European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E126368
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der Erstantragstellerin aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Das Erstgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:
H* T* (im Folgenden „Erblasserin“) starb am * 2014. In einem gemeinschaftlichen Testament vom 6. 7. 1989 hatten die Erblasserin und ihr Ehemann P* T* (der vormalige Zweitantragsteller, der während des anhängigen Verfahrens am * 2016 starb, weshalb nun dessen Verlassenschaft Zweitantragstellerin ist; der Einfachheit wegen wird diese im Folgenden jedoch als Zweitantragsteller [für P* T*] bezeichnet) einander zu Alleinerben eingesetzt. Mit Testament vom 6. 10. 2009 widerrief die Erblasserin alle ihre früheren letztwilligen Anordnungen und bestimmte ihre Nichte, die Erstantragstellerin, zu ihrer Alleinerbin.
Zum jüngeren Testament kam es, weil die Erblasserin vermutete, ihr Mann habe ein Verhältnis mit einer Nachbarin. Zum Zweck der Errichtung dieses Testaments suchte die Erblasserin einen Notar auf, der sie fragte, weshalb ein Testament zugunsten der Erstantragstellerin errichtet werden solle. Die Erblasserin erklärte, ihr Ehemann habe eine Freundin und sie wolle verhindern, dass diese Freundin über ihren Ehemann an das Vermögen gelange.
Die Erblasserin nahm jedoch zu Unrecht an, die Beziehung ihres Ehemanns zur Nachbarin sei derart intensiv, dass er diese zur Erbin bestimmen werde. Denn seine Beziehung mit der Nachbarin war zu Lebzeiten der Erblasserin rein freundschaftlich. Der Zweitantragsteller pflegte und betreute die Erblasserin bis zu ihrem Tod und blieb ihr Lebensmittelpunkt.
Zu seinem Erben setzte der Zweitantragsteller seinen Bruder ein.
Im Verlassenschaftsverfahren nach der Erblasserin gab der Zweitantragsteller die unbedingte Erbantrittserklärung als Alleinerbe zum gesamten Nachlass aufgrund des Testaments vom 6. 7. 1989 ab. Die Erstantragstellerin gab die bedingte Erbantrittserklärung als Alleinerbin zum gesamten Nachlass aufgrund des Testaments vom 6. 10. 2009 ab. Eine Einigung erfolgte nicht, weshalb es zum vorliegenden Verfahren über das Erbrecht kam.
Die Erstantragstellerin brachte vor, die Erblasserin sei bei Errichtung des jüngeren Testaments testierfähig gewesen. Die Gründe für die Errichtung dieses Testaments seien einerseits das ehewidrige Verhältnis des Zweitantragstellers zur Nachbarin und andererseits sein (näher umschriebenes) liebloses Verhalten gegenüber der Erblasserin gewesen. Es habe somit verschiedene Gründe für das jüngere Testament gegeben. Ein Motivirrtum sei aber nur dann beachtlich, wenn erweislich sei, dass der Wille des Erblassers „einzig und allein“ auf dem verfehlten Motiv beruht habe.
Der Zweitantragsteller brachte vor, das jüngere Testament sei ungültig, weil die Erblasserin bei dessen Errichtung wegen Demenz nicht mehr testierfähig gewesen sei. Er habe zur Nachbarin kein ehewidriges Verhältnis gehabt, sondern alles unternommen, um der Erblasserin ein beschwerdefreies Leben zu ermöglichen. Einziges Motiv für die Errichtung des jüngeren Testaments sei die von der Erstantragstellerin unterstützte irrige Annahme der Erblasserin gewesen, der Zweitantragsteller habe ein (ehewidriges) Verhältnis zur Nachbarin unterhalten. Die Erblasserin habe mit dem jüngeren Testament verhindern wollen, dass ihr Vermögen an diese vermeintliche „Nebenbuhlerin“ gelange.
Das Erstgericht stellte das Erbrecht des Zweitantragstellers fest, wies die Erbantrittserklärung der Erstantragstellerin ab und verpflichtete diese (in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses) zum Kostenersatz an den Zweitantragsteller. Die Erblasserin sei bei Errichtung des jüngeren Testaments der irrigen Meinung gewesen, die Beziehung ihres Mannes zur Nachbarin sei so intensiv, dass er diese als Erbin einsetzen werde. Dies sei der alleinige Beweggrund für das Testament gewesen und mache dieses daher ungültig.
