BVwG L502 2277060-1

BVwGL502 2277060-126.1.2024

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §57 Abs1 Z2
AsylG 2005 §57 Abs3
AsylG 2005 §59
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2024:L502.2277060.1.00

 

Spruch:

 

L502 2277060-1/3E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.06.2023, FZ. XXXX , zu Recht:

 

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen, mit der Maßgabe, dass Spruchpunkt I des Bescheides zu lauten hat:

„Ihr Antrag auf Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vom 23.03.2023 wird gemäß § 57 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 3 iVm § 59 AsylG zurückgewiesen“.

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 18.05.2021 wurde dem Beschwerdeführer (BF) ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihm eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt.

2. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 27.09.2021 als unbegründet abgewiesen.

3. Eine Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit Beschluss vom 15.12.2021 abgelehnt. Die Beschwerde wurde dem Verwaltungsgerichtshof (VwGH) zur Entscheidung abgetreten.

4. Der BF stellte am 04.02.2022 beim BFA einen Erstantrag auf Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 Abs. 1 Z. 2 AsylG.

5. Mit Beschluss des VwGH vom 03.03.2022 wurde der gegen das Erkenntnis des BVwG vom 27.09.2021 erhobenen außerordentlichen Revision die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

6. Am 16.03.2022 langte im Gefolge eines Ersuchens des BFA vom 16.02.2022 eine Stellungnahme der Landespolizeidirektion Oberösterreich (LPD OÖ) beim BFA ein.

7. Mit Mail vom 19.03.2022 gab sein anwaltlicher Vertreter seine Bevollmächtigung gegenüber dem BFA bekannt und beantragte die Beischaffung und Verlesung eines Strafaktes der Staatsanwaltschaft Wels. Dazu merkte er an, dass der BF in jenem Strafverfahren als Opfer geführt werde und sich als Privatbeteiligter dem Strafverfahren angeschlossen habe.

8. Mit Aktenvermerk vom 30.03.2022 hielt das BFA fest, dass ihm aufgrund der Aktenlage eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 Abs. 1 Z. 2 AsylG zu erteilen sei.

9. Am 13.05.2022 hat das BFA den Aufenthaltstitel ausgefolgt.

10. Mit Beschluss des VwGH vom 27.07.2022 wurde die gegen das Erkenntnis des BVwG vom 27.09.2021 erhobene Revision für gegenstandslos geworden erklärt und das Revisionsverfahren eingestellt.

11. Am 23.03.2023 brachte er persönlich einen Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 59 AsylG beim BFA ein. Dem Antragsformular waren mehrere Beweismittel und ein Schreiben seines anwaltlichen Vertreters angeschlossen.

12. Mit Schreiben vom 27.03.2023 gab sein Vertreter nochmals seine Bevollmächtigung gegenüber dem BFA bekannt.

13. Mit Mail vom 30.03.2023 ersuchte das BFA seine Vertretung um Übermittlung eines Nachweises über die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung.

14. Am 06.04.2023 langte ein Schreiben des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung beim BFA ein.

15. Mit Schreiben vom 07.04.2023 nahm seine Vertretung zur Aufforderung des BFA vom 30.03.2023 Stellung.

16. Einem Ersuchen des BFA vom 30.03.2023 folgend langte am 27.04.2023 eine Stellungnahme der LPD OÖ nach § 57 Abs. 2 AsylG beim BFA ein.

17. Am 22.05.2023 wurde er beim BFA im Beisein seines anwaltlichen Vertreters zu seinem Verlängerungsantrag niederschriftlich einvernommen. Dabei wurde ihm der Inhalt der Stellungnahme der LPD OÖ zu Gehör gebracht und ihm dazu sowie zu den länderkundlichen Informationen des BFA eine 14-tägige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt.

Im Zuge der Einvernahme wurde sein türkischer Personalausweis behördlich sichergestellt. Zudem brachte er weitere Beweismittel in Vorlage. Darüber hinaus stellt er die Vorlage eines Prüfungszertifikates einer erst kürzlich stattgefundenen Integrationsprüfung in Aussicht.

18. Am 06.06.2023 langte eine schriftliche Stellungnahme seines Vertreters beim BFA ein. In dieser wurde beantragt, den Magistrat der Landeshauptstadt Linz gemäß § 59 Abs. 4 AsylG vom Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zu verständigen, hilfsweise die Verlängerung des Aufenthaltstitels „besonderer Schutz“ auszusprechen oder in eventu eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und ihm eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ nach § 55 AsylG zu erteilen. Zugleich wurde „zum Nachweis des Vorliegens eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK“ die zeugenschaftliche Einvernahme seiner Lebensgefährtin beantragt. Der Stellungnahme waren darüber hinaus weitere Beweismittel angeschlossen.

19. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA vom 16.06.2023 wurde sein Antrag auf Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vom 23.03.2023 gemäß § 57 iVm § 59 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig ist (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihm eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt IV).

20. Mit Information des BFA vom 19.06.2023 wurde ihm von Amts wegen gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

21. Gegen den seiner anwaltlichen Vertretung am 22.06.2023 zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 17.07.2023 binnen offener Frist Beschwerde in vollem Umfang erhoben.

22. Die Beschwerdevorlage des BFA langte am 24.08.2023 beim BVwG ein und wurde das Beschwerdeverfahren der nun zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung zugewiesen.

23. Das BVwG erstellte aktuelle Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Strafregister, dem Betreuungsinformationssystem sowie dem Zentralen Melderegister (ZMR).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Identität des BF steht fest. Er ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde in XXXX geboren und verbrachte die ersten dreizehn Lebensjahre in der Türkei. Im Zeitraum von 29.09.2000 bis 20.11.2006 war er bei seinem Vater und seiner Stiefmutter in Österreich wohnhaft. Ende 2006 ist er in die Türkei zurückgekehrt um dort seinen Militärdienst abzuleisten. Er verbrachte in der Türkei weitere 14 Jahre, ehe er im Oktober 2020 erneut in das österreichische Bundesgebiet einreiste. Zuletzt war er in der Türkei unter anderem in Istanbul, Antalya und Ankara wohnhaft.

In der Türkei hat er fünf Jahre lang die Volksschule und ein Jahr lang die Hauptschule besucht. Nach Abbruch der zweiten Hauptschulklasse reiste er nach Österreich, wo er den Hauptschulbesuch fortsetzte und einen Pflichtschulabschluss erlangte. In weiterer Folge hat er eine Lehre als Sanitär- und Klimatechniker begonnen, diese jedoch 2003 abgebrochen.

Nach seiner Rückkehr in die Türkei war er zunächst als Teeträger und Reinigungskraft erwerbstätig. Später war er als Kraftfahrer beschäftigt und bestritt mit dem Einkommen seinen Lebensunterhalt.

Seine Mutter ist im Jahr 2006 verstorben. Sein Bruder, der zuletzt in Österreich wohnhaft war, ist im Jahr 2022 verstorben. Sein Vater, der österreichischer Staatsbürger ist, befindet sich im Bundesgebiet in Strafhaft.

Er hat mit seinem Vater und mit seiner Stiefmutter, die ebenfalls die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, aktuell keinen Kontakt.

Er ist Vater einer sechsjährigen Tochter. Seine Tochter hält sich in der Türkei bei ihrer Mutter auf.

1.2. Der BF hält sich seit 19.10.2020 wieder im Bundesgebiet auf. Da sein C-Schengenvisum bis zum 22.10.2020 gültig war, hielt er sich ab 23.10.2020 bis zur Ausstellung des Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ im Jahr 2022 unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Mit Bescheid des BFA vom 18.05.2021 wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihm eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 27.09.2021 als unbegründet abgewiesen. Die dagegen erhobene außerordentliche Revision wurde im Hinblick auf den ihm zwischenzeitlich am 13.05.2022 ausgefolgten Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ mit Beschluss des VwGH vom 27.07.2022 für gegenstandslos erklärt und das Revisionsverfahren eingestellt.

Er stellte am 04.02.2022 beim BFA einen Erstantrag auf Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 Abs. 1 Z. 2 AsylG. Mit Aktenvermerk vom 30.03.2022 hielt das BFA fest, dass ihm aufgrund der Aktenlage der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 Abs. 1 Z. 2 AsylG zu erteilen sei. Begründend führte das BFA dazu aus, dass gegen seinen Vater bei der Staatsanwaltschaft Wels ein Strafverfahren anhängig sei, bei dem er als Opfer geführt werde. Seine gerichtliche Aussage bilde einen wesentlichen Bestandteil des Strafverfahrens. Seine Anwesenheit bei der noch anzuberaumenden Hauptverhandlung sei für die Gewährleistung des Strafverfahrens unabdingbar. Am 13.05.2022 folgte das BFA den Aufenthaltstitel aus.

Am 23.03.2023 brachte er persönlich beim BFA einen Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 59 AsylG ein.

Mit Urteil des Landesgerichts Wels vom 01.07.2022 wurde sein Vater des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und nach § 87 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Das Strafurteil ist seit 01.07.2022 rechtskräftig.

Dem Urteil zufolge hat sein Vater am 05.01.2022 ihm eine schwere Körperverletzung absichtlich zugefügt, indem er ihm mit einem Kampfmesser mit einer Klingenlänge von etwa 13 cm und einer auf einer Seite geriffelten Klinge drei Stiche in die Bauchregion versetzte, in Form einer Stichverletzung im rechten Mittelbauch, einer Sichtverletzung in der linken Leiste, einer Stichverletzung in der linken Flanke, verbunden mit einem Austritt von Gekröse aus der rechtsseitigen Stichverletzung, einer stichbedingten Durchtrennung der Arteria epigastrica rechts, einen Blutaustritt von etwa 1.500 ml in den Bauchraum, einer zweifachen Durchstichverletzung des Dünndarms, einer zweifachen stichbedingten Dünndarmperforation, einer stichbedingten Perforation des s-förmigen Dickdarms sowie einer stichbedingten Perforation der Harnblase.

Der BF hat sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligter angeschlossen. Das Strafgericht sprach aus, dass sein Vater ihm je binnen 14 Tagen einen Schmerzensgeldteilbetrag von EUR XXXX , Pflegegebühren in Höhe von EUR XXXX sowie EUR XXXX an Kosten für das Rote Kreuz, jeweils samt 4 % Zinsen seit 03.06.2022 zu zahlen hat. Weiter wurde festgestellt, dass sein Vater für alle Spät- und Dauerfolgen aus dem Vorfall vom 05.01.2022 dem Grunde nach haftet. Der BF wurde mit seinem Mehrbegehren auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Zum Privatbeteiligtenzuspruch wurde begründend ausgeführt, dass die Pflegegebühren und die Kosten für das Einschreiten des Roten Kreuzes urkundlich belegt seien. Die Höhe des Schmerzensgeldzuspruchs basiere auf den Ausführungen des gerichtsmedizinischen Sachverständigen zu den Schmerzperioden in geraffter Form in Verbindung mit einem angemessenen Ersatz für psychische Schmerzen. Die Haftung für Spät- und Dauerfolgen gründe ebenso auf dem Gutachten, wonach beides nicht auszuschließen sei.

Der BF hat zur beabsichtigten Exekutionsbetreibung der bereits im Strafverfahren rechtskräftig zugesprochenen Ansprüche und zur Geltendmachung weiterer zivilrechtlicher Ansprüche aus dem Vorfall vom 05.01.2022 einen Anwalt – der ihn auch im gegenständlichen Beschwerdeverfahren vertritt – bevollmächtigt.

