OGH 2Ob78/19p

OGH2Ob78/19p22.10.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. A***** K*****, vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in Schruns, gegen die beklagten Parteien 1. W***** W*****, und 2. U***** Versicherungen AG, *****, beide vertreten durch Dr. Frank Philipp, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen zuletzt 211.610 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. April 2019, GZ 1 R 30/19z‑72, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 17. Jänner 2019, GZ 56 Cg 100/15h‑66, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0020OB00078.19P.1022.000

 

Spruch:

 

I. Die Bezeichnung der zweitbeklagten Partei wird von „U*****versicherung AG“ auf „U***** Versicherungen AG“ berichtigt.

II. Die außerordentliche Revision wegen Nichtigkeit wird verworfen.

III. Im Übrigen wird der außerordentlichen Revision teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Teilurteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung einschließlich der bereits in Rechtskraft erwachsenen Aussprüche der Vorinstanzen zu lauten hat:

„1. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei 36.185,10 EUR samt 4 % Zinsen seit 25. 8. 2015 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

2. Das Mehrbegehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei weitere 5.799,77 EUR samt 4 % Zinsen seit 25. 8. 2015 zu bezahlen, wird abgewiesen.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz bleibt dem Endurteil vorbehalten.“

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig der klagenden Partei die mit 242,16 EUR (darin enthalten 40,36 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Nach der am 12. 10. 2012 zu FN ***** und FN ***** im Firmenbuch eingetragenen Verschmelzung wurde die übernehmende „U***** Versicherungen AG“ gemäß § 225a Abs 3 AktG Gesamtrechtsnachfolgerin der übertragenden „U*****versicherung AG“. Die Bezeichnung der zweitbeklagten Partei ist daher gemäß § 235 Abs 5 ZPO von Amts wegen zu berichtigen.

Die Klägerin wurde am 19. 10. 2009 bei einem Verkehrsunfall verletzt. Sie war zum Unfallszeitpunkt bei der Vorarlberger Gebietskrankenkasse als Zahnärztin unselbständig beschäftigt.

Mit der am 1. 3. 2011 zu AZ 6 Cg 42/11f des Landesgerichts Feldkirch eingebrachten Klage machte die Klägerin gegen die (auch hier) als Lenker und Haftpflichtversicherer beklagten Parteien unter anderem Verdienstentgang für den Zeitraum 2010 bis 2013 geltend und stellte auch ein Feststellungsbegehren. Nach der unstrittigen Aktenlage dieses im gegenständlichen Verfahren erörterten Vorprozesses (vgl 2 Ob 142/16w) begehrte die Klägerin dort zunächst für das Jahr 2010 Verdienstentgang in Höhe eines (monatlich aufgeschlüsselten) Nettobetrags. Nach Einlangen des Gutachtens der dort bestellten Sachverständigen aus dem Fachbereich Buchführung, Bilanzierung und Kostenrechnung dehnte die Klägerin ihr Verdienstentgangsbegehren in der Tagsatzung vom 20. 1. 2012 auf einen Bruttobetrag von 112.997,82 EUR für die Jahre 2010 und 2011 aus. In der Folge kam es zu mehreren Ergänzungen dieses Gutachtens. Im Zuge derer schränkte die Klägerin ihr Verdienstentgangsbegehren in der Tagsatzung vom 18. 2. 2014 wieder auf Nettobeträge für die Jahre 2010 bis 2011 ein und dehnte es um Nettobeträge für die Jahre 2012 und 2013 aus. Mit Urteil vom 4. 8. 2015 wurde in diesem Vorprozess festgestellt, dass die (auch hier) als Lenker und Haftpflichtversicherer beklagten Parteien der Klägerin für alle künftigen Schadenersatzansprüche aus diesem Unfall zur ungeteilten Hand haften, die zweitbeklagte Partei beschränkt mit der Haftpflichtversicherungssumme. Dieser Ausspruch erwuchs unbekämpft in Rechtskraft. Mit ihrem Leistungsbegehren drang die Klägerin in erster Instanz hingegen nur teilweise durch. Im dazu abgeführten Berufungsverfahren gab jedoch das dortige Berufungsgericht dem Verdienstentgangsbegehren der Klägerin für den Zeitraum 2010 bis 2013 in Höhe von netto 72.059,57 EUR sA zur Gänze statt, wobei dabei eine Teilzahlung der zweitbeklagten Partei von 20.000 EUR berücksichtigt wurde. Auch diese Entscheidung wurde rechtskräftig.

