European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00163.22X.1017.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
I. Dem außerordentlichen Revisionsrekurs im Verfahren gegenüber dem Zweitgegner der gefährdeten Partei wird teilweise Folge gegeben.
Der Beschluss des Rekursgerichts wird im Umfang der Entscheidung über das Sicherungsbegehren, den Zweitgegner der gefährdeten Partei zur Unterlassung der Behauptungen, die gefährdete Partei habe ihre Mutter Dr. M* (grob fahrlässig/vorsätzlich) getötet, sie verkaufe Wertgegenstände aus deren Wohnung und bewohne diese ohne Belastung, zu verpflichten, aufgehoben.
Dem Rekursgericht wird insoweit die neuerliche Entscheidung über den Rekurs aufgetragen.
Darüber hinaus wird die Abweisung des Sicherungsantrags bestätigt.
Die gefährdete Partei, die die Kosten im Umfang der Abweisung endgültig selbst zu tragen hat, ist schuldig, dem Zweitgegner der gefährdeten Partei 223,76 EUR (darin enthalten 37,29 EUR an Umsatzsteuer) an Kosten der Revisonsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die auf die Aufhebung entfallenden Kosten sind weitere Kosten des Sicherungsverfahrens.
II. Im Verfahren gegenüber der Erstgegnerin der gefährdeten Partei wird der außerordentliche Revisionsrekurs gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Parteien sind Geschwister. Die Antragstellerin begehrte mit ihrem Antrag „auf einstweilige Verfügung Unterlassung Verleumdung“, ihren beiden Geschwistern bestimmte Behauptungen zu untersagen. Diese seien als Lügen geeignet, sie gegenüber Dritten verächtlich zu machen, wodurch ihre Existenz gefährdet werde. Die Gefährdung ihres Ansehens sei evident.
[2] Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag nach Anhörung der Gegenseite ab. Die Antragsgegner hätten „allenfalls“ in mehreren Behördenverfahren Vorbringen erstattet, welches inhaltlich den von der Antragstellerin inkriminierten Inhalt aufweise. Diese Äußerungen seien in Ausübung eines Rechts und nicht wider besseres Wissen aufgestellt worden und daher gerechtfertigt. Es sei unzulässig, den Antragsgegnern verbieten zu wollen, in einem allfälligen Strafverfahren und dem Verlassenschaftsverfahren nach der gemeinsamen Mutter Vorbringen zu erstatten oder Behauptungen aufzustellen. Eine größere Anzahl von Menschen im Sinne einer Öffentlichkeitswirkung sei im Zusammenhang mit den inkriminierten Verleumdungen nicht bescheinigt worden. Es habe nicht festgestellt werden können, welchen anderen Personen als Polizeibeamten und Richtern im Dienst gegenüber die Antragsgegner die ihnen vorgeworfenen Behauptungen geschrieben oder geäußert hätten.
[3] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Bei der gebotenen Interessenabwägung im Konflikt des Rechts auf freie Meinungsäußerung mit dem absolut geschützten Gut der Ehre sei die Gewichtigkeit des Themas für die Allgemeinheit, in dessen Rahmen die ehrverletzende Äußerung gefallen sei, eines von mehreren Beurteilungskriterien, das den Ausschlag für die Bejahung eines Rechtfertigungsgrundes geben könne. In die Ehre oder den wirtschaftlichen Ruf des Prozessgegners eingreifende Parteienbehauptungen würden im Interesse einer ordnungsgemäßen Rechtspflege als gerechtfertigt angesehen, sofern sie nicht wider besseres Wissen erhoben worden seien. Die Antragsgegner hätten bescheinigt, dass die Äußerungen nicht wider besseres Wissen aufgestellt wurden. Eine auf § 1330 Abs 2 ABGB gestützte Klage wäre nur im Fall einer wissentlich falschen Strafanzeige, also bei Vorsatz des Anzeigers, berechtigt.
[4] Ausgehend von dieser rechtlichen Beurteilung führte es zu dem im Rekurs geltend gemachten Verfahrensmangel (des Unterbleibens der Einvernahme von zwei Zeugen) aus, es könne – weil die Antragsgegner ihre Behauptungen nicht wider besseres Wissen aufgestellt hätten – dahingestellt bleiben, gegenüber welchen konkreten Personen die Behauptungen geäußert worden seien.
[5] Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands jeweils 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
[6] I. Im Verfahren gegenüber dem Zweitantragsgegner ist der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerinzulässig und teilweise berechtigt:
[7] I.1. Im Provisorialverfahren besteht – entgegen der in der Revisionsrekursbeantwortung des Zweitantragsgegners vertretenen Ansicht – keine Eventualmaxime (9 ObA 59/15i mwN). Die Antragstellerin benannte in ihrem nicht zurückgewiesenen und den Antragsgegnern zugestellten Schriftsatz vom 4. 4. 2022 zwei Zeugen (eine Freundin und einen Cousin ihrer Mutter mit Namen, Adresse und Telefonnummer). Sie berief sich auf deren Einvernahme zur Bescheinigung dafür, dass ihr Bruder (der Zweitantragsgegner) diesen gegenüber in einem Telefonat geäußert habe, sie habe ihre Mutter getötet. Dem Cousin der Mutter habe ihr Bruder darüber hinaus noch „weitere Verleumdungen hinsichtlich der Wohnung von [ihrer Mutter] erzählt“.
[8] Auf den im Rekurs der Antragstellerin auf diesen Beweisantrag gegründeten Verfahrensmangel ging das Rekursgericht deshalb nicht ein, weil es die zu beweisenden Tatsachen aus rechtlichen Gründen für nicht erheblich hielt.
[9] I.2. Anders als das Rekursgericht meint, sind – worauf der Revisionsrekurs zutreffend hinweist – aber herabsetzende, kreditschädigende Äußerungen nicht in jedem Fall schon dann gerechtfertigt, wenn sie (nur) nicht wider besseres Wissen erhoben werden.
[10] Ehrenbeleidigung nach § 1330 Abs 1 ABGB und Rufschädigung nach § 1330 Abs 2 ABGB setzen (zwar) die Verbreitung der Äußerung voraus (RS0102047). Für die für die Tatbegehung notwendige „Öffentlichkeit“ reicht es aber schon aus, dass die Äußerung gegenüber zumindest einer von den Beteiligten (das sind der Täter und der Verletzte) verschiedenen Personen gefallen ist (vgl 6 Ob 50/01y; „gegenüber einer einzigen Person“ 6 Ob 260/07i; RS0032421). Keine Haftung besteht dagegen für eine „nicht öffentlich“ vorgebrachte Mitteilung, deren Unwahrheit der Mitteilende nicht kennt, wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte (§ 1330 Abs 2 S 3 ABGB).
[11] Der vom Rekursgericht (losgelöst) zitierte Beisatz T10 zu RS0114015 („In die Ehre oder den wirtschaftlichen Ruf des Prozessgegners eingreifende Parteienbehauptungen werden im Interesse einer ordnungsgemäßen Rechtspflege als gerechtfertigt angesehen, sofern sie nicht wider besseres Wissen erhoben wurden.“) ist im Zusammenhalt mit dem Rechtssatz zu sehen, zu dem er gleichgestellt wurde: „Ein Rechtfertigungsgrund für eine herabsetzende Tatsachenbehauptung kann dann vorliegen, wenn sie in Ausübung eines Rechts aufgestellt wurde. Dies gilt insbesondere für Strafanzeigen und Disziplinaranzeigen sowie grundsätzlich für jede Prozessführung wie für Parteiaussagen und Zeugenaussagen oder für Äußerungen eines Sachverständigen in einem Prozess. Das Prozessvorbringen durch einen Rechtsanwalt ist überdies nach § 9 Abs 1 RAO gerechtfertigt. Wesentliche Voraussetzung der Rechtfertigung ist hiebei, dass die Ausübung des Rechts im Rahmen der Prozessführung nicht missbräuchlich erfolgt. Die Herabsetzung des Gegners darf nicht wider besseres Wissen geschehen.“ Auch in dem der Entscheidung 6 Ob 46/08w, aus der T10 hervorging, zugrunde liegenden Fall waren Prozessbehauptungen zu beurteilen.
[12] Voraussetzung der Haftungsbefreiung nach § 1330 Abs 2 S 3 ABGB ist also nicht allein, dass die Äußerung nicht wider besseres Wissen erfolgt (was aber von den Vorinstanzen angenommen wurde), sondern es verlangt das Gesetz zudem, dass es sich um eine „nicht öffentlich“ vorgebrachte Mitteilung handelt und mit ihr ein „berechtigtes Interesse“ verfolgt wird (s auch RS0117060; RS0008987).
[13] Als „nicht öffentliche“ Mitteilung im Sinne des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB sind nach der Rechtsprechung etwa Straf- und Disziplinaranzeigen an die zuständigen Stellen anzusehen (6 Ob 226/05m),Vorbringen, Partei- und Zeugenaussagen oder Äußerungen eines Sachverständigen in einem Prozess (RS0114015), die Mitteilung eines Plagiatsverdachts vom Mitherausgeber eines Sammelbands von Beiträgen aus einer Ringvorlesung an die für die Plagiatsprüfung zuständige Stelle der Universität (6 Ob 104/21v) oder Äußerungen in einer Bescheidbeschwerde und in einem Schreiben an den zuständigen Minister (s 6 Ob 243/21k mit weiteren Beispielen „nicht öffentlicher“ Mitteilungen).
[14] Entscheidend ist, ob der Mitteilende bei Weitergabe der rufschädigenden Behauptung mit deren vertraulichen Behandlung durch den oder die Mitteilungsempfänger rechnen kann oder ob die Gefahr der Weiterverbreitung besteht (RS0102047 [T6]; RS0032413 [T2]; vgl RS0031906). So ist etwa bei Institutionen, die einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen, mit einer vertraulichen Behandlung zu rechnen (vgl RS0031906 [T6]; 6 Ob 30/19h).
[15] Es kann daher vor dem Hintergrund des von den Vorinstanzen angenommenen Rechtfertigungsgrundes des § 1330 Abs 2 S 3 ABGB nicht dahinstehen, wem gegenüber die behaupteten Äußerungen gefallen sind. Die in Telefonaten gegenüber einer Freundin und einem Cousin der Mutter angeblich gefallenen Aussagen sind weder Äußerungen innerhalb eines Verfahrens noch sind sie sonst als „nicht öffentlich“ vorgebrachte Mitteilungen im zuvor dargestellten Sinn zu qualifizieren.
[16] I.3. Zu prüfen bleibt, ob es sich um haftungsfreie Äußerungen „im Familienkreis“ gehandelt haben könnte.
[17] Der Schutz des Familienlebens (Art 8 Abs 1 EMRK) rechtfertigt „unbeschwerte“ (vertrauliche) Äußerungen innerhalb der Familie (im „engsten Familienkreis“: 6 Ob 37/95), und zwar auch dann, wenn kein berechtigtes Interesse im Sinne des § 1330 Abs 2 S 3 ABGB vorliegt (zumindest wenn keine Gefahr der Weiterverbreitung durch unreife Familienmitglieder besteht; RS0102048; RS0107767; 6 Ob 144/20z). Äußerungen im (engeren) Familienkreis werden dabei nicht als Teil des Rechtfertigungsgrundes nach § 1330 Abs 2 S 3 ABGB gesehen, sondern als Einschränkung des Tatbestands insofern behandelt, als in diesem Fall gar kein „Verbreiten“ einer Tatsachenbehauptung vorliegt (6 Ob 144/20z mwN). Bei vertraulichen Äußerungen im Familienkreis gegenüber den eigenen nächsten Angehörigen muss nämlich regelmäßig nicht erwartet werden, dass sie tatsächlich in die Umwelt gelangen, wodurch das Ansehen des Beleidigten anschließend beeinträchtigt werden könnte (RS0102048 [T2]).
