European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00212.21V.0609.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger begehrt die Aufhebung und hilfsweise die Scheidung der im Jahr 2009 mit der Beklagten geschlossenen Ehe. Die Beklagte habe vor der Eheschließung angegeben, sie liebe nur ihn und führe keine Beziehung zu einem anderen Mann. Hätte sie dem Kläger berichtet, dass sie in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Eheschließung noch eine Beziehung mit einem anderen Mann geführt habe, mit diesem sogar zeitweise verlobt gewesen sei und in dem für die Empfängnis des gemeinsamen Sohnes in Betracht kommenden Zeitraum noch mit einem anderen Mann geschlechtlich verkehrt habe, so hätte er die Ehe mit ihr nicht geschlossen.
[2] Die Beklagte beantragte Klageabweisung und stellte einen Zwischenantrag auf Feststellung, dass ihr in einem näher bestimmten Zeitraum vor der Eheschließung a. das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und sexuelle Freiheit der Wahl ihrer Intimpartner, in eventu das Recht auf Ausübung von Beziehungen sexueller Art zu anderen Menschen, in eventu das Recht auf Ausübung eines Sexuallebens als Ausdruck ihrer Individualität, in eventu das Recht auf private Entfaltungsmöglichkeit in sexueller Hinsicht zugekommen sei, und b. das Recht auf Wahrung ihrer Verschwiegenheitspflicht über die ihre vorehelichen Intimpartner betreffenden personenbezogenen Daten und das Recht der Verweigerung der Auskunft über die ihre vorehelichen Intimpartner betreffenden personenbezogenen Daten, in eventu auf Wahrung ihrer Verschwiegenheitspflicht über die ihre vorehelichen Intimpartner betreffenden personenbezogenen Daten, in eventu auf Verweigerung der Auskunft über die ihre vorehelichen Intimpartner betreffenden personenbezogenen Daten zukomme.
[3] Die Beklagte brachte dazu zusammengefasst vor, dass die festzustellenden Rechte Vorfragen für die Entscheidung über das Eheaufhebungsbegehren des Klägers seien. Die aus diesen Rechten abzuleitende Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen der §§ 37 ff EheG entziehe der Aufhebungsklage die Rechtsgrundlage und mache ein weiteres Beweisverfahren entbehrlich. Die Feststellung dieser Rechte hätte aber auch über den konkreten Rechtsstreit hinaus Auswirkung auf das anhängige Scheidungs‑ und Unterhaltsverfahren sowie auf ein daran anschließendes Aufteilungsverfahren, weil dann die Ehe und der eheliche Unterhaltsanspruch weiterbestünden und keine Aufteilung erlaubt sei. Auch die vom Ehemann für den Fall der Eheaufhebung bereits angekündigten Rückforderungsansprüche wären präjudiziert.
[4] Das Erstgericht wies den Zwischenantrag auf Feststellung mangels Vorliegens der formellen Voraussetzungen zurück.
[5] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels Notwendigkeit der Lösung von Rechtsfragen iSd § 528 Abs 1 ZPO nicht zu.
[6] Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten. Sie macht unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Zwischenfeststellungsantrag stattgegeben wird. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag. Die Beklagte regt zudem an, in Bezug auf die §§ 37, 38 EheG ein Gesetzesprüfungsverfahren gemäß Art 89 Abs 2 iVm Art 140 Abs 1 B‑VG einzuleiten.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die Anfechtung der Bestätigung der Zurückweisung eines Zwischenantrags auf Feststellung ist analog § 528 Abs 2 Z 2 ZPO wie die Anfechtung der Bestätigung der Zurückweisung einer Klage aus formellen Gründen nicht jedenfalls unzulässig (RIS‑Justiz RS0119816, RS0118457). Demzufolge wäre der Revisionsrekurs zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO abhängt. Die am Wert des Entscheidungsgegenstands anknüpfenden Zulässigkeitsvoraussetzungen sind losgelöst von § 502 Abs 5 ZPO schon deshalb nicht anwendbar, weil sich der Entscheidungsgegenstand mangels Vermögenswerts einer Bewertung entzieht.
[8] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO auf; dieser ist daher unzulässig und zurückzuweisen.
[9] 1. Der Zwischenantrag auf Feststellung ist ein vom Kläger (§ 236 Abs 1 ZPO) oder Beklagten (§ 259 Abs 2 ZPO) während eines anhängigen Rechtsstreits gestellter Antrag mit dem Begehren, mit Urteil über den Bestand oder Nichtbestand eines für die Entscheidung über das Klagebegehren oder ein Gegenrecht präjudizielles, in seiner Bedeutung über den konkreten Rechtsstreit hinausgehenden Rechts oder Rechtsverhältnisses abzusprechen; dies führt zur Verselbständigung der Vorfrage, sodass diese nicht bloß in den Gründen beurteilt, sondern im Spruch des Urteils und daher mit bindender Wirkung entschieden wird.
[10] Ein Zwischenantrag des Klägers verfolgt daher den Zweck, Vorfragen für den Klageanspruch über den Rahmen des konkreten Rechtsstreits hinaus mit Rechtskraftwirkung festzustellen. Für den Beklagten ist der Zwischenantrag ein Abwehrmittel, mit dem er die rechtskräftige und über den konkreten Rechtsstreit hinausreichende Feststellung begehrt, dass das für den Anspruch des Klägers präjudizielle Rechtsverhältnis nicht besteht (8 Ob 22/17v; 10 Ob 95/15s; 10 Ob 86/07f mwN; RS0039621; RS0039600 [T7]; RS0039560). Gegenstand der Feststellung kann nur ein Recht oder Rechtsverhältnis, nicht aber die Feststellung einer Tatsache sein (RS0039621 [T2]; RS0039598).
[11] 2.1. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Zwischenantrags auf Feststellung ist, – neben den allgemeinen Prozessvoraussetzungen – dass das festzustellende Rechtsverhältnis oder Recht bestritten wurde, für die Entscheidung in der Hauptsache über das Hauptbegehren präjudiziell ist und in seiner Bedeutung über den konkreten Rechtsstreit hinausreicht (10 Ob 86/07f; RS0039468 [T5]; RS0039600 [T2, T10]; RS0039539).
[12] Diese Voraussetzungen sind von Amts wegen zu prüfen (RS0039444).
[13] 2.2. Ein Rechtsverhältnis oder Recht ist präjudiziell, wenn die Entscheidung des Prozesses ganz oder zum Teil von dessen Bestehen oder Nichtbestehen abhängt, ohne dass aber das Rechtsverhältnis oder Recht mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch ident ist (RS0039539 [T1,T5]).
[14] Der Zwischenantrag auf Feststellung setzt einen prozessökonomischen Zweck voraus; daher können einzelne Rechtsfragen, die die Entscheidung über den Anspruch notwendigerweise in sich begreift, nicht Gegenstand eines Zwischenantrags auf Feststellung sein (RS0039695). Der Zwischenfeststellungsantrag dient also nicht dem Zweck, einzelne Rechtsfragen für sich herauszuheben und zum Gegenstand eines Urteils zu machen (RS0039615).
[15] 2.3. Die Wirkung einer durch den Zwischenantrag begehrten Feststellung muss über den konkreten Rechtsstreit hinausgehen (RS0039468 [T3]). Reicht die Bedeutung der Feststellung über den konkreten Rechtsstreit nicht hinaus, besteht kein Bedürfnis nach selbständiger urteilsmäßiger Feststellung des präjudiziellen Rechtsverhältnisses, weil die in den Entscheidungsgründen vorgenommene Beurteilung zur Erledigung des konkreten Rechtsstreits ausreicht und sich in ihm erschöpft (RS0039468 [T4]; RS0039600 [T8]).
[16] Die über den konkreten Rechtsstreit hinausgehende Wirkung muss dabei dem Vorbringen des Antragstellers oder aus der ganzen Sachlage heraus klar erkennbar sein (RS0039468 [T3]). Die bloße, nicht näher konkretisierte Behauptung, die begehrte Feststellung wirke über den Rahmen des Rechtsstreits hinaus, und/oder die bloße theoretische Möglichkeit der Geltendmachung weiterer Ansprüche genügt nicht für die Zulässigkeit eines Zwischenfeststellungsantrags; es muss nach der konkreten Lage des einzelnen Falls die Präjudizialität der zu klärenden Frage für andere Ansprüche des Antragstellers wahrscheinlich sein (RS0039514; RS0039528).
[17] 3.1. Die übereinstimmende Auffassung der Vorinstanzen, dass hier die Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen Zwischenantrag auf Feststellung nicht vorliegen, hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung und bedarf daher keiner Korrektur im Einzelfall.