Es ist weder ein Exekutionsverfahren im Hinblick auf den bereits vorhandenen Exekutionstitel (rechtskräftiges Strafurteil des Landesgerichts Wels vom 01.07.2022) noch ein Zivilverfahren zur Geltendmachung und Durchsetzung von weiteren zivilrechtlichen Ansprüchen aus dem Vorfall vom 05.01.2022 bei Gericht anhängig.

1.3. Er spricht Türkisch als Muttersprache, Englisch und sehr gut Deutsch. Er hat am 15.04.2023 die Integrationsprüfung des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) auf dem Sprachniveau A2 inklusive Werte- und Orientierungswissen erfolgreich absolviert.

Er bezog bislang keine Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Zwischen August 2002 und Jänner 2006 ging er in Österreich mehreren kurzfristigen Beschäftigungen nach. Am 11.08.2022 hat er im Bundesgebiet die Prüfung zur Erlangung der Grundqualifikation für den Güterverkehr bestanden. Er war von 26.09.2022 bis 12.01.2023 als Kraftfahrer erwerbstätig. Seit 23.01.2023 geht er einer Vollzeitbeschäftigung als Auslandskraftfahrer nach. Er erzielt dabei ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von EUR XXXX . Laut Auskunft seines jetzigen Arbeitgebers verfügt er über eine Beschäftigungsbewilligung als Kraftfahrer für den Zeitraum 23.01.2023 bis 22.01.2024. Bei seinem aktuellen Arbeitgeber wurde ihm die Absolvierung des Basiskurses „Gefahrgut-Lenkerschulung“ ermöglicht.

Er führt in Österreich seit etwa zwei Jahren eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin. Seit 28.03.2022 lebt er mit ihr in einer 57,75 m² großen Mietwohnung. Die beiden haben die Absicht zu heiraten.

Er verfügt in Österreich über einen Freundes- und Bekanntenkreis. Mit seiner in Deutschland wohnhaften Tante steht er nicht in Kontakt.

Er ist kein Mitglied in einem Verein oder in einer sonstigen Organisation. Er ist in Österreich bislang keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen.

Er leidet an keiner gravierenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung und ist voll erwerbsfähig.

Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.4. Zur aktuellen Lage in der Türkei:

Sicherheitslage

Die Türkei steht vor einer Reihe von Herausforderungen im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit. Dazu gehören der wieder aufgeflammte Konflikt zwischen den staatlichen Sicherheitskräften und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Südosten des Landes, externe Sicherheitsbedrohungen im Zusammenhang mit der Beteiligung der Türkei an Konflikten in Syrien und im Irak sowie die Bedrohung durch Terroranschläge durch interne und externe Akteure (DFAT 10.9.2020, S. 18).

Die Regierung sieht die Sicherheit des Staates durch mehrere Akteure gefährdet: namentlich durch die seitens der Türkei zur Terrororganisation erklärten Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, durch die auch in der EU als Terrororganisation gelistete PKK, durch, aus türkischer Sicht, mit der PKK verbundene Organisationen, wie die YPG in Syrien, durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) (AA 28.7.2022, S. 4) und durch weitere terroristische Gruppierungen, wie die linksextremistische DHKP-C und die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) (AA 3.6.2021, S. 16) sowie durch Instabilität in den Nachbarstaaten Syrien und Irak. Staatliches repressives Handeln wird häufig mit der "Terrorbekämpfung" begründet, verbunden mit erheblichen Einschränkungen von Grundfreiheiten, auch bei zivilgesellschaftlichem oder politischem Engagement ohne erkennbaren Terrorbezug (AA 28.7.2022, S. 4).

Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften, vornehmlich durch die PKK und ihren vermeintlichen Ableger [TAK], den sog. IS und im geringen Ausmaß durch die DHKP-C (SDZ 29.6.2016, AJ 12.12.2016). Der Zusammenbruch des Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der PKK führte ab Juli 2015 zum erneuten Ausbruch massiver Gewalt im Südosten der Türkei. Hierdurch wiederum verschlechterte sich weiterhin die Bürgerrechtslage, insbesondere infolge eines sehr weit gefassten Anti-Terror-Gesetzes, insbesondere für die kurdische Bevölkerung in den südöstlichen Gebieten. Die neue Rechtslage diente als primäre Basis für Inhaftierungen und Einschränkungen von politischen Rechten. Es wurde zudem wiederholt von Folter und Vertreibungen von Kurden und Kurdinnen berichtet. Im Dezember 2016 warf Amnesty International der Türkei gar die Vertreibung der kurdischen Bevölkerung aus dem Südosten des Landes sowie eine Unverhältnismäßigkeit im Kampf gegen die PKK vor (BICC 7.2022, S. 33). Kritik gab es auch von den Institutionen der Europäischen Union am damaligen Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte. - Die Europäische Kommission zeigte sich besorgt ob der unverhältnismäßigen Zerstörung von privatem und kommunalem Eigentum und Infrastruktur durch schwere Artillerie, wie beispielsweise in Cizre (EC 9.11.2016, S. 28). Im Frühjahr zuvor (2016) zeigte sich das Europäische Parlament "in höchstem Maße alarmiert angesichts der Lage in Cizre und Sur/Diyarbakır und verurteilt[e] die Tatsache, dass Zivilisten getötet und verwundet werden und ohne Wasser- und Lebensmittelversorgung sowie ohne medizinische Versorgung auskommen müssen [...] sowie angesichts der Tatsache, dass rund 400.000 Menschen zu Binnenvertriebenen geworden sind" (EP 14.4.2016, S. 11, Pt. 27).

Nachdem die Gewalt in den Jahren 2015/2016 in den städtischen Gebieten der Südosttürkei ihren Höhepunkt erreicht hatte, sank das Gewaltniveau. Dennoch kommt es mit einiger Regelmäßigkeit zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den türkischen Streitkräften und der PKK in den abgelegenen Berggebieten im Südosten des Landes (NL-MFA 18.3.2021, S. 12; vgl. HRW 13.1.2022), was die dortige Lage weiterhin als sehr besorgniserregend erscheinen lässt (EC 19.10.2021, S. 4, 15). Bestehende Spannungen werden auch durch die Lage-Entwicklung in Syrien und Irak beeinflusst (EDA 20.6.2022), wo die Türkei ihre Militäraktionen einschließlich Drohnenangriffen auf die autonome Region Kurdistan im Irak konzentriert hat, in welcher sich PKK-Stützpunkte befinden (HRW 13.1.2022).

Die bewaffneten Auseinandersetzungen führen zu Verletzten und Toten unter den Sicherheitskräften, PKK-Kämpfern, aber auch unter der Zivilbevölkerung. Diesbezüglich gibt es glaubwürdige Hinweise, dass die Regierung im Zusammenhang mit ihrem Kampf gegen die PKK zum Tod von Zivilisten beigetragen hat, auch wenn deren Zahl in den letzten Jahren stetig abnahm (USDOS 12.4.2022, S. 2; 26). In den Grenzgebieten ist die Sicherheitslage durch wiederkehrende Terrorakte der PKK prekärer (EC 19.10.2021, S. 15). Die zahlreichen Anschläge der PKK richten sich hauptsächlich gegen die Sicherheitskräfte, können aber auch Zivilpersonen treffen. Die Sicherheitskräfte unterhalten zahlreiche Straßencheckpoints und sperren ihre Operationsgebiete vorgängig weiträumig ab. Die bewaffneten Konflikte in Syrien und Irak können sich auf die angrenzenden türkischen Gebiete auswirken, zum Beispiel durch vereinzelte Granaten- und Raketenbeschüsse aus dem Kriegsgebiet. Wiederholt sind Anschläge gegen zivile Ziele verübt worden. Das Risiko von Entführungen durch terroristische Gruppierungen aus Syrien kann im Grenzgebiet nicht ausgeschlossen werden (EDA 20.6.2022).

Angaben der türkischen Menschenrechtsvereinigung (İHD) zufolge kamen in der Türkei 2020 230 Personen bei bewaffneten Auseinandersetzungen (2019: 440) ums Leben, davon mindestens 55 Angehörige der Sicherheitskräfte (2019: 98), 167 bewaffnete Militante (2019: 324) und acht Zivilisten (2019:18) (İHD 4.10.2021, S. 9, İHD 18.5.2020a). Die International Crisis Group (ICG) zählte seit dem Wiederaufflammen der Kämpfe 2015 rund 6.064 Tote (3.878 PKK-Kämpfer, 1.360 Sicherheitskräfte - in der Mehrzahl Soldaten, aber auch 302 Polizisten und 121 sog. Dorfschützer - 600 Zivilisten und 226 nicht-zuordenbare Personen) im Zeitraum Juli 2015 bis 18.7.2022. Betroffen waren insbesondere die Provinzen, Şırnak (1.003 Tote), Hakkâri (782 Tote), Diyarbakır (553 Tote), Mardin (398) und die zentralanatolische Provinz Tunceli/Dersim (286), wobei 1.182 Opfer in diesem Zeitrahmen auf irakischem Territorium vermerkt wurden. Im Jahr 2021 wurden 392 Todesopfer (2020: 396) registriert. Im Verlaufe des Jahres 2022 zählte die ICG (Stand 18.7.2022) 140 Tote (ICG 18.7.2022). Es gab keine Entwicklungen hinsichtlich der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses zur Erzielung einer friedlichen und nachhaltigen Lösung (EC 19.10.2021, S. 15). Hierzu betonte das Europäische Parlament im Juni 2022 "die Dringlichkeit der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses unter Einbindung aller betroffenen Parteien und demokratischen Kräfte mit dem Ziel der friedlichen Lösung der Kurdenfrage" (EP 7.6.2022, S. 18, Pt. 30).

Im unmittelbaren Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und Irak, in den Provinzen Hatay, Gaziantep, Kilis, Şanlıurfa, Mardin, Şırnak, Hakkâri bestehen erhebliche Gefahren durch angrenzende Auseinandersetzungen (AA 7.9.2022). Die Behörden verhängen Ausgangssperren von unterschiedlicher Dauer in bestimmten städtischen und ländlichen Regionen und errichten in einigen Gebieten spezielle Sicherheitszonen, um die Operationen gegen die PKK zu erleichtern, die den Zugang für Besucher und in einigen Fällen auch für Einwohner einschränkten. Teile der Provinz Hakkari und ländliche Teile der Provinz Tunceli/Dersim blieben die meiste Zeit des Jahres (2021) "besondere Sicherheitszonen". Die Bewohner dieser Gebiete berichteten, dass sie gelegentlich nur sehr wenig Zeit hatten, ihre Häuser zu verlassen, bevor die Sicherheitsoperationen gegen die PKK begannen (USDOS 12.4.2022, S. 26).