Das Rekursgericht hob den Beschluss des Erstgerichts in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses samt dem Kostenzuspruch auf, trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung auf und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu.
Es erörterte in rechtlicher Hinsicht, es seien die Bestimmungen in der Fassung vor dem ErbRÄG 2015 anzuwenden. Mit dieser Novelle sei § 572 ABGB sprachlich angepasst worden. Aus dem besonderen Teil der Erläuterungen dazu ergebe sich, dass der in seinem materiellen Gehalt nach unveränderte Gesetzestext nach der Klarstellung dahingehend zu verstehen sei, dass der Beweggrund in der Verfügung (hier im Testament) angeführt werden müsse, damit dieser beachtlich sei. Die bisherige gegenteilige Rechtsprechung, wonach der Beweggrund nicht in der letztwilligen Verfügung genannt sein müsse (zB 10 Ob 2/06a), werde ausdrücklich abgelehnt. Dafür, dass der Beweggrund in der Verfügung angegeben werden müsse, um beachtlich zu sein, spreche der klare Wortlaut des „alten“ und „neuen“ § 572 ABGB („... der vom Verstorbenen angegebene Beweggrund als falsch herausstellt“). Die Beweisführung über die wahren Motive der Verstorbenen sei durchaus schwierig. Die bislang herrschende Ansicht berge auch die Gefahr, dass die Bestandskraft des letzten Willens durch falsche, aber schwer zu widerlegende Behauptungen gefährlich beeinträchtigt werden könnte. Es sei daher der in den Erläuterungen zum ErbRÄG 2015 dargelegten Rechtsmeinung zu folgen. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach es für die Beachtlichkeit eines Motivirrtums des Erblassers ohne Belang sei, ob der Beweggrund in der Verfügung „angegeben“ ist, werde daher – obwohl noch die Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 gelte – nicht mehr als bindend angesehen. Der vom Erstgericht festgestellte Motivirrtum der Erblasserin sei daher unbeachtlich, weil das Motiv nicht in das Testament vom 6. 10. 2009 aufgenommen worden sei. Aus diesen rechtlichen Erwägungen müsse auf die übrigen Rekursgründe nicht eingegangen werden. Da jedoch Feststellungen zur strittigen Testierfähigkeit der Erblasserin in diesem Zeitpunkt fehlten, sei die Sache nicht spruchreif.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgegangen sei.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Zweitantragstellers mit dem Antrag, den erstgerichtlichen Beschluss wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag (in die zweite Instanz) gestellt.
Die Erstantragstellerin beantragt in der Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist auch im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.
Der Rechtsmittelwerber macht geltend, es sei unzulässig, die Materialien zum ErbRÄG 2015 heranzuziehen, weil auf den vorliegenden Sachverhalt diese Novelle gar nicht anzuwenden sei. Überdies ergebe sich auch aus dem Wortlaut des § 572 ABGB idF ErbRÄG 2015 nicht, dass der Beweggrund in der letztwilligen Verfügung selbst angeführt sein müsse. Da die durch das ErbRÄG 2015 an § 572 ABGB vorgenommenen Änderungen rein sprachlicher, jedoch nicht inhaltlicher Natur seien, bestehe auch deshalb kein Grund, von der bisherigen Rechtsprechung abzugehen.
Hierzu wurde erwogen:
1. Da die Erblasserin nicht nach dem 31. 12. 2016 verstorben ist, ist die hier maßgebliche Bestimmung des § 572 ABGB in der vor dem Inkrafttreten des ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87) geltenden Fassung anzuwenden (§ 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB).
2. § 572 ABGB in der hier anzuwendenden Fassung lautet:
„Auch wenn der von dem Erblasser angegebene Beweggrund falsch befunden wird, bleibt die Verfügung gültig; es wäre denn erweislich, dass der Wille des Erblassers einzig und allein auf diesem irrigen Beweggrunde beruht habe.“
3. In der Rechtsprechung dazu ist Folgendes anerkannt:
Ein Irrtum im Beweggrund macht die Verfügung nur dann ungültig, wenn erweislich ist, dass der Wille des Erblassers „einzig und allein“ darauf beruhte. Das Gesetz stellt hier an den Nachweis des Kausalzusammenhangs besonders strenge Anforderungen; es schneidet die Erörterung darüber, ob gerade jener Beweggrund, der sich als irrig erweisen lässt, der entscheidende war, dadurch ab, dass es außer dem Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen der irrigen Vorstellung über den Beweggrund den Nachweis der Ausschließlichkeit verlangt (RS0012420; RS0012445 [T3]). Zumindest darf kein anderes wesentliches Motiv – als nicht ausschließbar – übrig bleiben (RS0012420 [T3]; vgl auch RS0012439). Der (bloße) Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer irrtümlichen Vorstellung des Erblassers und der letztwilligen Verfügung reicht hingegen nicht aus (RS0012445; vgl auch RS0012446). Auch Motivirrtümer über Zukünftiges können erheblich sein (RS0012432). Der das Testament bestreitende Erbansprecher hat zu beweisen, dass einzig und allein das irrige Motiv für die Willensbildung des Erblassers maßgeblich war (RS0012443).
Ob der Beweggrund in der letztwilligen Verfügung genannt („angegeben“) ist, ist irrelevant (10 Ob 2/06a; 6 Ob 168/13v jeweils mwN aus der Lehre).
4. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt würde bedeuten, dass das jüngere Testament wegen des Motivirrtums der Erblasserin, ihr Mann werde die Nachbarin zur Erbin bestimmen, wodurch diese an ihr Vermögen komme, gemäß § 572 ABGB unwirksam wäre: Dies wäre das einzige Motiv gewesen, denn zum weiteren von der Erstantragstellerin behaupteten Motiv (Lieblosigkeit des Zweitantragstellers) lägen gegenteilige Feststellungen vor. Dass der Motivirrtum (möglicherweise) Zukünftiges betroffen hätte (letztwilliges Bedenken der Nachbarin durch den Zweitantragsteller), schadete nicht. Ebenso wäre irrelevant, dass die Erblasserin das Motiv nicht im Testament genannt, sondern beim Notar „angegeben“ hat.
5. Da das Rekursgericht für seine Rechtsansicht den Wortlaut des § 572 ABGB idF ErbRÄG 2015 – ungeachtet dessen Nichtanwendbarkeit – sowie die Gesetzesmaterialien dazu herangezogen hat und sich auch die Parteien in ihren Rechtsmittelschriften im Revisionsrekursverfahren damit auseinandersetzen, ist auch darauf einzugehen:
5.1. § 572 ABGB idF ErbRÄG 2015 lautet:
„Auch wenn sich der vom Verstorbenen angegebene Beweggrund als falsch herausstellt, bleibt die Verfügung gültig, es sei denn, dass sein Wille einzig und allein auf diesem irrigen Beweggrund beruht hat.“
Ein Vergleich mit der oben zitierten vorherigen Fassung zeigt, dass die Norm bloß sprachlich angepasst (zB „Verstorbener“ statt „Erblasser“), aber inhaltlich nicht verändert wurde (zur Entstehungsgeschichte der Norm vgl auch Fischer‑Czermak, § 572 ABGB: „Heimliche“ Rechtsänderung durch das ErbRÄG 2015? EF-Z 2017, 64; Aigner, Das ErbRÄG 2015 und seine Auswirkungen auf die allgemeine Auslegungsregel und das Irrtumsrecht, NZ 2018, 121 [125–127]).
5.2. In den Materialien zu § 572 ABGB (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 9) heißt es dazu:
„Diese Bestimmung regelt die Beachtlichkeit des Motivirrtums. Dabei hält der vorliegende Entwurf auf Grund der Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens weitgehend am bisherigen Recht fest. Es soll aber klargestellt werden, dass der Beweggrund in der Verfügung 'angegeben' sein muss, um beachtlich zu sein (anders OGH 10 Ob 2/06a). Weiterhin soll es darauf ankommen, dass der Wille des Verstorbenen 'einzig und allein' auf einem irrigen Beweggrund beruht hat; einfache Kausalität soll nicht genügen (vgl. Eccher in Schwimann/Kodek 4 § 572 Rz 3). Die übrigen Änderungen sind sprachlicher Natur.“
5.3. Die Materialien sind insofern unverständlich, als – wie ausgeführt – die Norm inhaltlich unverändert geblieben ist, sodass nicht erklärlich ist, inwiefern hier klargestellt worden sein sollte, dass das Motiv in der Verfügung angegeben sein müsse. Aus dem Gesetzeswortlaut ist dieses Verständnis weder in der alten noch in der neuen Fassung zwingend, heißt es doch nicht „der vom Erblasser in der Verfügung angegebene Beweggrund“.
Dazu kommt, dass die Gesetzesmaterialien nicht Gesetz sind und dieses auch nicht authentisch interpretieren (RS0008799 [T3]). Nach dem klaren Wortlaut des § 8 ABGB und der Rechtsprechung kann die authentische Interpretation eines Gesetzes nur durch eine Erklärung des Gesetzgebers vorgenommen werden, die sich als Gesetz darstellt und auch als Gesetz kundgemacht worden ist (RS0008905 [T3]). Davon, dass die zitierten Materialien eine rückwirkende authentische Interpretation wären (wie die Erstantragstellerin meint), kann somit keine Rede sein (so auch mit eingehender Begründung Fischer-Czermak, § 572 ABGB: „Heimliche“ Rechtsänderung durch das ErbRÄG 2015? EF-Z 2017, 64; Fischer-Czermak/Pierer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, ABGB3 [Klang] §§ 570–572 Rz 36; Aigner, Das ErbRÄG 2015 und seine Auswirkungen auf die allgemeine Auslegungsregel und das Irrtumsrecht, NZ 2018, 121 [125–127]; im Ergebnis aA Kerschner, Zum Motivirrtum beim Testament nach altem und neuem Recht – Zugleich eine Besprechung von OGH 15. 5. 2014, 6 Ob 168/13v in FS Eccher [2017] 517 [526]). Eine Bindung an die Gesetzesmaterialien bei Auslegung eines Gesetzes besteht generell nicht (RS0008799).
5.4. Oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung von § 572 ABGB idF ErbRÄG 2015 existiert bislang nicht. Jüngst hat zwar der 8. Senat die auch hier zu klärende Auslegungsfrage angesprochen, musste sie jedoch nicht beantworten (8 Ob 76/19p).
5.5. Der erkennende Senat sieht sich weder durch die zitierten Materialien noch durch die vom Rekursgericht und von Teilen der Lehre vorgetragenen Bedenken gegen die bisherige Rechtsprechung aus folgenden Erwägungen weder für die Rechtslage vor noch nach dem ErbRÄG 2015 veranlasst, von dieser Rechtsprechung abzugehen:
5.5.1. Entgegen der Behauptung mancher Autoren (Welser in Rummel/Lukas, ABGB4 § 572 Rz 3; Stefula/Thunhart, Der Motivirrtum beim Rechtsgeschäft unter Lebenden – Zugleich ein Beitrag zur Auslegung des § 572 ABGB, NZ 2002, 193 [196]) widerspricht die Rechtsprechung dem Gesetzeswortlaut nicht (so auch Kerschner in FS Eccher 521), weil – wie ausgeführt – dieser nur verlangt, dass der Erblasser den Beweggrund „angegeben“ haben muss. Dass dies in der letztwilligen Verfügung geschehen muss, sagt das Gesetz nicht. „Angeben“ kann der Erblasser seine Motive auch anderswo, etwa wie hier beim Notar oder in sonstigen Gesprächen oder auch schriftlichen Aufzeichnungen.
5.5.2. Im Erbrecht soll grundsätzlich dem wahren letzten Willen des Erblassers zum Durchbruch verholfen werden (RS0012370; RS0012238; „Willenstheorie“: RS0012370 [T3]). Die bestehende Rechtsprechung erreicht dieses Ziel eher, weil der Motivirrtum auch dann zu berücksichtigen ist, wenn das Motiv in der Verfügung nicht genannt ist (in diesem Sinn auch Aigner, Der Irrtum des Erblassers, NZ 2011, 193 [201]).
Nach § 553 Satz 2 ABGB idF des ErbRÄG 2015 muss zwar bei Auslegung letztwilliger Verfügungen der wahre Wille des Verstorbenen im Wortlaut der Verfügung zumindest angedeutet sein (vgl schon zum alten Recht die „Andeutungstheorie“: RS0012372; RS0012340 [T4, T7]).
Dieser Umstand steht allerdings der Fortschreibung der bisherigen Rechtsprechung auch zum neuen Recht nicht entgegen. Bei der Frage der Beachtlichkeit des Motivirrtums geht es nämlich nicht um die in § 553 ABGB geregelte Auslegung der letztwilligen Verfügung, denn der wahre Wille des Testators über das Verfügte (eine bestimmte Erbseinsetzung) ist ja nicht zweifelhaft. Vielmehr geht es um die nicht von der Testamentsauslegung abhängige Erforschung eines möglichen, kausalen Motivirrtums des Erblassers.
5.5.3. Die vom Rekursgericht (im Gefolge von Stefula/Thunhart, NZ 2002,196) geäußerte Befürchtung, die Bestandskraft des letzten Willens könnte durch falsche, aber schwer zu widerlegende Behauptungen gefährlich beeinträchtigt werden, ist unberechtigt, weil – wie ausgeführt – die gesamte Beweislast bei Anfechtung eines Testaments wegen Motivirrtums nach § 572 ABGB beim Anfechtenden liegt (RS0012443). Daher müssen nicht dessen Behauptungen widerlegt werden, sondern er muss sie beweisen.
5.5.4. Auch ein Widerspruch zu der zu § 725 Abs 1 Satz 1 ABGB idF ErbRÄG 2015 bereits ergangenen Rechtsprechung liegt nicht vor:
Mit Auflösung der Ehe, der eingetragenen Partnerschaft oder der Lebensgemeinschaft zu Lebzeiten des Verstorbenen werden nach dieser Bestimmung davor errichtete letztwillige Verfügungen, soweit sie den früheren Ehegatten, eingetragenen Partner oder Lebensgefährten betreffen, aufgehoben, es sei denn, dass der Verstorbene ausdrücklich das Gegenteil angeordnet hat.
Der erkennende Senat hat in Übereinstimmung mit den Gesetzesmaterialien und der überwiegenden Lehre aus diesem Gesetzeswortlaut unter Hinweis auf § 553 ABGB gefolgert, der Wille des Erblassers, eine während aufrechter Ehe, eingetragener Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft errichtete letztwillige Verfügung solle betreffend den Partner auch im Fall der Auflösung der Ehe, der eingetragenen Partnerschaft oder der Lebensgemeinschaft zu Lebzeiten des Verstorbenen aufrecht bleiben, müsse sich aus der Auslegung einer letztwilligen Verfügung ergeben und daher in deren Wortlaut zumindest angedeutet sein (2 Ob 192/18a; 2 Ob 43/19s; jeweils mwN; RS0132603).
Diese Rechtsprechung zu § 725 ABGB nF steht mit der bisherigen Rechtsprechung zu § 572 ABGB über die Beachtlichkeit des Motivirrtums nicht im Widerspruch, weil sich insofern der Gesetzeswortlaut beider Bestimmungen maßgeblich voneinander unterscheidet: Während § 572 ABGB sowohl in der alten als auch in der neuen Fassung vom (bloß) „angegebenen Beweggrund“ spricht, verlangt § 725 Abs 1 ABGB für das Weitergelten der letztwilligen Verfügung zugunsten des Ehegatten etc nach Auflösung der Ehe etc, dass der Verstorbene „ausdrücklich das Gegenteil angeordnet hat“.
5.5.5. Schließlich entspricht die bisherige Rechtsprechung zu § 572 ABGB auch der ganz herrschenden Lehre zum alten Recht (Ehrenzweig, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts II/2² [1937] 415; Weiß in Klang III² [1952] 286; Ehrenzweig/Kralik, Erbrecht³ [1983] 106; Weiß/Likar-Peer in Ferrari/Likar-Peer, Erbrecht 129; Aigner, Der Irrtum des Erblassers, NZ 2011, 193 [200 f]; Eccher in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 572 Rz 2 unter Hinweis auf GlU 15.173; Welser in Rummel/Lukas, ABGB4 § 572 Rz 3;Apathy in KBB4 §§ 570 bis 572 Rz 4; Welser/Zöchling-Jud, Bürgerliches Recht II14 Rz 2014; Fischer-Czermak/Pierer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, ABGB3 [Klang] §§ 570–572 Rz 21; aAStefula/Thunhart, NZ 2002, 196).
Die Lehre zur neuen Rechtslage ist geteilt:
Für ein Verständnis im Sinne der bisherigen Rechtsprechung treten Fischer-Czermak (EF-Z 2017, 64), Fischer-Czermak/Pierer (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, ABGB3 [Klang] §§ 570–572 Rz 36), Aigner (NZ 2018, 121 [125 ff) und Welser (Erbrechtskommentar § 572 Rz 6) ein. Sogar die am ErbRÄG 2015 maßgeblich beteiligten Legisten Barth/Pesendorfer (Erbrechtsreform 2015, § 572 Anm 1), führen aus, aus dem Text ergebe sich nicht, dass der Beweggrund „in der Verfügung“ angegeben sein müsse, wie das die Erläuterungen nahe legten. Die Änderungen seien vielmehr nur sprachlicher Natur. Da die Beweislast ohnehin die Person treffe, die den Motivirrtum behaupte, bedürfe es keiner derartig einschränkenden Auslegung.
Den Materialien folgen hingegen Apathy/Neumayr (KBB5 § 572 Rz 4), Eccher (Erbrecht6 Rz 4/26), derselbe (Erbrechtsreform Rz 36), Kerschner (in FS Eccher 526), Knechtel (in Kletečka/Schauer, ABGB-ON 1.03 § 572 Rz 2), Gruber/Sprohar-Heimlich/Scheuba (in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht und Vermögensnachfolge2 § 17 Rz 47) und offenbar auch Eccher/Nemeth (in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 572 Rz 1 [vgl jedoch Rz 3]). Diesen Autoren ist jedoch nicht zu folgen, weil sie nicht hinreichend (oder unzutreffend [Kerschner]) die unter Punkt 5.3. dargestellte Irrelevanz der Gesetzesmaterialien bei der vorliegenden Gesetzesauslegung berücksichtigen und im Übrigen keine Sachargumente vorbringen.
5.6. Zusammengefasst wird somit festgehalten:
Zur Beachtlichkeit eines Motivirrtums iSd § 572 ABGB (sowohl idF vor dem ErbRÄG 2015 als auch idF ErbRÄG 2015) ist es nicht notwendig, dass der Erblasser (Verstorbene) seinen Beweggrund in der letztwilligen Verfügung „angegeben“ hat.
6. Auf der Basis der erstgerichtlichen Feststellungen wäre somit die Sache spruchreif im Sinne der Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichts (vgl Punkt 4.). Die Erstantragstellerin hat aber in ihrem Rekurs Verfahrensmängel, eine Aktenwidrigkeit sowie unrichtige Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung gerügt. Das Rekursgericht hat auf der Grundlage seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht diese Rügen nicht erledigt. Jedenfalls die Beweisrüge ist entscheidungsrelevant, weil die Erstantragstellerin dort – abweichend von den erstgerichtlichen Feststellungen – (zusammengefasst) Feststellungen begehrt, wonach die Erblasserin neben dem vom Erstgericht festgestellten (irrigen) Motiv noch andere „gerechtfertigte“ Gründe für die Einsetzung der Erstantragstellerin zur Alleinerbin gehabt habe.
Sollte dies festgestellt werden, wäre das jüngere Testament nicht schon gemäß § 572 ABGB hinfällig. Erst dann käme es weiters auf die ebenfalls strittige Testierfähigkeit der Erblasserin bei Errichtung des jüngeren Testaments an, wozu Feststellungen fehlen.
Sollte es hingegen bei den Feststellungen des Erstgerichts bleiben, wäre der erstgerichtliche Beschluss wiederherzustellen. Diesfalls müsste das Rekursgericht auch über den Kostenrekurs der Erstantragstellerin absprechen.
Da somit das Rekursverfahren im aufgezeigten Sinn ergänzungsbedürftig ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung aufzutragen.
7. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf die §§ 185, 78 Abs 1 AußStrG.
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