OGH 2Ob66/21a

OGH2Ob66/21a26.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am ***** 2020 verstorbenen Dr. P***** K*****, zuletzt wohnhaft in *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Tochter B***** K*****, vertreten durch Mag. Paulus Heinzl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 2. Februar 2021, GZ 20 R 153/20w‑27, mit dem der Rekurs der Tochter gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Korneuburg vom 11. Mai 2020, GZ 14 A 37/20h‑12, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00066.21A.0526.000

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht wird eine neuerliche Entscheidung über denRekurs der Tochter aufgetragen.

Die Tochter hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der am ***** 2020 verstorbene Erblasser hinterließ seine Ehefrau, die er testamentarisch zur Alleinerbin eingesetzt hatte, sowie eine Tochter, die Rechtsmittelwerberin. Mit Schreiben vom 19. 2. 2020 verständigte der Gerichtskommissär die Tochter von ihrer Pflichtteilsberechtigung, übermittelte eine Kopie der Todesfallaufnahme sowie des Testaments und bat sie, schriftlich bekanntzugeben, ob sie ihren Pflichtteilsanspruch geltend mache und die Schätzung und Inventarisierung des Nachlasses beantrage. Die Witwe gab am 31. 3. 2020 aufgrund des Testaments zur gesamten Verlassenschaft die unbedingte Erbantrittserklärung sowie eine Vermögenserklärung ab. Für den Fall der antragsgemäßen Beschlussfassung verzichtete sie auf Rechtsmittel und Zustellung und beantragte die Übermittlung einer Beschlussausfertigung mit Rechtskraftbestätigung.

[2] Das Erstgericht antwortete der Witwe mit dem angefochtenen Beschluss vom 11. 5. 2020 antragsgemäß die Verlassenschaft ein und stellte diesen Beschluss auch der Tochter zu.

[3] Das Rekursgerichtwies den Rekurs der Tochter zurück. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

[4] In seiner Begründung führte es aus, die pflichtteilsberechtigte Tochter habe die erstmals im Rekurs behauptete Einbringung eines Antrags auf Inventarisierung und Schätzung der Liegenschaften per E‑Mail vom 8. 3. 2020 an den Gerichtskommissär nicht ausreichend dargetan. Es stehe fest, dass der Antrag nicht vor Abgabe des Einantwortungsbeschlusses durch das Erstgericht zur Ausfertigung in der Geschäftsstelle eingebracht worden sei. Da die Rechtskraft und Wirksamkeit des Einantwortungsbeschlusses infolge des Zustell- und Rechtsmittelverzichts der einzigen Erbin damit bereits eingetreten gewesen sei, habe der erst mit dem Rekurs eingebrachte Antrag der Tochter keine Parteistellung und Rechtsmittelbefugnis mehr bewirken können. Ihr Rechtsmittel sei daher unzulässig.

[5] Die Tochter beantragt in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass der Einantwortungsbeschluss aufgehoben werde.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil dem Rekursgericht bei der Beurteilung der Rechtsmittellegitimation der Tochter eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Er ist im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen zweitinstanzlichen Beschlusses auch berechtigt.

[7] Die Tochter macht geltend, die Aufforderung des Gerichtskommissärs sei unzulässigerweise als Bitte formuliert gewesen. Wenn der Gerichtskommissär keine Antwort von ihr erhalten habe, hätte er die Tochter daher neuerlich und unter Setzung einer Frist auffordern müssen, ihre allfälligen Anträge als Pflichtteilsberechtigte zu stellen und sie über die Folgen der Nichtäußerung innerhalb der gesetzten Frist belehren müssen. Vor Ablauf dieser Frist hätte das Verlassenschaftsverfahren nicht fortgeführt werden dürfen. So wären trotz der offenbar verloren gegangenen E‑Mail‑Nachricht ihre Rechte im Verlassenschaftsverfahren gewahrt worden. Das Rekursverfahren sei mangelhaft, weil das Rekursgericht diese schon im Rekurs erhobenen Einwände zu Unrecht nicht behandelt habe.

