OGH 8Ob36/21h

OGH8Ob36/21h29.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Dr. Weixelbraun‑Mohr sowie die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C* GmbH, *, vertreten durch Dr. Klemens Dallinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W* GmbH, *, vertreten durch Singer Fössl Rechtsanwälte OG in Wien, sowie der Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. H*GmbH, *, vertreten durch Bischof Zorn + Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. V* GmbH, *, vertreten durch BLS Rechtsanwälte Boller Langhammer Schubert KG in Wien, wegen 184.179,92 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2021, GZ 4 R 98/20s‑107, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Endurteil des Handelsgerichts Wien vom 30. März 2020, GZ 11 Cg 20/13y‑103, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00036.21H.0629.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

1. Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil insgesamt lautet:

„Die Klagsforderung besteht mit 184.179,92 EUR zu Recht.

Die Gegenforderungen bestehen mit 4.893,36 EUR zu Recht.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 179.286,56 EUR samt 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 25. 2. 2013 zu bezahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 4.893,36 EUR samt Anhang zu bezahlen, wird abgewiesen.“

Die Kostenaussprüche der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die Fällung einer neuen Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz aufgetragen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 5.220,15 EUR (darin 365,56 EUR USt und 3.026,80 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin begehrt restlichen Werklohn für die über Auftrag der Beklagten durchgeführte örtliche Bauaufsicht bei der Errichtung eines Gewerbehofs. Die Aufgaben der Klägerin umfassten unter anderem die Prüfung der Rechnungen der bauausführenden Unternehmen „auf Richtigkeit und Vertragsmäßigkeit“.

[2] Mit dem bei dem Bauvorhaben beauftragten Metallbauunternehmen hatte die Beklagte die Werklohnzahlung in gleichbleibenden, vom Baufortschritt unabhängigen Teilrechnungen vereinbart. Darüber hinaus erhielt dieses Metallbauunternehmen eine Anzahlung von 30 % des Werklohns, zu deren Absicherung es Garantien vorlegte. Die Anzahlung war vereinbarungsgemäß in Raten bei jeder Teilrechnung durch Abzug eines bestimmten Betrags zu berücksichtigen.

[3] Die Klägerin führte die Rechnungsprüfung nach einem Formblatt durch, das ihr von der Beklagten zur Verfügung gestellt wurde. Diesem Rechnungsprüfblatt folgend brachte die Klägerin den auf die jeweilige Teilrechnung anzurechnenden Anzahlungsbetrag vor der Berücksichtigung der Umsatzsteuer anstatt danach in Abzug. Diese Vorgangsweise ist im Bauwesen unüblich. Die geleisteten Zahlungen werden üblicherweise beim Zahlungsbetrag in Abzug gebracht und somit nach dem Skontoabzug. Die im Formblatt vorgegebene und gewählte Vorgangsweise, die Anzahlung vor Berechnung des Skontos abzuziehen, führt dazu, dass der angerechnete Anzahlungsbetrag nicht mit dem Skontovorteil belegt wird.

[4] Bei der Prüfung der 4. Teilrechnung des Metallbauunternehmens berücksichtigte die Klägerin den vereinbarten Abzug für eine Bauwesenversicherung nicht. Die Rechnungskorrektur war insoweit unrichtig. Bei richtiger Verrechnung des Abzugs hätte die Beklagte der Metallbaufirma 4.893,36 EUR brutto weniger überwiesen.

[5] Das Metallbauunternehmen geriet nach Fertigstellung eines Teils seiner vereinbarten Leistungen mit der Vertragserfüllung in Verzug und verfiel schließlich in Insolvenz.

[6] Die Beklagte hielt dem Werklohnbegehren der Klägerin – soweit im Revisionsverfahren noch relevant – aufrechnungsweise ihre Forderung auf Ersatz des aufgrund mangelhafter Prüfung der Teilrechnungen entstandenen Schadens entgegen, bestehend aus dem unterbliebenen Versicherungsprämienabzug und aus entgangenen Skonti in Höhe von 58.524,63 EUR.

[7] Das Erstgerichtgab im zweiten Rechtsgang dem nach Fällung eines Teilurteils noch offenen Klagebegehren zur Gänze statt.

[8] Die Klägerin habe sich bei der Rechnungsprüfung an die Formblattvorgaben der Beklagten gehalten, sodass sie für Nachteile dieser Berechnungsweise nicht einzustehen habe. Einem Anspruch auf Ersatz der Bauwesenversicherungsprämien stehe eine Verletzung der Schadenminderungspflicht der Beklagten entgegen, weil es ihr möglich gewesen wäre, eine vom Auftragnehmer beigestellte Anzahlungsgarantie zur Abdeckung dieser Forderung zu ziehen.

[9] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten Folge und änderte dieses Urteil dahin teilweise ab, dass es die genannten Gegenforderungen von insgesamt 63.417,99 EUR als zu Recht bestehend feststellte und das restliche Klagebegehren in diesem Umfang abwies.

[10] Nach Ansicht des Berufungsgerichts sei der Klägerin wegen der im Bauwesen unüblichen Ermittlung des Skontoabzugs eine Verletzung ihrer Warnpflicht vorzuwerfen, sodass sie für den entstandenen Nachteil hafte.

[11] Bezüglich der Versicherungsprämie habe die Beklagte ihre Schadenminderungspflicht nicht verletzt, weil sie nicht berechtigt gewesen wäre, die beigestellte Anzahlungsgarantie zur Deckung einer anderen, den Garantiefall nicht auslösenden Forderung zu ziehen. Der Garantiefall sei nicht mehr vorgelegen, weil die Anzahlung durch die bereits erbrachten Leistungen des Metallbauunternehmens gedeckt gewesen sei.

[12] Die gegen diese Entscheidung erhobene, nach § 508a ZPO zugelassene Revision der Klägerin bekämpft den Ausspruch über das Bestehen der Gegenforderungen und strebt die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils an. Die Beklagte und die erste Nebenintervenientin haben die ihnen freigestellten Revisionsbeantwortungen erstattet.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts die Rechtsprechung zur Warnpflicht des Werkunternehmers bei eigener Sachkunde des Auftraggebers nicht umfassend berücksichtigt hat. Die Revision ist teilweise auch berechtigt.

1. Versicherungsprämie

[14] Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass die Klägerin für den unterbliebenen Abzug der Versicherungsprämien grundsätzlich haftet. Sie beruft sich darauf, dass die Beklagte ihren dadurch erlittenen Schaden verhindern hätte können, wenn sie die vom Metallbauunternehmen beigestellte und bei Insolvenzeröffnung noch nicht ausgenützte Anzahlungsgarantie gezogen hätte.

[15] Diese Ausführungen überzeugen, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht.

[16] Ein Garantievertrag ist kein abstraktes Schuldverhältnis, sondern auf einen Sicherungszweck, den Eintritt des Garantiefalls, bezogen. Die Garantie hat daher jene Bedingungen genau zu umschreiben, von deren Erfüllung die Garantieverpflichtung abhängig gemacht wird (RS0016946). Steht keine über den Wortsinn der Garantieurkunde hinausgehende übereinstimmende Parteiabsicht fest, dann kommt es nur auf den objektiven Erklärungswert der Urkunde, nicht aber darauf an, wie eine Partei diese subjektiv verstanden hat (RS0017783 [T4]). Die im Rahmen eines Garantievertrags abgegebenen Erklärungen des Garanten unterliegen den Auslegungsregeln der §§ 914, 915 ABGB (RS0033002, RS0017670). Im Zweifel sind Garantieerklärungen eher eng und förmlich auszulegen (RS0017005 [T8]).

[17] Für eine Anzahlungsgarantie ist charakteristisch, dass nicht der sich aus dem Vertrag ergebende Anspruch auf die Hauptleistung abgesichert wird, sondern der Anspruch auf Rückgabe der geleisteten Anzahlung, sollte die angezahlte Leistung nicht erbracht werden (9 Ob 70/20i mwN). Diesem Grundsatz entspricht auch der im vorliegenden Verfahren festgestellte Garantieinhalt mit dem Wortlaut: „Nach dem Vertrag leisten Sie eine Anzahlung, deren Rückzahlung durch den Auftragnehmer durch die Beibringung einer Anzahlungsgarantie besichert werden soll. Daher übernehmen wir Ihnen gegenüber in dessen Auftrag zur Sicherstellung aller Rechte, die Ihnen gegenüber dem Auftragnehmer aus dem Bauvorhaben im Zusammenhang mit der geleisteten Vorauszahlung zustehen, die Haftung (...) Unsere Leistungspflicht besteht aber nicht, sofern uns der Auftragnehmer mittels von Ihnen gegengezeichneten Lieferscheinen nachweisen kann, dass er Waren und Leistungen, die dem Wert der Anzahlung entsprechen, bis spätestens zum Ablauf dieser Garantie an Sie geleistet hat. (...) Ausdrücklich festgehalten wird, dass durch die gegenständliche Garantie auch Ansprüche nach den §§ 21 und 22 IO gedeckt sind.“

[18] Das Berufungsgericht hat diese Garantiezusage dahin ausgelegt, dass auch Ansprüche nach §§ 21 und 22 IO von der Garantie nur insoweit umfasst sind, als sie sich auf eine Rückzahlung der Anzahlung gründen, soweit diese bei Rücktritt des Masseverwalters noch nicht durch erbrachte Leistungen gedeckt sein sollte. Diese Rechtsansicht hält sich im Rahmen der von den von der Rechtsprechung entwickelten Auslegungsgrundsätze.

[19] Eine nachvollziehbare Begründung für die Ansicht, dass der wegen erbrachter Werkleistungen bereits erloschene Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung bei Rücktritt des Masseverwalters nach § 21 IO wieder aufleben könnte, vermag die Revision nicht darzulegen.

[20] Nach den Feststellungen war die an das Metallbauunternehmen geleistete Anzahlung bei Einstellung seiner Tätigkeit in den erbrachten Leistungen gedeckt und der Garantiefall daher nicht eingetreten. Eine Inanspruchnahme der Garantie für andere Schadenersatzforderungen wäre in diesem Fall rechtsmissbräuchlich gewesen.

2. Skontoberechnung

[21] Die Warnpflicht des Werkunternehmers nach § 1168a Satz 3 ABGB bringt die allgemeine Schutzpflicht und Sorgfaltspflicht des Schuldners zum Ausdruck (RS0022086).

[22] Eine damit in Zusammenhang stehende Warnpflicht trifft den Unternehmer grundsätzlich auch gegenüber einem sachkundigen oder sachkundig beratenen Besteller, wenn diesem infolge offenbar unrichtiger Anweisungen Schaden droht (RS0022243 [T1]). Offenbar ist eine Unrichtigkeit der Anweisung dann, wenn sie der Unternehmer bei seiner Sachkenntnis wahrnehmen musste (RS0022259), wobei die Aufklärungs‑ und Warnpflichten aber nicht überspannt werden dürfen (RS0021941).

[23] Der Unternehmer wird zur Gänze entlastet, wenn er davon ausgehen darf, dass der Besteller über Mängel in seiner Sphäre durchaus Bescheid weiß und das Risiko der Werkerstellung dennoch übernimmt (RS0021906 [T4, T6]; 8 Ob 8/17k; 2 Ob 277/08m = ZVB 2010/38, 123 [zust Michl mwN], jeweils mwN).

[24] Beim Skonto‑ oder Barzahlungsrabatt handelt es sich um einen Preisnachlass bei Einhaltung einer vorher bestimmten kurzen Zahlungsfrist, der vom Rechnungsleger im Interesse einer schnellen und problemlosen Abwicklung (RS0018147), zur Aufrechterhaltung seiner Liquidität und zur Vermeidung der Kosten einer längeren Zwischenfinanzierung gewährt wird. Die Skontovereinbarung unterliegt der Vertragsfreiheit. Das Recht zum Skontoabzug besteht sowohl dem Grunde als auch der Höhe und der Länge der Zahlungsfristen nach nur im vereinbarten Umfang.

[25] Die Beklagte hat in den Aufträgen an das Metallbauunternehmen nach dem unbestrittenen Urkundeninhalt (Beilage ./22) eine Fälligkeit der Teilrechnungen binnen 30 Tagen plus 14 Tagen Prüffrist mit 4 % Skonto vereinbart. Darüber hinaus wurde im Vertragspunkt „Sonstiges“ festgehalten, dass in der Angebotssumme ein Nachlass von 2 % bei einer Anzahlung von 30 % der Auftragssumme enthalten sei. Eine Regelung darüber, ob für die in Raten bei den Teilrechnungen abzuziehende Anzahlung der Skontoabzug ebenfalls zusteht, enthält der Vertrag zwischen der Beklagten und dem Metallbauunternehmen nicht.

[26] Angesichts dessen, dass der Beklagten auf die gesamte, mehr als das Dreifache der Anzahlung betragende Auftragssumme wegen der getätigten Anzahlung ein 2%iger Nachlass gewährt wurde, ist dies zumindest nicht selbstverständlich. Die Vorausleistung der Anzahlung würde bei zusätzlicher Einbeziehung in den Skontoabzug im Ergebnis doppelt honoriert. Dabei steht der festgestellte Umstand, dass es in Bauverträgen grundsätzlich üblich ist, den Skontoabzug von der gesamten Rechnungssumme vor Abzug der Anzahlung zu ermitteln, einer abweichenden Vorgangsweise aufgrund einer besonderen Vertragsgestaltung schon deshalb nicht entgegen.

[27] Die von der Klägerin bei der Rechnungsprüfung eingehaltene Vorgangsweise, den Skontoabzug nur von der um die Anzahlungsrate verringerten Teilrechnungssumme zu berechnen, beruhte auf konkreten Vorgaben der Beklagten, nämlich dem von ihr als Arbeitsunterlage zur Verfügung gestellten Berechnungsblatt.

[28] Bei der Beklagten handelt es sich um eine städtische Holdinggesellschaft, deren Sachkunde und Erfahrung mit der Abwicklung von Großbauvorhaben notorisch ist. Einem derart erfahrenen Auftraggeber kann aber zugesonnen werden, dass er bei der Erstellung eines Prüfblattes zur Verwendung durch seine Auftragnehmer eine bestimmte Art der Verrechnung des Skontoabzugs nicht versehentlich und unbeabsichtigt gewählt hat.

[29] Eine solche Vorgabe müsste dem mit der Rechnungsprüfung beauftragten Unternehmen dann als offenbar unrichtig auffallen und seine Warnpflicht auslösen, wenn sie mit der zugrundeliegenden Vereinbarung zwischen dem Auftraggeber und dem rechnungslegenden Unternehmen im Widerspruch stünde. Ist dies aber, wie hier, nicht der Fall und entspricht die Berechnungsweise nicht nur der ausdrücklichen Vorgabe, sondern findet sich dafür auch im Werkvertrag in Gestalt des für die Anzahlung bereits vorweg gewährten Nachlasses eine plausible Erklärung, kann von der Offensichtlichkeit eines Fehlers nicht gesprochen werden. Hier würde durch die vom Berufungsgericht bejahte Warnpflicht des den Vorgaben entsprechend kontrollierenden Rechnungsprüfers dessen spezifischer Sorgfaltsmaßstab überspannt und praktisch zu einer Beratungspflicht in Angelegenheiten der Kalkulation ausgeweitet.

[30] Der Revision war daher in Ansehung der Gegenforderung von 58.524,63 EUR an unterbliebenen Skontoabzügen teilweise Folge zu geben und insoweit das Ersturteil wiederherzustellen.

[31] 3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 43 Abs 1 und 50 ZPO. Die Klägerin ist im Revisionsverfahren mit rund 92 % des Interesses durchgedrungen und hat Anspruch auf Ersatz von 84 % der hinsichtlich des ERV‑Zuschlags korrigierten verzeichneten Kosten sowie 92 % der Pauschalgebühr.

[32] Müsste der Oberste Gerichtshof infolge Abänderung der Entscheidung in der Hauptsache gemäß § 50 Abs 1 Satz 1 ZPO auch über die Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz entscheiden, kann er in sinngemäßer Anwendung des § 510 Abs 1 letzter Satz ZPO die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts aufheben und diesem eine neuerliche Kostenentscheidung auftragen, wenn dafür eingehende Berechnungen (hier: langes Verfahren, zwei Nebenintervenienten, Teilurteil, zwei Rechtsgänge) notwendig sind (RS0124588).

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