OGH 6Ob160/22f

OGH6Ob160/22f20.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Dr. Thomas Kainz, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei P* GmbH & Co KG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 53.000 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteildes Oberlandesgerichts Linz vom 11. Dezember 2018, GZ 2 R 155/18d‑21, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 29. August 2018, GZ 9 Cg 67/17y‑17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00160.22F.1120.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

I. Das mit Beschluss vom 25. 3. 2020, AZ 6 Ob 48/19f, unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.

II. Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Zu I.:

[1] Mit Beschluss vom 25. 3. 2020, 6 Ob 48/19f, wurde das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den vom Obersten Gerichtshof am 17. 3. 2020 zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen. Der EuGH hat darüber mit Urteil vom 14. 7. 2022 (C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen) entschieden. Das Verfahren über die Revision der Klägerin ist daher fortzusetzen.

Zu II.:

[2] Die Klägerin kaufte am 1. 2. 2010 von der beklagten Fahrzeughändlerin einen gebrauchten PKW Audi Q5, 2.0 l TDI quattro um 53.000 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 Euro 5 ausgestattet.

[3] Unstrittig ist, dass die im Fahrzeug implementierte Software zwei Betriebsmodi kannte, die die Abgasrückführung (AGR) – dabei handelt es sich um eine Maßnahme zur Reduktion von Nox(Stickoxid)-Emissionen – steuerten. Im Modus 1, der bei Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) aktiv war, kam es zu einer höheren AGR‑Rate als im Modus 0, der im normalen Straßenverkehr durchgehend im Betrieb war.

[4] Weder die Klägerin noch die Beklagte wussten, dass das Fahrzeug „am Prüfstand“ (gemeint: bei Durchfahren des NEFZ) „in einen speziellen Motormodus“ umschaltete. Die Klägerin hätte bei Kenntnis „der wahren Sachlage“ den Vertrag, wenn auch zu anderen Bedingungen, dennoch geschlossen.

[5] Am 14. 11. 2016 wurde das von der Herstellerin entwickelte Software‑Update am Fahrzeug der Klägerin installiert.

[6] Die Klägerin begehrt die Zahlung von 53.000 EUR samt Verzugszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, hilfsweise die Nachlieferung eines mangelfreien, fabriksneuen typenidentischen Ersatzfahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion der Herstellerin mit identer technischer Ausstattung Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, sowie jedenfalls die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Schäden, die der Klägerin aus oder im Zusammenhang mit dem an ihrem Fahrzeug durchgeführten Software-Update entstünden.

[7] Sie stützte ihre Ansprüche auf Irrtumsanfechtung, arglistige Irreführung, Gewährleistung, Verkürzung über die Hälfte, Schadenersatz sowie das Fehlen der Geschäftsgrundlage. Das Fahrzeug sei mit einer gesetzlich verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet. Es handle sich um eine Software, die erkenne, wenn sich ein Fahrzeug am Prüfstand für einen Abgastest befinde, und für diesen Fall in ein Programm schalte, das niedrige NOx‑Emissionen produziere. Auf der Straße werde hingegen in ein normales Programm geschaltet, das höhere Stickoxid-Emissionen produziere. Ein Hacker habe die gegenständliche Manipulationssoftware im Detail untersucht und herausgefunden, dass sie zwei Betriebsmodi enthalte, von denen der eine („Normalmodus“) dann zum Einsatz komme, wenn eine bestimmte Motor- und Tanktemperatur, ein Luftdruck kleiner als 750 Meter über dem Meeresspiegel und ein bestimmtes Fahrprofil vorlägen. Daraus ergebe sich, dass das manipulierte Fahrzeug nur zwei bis drei Prozent „der Fahrt“ im „Normalmodus“ laufe. Nur im „Normalmodus“ finde eine Stickoxid-Reduktion mittels Harnstoffeinspritzung statt.