[8] Hiezu wurde erwogen:

[9] 1. Das Revisionsrekursverfahren gegen die Zurückweisung eines Rekurses ist einseitig (RS0120614).Die Freistellung einer Revisionsrekursbeantwortung ist daher nicht erforderlich.

[10] 2. Pflichtteilsberechtigte sind in ihrer Parteistellung nach ständiger Rechtsprechung auf die Rechte nach den §§ 778, 804 und 812 ABGB (Anwesenheit bei Schätzungen, Antrag auf Inventarisierung oder Nachlassseparation) beschränkt (2 Ob 28/21p; 2 Ob 20/18g; vgl RS0006519; RS0012909). Zur Wahrung dieser Rechte sind sie dem Verlassenschaftsverfahren beizuziehen (§ 176 Abs 1 AußStrG; 6 Ob 153/10h; vgl 6 Ob 105/03i; 3 Ob 560/92; RS0006519 [T1]). Daher kommt dem Pflichtteilsberechtigten (nur) in diesem Rahmen Rechtsmittelbefugnis zu (2 Ob 166/17a mwN; vgl RS0006500 [T9, T12]). Somit auch dann, wenn er dem Verfahren nicht beigezogen wurde (RS0006567; RS0006479). Das hat der Oberste Gerichtshof auch zur Rechtslage nach dem AußStrG 2003 wiederholt ausgesprochen (3 Ob 165/13f; 6 Ob 153/10h; vgl 2 Ob 166/17a [ErwGr 4.]).

[11] Diese Differenzierung zum übergangenen Erben, der gemäß § 164 AußStrG nach Bindung des Gerichts an den Einantwortungsbeschluss auf den streitigen Rechtsweg verwiesen ist, wurde damit begründet, dass dem im Erbschaftsprozess obsiegenden (wahren) Erben als Gesamtrechtsnachfolger ohnehin alle Auskunftsrechte des Erblassers gegenüber Dritten (etwa Banken) zukommen. Für den Pflichtteilsberechtigten, der lediglich ein Geldleistungsbegehren erheben kann, stellt hingegen das Inventar eine wichtige Grundlage für die Berechnung seines Zahlungsanspruchs dar (6 Ob 153/10h; Verweijen in Schneider/Verweijen, AußStrG § 164 Rz 14 f; Fucik/Neumayr, Die Parteien des Verlassenschaftsverfahrens, iFamZ 2012, 139 [142]; Bittner/Hawel in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht und Vermögensnachfolge² § 11 Rz 117; krit W. Tschugguel, iFamZ 2011/176 und iFamZ 2012/31; aM Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² § 164 Rz 22 ff).

