drei IS-Kämpfer bei dem Versuch getötet worden, von Syrien aus in die Provinz Anbar einzudringen. Am 4.3.2019 hätten irakische Streitkräfte drei IS-Kämpfer getötet und weitere fünf festgenommen, als sie versuchten, südwestlich von XXXX von Syrien aus in den Irak einzudringen; die fünf seien zum Hauptsitz der Ninive Operations gebracht worden.

In einem weiteren Artikel wird dargelegt, dass sich Überfälle durch Schläfer-Zellen in ländlichen Gebieten hauptsächlich in der Nacht ereignen würden.

Vor diesem Hintergrund legen die BF dar, dass der irakische Staat keinen wirksamen Schutz gewähren könne und BF1 durch seine hohe Position in der irakischen Abwasserbehörde und aufgrund seiner Weigerung, mit dem IS zu kooperieren, nach wie vor ein attraktives Ziel für den IS darstelle. Der BF habe in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, auf eine IS Liste potentieller Terrorziele zu stehen. Im Irak wäre er als "High Risk Target" daher immer noch einer realen Verfolgungsgefahr ausgesetzt.

Ferner wurde dargelegt, dass der BF, wie dieser in der mündlichen Verhandlung geschildert habe, seinen Dienstwagen nicht ordnungsgemäß zurückgestellt habe. Laut irakischem Strafgesetzbuch, aus welchem nachfolgend zitiert wurde, könne derartiges Verhalten mit gravierenden Freiheitsstrafen sanktioniert werden. Gemäß Art. 444 Abs. 11 des Strafgesetzbuches könne gegen ihn eine Sanktion bis zu sieben Jahren Haft verhängt werden. Bei Anlastung einer Deliktsqualifikation würde sich die zulässige Höchststrafe auf zehn Jahre erhöhen. Der genannten Gesetzesstelle ist zu entnehmen, dass eine Haftstrafe bis zu sieben Jahren für ein "offence of theft" verhängt werden kann, "if the offence is commited against property belonging to the state or a public organization or company in which the state has a financial interest. If the offence involves two or more of the above circumstances [gemeint sind hier Umstände, die ebenfalls in der genannten Gesetzesstelle aufgelistet sind] the penalty will be a term of imprisonment not exceeding 10 years.".

In Anbetracht der angespannten Sicherheitslage und eines nicht ausreichend funktionierenden Justizapparates hätte BF1 kein rechtsstaatliches Verfahren zu erwarten und wäre daher mit einer unverhältnismäßig hohen Freiheitsstrafe bedroht.

Sofern in der Stellungnahme auf die aktuelle Sicherheitslage Bezug genommen und auf die Präsenz von Schläfer-Zellen der Terrormiliz IS hingewiesen wird, ist zu bemerken, dass die Ausführungen auch nicht in Widerspruch zu den vom Gericht beigezogenen Quellen und der Kenntnis über die allgemeine Lage im Irak stehen. Jedoch vermochten es die BF im gesamten Verfahren nicht, wie unter 2.6. noch ausführlich darzulegen sein wird, eine gegen sie gerichtete individuelle und aktuelle im Sinne der GFK asylrelevante Verfolgung bzw. eine Gefährdung im Rückkehrfall glaubhaft darzustellen.

Das Bundesverwaltungsgericht hält in diesem Zusammenhang fest, dass eine besondere Auseinandersetzung mit der Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit des Staates einschließlich diesbezüglicher Feststellungen nur dann erforderlich ist, wenn eine Verfolgung durch Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen festgestellt wird (vgl. VwGH 02.10.2014, Ra 2014/18/0088). Da die BF jedoch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts keine von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehende Verfolgung zu gewärtigen hatten, sind spezifische Feststellungen zum staatlichen Sicherheitssystem sowie zur Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers nicht geboten.

Dem Vorbringen, dass für Eigentumsdelikte in Bezug auf öffentliches Gut eine bis zu sieben Jahre Haft verhängt werden können, wird ebenfalls nicht entgegengetreten. Auf die Befürchtungen des BF1, eine unangemessen hohe Strafe für einen nicht zurückgegebenen Dienstwagen zu erhalten, wird ebenfalls unter 2.6. noch ausführlich einzugehen sein.

2.4. In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht am 21.3.2019 unternahm BF1 zunächst den Versuch, die seinerzeitige Einvernahme-Situation vor dem Bundesamt zu beanstanden, indem er dem damals beigezogenen Dolmetscher eine unrichtige Übersetzung seiner Angaben und eine mangelhafte Rückübersetzung anlastete. In der Folge führte BF1 jedoch nur ein konkretes Beispiel an ("Ich sagte, die Bombe war in meinem Büro. Es wurde geschrieben, die Bombe war im Büro."). Im Weiteren gab BF1 dann an, der Dolmetscher habe nichts falsch gedolmetscht und tätigte Ausführungen über ungenaue Datumsangaben, die deshalb zustande gekommen wären, da er diese mit "circa" angegeben habe. Er habe beispielsweise gesagt, der Bombenanschlag sei Ende März/Anfang April gewesen. Aber bei der Polizei sei dann der 8. März gestanden. Das sei sein Problem mit Datumsangaben gewesen. Sonst habe es keine weiteren Probleme gegeben und wolle er keine Berichtigungen vornehmen. Es habe aber noch eine Unstimmigkeit gegeben, diesbezüglich wisse er aber nicht, ob da wirklich etwas falsch übersetzt worden sei; er habe auch keinen Verdacht diesbezüglich. Er möchte auch nichts richtigstellen. Es habe sich lediglich eine Änderung ergeben, nämlich im Hinblick auf seine Schwester, welche momentan in Großbritannien lebe.

Erst im Zuge der weiteren Befragung des BF vermeinte dessen Rechtsvertreter, dieser habe eingangs vermutlich darlegen wollen, dass der erste Anruf des IS in der dritten Februarwoche erfolgt sei und habe dieser seiner Meinung nach genau das ausbessern wollen. Er glaube auch, BF1 habe mitteilen wollen, dass sich der Bombenanschlag am 8.3.2014 ereignet habe und nicht im April oder Mai, wie dies im Protokoll stünde.

In der mündlichen Verhandlung am 17.5.2019 zum Datum der Explosion befragt, gab BF1 dann an, er habe sich eigentlich gar nicht an das Datum erinnert; ohne die Anzeige bei der Polizei hätte er sich nicht daran erinnern können.

Sofern Unstimmigkeiten in Bezug auf die angegebenen Daten angesprochen wurden, sind in den Protokollen der bB tatsächlich Widersprüche in Bezug auf das erfolgte Bombenattentat ersichtlich - den Angaben des BF1 in der Einvernahme der bB am 14.6.2016 sei der Bombenanschlag im April bzw. Ende April gewesen (AS 149 und 147), dem Vorbringen am 18.8.2016 zufolge hätten sich ein Drohanruf und ein nachfolgender Bombenanschlag im April oder Mai ereignet (AS 173). Dass das Datum des Anschlages von der Behörde irrtümlich falsch protokolliert wurde, ist schon deshalb nicht anzunehmen, da dem BF die Niederschriften der Einvernahme durch die bB jeweils rückübersetzt wurden und er anlässlich der Einvernahme am 18.8.2016 auch explizit danach gefragt wurde, ob er in der Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der ersten Einvernahme beim BFA die Wahrheit gesagt habe, was er auch bejaht hat (AS 172).

In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass BF1 andere Daten, etwa das Datum der Ausreise, im Laufe der insgesamt vier Anhörungen durch die Landespolizeidirektion, die bB und das Gericht sehr wohl konstant angegeben hat und hat BF1 im Laufe der zwei Einvernahmen vor der bB zwar den Zeitpunkt der Bombenexplosion nicht exakt angegeben, jedoch hat er diesen Zeitraum jeweils auf April/Mai eingegrenzt (April/Ende April/April oder Mai). Sofern der BF dieses Datum im Rechtsmittelverfahren nunmehr präzise mit dem 8.3.2019 festlegen möchte, so ist dies wohl nur damit erklärbar, dass das bisherige Vorbringen mit den im Laufe des Rechtsmittelverfahrens vorgelegten Unterlagen, welchen zufolge sich am 8.3.2014 eine Explosion auf einer Baustelle in XXXX ereignet haben soll, in Einklang gebracht werden soll.