[8] Die Klägerin habe über die „Manipulationsfreiheit“, konkret das Nicht-Vorhandensein verbotener Abschalteinrichtungen und die Folgen aus dem Vorhandensein einer solchen Abschalteinrichtung, die erforderliche Nachrüstung, die Umweltfreundlichkeit und die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte sowie den Wiederverkaufswert des Fahrzeugs geirrt. Sie habe mit dem jederzeitigen Entzug der Zulassung zu rechnen. Wäre sie diesen Irrtümern nicht unterlegen, hätte sie das Fahrzeug – bereits bei Kenntnis eines einzelnen der angeführten Umstände – nicht gekauft.

[9] Der Irrtum sei von der Beklagten (arglistig) verursacht worden. Die Beklagte müsse sich als 100%ige Konzerntochter der Herstellerin das Wissen von deren Organen zurechnen lassen. Das Fahrzeug sei mangelhaft, ein von der Beklagten unternommener Nachrüstversuch habe nicht den vertragsgemäßen Zustand hergestellt. Die Nachrüstung habe einen Leistungsverlust des Fahrzeugs zur Folge gehabt, die gesetzlichen Grenzwerte würden weiter, sogar auf dem Prüfstand, überschritten.

[10] Das Fahrzeug sei mit den vorhandenen Mängeln weniger als die Hälfte des Kaufpreises wert, auch habe die Geschäftsgrundlage, dass das Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestaltet sei, gefehlt.

[11] Da die Klägerin Opfer einer groß angelegten Abgasmanipulation sei, habe sie kein Benützungsentgelt zu leisten.

[12] Ihr Feststellungsinteresse ergebe sich daraus, dass dem Fahrzeug nach Durchführung des Software-Updates weiter der Entzug der Zulassung sowie der Eintritt von Schäden an diversen Bauteilen drohe.

[13] Die Beklagtewendete ein, ein Widerruf der Typengenehmigung sei nicht zu erwarten. Bei der im Motor EA189 implementierten Software handle es sich nicht um eine Abschalteinrichtung, jedenfalls nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Dennoch seien sämtliche Fahrzeuge mit dem Motor EA189 auf Kosten der Herstellerin mit einer vom deutschen Kraftfahrtbundesamt (KBA) geprüften und freigegebenen Maßnahme technisch überarbeitet worden. Damit seinen keine negativen Auswirkungen auf die Fahrzeuge verbunden.

[14] Es lägen kein Mangel, kein Geschäftsirrtum, keine Veranlassung oder Täuschung durch die Beklagte, kein gemeinsamer Irrtum und kein Vermögensnachteil der Klägerin vor. Diese sei jedenfalls klaglos gestellt. Sollte das Gericht eine Rückabwicklung als berechtigt erkennen, schulde die Klägerin Benützungsentgelt, dessen Bezifferung vorbehalten bleibe. Für das Feststellungsbegehren fehle ein Feststellungsinteresse.

[15] Das Erstgericht wies die Klage ab und stellte zur am Klagefahrzeug implementierten Software fest:

„Die ursprüngliche Softwareversion, die in Fahrzeugen mit dem Motortyp EA189 verbaut ist, erkennt, dass sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet und dass in diesem Fall ein eigener Motormodus geschaltet wird. Die Umschaltung dieses Motormodus besteht hierbei darin, dass das Motorsteuergerät prinzipiell zwischen zigtausend verschiedenen Modi und sogenannten Kennfeldern umschaltet. Bei Modellen der Marke V* erkennt das Fahrzeug anhand der Geschwindigkeitscharakteristik, dass es sich auf einem Prüfstand befindet, und wählt einen anderen Betriebsmodus aus. Eine solche Abschaltung ist nur bei bestimmten Temperaturfenstern vorgesehen, um eine Schädigung des Motors durch Rußablagerungen und Versotten des Motors zu verhindern. Bei der vorliegenden Software erfolgt die Umschaltung jedoch bereits aufgrund des Betriebs am Prüfstand.