[12] Daran ist trotz der Kritik Höllwerths (aaO) festzuhalten (Verweijen in Schneider/Verweijen, AußStrG § 164 Rz 14 f). Zunächst betrifft die Bestimmung des § 164 AußStrG sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrer systematischen Stellung im Gesetz unter der Überschrift „Entscheidung über das Erbrecht“ jene Ansprüche, über die im Verfahren über das Erbrecht zu entscheiden ist. Auch nach den Materialien sollen in § 164 AußStrG die Grenzen der Klärung des Erbrechts innerhalb des Abhandlungsverfahrens deutlich gemacht und geregelt werden, wie der „wahre Erbe“ seine Ansprüche geltend machen kann (ErläutRV 224 BlgNR 22. GP  106). Sie geben hingegen keinen Anhaltspunkt dafür, dass damit auch die verfahrensrechtliche Stellung der Pflichtteilsberechtigten geregelt werden sollte oder das Verlassenschaftsverfahren nach Bindung des Gerichts an den Einantwortungbeschluss auch in anderen Fällen nicht mehr „aufgerollt“ werden dürfte. Auch wird dem Informationsbedürfnis des Pflichtteilsberechtigten im Streitverfahren nicht in vergleichbarer Weise Rechnung getragen. Im Gegensatz zum Manifestationsbegehren im Zuge einer Stufenklage nach Art XLII Abs 1 erster Fall EGZPO, das die Darlegung der begründeten Besorgnis erfordert, dass dem Pflichtteilsberechtigten nicht der gesamte Nachlass bekannt ist (2 Ob 316/02p; Dukic, Der Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten über das Verlassenschaftsvermögen und Schenkungen, NZ 2021/47, 170 [174]), hat der Gerichtskommissär grundsätzlich von Amts wegen das Inventar als ein vollständiges Verzeichnis der Verlassenschaft zu erstellen (§§ 166 ff AußStrG). Zwar sind die Ergebnisse der Inventarisierung im Pflichtteilsprozess nicht bindend (RS0007784). Dennoch können die im Zuge der Errichtung des Inventars hervorgekommenen oder entstandenen Bescheinigungsmittel (Bankauskünfte, Gutachten etc) nicht nur eine Entscheidungsgrundlage für den Pflichtteilsberechtigten bilden, ob ein Pflichtteils(‑ergänzungs‑)anspruch besteht, sondern ihm auch in einem allfälligen Pflichtteilsprozess als wesentliche Beweismittel dienen. Auch die weitgehenden Auskunftsrechte des Gerichtskommissärs, denen etwa auch kein Bankgeheimnis Dritter entgegensteht (vgl zuletzt 2 Ob 101/20x; 2 Ob 183/15y), und die Mitwirkungspflichten Dritter (§ 166 Abs 3 AußStrG) kommen dem Pflichtteilsberechtigten nur im Verlassenschaftsverfahren zugute, ebenso der Sicherstellungsanspruch schutzberechtigter Pfichtteilsberechtigter nach § 176 Abs 2 AußStrG.

[13] Daher kommt auch dem Pflichtteilsberechtigten, der dem Verfahren nicht oder nicht ordnungsgemäß (7 Ob 177/01g [keine ausreichende Gelegenheit zur aktiven Beteiligung am Verfahren]; 8 Ob 619/93 [Verständigung nur durch den Erbenmachthaber]) beigezogen wurde, die Rechtsmittelbefugnis zu.

[14] 3. Die Revisionsrekurswerberin wendet sich nicht gegen die Feststellung des Rekursgerichts, dass vor Übergabe des Einantwortungsbeschlusses zur Ausfertigung an die Geschäftsstelle durch das Erstgericht bei diesem kein Antrag auf Inventarisierung und Schätzung der Verlassenschaft eingelangt ist. Sie ist aber der Ansicht, dasssie der Abhandlung vor Fassung des Einantwortungsbeschlusses aufgrund eines (behaupteten) Verfahrensmangels nicht ordnungsgemäß beigezogen worden sei und daher die ihr zustehenden Rechte nicht wirksam ausüben und entsprechende Anträge stellen habe können. Das Rekursgericht habe diese bereits im Rekurs erhobene Rüge nicht behandelt.

[15] Zutreffend macht sie damit geltend, dass sie bereits in ihrem Rekurs eine Verkürzung ihrer Rechte als Pflichtteilsberechtigte geltend gemacht hat. In diesem Umfang kam ihr aber Rechtsmittelbefugnis zu (Punkt 2.). Denn geht es um die Frage, ob der Pflichtteilsberechtigte dem Verfahren ordnungsgemäß beigezogen wurde, kann seine Rechtsmittellegitimation nicht mit der Begründung verneint werden, er habe sich am erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligt (vgl 7 Ob 177/01g).

[16] 4. Das Rekursgericht hat den Rekurs der Tochter als unzulässig zurückgewiesen, ohne sich inhaltlich mit dieser (erkennbar) behaupteten Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens zu befassen. Zutreffend zeigt die Revisionswerberin daher einen Mangel des Rekursverfahrens (§ 66 Abs 1 Z 2 AußStrG) auf. Das führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Das Rekursgericht wird über den Rekurs der Tochter inhaltlich zu entscheiden haben.

[17] 5. Gemäß § 185 AußStrG findet im Verlassenschaftsverfahren – mit Ausnahme des Verfahrens über das Erbrecht – ein Kostenersatz nicht statt.

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