Insgesamt sind die diffusen Ausführungen des BF1 im Hinblick auf die behauptete unrichtige Protokollierung der bB und die nachfolgende Korrektur bzw. Klarstellung dieser Angaben durch den Rechtsvertreter aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht geeignet, die Zuverlässigkeit der Niederschrift der bB in Zweifel zu ziehen; weder ist von einer Fehlleistung des Dolmetschers noch der Behörde auszugehen und hindern diese Einwendungen insbesondere nicht die Heranziehung der - im Übrigen auch in formaler Hinsicht mängelfreien - Niederschriften der Einvernahme der bB vom 14.6.2016 und vom 18.8.2016 durch das Gericht.

2.5. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058 mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.2.1993, Zl. 92/03/0011; 1.10.1997, Zl. 96/09/0007).

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Darlegung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Der Asylwerber hat im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069; 30.11.2000, Zl. 2000/01/0356). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650). Die Unkenntnis in wesentlichen Belangen indiziert ebenso mangelnde Glaubwürdigkeit (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

2.6. Unter Berücksichtigung der vorstehend angeführten Rechtsprechung ist es den BF nicht gelungen, ein asylrelevantes Vorbringen glaubhaft und in sich schlüssig darzulegen; im Einzelnen:

BF1 und BF2 erachten sich zunächst im Irak von Anhängern des Islamischen Staates aufgrund ihrer früheren beruflichen Stellung als verfolgt. Die bB erachtete im Rahmen der Beweiswürdigung das Vorbringen der BF aufgrund von Widersprüchen und mangels Plausibilität als nicht glaubhaft und ist dem im Ergebnis nicht entgegenzutreten.

Gegen eine individuelle Bedrohung der BF vor dem Verlassen der Stadt XXXX spricht bereits, dass BF1 und B2 bei ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Sachverhalt darlegten, der mit ihren weiteren Aussagen vor der bB nicht bzw. nur teilweise übereinstimmt. BF1 legte anlässlich seiner Ersteinvernahme vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes lediglich dar, dass der IS alle Fachkräfte aufgefordert habe, den Treueeid (BAIAA) zu schwören, er sich jedoch weigerte und seitdem vom Islamischen Staat gesucht werde. In der Einvernahme vor der bB legte der BF das Schwergewicht seiner Erzählung darauf, dass er bei einem Projekt mitgearbeitet habe und dem IS Daten über die Finanzierung dieses Projektes mitteilen hätte sollen; aufgrund seiner Weigerung sei er dann bedroht worden und habe sich über ein Jahr lang versecken müssen. Vom Verlangen des IS, die islamische Reue sowie einen Treueeid zu schwören, habe er durch einen Freund gehört als er schon untergetaucht war. Man hätte von ihm erwartet, sich anzuschließen, weil sich alle Ingenieure dem IS anschließen sollten und man habe ihm gesagt, wenn er das nicht mache, würden sie alle töten, auch wenn die irakische Armee einmarschiere, und ihn als Zielscheibe erachten. In der mündlichen Verhandlung brachte der BF im Übrigen erstmals vor, er habe ein Drohschreiben des IS auf der Straße gefunden.

BF2 brachte anlässlich ihrer Ersteinvernahme nach dem Asylgesetz vor, sie sei vom IS aufgefordert worden, Informationen über Christliche Kunden der Bank, für welche sie arbeitete, herauszugeben ("Die vom IS haben mich aufgefordert die Informationen ... herauszugeben.") und sie habe sich dann eine Zeitlang, etwa vier Monate, versteckt, wohingegen sie vor der bB dann ausführte, dass der IS sie nicht persönlich angesprochen habe (AS 62).

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass sich die Erstbefragung § 19 Abs. 1 AsylG 2005 zufolge nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat und gegen eine unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen Bedenken bestehen (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061 mwN).

Dennoch fällt im gegenständlichen Fall ins Gewicht, dass BF1 bei der Erstbefragung lediglich eine Bedrohung nennt, welche nicht nur ihn, sondern alle leitenden Bediensteten bzw. Fachkräfte der Stadt XXXX betraf und er von dieser auch nur über einen Freund erfuhr, zumal er zu diesem Zeitpunkt - wie er nachfolgend behauptete - bereits untergetaucht war und er erst anlässlich seiner Einvernahme vor der bB von einer ihm persönlich gegenüber ausgesprochenen Drohung gefolgt von einem Bombenattentat auf ihn - wegen nicht preisgegebener Daten aus einem Projekt, für das er tätig war - berichtete.

Abgesehen von den Unstimmigkeiten und Widersprüchen, die sich in der Geschichte der BF auftun, wie nachfolgend im Detail erörtert wird, wecken schon die abweichenden Darstellungen zwischen der Ersteinvernahme und der Einvernahme vor der bB Zweifel an der Glaubwürdigkeit den Fluchtgeschichten der BF, zumal in Bezug auf BF1 davon ausgegangen kann, dass - selbst wenn die Erstbefragung keine detaillierte Aufnahme des Ausreisegrundes umfasst - ein Asylwerber zuerst wohl die unmittelbar erlebten und gravierendsten Vorfälle darlegen wird, anstatt sich nur auf eine Bedrohung zu beziehen, die einen größeren Personenkreis umfasst. Dies ist selbst für den Fall anzunehmen, dass die Behörden des aufnehmenden Staates um die allgemein schlechte Situation im Land wissen und kann damit der Verantwortung des BF1, der genau mit diesem Argument zu erklären versuchte, weshalb er von einer Schilderung der für ihn unmittelbar bedrohlichsten Situation Abstand genommen habe, nicht gefolgt werden. Dass Asylwerber keine Erfahrungen mit derartigen Situationen haben und sich nach einer langen Reise in einer körperlich schlechten Konstitution befinden, wie BF1 ebenfalls berichtete, ist nachvollziehbar und ist daher auch nicht zu erwarten, dass ein detailliertes und umfassendes Vorbringen erstattet wird, jedoch handelt es sich bei den weiteren Ausführungen des BF im Hinblick auf das Bombenattentat und der vorangegangenen Drohung nicht nur um eine tiefergehende Schilderung seines Vorbringens bei der Ersteinvernahme, sondern um ein gänzlich neues Vorbringen.

In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass sich das Bombenattentat den Ausführungen des BF1 zufolge vor den Drohungen im Zusammenhang mit der vom IS erwarteten Reue und dem Treueeid, das sei am 15.8.2015, gewesen (AS 149), ereignet hätte, als BF1 seiner Aussage zufolge schon untergetaucht gewesen sei, wohingegen BF1 anlässlich der Ersteinvernahme davon gesprochen hat, dass er seit seiner Weigerung, den Treueeid zu schwören, gesucht werde (AS 41) und hat er damit auch ein nicht konsistentes Vorbringen im Hinblick auf den Beginn der gegen ihn gerichteten Verfolgung erstattet.

Auch im Hinblick auf die Geschichte der BF2 waren schon deshalb Zweifel angebracht, da diese im Rahmen der Ersteinvernahme zunächst eine persönliche Bedrohung durch den IS darstellte, welche sie in der folgenden Befragung durch die bB als Bedrohung einer größeren Gruppe (alle Mitarbeiter einer Bank) darstellte und sei die Aufforderung, Daten zu übergeben auch nicht direkt an sie ergangen, sondern an ihre Vorgesetzte.

Zudem erweisen sich auch die Angaben der BF1 im Hinblick auf die Ausreise als widersprüchlich, als er anlässlich der Ersteinvernahme angab, er wäre in die Türkei gereist, vor der bB jedoch angab, nach Syrien ausgereist zu sein. Dazu vor dem Bundesverwaltungsgericht befragt, gab der BF - entgegen dem Wortlaut der Niederschrift der bB an -, dass er dort gesagt habe, er wäre gleich in die Türkei ausgereist.