Mit der nunmehrigen, am 1. 10. 2015 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin weiteren Verdienstentgang von insgesamt 211.610 EUR sA. Der Vorprozess sowie die darin ergangene Berufungsentscheidung hätten lediglich den Nettoverdienstentgang der Klägerin betroffen. Nun werde der auf die Steuern entfallende Teil des Bruttoverdienstentgangs für die Jahre 2010 bis 2013 geltend gemacht. Dieser betrage nach dem Gutachten der im Vorprozess bestellten Sachverständigen 93.198,09 EUR. In der Folge schränkte die Klägerin diesen Betrag auf 41.988 EUR ein. Daneben macht sie weitere (Brutto‑)Verdienstentgangsbeträge für die Jahre 2014 und 2015 geltend.

Die beklagten Parteien wendeten unter anderem ein, der Verdienstentgang der Jahre 2010 bis 2013 könne nicht neuerlich geltend gemacht werden. Ansprüche für mehr als drei Jahre vor der Klagszustellung am 9. 10. 2015 zurückliegende Zeiträume seien verjährt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es stellte – soweit für das Revisionsverfahren relevant – fest, dass sich unter Berücksichtigung eines Zuflusses von (insgesamt) 101.926,17 EUR für den Verdienstentgang der Jahre 2010 bis 2013 im Mai 2016 eine Steuerbelastung von 21.077 EUR ergab. Der Ersatz dieses Betrags verursachte eine zusätzliche Steuerbelastung in Höhe von 20.911 EUR, sodass diese insgesamt 41.988 EUR betrug. In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Ansicht, die Klägerin habe Anspruch auf Ersatz der Steuerbelastung, um insgesamt den Nettoverdienstentgang zu erhalten. Durch die Einbringung einer Feststellungsklage im Vorprozess sei die Verjährung von nicht fälligen und zukünftigen Schadenersatzansprüchen unterbrochen worden. Diese habe erst mit Rechtskraft des Feststellungsurteils wieder zu laufen begonnen.

Das hinsichtlich des 1.601,87 EUR (Verdienstentgang aus dem Jahr 2014) übersteigenden Teils des Zuspruchs angerufene Berufungsgericht bestätigte das angefochtene Urteil – unter Einschluss des in Rechtskraft erwachsenen Zuspruchs – als Teilurteil im Umfang von 41.984,87 EUR sA und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Im Übrigen hob es das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Das Berufungsgericht begründete das Teilurteil hinsichtlich des davon umfassten – für das Revisionsverfahren allein bedeutsamen – Zuspruchs von 21.077 EUR damit, dass der Klägerin die durch die Zahlung des Verdienstentgangs für die Jahre 2010 bis 2013 durch die zweitbeklagte Partei ausgelöste Steuerbelastung in dieser Höhe zustehe. Da die steuerliche Behandlung vom Zufluss des Verdienstentgangsbetrags abhänge, gehe der Verjährungseinwand in Bezug auf die erst im Jahr 2016 erfolgte Zahlung ins Leere. Der „Steuerschaden“ sei erst im Jahr 2016 bei der Klägerin eingetreten.

Gegen den im Teilurteil des Berufungsgerichts enthaltenen Zuspruch von 21.077 EUR sA richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, das angefochtene Teilurteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren in diesem Umfang abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der ihr durch den Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Sie ist auch teilweise berechtigt.