Hinsichtlich des Umbaus des Motors des gegenständlichen Fahrzeugs wird lediglich die Implementierung einer neuen Software vorgeschrieben. Durch das angebotene Update bzw die Einspielung einer neuen Softwarevariante findet eine Umschaltung aufgrund des Erkennens eines Prüfzyklus nicht mehr statt. Das Update wurde vom Kraftfahrbundesamt überprüft und freigegeben.“

[16] Rechtlich verneinte das Erstgericht einen wesentlichen Geschäftsirrtum sowie eine listige Irreführung durch die Beklagte, woran auch ein Schadenersatzanspruch nach § 874 ABGB scheitere. Ein Sach- oder Rechtsmangel liege nicht vor. Darüber hinaus sei aufgrund des Software-Updates nicht mit einem Entzug der Typengenehmigung oder der Zulassung zu rechnen. Ein Wertverhältnis iSd § 934 ABGB liege nicht vor. Es fehle an typischen Umständen im Sinn einer Geschäftsgrundlage, von der beide Parteien ausgegangen seien.

[17] Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge undließ die Revision zu; es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Vorliegen eines Rechtsmangels, wenn Fahrzeuge hergestellt und im EU‑Binnenmarkt veräußert werden, die von der EG-Typengenehmigung abwichen und nach einem durchgeführten Software‑Update die Stickoxid-Grenzwerte nur im Prüfstandsbetrieb einhielten.

[18] Rechtlich bestätigte das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass kein für den Vertragsabschluss kausaler Irrtum vorliege und die geltend gemachte Wandlung aufgrund der Geringfügigkeit des Mangels ausscheide. Der Erfolg der Verbesserung durch Vornahme des Software-Updates sei durch die Freigabe des Updates durch das KBA dokumentiert. Der Kaufvertrag sei auch nicht nichtig gemäß § 879 Abs 1 ABGB. Das Feststellungsbegehren sei nicht berechtigt, weil die Klägerin das Fahrzeug auch in Kenntnis der Manipulation gekauft hätte.

Rechtliche Beurteilung

[19] Die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

[20] 1. Das Rechtsmittelgericht hat, wenn es in der Rechtsfrage angerufen ist, die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nach allen Richtungen hin zu prüfen (RS0043352).

[21] 2. Die Klägerin macht geltend, das Berufungsgericht habe in Verkennung der Rechtslage das Vorliegen eines Sachmangels, der zudem nicht geringfügig sei, verneint.

[22] 3. Das Fahrzeug der Klägerin fällt unstrittig in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007; künftig: VO 715/2007/EG ).

[23] 4.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 (ZVR 2023/83, 236 [Kathrein], EvBl 2023/195, 675 [Kepplinger]), in einem ebenfalls gegen einen KFZ‑Händler geführten Verfahren zu den Ansprüchen eines Käufers Stellung genommen, der ein Fahrzeug mit einem Dieselmotor des Typs EA198 Euro 5 erworben hatte, das mit einer im Motorsteuerungsgerät enthaltenen, der zuständigen Typengenehmigungsbehörde nicht offengelegten Software ausgestattet war, die für die Abgasrückführung zwei Betriebsmodi vorsah, einen Betriebsmodus für das Emissionsprüfungsverfahren mit einer relativ hohen Abgasrückführung und einen Betriebsmodus mit einer geringeren Rückführungsrate, der unter normalen Fahrbedingungen zum Einsatz gelangte.

[24] 4.2. Eine derartige Software („Umschaltlogik“) ist als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu qualifizieren (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 47 ff]):

[25] Eine Abschalteinrichtung, deren einziger Zweck darin besteht, die Einhaltung der in der VO 715/2007/EG vorgesehenen Grenzwerte allein während der Zulassungstests sicherzustellen, läuft der Verpflichtung zuwider, bei normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs eine wirkungsvolle Begrenzung der Emissionen sicherzustellen (EuGH 17. 12. 2020, C‑693/18 , CLCV [Rn 98] ÖJZ 2021/38 [Kumin/Maderbacher]). Daher kann eine Abschalteinrichtung, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Emissionskontrollsystems verbessert, damit die in der VO 715/2007/EG festgelegten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden können und so die Zulassung dieser Fahrzeuge erreicht wird, auch nicht unter die Ausnahmebestimmung des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG fallen (EuGH 17. 12. 2020, C‑693/18 , CLCV [Rn 115]; 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 47 f]; 6 Ob 150/22k [Rz 19]).