[18] Die hier vorgeworfenen Äußerungen gegenüber einem Cousin der Mutter oder deren Freundin fallen aber nicht mehr in den vom Schutz des Familienlebens umfassten Bereich, zumal beide nicht zu den „eigenen nächsten Angehörigen“ des Zweitantragsgegners zählen (siehe nur die in der Rechtsprechung bereits verneinten Beispiele zu Äußerungen gegenüber der Lebensgefährtin des Beleidigten [6 Ob 249/16k] oder gegenüber dem ehemaligen Lebensgefährten der Äußernden über dessen Vater [6 Ob 144/20z]; anders dagegen bei [in den Schutzbereich fallenden] Äußerungen gegenüber dem eigenen Sohn [6 Ob 166/14a]).
[19] I.4. Das Rekursgericht hat damit – von einer unrichtigen Rechtsansicht zu § 1130 Abs 2 S 3 ABGB ausgehend – einen Mangel des erstgerichtlichen Verfahrens nicht behandelt bzw wahrgenommen. Dies bewirkt eine Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens (vgl RS0043051 [T5]; RS0106371 [T5]; RS0042963 [T37] zum Berufungsverfahren; zum Rekursverfahren s nur RS0042963 [T4, T32]), weswegen es – allerdings nur soweit der Mangel reichen kann – zu einer Aufhebung der Entscheidung des Rekursgerichts zu kommen hat.
[20] I.5. Der Beweisantrag der Antragstellerin bezog sich nur auf bestimmte, dem Zweitantragsgegner vorgeworfene Äußerungen (auf „Verleumdungen hinsichtlich der Wohnung“ der Mutter und den Vorwurf, sie solle diese getötet haben; das sind die als erste, vierte und fünfte im Spruch des Erstgerichts aufgelisteten Äußerungen). Der Mangel des Rekursverfahrens kann demnach nur diesen Teil des Sicherungsantrags betreffen und bleibt darauf beschränkt. Deswegen ist die Entscheidung des Rekursgerichts auch bloß in diesem Umfang aufzuheben und dem Rekursgericht insoweit die neue Entscheidung über den Rekurs unter Behandlung der Mängelrüge (allenfalls der Beweisrüge) aufzutragen.
[21] 1.6. Angemerkt sei zuletzt, dass das Rekursgericht zutreffend erkannt hat, dass die Antragstellerin ihren Unterlassungsanspruch auf § 1330 ABGB gründete. Da im vorliegenden Fall – soweit ersichtlich – noch keine Unterlassungsklage erhoben worden ist, wird für den Fall der (teilweisen) Erlassung einer einstweiligen Verfügung auf § 391 Abs 1 EO verwiesen.
[22] 1.7. Die Antragstellerin ist mit sechs von neun Punkten (also mit zwei Dritteln) ihres Sicherungsantrags endgültig erfolglos geblieben und trägt in diesem Umfang die Kosten des Sicherungsverfahrens auch endgültig selbst.
[23] Die Kostenentscheidung zugunsten des Zweitantragsgegners beruht im Umfang der Bestätigung der Abweisung auf §§ 393 Abs 1 und 78 EO. Er hat Anspruch auf Ersatz im Umfang seines Obsiegens (RS0005667 [T1]). Der verzeichnete Streitgenossenzuschlag gemäß § 15 RATG gebührt allerdings nicht, weil der Zweitantragsgegner im Revisionsrekursverfahren nur einer Partei gegenüberstand.
[24] Im Umfang der Aufhebung (auf die ein Drittel entfällt) stützt sich der Kostenvorbehalt auf §§ 402 Abs 4 und 78 EO iVm § 52 Abs 1 ZPO.
[25] II. Im Verfahren gegenüber der Erstantragsgegnerin ist der außerordentliche Revisionsrekurs dagegen mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen:
[26] Das Rechtsmittel stützt sich – wie bereits ausgeführt – allein auf die aufgrund einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung unterbliebene Behandlung des im Rekurs geltend gemachten Verfahrensmangels. Das dazu herangezogene Vorbringen (samt Beweisantrag) betrifft jedoch nur angebliche Äußerungen des Zweitantragsgegners, nicht aber solche der Erstantragsgegnerin.
[27] Damit kann der Revisionsrekurs zur Abweisung des Sicherungsantrags gegenüber der Erstantragsgegnerin keine erhebliche Rechtsfrage ansprechen.
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