Die Operationen der türkischen Sicherheitskräfte - einschließlich Drohnenangriffe - wurden in den ersten sieben Monaten des Jahres 2022 im Nordirak, in Nordsyrien sowie in geringerem Umfang im Südosten der Türkei fortgesetzt (im April die sog. Operation "Claw Lock"). Ziele waren auch PKK-Führungskader (ICG 7.2022; vgl. ICG 5.2022). Die Bodenoperationen im Südosten konzentrierten sich zu Jahresbeginn auf die ländlichen Gebiete der türkischen Provinzen Tunceli/Dersim, Mardin und Şanlıurfa und im März 2022 in den Provinzen Diyarbakır, Mardin, Hakkâri und Hatay (ICG 5.2022). Pro-kurdische, regierungskritische Medien berichteten im Juni 2022 von mehrtägigen Bombardements in ländlichen Gebirgsregionen der Provinz Tunceli/Dersim [Zentralanatolien] im Zuge des Anti-Terrorkampfes, wobei der Zugang zu einigen Dörfern gesperrt wurde und mehrere Hektar Nutzwald abbrannten (Bianet 14.6.2022). Bei einer bemerkenswerten Eskalation wurden am 20.7.2022 in der Provinz Duhok in der autonomen Region Kurdistan im Irak neun Touristen durch Artilleriebeschuss getötet und mehr als 20 verletzt. Die irakischen und kurdischen Regionalbehörden machten die Türkei für den Angriff verantwortlich und gaben scharfe und kritische Erklärungen ab, während Ankara diese Behauptungen zurückwies und die PKK dafür verantwortlich machte (ICG 7.2022). Im Zuge der Eskalation in Nordsyrien begann das türkische Militär mit Angriffen auf kurdisch geführte Kräfte, die sich zu Angriffen auf Armeeeinrichtungen in türkischen Grenzprovinzen bekannten, bei denen mehrere türkische Soldaten getötet wurden. Das Militär setzte auch seine Operationen gegen die PKK im Irak und im Südosten der Türkei fort. Im Nordirak wurden nach Angaben des Verteidigungsministeriums vom 27.8.2022 neun PKK-Kämpfer getötet. Im Südosten der Türkei startete das Militär am 8.8.2022 eine neue Anti-PKK-Operation in ländlichen Gebieten der Provinz Bitlis. Innenminister Süleyman Soylu erklärte am 19.8.2022, dass sich nur noch 124 PKK-Mitglieder innerhalb der Landesgrenzen aufhielten (ICG 8.2022). - Die Operationen der Sicherheitskräfte gegen Zellen/Akteure des sog. IS wurden intensiviert. Die Polizei nahm zumindest 125 Personen mit angeblichen IS-Verbindungen fest, zumeist Ausländer (ICG 8.2022, 7.2022).

Laut Medienberichten wurde am 7.4.2021 im türkischen Amtsblatt (Resmî Gazete) gemäß dem Gesetz zur Verhinderung von Terrorfinanzierung eine zwölfseitige Liste mit insgesamt 377 Personen veröffentlicht, deren Vermögen in der Türkei eingefroren wurde (BAMF 19.4.2021). Die Assets von 205 Gülen-, 86 IS-, 77 PKK- und neun DHKP-C-Mitgliedern wurden blockiert (Anadolu 7.4.2021).

Das türkische Parlament stimmte am 26.10.2021 einem Gesetzentwurf zu, das Mandat für grenzüberschreitende Militäroperationen, sowohl im Irak als auch in Syrien, um weitere zwei Jahre zu verlängern. Anders als in den Jahren zuvor stimmte nebst der pro-kurdischen HDP auch die größte Oppositionspartei, die säkular-republikanische CHP, erstmals gegen eine Verlängerung des Mandats (Anadolu 26.10.2021; vgl. Duvar 26.10.2021).

Grundversorgung / Wirtschaft

Das starke Wachstum von 11 % des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2021 dürfte sich 2022 deutlich auf prognostizierte 2,7 % abschwächen (GTAI 1.6.2022). Die Weltbank geht sogar, nicht zuletzt infolge des Ukraine-Krieges, nur noch von 1,4 % Wirtschaftswachstum im Jahr 2022 aus (WB 19.4.2022). Die türkische Regierung strebt mit einer Niedrigzinspolitik ein starkes, kurzfristiges Wachstum an, das mit hohen Finanz- und Wirtschaftsrisiken einhergeht. Die Teuerung ist horrend und die Landeswährung hat stark an Wert verloren (GTAI 1.6.2022). Seit einem Jahr hat sich in der Türkei eine Inflation von rund 80 % festgesetzt. Unabhängige Experten gehen sogar von mehr als 120 % aus. Vor allem Lebensmittelpreise steigen fast täglich. Die türkische Lira verliert stetig an Wert. Bekam man 2021 im Sommer noch für neun Lira einen Euro, muss man schon (Stand Sommer 2022) 18 Lira für einen Euro zahlen (Standard 25.7.2022). Die Auslandsschulden sowohl der Unternehmen als auch des Staates geben Anlass zur Sorge. Die Währungsreserven sind niedrig und die Banken verfügen über geringe Einlagen (GTAI 1.6.2022).

Die Arbeitslosigkeit im Land ist hoch (GTAI 1.6.2022). Die Gesamtbeschäftigung und die Erwerbsquote haben im Jahr 2021 das Niveau von vor der Pandemie übertroffen. Die Erholung verlief jedoch ungleichmäßig, wobei die informellen Arbeitsverhältnisse noch immer zurückliegen. Andererseits war die diesbezügliche Erholung bei Frauen schneller als bei Männern. Zwischen Dezember 2020 und Dezember 2021 stieg die Erwerbsbeteiligung der Frauen um 14 % gegenüber 6 % bei den Männern - obwohl die Frauenerwerbsquote der Türkei immer noch die niedrigste unter den OECD-Ländern ist. Auch die Jugendbeschäftigung hat sich erholt, aber 20,1 % der Jugendlichen sind immer noch arbeitslos (WB 19.4.2022). Eine Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung vom Sommer 2021 unter über 3.200 türkischen Jugendlichen ergab, dass fast 73 % "gerne in einem anderen Land leben würden". 62,8 % der Befragten sahen ihre Zukunft in der Türkei nicht positiv (KAS 15.2.2022).

Laut einer in den türkischen Medien zitierten Studie des internationalen Meinungsforschungsinstituts IPSOS befanden sich im Juni 2022 90 % der Einwohner in einer Wirtschaftskrise bzw. kämpften darum, über die Runden zu kommen, da sich die Lebensmittel- und Treibstoffpreise in den letzten Monaten mehr als verdoppelt hatten. Alleinig 37 % gaben an, dass sie "sehr schwer" über die Runden kommen (TM 8.6.2022). Unter Berufung auf das Welternährungsprogramm (World Food Programme- WFP) der Vereinten Nationen berichteten Medien ebenfalls Anfang Juni 2022, dass 14,8 der 82,3 Millionen Einwohner der Türkei unter unzureichender Nahrungsmittelversorgung litten, wobei allein innerhalb der letzten drei Monate zusätzlich 410.000 Personen hinzukamen, welche hiervon betroffen waren (GCT 8.6.2022; vgl. Duvar 7.6.2022, TM 7.6.2022).

Nachdem im Februar 2022 die Mehrwertsteuer für Güter des täglichen Bedarfs von 8 % auf 1 % gesenkt wurde, erfolgte Ende März die Reduktion der Mehrwertsteuer auf zahlreiche weitere Konsumprodukte von 18 % auf 8 %, um die Auswirkungen der Inflation, die offiziell im Februar 2022 54,4 % betrug, zu bekämpfen (DS 28.3.2022). Selbige Reduktion erfolgte Anfang März bereits auf die Stromrechnungen für Privathaushalte sowie bei den Kosten für Bewässerung in der Landwirtschaft (Duvar 1.3.2022).

Einer der größten Gewerkschaftsverbände, Türk-İş, veröffentlichte im März 2022 seine periodische Umfrage zur Hunger- und Armutsgrenze. Demnach sind die monatlichen Mindestausgaben einer vierköpfigen Familie für eine angemessene Ernährung (Hungergrenze) auf 4.928 Türkische Lira (ca. 300 Euro) gestiegen und lagen damit 675 Lira (ca. 41 Euro) über dem Mindestlohn. Die Ausgaben einer vierköpfigen Familie für Nahrung, Kleidung, Wohnung, Transport, Bildung, Gesundheitsversorgung usw. (Armutsgrenze) beliefen sich auf 16.052 Lira (ca. 980 Euro), was fast dem Vierfachen des Mindestlohns entsprach, der mit Stand März 2022 bei 4.253 Lira (260 Euro) lag. Die Lebenshaltungskosten eines alleinstehenden Arbeitnehmers sind auf 6.473 Türkische Lira (ca. 395 Euro) gestiegen, was den Mindestlohn um 2.200 Lira (ca. 135 Euro) überschritt (Bianet 28.3.2022). Mit Wirkung vom 1.7.2022 wurde der Mindestlohn auf 5.500 Lira [rund 300 Euro] pro Monat festgelegt. Allerdings erhalten nach Angaben der Sozialversicherungsanstalt (SGK) mehr als 40 % aller Arbeitnehmer nur den Mindestlohn (DS 1.7.2022).

Laut amtlicher Statistik lebten bereits 2019, also vor der COVID-19-Krise, 17 der 81 Millionen Einwohner unter der Armutsgrenze. 21,5 % aller Familien galten als arm (AM 27.1.2021). Unter den OECD-Staaten hat die Türkei einen der höchsten Werte hinsichtlich der sozialen Ungleichheit und gleichzeitig eines der niedrigsten Haushaltseinkommen. Während im OECD-Durchschnitt die Staaten 20 % des Brutto-Sozialprodukts für Sozialausgaben aufbringen, liegt der Wert in der Türkei unter 13 %. Die Türkei hat u. a. auch eine der höchsten Kinderarmutsraten innerhalb der OECD. Jedes fünfte Kind lebt in Armut (OECD 2019).

In der Türkei sorgen in vielen Fällen großfamiliäre Strukturen für die Sicherung der Grundversorgung. NGOs, die Bedürftigen helfen, finden sich vereinzelt nur in Großstädten. Die Ausgaben für Sozialleistungen betragen lediglich 12,1 % des BIP (ÖB 30.11.2021, S. 39). In Zeiten wirtschaftlicher Not wird die Großfamilie zur wichtigsten Auffangstation. Gerade die Angehörigen der ärmeren Schichten, die zuletzt aus ihren Dörfern in die Großstädte zogen, reaktivieren nun ihre Beziehungen in ihren Herkunftsdörfern. In den dreimonatigen Sommerferien kehren sie in ihre Dörfer zurück, wo zumeist ein Teil der Familie eine kleine Subsistenzwirtschaft aufrechterhalten hat (Standard 25.7.2022).

Sozialbeihilfen / -versicherung

Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294, über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität und Nr. 5263, zur Organisation und den Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität, gewährt (AA 28.7.2022, S. 21). Die Hilfeleistungen werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftung für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardımlaşma ve Dayanişma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind (AA 14.6.2019). Anspruchsberechtigt sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können (AA 28.7.2022, S. 21).

Sozialhilfe im österreichischen Sinne gibt es keine. Auf Initiative des Ministeriums für Familie und Sozialpolitik gibt es aber 43 Sozialprogramme (2019), welche an bestimmte Bedingungen gekoppelt sind, die nicht immer erfüllt werden können, wie z. B. Sachspenden: Nahrungsmittel, Schulbücher, Heizmaterialien etc.; Kindergeld: einmalige Zahlung, die sich nach der Anzahl der Kinder richtet und 300 TL für das erste, 400 TL für das zweite, 600 TL für das dritte Kind beträgt; finanzielle Unterstützung für Schwangere: sog. "Milchgeld" in einmaliger Höhe von 232 TL (bei geleisteten Sozialversicherungsabgaben durch den Ehepartner oder vorherige Erwerbstätigkeit der Mutter selbst); Wohnprogramme; Einkommen für Behinderte und Altersschwache zwischen 662 TL und 992 TL je nach Grad der Behinderung. Zudem existiert eine Unterstützung in der Höhe von 1.798 TL für Personen, die sich um Schwerbehinderte zu Hause kümmern (Grad der Behinderung von mindestens 50 % sowie Nachweis der Erforderlichkeit von Unterstützung im Alltag). Witwenunterstützung: Jede Witwe hat 2021 alle zwei Monate Anspruch auf 650 TL (zweimonatlich) aus dem Budget des Familienministeriums. Der Maximalbetrag für die Witwenrente beträgt mittlerweile 5.641 TL. Zudem gibt es die Witwenrente, die sich nach dem Monatseinkommen des verstorbenen Ehepartners richtet (maximal 75 % des Bruttomonatsgehalts des verstorbenen Ehepartners, jedoch maximal 4.500 TL) (ÖB 30.11.2021, S. 40).

Das Sozialversicherungssystem besteht aus zwei Hauptzweigen, nämlich der langfristigen Versicherung (Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung) und der kurzfristigen Versicherung (Berufsunfälle, berufsbedingte und andere Krankheiten, Mutterschaftsurlaub) (SGK 2016a). Das türkische Sozialversicherungssystem finanziert sich nach der Allokationsmethode durch Prämien und Beiträge, die von den Arbeitgebern, den Arbeitnehmern und dem Staat geleistet werden. Für die arbeitsplatzbezogene Unfall- und Krankenversicherung inklusive Mutterschaft bezahlt der unselbstständig Erwerbstätige nichts, der Arbeitgeber 2 %; für die Invaliditäts- und Pensionsversicherung beläuft sich der Arbeitnehmeranteil auf 9 % und der Arbeitgeberanteil auf 11 %. Der Beitrag zur allgemeinen Krankenversicherung beträgt für die Arbeitnehmer 5 % und für die Arbeitgeber 7,5 % (vom Bruttogehalt). Bei der Arbeitslosenversicherung zahlen die Beschäftigten 1 % vom Bruttolohn (bis zu einem Maximum) und die Arbeitgeber 2 %, ergänzt um einen Beitrag des Staates in der Höhe von 1 % des Bruttolohnes (bis zu einem Maximumwert) (SGK 2016b; vgl. SSA 9.2018).

Arbeitslosenunterstützung

Im Falle von Arbeitslosigkeit gibt es für alle Arbeiter und Arbeiterinnen in der Türkei Unterstützung, auch für diejenigen, die in der Landwirtschaft, Forstwirtschaft, in staatlichen und in privaten Sektoren tätig sind (IOM 2019). Arbeitslosengeld wird maximal zehn Monate lang ausbezahlt, wenn zuvor eine ununterbrochene, angemeldete Beschäftigung von mindestens drei Monaten bestanden hat und nachgewiesen werden kann. Die Höhe des Arbeitslosengeldes richtet sich nach dem Durchschnittsverdienst der letzten vier Monate und beträgt 40 % des Durchschnittslohns der letzten vier Monate, maximal jedoch 80 % des Bruttomindestlohns. Die Leistungsdauer richtet sich danach, wie viele Tage lang der Arbeitnehmer in den letzten drei Jahren Beiträge entrichtet hat (İŞKUR 2022; vgl. ÖB 30.11.2021, S. 39). - Anfang Juli 2022 kündigte Präsident Erdoğan die Erhöhung des Mindestlohns um 30 % auf 5.550 Türkische Lira [rund 300 Euro] an (HDN 1.7.2022). - Auf das Arbeitslosengeld werden keine Steuern oder Abzüge erhoben, mit Ausnahme der Stempelsteuer (İŞKUR 2022). Personen, die 600 Tage lang Zahlungen geleistet haben, haben Anspruch auf 180 Tage Arbeitslosengeld. Bei 900 Tagen beträgt der Anspruch 240 Tage, und bei 1.080 Beitragstagen macht der Anspruch 300 Tage aus (IOM 2021; vgl. ÖB 30.11.2021, S. 39, İŞKUR 2022).

Medizinische Versorgung

Mit der Gesundheitsreform 2003 wurde das staatlich zentralisierte Gesundheitssystem umstrukturiert und eine Kombination der "Nationalen Gesundheitsfürsorge" und der "Sozialen Krankenkasse" etabliert. Eine universelle Gesundheitsversicherung wurde eingeführt. Diese vereinheitlichte die verschiedenen Versicherungssysteme für Pensionisten, Selbstständige, Unselbstständige etc.. Die staatliche türkische Sozialversicherung gewährt den Versicherten eine medizinische Grundversorgung, die eine kostenlose Behandlung in den staatlichen Krankenhäusern miteinschließt. Bei Arzneimitteln muss jeder Versicherte (Pensionisten ausgenommen) grundsätzlich einen Selbstbehalt von 10 % tragen. Viele medizinische Leistungen, wie etwa teure Medikamente und moderne Untersuchungsverfahren, sind von der Sozialversicherung jedoch nicht abgedeckt. Die Gesundheitsreform gilt als Erfolg, denn 90 % der Bevölkerung sind mittlerweile versichert. Zudem sank infolge der Reform die Müttersterblichkeit bei der Geburt um 70 %, die Kindersterblichkeit um Zwei-Drittel. Sofern kein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, beträgt der freiwillige Mindestbetrag für die allgemeine Krankenversicherung 3 % des Bruttomindestlohnes der Türkei. Personen ohne reguläres Einkommen müssen ca. € 10 pro Monat einzahlen. Der Staat übernimmt die Beitragszahlungen bei Nachweis eines sehr geringen Einkommens (weniger als € 150/Monat) (ÖB 30.11.2021, S. 40).

Überdies sind folgende Personen und Fälle von jeder Vorbedingung für die Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten befreit: Personen unter 18 Jahren, Personen, die medizinisch eine andere Person als Hilfestellung benötigen, Opfer von Verkehrsunfällen und Notfällen, Situationen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, ansteckende Krankheiten mit Meldepflicht, Schutz- und präventive Gesundheitsdienste gegen Substanz-Missbrauch und Drogenabhängigkeit (SGK 2016c).

Erklärtes Ziel der Regierung ist es, das Gesundheitsversorgungswesen neu zu organisieren, indem sogenannte Stadtkrankenhäuser überwiegend in größeren Metropolen des Landes errichtet werden (MPI-SR 3.2021). Es handelt sich dabei zum Teil um riesige Komplexe, die über eine Belegkapazität von tausenden von Betten verfügen sollen und zum Teil auch schon verfügen. Im Rahmen der Reorganisation sollen insgesamt 31 Stadtkrankenhäuser mit mindestens 43.500 Betten entstehen (MPI-SR 20.6.2020). Mit Stand März waren 13 Stadtkrankenhäuser in Betrieb. Die Finanzierung ist in der Öffentlichkeit nach wie vor sehr umstritten, da sie auf öffentlich-privaten Partnerschaften beruht, es insbesondere an Transparenz fehlt und die Staatskasse durch dieses Vorhaben enorm belastet wird (MPI-SR 3.2021). Der private Krankenhaussektor spielt schon jetzt eine wichtige Rolle. Landesweit gibt es 562 private Krankenhäuser mit einer Kapazität von 52.000 Betten. Mit der Inbetriebnahme der Krankenhäuser ergibt sich ein großer Bedarf an Krankenhausausstattung, Medizintechnik und Krankenhausmanagement. Dies gilt auch für medizinische Verbrauchsmaterialien. Die Regierung und die Projektträger bemühen sich zwar, einen möglichst großen Teil des Bedarfs von lokalen Produzenten zu beziehen, dennoch wird die Türkei zum Teil auf internationale Hersteller angewiesen sein (MPI-SR 20.6.2020). Die neuen Stadtkrankenhäuser leisten mit ihren Kapazitäten einen großen Beitrag in der Corona-Krise. In einigen davon wurden sogenannte Corona-Zentren eingerichtet (MPI-SR 3.2021).

Die medizinische Primärversorgung ist flächendeckend ausreichend. Die sekundäre und post-operationelle Versorgung sind dagegen verbesserungswürdig. In den großen Städten sind Universitätskrankenhäuser und große Spitäler nach dem neusten Stand eingerichtet. Mangelhaft bleibt das Angebot für die psychische Gesundheit (ÖB 30.11.2021, S. 40). Trotzdem hat sich das staatliche Gesundheitssystem in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert - vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite - vor allem in ländlichen Provinzen - bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet, insbesondere auch bei chronischen Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, AIDS, psychiatrischen Erkrankungen und Drogenabhängigkeit (AA 28.7.2022, S. 21). Zur Behandlung von Drogenabhängigkeit wird allerdings nicht Methadon, sondern entweder eine Kombination aus Buphrenorphin+Naloxan oder Morphin angewandt (MedCOI 18.2.2020).

Die Behandlung psychischer Erkrankungen erfolgt überwiegend in öffentlichen Institutionen. Bei der Behandlung sind zunehmend private Kapazitäten und ein steigender Standard festzustellen. Innerhalb der staatlichen Krankenhäuser gibt es 45 therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige für Erwachsene (AMATEM) mit insgesamt 732 Betten in 33 Provinzen. Zusätzlich gibt es noch sieben weitere sog. Behandlungszentren für Drogenabhängigkeit von Kindern und Jugendlichen (ÇEMATEM) mit insgesamt 100 Betten. Bei der Schmerztherapie und Palliativmedizin bestehen Defizite. Allerdings versorgt das Gesundheitsministerium alle öffentlichen Krankenhäuser mit Morphium. Zudem können Hausärzte bzw. deren Krankenpfleger diese Schmerzmittel verschreiben und Patienten in Apotheken auf Rezept derartige Schmerzmittel erwerben. Es gibt zwei staatliche Onkologiekrankenhäuser in Ankara und Bursa unter der Verwaltung des türkischen Gesundheitsministeriums. Nach jüngsten offiziellen Angaben gibt es darüber hinaus 33 Onkologiestationen in staatlichen Krankenhäusern mit unterschiedlichen Behandlungsverfahren. Eine AIDS-Behandlung kann in 93 staatlichen Hospitälern wie auch in 68 Universitätskrankenhäusern durchgeführt werden. In Istanbul stehen zudem drei, in Ankara und Izmir jeweils zwei private Krankenhäuser für eine solche Behandlung zur Verfügung (AA 28.7.2022, S. 22).

Der Gesundheitssektor gehört zu den Branchen, welche am stärksten von der Abwanderung ins Ausland betroffen sind. Nach Angaben des türkischen Ärzteverbandes (TTB) ist die Zahl der abwandernden Mediziner besonders in den letzten vier Jahren explodiert. Während im Jahr 2012 insgesamt nur 59 von ihnen ins Ausland gingen, kehrten zwischen 2017 und 2021 fast 4.400 Ärzte dem Land den Rücken (FNS 31.3.2022a). TTB-Generalsekretär Vedat Bulut erklärte, dass im Jahr 2021 1.405 Ärzte ins Ausland gingen, während diese Zahl 2022 voraussichtlich auf 2.500 steigen wird. Etwa 55 % von ihnen sind Fachärzte (Duvar 23.5.2022). Eine der Hauptursachen für die Abwanderung, nebst der Wirtschaftskrise, ist die zunehmende Gewaltbereitschaft gegenüber Ärztinnen und Ärzten. Die türkische Ärztekammer meldete im Jahr 2020 insgesamt fast 12.000 Fälle von Gewalt gegen medizinischem Fachpersonal, darunter auch mehrere Todesfälle (FNS 31.3.2022a).