[26] 4.3. Eine solche Software ist auch im vorliegenden Fall zu beurteilen. Eine Offenlegung gegenüber der Typengenehmigungsbehörde hat die Beklagte im Verfahren – trotz des Klagevorbringens, dass aufgrund der „Manipulationssoftware“ keine ordnungsgemäße Durchführung des Typengenehmigungsverfahrens stattgefunden habe – nicht behauptet.

[27] 4.4. Nach dem Urteil des EuGH vom 14. 7. 2022, C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen[Rz 58], ist ein KFZ, das im Zeitpunkt der bedungenen Übergabe mit einer gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, nicht vertragskonform im Sinn der Verbrauchsgüterkauf-RL (Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, Abl L 171/12 vom 7. 7. 1999), konkret von Art 2 Abs 2 lit d dieser Richtlinie, weil es nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftiger Weise erwarten kann.

[28] 4.5. Diese Beurteilung nach der Verbrauchsgüterkauf-RL führt auch zur Qualifikation eines solchen KFZ als mangelhaft gemäß § 922 ABGB, weil es nicht die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften aufweist (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 46 ff, Rz 51]; 6 Ob 149/22p [Rz 16]; RS0107681 [T7]; vgl RS0018547 [T9]).

[29] 4.6. Ausgehend davon ist im vorliegenden Fall als Zwischenergebnis festzuhalten, dass das Fahrzeug im Übergabezeitpunkt mit einem Sachmangel iSd § 922 ABGB behaftet war.

5. Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, im Weg der Durchführung des Software-Updates einen allfälligen – von ihr bestrittenen – bei Übergabe vorhandenen Mangel, der im Vorhandensein einer nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotenen Abschalteinrichtung bestand, behoben zu haben.

[30] Ob dies der Fall ist, kann aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden.

[31] 5.1. Das Erstgericht stellte fest, dass bereits aufgrund der ursprünglich implementierten Software eine „Abschaltung“, also eine Reduktion der Abgasrückführung, „bei bestimmten Temperaturfenstern“ stattfand, um eine Schädigung des Motors durch Rußablagerungen und Versotten des Motors zu verhindern. Nach den Feststellungen wurde durch das Software-Update zwar jene Programmierung entfernt, durch die aufgrund des Erkennens des Prüfzyklus der Betriebsmodus mit höherer Abgasrückführung nur für das Durchfahren des NEFZ aktiviert worden war. Es finden sich allerdings keine Feststellungen zu der – wenn auch nur rudimentär – festgestellten, von der Emissionsprüfung unabhängigen Reduktion der Abgasrückführung in bestimmten Temperaturbereichen („Thermofenster“).

[32] 5.2. Auch in der Programmierung eines derartigen „Thermofensters“ kann – je nach der konkreten Ausgestaltung – eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 iVm Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG liegen (zur nicht anzuzweifelnden Qualifikation als Abschalteinrichtung siehe EuGH C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen [Rz 81]; 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 56]).

[33] So hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass eine Software, aufgrund derer der emissionsmindernde Betriebsmodus nicht mehr nur im Prüfbetrieb, sondern auch im Fahrbetrieb zum Einsatz kommt, allerdings nur bei Außentemperaturen zwischen (in jenen Fällen:) 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius voll wirksam ist, als Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG zu qualifizieren ist, die nicht nach dem Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG zulässig ist (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 55 ff]; 6 Ob 150/22k [Rz 23]; 10 Ob 16/23k [Rz 24] ZVR 2023/127, 315 [Kathrein]).