Die Revisionswerberin macht geltend die erstmalige und getrennte Geltendmachung des „Steuerschadens“ verstoße gegen die Einmaligkeitswirkung der Entscheidung im Vorprozess über die Verdienstentgangsansprüche der Klägerin für die Jahre 2010 bis 2013, womit sie inhaltlich einen Nichtigkeitsgrund releviert. Im Übrigen verjähre der Ersatzanspruch auf jene Steuerbelastung, die nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwarten sei, nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs drei Jahre nach Ablauf jenes Monats, in dem die einzelnen Verdienstentgangsbeträge, mit denen die Steuern verbunden seien, fällig geworden seien. Das Klagebegehren sei daher im Umfang der Steuerbelastung für die Verdienstentgangsperioden aus den Jahren 2010 bis 2013 verjährt.

Hiezu wurde erwogen:

I. Zur behaupteten Nichtigkeit:

Die „Einmaligkeitswirkung“ als Folge der Rechtskraft (vgl RS0041115) der Entscheidung im Vorprozess über die Verdienstentgangsansprüche der Klägerin im Zeitraum 2010 bis 2013 steht der nunmehrigen Klage schon deshalb nicht entgegen, weil der Ersatz der hier geltend gemachten Steuerbelastung nicht Gegenstand dieser Entscheidung war.

II. Zur Rechtsrüge:

1. Nach ständiger Rechtsprechung verjährt der Anspruch auf Ersatz jener Steuerbelastung, die nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz für den Kläger zu erwarten ist, drei Jahre nach Ablauf jenes Monats, in dem die einzelnen Verdienstentgangsrenten fällig wurden (2 Ob 100/10k; RS0109819). Nur wenn der Kläger einen zusätzlichen Vermögensschaden dadurch erlitten hat, dass sich die im Vorprozess anzustellende steuerliche Zukunftsprognose aus besonderen, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge nicht zu erwartenden Umständen als unzutreffend herausgestellt hat, liegt insoweit ein weiterer Schaden vor, dessen Verjährung gesondert zu laufen beginnt (2 Ob 2/02m; 2 Ob 68/95; RS0109819). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, sodass die Rechtsansicht des Berufungsgerichts zum Beginn der Verjährungsfrist nicht zutrifft.

2. Durch die Einbringung einer Feststellungsklage wird die Verjährung aller in diesem Zeitpunkt noch nicht fälligen und daher zukünftigen Schadenersatzansprüche unterbrochen (RS0034771), weshalb auch eine Klagsausdehnung auf später fällig werdende Beträge nicht erforderlich ist. Die Unterbrechung der Verjährung endet (frühestens) mit der Zustellung des dem Feststellungsbegehren stattgebenden Urteils (2 Ob 33/09f mwN). Dies gilt auch für alle im Zeitpunkt der Klage noch nicht fälligen und daher zukünftigen Rentenansprüche (RS0034371), die der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1480 ABGB unterliegen und zu denen auch Verdienstentgangsansprüche gehören (2 Ob 125/11p mwN; RS0030928). Darunter sind auch solche zu verstehen, die zwischen der Einbringung der Feststellungsklage und der Zustellung des Feststellungsurteils angefallen sind (2 Ob 33/09f). Für die in diesem Zeitraum fällig gewordenen Leistungen beginnt die Verjährungsfrist mit dem Wegfall der Unterbrechungswirkung neu zu laufen, sodass auch Ansprüche, die während des anhängigen Feststellungsprozesses noch gar nicht geltend gemacht worden sind, jedenfalls innerhalb von drei Jahren nach Zustellung des Feststellungsurteils eingeklagt werden können (2 Ob 33/09f). Aus dieser Rechtsprechung folgt, dass innerhalb der nach Ende der Unterbrechungswirkung neu laufenden Verjährungsfrist auch die betragliche Ausdehnung einzelner, während des Feststellungsprozesses bereits geltend gemachter Rentenbeträge noch möglich ist (2 Ob 33/09f), und zwar auch durch neuerliche Klagseinbringung (vgl 2 Ob 68/95).

