OGH 6Ob147/22v

OGH6Ob147/22v18.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* H*, vertreten durch Mag. Dr. Michael Kraus, LL.B., Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei O* GmbH, *, vertreten durch Huber & Dietrich Rechtsanwaltspartnerschaft in Linz, wegen 12.795,66 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 25. Mai 2022, GZ 2 R 78/22m‑21, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 25. März 2022, GZ 2 Cg 52/21a‑13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00147.22V.1118.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Übrigen in Rechtskraft erwachsen sind, werden im Umfang der Entscheidung über das Feststellungsbegehren und im Kostenpunkt aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger kann wegen eines von der beklagten Krankenanstaltenträgerin zu vertretenden Behandlungsfehlers im Rahmen seiner Geburt keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Haftung der (Rechtsvorgängerin der) Beklagten für alle künftigen kausalen Folgen wurde in einem Vorverfahren mit Urteil des Landesgerichts Linz rechtskräftig festgestellt. Für den Zeitraum Jänner 2017 bis Juni 2021 zahlte die Haftpflichtversicherung der Beklagten dem Kläger 108.848,96 EUR als Ersatz des Verdienstentgangs. Dabei legte sie das Gehaltsschema für den Oberösterreichischen Landesdienst (LD 14, Referent, Anlage 2, LD 14 Z 7 der Oberösterreichischen Einreihungsverordnung [OÖEV]) und ein fiktives Eintrittsdatum mit 1. 1. 2017 zugrunde, worauf man sich außergerichtlich zur Orientierung verständigt hatte. Sie zog aber von sich aus vom Nettoverdienst monatlich jeweils 200 EUR für ersparten berufsbedingten Mehraufwand ab.

[2] Der Kläger begehrte die Zahlung des in Abzug gebrachten Betrags von 200 EUR für 54 Monate unddes Verdienstentgangs für Juli 2021, insgesamt 12.795,66 EUR sA. Weiters begehrte der Kläger die Feststellung, die Beklagte hafte ihm für Verdienstentgang entsprechend einer Beschäftigung im Landesdienst gemäß OÖ GehG iVm der OÖEV für eine Tätigkeit im Gehaltsschema LD 14 (Referent, Anlage 2, LD 14 Z 7 der OÖEV), Eintrittsdatum 1. 1. 2017, ohne weiteren Abzug, insbesondere „berufsbedingter Mehraufwand“, sowie die für die Verdienstentgangszahlungen anfallende Einkommenssteuer des Klägers. Er brachte vor, das fiktive Eintrittsdatum und die Annahme einer Beschäftigung im Landesdienst mit dem genannten Gehaltsschema sei zwischen den Parteien für die Berechnung unstrittig. Aufgrund der Weigerung der Beklagten, den Abzug für berufsbedingten Mehraufwand zu unterlassen und der Mitteilung, auch für die Zukunft auf einem derartigen Abzug zu bestehen, habe er ein Interesse auf Feststellung der Haftung für Verdienstentgang ohne Abzug eines Vorteilsausgleichs auch in Hinkunft. Die Verdienstentgangsansprüche seien nicht sozialversicherungs-, aber einkommenssteuerpflichtig, weshalb die Beklagte auch für die ihm anfallenden Einkommenssteuerzahlungen hafte. Auch an der Feststellung dieser Haftung bestehe ein rechtliches Interesse. Der Schadensreferent der Haftpflichtversicherung der Beklagten habe (gemeint: bei seiner Einvernahme in der mündlichen Streitverhandlung) eine außergerichtliche Vereinbarung zur Leistung des Verdienstentgangs ab 1. 1. 2017 auf Basis einer Beschäftigung im Landesdienst gemäß dem im Feststellungsbegehren angeführten Gehaltsschema bestätigt. Lediglich der Abschluss eines prätorischen Vergleichs sei abgelehnt worden. Auch in Hinkunft solle die Liquidierung des Anspruches so erfolgen. Diese Vereinbarung werde von der Beklagten nunmehr bestritten, sodass sich auch daraus das Feststellungsinteresse ergebe.

[3] Die Beklagtewendete ein, es sei hinsichtlich der Berechnungsmethode des Verdienstentgangs keineswegs unstrittig, dass diese für immer aufrecht erhalten werde; sie sei lediglich für den bislang erfolgten Ersatz herangezogen worden. Ein außergerichtlicher Vergleich darüber sei nicht zustande gekommen. Die Feststellung der Berechnungsmethode eines Verdienstentgangs sei kein tauglicher Feststellungsgegenstand, umso weniger, als nicht sicher sei, dass ein „B‑Beamter“ auch in Zukunft nach genau der im Feststellungsbegehren beschriebenen Laufbahn entlohnt werde. Da sie den Verdienstentgang ohnehin nach dieser Methode berechnet und überwiesen habe, fehle das rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung. Ein Feststellungsinteresse bestehe auch nicht, weil der Abzug von 200 EUR monatlich durch Leistungsklage geltend zu machen wäre.

[4] Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren statt. Tatsächliche ersparte konkrete Aufwendungen des Klägers, die ihm als Vermögensvorteil angerechnet werden könnten, hätten sich nicht feststellen lassen. Das Feststellungsbegehren wies es hingegen ab, weil Feststellungsklagen subsidiär zu Leistungsklagen seien, die dem Kläger zur Verfolgung seiner auch zukünftigen Interessen offenstünden. Das Feststellungsbegehren sei der Sache nach auf die Klärung der Frage gerichtet, welche Bemessungsgrundlage für die Berechnung des Verdienstentgangs heranzuziehen sei. Die Anwendung einer bestimmten Berechnungsmethode sei jedoch kein geeigneter Feststellungsgegenstand. Die Beklagte hafte ohnehin bereits aufgrund des Behandlungsfehlers im Rahmen der Geburt des Klägers für alle kausalen Folgen.

[5] Das von beiden Streitteilen angerufene Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts zum Zahlungsbegehren. Zur Abweisung des Feststellungsbegehrens führte es aus, eine außergerichtlich geschlossene Vereinbarung, mit der sich die Beklagte zur Leistung einer Verdienstentgangsrente entsprechend dem Gehaltsschema verpflichtet hätte, sei im erstinstanzlichen Verfahren nicht behauptet worden. Das Vorbringen des Klägers decke die Behauptung eines Verpflichtungsgrundes nicht ab, sondern nur die Vereinbarung über eine Berechnungsmethode für einen auf anderer Grundlage bestehenden Verdienstentgangsanspruch. Das Bestreiten einer Vereinbarung (etwa eines außergerichtlichen Vergleichs oder auch eines Anerkenntnisses diesen Inhalts) begründe damit auch kein rechtliches Interesse an deren Feststellung. Solle – wie hier – nicht die Haftung für Folgen aus dem Behandlungsfehler an sich Gegenstand des Feststellungsbegehrens sein, sondern die durch Anlehnung an ein Gehaltsschema bestimmte Höhe des (unstrittig geschuldeten) Verdienstentgangs, so umfasse das Feststellungsbegehren tatsächlich die Festlegung einer Berechnungsmethode und damit nur eines nicht feststellungsfähigen einzelnen Elements eines Rechtsverhältnisses. Überdies sei die Verurteilung zu erst künftig fällig werdenden Verdienstentgangsansprüchen nach § 406 ZPO zulässig, weshalb das rechtliche Interesse an der Feststellung zu verneinen sei.

[6] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision betreffend die Abweisung des Feststellungsbegehrens zulässig sei, weil die Rechtsfrage höchstgerichtlicher Klärung bedürfe, inwieweit bei einem Verdienstentgangsanspruch nach einem bestimmten Gehaltsschema (also mit erwartbaren Erhöhungen) – im Hinblick auf (ziffernmäßige) Bestimmtheitsanforderungen an das Leistungsbegehren (§ 226 ZPO), und die nach § 406 ZPO nicht zu berücksichtigende „nachträgliche“ Änderung der Verhältnisse – ein nicht durch eine Leistungsklage abgedecktes rechtliches Interesse an der Feststellung bestehe.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die gegen die Abweisung des Feststellungsbegehrens gerichteteRevision des Klägers ist zulässig, weil dieVerneinung des Feststellungsinteresses durch das Berufungsgericht einer Korrektur bedarf. Sie ist im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Hiezu wurde erwogen:

[8] 1. Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Art der Berechnung des gesetzlich geschuldeten Verdienstentgangs nach § 1325 ABGB nicht feststellungsfähig ist, was auch die Frage umfasst, ob und welche Abzugsposten sich der Geschädigte als Vorteil anrechnen lassen muss (2 Ob 51/02t). Ebenso wie der Anspruch auf Ersatz der durch die Ersatzleistung entstehenden Steuerbelastung (2 Ob 184/17y [ErwGr 1.1.]; RS0028339; zur anzustellenden steuerlichen Zukunftsprognose vgl 2 Ob 78/19p [ErwGr II.1.]; RS0109819) ergibt sich der zu ersetzende Betrag ohnehin aus der geregelten objektiven Rechtslage, die nach ständiger Rechtsprechung nicht feststellungsfähig ist (5 Ob 212/21v [ErwGr 3.2.]; RS0039014 [T2]; vgl RS0038802). Auch eine in den Spruch des Urteils aufzunehmende Wertsicherung künftiger Rentenforderungen nach dem Verbraucherpreisindex oder kollektivvertraglichen Löhnen lehnt die Rechtsprechung ab (2 Ob 142/16w [ErwGr 4.]; RS0019225).

[9] 2. Dass der Ersatz künftigen Verdienstentgangs gemäß § 406 ZPO in Form einer Rente erfolgen kann, bedeutet hingegen nicht, dass der Geschädigte grundsätzlich gezwungen wäre, anstatt eines Feststellungsbegehrens ein Rentenbegehren zu stellen (2 Ob 161/89; vgl RS0031309; vgl auch 1 Ob 155/97v [ErwGr e): bei vorhersehbaren Rentenänderungen Feststellungsbegehren zur Verhinderung der Verjährung nötig]).

[10] 3.1 Im vorliegenden Fall hat der Kläger die Höhe des begehrten Verdienstentgangs und auch sein diesbezügliches Feststellungsbegehren ausschließlich auf eine vor dem Prozess außergerichtlich abgeschlossene vertragliche Vereinbarung mit der Beklagten über eine Bemessungsmethode für die Höhe seines bestehenden künftigen Verdienstentgangsanspruchs gestützt. Sonstige Gründe, weshalb die Beklagte Verdienstentgang gerade in der begehrten Höhe schulde, wurden hingegen nicht behauptet.

[11] Träfe das Vorbringen zu, bestünde ein Vertragsverhältnis, das die bestehende Schadenersatz‑verpflichtung der Beklagten auch für die Zukunft inhaltlich näher regelt.

[12] 3.2 Nach § 228 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder Rechts erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder Recht alsbald festgestellt werde. Das Recht oder Rechtsverhältnis muss kein selbständiges sein. Auch einzelne rechtliche Beziehungen, die nur Ausfluss eines weitergehenden Rechtsverhältnisses sind oder einzelne rechtliche Folgen einer solchen Rechtsbeziehung, wie etwa einzelne Forderungen oder daraus abgeleitete Ansprüche, können Gegenstand einer Feststellungsklage sein (2 Ob 61/19p [ErwGr 1.]; RS0039223; RS0039053; RS0038986; Frauenberger-Pfeiler in Fasching/Konecny³ III/1 § 228 ZPO Rz 39).Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen des Feststellungsinteresses ist der Schluss der Verhandlung erster Instanz (6 Ob 37/13d; RS0039085).

[13] 3.3 Mit der vorliegenden Klage soll (auch) festgestellt werden, ob die behauptete vertragliche Vereinbarung über die künftige Bemessung der Höhe der geschuldeten Verdienstentgangszahlungen besteht. Dieses Begehren zielt somit auf die Feststellung des Bestehens einer Vereinbarung über bestimmte aus dem Gesamtrechtsverhältnis abgeleitete rechtliche Folgen ab. Im Hinblick auf die erörterte Judikatur besteht kein Grund, diesem grundsätzlich die Feststellungsfähigkeit zu verwehren (vgl 7 Ob 148/05y[im Vertragsverhältnis anzuwendende künftige Abrechnungsmethode]).

[14] 3.4 Eine Feststellungsklage ist selbst dann möglich, wenn ein Leistungsanspruch in Betracht kommt, aber der Kläger ein umfassenderes Rechtsschutzziel verfolgt, das Rechtsschutzziel mit dem Feststellungsanspruch einfacher, sicherer und prozessökonomischer erreicht werden kann, was insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen gilt (RS0039110), oder wenn das Feststellungsbegehren geeignet ist, über die Rechtsbeziehungen der Parteien Klarheit zu schaffen und einen künftigen Leistungsanspruch abzuschneiden (6 Ob 91/21g [ErwGr 2.3.]; vgl 3 Ob 150/13z [ErwGr 2.]; RS0038908). Diese Voraussetzungen sind etwa dann gegeben, wenn ein Vertragspartner einen vom anderen behaupteten, noch nicht fälligen Anspruch bzw das Rechtsverhältnis bestreitet, weil ein den bestrittenen Anspruch feststellendes Urteil den Schuldner regelmäßig zur Leistung bei Fälligkeit bewegen und damit eine Leistungsklage erübrigen wird (RS0038908 [T14]). Bei einem Dauerschuldverhältnis ist das rechtliche Interesse an der alsbaldigen Feststellung seines Bestehens und seines Inhalts regelmäßig zu bejahen, weil mit der Leistungsklage nur einzelne daraus entspringende Ansprüche geltend gemacht werden können (vgl 6 Ob 127/20z; RS0038809). Diese Grundsätze gelten auch für Unterhaltsvereinbarungen (2 Ob 219/11m [ErwGr 4.]).

[15] 3.5 Im vorliegenden Fall wurde die behauptete Vereinbarung von der Beklagten bestritten. Bestünde eine solche Vereinbarung, wäre über die Bemessung des von der Beklagten künftig zu leistenden Verdienstentgangs – unbeschadet der für derartige Ansprüche geltenden clausula rebus sic stantibus (vgl RS0000653) – Klarheit geschaffen und künftige Prozesse insoweit abgekürzt. Das rechtliche Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung ist daher zu bejahen.

[16] 4. Mangels für die Beurteilung des Zustandekommens der strittigen Vereinbarung erforderlicher Feststellungen war der Revision des Klägers im Sinne des gestellten Aufhebungsantrags Folge zu geben. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren die entsprechenden Feststellungen zu treffen und über das Feststellungsbegehren neuerlich zu entscheiden haben. Von den dazu zu treffenden Feststellungen wird auch abhängen, ob die allfällige Vereinbarung auch Fragen der Einkommenssteuer oder der Vornahme von Abzügen umfasste. Nur in diesem Fall käme ein entsprechendes Feststellungsbegehren in Betracht (siehe oben Punkt 1.).

[17] 5. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.

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