[18] 3.2. Die Beklagte begehrt mit den unterschiedlichen sprachlichen Varianten des ersten Hauptbegehrens und der zwei Eventualbegehren dazu im Kern die Feststellung, dass ihr (auch) bezogen auf einen konkreten Zeitraum das grundrechtlich geschützte Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zukommt. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Zwischenantrags auf Feststellung ist jedoch, dass dieser auf Feststellung eines im Lauf des Prozesses streitig gewordenen Rechtsverhältnisses oder Rechts gerichtet ist. Unter einem solchen im Lauf des Prozesses streitig gewordenen Rechtsverhältnis oder Recht sind zum einen die bestimmte, durch den vorgetragenen Sachverhalt gegebene und konkretisierte rechtlich geregelte Beziehung von Personen untereinander oder von Personen zu Sachen, zum anderen auch einzelne rechtliche Folgen einer solchen Beziehung wie etwa einzelne Forderungen oder daraus abgeleitete Ansprüche zu verstehen (3 Ob 594/81 = RS0039612; RS0039223 [T3, T4]). Die ohnehin geregelte objektive Rechtslage ist hingegen nicht feststellungsfähig (RS0039014 [T2]; RS0038802; RS0039215 [T3]; RS0037422 [T3, T8]). Das gilt im Besonderen für die Kontrolle einer abstrakten Norm auf ihre Verfassungskonformität (3 Ob 594/81 = RS0039612 [Kirchenbeitragsordnung]).
[19] Das von der Beklagten primär aus Art 8 EMRK abgeleitete Recht auf sexuelle Selbstbestimmung kann daher nicht für sich allein herausgehoben und zum Gegenstand eines Feststellungsbegehrens gemacht werden, auch wenn der Kläger dieses im Grundsatz bestreiten sollte. Allein mit dieser begehrten Feststellung wäre zudem über das Bestehen oder Nichtbestehen der vom Kläger geltend gemachten Eheaufhebungsgründe noch nichts Abschließendes gesagt. Schon das Rekursgericht wies zutreffend darauf hin, dass das Bestehen dieses Rechts nicht gleichbedeutend damit ist, dass dessen Ausübung im zeitlichen Zusammenhang mit einer Eheschließung in Bezug auf die Tatbestände der §§ 37, 38 EheG keine Rechtsfolgen nach sich ziehen kann. Damit zielt der Zwischenfeststellungsantrag aber (nur) auf die Lösung einer einzelnen Rechtsfrage und nicht auf die Feststellung eines Rechts im Sinne der Rechtsprechung zum Zwischenantrag auf Feststellung ab (vgl 1 Ob 15/13g). Eine solche Teilfrage kann nicht herausgegriffen und zum Gegenstand der Entscheidung gemacht werden (RS0039484 [T1]); jedenfalls dann nicht, wenn die Entscheidung über den Anspruch die Entscheidung über diese und ähnliche Einwendungen notwendigerweise in sich begreift und die Entscheidung über die Einwendungen keine über den geltend gemachten Anspruch hinausgehende Bedeutung hat (RS0039680).
[20] Die Beklagte behauptet zwar eine über den konkreten Rechtsstreit hinausgehende Wirkung der festzustellenden Rechte, weil dieses Auswirkung auf weitere teils schon anhängige, teils angekündigte Verfahren (Scheidung, Unterhalt, Aufteilung, Rückforderung) habe. Dem hielt das Rekursgericht aber zutreffend entgegen, dass diese damit geltend gemachte präjudizielle Wirkung auf die genannten Verfahren nicht dem festzustellenden Selbstbestimmungsrecht, sondern der Entscheidung über die Eheaufhebungsklage zukommt.
[21] 3.3. Diese Erwägungen gelten gleichermaßen für die von der Beklagten begehrte Feststellung der aus ihrem Geheimhaltungsinteresse an Informationen über ihr sexuelles Privatleben abgeleiteten und neben Art 8 EMRK auch auf § 1 DSG und Art 6 Abs 1 EMRK gestützten Rechte auf Wahrung ihrer Verschwiegenheitspflicht und Verweigerung der Auskunft.
[22] Auch insofern gilt, dass die ohnehin geregelte objektive Rechtslage und die Vereinbarkeit abstrakter Verfahrensbestimmungen (§§ 380f, 460 Z 1 ZPO) mit den Verfahrensgarantien des Art 6 Abs 1 EMRK nicht feststellungsfähig ist und der Zwischenfeststellungsantrag der Beklagten damit (nur) auf die Lösung einer einzelnen (Verfahrens‑)Rechtsfrage abzielt, die nicht herausgegriffen und zum Gegenstand der Entscheidung gemacht werden kann, weil die Entscheidung über den Anspruch die Entscheidung darüber notwendigerweise in sich begreift und diese keine über den geltend gemachten Anspruch hinausgehende Bedeutung hat.
[23] 4. Der Anregung auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 89 Abs 2 iVm Art 140 Abs 1 B‑VG ist schon deshalb nicht zu folgen, weil die von der Beklagten angegriffenen Bestimmungen der §§ 37 und 38 EheG in diesem Rechtsmittelverfahren über die Zulässigkeit des Zwischenantrags auf Feststellung nicht anzuwenden und daher für die Entscheidung nicht präjudiziell sind.
[24] 5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
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