OGH 8ObA90/22a

OGH8ObA90/22a27.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ingomar Stupar (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M* K*, vertreten durch Dr. Michael Celar, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei E* A*, vertreten durch Draxler Rechtsanwälte KG in Wien, wegen 29.677,12 EUR sA und Ausstellung eines Dienstzeugnisses, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 28.581,90 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Oktober 2022, GZ 10 Ra 37/22t‑64, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00090.22A.0627.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Mangelhaftigkeit

[1] Ein dem Berufungsgericht unterlaufener Verfahrensverstoß bildet nur dann den Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO, wenn er abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0043027; RS0116273).

[2] Die Revision erachtet das Berufungsverfahren insofern als mangelhaft, als keine Feststellungen zu Überzahlungen getroffen worden seien und nicht darauf eingegangen worden sei, dass die beklagte Partei einen Urlaubsverbrauch konkret vorzubringen und zu beweisen gehabt hätte.

[3] Die Relevanz der Frage der genauen Höhe von Überzahlungen wird in der Revision nicht begründet und ist nicht ersichtlich. Ohne Bedeutung für das Ergebnis ist der behauptete Verfahrensmangel aber nicht aufzugreifen.

[4] Hinsichtlich des Urlaubsverbrauchs hat das Erstgericht eine konkrete Feststellung getroffen, sodass sich die Frage, welche Partei ursprünglich dafür beweispflichtig war, in dritter Instanz nicht mehr stellt (RS0039939 [T23, T26]).

2. Beendigungsart

[5] Die Auslegung von Willenserklärungen ist grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls, die regelmäßig keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufwirft (RS0109021 [T5] uva).

[6] Die Erklärung, einen Vertrag aufzulösen, ist so zu beurteilen, wie sie der Empfänger nach ihrem Wortlaut und dem Zweck unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände bei objektiver Betrachtungsweise verstehen konnte; auf eine davon abweichende subjektive Auffassung des Erklärenden kommt es dabei nicht an (RS0028612).

[7] Eine Austrittserklärung muss in diesem Sinn den Arbeitgeber als Erklärungsempfänger zweifelsfrei erkennen lassen, dass der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist vorzeitig auflöst. Treffen mündliche Erklärungen und schlüssige Handlungen zusammen, ist das Gesamtverhalten des Erklärenden für die Beurteilung des Erklärungswerts heranzuziehen (RS0014496 [T9]).

[8] Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass das festgestellte Verhalten des Klägers (Beendigungserklärung per SMS, Abgabe von Schlüssel und Diensthandy, Räumen der Dienstwohnung) objektiv als Austrittserklärung aufzufassen war, bewegt sich im Rahmen der dargestellten Grundsätze der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

[9] Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger am Tag nach dem Austritt über Verlangen der Beklagten eine vorbereitete Erklärung unterfertigt hat, in der sich die Formulierung findet, er habe sein Dienstverhältnis „aufgekündigt“, zumal er im selben Satz die einseitige Nichteinhaltung einer Kündigungsfrist („habe meinen Dienst beendet und meinen Arbeitsplatz verlassen“) bestätigt.

3. Berechtigung des Austritts

[10] Auch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RS0106298).

[11] Nur eine wesentliche Vertragsverletzung oder Gesetzesverletzung, die eine weitere Zusammenarbeit auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist ausschließt, berechtigt zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses (RS0028609 [T1]). Werden behauptete gesetzwidrige Zustände vom Arbeitnehmer jahrelang geduldet und sogar (hier: durch freiwillige Übernahme weiterer Tätigkeiten trotz behaupteter laufender Verstöße gegen Arbeitszeitvorschriften) gefördert, kann er sie nicht ohne vorherige Ankündigung zum Anlass eines plötzlichen Austritts nehmen (RS0028967 [T2, T3]).

[12] Von dieser Rechtsprechung ist das Berufungsgericht im Einzelfall nicht abgewichen. Die in der Revision hervorgehobene Überforderung des Klägers, die der Beklagten bekannt gewesen sei, betraf nach den Feststellungen die Kassaführung, zumal die vom Kläger vorgeschlagene Lösung nicht etwa in einer Kürzung seiner Arbeitsschichten, sondern in der Bereitstellung einer Kreditkarte bestehen hätte sollen.

4. Urlaubsersatzleistung

[13] Das Erstgericht hat festgestellt, dass der Kläger seinen kompletten Urlaubsanspruch verbraucht hat.

[14] Es ist der Revision zuzugestehen, dass „Urlaubsverbrauch“ einerseits einen Rechtsbegriff darstellt, andererseits handelt es sich aber auch um einen im allgemeinen Sprachgebrauch gängigen und kürzelhaft verwendeten Ausdruck für einen bestimmten Tatsachenkomplex (vgl 6 Ob 226/22m). Aus der ausführlichen Urteilsbegründung des Erstgerichts ergibt sich, dass es feststellen wollte, dass der Kläger seinen Urlaub, dessen zeitliche Lagerung ihm zwischen den Dienstschichten freigestellt war (vgl dazu RS0029629; RS0053087), tatsächlich konsumiert hat.

[15] Ausgehend davon vermag aber die Revision auch hinsichtlich des Urlaubsverbrauchs und des daran knüpfenden Anspruchs auf Ersatzleistung keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

[16] Inwieweit die zwischen den Parteien getroffene Modalität der konkreten Urlaubsvereinbarungen (unbefristetes Anbot, schlüssige Annahme) ex ante betrachtet hinreichend bestimmt und zulässig war, ist angesichts des tatsächlich nach den Feststellungen zustandegekommenen Urlaubskonsums nicht mehr relevant. Soweit die Revisionsausführungen argumentieren, die insgesamt 26 Wochen dienstfreier Zeiten des Klägers wären gleichsam als Ausgleich für die während der Arbeitsschichten geleisteten exorbitanten Arbeitszeiten zu sehen, übergehen sie, dass dem Kläger die Überstunden gesondert ausbezahlt wurden, soweit sie nicht im vereinbarten Pauschalentgelt enthalten waren.

[17] Da der Kläger keinen Stunden- oder Tageslohn, sondern ein (weitaus übertarifliches) Jahresgehalt bezogen hat, ist der Revisionsstandpunkt, dass es sich bei den Wochen zwischen seinen 14‑tägigen Arbeitsschichten um unbezahlte Freizeit gehandelt habe, nicht nachvollziehbar.

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