Auch in diesem Zusammenhang ist auf den Umstand hinzuweisen, dass beide BF das Protokoll der Ersteinvernahme unterzeichnet haben und vor der bB in Bezug auf die Angaben bei Erstbefragung angaben, dass diese stimmen würden (Zl. 2137611, AS 61 und Zl. 2137606, AS. 141; BF1 merkte lediglich an, dass ihr Mann, als der IS in XXXX einmarschiert sei, nicht mehr gearbeitet habe).

Das Vorbringen der BF weist zudem gravierende Widersprüche und Unplausibilitäten auf und hielt es BF1 ferner für notwendig, sein Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht maßgeblich zu steigern.

Zu den Widersprüchen und Unklarheiten in Bezug auf das Datum des behaupteten Bombenanschlages wurde bereits unter 2.4. dargelegt, dass den in der Beschwerdeverhandlung getätigten Einwendungen gegen die Protokolle nicht zu folgen ist. Der BF legte eine Reihe von Unterlagen vor, aus welchen hervorgeht, dass sich am 8.3.2019 im Bezirk XXXX eine Explosion ereignet hat - im Wesentlichen geht es darin um die Korrespondenz in Bezug auf den deshalb notwendigen Baustopp und eine Verlängerung der Frist für das geplante Ende des betroffenen Projektes und eine Darstellung der Geschehnisse durch die Polizei -, jedoch vermochte der BF mit seinem Vorbringen vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht glaubwürdig darzulegen, dass es sich dabei um ein gegen ihn gerichtetes Attentat handelte. Zum einen lässt sich der Grund für die erfolgte Explosion keinem der vorgelegten Schreiben entnehmen und wäre zu erwarten, dass der Umstand eines Attentates auf einen Mitarbeiter des Ministeriums in einer Anzeige an die Polizei genannt und dies folglich in einen Polizeibericht Eingang gefunden hätte; dem vorgelegten Schreiben der Polizei lässt sich derartiges jedenfalls nicht entnehmen. Zum anderen ist der bB zu folgen, wenn Sie beweiswürdigend ausführt, dass BF1 in Bezug auf die erfolgte Bombenexplosion ein sehr oberflächliches und vages Vorbringen erstattet habe. Auch anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung hat BF1 ein detailarmes Vorbringen erstattet. Zwar hat BF1 - abgesehen vom Datum der Explosion wie oben ausgeführt - Umstände genannt, welche in Einklang mit den vorgelegten Unterlagen zu bringen sind und ist vor dem Hintergrund seiner Erzählungen auch glaubhaft, dass er an dem besagten "Abwasserprojekt" mitgearbeitet hat, jedoch hat er vorwiegend Fakten dargeboten; weder erfolgte eine Beschreibung von Eindrücken, Empfindungen oder Emotionen noch wurde auf die das Geschehen beherrschenden Umstände näher eingegangen, was den Eindruck verstärkt, dass es sich um ein Geschehen handelt, das BF1 nicht selbst wiederfahren ist.

Zu bezweifeln sind auch die Angaben des BF1 über seine Rolle im Projekt (er habe Fortschrittsberichte externer Unternehmer für den Staat als Auftraggeber kontrolliert und diese im Falle der Korrektheit der Angaben unterzeichnet, sodass das Ministerium entsprechende Zahlungen an die Auftragnehmer tätigen konnte; aufgrund seiner Kenntnisse über die eingereichten Kostennoten sei er vom IS kontaktiert worden, der auf diese Weise jeweils zehn Prozent aller Teilzahlungen von den Auftraggebern herauspresste), zumal sich in Bezug auf BF1 in einem Dokument (betreffend die "Bildung des Amtes des Baustellenleiters") über seine Bestellung als Mitglied eines Teams, welches ein Abwasserprojekt umzusetzen hatte, der Zusatz "Computertechnik" findet und nichts in den vorgelegten Unterlagen darauf hindeutet, dass er als Finanzreferent tätig oder mit Verwaltungstätigkeiten oder dergleichen befasst war. In der mündlichen Verhandlung dazu befragt, verwies BF1 darauf, dass er in der Abteilung für Planung und Kontrolle angestellt war; angeführt sei nur sein Ausbildungshintergrund, Details würden in den Unterlagen nicht extra erwähnt. Dass die Projektdokumentation tatsächlich keine Aufgabenbeschreibung der einzelnen Projektmitglieder enthält, käme angesichts eines derart großen Projektes - es geht um vier Hebestationen im Abwassersystem der Stadt XXXX - einer erstaunlichen Unprofessionalität gleich und überzeugt die Auskunft des BF, auch deshalb nicht, da in Bezug auf den Projektleiter dessen Funktion im Projekt sehr wohl in den vorgelegten Unterlagen genannt ist.

Zweifelhaft erscheint ferner, dass der IS bereits im Jänner 2014 systematisch und unter Androhung von Zwang auf die geschilderte Art auf Informationen und Gelder zugreifen konnte, zumal der IS, wie BF1 erklärte, an allen von den Projekten beantragten Teilzahlungen - und nicht etwa an der gesamten Auftragssumme - interessiert war. Hält man sich vor Augen, dass BF1, wie er angibt, für lediglich vier (Teil-) Projekte, die von zwei Unternehmen ausgeführt wurden, zuständig war und in einer Stadt bzw. Provinz eine Vielzahl von Infrastruktur- und anderen Aufträgen vergeben werden, deren Umsetzung auf dieselbe Weise von Bediensteten der Stadt oder des Ministeriums kontrolliert werden, so würden schon die dazu notwendigen Kontakte - von den Projektmitarbeitern seien die Informationen über die erfolgten Teilzahlungen herausgepresst worden, das Geld sodann von den Unternehmen - sowie die für die Erpressung bzw. Einschüchterung einzusetzenden Ressourcen einen enormen Aufwand verursachen. Zwar ist der Quellenlage zu entnehmen, dass es schon vor dem Einmarsch des IS im Juni 2014 zu Anschlägen, Entführungen und Erpressungen kam und ist auch vorstellbar, dass der IS zu Beginn des Jahres 2014 über ein Netz von Spionen und Spitzeln in der Stadt XXXX verfügte, welche durch ihre Informationen Straftaten ermöglichten und damit den Weg für die Übernahme der Stadt bereiteten, dass der IS die vom BF geschilderten Informationen und Gelder angesichts der Vielzahl von Auftragnehmern, (Teil-) Zahlungen und Kontrollorganen, die in einer Stadt von der Größe XXXX beschäftigt waren bzw. getätigt wurden, systematisch unter Einsatz terroristischer Mitteln, wie etwa Bombenattentate auf Projektmitarbeiter, herauspresste, erscheint jedoch wenig glaubhaft.

Dass BF1 eine herausragende Stellung hatte, durch welche er zu einem "High Rist Target" wurde und sich die Ressourcen des IS aus diesem Grund auf ihn fokussierten ist - selbst wenn man ihm glauben möchte, dass er tatsächlich die von ihm geschilderte Aufgabe wahrgenommen hat - aus seiner Aussage nicht abzuleiten. BF1 war ein einfaches Projektmitglied. Die Entscheidungen im Projekt wurden, wie er vor dem Bundesverwaltungsgericht schilderte, der Hierarchie entsprechend vom Vorsitzenden des Projektes, dem Gouverneur der Provinz Ninewa oder dem Ministerium getroffen. Sofern er, von seinem Rechtsvertreter dazu befragt, angab, er habe über Millionen von US-Dollar zu entscheiden gehabt, ist dies angesichts der von ihm beschriebenen Position nicht nachvollziehbar und hat BF1 auf Nachfrage des Gerichtes neuerlich angegeben, dass es seine Aufgabe gewesen sei, den Fortschritt eines Projektes zu kontrollieren. BF1 vermeinte zwar, ohne seine Unterschrift hätte es keine Zahlungen gegeben und ist das auch nachvollziehbar, jedoch kann in diesem Zusammenhang nicht von einer Entscheidungsbefugnis gesprochen werden, zumal ein Kontrollorgan bei korrekten bzw. zutreffenden Angaben den jeweiligen Bericht bzw. Zahlungsantrag zu bestätigen hat und darüber nicht disponieren kann.

Dass es sich bei BF1 nicht um ein "High Risk Target" handelt kann auch schon daraus abgeleitet werden, dass er aus der Stadt ausreisen konnte, zumal dort, wie er vor der bB angab, überall Straßensperren waren. Sofern BF1 in der mündlichen Verhandlung angab, durch einen Schlepper gehe alles, er habe 5000 Dollar bezahlt, so wirft dies wiederum die Frage auf, weshalb BF1 sich überhaupt versteckt halten musste und ist damit auch seine und die Aussage der BF2, er habe zwei Mal vergeblich auszureisen versucht und hätten sie jeweils Straßensperren davon abgehalten, in Zweifel zu ziehen.

Dass der BF schon vor Einmarsch des IS, nämlich erstmals im Jänner 2014, bedroht worden sei, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar; dies aus folgenden Gründen: Vor der bB vermeinte der BF zunächst, der IS sei ab Juni 2014 in der Stadt XXXX "aktiv" gewesen und sie hätten mehrmals Informationen über Projekte von ihm haben wollen. Auf Vorhalt, dass die Angabe, er sei bereits im Jänner 2014 bedroht worden, dem widerspräche, gab BF1 an, er sei vor dem Einmarsch des IS schon bedroht worden und dann untergetaucht, als dieser in die Stadt einmarschiert ist. Zwar ergibt sich aus dem Amtswissen, wie oben beschrieben, dass der IS bzw. dessen Vorläuferorganisationen bereits vor dem Tag der Machtübernahme in XXXX tätig waren, jedoch mangelt es dem Vorbringen des BF auch insofern an Plausibilität. Nicht nachvollziehbar ist dabei insbesondere, dass BF1 erst nach dem Einmarsch des IS, dessen Kämpfer ihn seiner Aussage zufolge bereits davor bedroht hätten, untertauchte und sich durch die zuvor erhaltenen Drohungen, etwa in Form einer Bombe in seinem Büro, welche im April oder Mai detonierte - nach den Angaben in der Beschwerdeverhandlung sei es der 8.3.2014 gewesen -noch nicht dazu veranlasst sah.

Insgesamt ist es BF1 weder gelungen, das erfolgte Bombenattentat auf ihn glaubhaft darzustellen und zu belegen, noch war der Angabe in der Stellungnahme vom 3.4.2019 und den diesbezüglichen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht, wonach BF1 über ein herausragendes Profil verfüge, aufgrund dessen er in den Fokus des IS geraten sei, zu folgen.

Gravierende Widersprüche bzw. Unplausibilitäten tun sich auch in Bezug auf die Frage, wie bzw. wo die BF ihre Zeit im Jahr 2014 und 2015, in welcher sie bedroht worden seien, verlebten, als BF1 vor der bB und dem Gericht angab, er habe sich ab dem Einmarsch des IS bis zur Ausreise im August 2015, also mehr als ein Jahr lang versteckt gehalten und BF2 angab, sie sei immer bei ihm gewesen (Niederschrift der mündlichen Verhandlung am 21.3.2019, S. 18); sie sei ab dem 5.10.2014 oder 10.6.2014 - so genau könne sie sich nicht mehr erinnern - nicht mehr zur Arbeit gegangen (Niederschrift der mündlichen Verhandlung am 21.3.2019, S. 18), am 23.8.2014 sei sie auf Aufforderung ihrer Chefin dann doch wieder in die Arbeit gegangen - dies war jener Tag als der IS die Bankangestellten bedrohte und die Herausgabe von Kundendaten forderte.

BF2 brachte anlässlich der bei ihrer Ersteinvernahme getätigten Aussage in Bezug auf die vom IS geforderten Informationen über Christliche Kunden der Bank, für welche sie arbeitete, auch vor, sie habe sich danach etwa vier Monate versteckt gehalten und dann sei die Familie ausgereist; in den weiteren Einvernahmen legte BF2 dar, die besagte Aufforderungen durch den IS an die Bankangestellten sei im August 2014 erfolgt. Anlässlich der Befragung der bB am 14.6.2016 bezeichnete BF2 den Zeitraum, in welchem sich ihr Mann versteckt gehalten habe, als "sicher mehr als vier Monate". Diesen Angaben zufolge müssten die BF gegen Ende des Jahres 2014 oder zu Beginn des Jahres 2015 ausgereist sein, wohingegen BF1 und BF2 sowohl vor der bB als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht jeweils angaben, sie seien im Sommer des Jahres 2015 ausgereist. Sofern BF1 in der Beschwerdeverhandlung vermeinte, seine Frau habe sagen wollen, ihr Mann habe noch vier Monate nach der Besetzung gearbeitet, so hätte sie damit wiederum dem Vorbringen, BF1 sei gleich nach dem IS Einmarsch nicht mehr arbeiten gegangen und habe sich versteckt gehalten, widersprochen.

Auf die Frage der erkennenden Richterin, ob sie und BF1 wegen ihres Dienstantrittes im August 2014 nicht befürchten mussten, vom IS gefunden zu werden, vor dem sich BF1 seinen Aussagen nach über ein Jahr versteckt hielt, tätigte BF2 zunächst - ausweichend - allgemeine Angaben über den IS und schweifte auch nach mehrmaliger Wiederholung und Präzisierung der Frage ab (Niederschrift der mündlichen Verhandlung am 21.3.2019, S. 18), um letztendlich auszuführen, dass der IS im Juni - angemerkt sei, dass es sich dabei um das Jahr 2014 handelt - einmarschiert ist und sie ohnehin im August schon ausgereist wären. Erst nach erfolgter Rückübersetzung merkte BF2 an, dass die Ausreise im August des Jahres 2015 erfolgt wäre.

Zu beachten ist ferner, dass BF2 vor der bB am 14.6.2016 dazu befragt, zunächst auch noch angab, ihr Ehemann sei nach Juni 2014 noch arbeiten gegangen. Erst auf Vorhalt, dass BF1 angegeben hätte, nach dem Einmarsch des IS und dem Umzug in eine andere Wohnung nicht mehr arbeiten gegangen zu sein, gab BF2 schließlich an, dieser sei doch nicht mehr arbeiten gegangen; sie sei ein bisschen durcheinander und könne sich nicht mehr genau erinnern. Wie lang Sie zu Hause gewesen seien, konnte BF2 ebenfalls nicht genau angeben; es sei sicher mehr als vier Monate gewesen (Verfahren Zl. 2137611-1, AS 36). Zur Bedrohung ihres Mannes gab BF2 am 18.8.2016 vor der bB an, dieser sei im August 2015 bedroht worden.

Schon aufgrund der oben aufgezeigten Widersprüchen, die auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht plausibel aufgeklärt werden konnten, kann dem Vorbringen, die BF hätten sich ab dem Einmarsch des IS bis zu ihrer Ausreise vor dem IS versteckt gehalten, ebenfalls kein Glauben geschenkt werden.

Auch mangelt es dem Vorbringen in seiner Gesamtheit an Plausibilität: BF1 gab vor der bB an, der IS habe die Bombe zielgerichtet deponieren und zeitgenau nach seinem Verlassen des Büros detonieren lassen können, da er seine Augen überall gehabt habe, andererseits behauptete er jedoch, er hätte sich erfolgreich über ein Jahr lang in XXXX vor dem IS verstecken können. Zudem brachte BF1 vor, er sei als "High Risk Target" anzusehen. Dies verwundert umso mehr, als seine Ehefrau am 18.8.2016 vor der bB erzählte, dass BF1 in der Zeit nach dem IS Einmarsch manchmal einkaufen gegangen oder sogar beim Friseur gewesen wäre und bestätigte BF1 in der Beschwerdeverhandlung auch, dass er manchmal einkaufen gegangen sei. Die Erklärung des BF1, er sei in ein anderes Viertel gezogen und habe sich einen Vollbart wachsen lassen, weshalb ihn niemand erkennen konnte, kann - will man ihm nicht eine Verhöhnung des Gerichtes oder tatsächlich vom IS Verfolgter unterstellen - nur als Bestätigung für die Annahme gesehen werden, dass BF1 tatsächlich nie ins Visier des IS geraten ist.

Die bB schenkte dem Vorbringen des BF1, er sei im Jahr 2007 von der Al-Kaida entführt worden, Glauben, jedoch kann das Gericht dem diesbezüglich im Verfahren erstatten Vorbringen der BF ebenfalls nicht folgen. Sofern BF1 nämlich angab, er sei nach der Anhaltung und Folterung durch den IS nach Syrien geflohen und im Jahr 2009 wieder nach XXXX zurückgekehrt, wo er seine Arbeit in der Abwasserbehörde wieder aufgenommen habe, und er ferner in der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vermeinte, die Al-Kaida und der IS wären ein und dieselbe Organisation, so wirft dies die Frage auf, weshalb diese Organisation bzw. die dahinterstehenden Personen die Verfolgung des BF nicht gleich wieder aufgenommen haben, als diese an Einfluss in XXXX gewannen. Dazu befragt, vermeinte BF1 zunächst, dass diese nicht gewusst hätten, dass er zurückgekehrt sei und es auch nicht gleich eine Konfrontation gegeben habe. Er habe auch seinen Wohnsitz gewechselt und versucht, in der Öffentlichkeit nicht präsent zu sein. Seine Arbeit wäre auch in einem kleinen Amt, außerhalb der Stadt gewesen. Dies überzeugt insofern nicht, als BF1 vor der bB angab, die Al-Kaida habe sich wegen seiner Fachkenntnisse für ihn interessiert - er habe zu dieser Zeit Geo-Daten verwaltet und Zugang zu eine Software gehabt, mit der man genaue Entfernungen in der Stadt vermessen konnte - und er die nachfolgende Bedrohung durch den IS ebenfalls mit seiner beruflichen Position erklärte - nach seiner Rückkehr sei er an Infrastrukturprojekten beteiligt gewesen und er sei schon vor dem Einmarsch des IS im Juni 2014 bedroht worden; auch seine Rückkehrbefürchtungen erklärt er mit seiner Gefährdung wegen seiner "hohe Position" bei der Abwasserbehörde.

Auch dem Vorbringen der BF2 mangelt es an Logik, als sie in ihrer Befragung vor der bB am 18.8.2016 angab, sie habe Kundendaten ihrer Chefin gegeben, welche diese dem IS aber nicht weitergegeben habe; diese Frau lebe weiterhin in XXXX . Auf die Frage der bB, weshalb die Chefin, welche dem IS die Herausgabe von Daten verweigerte, noch unbehelligt in XXXX leben könne, gab BF2 zunächst an, dass der IS eben nicht wisse, wie ihre Arbeit läuft und auf Nachfrage dann - enbensowenig überzeugend - dass es sein könne, dass diese Frau jetzt mit dem IS kooperiere. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung gab BF2 schließlich an, dass ihre Chefin später dann das Land verlassen habe; das sei ihr erzählt worden. Auch mit dieser Antwort vermochte es die BF nicht, die von der bB aufgezeigte Unplausibilität in ihrer Fluchtgeschichte aufzuklären.

Ins Gewicht fallen auch die Steigerungen des Vorbringens im Rechtsmittelverfahren. BF1 steigert sein Vorbringen zum einen dahingehend, als er in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 21.3.2019 erstmals angab, er sei verfolgt, da er als Ungläubiger gesehen wird und Kritik am IS geübt habe. Er habe den IS schon kritisiert, bevor dieser in XXXX einmarschiert sei. Auf die Frage, warum er dies nicht schon früher erwähnt habe, vermeinte der BF lapidar, er habe solche Fragen vorher noch nicht bekommen; momentan frage ihn die Richterin Fragen, die er noch nicht bekommen habe. Auf den Vorhalt, dass er zu seinem Fluchtgrund doch befragt worden sei - die Frage lautete "Warum haben Sie Ihr Land verlassen?" - ging der BF gar nicht ein, sondern erzählte von IS-Kämpfern, die er in Österreich gesehen habe (eine Bedrohung seiner Person sehe er dadurch jedoch nicht).

Die gesteigerten Aspekte des Vorbringens wurden erstmals in der mündlichen Verhandlung angesprochen, was in gesteigertem Maß für die mangelnde Glaubwürdigkeit des Vorbringens spricht.

In der mündlichen Verhandlung am 21.3.2019 brachte der BF über die vorstehend erörterten Gründe hinausgehend auch noch vor, er werde seit Dezember 2017 im Irak gesucht und befürchte, wegen eines nicht zurückgegebenen Dienstwagens im Rückkehrfall zu sieben bis zehn Jahren Haft verurteilt zu werden. In diesem Zusammenhang legte er ein Schreiben vor, welches an ein "Korrektheitsgremium" oder eine Korruptionsbekämpfungsstelle adressiert ist und in welchem beklagt wird, dass die Person des BF sowie sein Dienstwagen nicht auffindbar seien. Sofern der Rechtsvertreter des BF mit dem Hinweis auf das in Artikel des 444 Abs. 11 des irakischen Strafgesetzbuches angeführte Strafausmaß dem Einwand der mangelnden Asylrelevanz - das Strafgesetzbuch ist für alle Bürger des Irak erlassen - entgegentreten und der BF mit seinen Ausführungen auf eine überschießend strenge Bestrafung hinweisen möchte, so sei zunächst darauf hingewiesen, dass das in der besagten Norm festgesetzte Strafausmaß als Höchststrafe für Eigentumsdelikte in Zusammenhang mit öffentlichen Gütern formuliert ist und kann daraus noch nicht abgeleitet werden, dass diese auch im Falle der Nichtzurückstellung eines Dienstfahrzeuges an das Ministerium bzw. die Kommune verhängt würde. Im vorgelegten Schreiben an die Korruptionsbekämpfungsstelle wird zwar festgelegt, dass die "gesetzlich notwendigen Maßnahmen" ergriffen werden mögen, jedoch ist darin nicht näher dargelegt, um welcher Art von Maßnahmen es sich handelt und lässt sich daraus auch nicht ableiten, dass ein strafgerichtliches Verfahren gegen den BF eingeleitet werden soll. Dass es wegen dieser Sache einen gegen ihn gerichteten Haftbefehl gibt oder ein Strafverfahren gegen BF1 bereits eingeleitet wurde, wurde weder behauptet noch belegt. Der Nachweis wäre BF1 auch leicht möglich gewesen, zumal BF1 im Verfahren bekannt gab, dass er einen Rechtsanwalt im Irak habe, welcher die dem Gericht vorgelegten Beweismittel organisiert habe und wäre es diesem Anwalt auch möglich gewesen, Auskünfte bzw. Bestätigungen über das Vorliegen einer Strafverfolgung oder eines Haftbefehles einzuholen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu den näheren Umständen in Bezug auf das Zurücklassen des Autos befragt, gab BF1 zusammengefasst an, er habe das Auto kurz vor der Besetzung der Stadt durch die Truppen des IS in der Nähe seiner Arbeit stehen lassen, da die Bewohner bereits gewarnt worden seien, nicht mehr auf die Straße zu gehen und auch ein Stau zu befürchten war. Es sei üblich gewesen, dass der IS auf der Straße parkende Autos oder "staatliche Autos" in der Folge beschlagnahmte und sie mit seinen Farben bemalte; sie hätten alles genommen, was leicht zu bekommen war. Er habe sich versteckt gehalten und gedacht, das Auto sei entweder von der Armee oder vom IS beschlagnahmt worden. Als er schon in Österreich war, habe er sich einmal wegen des Autos an seine ehemaligen Kollegen im Irak gewandt, welche ihn deshalb "fast ausgelacht" hätten. Schon aufgrund dieser Schilderung des BF lässt sich erahnen, dass im Zuge der Einnahme der Stadt durch den IS wohl unzählige private wie öffentliche Güter verschwunden sind und ist schon vor diesem Hintergrund nicht vorstellbar, dass für das Abhandenkommen eines Dienstwagens unter den damals herrschenden Umständen Strafen in hohem Ausmaß verhängt werden sollen.

Dem Vorbringen im Zusammenhang mit dem abhanden gekommenen Dienstwagen ist aus folgenden Gründen auch die Glaubwürdigkeit bzw. Plausibilität abzusprechen:

In diesem Zusammenhang stellte sich zunächst die Frage, warum der BF die Angelegenheit nicht aufklärte, indem er etwa seinen ehemaligen Arbeitgeber oder die Korruptionsbekämpfungs-Stelle kontaktierte und über die behauptete Flucht vor dem IS informierte, um einer Strafe zu entgehen. Diese Frage beantwortete der BF in der Beschwerdeverhandlung am 21.3.2019 wenig überzeugend damit, dass das Schreiben aus dem Jahr 2017 stamme, als er schon in Österreich war.

Zudem verwunderte auch der Zeitpunkt, zu welchem der BF das Dokument erhielt. Die Anzeige an die Korruptionsstelle habe der BF von einem Freund via Facebook erhalten, welcher seinen Namen gehört und die Anzeige ihm dann geschickt habe. Dass erst nach der Befreiung der Stadt XXXX eine Inventur vorgenommen wurde und nach verschwundenen Gütern gesucht wird, ist nachvollziehbar, jedoch nicht, weshalb das im Jahr 2017 verfasste Schreiben dem BF erst im Jahr 2019 - just am Tag der ersten mündlichen Verhandlung - zur Kenntnis gelangte bzw. ihm elektronisch übermittelt wurde. Der BF konnte auch nicht erklären, warum ihm sein Freund die Ablichtung des Schreibens nicht schon früher geschickt habe.

Die in der fortgesetzten Beschwerdeverhandlung am 17.5.2019 an ihn gerichtete Frage, ob er mittlerweile Schritte unternommen habe, um die Angelegenheit aufzuklären - der BF verfügt über Verwandte sowie auch einen Anwalt im Irak - oder er der Kommune bzw. dem Ministerium nicht allenfalls eine Kompensationszahlung für das verlorene Auto anbieten könnte - nach den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung am 21.3.2019 verfügt er über mehrere Häuser und Vermögen im Irak -, quittierte der BF mit der Gegenfrage, ob er für eine Sache bezahlen soll, die er nicht zu verantworten hat. Dass der BF einerseits eine Aufklärung bzw. Bereinigung der Sache, die ihm leicht möglich wäre, unterlässt, sich andererseits aber vor einer mindestens siebenjährigen Haftstrafe im Rückkehrfall fürchtet, ist nicht nachvollziehbar. Die ebenso in der Beschwerdeverhandlung aufgestellte Behauptung, er müsse trotzdem einen Teil der Strafe im Gefängnis verbringen, begründete er auf Nachfrage des Gerichtes damit, dass seine Tat als "Vernachlässigung der Arbeit" betrachtet würde, was schon deshalb nicht nachvollziehbar ist, da ihm von staatlicher Seite wohl kaum ein Vorwurf gemacht werden wird, dass er die Arbeit für das IS-Regime verweigerte und vor diesem flüchtete.

Der Beschwerdeführer konnte außerdem auf Nachfrage auch das Kennzeichen seines angeblichen Dienstfahrzeuges nicht benennen und nannte lediglich die Marke, wie sie im Schreiben an die Korruptionsstelle genannt war. Die diesbezügliche Unkenntnis des Beschwerdeführers in dieser Angelegenheit ist ein weiteres Indiz dafür, dass ein konstruiertes Vorbringen vorgetragen wurde.

Zu den erst in der mündlichen Verhandlung in Ablichtung in Vorlage gebrachten Urkunden weist das Bundesverwaltungsgericht zudem darauf hin, dass ausweislich der Feststellungen zur Lage im Irak dort jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, gegen Bezahlung zu beschaffen ist. Ausgehend vom Erscheinungsbild der Urkunden können diese von jedermann mit Kenntnissen der arabischen Sprache mithilfe eines Druckers selbst hergestellt werden. Dazu tritt, dass der BF nur eine Version in Vorlage bringen konnte, welche ihm auf elektronischem Wege übermittelt worden sei, sodass deren fachkundige Überprüfung schon mangels Zugriffs auf das Original nicht möglich ist. Eigenen hoheitlichen Ermittlungen der Asylbehörden im Herkunftsstaat des Asylwerbers stehen ferner nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes allgemeine Prinzipien des Völkerrechts entgegen. Danach sind Staaten grundsätzlich verpflichtet, in fremden Hoheitsräumen keine Amtshandlungen ohne Genehmigung des Territorialstaates vorzunehmen. Dieser Grundsatz wird meist streng gehandhabt und gestattet nicht einmal eine hoheitliche Tätigkeit, die keine unmittelbare Auswirkung im Territorialstaat hat, z.B. polizeiliche Erhebungen oder amtliche Vorladungen. Ermittlungen, die diesen Prinzipien widersprechen, sind von den Ermittlungspflichten des § 18 AsylG 2005 daher nicht umfasst und den Asylbehörden auch nicht erlaubt (VwGH 18.01.2017, Ra 2016/18/0197). Eine Überprüfung der vorgelegten behördlichen Urkunden im Irak scheidet demnach aus.

Das Bundesverwaltungsgericht geht deshalb und in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen davon aus, dass der BF im Herkunftsstaat keine Anzeige wegen Veruntreuung öffentlichen Gutes zu erwarten hat und auch kein diesbezügliches Strafverfahren eingeleitet wurde oder ein Haftbefehl oder dergleichen im Herkunftsstaat in Bezug auf den BF existiert.

2.6. Von entscheidungswesentlicher Bedeutung ist außerdem, dass in Anbetracht der getroffenen Feststellungen zu den militärischen Bemühungen einer Rückeroberung XXXX feststeht, dass unter den zum Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Vorzeichen nicht mehr von der Ausübung pseudostaatlicher Gewalt durch die Milizen der Terrormiliz "Islamischer Staat" oder "IS" in XXXX ausgegangen werden kann. Die Stadt steht vielmehr seit Mitte des Jahres 2017 unter der stabilen Kontrolle der irakischen Sicherheitskräfte. Freilich ist nicht auszuschließen, dass die Milizen des IS etwa durch Schläfer noch im gesamten Stadtgebiet in der Lage sind, Anschläge zu verüben. Dessen ungeachtet können die Milizen des IS in jenen Gebieten nicht mehr offen operieren, die von irakischen Sicherheitskräften zurückerlangt wurden, sodass dort aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nur mehr mit Untergrundaktivitäten von Anhängern des IS und damit einhergehender Anschlagskriminalität zu rechnen ist.

Die die Gewährung von internationalem Schutz voraussetzende Verfolgungsgefahr muss jedoch aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in seinem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten habe (VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/19/0459). In Anbetracht der seit der Ausreise der BF eingetretenen Lageänderung in Gestalt der militärischen Niederlage des IS in XXXX und der weiteren militärischen Erfolge der irakischen Streitkräfte im Gouvernement Ninava, welche zu einer vollständigen Vertreibung des Islamischen Staates führten und eine Wiedererlangung der Kontrolle durch die Milizen des Islamischen Staates als ausgeschlossen erscheinen lassen, haben die BF im Rückkehrfall nicht mit der Ausübung pseudostaatlicher Gewalt durch die Milizen des Islamischen Staates in XXXX zu rechnen und werden sie damit im Rückkehrfall jedenfalls nicht mit offen operierenden Kämpfern des Islamisten Staates konfrontiert sein.

Bei den nach wie vor in XXXX und überhaupt im Gouvernement Ninava vereinzelt stattfindenden Auseinandersetzungen zwischen verbliebenen Anhängern des IS und den irakischen Sicherheitskräften handelt es sich aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes um einen asymmetrischen Konflikt und es ist davon auszugehen, dass sich Angriffe von sogenannten Schläfern entweder gegen militärisch relevante Ziele richten oder mittels terroristischer Anschläge mit möglichst intensiver Verbreitung in den Medien eine Verunsicherung in der Bevölkerung erzielt und der politischen Rückhalt der irakischen Regierung und der Sicherheitskräfte erschüttert werden soll. Ferner steht außer Zweifel, dass auch weiterhin vom IS und anderen Gruppierungen ausgehende terroristische Aktivitäten im Irak zu erwarten sind. Eine gezielte Verfolgung von Einzelpersonen wie etwa der BF - etwa weil sie sich allfälligen Drohungen des IS durch ein Untertauchen und die dann erfolgte Ausreise nach Mitteleuropa entzogen - durch Schläfer des IS oder sonstige dort verblieben Anhänger ist dennoch angesichts der derzeitigen Lage in XXXX und im Gouvernement Ninava schlicht nicht vorstellbar und auch kein Grund erkennbar, weshalb sich allenfalls verbliebe Anhänger des IS gerade für die Person der BF im Fall deren (hypothetischer) Rückkehr nach XXXX interessieren sollten und eine gezielte Verfolgung gerade der BF für allenfalls verbliebe Anhänger des IS attraktiver sein sollte, als terroristische Aktivitäten mit großer Breitenwirkung oder Anschläge auf Sicherheitskräfte zu begehen.

Gegen das Vorbringen in der Beschwerdeschrift, BF1 habe wegen der vor seiner Ausreise bekleideten, hohen Position in der Abwasserbehörde ein besonderes Profil und sei deshalb als "High Risk Target" zu betrachten, spricht schon seine Ausführung zur Frage der bB, warum sich der IS in Bezug auf die begehrten Finanzdaten nicht an seinen Vorgesetzten gewendet hat - "Es ist üblich, dass der IS sich an kleinere Angestellte wendet, da sie dort die Infos leichter bekommen." In dieses Bild passen auch die Angaben, die der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht über seine Rolle im Projekt tätigte und wird dazu im Detail auf die Ausführungen unter 2.5. verwiesen.

Die BF konnten auf die Frage, weshalb sie im Falle einer Rückkehr vom IS bedrängt oder bedroht werden sollten, in der mündlichen Verhandlung auch keinen nachvollziehbaren Grund dafür angeben. BF1 vermeinte, dass der IS in Wirklichkeit noch da sei und in Form des Bürgermeisters und dessen Bruder die Stadt verwalte oder auch in Form als Hash¿d al Shabi-Miliz die Stadt de facto kontrolliere und im Jänner 2019 auch drei Brüder vom IS entführt und getötet worden seien. Das persönliche Interesse an seiner Person erklärte er damit, dass er seinen Namen auf einer Liste gesehen habe. In Bezug auf die Antwort des BF auf die Frage zu den näheren Umständen, wurde zunächst durch die Dolmetscherin vermerkt, dass der BF ausweichend antworte. Auf die erneut gestellte Frage antwortete BF1 sodann, dass er seinen Namen auf einem Monitor gesehen habe; dort sei gestanden, dass die von der Liste erfassten Personen vom IS diszipliniert würden, damit sie religiös im Sinne des IS blieben; in den Augen der IS-Leute sei er ungläubig gewesen. Auf Nachfrage erklärte BF1 dies dahingehend, dass er nicht einverstanden damit gewesen sei, was man mit den Menschen dort gemacht habe; er könne kein Blut sehen und gab auf weitere Nachfrage an, er habe am IS auch Kritik geübt. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts spricht schon die späte Darlegung des Sachverhaltes (Verfolgung wegen der religiösen Einstellung des BF oder wegen seine Kritik am IS), nämlich in der Beschwerdeverhandlung, gegen eine glaubwürdige Darlegung (dass er neues Vorbringen erstattet, erklärte der BF, wie bereits ausgeführt, damit, dass er solche Fragen noch nicht bekommen habe), aber auch die Inkonsistenz seines Vorbringens - der BF vollzieht in Bezug auf die Frage zu seinen Rückkehrbefürchtungen einen Bogen von einer Verfolgung wegen der verweigerten Zusammenarbeit mit dem IS über seine Ungläubigkeit bis hin zu seiner Kritik am IS, ohne dies jeweils schlüssig zu erklären - deutet auf ein konstruiertes Vorbringen.

BF2 vermeinte, sie sei sich sicher, dass er IS noch da sei und sie habe Angst. Zur Frage, warum der IS sich im Falle ihrer Rückkehr gerade für sie interessieren solle, bezog sie sich wieder auf den Vorfall in der Bank und ist diesbezüglich auch an dieser Stelle darauf zu verweisen, dass BF2 mit ihrem Vorbringen vor der bB verdeutlichte, dass sie keine herausragende Position in der Bank eingenommen hat und sie vom IS auch nicht persönlich angesprochen oder individuell bedroht worden wäre.

In Bezug auf das Vorbringen, die Töchter würden vom IS zwangsbeschnitten werden, gaben die BF in der mündlichen Verhandlung am 17.5.2019 bekannt, dass dieses als nicht mehr relevant betrachtet würde.

Eine Gefährdung der BF durch verblieben Anhänger des Islamischen Staates mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Fall einer Rückkehr nach XXXX kann zusammenfassend nicht erkannt werden.

2.7. Sofern die BF befürchten, im Fall einer Rückkehr in den Irak von schiitischen Milizen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer Herkunft aus XXXX bedrängt zu werden, ist in diesem Zusammenhang zunächst festzuhalten, dass ausweislich der getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak Übergriffe von schiitischen Milizen und auch anderen Angehörigen der Sicherheitskräfte auf sunnitische Männer in jenen Gebieten dokumentiert sind, die vom Islamischen Staat zurückerlangt wurden. Auch im Zuge der XXXX -Offensive sind willkürliche Festnahmen und Racheakte schiitischer Milizen dokumentiert. Den getroffenen Feststellungen zur Sicherheitslage zufolge werden Angehöriger der irakischen Streitkräfte und verbündeten Gruppen Vergehen an der flüchtenden Zivilbevölkerung, an Binnenvertriebenen und Rückkehrern vorgeworfen.

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes liegt in Ansehung der BF keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit solcher Übergriffe vor, zumal sich die BF bereits vor der Rückeroberung XXXX nach Europa begaben. Da sich die BF schon im Verlauf des Jahres 2015 in das Ausland begaben, ist auch nicht ersichtlich, weshalb ihnen unterstellt werden sollte, sich den Milizen des IS angeschlossen zu haben oder mit diesen zu sympathisieren. Dass andere Personen als Binnenvertriebene und diejenigen sunnitischen Männer, die in vom Islamischen Staat zurückeroberten Gebieten vorgefunden werden (und sohin dort während der Machtausübung durch den IS gelebt und sich nicht wie die BF durch Flucht entzogen haben), von schiitischen Milizen oder Sicherheitskräften systematisch bedrängt würden, kann den länderkundlichen Informationen indes nicht entnommen werden. Im Übrigen gaben die BF auf eine entsprechende Frage in der mündlichen Verhandlung, explizit an, nicht mit dem IS kollaboriert zu haben und ist angesichts ihrer Aussage nicht ersichtlich, weshalb sie im Rückkehrfall als Anhänger oder Unterstützes des IS angesehen werden sollten.

2.8. Gegen eine Gefährdung aus konfessionellen Gründen spricht, dass die Bevölkerung in XXXX und überhaupt im Nordirak ausweislich der getroffenen Feststellungen zur Lage im Irak überwiegend sunnitisch ist. Im Fall einer Rückkehr in ihre Heimatprovinz Ninawa würden die BF demnach der dort überwiegend vertretenen Richtung des Islam zugehören.

