OGH 8ObA81/23d

OGH8ObA81/23d11.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat MMag. Matzka als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*, geboren am *, vertreten durch Dr. Markus Orgler, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei T*, vertreten durch Dr. Peter Klaunzer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 18. Oktober 2023, GZ 15 Ra 32/23b‑35, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00081.23D.0111.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Bei der Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG ist zunächst zu prüfen, ob wesentliche Interessen des gekündigten Arbeitnehmers beeinträchtigt sind. Da jede Kündigung die Interessen des Dienstnehmers beeinträchtigt und mit sozialen Nachteilen verbunden ist, müssen Umstände vorliegen, die eine Kündigung für den Arbeitnehmer über das normale Maß hinaus nachteilig machen (RIS‑Justiz RS0051746 [T7]; RS0051753 [T5]). Gewisse Schwankungen der Einkommenslage muss jeder Arbeitnehmer im Lauf seines Arbeitslebens hinnehmen (RS0051727 [T2]). Dabei ist nicht nur die Möglichkeit der Erlangung eines neuen, einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes, sondern die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (RS0051741; RS0051806; RS0051703).

[2] Der Oberste Gerichtshof hat in seiner jüngeren Rechtsprechung bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass bei den Einkommenseinbußen nicht auf starre Prozentsätze abgestellt werden darf (RS0051727 [T10]; RS0051753 [T7]). Es sind vielmehr alle wirtschaftlichen und sozialen Umstände zueinander in Beziehung zu setzen und nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu gewichten (RS0110944 [T3]; RS0051845 [T10]).

[3] Eine wesentliche Interessenbeeinträchtigung liegt insbesondere dann vor, wenn der Arbeitnehmer zur Deckung seiner wesentlichen Lebenshaltungskosten auf seinen Arbeitsplatz angewiesen ist (RS0128986), wobei aber „Luxusaufwendungen“ außer Betracht bleiben müssen (RS0051753 [T11]). Ist das verbleibende Einkommen so hoch, dass der kündigungsbedingte Ausfall unter Berücksichtigung der Gesamtsituation keinen erheblichen Einfluss auf die Lebensführung hat, ist nicht von einer Interessenbeeinträchtigung iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG auszugehen (vgl RS0051845 [T3]). Bei hohen Einkommen kann es sein, dass selbst eine Einbuße von 40 % noch keine Sozialwidrigkeit begründet, wenn der Arbeitnehmer weiterhin in der Lage ist, seine individuellen Lebensbedürfnisse zu befriedigen (RS0051727 [T14]; 8 ObA 71/22g).

[4] Ob die Sozialwidrigkeit der Kündigung nachgewiesen werden konnte, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab und stellt – abgesehen von Fällen grober Fehlbeurteilung – in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (8 ObA 46/22f mwH). Das ist auch hier nicht der Fall:

[5] Für den Kläger, der zuletzt 8.509 EUR brutto, 14x jährlich an Gehalt bezogen hat, bestand im Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses bei entsprechender Arbeitsplatzsuche die Prognose, längstens innerhalb von 8 Monaten ab dem Beendigungszeitpunkt ein seinen erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechendes Dienstverhältnis erlangen zu können, wenn auch mit einer Gehaltseinbuße von brutto bis zu 35 % (netto ca 30 %; Familieneinkommen ca 20 %). Unter Berücksichtigung seiner festgestellten sozialen und familiären Lage, der von ihm begonnenen unternehmerischen Tätigkeit und der familiären Unternehmensbeteiligungen, kann die Einschätzung des Berufungsgerichts, dass er aber auch mit einem solcherart reduzierten Gehalt weiterhin in der Lage sei, für sich und seine Familie den bisherigen Lebensstandard aufrecht zu erhalten, nicht als unvertretbar beurteilt werden.

[6] Soweit der Kläger argumentiert, dass für ihn überhaupt nur mehr der gekündigte Arbeitsplatz bei der Beklagten angemessen wäre und keine andere Tätigkeit als zumutbar in Frage käme, stellt er keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar. Der Zumutbarkeitsbeurteilung ist das gesamte Berufsleben des Arbeitnehmers zugrunde zu legen und eine objektive Betrachtungsweise aus Sicht des allgemeinen Arbeitsmarkts anzustellen. Es besteht dabei kein strikter Berufs‑ oder Tätigkeitsschutz (vgl 9 ObA 23/23g; 8 ObA 28/17a).

[7] Feststellungen zur Beurteilung, ob der Kläger bei der Beklagten als leitender Angestellter iSd § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG beschäftigt war, dem die Möglichkeit der Kündigungsanfechtung schon aus diesem Grund verwehrt wäre, mussten bei diesem Ergebnis nicht mehr nachgeholt werden. Ebensowenig muss noch näher darauf eingegangen werden, inwieweit der festgestellte Widerstand des Klägers, sich bei seiner Tätigkeit als verantwortlicher Marketing-Geschäftsführer eines Tourismusverbands den Budgetvorgaben und geänderten Strategievorstellungen des Dienstgebers anzupassen, doch einen hinreichenden personenbezogenen Kündigungsgrund iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG bildete.

[8] Mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision zurückzuweisen.

Stichworte