Um vom türkischen Gesundheits- und Sozialsystem profitieren zu können, müssen sich in der Türkei lebende Personen bei der türkischen Sozialversicherungsbehörde (Sosyal Güvenlik Kurumu - SGK) anmelden. Gesundheitsleistungen werden sowohl von privaten als auch von staatlichen Institutionen angeboten. Sofern Patienten bei der SGK versichert sind, sind Behandlungen in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos. Die Kosten von Behandlungen in privaten Krankenhäusern werden von privaten Versicherungen gedeckt. Versicherte der SGK erhalten folgende Leistungen kostenlos: Impfungen, Diagnosen und Laboruntersuchungen, Gesundheitschecks, Schwangerschafts- und Geburtenbetreuung, Notfallbehandlungen. Die Beiträge für die allgemeine Krankenversicherung (GSS) hängen vom Einkommen des/der Begünstigten ab und beginnen bei 107,32 TL für Inhaber eines türkischen Personalausweises (IOM 2021). 2021 hatten insgesamt circa 1,5 Millionen Personen eine private Zusatzkrankenversicherung. Dabei handelt es sich überwiegend um Polizzen, die Leistungen bei ambulanter und stationärer Behandlung abdecken, wobei nur eine geringe Zahl (rund 178.000) für ausschließlich stationäre Behandlungen abgeschlossen sind (MPI-SR 3.2021, S. 15).

Rückkehrer aus dem Ausland werden bei der SGK-Registrierung nicht gesondert behandelt. Sobald Begünstigte bei der SGK registriert sind, gelten Kinder und Ehepartner automatisch als versichert und profitieren von einer kostenlosen Gesundheitsversorgung. Rückkehrer können sich bei der ihrem Wohnort nächstgelegenen SGK-Behörde registrieren (IOM 2021).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in die Verfahrensakten des Bundesamtes unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF, der von ihm vorgelegten Unterlagen, seiner schriftlichen Stellungnahmen, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes, durch Einsichtnahme in die Entscheidung des BVwG vom 27.09.2021 sowie die Einholung von Auskünften des Zentralen Melderegisters, des Strafregisters, des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister und des Grundversorgungsdatensystems.

2.2. Die Identität und Staatsangehörigkeit des BF konnten aufgrund der von ihm vorgelegten Identitätsnachweise festgestellt werden.

Die Feststellungen zu seinen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen vor der Ausreise aus der Türkei sowie in Österreich im Gefolge derselben, zu seiner Schulbildung, zu seinen Reisebewegungen zwischen Österreich und der Türkei, zu seiner Erwerbstätigkeit, zu seinem Gesundheitszustand, zu den Lebensumständen seiner Verwandten, zu seinen Sprachkenntnissen, zum fehlenden Bezug von Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber, zu seiner strafgerichtlichen Unbescholtenheit, zu seinen Integrationsbemühungen und zu seinem Aufenthalt im Bundesgebiet ergaben sich in unstrittiger Weise aus einer Zusammenschau seiner persönlichen Angaben vor dem BFA, dem Inhalt der von ihm vorgelegten Unterlagen, den rechtskräftigen Feststellungen des BVwG im Verfahren zu GZ. XXXX und den vom BVwG eingeholten Informationen der genannten Datenbanken.

Dass er Vater eines minderjährigen Kindes ist, das sich in der Türkei aufhält, war seinen Angaben vor der belangten Behörde zu entnehmen (AS 215).

In der Stellungnahme vom 05.06.2023 wurde „zum Nachweis des Vorliegens eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK“ die zeugenschaftliche Einvernahme seiner Lebensgefährtin „beantragt (AS 293). Ein zuvor gestellter Antrag war dem Behördenakt nicht zu entnehmen. Das BFA kam dem Zeugenantrag nicht nach. Begründend führte die Behörde im bekämpften Bescheid aus, dass dem Beweisantrag nicht zu entnehmen gewesen sei, welche konkreten Tatsachen durch die beantragte Einvernahme unter Beweis gestellt werden sollen. Das BFA zog auch nicht in Zweifel, dass der BF mit seiner Lebensgefährtin einen gemeinsamen Haushalt führt. In der Beschwerdeschrift wurde der Zeugenantrag wiederholt („Ich beantrage die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der neben mir auch meine Verlobte als Zeugin zu befragen sein wird. Mein Beweisantrag, sie im Verfahren vor der belangten Behörde zu vernehmen, wurde nicht berücksichtigt.“, AS 419). Weitere Ausführungen zum Beweisantrag waren dem Beschwerdeschriftsatz nicht zu entnehmen.

Nach der Rechtsprechung des VwGH setzt die Beachtlichkeit eines Beweisantrages die ordnungsgemäße Angabe des Beweisthemas, das mit dem Beweismittel unter Beweis gestellt werden soll, somit jener Punkte und Tatsachen, die durch das angegebene Beweismittel geklärt werden sollen, voraus (vgl. VwGH 19.01.2023, Ra 2022/19/0323, Rz 10 mwN).

Die beantragte Zeugeneinvernahme „zum Nachweis des Vorliegens eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK“ stellt ein unbestimmtes Beweisthema dar, sodass die beantragte Zeugeneinvernahme zu Recht vom BFA unterbleiben konnte. Aufgrund des weiterhin unbestimmt gebliebenen Beweisantrages in der Beschwerde war auch das BVwG nicht dazu angehalten dem Beweisantrag nachzukommen. Darüber hinaus hat sowohl das BFA als auch das BVwG das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft zu seinen Gunsten in die Entscheidung einbezogen. In der Beschwerde wurde nicht konkret aufgezeigt, inwieweit aus der Befragung seiner Lebensgefährtin ein für den BF günstigeres Ergebnis erzielt werden bzw. welcher konkrete Sachverhalt dadurch noch hervorkommen hätte sollen.

2.3. Die Feststellungen zum bisherigen Verfahrensgang unter 1.2. gehen unstrittig aus dem vorgelegten Behördenakt und dem Gerichtsakt des BVwG zur GZ. XXXX hervor.

Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung seines Vaters gründen auf dem von ihm vorgelegten Urteil des Landesgerichtes Wels (AS 303 ff). Den Gerichtsunterlagen war zu entnehmen, dass das Urteil seit 01.07.2022 rechtskräftig ist (AS 300).

Dass er jenen Anwalt, der ihn auch im gegenständlichen Verfahren rechtsfreundlich vertritt, zur Exekutionsbetreibung und Geltendmachung weiterer zivilrechtlicher Ansprüche aus dem Vorfall vom 05.01.2022 bevollmächtigt hat, war den Schriftsätzen seiner Vertretung zu entnehmen (insbesondere AS 309, Beschwerdeschrift AS 418).

Den anwaltlichen Schriftsätzen war ebenfalls zu entnehmen, dass bislang weder ein gerichtliches Exekutionsverfahren noch ein zivilgerichtliches Verfahren zur Geltendmachung und Durchsetzung von weiteren zivilrechtlichen Ansprüchen aus dem Vorfall vom 05.01.2022 eingeleitet wurde und lediglich die Absicht besteht, innerhalb der Verjährungsfrist allenfalls gerichtliche Schritte zu setzen.

Er legte im Verfahren keine Gerichtsunterlagen (etwa einen Exekutionsantrag oder eine Klageschrift) vor, denen zu entnehmen gewesen wäre, dass er ein Exekutionsverfahren im Hinblick auf den bereits rechtskräftigen Exekutionstitel (Strafurteil des Landesgerichts Wels vom 01.07.2022) oder ein zivilgerichtliches Verfahren im Hinblick auf weitere Ansprüche aus dem Vorfall eingeleitet hat. In der Stellungnahme vom 05.06.2023 wurde lediglich die Absicht mitgeteilt, den Privatbeteiligtenzuspruch im Exekutionsweg betreiben zu wollen. Dazu führte seine Vertretung aus, dass die Chancen auf Durchsetzung von Schadenersatz derzeit aufgrund der Haft des Täters begrenzt seien, die Betreibung der zivilrechtlichen Ansprüche werde daher mehrere Jahre in Anspruch nehmen, wobei die Chancen auf Durchsetzung der Forderung sprunghaft steigen werden, sobald der Täter aus der Haft entlassen und wieder im Berufsleben stehen werde (AS 291). Weiter wurde auf die Verjährungsbestimmung des § 1489 ABGB hingewiesen, wonach ein 30-jähriges Klagerecht auf Ersatz von Schäden besteht, die aus gerichtlich strafbaren Handlungen, die mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht sind, entstanden sind.

Lediglich mit außergerichtlichem Schreiben seines Anwaltes vom selben Tag (05.06.2023) wurde der Strafverteidiger seines Vaters um Mitteilung ersucht, wann der Vater beabsichtige, die im Strafurteil des Landesgerichts Wels zugesprochenen (Teil-)Schadenersatzansprüche zu erfüllen (AS 309). Weitere außergerichtliche oder gerichtliche Schritte wurden nicht gesetzt. In der Beschwerdeschrift wurden ebenso bloß eine beabsichtigte Einbringung eines Exekutionsantrages sowie die Einklagung weiterer zivilrechtlicher Ansprüche durch den hierzu bevollmächtigten Vertreter mitgeteilt (AS 418).

2.4. Die Feststellungen unter 1.4. stützen sich auf die bereits im erstinstanzlichen Verfahren herangezogenen länderkundlichen Informationen der Staatendokumentation des BFA. Der BF war diesen Länderberichten trotz ihm eingeräumter Möglichkeit zur Stellungnahme nicht substantiiert entgegengetreten. Auch in der vorliegenden Beschwerdeschrift wurde kein konkretes Abschiebungshindernis bekannt gegeben.

Lediglich ergänzend nahm das erkennende Gericht zum Entscheidungszeitpunkt noch in das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA Einsicht (Länderinformationen aus dem COI-CMS der Staatendokumentation des BFA zur Türkei, Version 7 vom 29.06.2023). Diesem waren keine wesentlichen Änderungen gegenüber der Vorversion des Länderinformationsblattes hinsichtlich der maßgeblichen, oben zitierten Passagen desselben zu entnehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, 1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Mit Datum 1.1.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 53/2019.

Mit dem BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) als Rechtsnachfolger des vormaligen Bundesasylamtes eingerichtet. Gemäß § 3 Abs. 1 BFA-VG obliegt dem BFA u.a. die Vollziehung des BFA-VG und des AsylG 2005 idgF.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheides des Bundesamtes.

Zu A)

1.1. § 59 AsylG lautet:

(1) Anträge auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, beim Bundesamt einzubringen. Danach gelten Anträge als Erstanträge. Nach Stellung eines Verlängerungsantrages ist der Antragsteller, unbeschadet der Bestimmung nach dem FPG, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Über die rechtzeitige Antragstellung kann dem Drittstaatsangehörigen auf begründeten Antrag eine einmalige Bestätigung im Reisedokument angebracht werden, die keine längere Gültigkeitsdauer als drei Monate aufweisen darf. Diese Bestätigung berechtigt zur visumfreien Einreise in das Bundesgebiet. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, Form und Inhalt der Bestätigung durch Verordnung zu regeln.