[34] 5.3. Liegt ein behebbarer Mangel vor, besteht gemäß § 932 Abs 1 ABGB zunächst ein Verbesserungsanspruch. Um diesen zum Erlöschen zu bringen, muss der Übergeber als anspruchsvernichtende Tatsache behaupten und beweisen, dass er den Mangel durch Verbesserung beseitigt hat. Tritt daher nach einem Verbesserungsversuch derselbe Mangel wieder auf, trifft den Übergeber die Beweislast für den Erfolg seines Verbesserungsversuchs (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 45]; 1 Ob 149/22a [Rz 28]; RS0106638 [T18]).

[35] 5.4. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Übernehmer schon bei Misslingen des ersten Verbesserungsversuchs den Sekundärbehelf (Wandlung oder Preisminderung) in Anspruch nehmen (RS0018722 [T2]; RS0018702 [T9]; 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 78]). Die – im vorliegenden Fall von der Klägerin geltend gemachte – Wandlung setzt gemäß § 932 Abs 4 ABGB überdies voraus, dass der Mangel nicht geringfügig ist.

[36] Dem Ausschluss des Wandlungsrechts bei Geringfügigkeit des Mangels liegt Art 3 Abs 6 Verbrauchsgüterkauf-RL zugrunde. Diese Bestimmung ist dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die darin besteht, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, deren Verwendung nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verboten ist, nicht als geringfügig eingestuft werden kann, selbst wenn der Verbraucher – falls er von der Existenz und dem Betrieb dieser Einrichtung Kenntnis gehabt hätte – dieses Fahrzeug dennoch gekauft hätte (EuGH C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen [Rz 82 ff, 97]; 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 80, dort offenkundig irrtümlich „nicht gekauft hätte“]).

[37] 5.5. Im vorliegenden Fall reichen die getroffenen Feststellungen nicht aus, um zu beurteilen, ob der im Vorhandensein einer nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung liegende Mangel des Fahrzeugs durch die Implementierung des Software-Updates behoben wurde oder ob weiterhin eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden ist.

[38] Da die Berechtigung des Begehrens auf Zahlung Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs auch aus irrtumsrechtlicher Perspektive derzeit nicht abschließend beurteilt werden kann (dazu sogleich), ist die Aufhebung der angefochtenen Urteile samt Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht erforderlich, das – nach Erörterung mit den Parteien – die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben wird.

[39] 6. In der Revision wird vorgebracht, das Berufungsgericht habe einen zur Vertragsanfechtung berechtigenden gemeinsamen Irrtum der Vertragsparteien zu Unrecht verneint.

[40] 6.1. Ein gemeinsamer wesentlicher Geschäftsirrtum bewirkt die Unverbindlichkeit des Vertrags unabhängig von den Voraussetzungen des § 871 ABGB (RS0016230 [T3]; zum Kauf eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Dieselfahrzeugs 8 Ob 91/22y [Rz 26]). Irrt der Erklärende über Punkte, die Inhalt des Rechtsgeschäfts sind, liegt ein Geschäftsirrtum vor (RS0014910 [T4]).

[41] Der Irrtum ist dann wesentlich, wenn der Erklärende ohne ihn das Geschäft nicht geschlossen hätte (RS0016201). Er ist unwesentlich, wenn das Geschäft mit anderem Inhalt abgeschlossen worden wäre (RS0082957; zum gemeinsamen Irrtum RS0016229). Die Beurteilung der Wesentlichkeit oder Unwesentlichkeit des Irrtums muss zunächst durch Feststellung des hypothetischen Willens der konkreten Parteien versucht werden. Erst wenn dies unmöglich ist, ist zu fragen, wie normale Personen redlicherweise gehandelt hätten (9 Ob 247/02t; Bollenberger/P. Bydlinski in KBB7 § 871 ABGB Rz 18; vgl 4 Ob 83/06v; RS0016201).

[42] 6.2. Die Klägerin brachte vor, sie habe (unter anderem) über die „Manipulationsfreiheit“, konkret das Nicht-Vorhandensein verbotener Abschalteinrichtungen, geirrt und hätte das Fahrzeug bei Kenntnis deren Vorhandenseins nicht gekauft.