Jene Verdienstentgangsansprüche, die nach Klagseinbringung im Vorprozess am 1. 3. 2011 fällig geworden sind, sind daher nicht verjährt, weil schon zwischen Fällung des Feststellungsurteils vom 4. 8. 2015 und der Klagseinbringung im gegenständlichen Verfahren am 1. 10. 2015 weniger als drei Jahre liegen.

3. Anders stellt sich die Situation jedoch betreffend die bei Einbringung der Klage im Vorprozess am 1. 3. 2011 bereits fälligen Verdienstentgangsansprüche dar, das sind jene für das Jahr 2010 und für Jänner und Februar 2011:

3.1 Die Verjährung bereits fälliger, mit Leistungsklage einklagbarer Ansprüche wird durch die Feststellungsklage nicht unterbrochen (2 Ob 180/13d; RS0034286 [T8]). Die Klägerin hat im Vorprozess ihren Verdienstentgang zunächst in nach Monaten aufgeschlüsselten Nettobeträgen geltend gemacht. Es musste ihr klar gewesen sein, dass die erwartete Entschädigungsleistung der Einkommensteuer unterliegt (vgl 2 Ob 68/95; 2 Ob 2/02m). Darüber hinaus hat die Klägerin nach Einlangen des Sachverständigengutachtens ihr Verdienstentgangsbegehren im Vorprozess für den bei Klagseinbringung bereits fälligen Zeitraum unter Berücksichtigung des ihr nach Zufluss erwachsenden „Steuerschadens“ ausgedehnt und bereits am 20. 1. 2012 zunächst auch „brutto“ geltend gemacht, ehe sie im weiteren Verfahrenslauf das Begehren wieder auf Nettobeträge einschränkte. Es ist somit nicht zu erkennen, dass im Vorprozess die Bezifferung der nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartenden Steuerbelastung infolge des Zuflusses des begehrten Entschädigungsbetrags nicht möglich gewesen wäre. Schließlich hat die Klägerin auch im gegenständlichen Verfahren in erster Instanz selbst mehrfach vorgebracht, unabhängig vom Zuflusszeitpunkt der Verdienstentgangszahlungen immer 50 % Einkommensteuer bezahlen zu müssen, sodass der Bruttoverdienst errechnet werden könne.

3.2 Das bedeutet, dass die Klagsforderung, soweit sie die auf das Jahr 2010 und sowie die Monate Jänner und Februar 2011 entfallende Steuerbelastung betrifft, bereits verjährt ist.

Nach dem Ergebnis des Vorprozesses betrug der Nettoverdienstentgang der Klägerin (ohne Berücksichtigung der geleisteten Teilzahlung) für den Zeitraum 2010 bis 2013 92.059,47 EUR und zwar für das Jahr 2010 21.770,22 EUR, für das Jahr 2011 21.584,06 EUR, für das Jahr 2012 23.116,60 EUR und für das Jahr 2013 25.588,59 EUR. Bei Aufteilung des im gegenständlichen Verfahren vom Berufungsgericht zuerkannten „Steuerschadens“ aus dem Nettoverdienstentgang des Zeitraums 2010 bis 2013 von insgesamt 21.077 EUR nach dem Verhältnis dieser Beträge ergibt sich für das Jahr 2010 sowie für Jänner und Februar 2011 ein anteiliger Betrag von insgesamt 5.799,77 EUR, der bereits verjährt und daher abzuweisen ist.

Das angefochtene Teilurteil ist somit in diesem Sinne abzuändern.

4. Der Kostenvorbehalt hinsichtlich der Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens beruht auf § 52 Abs 4 ZPO. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 43 Abs 1 iVm § 50 ZPO (RS0035972), ausgehend von einer Obsiegensquote der Klägerin von 72 %.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte