OGH 2Ob63/21k

OGH2Ob63/21k24.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* S* K*, vertreten durch Dr. Jörg Lindpaintner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. S* Z*, vertreten durch Dr. Michael Jöstl, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, und 2. J* Z*, vertreten durch Mag. Dr. Norbert Wolf, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 40.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. Februar 2021, GZ 2 R 160/20a‑37, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 7. Oktober 2020, GZ 69 Cg 13/20s‑30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132373

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin war die Lebensgefährtin (und Sachwalterin) des im Mai 2017 verstorbenen Erblassers, dessen Nachlass den Beklagten als seinen Söhnen – die bedingte Erbantrittserklärungen abgegeben haben – je zur Hälfte aufgrund des Gesetzes eingeantwortet wurde.

[2] Die Klägerin pflegte den wegen einer Gehirnerkrankung pflegebedürftigen Erblasser seit 1999 in im Wesentlichen gleichbleibender Intensität. Der Erblasser bezog seit 1999 und damit auch in den letzten drei Jahren vor seinem Tod Pflegegeld der Stufe 6 in Höhe von 1.285 EUR monatlich, das der Klägerin als Entgelt für die von ihr geleistete Pflege zufloss.

[3] Der Erblasser war Eigentümer einer Wohnung in Innsbruck. Im Dezember 2004 schlossen der durch einen Kollisionskurator vertretene Erblasser und die Klägerin einen später pflegschaftsgerichtlich genehmigten und nicht in Notariatsaktsform errichteten Vertrag, mit dem der Erblasser der Klägerin „das persönliche, lebenslange und im Grundbuch sicherzustellende Wohnungsgebrauchsrecht“ an der Eigentumswohnung einräumte, wobei festgehalten wurde, dass der Erblasser die Wohnung lebenslang weiter nutzen dürfe. Die Klägerin verpflichtete sich im Gegenzug, die für den Erblasser „notwendigen Betreuungs- und Pflegeleistungen durchzuführen, solange sie dazu physisch und psychisch in der Lage ist und solange sich der Gesundheitszustand des [Erblassers] nicht derart verschlechtert, dass eine Hauspflege nicht mehr möglich ist“. Die Vertragsparteien trafen in der Folge detaillierte Regelungen für den Fall a) der Beendigung der Lebensgemeinschaft (Erlöschen des Wohnungsgebrauchsrechts), b) des Ablebens des Erblassers (Erweiterung des Wohnungsgebrauchsrechts für die Klägerin auf „ein lebenslanges, alleiniges und persönliches Wohnungsgebrauchsrecht“ ohne Mitbenützungsrecht der Rechtsnachfolger des Erblassers) und c) der Fremd- und Heimpflege des Erblassers. Für den letztgenannten Fall verpflichtete sich die Klägerin zur Leistung eines finanziellen monatlichen Beitrags an den Erblasser, dessen Berechnung die Vertragsparteien drei Parameter zu Grunde legten: erstens einen angemessenen Mietzins (laut Immobilien‑Preisspiegel 2003) von 658,95 EUR monatlich, zweitens einen monatlichen Pensionsverlust der Klägerin von 280 EUR, den diese wegen ihres zur Bewältigung der Pflege verfrüht erfolgten Pensionsantritts in Kauf genommen hatte, und drittens eine Abgeltung für „seit 1999 erbrachte und in Zukunft zu erbringende Pflegeleistungen“. In diesem letzten Punkt errechneten die Vertragsparteien für die letzten fünf Jahre (1999 bis 2004) einen Wert der vom Pflegegeld nicht abgedeckten Pflege (im Ausmaß von drei Stunden täglich) in Höhe von 35.026 EUR, den sie auf eine angenommene Restpflegedauer von 21 Jahren umlegten, was 138 EUR monatlich ergab. Sie nahmen jedoch nur einen Abzug von 128 EUR monatlich als „jedenfalls angemessen“ vor, was „in Bezug auf zukünftige Pflegeleistungen“ 4,19 EUR pro Tag entspricht. Insgesamt errechnete sich ausgehend von diesen Parametern ein monatlicher Beitrag von (gerundet) 250 EUR (658,95 – 280 – 128), zu dessen Zahlung sich die Klägerin (wertgesichert nach VPI 1996) für den (nie eingetretenen) Fall der Fremdpflege des Erblassers verpflichtete.

[4] Die zuständige Pflegschaftsrichterin hielt zu den dem Vertragsabschluss zu Grunde gelegten Überlegungen in einem Aktenvermerk fest, dass bei Berechnung des „Mietbeitrags“ von 250 EUR unberücksichtigt geblieben sei, dass die Klägerin den Erblasser voraussichtlich auch nach Vertragsabschluss weiterhin pflegen werde.

[5] Das Wohnungsgebrauchsrecht der Klägerin wurde zeitnah zum Vertragsabschluss im Grundbuch eingetragen.

[6] Während der letzten drei Jahre vor dessen Tod erbrachte die Klägerin für den Erblasser notwendige Pflegeleistungen im Ausmaß von durchschnittlich sieben Stunden täglich, wobei Zeiten für die Zubereitung gemeinsamer Mahlzeiten, die Führung des gemeinsamen Haushalts und die gemeinsame Freizeitgestaltung gar nicht berücksichtigt sind. Diese Pflegeleistungen umfassten unter anderem das An- und Auskleiden, die Inkontinenzreinigung, die Körperpflege, die Hilfestellung bei der Einnahme von Mahlzeiten und Medikamenten sowie bei der Verrichtung der Notdurft, die zusätzliche Wäschereinigung, Mobilitätshilfe im weiteren Sinn sowie Motivation zur Bewegung. Außerdem spritzte die Klägerin dem Erblasser Insulin und maß seine Zuckerwerte. Sie konnte ihn nicht längere Zeit unbeaufsichtigt lassen, zumindest zwei Mal pro Woche musste sie auch in der Nacht Betreuungsleistungen erbringen.

[7] Die Klägerin begehrte die Zahlung von 40.000 EUR aus dem Titel des Pflegevermächtnisses. Sie habe den Erblasser als dessen Lebensgefährtin mindestens sieben Stunden pro Tag umfassend gepflegt, wobei ein Stundensatz von 14 EUR angemessen sei. Vom sich so ergebenden Betrag von 2.940 EUR pro Monat sei das Pflegegeld von 1.285 EUR monatlich abzuziehen. So errechne sich ein Restbetrag von 1.655 EUR monatlich, was über die letzten drei Jahre vor dem Tod des Erblassers 59.580 EUR ergebe. Davon werde ein Teilbetrag von 40.000 EUR eingeklagt. Die Einräumung des Wohnrechts sei nicht unentgeltlich erfolgt, vielmehr habe sich die Klägerin zur Tragung der anteiligen Betriebskosten und zur Erbringung notwendiger Betreuungs- und Pflegeleistungen verpflichtet. Es treffe zwar zu, dass die Einräumung des Wohnrechts in (teilweiser) Abgeltung der Pflegeleistungen erfolgt sei. Allerdings habe die Klägerin bis zum Beginn des dreijährigen Zeitraums nach § 677 Abs 1 ABGB Pflegeleistungen in einem objektiven Wert erbracht, der den Wert des der Klägerin eingeräumten Wohnrechts bei Weitem übersteige. Bei Berechnung des Werts des Wohnrechts sei vom fiktiv angemessenen Mietzins gemäß Vertrag und der statistischen Lebenserwartung auszugehen; es seien Abzüge für den Pensionsverlust der Klägerin und die von ihr im Zeitraum 1999 bis 2004 erbrachten Pflegeleistungen gemäß dem Vertrag vorzunehmen. Dem sich so ergebenden Wert sei der objektive Wert der im Zeitraum Dezember 2004 (Vertragsabschluss) bis Mai 2014 erbrachten Pflegeleistungen gegenüber zu stellen; bei Annahme von sieben Stunden täglicher Pflege und einem Stundensatz von nur 10 EUR übersteige der Wert dieser Pflegeleistungen auch nach Abzug des Pflegegelds jedenfalls den Wert des Wohnrechts.

[8] Der Erstbeklagte bestritt und wandte ein, dass die Klägerin keinen Anspruch auf ein Pflegevermächtnis habe, weil ein solches nur gebühre, soweit für die Pflegeleistungen nicht eine Zuwendung gewährt oder ein Entgelt vereinbart worden sei. Die Klägerin habe für die Erbringung der Pflegeleistungen einerseits das Pflegegeld, andererseits aber auch das lebenslange, über den Tod des Erblassers hinaus reichende Wohnungsgebrauchsrecht erhalten. Dessen Wert übersteige die Klageforderung. Pflegeansprüche der Klägerin könnten schon deswegen nicht den Wert des Wohnungsgebrauchsrechts übersteigen, weil im Vertrag vom Dezember 2004 im Fall der Fremdpflege eine Zahlungspflicht der Klägerin trotz vorangegangener Pflege vorgesehen gewesen sei. Der behauptete Pflegeaufwand werde ebenso wie der geltend gemachte Stundensatz bestritten.

[9] Eine vom Erstbeklagten eingewendete Gegenforderung ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens.

[10] Das Verfahren gegen den Zweitbeklagten ist rechtskräftig beendet.

[11] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Eine Entlohnung aus dem Titel des Pflegevermächtnisses in Anlehnung an die Kosten einer professionellen Pflegekraft sei nicht gerechtfertigt. Bei einer (analogen) Heranziehung von kollektiven (Netto‑)Löhnen einer Haushaltshilfe oder Krankenbetreuung sei ebenfalls Zurückhaltung angebracht, weil die Umstände viel eher ein familiäres als ein Arbeitsverhältnis nahe legten. Der von der Klägerin ihren Berechnungen zugrunde gelegte Stundensatz von 14 EUR sei weit überhöht, gemäß § 273 ZPO angemessen sei ein solcher von 5 EUR. Da die Klägerin in den letzten drei Jahren vor dem Tod des Erblassers 7.686 Stunden an notwendigen Pflegeleistungen erbracht habe, errechne sich ein Betrag von 38.430 EUR. Allein das von der Klägerin als Entgelt für die Pflege bezogene Pflegegeld übersteige diesen Betrag, sodass kein Anspruch auf ein Pflegevermächtnis bestehe. Außerdem sei der detaillierte Vertrag vom Dezember 2004 so auszulegen, dass der Klägerin ein Wohnungsgebrauchsrecht als Gegenleistung für die Pflege eingeräumt worden sei und diese damit vollständig abgegolten sein sollte.

[12] Das von der Klägerin nur wegen der Abweisung des Klagebegehrens gegen den Erstbeklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zu. Nach § 677 Abs 1 letzter Halbsatz ABGB entfalle das Pflegevermächtnis, soweit für die Pflege ein Entgelt vereinbart oder eine freiwillige Zuwendung gewährt worden sei. Der Pflegende behalte nach herrschender Ansicht einen Differenzanspruch, wenn das Vermächtnis höher ausfalle als das vereinbarte Entgelt bzw die gewährte Zuwendung. Dieser Ansicht sei jedoch in dieser Allgemeinheit nicht beizupflichten. Ergebe die Auslegung einer zwischen Erblasser und Pflegendem geschlossenen Vereinbarung über die Erbringung von Pflegeleistungen, dass damit eine umfassende und abschließende Regelung für die Abgeltung der Pflegeleistungen getroffen worden sei, so sei die Geltendmachung eines Pflegevermächtnisses per se ausgeschlossen, ohne dass eine Differenzrechnung anzustellen wäre. Eine andere Sichtweise würde privatautonome Gestaltungen in Bezug auf Pflege- und Betreuungsleistungen deutlich erschweren; bei einer umfassenden und ausgewogenen Vereinbarung bestehe auch nicht die Gefahr, dass Pflegeleistungen „unter den Tisch fallen“ könnten. Den Gesetzesmaterialien sei nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der dort angesprochene „Differenzbetrag“ auch im Fall einer – hier vorliegenden – umfassenden vertraglichen Ausgestaltung relevant sein sollte. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Pflegevermächtnis fehle.

[13] Dagegen richtet sich die ordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, das Berufungsurteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[14] Der Erstbeklagte beantragt, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[15] Die Revision ist zulässig, weil noch keine Rechtsprechung des erkennenden Fachsenats zur Auslegung des § 677 Abs 1 und des § 678 Abs 1 ABGB idF ErbRÄG 2015 vorliegt. Sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

[16] 1. Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde vom Obersten Gerichtshof geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Frage, ob ein „Differenzanspruch“ der Klägerin besteht, stellte einen der zentralen Streitpunkte des erstinstanzlichen Verfahrens dar, sodass das Berufungsgericht mit seinen Ausführungen zum Nichtbestehen eines solchen Anspruchs die Klägerin nicht überraschen konnte (vgl 2 Ob 189/07v).

[17] 2. Die Klägerin argumentiert, dass nach einhelliger Lehre ein Pflegevermächtnis in Höhe des Differenzanspruchs bestehe, wenn Vereinbarungen über die Abgeltung von Pflegeleistungen getroffen worden seien. Das folge schon aus der Rechtsnatur des Pflegevermächtnisses, das als Sonderpflichtteil anzusehen sei und nur bei Vorliegen eines Enterbungsgrundes entzogen werden könne. Ein Vorausverzicht auf das Pflegevermächtnis bedürfte der – hier nicht eingehaltenen – Form des § 551 ABGB. Außerdem habe es zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im Jahr 2004 noch gar kein Pflegevermächtnis gegeben, weshalb der Klägerin kein Verzicht auf einen damals noch nicht existenten gesetzlichen Anspruch unterstellt werden könne. Bei Ermittlung des Werts des der Klägerin eingeräumten Wohnungsgebrauchsrechts sei unter anderem zu berücksichtigen, dass die Klägerin zur Ausübung der Pflege einen Pensionsverlust in Kauf genommen habe.

[18] Dazu hat der Senat erwogen:

[19] 3. Vorweg ist klarzustellen, dass die von der Klägerin vorgenommene Teileinklagung ihrem Begehren nicht die Schlüssigkeit nimmt, handelt es sich doch beim Pflegevermächtnis um einen einheitlich zu beurteilenden Anspruch (vgl 2 Ob 14/18z mwN; RS0037907 [T8 und T9]).

[20] 4. Anzuwendendes Recht

[21] Da der Erblasser nach dem 31. 12. 2016 verstorben ist, sind die hier maßgeblichen Bestimmungen des Vermächtnisrechts in der Fassung des ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87) anzuwenden (§ 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB).

[22] 5. Maßgebliche Bestimmungen aus dem ABGB

„Pflegevermächtnis

§ 677 (1) Einer dem Verstorbenen nahe stehenden Person, die diesen in den letzten drei Jahren vor seinem Tod mindestens sechs Monate in nicht bloß geringfügigem Ausmaß gepflegt hat, gebührt dafür ein gesetzliches Vermächtnis, soweit nicht eine Zuwendung gewährt oder ein Entgelt vereinbart wurde. […]

§ 678 (1) Die Höhe des Vermächtnisses richtet sich nach Art, Dauer und Umfang der Leistungen.

(2) Das Vermächtnis gebührt jedenfalls neben dem Pflichtteil, neben anderen Leistungen aus der Verlassenschaft nur dann nicht, wenn der Verstorbene das verfügt hat. Das Vermächtnis kann nur bei Vorliegen eines Enterbungsgrundes entzogen werden.“

 

[23] 6. Charakter des Pflegevermächtnisses

[24] Nach den Materialien (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  16) soll das Pflegevermächtnis ein unabhängig von einer letztwilligen Anordnung des gepflegten Erblassers entstehendes (gesetzliches) Vermächtnis darstellen. Insoweit liegt eine Parallele zum gesetzlichen Vorausvermächtnis nach § 745 ABGB nahe (vgl Baldovini, Pflegevermächtnis [2020] 21).

[25] Das Pflegevermächtnis weist eine janusköpfige Rechtsnatur auf, weil es zwischen dem Vermächtnis – als das es der Gesetzgeber ausdrücklich eingeordnet hat – und dem Pflichtteilsrecht – weil es nur bei Vorliegen eines Enterbungsgrundes entzogen werden kann – angesiedelt ist. Da es der Abgeltung bestimmter Dienstleistungen gilt, weist es auch ein Naheverhältnis zu vertraglichen oder bereicherungsrechtlichen Ansprüchen auf (Schauer, Das neue Erbrecht, ÖJZ 2017/7, 53 [59]).

[26] In der Lehre besteht – zutreffend – Einigkeit darüber, dass das Pflegevermächtnis zumindest pflichtteilsähnlichen Charakter hat (Baldovini, Pflegevermächtnis 22 mwN; vgl Christandl in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ §§ 677, 678 Rz 14). Dies ergibt sich nicht nur aus dem gewährten Bestandschutz (Entziehung nur bei Vorliegen eines Enterbungsgrundes), sondern auch aus der Tatsache, dass es neben dem Pflichtteil zustehen kann (dazu jüngst 2 Ob 198/20m; Baldovini, Pflegevermächtnis 22 f).

[27] 7. Zuwendung, Entgelt und Differenzanspruch (§ 677 Abs 1 ABGB)

[28] 7.1. Im Revisionsverfahren ist unstrittig, dass das der Klägerin im anspruchsrelevanten Zeitraum überlassene Pflegegeld eine nach § 677 Abs 1 letzter Halbsatz ABGB zu berücksichtigende Zuwendung darstellt (vgl dazu Baldovini, Pflegevermächtnis 53). Ebenso unstrittig ist, dass die Einräumung des Wohnungsgebrauchsrechts für die Klägerin als Gegenleistung für die Pflege erfolgte und damit grundsätzlich ebenfalls eine Zuwendung darstellt. Strittig ist jedoch, in welchem Umfang die Einräumung des Wohnungsgebrauchsrechts eine solche Zuwendung darstellt. Ebenfalls strittig ist, ob die im vorliegenden Fall getroffene umfassende Vereinbarung dem Entstehen eines Pflegevermächtnisses grundsätzlich entgegen steht.

[29] 7.2. Nach den Gesetzesmaterialien sollte die Einführung des Rechtsinstituts des Pflegevermächtnisses den Missstand beseitigen, dass die aufopfernden und umfangreichen Leistungen Angehöriger nicht selten unter den Tisch fallen (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  16). Die Materialien lauten weiters (aaO 17):

„Nach Abs. 1 entsteht das Vermächtnis weiters auch dann nicht, wenn für die Leistungen ein Entgelt vereinbart wurde. Hier besteht ein vertraglicher Anspruch, der – so das Entgelt noch nicht geleistet worden ist – als schuldrechtliche Forderung gegen die Verlassenschaft geltend zu machen ist. Soweit das Entgelt aber nicht die in § 678 Abs. 1 festgelegte Höhe erreicht, kann das Pflegevermächtnis in Höhe des Differenzbetrages gebühren. Das Vermächtnis entsteht schließlich dann nicht, soweit Zuwendungen zB auf Grund eines Vertrags zugunsten Dritter (Geschwister delegieren Pflege an einen von ihnen und zahlen dafür einen bestimmten Betrag) oder von der öffentlichen Hand (zB in Gestalt der erhöhten Familienbeihilfe, die allerdings der Pflegeperson zugekommen sein muss) gewährt oder letztwillig vom Verstorbenen eingeräumt wurden (wenn er dies im Sinn des § 678 Abs. 2 verfügt hat).“

 

[30] 7.3. Lehrmeinungen

[31] 7.3.1. Nach der weit überwiegenden Lehre ist – insoweit in Übereinstimmung mit den Gesetzesmaterialien – im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer Zuwendung oder eines Entgelts zu prüfen, ob diese(s) die gemäß § 678 Abs 1 ABGB auszumittelnde Höhe des Pflegevermächtnisses erreicht. Nur wenn dies der Fall ist, entfällt das Pflegevermächtnis gänzlich; anderenfalls hat der Pflegende hinsichtlich des Differenzbetrags Anspruch aus dem Pflegevermächtnis (Stefula, Die Abgeltung von Pflegeleistungen. Das Pflegevermächtnis nach dem ErbRÄG 2015, EF-Z 2016/56, 116 [118 f mwN]; vgl Christandl in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ §§ 677, 678 Rz 42). Die Beweislast für die Gewährung einer Zuwendung oder die Vereinbarung eines Entgelts trifft den beklagten Erben (Christandl aaO Rz 43 mwN). Dies folgt schon daraus, dass es sich um einen anspruchsvernichtenden Umstand handelt (Baldovini, Pflegevermächtnis 54; vgl RS0109287).

[32] 7.3.2. Eine differenzierende Ansicht vertritt Baldovini (Das Pflegevermächtnis 52 f). Er legt dar, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes (arg. „soweit“), den Materialien und der herrschender Meinung im Schrifttum das Pflegevermächtnis als Ergänzungsanspruch geltend gemacht werden könne, wenn die Zuwendung bzw das vereinbarte Entgelt die nach den Vorgaben des § 678 Abs 1 ABGB zu ermittelnde Höhe des Pflegevermächtnisses nicht erreiche. Diese Frage hänge allerdings eng mit der Frage der Vereinbarung (teilweise) unentgeltlicher Pflege zusammen. Dazu führt Baldovini (aaO 82 ff) aus, dass der Erblasser mit dem Pflegenden eine Vereinbarung über die unentgeltliche Erbringung von Pflegeleistungen oder deren Erbringung zu einem bloßen „Anerkennungsbetrag“ treffen könne, was Ausfluss der Privatautonomie sei. Es könne dem Gesetzgeber mangels gegenteiliger Anhaltspunkte im Gesetzestext nicht unterstellt werden, dass er das Rechtsinstitut des Pflegevermächtnisses vollständig der einvernehmlichen Disposition der Beteiligten entziehen habe wollen, was zu einer „Zwangskommerzialisierung“ von Angehörigenpflege führen würde. So wäre ein Erblasser gezwungen, das Angebot unentgeltlicher Pflegeleistungen abzulehnen, um die Disposition über sein Vermögen nicht zu verlieren. Außerdem könnte eine Person, die zur Leistung von Pflege ohne Entgelt bereit sei, nach dem Tod des Gepflegten einen Anspruch erhalten, der ihr unter Lebenden keinesfalls zustünde. Werde unentgeltlich Pflege geleistet, bestehe daher kein Anspruch auf ein Pflegevermächtnis. Werde hingegen zwischen dem Erblasser und dem Pflegenden ein unter dem objektiven Wert der Pflegeleistung liegendes Entgelt vereinbart, so werde das Pflegevermächtnis nur dann gänzlich ausgeschlossen sein, wenn im Übrigen Unentgeltlichkeit vereinbart gewesen sei. Sollte sich aus der Vereinbarung keine teilweise Unentgeltlichkeit ergeben, bleibe ein Differenzanspruch. Die Vereinbarung der das Entstehen des Pflegevermächtnisses insoweit ausschließenden unentgeltlichen Erbringung von Pflegeleistungen sollte mit keinen besonderen Formerfordernissen verknüpft werden, insbesondere komme vor der Erbringung von Pflegeleistungen im nach § 677 Abs 1 ABGB geforderten Ausmaß keine analoge Anwendung der in § 551 ABGB für den Erbverzicht vorgesehenen Notariatsaktspflicht in Betracht. Die Beweislast für die Vereinbarung (teilweiser) Unentgeltlichkeit treffe nach allgemeinen Grundsätzen die Erben.

[33] 7.4. Die Meinung des Senats

[34] 7.4.1. Der erkennende Fachsenat schließt sich der herrschenden Lehre an, wonach dem Pflegenden im Fall der Gewährung einer die Höhe des Pflegevermächtnisses nicht erreichenden Zuwendung (bzw der Vereinbarung eines solchen Entgelts) ein Differenzanspruch verbleibt. Dafür spricht nicht nur der Wortlaut des Gesetzes (arg „soweit“), sondern vor allem auch der pflichtteilsähnliche Charakter des Pflegevermächtnisses und dessen Qualifikation als gesetzliches – also nicht auf einem Willensakt des Erblassers beruhendes – Vermächtnis. Wollte man bei Gewährung einer die Höhe des Pflegevermächtnisses nicht erreichenden Zuwendung (bzw bei Vereinbarung eines solchen Entgelts) jeglichen Anspruch auf das Pflegevermächtnis ausschließen, könnte dessen pflichtteilsähnlicher Charakter allzu leicht umgangen werden (vgl Zankl, Erbrecht9 Rz 71a). Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber im Gesetzwerdungsprozess zum ErbRÄG 2015 vom im Ministerialentwurf noch vorgesehenen schuldrechtlichen Grundkonzept der Abgeltung von Pflegeleistungen naher Angehöriger, das die Möglichkeit abweichender Vereinbarungen ausdrücklich vorgesehen hatte (vgl 100/ME 25  GP 37), durch Implementierung der nunmehrigen §§ 677 f ABGB im Vermächtnisrecht ausdrücklich abgegangen ist (vgl Fischer-Czermak, Abgeltung von Pflegeleistungen naher Angehöriger, in FS Eccher [2017] 349 [350 f, 354]).

[35] 7.4.2. Da das Pflegevermächtnis nicht vom Willen des Erblassers abhängt und von diesem auch nur bei Vorliegen eines Enterbungsgrundes entzogen werden kann, überzeugt die in erster Linie auf einer Betonung der Privatautonomie fußende Argumentation Baldovinis ebenso wenig wie die ebenfalls auf den Willen der Vertragsparteien vom Dezember 2004 abstellenden Überlegungen des Berufungsgerichts. Außerdem steht der Richtigkeit der Überlegungen Baldovinis auch ein formales Argument entgegen:

[36] Wie Christandl (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³§§ 677, 678 Rz 44) zutreffend herausgearbeitet hat, kommt ein wirksamer (Voraus‑)Verzicht auf das Pflegevermächtnis nämlich – wenn man einen solchen überhaupt für zulässig hält (zweifelnd M. Gruber/Palma, Das Pflegevermächtnis, in FS Bittner [2018] 205 [213]; vgl Stefula, EF-Z 2016/56, 116 [119]) – jedenfalls nur bei Einhaltung der in § 551 ABGB normierten Formvorschriften in Betracht (Kogler, Formvorschriften 24; Spruzina in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 677 Rz 15; Welser, Erbrechts-Kommentar § 551 ABGB Rz 8). Dies entspricht auch der herrschender Ansicht zur Formbedürftigkeit des Verzichts auf das gesetzliche Vorausvermächtnis des Ehegatten (eingetragenen Partners) nach § 745 Abs 1 ABGB (Apathy/Neumayr in KBB6 § 551 Rz 1 mwN; Christandlin Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 745 Rz 65).

[37] 7.4.3. Zutreffend weisen Teile der Lehre darauf hin, dass die letztlich vom Gesetzgeber gewählte Konstruktion des Pflegevermächtnisses und die gewählten Formulierungen zu einer Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts bzw der Privatautonomie des Erblassers führen (für Änderungen dieser Gesetzeslage plädierend etwa Spruzina in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 677 Rz 15 und Hueber, Zur Abgeltung von erbrachten Pflegeleistungen nach dem neuen Erbrecht, NZ 2016/96, 281 [286]). Dies ändert allerdings nichts an den zuvor gemachten Ausführungen.

[38] 7.4.4. Die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht, dass das Vorliegen einer umfassenden Vereinbarung über die Erbringung und Abgeltung von Pflegeleistungen einem Anspruch auf das Pflegevermächtnis per se – also ohne nähere Prüfung der Angemessenheit dieser Abgeltung – entgegen stünde, vermag damit die Abweisung des Klagebegehrens nicht zu tragen.

[39] 7.5. Zusammengefasst folgt:

[40] Wenn eine Gegenleistung für die erbrachte oder zu erbringende Pflege vereinbart bzw gewährt wurde, diese aber nicht die nach § 678 Abs 1 ABGB auszumittelnde Höhe des Pflegevermächtnisses erreicht, steht das Pflegevermächtnis in Höhe des Differenzbetrags zu.

[41] 7.6. Im konkreten Einzelfall kann der Wert der in der Einräumung eines Wohnungsgebrauchsrechts liegenden Zuwendung an die Klägerin anhand der bisherigen Feststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden. Bei Ermittlung dieses Werts werden im fortzusetzenden Verfahren folgende Aspekte zu berücksichtigen sein:

[42] 7.6.1. Die Einräumung des Wohnungsge-brauchsrechts erhielt im konkreten Einzelfall erst nach dem Tod des Erblassers wirklichen Zuwendungscharakter, weil zur Ausübung der erforderlichen intensiven Pflege des Erblassers ein Zusammenleben zwischen Pflegender und Erblasser zu dessen Lebzeiten geradezu geboten war. Wenn die Klägerin unter diesen konkreten Umständen im erstinstanzlichen Verfahren für die Dauer des hier relevanten Pflegezeitraums von drei Jahren die Hälfte des von ihr als angemessen erachteten Mietzinses als Basis für die anzurechnende Zuwendung heranzog (ON 16, 4), können sich die für das Vorliegen einer Zuwendung beweispflichtigen Beklagten dadurch nicht beschwert erachten.

[43] Das der Klägerin nach dem Tod des Erblassers umfassend zukommende, bereits zu Lebzeiten des Erblassers grundbücherlich sichergestellte Wohnungsgebrauchsrecht stellt eine Zuwendung für erbrachte Pflegeleistungen dar. Die Bewertung dieser Zuwendung hat im konkreten Einzelfall nach versicherungsmathematischen Grundsätzen – also unter Beachtung des Ausmaßes der wahrscheinlichen, nach Sterbetafeln zu bestimmenden Restnutzungsdauer – zum Todeszeitpunkt des Erblassers zu erfolgen (vgl 2 Ob 124/20d Rz 36; RS0012978 [T6, T11]).

[44] Dass die Klägerin auf die Ausübung des Wohnungsgebrauchsrechts nicht angewiesen sein mag, ändert nichts am Vorliegen einer Zuwendung.

[45] 7.6.2. Die von der Klägerin im Rahmen ihrer Berechnungen vom Wert der Zuwendung in Abzug gebrachten Posten können nur teilweise Berücksichtigung finden. Keinen Bedenken begegnet im konkreten Einzelfall die Berücksichtigung der von der Klägerin aufgrund der von ihr erbrachten Pflegeleistungen konkret erlittenen und vom Erstgericht festgestellten Pensionseinbußen von 280 EUR monatlich (vgl zur Berücksichtigung solcher Nachteile für den pflegenden Abkömmling nach deutschem Recht: Weidlich in Palandt, BGB80 [2021] § 2057a Rn 9). Ein Abzug für die im Vertrag vom Dezember 2004 bewerteten Pflegeleistungen, die die Klägerin im Zeitraum von 1999 bis zum Vertragsabschluss für den Erblasser erbracht hatte, muss mangels hinreichenden Zusammenhangs mit dem Wert des der Klägerin nach dem Tod des Erblassers umfassend zukommenden Wohnungsgebrauchsrechts unterbleiben.

[46] 7.6.3. Schließlich ist zu bedenken, dass die Klägerin den Erblasser über einen sehr langen, weit über drei Jahre hinaus gehenden Zeitraum gepflegt hat und die Einräumung des Wohnungsgebrauchsrechts erkennbar zur Abgeltung sämtlicher von der Klägerin erbrachter Pflegeleistungen erfolgt ist. Als „Zuwendung“ iSd § 677 Abs 1 letzter Halbsatz ABGB kann nur jener Anteil an der Klägerin nach dem Tod des Erblassers zukommenden Wohnungsgebrauchsrecht Berücksichtigung finden, der dem mit dem Pflegevermächtnis abzugeltenden Zeitraum von drei Jahren entspricht.

[47] 8. Höhe des Pflegevermächtnisses (§ 678 Abs 1 ABGB)

[48] 8.1. Den Materialien zum ErbRÄG 2015 ist zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber im Hinblick auf die Ausmittlung der Höhe des Vermächtnisses an bereicherungsrechtlichen Grundsätzen (§ 1435 ABGB analog) orientierte (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  16 f). Die Erläuterungen zu § 678 Abs 1 ABGB lauten wörtlich (aaO 17):

„In Abs. 1 ist die Höhe des Pflegevermächtnisses geregelt: Die Bemessung orientiert sich primär am dem Empfänger verschafften Nutzen, der häufig in der Ersparnis von eigenen Aufwendungen (etwa für eine andere Arbeitskraft, wenngleich diese Tätigkeit nicht der Tätigkeit einer professionellen Fachkraft gleichgestellt ist) besteht. Dabei ist insbesondere auf Art, Umfang und Dauer der Leistungen zu achten. Auf den Wert der Verlassenschaft soll es dagegen – anders als eventuell im Bereicherungsrecht – nicht ankommen. […]

Sofern das Ausmaß der geleisteten Pflege oder der Pflegebedarf strittig ist, sollen zur Ermittlung der Höhe auch die nach § 174a AußStrG des Entwurfs eingeholten nötigen Informationen und Unterlagen für ein vom Verstorbenen allenfalls bezogenen Pflegegeld von den zuständigen Trägern herangezogen werden. Auf diese Weise sollte sich der Pflegebedarf ermitteln und objektivieren lassen und in Verhältnis zum behaupteten Ausmaß der geleisteten Pflege gebracht werden.“

 

[49] 8.2. In der Lehre ist strittig, unter Anwendung welcher konkreten Parameter die Ausmittlung des Pflegevermächtnisses zu erfolgen hat. In Form eines Überblicks lassen sich die unterschiedlichen Lehrmeinungen wie folgt zusammenfassen:

[50] 8.2.1. Eine Mindermeinung geht davon aus, dass der Berechnung jene Stundensätze zu Grunde zu legen sind, die sich aus der Höhe des Pflegegelds und der zur Erreichung bestimmter Pflegestufen erforderlichen Stundenanzahl errechnen lassen. So betont Isola (Das gesetzliche Pflegevermächtnis als Entgeltanspruch im Vermächtniswege, JEV 2017, 137 [142 ff]), dass es sachgerecht erscheine, für die Ausmittlung der Höhe auf das Pflegegeld abzustellen, wenn der Kläger nur einen Anspruch aus dem Pflegevermächtnis geltend mache; dies bringe Rechtssicherheit mit sich. Auch der pflichtteilsähnliche Charakter des Pflegevermächtnisses spreche für eine Bewertung nach einem Mindestmaß.

[51] 8.2.2. Eine andere Mindermeinung legt (zumindest implizit) die schadenersatzrechtliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu Grunde (vgl RS0031691) und meint damit, dass die Bruttokosten einer professionellen Ersatzkraft als Berechnungsgrundlage zu dienen hätten.

[52] (a) In diesem Sinn führenBarth/Pesendorfer (Erbrechtsreform 2015 § 678 Anm 3 und 4) aus, dass bei Beurteilung der Ersparnis von eigenen Aufwendungen in praxi die kollektivvertragliche Abgeltung einer Pflegefachkraft und/oder Heimhilfe die wesentliche Orientierungsgröße sein werde und der objektive Wert der Pflege- und Betreuungsleistungen anhand der Kosten für den Einsatz einer professionellen Pflegekraft zu ermitteln sein werde, wobei von den Bruttolohnkosten auszugehen sei.

[53] (b) Kiener (Abgeltung von Pflegeleistungen naher Angehöriger – Das Pflegevermächtnis, ÖZPR 2015/121, 186 [188]) geht davon aus, dass wohl jene Entlohnungssätze heranzuziehen seien, die der Pflegebedürftige zu leisten gehabt hätte, hätte er sich auf dem freien Markt eine entsprechende Pflegekraft gesucht.

[54] (c) Eccher (Erbrechtsreform § 678 ABGB Rz 79), führt aus, dass im Sinn einer Ersparnis eigener Aufwendungen der tatsächliche und zeitliche Pflegeaufwand zu ermitteln und objektiv anhand der Kosten für eine professionelle Pflegekraft (allerdings nicht unbedingt der gehobenen Pflege) zu berechnen sei. Orientierungsgröße sei die kollektivvertragliche Abgeltung einer Pflegekraft bzw einer Heimhilfe.

[55] (d) Peyerl (Das Pflegevermächtnis: Bewertung und steuerrechtliche Aspekte, iFamZ 2017, 45 [46]) argumentiert, dass sich die Höhe des Pflegevermächtnisses nach den tatsächlich ersparten Aufwendungen des Gepflegten richte. Es seien weder Pauschalwerte noch typisierte Aufwendungen heranzuziehen; maßgeblich seien vielmehr marktübliche Konditionen. Dass ein Abschlag von kollektivvertraglichen Löhnen vorzunehmen sei, lasse sich dem Gesetz nicht entnehmen. Man könne Pflegeleistungen eines Angehörigen nicht per se eine geringere Qualität als solchen einer professionellen Pflegekraft unterstellen; dass ein pflegender Laie für die Pflege allenfalls mehr Zeit brauche, werde ohnehin dadurch berücksichtigt, dass nur der objektivierte Pflegebedarf zu ersetzen sei.

[56] 8.2.3. Andere Lehrmeinungen orientieren sichzwar an der kollektivvertraglichen bzw marktüblichen Entlohnung einer Pflegekraft bzw einer Heimhilfe, wollen aber im Ergebnis nur Nettokosten zusprechen.

[57] (a) Baldovini (Das Pflegevermächtnis 68 ff) hebt hervor, dass man die Pflege durch Angehörige nicht generell als minderwertig im Vergleich zur Drittpflege ansehen könne, sodass auch ein Abschlag von den auf dem Arbeitsmarkt aufzuwendenden Kosten nicht gerechtfertigt sei. Fehlende fachliche Qualifikationen des Pflegenden könnten durch eine Orientierung an den Löhnen niedriger qualifizierter Personen oder Pflegehilfskräften berücksichtigt werden. Zentrale Bemessungsgröße sei aber jedenfalls der kollektivvertragliche bzw marktübliche Lohn für entsprechende Dienstleistungen. Die Höhe des Pflegevermächtnisses werde allerdings regelmäßig an den Nettolohnkosten zu bemessen sein, weil es in der Regel nicht als steuer- und wohl auch nicht als sozialversicherungspflichtig anzusehen sein werde.

[58] (b) Neumayr/Kiener (in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts [2016] 144 ff) betonen, dass die Gesetzesmaterialien – in gewissem Gegensatz zum Wortlaut des § 678 Abs 1 ABGB – den dem Leistungsempfänger verschafften Nutzen in den Vordergrund stellten. Die Wortfolge „Art, Dauer und Umfang der Leistungen“ sage für sich allein nichts darüber aus, welcher Entlohnungsmaßstab heranzuziehen sei. Der dem schadenersatzrechtlichen Ausgleich zugrunde liegende Ansatz, der auf Fremdpflegekosten abstelle, könne auf das Pflegevermächtnis nicht generell übertragen werden. Näher liege angesichts der inhaltlichen Verwandtschaft des Pflegevermächtnisses mit der bereicherungsrechtlichen Abgeltung eine Bemessung der Höhe entsprechend § 1435 ABGB. Es sei also je nach Intensität und Qualität der erbrachten Leistungen eine Orientierung an den Stundensätzen von Personen, die Haushaltshilfe oder Krankenbetreuung leisteten, anzustreben; dabei seien aber nicht die fiktiven Bruttokosten eines Arbeitgebers maßgeblich, weil mit dem Pflegevermächtnis nur erbrachte Leistungen abzugelten seien.

[59] 8.2.4. Schließlich erachtet die wohl überwiegende Lehre eine Unterschreitung der kollektivvertraglich festgelegten Löhne (für eine professionelle Pflege) als geboten und tritt für den Zuspruch von „Nettopflegekosten“ ein:

[60] (a) Christandl (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ §§ 677, 678 Rz 58) lehrt, dass das Pflegevermächtnis – ebenso wie ein Bereicherungsanspruch analog § 1435 ABGB – auf ein angemessenes Entgelt für erbrachte Pflege abziele. Bei Ausmittlung der Höhe des Pflegevermächtnisses sei in Analogie zu § 1152 ABGB ein angemessenes Entgelt zu ermitteln, das auch zum Erhalt des Vorteils der Angehörigenpflege unter den kollektivvertraglich festgelegten Löhnen liege („Nettopflegekosten“). Zu bedenken sei, dass die meisten pflegenden Angehörigen keine ausgebildeten Fachkräfte seien und damit auch keine professionellen Pflegeleistungen erbringen würden. Die Kosten einer professionellen Pflegekraft könnten daher nur eine grobe Richtlinie für die Festlegung der jedenfalls darunter liegenden Höhe des Pflegevermächtnisses dienen.

[61] (b) Deixler-Hübner (in Gruber/Kalss/Müller/ Schauer, Erbrecht und Vermögensnachfolge² § 10 Rz 34 ff und 47 f) erachtet die Heranziehung der Kosten einer Pflegehilfskraft als sachgerecht; die Bruttolohnkosten für eine professionelle Pflegefachkraft seien hingegen kein im Regelfall praktikabler Ansatz. Zu bedenken sei, dass der Gepflegte eine Fachkraft engagiert hätte, wenn er zur Gewährung einer marktüblichen Entlohnung bereit gewesen wäre.

[62] (c) Gruber/Palma (in FS Bittner 205 [215]) erachten jene Lehrmeinungen als überzeugend, nach denen die Höhe der Entlohnung unter den Aufwendungen für eine professionelle Pflegekraft liegen müsse. Dabei sei zu beachten, dass die Erwartungshaltung des Gepflegten an eine professionelle Pflege eine ganz andere Qualität habe als im Rahmen einer freiwilligen familiären Pflege.

[63] (d) Fischer-Czermak (in FS Eccher 349 [355 f]) führt aus, dass die Judikatur zur Abgeltung von Pflegeleistungen im Familienverband Anhaltspunkte für die Höhe des Pflegevermächtnisses liefern könnte. Auch wenn diese Judikatur nicht ganz konsistent sei, sei in deren Sinn von den „Nettopflegekosten“ auszugehen.

[64] Für eine Heranziehung der Judikatur zur Berechnung der Abgeltung von Pflegeleistungen im Familienverband sprechen sich auch Kolmasch (in Schwimann/Neumayr, ABGB-Takomm5 § 677 Rz 6), Apathy/Neumayr (in KBB6 §§ 677–678 ABGB Rz 4) und Welser (Erbrechts‑Kommentar § 678 ABGB Rz 1 f) aus.

[65] (e) Ganner (Die Abgeltung von Pflegeleistungen im Erbrecht, in FS Eccher [2017] 389 [400 f]) führt aus, dass die konkrete Höhe der Berechnung nach dem Gesetzestext und den Materialien unklar bleibe. Der Ansatz der Kosten einer professionellen Pflege im Sinn des schadenersatzrechtlichen Ausgleichs führe schnell zu enormen Kosten und zum Aufbrauchen der gesamten Erbschaft, was über die Grundintention des Rechtsinstituts „Pflegevermächtnis“ hinaus gehe. Auch die bereicherungsrechtliche Bemessungsmethode scheine nur bedingt geeignet, weil Arbeitsleistungen iSd § 1435 ABGB unabhängig vom verschafften Nutzen in Höhe der angemessenen Entlohnung analog § 1152 ABGB kondiziert werden könnten. Auch damit werde pflegenden Angehörigen ein weit über die üblichen Erwartungen hinausgehender Anspruch eingeräumt. Zielführender wäre es (gewesen), die Höhe des Pflegevermächtnisses mit jener Erwartung zu begrenzen, die dem jeweiligen Naheverhältnis zwischen Erblasser und Pflegendem üblicherweise entspreche und die regelmäßig deutlich unter dem schadenersatz- und bereicherungsrechtlichen Ausgleichsanspruch liege.

[66] (f) Jöchl (Das Pflegevermächtnis, VbR 2016/25, 43 [45 f]) erachtet es als sachlich gerechtfertigt, für die erbrachten Pflegeleistungen ein angemessenes Entgelt zuzusprechen, wobei zu berücksichtigen sei, dass es sich zumeist nicht um professionelle Leistungen handle und die Nahebeziehung des Pflegenden zum Gepflegten eine Minderung des Entgelts im Vergleich zu Fremdpflegekosten rechtfertige.

[67] (g) Nach Stefula (EF-Z 2016/56, 116 [120]) stünde eine Entlohnung in Anlehnung an die beträchtlichen Kosten einer professionellen Pflegekraft mit der bereicherungsrechtlichen Judikatur des Obersten Gerichtshofs in Widerspruch, wonach der angemessene Betrag im Wege einer fiktiven Berechnung zu ermitteln sei, weil die Pflegeleistungen eben nicht durch professionelle Kräfte erbracht würden. Es habe keine allzu weitgehende analoge Heranziehung von kollektiven Löhnen zu erfolgen, wenn die Umstände eher ein familiäres als ein Arbeitsverhältnis nahelegten. Es hänge vom Einzelfall ab, ob das Entgelt brutto oder netto gebühre.

[68] (h) Nach Oberhumer (in Ferrari/Likar‑Peer, Erbrecht² Rz 6.61 ff) gebührt dem pflegenden Angehörigen aufgrund des familiären Elements in der Regel nicht die (hohe) marktübliche Entlohnung einer professionellen Pflegefachkraft. Ähnle die Pflege nach den Umständen des Einzelfalls eher einem Arbeitsverhältnis, wären hingegen kollektivvertragliche Löhne als Richtwert heranzuziehen.

[69] (i) Nach Hueber (NZ 2016/96, 281 [284 f]) ist die Höhe des Pflegevermächtnisses ähnlich wie bei der Abgeltung der Pflege im Familienbereich zu bemessen. Es gebühre daher ein angemessener Lohn analog § 1152 ABGB, wobei auf die familiären Verhältnisse Rücksicht zu nehmen und daher eine zu weitgehende analoge Heranziehung kollektivvertraglicher Löhne abzulehnen sei.

[70] (j) N. Brandstätter (Neue und alte Rechtsbehelfe zur Pflegeabgeltung, ecolex 2016, 1040 [1044]) führt aus, dass die Rechtsprechung im Fall einer zweckverfehlenden Arbeitsleistung § 1152 ABGB analog anwende und damit ein angemessenes Entgelt zuerkenne, das nach § 273 ZPO auszumessen sei. Eine zu weitgehende analoge Heranziehung von kollektiven Löhnen lehne der Oberste Gerichtshof ab, sofern die Umstände eher ein familiäres als ein Arbeitsverhältnis nahelegten. Das werde bei der Erbringung von Pflegeleistungen ohne rechtliche Verpflichtung häufig der Fall sein. Regelmäßig stelle die Judikatur bei der Festlegung angemessenen Entgelts (nur) auf den Mindestlohntarif für Krankenbetreuer ab.

[71] (k) Spruzina (in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 678 Rz 2) lehrt, dass die für die Abgeltung maßgebliche Ersparnis eigener Aufwendungen nur in einer Höhe angesetzt werden könne, die unter der Entlohnung professioneller Fachkräfte liege. Eine Bewertung nach Marktpreisen für Pflegeleistungen komme nicht in Betracht, weil die Leistungserbringung im familiären Umfeld zu berücksichtigen sei. Steuern und Sozialversicherungsbeiträge seien jedenfalls dann nicht zu berücksichtigen, wenn sie nicht abgeführt würden.

[72] (l) Till (Angehörigenpflege nach dem ErbRÄG 2015 – das neue Pflegevermächtnis, ZfG 2017, 12 [14]) erachtet eine Abgeltung nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen als geboten. Die auf Fremdpflegekosten abstellende schadenersatzrechtliche Judikatur sei mit der aus den Materialien abzuleitenden Absicht des Gesetzgebers nicht in Einklang zu bringen. Es seien nicht fiktive Bruttolohnkosten, sondern nur die erbrachten Leistungen abzugelten. Maßgeblich seien damit die Stundensätze einer Haushaltshilfe oder Krankenbetreuung je nach Art, Intensität und Qualität der Leistungen. Der Nettostundensatz einer solchen Kraft liege zwischen 3 EUR und 8 EUR, wobei das familiäre Naheverhältnis wohl einen geringeren Stundensatz rechtfertige.

[73] 8.3. In der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs finden sich zum Ersatz von Kosten der Pflege durch nahe Angehörige folgende Leitlinien:

[74] 8.3.1. Im Schadenersatzrecht judiziert der Oberste Gerichtshof in gefestigter jüngerer Rechtsprechung, dass der objektive Wert der Pflegeleistung entscheidend und damit dem Geschädigten das Entgelt zu leisten ist, das er wegen der Vermehrung seiner Bedürfnisse bei Entgeltlichkeit bezahlen müsste. Dieser Aufwand ist der Bruttobetrag einschließlich der Lohnnebenkosten, der zur Erbringung der konkret notwendigen Pflegeleistungen durch professionelle Kräfte aufgewendet werden müsste (RS0031691). Bei der Berechnung des Anspruchs ist zunächst der tatsächliche Pflegebedarf konkret zu ermitteln und sodann auszumitteln, welche Kosten die Befriedigung dieser Bedürfnisse durch professionelle Kräfte erfordern würde (2 Ob 176/05d; 2 Ob 148/19g; RS0022789 [T3]).

[75] Diese Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, dass der Schädiger durch die Inanspruchnahme von Pflegeleistungen naher Angehöriger nicht begünstigt werden solle. Wenn ein Geschädigter keine Hilfskraft in Anspruch nehme und daher die Berechnung des Anspruchs auf Ersatz der Beistandsleistung abstrakt erfolge, könne der Umstand, dass der Geschädigte mangels Inanspruchnahme einer Hilfskraft tatsächlich keine Lohnnebenkosten getragen habe, keine Berücksichtigung finden. Dem Geschädigten müsse es unbenommen sein, sich die entgangenen Dienste jederzeit auf dem Markt zu verschaffen. Die bloße Berücksichtigung der „Nettolohnkosten“ (also dessen, was der Pflegeperson netto verbleiben würde), würde gut situierte Geschädigte privilegieren, die sich jedenfalls die Einstellung einer Ersatzkraft „leisten“ können.

[76] 8.3.2. Diebereicherungsrechtlichen Ent-scheidungen des Obersten Gerichtshofs, die sich mit der Abgeltung von Pflegeleistungen befassen, die in Erwartung eines dann nicht eingetretenen, weitergehenden Erfolgs erbracht wurden, vertreten zur Frage der Höhe des Anspruchs im Wesentlichen zwei Begründungsansätze.

[77] (a) Gemeinsam ist allen Entscheidungen die Ausmittlung des Anspruchs nach § 273 ZPO (vgl RS0021828 und RS0110740). Beide Begründungsansätze sprechen sich überdies gegen die allzu weit gehende analoge Heranziehung kollektiver Löhne aus, wenn die Umstände des Einzelfalls eher ein familiäres als ein Arbeitsverhältnis nahe legen (RS0021828). Nach der schadenersatzrechtlichen Entscheidung 6 Ob 143/98t, die in mehreren Folgeentscheidungen als vereinzelt bezeichnet wurde (vgl 2 Ob 176/05d, 2 Ob 338/99s), liegt der Spielraum der Ermessensausübung nach § 273 ZPO zwischen den Kosten ungelernter und jenen professioneller Pflegepersonen (RS0110740, zuletzt zitiert in der bereicherungsrechtlichen Entscheidung 5 Ob 86/19m).

[78] (b) Nach dem einen Begründungsansatzwird die Höhe des Anspruchsdurch analoge Anwendung des § 1152 ABGB ausgemittelt. Es gebührt damit für die zweckverfehlte Arbeitsleistung ohne Rücksicht auf den wirtschaftlichen Nutzen des Empfängers – also über den Bereicherungsanspruch im engeren Sinn hinaus – ein Anspruch auf angemessenen Lohn für die geleisteten Dienste (RS0033606 [T2]).

[79] In der Entscheidung 4 Ob 6/84 erachtete der Oberste Gerichtshof in einem bereicherungsrechtlichen Zusammenhang die Heranziehung des Mindestlohntarifs für Hausgehilfen und Hausangestellte zur Abgeltung von zweckverfehlten Arbeitsleistungen im Haushalt im Rahmen des § 273 ZPO als unbedenklich.

[80] Der erkennende Senat betonte in der Entscheidung 2 Ob 502/91, dass in Anlehnung an F. Bydlinski der Erbringer von zweckverfehlten Arbeitsleistungen grundsätzlich gemäß § 1152 ABGB Anspruch auf angemessenen Lohn habe. Im dortigen Anlassfall stellte der Senat aber wegen der Geschäftsunfähigkeit des Leistungsempfängers letztlich darauf ab, inwieweit die Leistungen zu dessen Vorteil verwendet wurden.

[81] In der Entscheidung 6 Ob 17/95 sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass für in Erwartung einer künftigen, letztlich aber nicht eingetretenen Hofübergabe erbrachte Arbeits- und Pflegeleistungen dem Leistenden bei Zweckverfehlung eine angemessene ortsübliche Entlohnung in Analogie zu § 1152 ABGB über den Bereicherungsanspruch hinaus gebühre.

[82] In der Entscheidung 5 Ob 261/01w erachtete es der Oberste Gerichtshof als nicht korrekturbedürftig, dass das Berufungsgericht die Grundsätze des BPGG zur Begründung seiner Ermessensentscheidung nach § 273 ZPO herangezogen habe. Der Ermessensspielraum umfasse dabei auch die Bandbreite der Kosten ungelernter bzw professioneller Pflegepersonen.

[83] In der ausführlich begründeten Entscheidung 5 Ob 86/19m nahm der Oberste Gerichtshof zu bereicherungsrechtlichen Ansprüchen aufgrund von bis zur Beendigung einer Lebensgemeinschaft erbrachter Pflegeleistungen Stellung. Er verwies darauf, dass bei Dienstleistungen in Fällen bewusster Inanspruchnahme durch den Empfänger (über den Bereicherungsanspruch hinaus) ein angemessenes Entgelt in Analogie zu § 1152 ABGB zugesprochen werde. Die Bestimmung der Höhe des Entgelts erfolge nach § 273 ZPO. Eine zu weitgehende analoge Heranziehung von kollektivvertraglich geregelten Löhnen sei dabei, wenn die Umstände eher ein familiäres als ein Arbeitsverhältnis nahelegen, jedoch nicht gerechtfertigt. Ausgehend von diesen Grundsätzen sei der vom Erstgericht zugrunde gelegte Stundensatz von 12 EUR nicht zu beanstanden.

[84] (c) Einanderer Begründungsansatz der Rechtsprechung stellt stärker auf den mit der Erbringung von Arbeitsleistungen verschafftenNutzen ab (RS0016322).

[85] In der Entscheidung 6 Ob 76/12p nahm der Oberste Gerichtshof zu Bereicherungsansprüchen zwischen (vormaligen) Ehegatten Stellung. Er sprach aus, dass im Fall der Kondiktion nach § 1435 ABGB bei Unmöglichkeit oder Untunlichkeit der Wiederherstellung in natura der Empfänger für den erlangten Vorteil ein angemessenes Entgelt zu leisten habe, dessen Höhe sich nach dem verschafften Nutzen richte. Der Nutzen für den Gepflegten sei in der Ersparnis anderenfalls erforderlicher Fremdpflegekosten gelegen. Die Bestimmung der Höhe des Entgelts für Leistungen, auf das gemäß § 1435 ABGB iVm § 1152 ABGB ein Anspruch bestehe, erfolge nach § 273 ZPO. Eine zu weitgehende analoge Heranziehung von kollektiven Löhnen sei dabei, wenn die Umstände eher ein familiäres als ein Arbeitsverhältnis nahelegten, nicht gerechtfertigt. Es sei daher der Rechtsansicht der Klägerin, die nicht auf den Mindestlohntarif für Krankenbetreuer von 7,27 EUR, sondern auf einen Stundenlohn von 12 EUR abstelle, nicht zu folgen. Das Erstgericht habe festgestellt, dass die Klägerin Pflegeleistungen im Wert der Hälfte des ausbezahlten Pflegegelds erbracht habe. Es könne daher das auf dieser Feststellung basierende Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt werden.

[86] In der Entscheidung 6 Ob 149/14a hatte der Oberste Gerichtshof die bereicherungsrechtliche Abgeltung von Pflegeleistungen zu beurteilen, die eine Mutter für ihren bei einem Unfall schwer verletzten Sohn in Erwartung einer Gegenleistung erbracht hatte. Der Senat wiederholte die zu 6 Ob 76/12p gemachten Ausführungen, wonach der Nutzen in der Ersparnis anderenfalls erforderlicher Fremdpflegekosten liege; solche Fremdpflegekosten würden regelmäßig brutto ermittelt. Eine allzu weitgehend analoge Heranziehung kollektiver Löhne sei nicht geboten, wenn die Umstände eher ein familiäres als ein Arbeitsverhältnis nahe legten. Es könne auf den Mindestlohntarif für Krankenbetreuer abgestellt werden, den das Berufungsgericht – von der Revisionswerberin unwidersprochen – mit 12,70 EUR brutto je Stunde angenommen habe.

[87] Zu beachten ist, dass keine dieser Entscheidungen – trotz des Hinweises auf die Relevanz der Ersparnis anderenfalls erforderlicher Fremdpflegekosten – Stundensätze in Höhe der Bruttokosten einschließlich Lohnnebenkosten zu Grunde legt oder zu diesem Thema Ausführungen enthält.

[88] 8.3.3. Auch nicht genuin bereicherungsrechtliche Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs enthalten im Anlassfall potenziell verwertbare Aussagen.

[89] In der Entscheidung 10 ObS 121/07b nahm der Oberste Gerichtshof zur Anrechnung eines fiktiven Einkommens für erbrachte Pflegeleistungen (einer Mutter für ihren querschnittgelähmten Sohn) im Rahmen der Bemessung der Ausgleichszulage Stellung. Er betonte, dass die von der (dort) Klägerin erbrachten Leistungen jedenfalls mit der Höhe des Pflegegelds zu deckeln seien und eine Bewertung nach Marktpreisen nicht in Betracht komme, weil damit der Leistungserbringung im familiären Umfeld nicht ausreichend Rechnung getragen würde. Der im Schadenersatzrecht geltende Aspekt, dass die Erbringung von Pflegeleistungen durch nahe Angehörige den Schädiger nicht entlasten solle, könne auf den vorliegenden Fall wegen der Verschiedenheit der Ausgangslagen nicht übertragen werden. Angemessener erscheine ein Vergleich mit etwa im Rahmen von Nachbarschaftshilfe geleisteten Zahlungen. Einkommenssteuer und Sozialversicherungsbeiträge seien jedenfalls dann nicht anzusetzen, wenn sie nicht abgeführt worden seien.

[90] In mehreren Entscheidungen setzte sich der Oberste Gerichtshof im Unterhaltsrecht mit der Berücksichtigung von Pflegeleistungen auseinander. So betonte er in der Entscheidung 1 Ob 135/01m, dass zur Ausmittlung des Anspruchs auf finanzielle Abgeltung für die Pflegeleistungen eine fiktive Berechnung anzustellen sei, weil die Pflegeleistungen nicht durch professionelle Kräfte erbracht würden.

[91] In der Entscheidung 4 Ob 47/15p erachtete der Oberste Gerichtshof die Rechtsansicht des Berufungsgerichts als vertretbar, das den Anspruch des Ausgedingsberechtigten auf lebenslange Pflege im „Unvergleichsfall“ durch Zugrundelegung der für eine professionelle Pflegekraft aufzuwendenden Bruttolohnkosten in einen Geldanspruch umgerechnet hatte.

[92] 8.4. Der soeben gebotene Überblick über die Lehrmeinungen zum Pflegevermächtnis und die bisherige Judikatur zur Abgeltung von Pflegeleistungen naher Angehöriger zeigt eine breite Palette an vertretenen Rechtsansichten. Nach Ansicht des erkennenden Fachsenatssind bei Ausmittlung der Höhe des Pflegevermächtnisses folgende Parameter zu berücksichtigen:

[93] 8.4.1. Vorweg ist zu betonen, dass die Höhe des Pflegevermächtnisses stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt und letztlich nur eine Ausmittlung nach richterlichem Ermessen gemäß § 273 ZPO sachgerechte Ergebnisse ermöglicht.

[94] 8.4.2. Die Höhe des Pflegevermächtnisses hat sich nach dem Wortlaut des Gesetzes an „Art, Dauer und Umfang der Leistungen“ zu orientieren. Daraus folgt, dass es weniger auf die Perspektive des Gepflegten, sondern in erster Linie auf jene des Pflegenden ankommt. Zu bedenken ist, dass das Pflegevermächtnis keinen Einkommensersatz darstellen, sondern eine nachträgliche und adäquate Anerkennung für erbrachte Pflegeleistungen gewährleisten soll.

[95] 8.4.3. Eine Orientierung an den sich aus dem BPGG ergebenden Stundensätzen (zu deren Höhe vgl Isola, JEV 2017, 137 [143]) kommt nicht in Betracht, weil das Pflegegeld schon von seiner Grundkonzeption her bloß einen pauschalen Beitrag zu den notwendigen Pflegeleistungen darstellen soll und in der Regel bei Weitem nicht den tatsächlichen Pflegeaufwand deckt (Baldovini, Pflegevermächtnis 69 mwN; vgl RS0013251 und RS0106555). Das Pflegegeld stellt damit jedenfalls keine absolute Obergrenze für die Ausmittlung der Höhe des Pflegevermächtnisses dar, es ist aber auch bei Heranziehung als bloßer Richtwert Vorsicht geboten (Stefula, EF-Z 2016/56, 116 [120]).

[96] 8.4.4. Ebensowenig hat eine Ausmittlung nach schadenersatzrechtlichen Grundsätzen zu erfolgen, sodass eine Abgeltung der Pflegeleistungen nach den auf dem Markt für professionelle Pflegekräfte aufzuwendenden Bruttolohnkosten einschließlich Lohnnebenkosten ausscheidet. Zu bedenken ist, dass schadenersatzrechtliche Überlegungen, wonach der (rechtswidrig und schuldhaft handelnde oder zumindest im Rahmen einer Gefährdungshaftung verantwortliche) Schädiger durch die Angehörigenpflege nicht entlastet werden soll, im Zusammenhang mit dem Pflegevermächtnis keine Rolle spielen. Ebenso geht es beim Pflegevermächtnis nicht darum, dem Gepflegten ein Zukaufen der Pflegeleistung am Markt zu ermöglichen, sondern vielmehr um eine angemessene Abgeltung der erbrachten Pflegeleistungen (vgl Neumayr/Kiener in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts 146). Zu berücksichtigen ist auch, dass der pflichtteilsähnliche Charakter des Pflegevermächtnisses der Zugrundelegung von Bruttokosten (einschließlich Lohnnebenkosten) einer professionellen Ersatzkraft entgegen steht (vgl Isola, JEV 2017, 137 [144]), die aus diesem Grund für eine Bewertung nach „Mindestmaß“ plädiert). Außerdem würde der schadenersatzrechtliche Ansatz in vielen Fällen zu einem völligen Aufzehren des Nachlasses führen (Jöchl, VbR 2016/25, 43 [46]; Ganner in FS Eccher 389 [400 f]).

[97] 8.4.5. Es überzeugt damit die der überwiegenden Lehre entsprechende und auch aus den Gesetzesmaterialien hervorgehende Ansicht, die Ausmittlung der Höhe des Pflegevermächtnisses habe in sinngemäßer Anwendung bereicherungsrechtlicher Grundsätze zu erfolgen. Wie oben dargelegt, ist die bisherige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur bereicherungsrechtlichen Abgeltung von zweckverfehlten Pflegeleistungen allerdings nicht derart konsistent, dass sie sich ohne Weiteres auf die Berechnung der Höhe des Pflegevermächtnisses umlegen ließe. Vielmehr besteht ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen dem Begründungsansatz, der auf eine angemessene Entlohnung in analoger Anwendung des § 1152 ABGB abstellt, und jenem, der den Nutzen des Gepflegten in den Mittelpunkt stellt und demgemäß vor allem dessen ersparte Aufwendungen berücksichtigt.

[98] 8.4.6. Der Gesetzeswortlaut („Art, Dauer und Umfang der Leistungen“) spricht für eine Orientierung an jener Judikatur, die in Anlehnung an F. Bydlinski auf eine angemessene Entlohnung in analoger Anwendung des § 1152 ABGB abstellt, weil diese am ehesten die Perspektive des Leistenden berücksichtigt (vgl Jöchl, VbR 2016/25, 43 [45 f]; Hueber, NZ 2016/96, 281 [285]; Herndl, Zur Abgeltung von Pflegeleistungen im Todesfall, NZ 2020/93, 321 [327]). Entscheidend ist damit nicht, wie viel der Gepflegte für die (Erlangung der) Pflegeleistung (auf dem Markt) aufwenden hätte müssen, sondern wie hoch der angemessene Lohn des Pflegenden gewesen wäre. Dass die Gesetzesmaterialien (ohne erkennbare nähere Auseinandersetzung mit der bereicherungsrechtlichen Rechtsprechung) eine Orientierung „primär am dem Empfänger verschafften Nutzen“ – also dem Ausmaß der Ersparnis eigener Aufwendungen – postulieren, führt wegen des eine andere Sichtweise nahe legenden Gesetzeswortlauts zu keiner abweichenden Beurteilung (vgl 2 Ob 41/19x mwN).

[99] 8.4.7. Eine ungefähre Orientierungsgröße für die Angemessenheit eines Stundensatzes können in diesem Zusammenhang die Mindestlohntarife für im Haushalt Beschäftigte darstellen (zuletzt BGBl II 539/2020), in denen Mindestlöhne für unterschiedliche Beschäftigungen enthalten sind (vgl zur Relevanz des nächstgelegenen Marktes 2 Ob 156/02h). Die Orientierung am Mindestlohntarif trägt der oben dargestellten bereicherungsrechtlichen Judikatur Rechnung, wonach ein – beim Pflegevermächtnis schon aufgrund des eingeschränkten Kreises der Anspruchsberechtigten im Regelfall nahe liegendes – Überwiegen des familiären Verhältnisses einen gewissen Abschlag von kollektiven Löhnen (gemeint wohl: marktüblichen Löhnen) nahe legt (vgl Herndl, NZ 2020/93, 321 [325 f]). Sie berücksichtigt auch die in Teilen der Lehre vertretene Ansicht, dass bei der Ausmessung der Leistungserbringung im familiären Umfeld ausreichend Rechnung getragen werden müsse (Spruzina in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 678 Rz 2), ohne dass dadurch eine Geringschätzung der Pflegeleistung zum Ausdruck gebracht würde (vgl Baldovini, Pflegevermächtnis 70).

[100] Da es sich bei den Mindestlohntarifen um Brutto-Tarife handelt, ist bei der Ausmittlung nach § 273 ZPO ein gewisser Abschlag zu berücksichtigen, um den dem Pflegenden zufließenden Betrag angemessen einschätzen zu können. Zu berücksichtigen ist bei der Ausmittlung aber auch, dass der Mindestlohntarif Ansprüche auf ein 13. und 14. Monatsgehalt vorsieht, Zuschläge (etwa für Nachtarbeiten) kennt und nach der Anzahl der Berufsjahre differenziert.

[101] Insgesamt ist damit unter Berücksichtigung aller Umstände – insbesondere auch des Umfangs, der Dauer und der Art der erbrachten Leistungen – ein nach § 273 ZPO im Einzelfall angemessener Stundensatz auszumitteln.

[102] 8.5. Der von der Klägerin herangezogene Stundensatz von 14 EUR ist nach Ansicht des Senats unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls – insbesondere der langjährigen, sehr zeitintensiven, teils in der Nacht erforderlich gewesenen und auch anspruchsvolle Tätigkeiten umfassenden Pflegeleistungen – angemessen, zumal die Beklagten ihre pauschale Bestreitung der Angemessenheit der Höhe des Stundensatzes nicht mit konkreten Einwänden untermauerten. Dieser Stundensatz bewegt sich im Übrigen ungefähr in jenem Bereich, in dem der Oberste Gerichtshof in bereicherungsrechtlichen Entscheidungen zuletzt Zusprüche billigte (6 Ob 149/14a: 12,70 EUR; 5 Ob 86/19m: 12 EUR).

[103] 8.6. Da der vom Erstgericht als angemessen angenommene Stundensatz von 5 EUR daher deutlich zu niedrig bemessen ist, kann auch die (primäre) Begründung des Erstgerichts die Abweisung des Klagebegehrens nicht tragen.

[104] 8.7. Zusammengefasst folgt:

[105] Die Höhe des Pflegevermächtnisses hängt von Art, Dauer und Umfang der Pflegeleistungen und damit stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidend ist in Anlehnung an § 1152 ABGB, wie hoch der angemessene Lohn des Pflegenden gewesen wäre. Eine Orientierungsgröße können in diesem Zusammenhang die Mindestlohntarife für im Haushalt Beschäftigte darstellen, ohne dass diesen allein entscheidende Bedeutung zukäme. Die Ausmittlung hat letztlich nach richterlichem Ermessen gemäß § 273 ZPO zu erfolgen.

[106] 9. Ergebnis

[107] 9.1. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren wird der Berechnung des Pflegevermächtnisses ein im Einzelfall angemessener Stundensatz von 14 EUR zu Grunde zu legen sein. Auf Basis der vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichts erbrachte die Klägerin im gemäß § 677 ABGB relevanten Zeitraum 7.665 Stunden an objektiv notwendigen Pflegeleistungen (1095 Tage à 7 Stunden). Abschließend geklärt ist, dass von dem sich so errechnenden Betrag das vom Erblasser im relevanten Zeitraum bezogene Pflegegeld als Zuwendung an die Klägerin iSd § 677 Abs 1 letzter Halbsatz ABGB in Abzug zu bringen ist. Die Einräumung eines Wohnungsgebrauchsrechts ist nach Maßgabe der Ausführungen zu Punkt 7.6. als weitere Zuwendung zu berücksichtigen; in diesem Punkt wird das Erstgericht das Verfahren zu ergänzen und danach eine neuerliche Entscheidung (allenfalls auch über die eingewendete Gegenforderung) zu treffen haben.

[108] 9.2. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 50 Abs 1, § 52 Abs 1 ZPO.

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