[43] 6.3. Da es sich beim Nichtvorhandensein verbotener Abschalteinrichtungen um eine gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft eines PKW iSd § 922 ABGB handelt (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 50]), wäre ein Irrtum der Klägerin und der der Beklagten zuzurechnenden Personen über die ursprünglich implementierte „Umschaltlogik“ als gemeinsamer Geschäftsirrtum zu qualifizieren.

[44] 6.4. Ob ein solcher Irrtum vorlag und wesentlich war, kann nach den derzeitigen Feststellungen nicht beurteilt werden, weil die Feststellung, die Vertragsparteien hätten nicht gewusst, dass das Fahrzeug „in einen speziellen Motormodus am Prüfstand“ umschalte, über den für die Beurteilung relevanten Umstand, dass es sich dabei um eine unzulässige Programmierung handelte, keine Aussage trifft. Auch die Feststellung, die Klägerin hätte den Vertrag in Kenntnis der „wahren Sachlage“ dennoch, wenn auch zu anderen Bedingungen geschlossen, lässt nicht erkennen, welche Kenntnisse der Klägerin damit konkret unterstellt werden.

[45] 6.5. Sollte sich im fortgesetzten Verfahren erweisen, dass im Vertragsabschlusszeitpunkt ein gemeinsamer, wesentlicher Geschäftsirrtum vorlag, wird auch auf die von der Beklagten behauptete Klaglosstellung der Klägerin einzugehen sein (vgl dazu im Zusammenhang mit einem mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten PKW 2 Ob 5/23h [Rz 41]).

[46] 7. Für den Fall, dass sich im fortgesetzten Verfahren die Rückabwicklung des Kaufvertrags im Weg der Wandlung oder Irrtumsanfechtung als berechtigt erweist, wird mit den Parteien auch der Anspruch der Beklagten auf Benützungsentgelt zu erörtern sein (vgl dazu 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 92 ff]).

[47] 8. Da die Aufhebung der angefochtenen Urteile bereits zur Beurteilung der aus dem Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Übergabe- bzw Vertragsabschlusszeitpunkt resultierenden Ansprüche erforderlich ist, muss im derzeitigen Verfahrensstadium nicht auf die nach den Klagebehauptungen darüber hinaus geschuldeten Eigenschaften des Fahrzeugs als „umweltfreundlich“ mit „niedrigen Abgasemissionen“ und auf die in diesem Zusammenhang geltend gemachten Mängel des Berufungsverfahrens eingegangen werden.

[48] 9. Das Institut des Wegfalls oder Fehlens (vgl Bollenberger/P. Bydlinski in KBB7 § 901 ABGB Rz 6 ff) der Geschäftsgrundlage ist gegenüber anderen Möglichkeiten, rechtsgeschäftliche Bindungen zu beseitigen, nur als letztes Mittel heranzuziehen (RS0017454). Soweit die Revision mit dem Fehlen der Geschäftsgrundlage argumentiert, sind zuvor die vom Gesetz zur Verfügung gestellten Instrumentarien des Gewährleistungsrechts und der Vertragsanfechtung wegen Willensmängeln heranzuziehen.

[49] 10. Nicht jedes Rechtsgeschäft, das in irgendeiner Weise gegen die Rechtsordnung verstößt, ist deshalb nichtig iSd § 879 Abs 1 ABGB. Diese Rechtsfolge muss vielmehr entweder ausdrücklich angeordnet oder vom Verbotszweck erfordert werden (RS0016454 [T7]). Ausgehend von diesem Grundsatz ist die behauptete Nichtigkeit des Kaufvertrags nach § 879 Abs 1 ABGB zu verneinen.

[50] 11. Sollte sich das Begehren der Klägerin auf Rückabwicklung des Kaufvertrags über das Fahrzeug als berechtigt erweisen, besteht für die begehrte Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden aus dem am 14. 11. 2016 am Fahrzeug der Klägerin durchgeführten Software‑Update kein Raum. Daher ist im derzeitigen Verfahrensstadium zum Feststellungsbegehren nicht Stellung zu nehmen.

[51] 12. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

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