(2) Die Gültigkeitsdauer eines verlängerten Aufenthaltstitels beginnt mit dem auf den letzten Tag des letzten Aufenthaltstitels folgenden Tag, wenn seither nicht mehr als sechs Monate vergangen sind. Der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet im Zeitraum zwischen Ablauf des letzten Aufenthaltstitels und Beginn der Gültigkeitsdauer des verlängerten Aufenthaltstitels ist gleichzeitig mit dessen Erteilung von Amts wegen gebührenfrei mit Bescheid festzustellen.

(3) Anträge, die nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels gestellt werden, gelten nur dann als Verlängerungsanträge, wenn

1. der Antragsteller gleichzeitig mit dem Antrag glaubhaft macht, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert war, rechtzeitig den Verlängerungsantrag zu stellen, und ihn kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, und

2. der Antrag binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gestellt wird; § 71 Abs. 5 AVG gilt.

Der Zeitraum zwischen Ablauf der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels und der Stellung des Antrages, der die Voraussetzungen der Z 1 und 2 erfüllt, gilt nach Maßgabe des bisher innegehabten Aufenthaltstitels als rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt.

(4) Das Bundesamt hat der örtlich zuständigen Behörde nach dem NAG unverzüglich mitzuteilen, dass

1. die Voraussetzung des § 57 weiterhin vorliegen,

2. der Antragsteller das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat, und

3. die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 4 erfüllt sind.

Liegen die Voraussetzungen der Z 2 oder Z 3 nicht vor, hat das Bundesamt den Aufenthaltstitel gemäß § 57 zu erteilen. Die Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels nach Abs. 1 ist unverzüglich, längstens jedoch binnen 4 Monaten ab Einbringung des Antrages zu treffen.

(5) Im Falle einer Mitteilung gemäß Abs. 4 ist der Ablauf der Frist gemäß Abs. 4 letzter Satz gehemmt. Das Bundesamt hat den Antragsteller von der Mitteilung in Kenntnis zu setzen. Mit Ausfolgung des Aufenthaltstitels gemäß § 41a Abs. 3 NAG ist das Verlängerungsverfahren formlos einzustellen.

§ 57 AsylG lautet:

(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382c EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.

§ 58 AsylG lautet:

(1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(4) Das Bundesamt hat den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Abs. 3) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Abs. 11 gilt.

(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.

(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige

1. sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,

2. bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder

3. gemäß § 5 des Amtssitzgesetzes – ASG, BGBl. I Nr. 54/2021, über einen Lichtbildausweis verfügt oder gemäß § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist

soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge.

(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

(11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist

1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder

2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

(12) Aufenthaltstitel dürfen Drittstaatsangehörigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur persönlich ausgefolgt werden. Aufenthaltstitel für unmündige Minderjährige dürfen nur an deren gesetzlichen Vertreter ausgefolgt werden. Anlässlich der Ausfolgung ist der Drittstaatsangehörige nachweislich über die befristete Gültigkeitsdauer, die Unzulässigkeit eines Zweckwechsels, die Nichtverlängerbarkeit der Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 56 und die anschließende Möglichkeit einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erlangen, zu belehren.

(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und

2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben.

(14) Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche Urkunden und Nachweise allgemein und für den jeweiligen Aufenthaltstitel dem Antrag jedenfalls anzuschließen sind. Diese Verordnung kann auch Form und Art einer Antragstellung, einschließlich bestimmter, ausschließlich zu verwendender Antragsformulare, enthalten.

1.2. Der BF stellte am 04.02.2022 einen Erstantrag auf Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 Abs. 1 Z. 2 AsylG. Zu diesem Zeitpunkt war ein Strafverfahren gegen seinen Vater wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15 Abs. 1, 75 StGB anhängig. Einer damals nach § 57 Abs. 2 AsylG amtswegig eingeholten Stellungnahme der LPD OÖ war zu entnehmen, dass die Aussage des BF als Opfer im Strafverfahren gegen seinen Vater einen wesentlichen Bestandteil des Strafverfahrens bilde.

Das BFA ging im Aktenvermerk vom 30.03.2022 davon aus, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ im konkreten Fall der Gewährleistung der Strafverfolgung diene. Damit nahm das BFA auch implizit das Vorliegen einer mit den in § 57 Abs. 1 Z. 2 AsylG genannten Straftaten (Menschenhandel, grenzüberschreitender Prostitutionshandel) vergleichbaren Gefahrenlage an (vgl. VwGH 18.11.2021, Ra 2020/22/0273). Vor dem Hintergrund dieser Aktenlage folgte das BFA daraufhin am 13.05.2022 den beantragten Aufenthaltstitel aus.

1.3. Der BF brachte rechtzeitig vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels (vgl. § 59 Abs. 1 AsylG) persönlich (vgl. § 58 Abs. 5 AsylG) beim BFA einen Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 59 AsylG ein.

Begründend führte er im Wesentlichen aus, dass er Opfer eines Gewaltverbrechens sei. Er sei von seinem Vater am 05.01.2022 attackiert worden und habe dabei schwere Verletzungen davongetragen. Mit Urteil des Landesgerichtes Wels sei sein Vater wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Zugleich sei ihm ein Schmerzensgeldteilbetrag in genannter Höhe zugesprochen worden. Es sei auch ausgesprochen worden, dass der Täter für alle Spät- und Dauerfolgen aus dem Vorfall hafte. Der zugesprochene Schmerzensgeldteilbetrag decke die Schmerzensgeldansprüche nur zum Teil ab. Aufgrund der Schwere der erlittenen Verletzungen und der damit verbundenen Schmerzen werde er weitere Schadenersatzforderungen geltend machen, deren Betreibung und Durchsetzung voraussichtlich mehrere Jahre in Anspruch nehmen werde. Die zu führenden Zivilverfahren erfordern seine persönliche Anwesenheit im Bundesgebiet, da es zu mündlichen Streitverhandlungen kommen werde, in denen er als Partei aussagen müsse; ebenso werden medizinische Untersuchungen notwendig sein, um die genaue Höhe der Schmerzengeldansprüche bemessen zu können. All dies sei nur möglich, wenn und solange er sich auch tatsächlich in Österreich aufhält. Bis zur vollständigen Durchsetzung der Ansprüche sei er weiterhin im Bundesgebiet aufenthaltsberechtigt und sei ihm daher der Aufenthaltstitel „besonderer Schutz“ zu verlängern.

Das BFA wies den Verlängerungsantrag ab und führte dazu aus, dass einerseits das Strafverfahren mittlerweile rechtskräftig abgeschlossen sei und daher seine Anwesenheit im Bundesgebiet zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen nicht mehr erforderlich sei. Andererseits sei ein Verfahren zur Geltendmachung oder Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen bis dato nicht eingeleitet worden. Nach Ansicht der belangten Behörde könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass eine Konstellation wie die hier vorliegende, in der lediglich beabsichtigt sei zivilrechtliche Ansprüche geltend zu machen bzw. durchzusetzen, jedoch noch „keinerlei Schritte“ diesbezüglich eingeleitet wurden, vom Zweck des § 57 AsylG umfasst sei. Wie in § 57 Abs. 3 AsylG ausgeführt werde, müssen zivilrechtliche Ansprüche tatsächlich geltend gemacht werden, lediglich die Absicht diese in Zukunft geltend zu machen, sei nach Ansicht der belangten Behörde nicht ausreichend. Weiter führte die Behörde aus, dass seine Vertretung selbst einräumte, dass die Chancen auf Durchsetzung von Schadenersatz aufgrund der Haft des Täters derzeit begrenzt seien und die Chancen auf Durchsetzung der Forderungen erst nach Haftentlassung und zusätzlicher Berufstätigkeit des Täters steigen werden. Dabei sei laut BFA zu berücksichtigen, dass der Täter erst vor knapp einem Jahr zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden und er zum jetzigen Zeitpunkt 68 Jahre alt sei und somit weder eine tatsächliche Berufsaufnahme noch eine zeitnahe Entlassung aus der Haft realistisch erscheine. Es sei dem BF zudem möglich, für etwaige medizinische Unterlagen und mündliche Streitverhandlungen erneut nach Österreich einzureisen, dafür bestehe keine Notwendigkeit einer dauerhaften Anwesenheit. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Abs. 1 Z. 2 AsylG seien somit nicht erfüllt. Auch andere Umstände, die eine Verlängerung des Aufenthaltstitels nach den taxativ aufgezählten Gründen des § 57 AsylG rechtfertigen würden, liegen nicht vor.

In der Beschwerde wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es zwar richtig sei, dass das Strafverfahren abgeschlossen sei, „die Geltendmachung und Durchsetzung der Ansprüche habe aber gerade erst begonnen.“ Die Feststellung der belangten Behörde, es sei noch kein Verfahren zur Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche eingeleitet worden, sei unrichtig und aktenwidrig. Er habe bereits im Strafverfahren Privatbeteiligtenansprüche geltend gemacht, die ihm auch teilweise zuerkannt worden seien. Bereits dies stelle eine Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche dar. Er habe seine rechtsfreundliche Vertretung mit der Geltendmachung und Durchsetzung seiner Ansprüche aus dem Vorfall vom 05.01.2022 beauftragt. Sein Anwalt werde einen Exekutionsantrag gegen den Täter einbringen und auch weitere Schmerzengeldansprüche wie auch sonstige Ansprüche gerichtlich einklagen. Der Aufenthaltstitel des § 57 Abs. 1 Z. 2 AsylG diene nach seinem eindeutigen Wortlaut gerade auch der Geltendmachung und Durchsetzung von Ansprüchen aus Straftaten im Sinne dieser Gesetzesbestimmung durch das Tatopfer. Das Gesetz mache dabei keinen Unterschied, in welchem Stadium sich die Geltendmachung dieser Ansprüche befindet. Er könne die Ansprüche auch nur von Österreich aus betreiben, da seine Anwesenheit bei Gerichtsverhandlungen und Sachverständigenterminen in Österreich notwendig sei. Darüber hinaus müsse er die Kosten seines Anwaltes finanzieren, was ihm nur in Österreich aufgrund seiner Beschäftigung möglich sei.

1.4. Gemäß § 57 Abs. 1 Z. 2 AsylG ist eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ – so der Gesetzeswortlaut – „zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel“ zu erteilen. Zweck der Regelung (mit der auch die Bestimmungen der Richtlinie 2004/81/EG über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren, umgesetzt werden) ist es unter anderem, Strafverfahren gegen Menschenhändler mit Unterstützung der Zeugen oder Opfer zu führen und die rechtlich gebotenen Sanktionen zu setzen (vgl. VwGH 27.04.2023, Ra 2020/21/0130).

Den Gesetzeserläuterungen zum Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz, mit dem die Entscheidungskompetenz über Aufenthaltsrechte aus berücksichtigungswürdigen Gründen dem BFA übertragen wurde, ist auszugsweise wie folgt zu entnehmen:

„§ 57 normiert den Aufenthaltstitel ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘, der inhaltlich im Wesentlichen dem § 69a Abs. 1 NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 entspricht. Lediglich der Inhalt des § 69a Abs. 1 Z 4 NAG findet sich nach wie vor im NAG (siehe § 41a Abs. 10 NAG).

Die Bestimmungen des Abs. 1 regelt daher wie bisher die drei taxativ aufgelisteten Fälle, in denen im Inland aufhältigen Drittstaatsangehörigen ein solcher Aufenthaltstitel von Amts wegen oder auf begründeten Antrag zu erteilen ist. […]

Z 2 erfasst wie bisher die Fälle, in denen das Aufenthaltsrecht zur Gewährleistung der Strafverfolgung oder zur Geltendmachung diesbezüglicher zivilrechtlicher Ansprüche erforderlich ist. Dies betrifft insbesondere Opfer oder Zeugen von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel. Damit werden – wie bisher in § 69a NAG – die Bestimmungen der Richtlinie 2004/81/EG über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren, weiterhin entsprechend innerstaatlich umgesetzt. Die Z 1 und 2 übernehmen somit diese bisher in § 69a NAG geregelten Fälle in die neue Rechtslage. […]

Abs. 3 hat keine inhaltliche Änderung erfahren und normiert daher wie bisher ein bereits begonnenes Strafverfahren oder die bereits erfolgte Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche als objektive Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Abs. 1 Z 2. Liegt eine dieser Voraussetzungen nicht vor, so ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen. Gemäß § 1 Abs. 2 StPO beginnt das Strafverfahren, sobald Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat gegen eine bekannte oder unbekannte Person ermitteln oder Zwang gegen eine verdächtige Person ausüben. Entscheidend ist damit lediglich die Tatsache, dass ein Strafverfahren begonnen hat. Der Ausgang des Verfahrens kann in diesem Zusammenhang nicht beachtlich sein. Damit wird diese Zulässigkeitsvoraussetzung bewusst niederschwellig angesetzt, um schutzbedürftige Fremde nicht in unsachgerechter Weise vom Verfahren auszuschließen. Weder aus Abs. 1 Z 2 noch aus Abs. 3 ist die Kooperation des Fremden mit den Behörden als zwingende Voraussetzung zur Erteilung eines Aufenthaltstitels abzuleiten.

Bisher waren diese Aufenthaltstitel im Einklang mit der Opferschutz-Richtlinie für mindestens sechs Monate zu erteilenden und sind diese nunmehr für 12 Monate mit der anschließenden Möglichkeit der Verlängerung beim Bundesamt zu erteilen, um ein höheres Schutzniveau zu bieten. Zur Möglichkeit der Verlängerung des Titels siehe Erläuternde Bemerkungen zu § 59.

Über die Erteilung eines Aufenthaltstitels hat das Bundesamt – wie bisher die NAG-Behörden – binnen sechs Wochen zu entscheiden. Diese gegenüber der allgemeinen Regel des § 73 Abs. 1 AVG verkürzte Frist ist im Hinblick auf den Umstand, dass gerade in Fällen des Opferschutzes eine rasche Reaktion der Behörde in hohem Maße aus Gründen der Rechtssicherheit angezeigt ist, sachlich gerechtfertigt.“ (RV 1803 24. GP , 46 ff)

1.5. Zutreffend hielt das Bundesamt im bekämpften Bescheid zunächst fest, dass das Strafverfahren gegen den Vater des BF mittlerweile mit Urteil des Landesgerichts Wels vom 01.07.2022 rechtskräftig abgeschlossen wurde und daher seine Anwesenheit im Bundesgebiet zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen nicht mehr weiter erforderlich ist.

Nach den Gesetzesmaterialien normiert § 57 Abs. 3 AsylG ein bereits begonnenes Strafverfahren oder die bereits erfolgte Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche als objektive Tatbestandsvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Abs. 1 Z. 2 AsylG. Nach Ansicht des Gerichtes setzt die Bestimmung des § 57 Abs. 1 Z. 2 AsylG eine gerichtliche Geltendmachung voraus. Schließlich haben die Bestimmungen unter anderem vor Augen, dass Opfer in der Lage sein sollen, zivilgerichtliche Maßnahmen gegen die Täter zu setzen („Die Menschenhändler stürzen ihre Opfer zusätzlich zur physischen und psychischen Bedrohung oft noch in einen Schuldenkreislauf, der von den Betroffenen ohne zivilrechtliche (gerichtliche) Maßnahmen zu setzen, kaum durchbrochen werden kann.“, RV 952 BlgNR 22. GP , 147).

Zwar hat der BF im Strafverfahren seine Ansprüche geltend gemacht und wurde ihm auch ein Teil seines Begehrens zugesprochen, mit seinem Mehrbegehren wurde er jedoch auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Eine zivilgerichtliche Geltendmachung dieses Mehrbegehrens liegt bislang nicht vor. So war festzustellen, dass weder ein Exekutionsverfahren im Hinblick auf den bereits vorhandenen Exekutionstitel (rechtskräftiges Strafurteil des Landesgerichts Wels vom 01.07.2022) noch ein Zivilverfahren zur Geltendmachung und Durchsetzung von weiteren zivilrechtlichen Ansprüchen aus dem Vorfall vom 05.01.2022 bei Gericht anhängig ist.

Der BF brachte lediglich ein außergerichtliches Schreiben seines Anwaltes vom 05.06.2023 in Vorlage, mit dem der Strafverteidiger seines Vaters um Mitteilung ersucht wurde, wann der Täter beabsichtige, die im Strafurteil des Landesgerichts Wels zugesprochenen (Teil-) Schadenersatzansprüche zu leisten. Eine Aufforderung zur Leistung weiterer zivilrechtlicher Ansprüche war dem außergerichtlichen Schreiben nicht zu entnehmen. Er hat daher auch keine außergerichtliche Geltendmachung von weiteren zivilrechtlichen Ansprüchen aus dem Vorfall vom 05.01.2022 nachgewiesen.

Sollte im Übrigen – entgegen der Auffassung des BVwG – das außergerichtliche Schreiben eine Form der „Geltendmachung“ der bereits rechtskräftig zugesprochenen Ansprüche im Sinne des § 57 Abs. 1 Z. 2 AsylG darstellen, ist zu bedenken, dass zur Durchsetzung des Exekutionstitels (Privatbeteiligtenzuspruch mit Strafurteil des Landesgerichtes Wels vom 01.07.2022) eine Anwesenheit des BF im Bundesgebiet nicht erforderlich ist. Er hat einen Anwalt mit der beabsichtigten Exekutionsbetreibung beauftragt. Dieser kann gegebenenfalls einen Exekutionsantrag bei Gericht einbringen. Dass seine persönliche Anwesenheit in einem künftigen Exekutionsverfahren erforderlich ist, wurde nicht substantiiert dargelegt.

Es genügt für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG auch nicht die bloße Absicht, künftig – jedenfalls innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfristen – gerichtliche Schritte zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen setzen zu wollen. Das BVwG teilt die Ansicht des BFA, dass aus der Bestimmung des § 57 Abs. 3 AsylG hervorgeht, dass zivilrechtliche Ansprüche tatsächlich geltend gemacht werden müssen.

Mit § 57 AsylG werden die Bestimmungen der Richtlinie 2004/81/EG innerstaatlich umgesetzt. Um ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten, wurde die in Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2004/81/EG vorgesehene Dauer des Aufenthaltstitels von mindestens sechs Monaten auf zwölf Monate innerstaatlich erhöht. Zudem besteht die Möglichkeit einer Verlängerung des Aufenthaltstitels. Dass diese Verlängerungsmöglichkeit jedoch nicht uferlos sein kann, lässt sich aus der Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates ableiten. Nach dem 7. Erwägungsgrund dieser Richtlinie soll bei der Umsetzung unter anderem die Richtlinie 2004/81/EG berücksichtigt werden. Nach Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2011/36/EU hat jeder Mitgliedstaat sicher zu stellen, dass Opfer vor, während sowie für einen angemessenen Zeitraum nach Abschluss des Strafverfahrens Unterstützung und Betreuung erhalten, damit sie in der Lage sind, die in dem Rahmenbeschluss 2001/220/JI und in der Richtlinie 2011/36/EU festgelegten Rechte in Anspruch zu nehmen.

Vor dem Hintergrund dieser Bestimmungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die Dauer des Aufenthaltes der freien Disposition des Drittstaatsangehörigen, nämlich wann dieser innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfrist Ansprüche geltend zu machen bzw. durchzusetzen gedenkt, überlässt. Dass die Erhebung einer Klage vor einem Zivilgericht oder die Einbringung eines Exekutionsantrages derzeit aufgrund der von ihm beschriebenen Situation seines Vaters (Strafhaft, kein Einkommen) nicht opportun ist, und mit der Setzung von gerichtlichen Schritten innerhalb der hier einschlägigen 30-jährigen Verjährungsfrist solange zugewartet wird, bis sich die Erfolgsaussichten einer Klags- / und Exekutionsführung gegen den Täter verbessern, kann nicht dem Schutzzweck der Norm entsprechen.

Das Bundesamt kam daher zu Recht zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen nach § 57 Abs. 1 AsylG nicht vorliegen und hat daher zu Recht keinen Aufenthaltstitel erteilt.

1.6. Die Beschwerde war sohin zu Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

Die Maßgabeentscheidung war deshalb zu treffen, da aus eben dargelegten Gründen die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Antragstellung gemäß § 57 Abs. 1 Z. 2 AsylG nicht vorlagen und diesfalls gemäß § 57 Abs. 3 AsylG mit einer Zurückweisung des gg. Antrags vorzugehen war, während eine Abweisung beim Fehlen weiterer Erteilungsvoraussetzungen in Frage käme (vgl. VwGH v. 27.04.2023, Ra 2020/21/0130).

2.1. § 10 AsylG lautet:

(1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.

§ 52 FPG lautet:

(1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre,

1a. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,

2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel “Daueraufenthalt – EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.

§ 9 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.

Art. 8 EMRK lautet:

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

§ 55 FPG lautet:

(1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.

(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.

2.2. Im Fall eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG ist das BFA für die Erteilung und die Verlängerung zuständig, weshalb auch eine gemeinsame Entscheidung über den Verlängerungsantrag und die allfällige Frage einer Aufenthaltsbeendigung möglich ist. Eine solche gemeinsame Entscheidung sieht § 52 Abs. 3 FPG (iVm § 10 Abs. 3 AsylG) vor (vgl. VwGH 14.04.2016, Ra 2016/21/0077, Rz 27):

Nach dieser Bestimmung hat das BFA unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird. Auf (nur bei Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG mögliche) Verlängerungsanträge wird zwar nicht ausdrücklich Bezug genommen, es handelt sich dabei aber um Unterfälle von Anträgen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln. Die Entscheidung über den Verlängerungsantrag und die Erlassung der Rückkehrentscheidung „unter einem“ (wobei allerdings über den Verlängerungsantrag vorrangig zu entscheiden ist – vgl. in diesem Sinn schon VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0023, 0024) stellt auch sicher, dass der Antrag nicht unerledigt bleibt. In diesem Sinn gibt es in § 59 AsylG 2005 auch eigenständige Regelungen über das Verlängerungsverfahren des Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005, die allenfalls – so ausdrücklich die ErlRV zur Schaffung des § 59 AsylG 2005 (1803 BlgNR 24. GP 51) – darauf hinauslaufen, dass „das Bundesamt den Antrag abzuweisen und gegebenenfalls ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme einzuleiten“ hat (VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0200).

Der Verlängerungsantrag des BF war gemäß § 57 iVm § 59 AsylG zurückzuweisen. Vor dem Hintergrund der soeben zitierten Judikatur hat das BFA daher auch zutreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG iVm § 10 Abs. 3 AsylG geprüft.

2.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Rechts der BF auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens in Österreich darstellt.

Das Recht auf Achtung des Familienlebens iSd Art 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (EGMR Kroon, VfGH 28.06.2003, G 78/00).

Der Begriff des Familienlebens ist jedoch nicht nur auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR Marckx, EGMR 23.04.1997, X ua).

Wie der Verfassungsgerichtshof in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche – in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte – Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

die Bindungen zum Heimatstaat,

die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00).

In Ergänzung dazu verleiht weder die EMRK noch ihre Protokolle das Recht auf politisches Asyl (EGMR 30.10.1991, Vilvarajah ua., Zl. 13163/87 ua.; 17.12.1996, Ahmed, Zl. 25964/94; 28.02.2008 [GK] Saadi, Zl. 37201/06).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10).

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen beeinträchtigt das Recht auf Privatsphäre eines Asylantragstellers dann in einem Maße, der sie als Eingriff erscheinen lässt, wenn über jemanden eine Ausweisung verhängt werden soll, der lange in einem Land lebt, eine Berufsausbildung absolviert, arbeitet und soziale Bindungen eingeht, ein Privatleben begründet, welches das Recht umfasst, Beziehungen zu anderen Menschen einschließlich solcher beruflicher und geschäftlicher Art zu begründen (Wiederin in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg., 2002, Rz 52 zu Art 8 EMRK).

Nach der Rechtssprechung des EGMR (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

2.4. Im Bundesgebiet halten sich Vater und Stiefmutter des BF auf. Sein vormals in Österreich wohnhafter Bruder ist 2022 verstorben. Mit seinem Vater, der ihm am 05.01.2022 eine schwere Körperverletzung absichtlich zugefügt hat und aktuell in Strafhaft ist, besteht kein Kontakt. Auch mit seiner Stiefmutter und seiner in Deutschland lebenden Tante hat er keinen Kontakt. Ein spezielles Nahe- bzw. Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen wurde nicht vorgebracht. Ihnen gegenüber war kein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK zu konstatieren.

Er führt seit etwa zwei Jahren mit einer österreichischen Staatsangehörigen eine Beziehung. Die beiden beabsichtigen zu heiraten und wohnen seit 28.03.2022 gemeinsam in einer Mietwohnung. Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR ist das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Bindungen beschränkt, sondern umfasst auch andere faktische Familienbindungen, bei denen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben. Zur Frage, ob eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK begründet, stellt der EGMR auf das Bestehen enger persönlicher Bindungen ab, die sich in einer Reihe von Umständen – etwa dem Zusammenleben, der Länge der Beziehung oder der Geburt gemeinsamer Kinder – äußern können (VwGH 31.01.2019, Ra 2019/20/0028).

Zwar führt der BF mit seiner Freundin nun einen gemeinsamen Haushalt, insgesamt betrachtet resultiert aus der erst seit zwei Jahren bestehenden und kinderlosen Beziehung aber noch kein Familienleben im Sinne der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK. Jedoch war diese Beziehung im Hinblick auf sein hiesiges Privatleben im Rahmen der Interessensabwägung zu berücksichtigen. Im Übrigen ist es nach der Rechtsprechung des VwGH nur von untergeordneter Bedeutung, ob eine genannte Beziehung als „Familienleben“ oder als „Privatleben“ zu qualifizieren ist, weil bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung im Ergebnis die tatsächlich bestehenden Verhältnisse maßgebend sind (vgl. VwGH 29.05.2020, Ra 2020/14/0191).

Hinsichtlich des bisher entstandenen Privatlebens des BF in Österreich war auch zu bedenken, dass er von 29.09.2000 bis 20.11.2006 in Österreich gelebt, die Hauptschule besucht und einen Pflichtschulabschluss erlangt hat. Er hat damals auch eine Lehre begonnen, diese jedoch 2003 wieder abgebrochen. Daran anschließend ging er bis Jänner 2006 mehreren kurzfristigen Beschäftigungen nach. Ende 2006 kehrte er aber in die Türkei zurück. Erst nach einem vierzehnjährigen Aufenthalt in der Türkei reiste er im Oktober 2020 mit einem bis zum 22.10.2020 gültigen C-Schengenvisum erneut in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seitdem hier auf. Sein vormaliger Aufenthalt im Bundesgebiet bis 2006 war aufgrund des seitdem verstrichenen Zeitraums bis zur Wiedereinreise im Jahr 2020 in einer Gewichtung aller Aspekte im Rahmen der gg. Interessensabwägung daher nicht von maßgeblicher Bedeutung.

Mit Ausstellung des Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ war sein Aufenthalt im Bundesgebiet bis dato rechtmäßig. Er konnte jedoch alleine aufgrund der Erteilung des befristeten Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ auch nicht begründeter Weise von der zukünftigen dauerhaften Legalisierung des Aufenthalts ausgehen. Ihm musste bereits bei der Antragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Abs. 1 Z. 2 AsylG im Jahr 2022 bewusst sein, dass seine Aufenthaltsberechtigung nur von vorübergehender Dauer sein kann, nämlich zum Zwecke der Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen seines Vaters und zur Geltendmachung und Durchsetzung von daraus resultierenden zivilrechtlichen Ansprüchen. Im gegenständlichen Verfahren waren im Übrigen auch keine unverhältnismäßig langen Verfahrensgänge festzustellen, die dem BFA oder dem BVwG zur Last zu legen wären. Von einer maßgeblichen Integration bzw. Verfestigung seiner Interessen angesichts einer erheblichen Aufenthaltsdauer war daher nicht auszugehen

Zu seinen Gunsten waren bei der Interessensabwägung seine Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet und seine sehr guten Deutschkenntnisse zu berücksichtigen. Er hat in Österreich eine Berufsqualifikation als Kraftfahrer erworben und auch eine Zusatzausbildung als Gefahrengutlenker absolviert. Darüber hinaus verfügt er im Bundesgebiet über Freunde und Bekannte. Er ging bislang keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nach und ist kein Mitglied in einem Verein oder in einer sonstigen Organisation.

Bei der Interessensabwägung war auch seine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin zu berücksichtigen. Der erst seit zwei Jahren bestehenden Beziehung kam jedoch keine maßgebliche Bedeutung zu. Hinzukommt, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z. 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 30.07.2020, Ra 2020/20/0130, mwN). Die Schutzwürdigkeit seines Privatlebens in Österreich war aufgrund dessen auch nur in geringem Maße gegeben. Im Übrigen ist es ihm und seiner Freundin möglich, nach seiner Ausreise den Kontakt mittels moderner Kommunikationsmittel (wenn auch in reduzierter Form) aufrechtzuerhalten, und bleibt es ihm unbenommen, in Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen mit einem gültigen Aufenthaltstitel neuerlich in das Bundesgebiet einzureisen.

Die Feststellung der strafrechtlichen Unbescholtenheit des BF stellt der Judikatur folgend weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, 98/18/0420).

Er hat demgegenüber den weitaus überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht, wurde dort sozialisiert und spricht Türkisch als Mehrheitssprache seiner Herkunftsregion auf muttersprachlichem Niveau. Er verbrachte die ersten dreizehn Lebensjahre in der Türkei und ging dort auch zur Schule. Während seines Aufenthaltes in der Türkei zwischen 2006 und 2020 war er auch erwerbstätig und konnte seinen Lebensunterhalt unter anderem mit seinem Einkommen als Kraftfahrer bestreiten. Er konnte sohin im Herkunftsland bereits Berufserfahrungen sammeln. Aktuell geht er einer Beschäftigung als internationaler Fernkraftfahrer nach, weshalb auch seine Selbsterhaltungsfähigkeit in der Türkei angenommen werden kann. Es deutet nichts darauf hin, dass es ihm im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren. Angesichts seines Aufenthaltes in der Türkei zwischen 2006 und 2020 kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass es bereits zu einer völligen Entwurzelung in seinem Herkunftsland gekommen ist. Darüber hinaus lebt auch seine minderjährige Tochter in der Türkei.

Der sohin nur sehr schwachen Rechtsposition des BF im Hinblick auf einen weiteren Verbleib in Österreich stehen die öffentlichen Interessen des Schutzes der öffentlichen Ordnung, insbesondere in Form der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen sowie des wirtschaftlichen Wohles des Landes gegenüber.

2.5. Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG war daher davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des BF im Bundesgebiet dessen persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet jedenfalls überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht bewirkt wird. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden, die im gegenständlichen Fall den Ausspruch, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, rechtfertigen würden.

2.6. Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung vorlagen, war die Beschwerde auch gegen Spruchpunkt II als unbegründet abzuweisen.

3.1. Im Hinblick auf § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG war noch abzuwägen, ob allenfalls konkrete Anhaltspunkte dahingehend hervorkamen, dass seine Abschiebung in den Herkunftsstaat iSd § 50 Abs. 1 FPG unzulässig wäre.

Maßstab dafür stellen die Art. 2 und 3 EMRK dar, wobei darauf abzustellen ist, dass die mögliche Gefahr einer Verletzung dieser Schutznormen nicht von bestimmten Akteuren iSd Art. 6 Statusrichtlinie ausgeht, sondern eine (bloße) Folge allgemeiner Unzulänglichkeiten im Herkunftsland darstellt.

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter „außergewöhnlichen Umständen“ können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Im Fall Paposhvili vs. Belgium (41738/10) vom 20.04.2015 hat der EGMR weiterführend dargelegt, dass „andere sehr außergewöhnliche Fälle im Sinne des Urteils N./GB so verstanden werden sollten, dass sie sich auf eine Ausweisung einer schwer kranken Person betreffende Situationen beziehen, in denen stichhaltige Gründe für die Annahme aufgezeigt wurden, dass sie, obwohl sie nicht in unmittelbarer Lebensgefahr ist, mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Empfangsstaat oder des fehlenden Zugangs zu solcher Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu werden, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt.“

Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr („real risk“) – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137). Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

Der VwGH hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

3.2. Weder aus dem Vorbringen des BF noch aus dem sonstigen Akteninhalt sind konkrete Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass seine Abschiebung in die Türkei unzulässig wäre. Weder liegt im gegenständlichen Fall für den arbeitsfähigen BF eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), vor noch sind gravierende akute Erkrankungen des BF hervorgekommen. Dass er dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Folter, der Todesstrafe oder einer sonstigen Gefahr für sein Leben ausgesetzt wäre, war nicht feststellbar. Auch ansonsten war eine Gefährdung des BF im Falle der Rückkehr in die Türkei nicht ersichtlich und wurde von ihm eine solche auch nicht behauptet. Durch eine Abschiebung in den Herkunftsstaat würde der BF somit nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK verletzt werden.

3.3. Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung in den Herkunftsstaat vorlagen, war die Beschwerde auch gegen Spruchpunkt III als unbegründet abzuweisen.

4.1. Nach § 55 Abs. 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise generell 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung, sofern nicht festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

4.2. Die vom BFA festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht § 55 Abs. 2 FPG. Die Beschwerde war daher auch gegen Spruchpunkt IV abzuweisen.

5. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, BGBl I Nr. 68/2013 idgF, kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte im gg. Fall gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war.

6. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Nach Ansicht des Gerichts fehlt es an einer Rechtsprechung des VwGH zur Frage, ob der Voraussetzung der „Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen“ im Sinne des § 57 Abs. 1 Z. 2 AsylG erst durch die Setzung von zivilrechtlichen Schritten in der Form der Einbringung einer Schadenersatzklage oder eines Exekutionsantrages bei bereits rechtskräftigen Exekutionstiteln, und nicht schon durch die vorherige Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen eines Privatbeteiligten im Strafverfahren oder mit einem außergerichtlichen Schreiben des Privatbeteiligten, das die Aufforderung zur Zahlung bereits strafgerichtlich zugesprochener Teilschmerzensgeldzahlungen enthält, entsprochen wird.

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