OGH 9ObA23/23g

OGH9ObA23/23g27.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter KR Thomas Schaden (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alexander Leitner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Univ.‑Prof. W*, vertreten durch Rosenauer Prankl Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Beurle Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Linz, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 8. Februar 2023, GZ 12 Ra 1/23p‑34, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00023.23G.0427.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Der Oberste Gerichtshof ist nicht Tatsacheninstanz. Eine mangelhafte und unzureichende Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren nicht angefochten werden. Nur wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisfrage überhaupt nicht befasst, ist sein Verfahren mangelhaft (RS0043371). Ob ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll, ist eine Frage der Beweiswürdigung und daher nicht revisibel (RS0043320).

[2] Das Berufungsgericht hat konkret dargelegt, warum es das Sachverständigengutachten als überzeugend erachtete. Nicht richtig ist, dass die Ausführungen nicht von der Aktenlage gedeckt sind. Der Verweis auf die 90er‑Jahre bezieht sich auf die Höhe des schon damals erzielten Einkommens, nicht die Anzahl der vom Kläger absolvierten Konzerte. Auf Basis des festgestellten durchschnittlichen Verdienstes kann davon ausgegangen werden, dass dieses Einkommen derzeit, über 30 Jahre später, auch mit einer wesentlich geringeren Anzahl von Konzerten zu erzielen ist. Eine Mangelhaftigkeit liegt daher nicht vor.

[3] 2. Bei einer Kündigungsanfechtung nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG ist im ersten Schritt zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer durch die Kündigung erhebliche soziale Nachteile entstehen, die über die „normale“ Interessenbeeinträchtigung bei einer Kündigung hinausgehen (vgl RS0051727 [T8, T11, T13]). In die Untersuchung, ob durch die Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden, ist nicht nur die Möglichkeit der Erlangung eines neuen einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes, sondern vielmehr die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeitnehmers, wie Einkommen, Vermögen, Sorgepflichten etc einzubeziehen (RS0051806; RS0051741). Es sind alle wirtschaftlichen und sozialen Umstände zueinander in Beziehung zu setzen und nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu gewichten (RS0110944).

[4] 3. Nach der Rechtsprechung ist bei Erreichen des Regelpensionsalters und Anspruch auf Regelpension der Kündigungsschutz zwar nicht generell und jedenfalls auszuschließen, doch ist wegen der vom Gesetzgeber tolerierten Einkommenseinbußen, die mit jeder Pensionierung verbunden sind, und der Vorhersehbarkeit der Kündigung bei Erreichen des Regelpensionsalters bei Prüfung der Interessenbeeinträchtigung im Sinn des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG ein strenger Maßstab anzulegen (RS0119456).

[5] Im Hinblick auf Pensionierungen nimmt der Gesetzgeber einen gewissen Einkommensverlust bewusst in Kauf. Deshalb ist eine Kündigung infolge des Umstands, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Alterspension hat, in der Regel nicht sozialwidrig. Wesentlich ist immer, ob der Arbeitnehmer seine Lebenshaltungskosten auch nach Wegfall des Aktivbezugs aus der künftigen Pension oder sonstigen berücksichtigungswürdigen Quellen decken kann (8 ObA 53/04h; vgl auch RS0119456 [T3]).

[6] 4. Die Anwendung dieser Rechtsprechung auf den konkreten Einzelfall begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, wenn die von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs erarbeiteten Grundsätze beachtet werden (RS0051753 [T9]; RS0051785 [T7]). Das ist hier der Fall.

[7] 5. Auch die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass der Kläger allein aus der Pension seine Lebenshaltungskosten nicht decken kann, sondern nur durch weitere ihm zur Verfügung stehende Einkommens-möglichkeiten, nämlich durch Konzerte sowie Unterrichtstätigkeit in Form von Einzelunterricht, Sommerakademien, Meisterkursen und sonstigen Sommerkursen.

[8] Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof bei Berufen, die häufig auch selbständig ausgeübt werden, in die Beurteilung der Interessenbeeinträchtigung auch Möglichkeiten der selbstständigen Berufsausübung miteinbezogen hat (8 ObA 204/02m) und dies auf die Tätigkeit eines Universitätsprofessors nicht zutrifft. Allerdings werden gerade im künstlerischen Bereich Professoren häufig aufgrund ihrer bisherigen, oft selbstständigen künstlerischen Tätigkeit berufen und üben diese, wie auch der Kläger, neben ihrer Lehrtätigkeit auch weiter aus.

[9] 6. Zur Frage, auf welche berufliche Tätigkeit im Rahmen der Prüfung der Interessenbeeinträchtigung durch eine Kündigung abgestellt werden kann, kommt es aber nicht ausschließlich auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit an, sondern welche Tätigkeit dem konkreten Arbeitnehmer zumutbar ist. Der Zumutbarkeitsbeurteilung ist das Berufsleben des Arbeitnehmers zugrunde zu legen und eine objektive Betrachtungsweise aus Sicht des allgemeinen Arbeitsmarkts anzustellen. Es besteht dabei kein strikter Berufs- oder Tätigkeitsschutz (vgl 8 ObA 28/17a) und kann wie dargelegt in Einzelfällen auch eine mögliche selbstständige Tätigkeit Berücksichtigung finden.

[10] 7. Der Kläger war von 1980 bis 2014 als freischaffender Künstler tätig. Diese Tätigkeit hat er, wenn auch in eingeschränktem Rahmen, auch nach 2014, als er an die beklagte Universität berufen wurde, weiter ausgeübt. Auch in Zukunft ist ihm möglich, aus dieser Tätigkeit Einkommen zu erzielen. Zusätzlich steht fest, dass der Kläger auf seinem Fachgebiet auch weiter (wenn auch im privaten Bereich) Einkommen aus Unterrichtstätigkeit erzielen kann, wobei die Vorinstanzen berücksichtigt haben, dass dem Kläger aufgrund seiner Reputation nicht jede Art von Unterrichtstätigkeit, sehr wohl aber etwa im Rahmen von Meisterklassen und Sommerkursen zumutbar ist.

[11] Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass der Kläger ausgehend von seiner Pension (inklusive Ausgleichszulage umgerechnet auf 12 Monate), den erzielbaren Einnahmen aus seiner Konzerttätigkeit (auch unter Abzug von Steuern und Auslagen) und aus Unterrichtstätigkeit in der Lage ist, seine Lebenserhaltungskosten zu decken, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.

[12] 8. Insgesamt gelingt es dem Kläger nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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