Dass die sunnitische Bevölkerung im Gouvernement Ninawa systematisch von schiitischen Milizen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit verfolgt werden würde, kann den Feststellungen zur Lage im Irak nicht entnommen werden. Insbesondere bestehen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die zahlreich in die Stadt XXXX aus Flüchtlingslagern zurückkehrenden sunnitischen Binnenvertriebenen in XXXX einer gezielten und systematischen Verfolgung durch staatliche Organe und Angehörige des schiitischen Mehrheitsglaubens unterliegen würden.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die irakische Gesellschaft bereits seit dem Sturz des (sunnitisch geprägten) Regimes von Saddam Hussein in zunehmendem Maße religiös gespalten ist und sich etwa in den Jahren 2006 bis 2008 massive konfessionelle Konflikte ereigneten. Seit dem Vorrücken der (ebenfalls sunnitischen) Milizen des Islamischen Staates wird die sunnitische Minderheit im Irak darüber hinaus oftmals einerseits für das Erstarken des Islamischen Staates und die damit verbundenen zahlreichen vornehmlich schiitischen Opfer unter den Sicherheitskräften (wie etwa beim Massaker von Tikrit) und Zivilisten verantwortlich gemacht und andererseits selbst fallweise mit einer unterstellten Sympathie gegenüber dem IS konfrontiert. Dabei kommt es - wie in den Feststellungen zur Lage im Irak ersichtlich - zu Vergeltungsmaßnahmen, Misshandlungen, willkürlichen Inhaftierungen, Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen. Auch wenn derartige Vorfälle wiederkehrend stattfinden, kann in Anbetracht der Anzahl der dokumentierten Vorfälle noch nicht auf eine derartige Intensität solcher Übergriffe geschlossen werden, dass von einer systematischsten und zielgerichteten asylrelevanten Verfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung im Irak - immerhin mehrere Millionen Menschen - gesprochen werden kann. Dazu tritt, dass ausweislich der Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak hohe Staatsämter, etwa jenes des Parlamentspräsidenten oder des Verteidigungsministers, auch von Sunniten bekleidet werden und diese auch im irakischen Parlament repräsentiert sind, was gegen eine Verfolgung sämtlicher Angehöriger des sunnitischen Religionsbekenntnisses im Irak spricht. Würde eine Gruppenverfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung im Irak oder im Gouvernement Ninava tatsächlich stattfinden, die über Übergriffe in zeitlichen und örtlichem Zusammenhang mit Kampfhandlungen gegen Milizen des IS hinausgehen, wäre ferner mit Sicherheit davon auszugehen, dass entsprechende eindeutige und aktuelle Quellen vorhanden wären.

Diese nur entfernte Möglichkeit, Opfer eines religiös motivierten Übergriffes zu werden, genügt indes nicht zur Annahme einer Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Eine darüber hinausgehende konkrete Bedrohung ihrer Person aufgrund individueller Merkmale haben die BF im Verfahren nicht darlegen können.

2.9. Die Feststellung, dass die BF keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung angehörte gründet sich auf das diesbezügliche Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht (Verhandlungsprotokoll vom 21.3.2019, AS 8). Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seines religiösen Bekenntnisses brachte der Beschwerdeführer nicht substantiiert vor.

2.10. Zusammenfassend ist aus den vorstehenden Erwägungen nicht glaubhaft, dass die BF vor ihrer Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder Übergriffen durch staatliche Organe oder durch Dritte, wie etwa Anhänger des Islamischen Staates, ausgesetzt war.

Im Fall einer Rückkehr in ihre Herkunftsregion sind die BF - wie vorstehend ausführlich dargelegt - nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit psychischer und/oder physischer Gewalt seitens verbliebener Anhänger des Islamischen Staates und/oder schiitischer Milizen ausgesetzt. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass BF1 in seinem Herkunftsstaat wegen eines abhanden gekommenen Dienstwagens von Strafverfolgungsbehörden gesucht wird oder übermäßig strenge Sanktionen zu erwarten hätte.

2.11. Da die BF keine staatliche Strafverfolgung im Irak glaubwürdig vorbrachten, war dem folgend zur Feststellung zu gelangen, sie im Fall einer Rückkehr nicht der Todesstrafe unterzogen würde. Ebenso kann aus dem Vorbringen keine anderweitige individuelle Gefährdung der BF durch drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe abgeleitet werden, zumal keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften glaubwürdig vorgebracht wurden. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist ferner in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen nicht davon auszugehen, dass die BF im Fall einer Rückkehr in den Irak als Unterstützer oder Anhänger des Islamischen Staates angesehen würden und sie deshalb unter Anwendung des irakischen Antiterrorgesetzes behördlich verfolgt würden. Gegen die Annahme einer solchen behördlichen Verfolgung spricht insbesondere die Ausreise der BF vor Rückeroberung der Stadt XXXX .

Die weiteren Feststellungen unter Punkt 1.3. beruhen schließlich auf den Angaben der BF zu deren Lebenslauf und ihrer gesundheitlichen Verfassung.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

Gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Zu A)

3.2. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069 mwN).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/19/0459). Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in seinem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233 mwN). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

3.2.2 Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht der BF, im Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Im gegenständlichen Fall ist ausweislich der Feststellungen und der diesbezüglichen Beweiswürdigung nach Ansicht des erkennenden Gerichts im Irak keine die BF betreffende aktuelle, unmittelbare und konkrete Gefahr einer Verfolgung aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund gegeben.

Ferner liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass den BF eine über die allgemeinen Gefahren der im Irak gebietsweise herrschenden bürgerkriegsähnlichen Situation hinausgehende Gruppenverfolgung droht. Dass im Irak eine generelle und systematische Verfolgung von Arabern mit sunnitischer Glaubensrichtung stattfindet, kann aus den länderkundlichen Feststellungen zur Lage im Irak sowie dem Umstand, dass Familienmitglieder der BF nach wie vor im Irak wohnhaft sind, nicht abgeleitet werden. Wiewohl ausweislich der Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak eine sunnitisch-feindliche Politik vorherrscht (siehe dazu insbesondere die Feststellungen zum Punkt "Politische Lage" und zum Punkt "Religionsfreiheit" und es in unterschiedlicher Intensität zu Vertreibungen mit dem Ziel einer religiösen Homogenisierung oder von Entführungen kommt, kann noch nicht von einer zielgerichteten und systematischen Verfolgung von Muslimen sunnitischer Glaubensrichtung ausgegangen werden. Die BF haben demnach nicht bereits aufgrund ihrer sunnitischen Glaubensrichtung eine individuell gegen ihre Person gerichtete Verfolgung zu befürchten (vgl. VwGH 09.05.2016, Ra 2016/01/0068; 17.12.2015, Ra 2015/20/0048 mwN).

Unter Verweis auf die Feststellungen und der diesbezüglichen Beweiswürdigung ist auch festzuhalten, dass die BF aus Sicht des erkennenden Gerichts auch nicht damit zu rechnen haben, im Fall einer Rückkehr in den Irak als Anhänger des Islamischen Staates angesehen zu werden.

Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass den BF keine Verfolgung aus in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht. Bezüglich der Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder unruhebedingten Lebensbedingungen zurückzuführen sind, bleibt festzuhalten, dass diese keine Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes darstellen, da alle Bewohner gleichermaßen davon betroffen sind.

Bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur sind hinzunehmen, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe hat, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge des Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstigen Unruhen entstehen, ein Standpunkt den beispielsweise auch das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in Punkt 164 einnimmt (VwGH 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).

Es besteht im Übrigen keine Verpflichtung, Asylgründe zu ermitteln, die der Asylwerber nicht behauptet hat (VwGH 21.11.1995, Zl. 95/20/0329 mwN).

Alldem zufolge war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, vorstehend im Einzelnen zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gewährung von internationalem Schutz ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das zur Entscheidung berufene Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff und zur Frage der Aktualität der Verfolgung abgeht.

Ebenso wird zu diesen Themen keine Rechtssache, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert. In Bezug den angefochtenen Spruchpunkt des Bescheides liegt das Schwergewicht zudem in Fragen der Beweiswürdigung.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte